TE Vfgh Beschluss 1995/10/11 V67/95, V70/95

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Veröffentlicht am 11.10.1995
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Index

10 Verfassungsrecht
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz in der Fassung von 1929 (B-VG)

Norm

B-VG Art49 Abs1
B-VG Art140 Abs1 / Präjudizialität
VStG §51 Abs7
VStG §66b Abs4

Leitsatz

Zurückweisung von Verordnungsprüfungsanträgen eines unabhängigen Verwaltungssenates mangels Präjudizialität der bekämpften Norm infolge Außerkrafttretens der vor dem UVS angefochtenen Bescheide ex lege nach Ablauf der Frist zur Entscheidung über die eingebrachte Berufung; keine Anwendung einer Bestimmung einer VStG-Novelle über die rückwirkende Änderung von Fristberechnungen aus rechtsstaatlichen Erwägungen

Spruch

Die Anträge werden zurückgewiesen.

Begründung

Begründung:

I. 1. Beim Unabhängigen Verwaltungssenat für die Steiermark sind zwei Verfahren gegen Bescheide anhängig, mit denen der Berufungswerber jeweils bestraft wurde, weil er seinen PKW am 16. August 1993 bzw. am 3. August 1993 im Bereich eines Halte- und Parkverbots abgestellt hatte. Die Berufungen vom 9. Mai 1994 langten jeweils am 10. Mai 1994 bei der Bundespolizeidirektion Graz ein.

Mit den zu V67/95 und V70/95 beim Verfassungsgerichtshof protokollierten Anträgen begehrt der Unabhängige Verwaltungssenat für die Steiermark gemäß Art139 Abs1 iVm. Art129 a Abs3 und Art89 Abs2 B-VG die Aufhebung der bei seiner Entscheidung über diese Berufungen von ihm anzuwendenden "Verordnung des Stadtsenates der Landeshauptstadt Graz vom 19.07.1993, GZ.: A10/FA-1-467/1993," zur Gänze als gesetzwidrig.

2. Der Stadtsenat der Landeshauptstadt Graz erstattete unter Vorlage der Verwaltungs- und Verordnungsakten eine Äußerung zu beiden Verfahren, in welcher er die Abweisung der Anträge begehrt.

II. Die Anträge sind unzulässig.

1. Gemäß Art139 Abs1 B-VG iVm. Art129 a Abs3 B-VG und Art89 Abs2 B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Gesetzwidrigkeit von Verordnungen auf Antrag eines unabhängigen Verwaltungssenates, wenn er gegen die Anwendung einer Verordnung aus dem Grunde der Gesetzwidrigkeit Bedenken hat. Der Verfassungsgerichtshof hat hiebei die ihm unterbreitete Auffassung zur Präjudizialitätsfrage nach ständiger Rechtsprechung auf ihre Denkmöglichkeit hin zu untersuchen (VfSlg. 13424/1993 uvam.). Tritt dabei die Unrichtigkeit des Standpunkts des unabhängigen Verwaltungssenates offen zu Tage, ist der Antrag unzulässig.

Eben dies trifft auf die vorliegenden Anträge zu.

Gemäß §51 Abs1 Verwaltungsstrafgesetz 1991 - VStG 1991, Kdm. WV BGBl. 52/1991, steht dem Beschuldigten in einem Verwaltungsstrafverfahren das Recht der Berufung an den unabhängigen Verwaltungssenat zu. Abs7 des §51 VStG 1991, in der Fassung vor der VStG-Novelle 1995, BGBl. 620/1995, bestimmte, daß der im Berufungsweg angefochtene Bescheid - vom hier nicht gegebenen Fall des zweiten Satzes des §51 Abs7 VStG 1991 abgesehen - als aufgehoben gilt und das Verfahren einzustellen ist, wenn eine Berufungsentscheidung nicht innerhalb von fünfzehn Monaten ab Einbringung der Berufung erlassen wird.

In diese fünfzehnmonatige Frist war mangels einer anderslautenden Bestimmung die Zeit eines Verfahrens vor dem Verfassungsgerichtshof (insbesondere jene eines Verordnungsprüfungsverfahrens) einzurechnen (vgl. auch VfGH 4.10.1995, G115/93 ua.). Diese Auslegung wird durch die Erläuterungen zur Regierungsvorlage der VStG-Novelle 1995 bestätigt (131 BlgNR 19.GP, Seite 8):

"Während nach §31 Abs3 VStG hinsichtlich der Strafbarkeitsverjährung und der Vollstreckungsverjährung die Zeit eines Verfahrens vor dem Verfassungsgerichtshof oder vor dem Verwaltungsgerichtshof nicht in die Frist einzurechnen ist (wobei lege non distinguente davon auszugehen ist, daß auch das Verfahren gemäß Art139 und Art140 B-VG, nicht nur jenes nach Art144 B-VG, an welches vielleicht primär gedacht gewesen sein mag, umfaßt ist), fehlt in §51 Abs7 VStG betreffend die Frist zur Entscheidung für den unabhängigen Verwaltungssenat über die Berufung in Verwaltungsstrafverfahren eine Bezugnahme auf diese Verfahren. ... Es erscheint daher geboten, §51 Abs7 VStG in diesem Sinne zu ergänzen. ..."

Aus den dem Verfassungsgerichtshof vorgelegten Verwaltungsakten geht hervor, daß die Berufungen am 10. Mai 1994 bei der Bundespolizeidirektion Graz eingelangt sind. Die Frist des §51 Abs7 VStG 1991 alte Fassung hat daher am 10. August 1995 geendet (vgl. zum Lauf der Frist zB VwSlg. 11790 A/1985). Mit diesem Zeitpunkt galten sohin die angefochtenen Bescheide als aufgehoben. Die Anordnung des §51 Abs7 VStG 1991 idF der Novelle BGBl. 620/1995, wonach die "Zeit eines Verfahrens vor dem Verfassungsgerichtshof ... nicht in diese Frist einzurechnen" ist, wurde zwar gemäß §66 b Abs4 VStG 1991 idF der Novelle BGBl. 620/1995 rückwirkend mit 1. Juli 1995 in Kraft gesetzt. Die Anordnung der Rückwirkung selbst trat aber gemäß Art49 Abs1 B-VG erst nach Ablauf des Tages in Kraft, an dem das Stück des Bundesgesetzblattes, das die Kundmachung der VStG-Novelle 1995 enthält, herausgegeben und versendet wurde. Das ist der 13. September 1995, somit ein Zeitpunkt, in dem die fünfzehnmonatige Frist bereits abgelaufen und die Bescheide außer Kraft getreten waren. Es ist aus allgemeinen rechtsstaatlichen Überlegungen auszuschließen, daß §66 b Abs4 VStG 1991 idF der Novelle BGBl. 620/1995 der Sinn beizumessen wäre, die bereits außer Kraft getretenen Straferkenntnisse wieder zu erlassen.

Da sohin die mit Berufungen vor dem Unabhängigen Verwaltungssenat für die Steiermark bekämpften Bescheide ex lege nicht mehr gelten, ist es offenkundig, daß dieser die beim Verfassungsgerichtshof bekämpfte Norm nicht mehr anzuwenden hat (vgl. auch §57 Abs4 VerfGG 1953).

2. Die Anträge waren daher gemäß §19 Abs3 Z2 lite VerfGG 1953 mangels Legitimation des Unabhängigen Verwaltungssenates für die Steiermark in nichtöffentlicher Sitzung ohne vorangegangene Verhandlung zurückzuweisen.

Schlagworte

VfGH / Präjudizialität, Verwaltungsverfahren, Fristen (Verwaltungsverfahren), Unabhängiger Verwaltungssenat, Rückwirkung, Gesetz Kundmachung, Kundmachung Gesetz, Rechtsstaatsprinzip

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1995:V67.1995

Dokumentnummer

JFT_10048989_95V00067_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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