Entscheidungsdatum
27.08.2020Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z5Spruch
W128 2117818-2/7E
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Michael FUCHS-ROBETIN über die Beschwerde des afghanischen Staatsangehörigen XXXX , geboren am XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 21.06.2018, Zl. 14-1021708701-180431227, zu Recht:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen und der Spruch des angefochtenen Bescheides mit der Maßgabe bestätigt, dass Spruchpunkt I. zu lauten hat:
Der Ihnen mit Bescheid vom 11.11.2015, Zahl 14-1021708701-14725749, zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten wird Ihnen gemäß § 9 Absatz 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) von Amts wegen aberkannt.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe
I. Verfahrensgang
1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF), ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte am 20.06.2014 einen Antrag auf internationalen Schutz.
2. Mit Bescheid vom 11.11.2015, Zl. 14-1021708701-14725749, wies das BFA den Antrag des BF auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihm gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihm gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 10.11.2016 (Spruchpunkt III.).
Begründend führte das BFA im Wesentlichen aus, dass der BF keine asylrelevante Verfolgung habe glaubhaft machen können; ihm sei jedoch der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, weil die Sicherheitslage in Afghanistan – aufgrund der instabilen politischen Situation und der weitgehenden Schutzunfähigkeit staatlicher Institutionen – prekär sei. Zudem seien die allgemeinen Lebensbedingungen und die Versorgungslage schwierig. Der BF liefe bei einer Rückkehr Gefahr, in eine aussichtlose Lage zu geraten, weshalb eine reale Gefahr der Verletzung seiner durch Art. 2 und Art. 3 EMRK geschützten Rechte bestehe.
3. Gegen Spruchpunkt I. des Bescheides vom 11.11.2015 erhob der BF fristgerecht Beschwerde. Die Spruchpunkte II. und III. erwuchsen hingegen in Rechtskraft. Mit Erkenntnis vom 17.07.2017 wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde als unbegründet ab.
4. Mit Bescheid vom 18.10.2016, Zl. 1021708701-14725749/BMI-BFA_KNT_RD, wurde die befristete Aufenthaltsberechtigung des BF für weitere zwei Jahre, somit bis zum 10.11.2018, verlängert.
5. Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 18.04.2018, rechtskräftig seit 24.04.2018, Zl. 66 Hv 95/17y, wurde der BF wegen des Vergehens der Vorbereitung von Suchtgifthandel nach § 28 Abs. 1 zweiter Fall Suchtmittelgesetz (SMG) zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt. Die Freiheitsstrafe wurde ihm unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen.
6. Am 15.05.2018 leitete das BFA ein Aberkennungsverfahren nach § 9 Abs. 2 AsylG 2005 ein. Am 07.06.2018 wurde der BF vor dem BFA niederschriftlich einvernommen.
7. Mit Bescheid vom 21.06.2018, Zl. 14-1021708701-180431227, erkannte das BFA dem BF den Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 und Abs. 2 AsylG 2005 von Amts wegen ab (Spruchpunkt I.), entzog ihm gemäß § 9 Abs. 4 AsylG 2005 die befristete Aufenthaltsberechtigung (Spruchpunkt II.), erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nach § 57 AsylG 2005 (Spruchpunkt III.), erließ gegen ihn gemäß § 10 Abs. 1 Z 5 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) eine Rückkehrentscheidung nach § 52 Abs. 2 Z 4 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) (Spruchpunkt IV.), stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.), räumte ihm gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG eine Frist für die freiwillige Ausreise von zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung ein (Spruchpunkt VI.) und erließ gegen ihn gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG ein auf sieben Jahre befristetes Einreiseverbot (Spruchpunkt VII.).
Begründend führte das BFA zusammengefasst aus, dass die Umstände, die zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten geführt haben, nicht mehr vorlägen, weil eine landesweite, allgemeine und extreme Gefährdungslage in Afghanistan nicht mehr gegeben sei. Mittlerweile bestehe für den BF in jeder unter Regierungskontrolle stehenden Provinz, insbesondere in Kabul, eine innerstaatliche Fluchtalternative. Zudem hätten sich seit 2015 Rückkehrhilfeprogramm etabliert, sodass der BF bei einer Rückkehr nicht mehr Gefahr liefe, in eine aussichtslose Lage zu geraten. Zudem stelle der BF aufgrund seiner rechtskräftigen strafgerichtlichen Verurteilung eine massive Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit dar. Die Voraussetzungen für eine Aberkennung nach § 9 Abs. 1 und Abs. 2 AsylG 2005 lägen somit vor.
Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung sei zulässig, weil diese nicht sein Recht auf ein Privat- und Familienleben nach Art. 8 EMRK verletze. Der BF verfüge über kein Familienleben in Österreich, übe keine Erwerbstätigkeit aus, sei nicht in hohem Maße integriert und nehme nicht am sozialen Leben teil. Zudem sei er rechtskräftig strafgerichtlich verurteilt worden, weshalb er eine Gefahr für die Allgemeinheit und Sicherheit Österreichs darstelle. Insgesamt überwiege somit das öffentliche Interesse an einer Aufenthaltsbeendigung des BF gegenüber seinen privaten Interessen an einem Verbleib in Österreich. Die strafgerichtliche Verurteilung rechtfertige überdies die Erlassung eines auf sieben Jahre befristeten Einreiseverbotes.
8. Am 17.10.2018 erhob der BF fristgerecht in vollem Umfang Beschwerde wegen „unrichtiger rechtlichen Beurteilung und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften“ mit dem primären Anträgen, den angefochtenen Bescheid zu beheben und eine mündliche Beschwerdeverhandlung anzuberaumen. Eine Aberkennung nach § 9 Abs. 2 Z 2 AsylG 2005 erfordere die Durchführung einer Gefährdungsprognose, im Zuge deren abzuwägen sei, ob der BF in Zukunft eine Gefahr für die Gemeinschaft darstelle. Die belangte Behörde habe es unterlassen eine solche Prognose durchzuführen; die strafrechtliche Verurteilung alleine rechtfertige keine Aberkennung nach § 9 Abs. 2 Z 2 AsylG 2005. Zudem habe die Behörde bei der Erlassung einer Rückkehrentscheidung und der Festsetzung eines Einreiseverbotes entscheidungswesentliche Tatsachen nicht berücksichtigt. Unberücksichtigt sei geblieben, dass der BF einer legalen Erwerbstätigkeit nachgehe, in Österreich Freunde habe und die Pflichtschule sowie Deutsch- und Integrationskurse besucht habe. Bei Durchführung eines vollständigen Ermittlungsverfahrens und Berücksichtigung aller entscheidungsrelevanten Tatsachen hätte die Behörde zu dem Schluss kommen müssen, dass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung sowie die Festsetzung eines Einreiseverbotes den BF in seinem Recht auf ein Privatleben nach Art. 8 EMRK verletze.
9. Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 14.08.2018, rechtskräftig seit 14.08.2018, Zl. 61 Hv 83/18y, wurde der BF wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 12 dritter Fall Strafgesetzbuch (StGB) iVm § 28a Abs. 1 zweiter und dritter Fall SMG, wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs. 1 vierter und fünfter Fall SMG und wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z 1 erster und zweiter Fall und § 27 Abs. 2 SMG zu einer Zusatzfreiheitsstrafe von 15 Monaten – davon drei Monate unbedingt – verurteilt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen
1.1. Der BF ist am XXXX geboren, afghanischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Paschtunen an und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islams. Seine Muttersprache ist Pashtu. Er wuchs im Dorf XXXX , Provinz Wardak, auf und lebte dort bis zu seiner Ausreise. Er besuchte in Afghanistan elf Jahre lang die Schule und arbeitete im Anschluss in der Landwirtschaft und als Bauarbeiter.
Im Mai 2014 verließ er Afghanistan und reiste schlepperunterstützt (spätestens) im Juni 2014 nach Österreich ein.
Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 18.04.2018, rechtskräftig seit 24.04.2018, Zl. 66 E Hv 95/17y, wurde der BF wegen des Vergehens der Vorbereitung von Suchtgifthandel nach § 28 Abs. 1 zweiter Fall Suchtmittelgesetz (SMG) zu einer bedingten Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt.
Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 14.08.2018, rechtskräftig seit 14.08.2018, Zl. 61 Hv 83/18y, wurde der BF wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 12 dritter Fall StGB iVm § 28a Abs. 1 zweiter und dritter Fall SMG, wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs. 1 vierter und fünfter Fall SMG und wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z 1 erster und zweiter Fall und § 27 Abs. 2 SMG zu einer Zusatzfreiheitsstrafe von 15 Monaten – davon drei Monate unbedingt – verurteilt. Von 14.08.2018 bis 14.11.2018 befand sich der BF in Strafhaft.
Der BF hat keine Familienangehörigen in Österreich. Der BF ist im erwerbsfähigen Alter und gesund. Er absolvierte die Pflichtschule in Österreich. Von Juli 2017 bis Dezember 2017 arbeitete er bei der Personalfirma „Eatwork“ und von Februar 2018 bis August 2018 bei der Niederösterreichischen Molkerei (NÖM) in Baden bei Wien. Er verfügt über geringe Deutschkenntnisse (Sprachniveau A1). Er pflegt diverse soziale Kontakte in Österreich.
Der Beschwerdeführer leidet an keinen lebensbedrohlichen physischen und psychischen Krankheiten. Er leidet auch an keiner der für COVID-19 notorischen Vorerkrankungen, weshalb er nicht zur einschlägigen Risikogruppe für COVID-19 zählt.
Die Eltern, Brüder und Schwestern des BF leben in Afghanistan, in der Provinz Wardak. Im Falle einer Rückkehr würde der BF in den Städten Mazar-e Sharif oder Herat in keine existenzbedrohende Notlage geraten.
1.2. Zur hier relevanten Situation in Afghanistan:
Die Länderfeststellungen zur Lage in Afghanistan basieren auf nachstehenden Quellen:
- Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan in der Fassung der Gesamtaktualisierung vom 13.11.2019 mit Stand 29.06.2020 (LIB)
- UNHCR Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018 (UNHCR)
- EASO Country Guidance: Afghanistan vom Juni 2019 (EASO)
1.2.1. Allgemeine Sicherheitslage
Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind. Auf einer Fläche von ca. 632.000 Quadratkilometern leben ca. 32 Millionen Menschen (LIB, Kapitel 2).
Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt insgesamt volatil und weist starke regionale Unterschiede auf. Provinzen und Distrikten mit aktiven Kampfhandlungen stehen andere gegenüber, in denen die Lage trotz punktueller Sicherheitsvorfälle vergleichsweise stabil ist. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, Transitrouten, Provinzhauptstädte und den Großteil der Distriktzentren (LIB, Kapitel 3). Die Hauptlast einer unsicheren Sicherheitslage in der jeweiligen Region trägt die Zivilbevölkerung (UNHCR, Kapitel II. B).
Für die Sicherheit in Afghanistan sind verschiedene Organisationseinheiten der afghanischen Regierungsbehörden verantwortlich. Die Afghan National Defense and Security Forces (ANDSF) umfassen militärische, polizeiliche und andere Sicherheitskräfte. Das Innenministerium ist primär für die interne Ordnung zuständig, dazu zählt auch die Afghan National Police (ANP) und die Afghan Local Police (ALP). Die Afghan National Army (ANA) ist für die externe Sicherheit verantwortlich, dennoch besteht ihre Hauptaufgabe darin, den Aufstand im Land zu bekämpfen. Die ANP gewährleistet die zivile Ordnung und bekämpft Korruption sowie die Produktion und den Schmuggel von Drogen. Der Fokus der ANP liegt derzeit in der Bekämpfung von Aufständischen gemeinsam mit der ANA. Die ALP wird durch die USA finanziert und schützt die Bevölkerung in Dörfern und ländlichen Gebieten vor Angriffen durch Aufständische (LIB, Kapitel 5).
In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv, welche eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabilität in Afghanistan darstellen. Eine Bedrohung für Zivilisten geht insbesondere von Kampfhandlungen zwischen den Konfliktparteien sowie improvisierten Sprengkörpern, Selbstmordanschlägen und Angriffen auf staatliche Einrichtungen und gegen Gläubige und Kultstätten bzw. religiöse Minderheiten aus (LIB, Kapitel 3).
Wirksame Maßnahmen der Regierung zur Bekämpfung von COVID-19 scheinen derzeit auf keiner Ebene möglich zu sein: der afghanischen Regierung zufolge lebt 52% der Bevölkerung in Armut, während 45% in Ernährungsunsicherheit lebt. Dem Lock down Folge zu leisten, "social distancing" zu betreiben und zuhause zu bleiben ist daher für viele keine Option, da viele Afghan/innen arbeiten müssen, um ihre Familien versorgen zu können (LIB, Kurzinformation 29.06.2020).
Berichten zufolge, haben sich mehr als 30.000 Menschen in Afghanistan mit COVID-19 angesteckt, mehr als 670 sind daran gestorben. Dem Gesundheitsministerium zufolge, liegen die tatsächlichen Zahlen viel höher; auch bestünde dem Ministerium zufolge die Möglichkeit, dass in den kommenden Monaten landesweit bis zu 26 Millionen Menschen mit dem Virus infiziert werden könnten, womit die Zahl der Todesopfer 100.000 übersteigen könnte. Die COVID-19 Testraten sind extrem niedrig in Afghanistan: weniger als 0,2% der Bevölkerung – rund 64.900 Menschen von geschätzten 37,6 Millionen Einwohnern – wurden bis jetzt auf COVID-19 getestet (LIB, Kurzinformation 29.06.2020).
In Afghanistan sind landesweit derzeit Mobilität, soziale und geschäftliche Aktivitäten sowie Regierungsdienste eingeschränkt. In den größeren Städten wie z.B. Kabul, Kandahar, Mazar-e Sharif, Jalalabad, Parwan usw. wird auf diese Maßnahmen stärker geachtet und dementsprechend kontrolliert. Verboten sind zudem auch Großveranstaltungen – Regierungsveranstaltungen, Hochzeitsfeiern, Sportveranstaltungen – bei denen mehr als zehn Personen zusammenkommen würden. In der Öffentlichkeit ist die Bevölkerung verpflichtet einen Nasen-Mund-Schutz zu tragen (LIB, Kurzinformation 29.06.2020).
Die großen COVID-19 bedingten Reisebeschränkungen wurden mittlerweile aufgehoben; die Bevölkerung kann nun in alle Provinzen reisen. Afghanistan hat mit 24.6.2020 den internationalen Flugverkehr mit einem Turkish Airlines-Flug von Kabul nach Istanbul wiederaufgenommen; wobei der Flugplan aufgrund von Restriktionen auf vier Flüge pro Woche beschränkt wird. Emirates, eine staatliche Fluglinie der Vereinigten Arabischen Emirate, hat mit 25.6.2020 Flüge zwischen Afghanistan und Dubai wiederaufgenommen. Zwei afghanische Fluggesellschaften Ariana Airlines und der lokale private Betreiber Kam Air haben ebenso Flüge ins Ausland wiederaufgenommen. Bei Reisen mit dem Flugzeug sind grundlegende COVID-19-Schutzmaßnahmen erforderlich. Wird hingegen die Reise mit dem Auto angetreten, so sind keine weiteren Maßnahmen erforderlich. Zwischen den Städten Afghanistans verkehren Busse. Grundlegende Schutzmaßnahmen nach COVID-19 werden von der Regierung zwar empfohlen – manchmal werden diese nicht vollständig umgesetzt (LIB, Kurzinformation 29.06.2020).
1.2.2. Zur Lage in der Herkunftsprovinz Wardak des BF
Die Provinz Wardak (auch Maidan Wardak) liegt im zentralen Teil Afghanistans. Sie besteht aus Tadschiken, Paschtunen und Hazara. Die Provinz hat 648.866 Einwohner (LIB, Kapitel 3.33).
Die Sicherheitslage in der Provinz Maidan Wardak hat sich in den letzten Monaten verschlechtert. Aufständische der Taliban sind in gewissen Distrikten aktiv und führen terroristische Aktivitäten aus. In der Provinz kommt es regelmäßig zu Sicherheitsoperationen. Bei diesen werden manchmal Aufständische getötet oder Gefangene der Taliban befreit. Die Taliban griffen Kontrollpunkte der Sicherheitskräfte an und es kam zu Gefechten mit den Regierungstruppen. Bei manchen sicherheitsrelevanten Vorfällen kamen auch Zivilisten zu Schaden. Im Jahr 2018 gab es 224 zivile Opfer (88 Tote und 136 Verletzte) in der Provinz Wardak. Dies entspricht einer Steigerung von 170% gegenüber 2017. Die Hauptursachen für zivile Opfer waren Bodenkämpfe, gefolgt von Selbstmordanschlägen und Sprengstoffanschlägen (LIB, Kapitel 3.33).
In der Provinz (Maidan) Wardak kommt es zu willkürlicher Gewalt, jedoch nicht auf hohem Niveau. Dementsprechend ist ein höheres Maß an Einzelelementen erforderlich, um wesentliche Gründe für die Annahme aufzuzeigen, dass ein in dieses Gebiet zurückgekehrter Zivilist einem realen ernsthaften Risiko ausgesetzt wäre, Schaden zu nehmen (EASO, Kapitel Guidance note: Afghanistan, III.3).
1.2.3. Zur Lage in Mazar-e Sharif/ Herat Stadt
Mazar-e Sharif ist die Provinzhauptstadt von Balkh, einer ethnisch vielfältigen Provinz, welche von Paschtunen, Usbeken, Hazara, Tadschiken, Turkmenen, Aimaq, Belutschen, Arabern und sunnitischen Hazara (Kawshi) bewohnt wird. Sie hat 469.247 Einwohner und steht unter Kontrolle der afghanischen Regierung (LIB, Kapitel 2.5).
Das Niveau an willkürlicher Gewalt ist in der Stadt Mazar-e Sharif so gering, dass für Zivilisten an sich nicht die Gefahr besteht, von erheblichen Eingriffen in die psychische oder physische Unversehrtheit betroffen zu sein (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, III).
Mazar-e Sharif ist über die Autobahn sowie über einen Flughafen (mit nationalen und internationalen Anbindungen) legal zu erreichen (LIB, Kapitel 21). Der Flughafen von Mazar-e Sharif (MRZ) liegt 9 km östlich der Stadt im Bezirk Marmul. Die Befahrung der Straßen von diesem Flughafen bis zur Stadt Mazar-e Sharif ist zur Tageszeit im Allgemeinen sicher (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).
Mazar-e Sharif ist ein Import-/Exportdrehkreuz, ein regionales Handelszentrum sowie ein Industriezentrum mit großen Fertigungsbetrieben und einer Vielzahl von kleinen und mittleren Unternehmen (LIB, Kapitel 21). Mazar-e Sharif gilt im Vergleich zu Herat oder Kabul als wirtschaftlich relativ stabiler. Die größte Gruppe von Arbeitern in der Stadt Mazar-e Sharif sind im Dienstleistungsbereich und als Verkäufer tätig (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).
In der Stadt Mazar-e Sharif gab bzw. gibt es aufgrund der Corona Pandemie Ausgangssperren. Durch diese Ausgangssperren sind insbesondere Taglöhner, welche auf ihre tägliche Arbeit und ihren täglichen Lohn angewiesen sind, und Familien, welche nicht auf landwirtschaftliche Einkünfte zugreifen können, besonders betroffen (ACCORD Masar-e Sharif).
Die Unterkunftssituation stellt sich in Mazar-e Sharif, wie in den anderen Städten Afghanistans auch, für Rückkehrer und Binnenflüchtlinge als schwierig dar. Viele Menschen der städtischen Population lebt in Slums oder nichtadäquaten Unterkünften. In Mazar-e Sharif besteht grundsätzlich die Möglichkeit, sicheren Wohnraum, wie beispielsweise in Teehäusern, zu mieten. (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).
Die in der Stadt Mazar-e Scharif und Umgebung befindlichen Orte, an denen die Mehrheit der IDPs und RückkehrerInnen letztlich unterkommen, teilt UNHCR in drei Kategorien ein: Die erste Kategorie ist das Stadtzentrum, wo die Lebenshaltungskosten vergleichsweise hoch sind. In der zweiten Kategorie befinden sich längerfristige und dauerhafte Siedlungen bzw. Stätten („sites“), welche sich in den Vororten oder am Stadtrand befinden. Dort gibt es ein gewisses Maß an Infrastruktur, und humanitäre Organisationen bieten dort ein gewisses Ausmaß an Unterstützung an. Es gibt dort einen gewissen Zugang zu soliden Unterkünften, Bildung und medizinischer Versorgung. Die beiden größten längerfristigen Siedlungen bzw. Stätten sind das Sakhi-Camp (20 km nordöstlich der Stadt), Qalen Bafan (im westlichen Teil von Mazar-e Scharif), sowie Zabihullah (etwa 20 km südöstlich der Stadt). Die dritte Kategorie von Gebieten sind jene Siedlungen oder Stätten, die erst vor kürzerer Zeit und aufgrund der anhaltenden und zunehmenden Vertreibung entstanden sind. Diese Siedlungen, die in der Regel von der Regierung nicht anerkannt werden, befinden sich häufig auf Landstrichen mit unklaren Eigentumsverhältnissen. In diesen neueren Siedlungen leben viele Menschen in Zelten, oft unter prekären Bedingungen und mit stark eingeschränktem Zugang zu humanitärer Hilfe. Es mangelt dort an Wasser, Strom und sozialen Einrichtungen. Im Prinzip ist die Situation hinsichtlich des Zugangs zu Bildung, Gesundheitsversorgung, Wasser und anderen Dienstleistungen umso schlimmer, je weiter außerhalb der Stadt jemand lebt, wobei die Situation in den informellen Siedlungen bzw. Stätten am schlimmsten ist. Ob allerdings die Situation in der Innenstadt besser ist, hängt von den individuellen - insbesondere finanziellen - Umständen eines Binnenvertriebenen oder Rückkehrers ab (ACCORD Masar-e Sharif).
Die meisten Menschen in Mazar-e Sharif haben Zugang zu erschlossener Wasserversorgung (76%), welche in der Regel in Rohrleitungen oder aus Brunnen erfolgt. 92% der Haushalte haben Zugang zu besseren Sanitäreinrichtungen (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).
Während Mazar-e Sharif im Zeitraum Juni 2019 bis September 2019 noch als IPC Stufe 1 „minimal“ (IPC - Integrated Phase Classification) klassifiziert wurde, wird Mazar-e Sharif im Zeitraum April bis Mai 2020 in Stufe 3 „crisis“ eingestuft. In Stufe 1 sind die Haushalte in der Lage, den Bedarf an lebensnotwenigen Nahrungsmitteln und Nicht-Nahrungsmitteln zu decken, ohne atypische und unhaltbare Strategien für den Zugang zu Nahrung und Einkommen zu verfolgen. In Stufe 3 weisen Haushalte Lücken im Nahrungsmittelkonsum mit hoher oder überdurchschnittlicher akuter Unterernährung auf oder sind nur geringfügig in der Lage, ihren Mindestnahrungsmittelbedarf zu decken, und dies nur indem Güter, die als Lebensgrundlage dienen, vorzeitig aufgebraucht werden bzw. durch Krisenbewältigungsstrategien (ECOI, Kapitel 3.1).
In der Stadt Mazar-e Sharif gibt es 10 - 15 – teils öffentliche, teils private – Krankenhäuser. In Mazar-e Sharif existieren mehr private als öffentliche Krankenhäuser. Private Krankenhäuser sind sehr teuer, jede Nacht ist kostenpflichtig. Zusätzlich existieren etwa 30-50 medizinische Gesundheitskliniken die zu 80% öffentlich finanziert sind (LIB, Kapitel 21).
Herat-Stadt ist die Provinzhauptstadt der Provinz Herat. Umfangreiche Migrationsströme haben die ethnische Zusammensetzung der Stadt verändert, der Anteil an schiitischen Hazara ist seit 2001 durch Iran-Rückkehrer und Binnenvertriebene besonders gestiegen. Sie hat 556.205 Einwohner (LIB, Kapitel 2.13).
Herat ist durch die Ring-Road sowie durch einen Flughafen mit nationalen und internationalen Anbindungen sicher und legal erreichbar (LIB, Kapitel 3.13). Der Flughafen Herat (HEA) liegt 13 km südlich der Stadt im Distrikt Gozara. Die Straße, welche die Stadt mit dem Flughafen verbindet wird laufend von Sicherheitskräften kontrolliert. Unabhängig davon gab es in den letzten Jahren Berichte von Aktivitäten von kriminellen Netzwerken, welche oft auch mit Aufständischen in Verbindung stehen (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).
Herat gehört zu den relativ ruhigen Provinzen im Westen Afghanistans, jedoch sind Taliban-Kämpfer in einigen abgelegenen Distrikten aktiv und versuchen oft terroristische Aktivitäten auszuüben. Je mehr man sich von Herat-Stadt (die als „sehr sicher“ gilt) und den angrenzenden Distrikten Richtung Norden, Westen und Süden entfernt, desto größer wird der Einfluss der Taliban. Das Niveau an willkürlicher Gewalt ist in der Stadt Herat so gering, dass für Zivilisten an sich nicht die Gefahr besteht von erheblichen Eingriffen in die psychische oder physische Unversehrtheit betroffen zu sein (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, III).
Im Vergleich mit anderen Teilen des Landes weist Herat wirtschaftlich und sicherheitstechnisch relativ gute Bedingungen auf. Es gibt Arbeitsmöglichkeiten im Handel, darunter den Import und Export von Waren mit dem benachbarten Iran, wie auch im Bergbau und Produktion. Die Industrie der kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMUs) ist insbesondere im Handwerksbereich und in der Seiden- und Teppichproduktion gut entwickelt und beschäftigt Tagelöhner sowie kleine Unternehmer (LIB, Kapitel 20).
In der Stadt Herat gab bzw. gibt es aufgrund der Corona Pandemie Ausgangssperren. Durch diese Ausgangssperren sind insbesondere Taglöhner, welche auf ihre tägliche Arbeit und ihren täglichen Lohn angewiesen sind, und Familien, welche nicht auf landwirtschaftliche Einkünfte zugreifen können, besonders betroffen (ACCORD Herat).
Die Unterkunftssituation stellt sich in Herat, wie in den anderen Städten Afghanistans auch, für Rückkehrer und Binnenflüchtlinge als schwierig dar. Viele Menschen der städtischen Population lebt in Slums oder nichtadäquaten Unterkünften. In Herat besteht grundsätzlich die Möglichkeit, sicheren Wohnraum, wie beispielsweise in Teehäusern, zu mieten (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).
Die größten und bedeutendsten IDP- und RückkehrerInnen-Siedlungen in Herat- Stadt und Umgebung sind: Shahrak-e-Sabz (im Distrikt Gusara), Kahddestan (im Distrikt Indschil), Shaidayee (5km östlich der Stadt Herat) und Urdo Bagh. Die Versorgung der dort lebenden Menschen ist schlecht, der Zugang zur Grundversorgung ist eingeschränkt (ACCORD Herat).
Die meisten Menschen in Herat haben Zugang zu Elektrizität (80 %), zu erschlossener Wasserversorgung (70%) und zu Abwasseranlagen (30%). 92,1 % der Haushalte haben Zugang zu besseren Sanitäreinrichtungen und 81,22 % zu besseren Wasserversorgungsanlagen (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).
Herat ist Zeitraum April 2020 bis Mai 2020 als IPC Stufe 3 „crisis“ (IPC - Integrated Phase Classification) eingestuft. In Stufe 3 weisen Haushalte Lücken im Nahrungsmittelkonsum mit hoher oder überdurchschnittlicher akuter Unterernährung auf oder sind nur geringfügig in der Lage, ihren Mindestnahrungsmittelbedarf zu decken, und dies nur indem Güter, die als Lebensgrundlage dienen, vorzeitig aufgebraucht werden bzw. durch Krisenbewältigungsstrategien (ECOI, Kapitel 3.1).
1.2.4. Situation für Rückkehrer/innen
Im Zeitraum vom 01.01.2019 bis 04.01.2020 kehrten insgesamt 504.977 Personen aus dem Iran und Pakistan nach Afghanistan zurück: 485.096 aus dem Iran und 19.881 aus Pakistan. Seit 01.01.2020 sind 279.738 undokumentierter Afghan/innen aus dem Iran nach Afghanistan zurückgekehrt. Im Jahr 2018 kamen 775.000 aus dem Iran und 46.000 aus Pakistan zurück (LIB, Kapitel 22).
Seit 1.1.2020 beträgt die Anzahl zurückgekehrter Personen aus dem Iran und Pakistan: 339.742; 337.871 Personen aus dem Iran (247.082 spontane Rückkehrer/innen und 90.789 wurden abgeschoben) und 1.871 Personen aus Pakistan (1.805 spontane Rückkehrer/innen und 66 Personen wurden abgeschoben) (LIB, Kurzinformation 29.06.2020).
Soziale, ethnische und familiäre Netzwerke sind für einen Rückkehrer unentbehrlich. Der Großteil der nach Afghanistan zurückkehrenden Personen verfügt über ein familiäres Netzwerk, auf das in der Regel zurückgegriffen wird. Wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage, den ohnehin großen Familienverbänden und individuellen Faktoren ist diese Unterstützung jedoch meistens nur temporär und nicht immer gesichert. Neben der Familie als zentrale Stütze der afghanischen Gesellschaft, kommen noch weitere wichtige Netzwerke zum Tragen, wie z.B. der Stamm, der Clan und die lokale Gemeinschaft. Diese basieren auf Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Religion oder anderen beruflichen Netzwerken sowie politische Netzwerke usw. Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. Ein Mangel an Netzwerken stellt eine der größten Herausforderungen für Rückkehrer dar. Die Rolle sozialer Netzwerke – der Familie, der Freunde und der Bekannten – ist für junge Rückkehrer besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Sollten diese Netzwerke im Einzelfall schwach ausgeprägt sein, kann die Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan in Anspruch genommen werden (LIB, Kapitel 22).
Rückkehrer aus dem Iran und aus Pakistan, die oft über Jahrzehnte in den Nachbarländern gelebt haben und zum Teil dort geboren wurden, sind in der Regel als solche erkennbar. Offensichtlich sind sprachliche Barrieren, von denen vor allem Rückkehrer aus dem Iran betroffen sind, weil sie Farsi (die iranische Landessprache) oder Dari (die afghanische Landessprache) mit iranischem Akzent sprechen. Es gibt jedoch nicht viele Fälle von Diskriminierung afghanischer Rückkehrer aus dem Iran und Pakistan aufgrund ihres Status als Rückkehrer. Fast ein Viertel der afghanischen Bevölkerung besteht aus Rückkehrern. Diskriminierung beruht in Afghanistan großteils auf ethnischen und religiösen Faktoren sowie auf dem Konflikt (LIB, Kapitel 22).
Rückkehrer aus Europa oder dem westlichen Ausland werden von der afghanischen Gesellschaft häufig misstrauisch wahrgenommen. Es sind jedoch keine Fälle bekannt, in denen Rückkehrer nachweislich aufgrund ihres Aufenthalts in Europa Opfer von Gewalttaten wurden. Wenn ein Rückkehrer mit im Ausland erlangten Fähigkeiten und Kenntnissen zurückkommt, stehen ihm mehr Arbeitsmöglichkeiten zur Verfügung als den übrigen Afghanen, was bei der hohen Arbeitslosigkeit zu Spannungen innerhalb der Gemeinschaft führen kann (LIB, Kapitel 22).
Der Mangel an Arbeitsplätzen stellt für den Großteil der Rückkehrer die größte Schwierigkeit dar. Der Zugang zum Arbeitsmarkt hängt maßgeblich von lokalen Netzwerken ab. Die afghanische Regierung kooperiert mit UNHCR, IOM und anderen humanitären Organisationen, um IDPs, Flüchtlingen, rückkehrenden Flüchtlingen und anderen betroffenen Personen Schutz und Unterstützung zu bieten. Für Afghanen, die im Iran geboren oder aufgewachsen sind und keine Familie in Afghanistan haben, ist die Situation problematisch (LIB, Kapitel 22).
Viele Rückkehrer leben in informellen Siedlungen, selbstgebauten Unterkünften oder gemieteten Wohnungen. Die meisten Rückkehrer im Osten des Landes leben in überbelegten Unterkünften und sind von fehlenden Möglichkeiten zum Bestreiten des Lebensunterhaltes betroffen (LIB, Kapitel 22).
Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, können verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen. Rückkehrer erhalten Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (z.B. IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGOs) (LIB, Kapitel 22).
Unter Rückkehrhilfe wird in Österreich Beratung und – bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen auf Antrag - Unterstützung in Form von Organisation und Übernahme der Reise- und Dokumentenkosten sowie ein finanzieller Beitrag verstanden.
Die Höhe der finanziellen Starthilfe bemisst sich grundsätzlich nach einem „2-Phasen Modell“:
- 500 EUR für Asylwerber im laufenden Verfahren I. Instanz,
- 250 EUR nach abgeschlossenem negativen Asylverfahren I. Instanz bzw. Fremde (BMI Rückkehrhilfe).
Zudem kann bei Erfüllung der Kriterien eine zusätzliche Reintegrationsunterstützung (Geld- und Sachleistung) vor Ort erfolgen. Das Projektziel dieses Reintegrationsprojektes mit dem Namen RESTART II mit IOM Österreich ist es, die freiwillige Rückkehr und Reintegration der Projektteilnehmer sowie der mit ihnen gemeinsam zurückgekehrten Familienmitglieder zu erleichtern. Rückkehrer sollen mithilfe der gewährten individuellen Unterstützung befähigt werden, sich erfolgreich in ihrem Herkunftsland einzugliedern. Die Reintegrationsleistung betragen 500 EUR Bargeldleistung und 2.800 EUR Sachleistung (BMI Rückkehrhilfe).
Erfolgt keine freiwillige Rückkehr, wird bei Zwangsrückführungen, sofern keine eigenen Mittel vorhanden sind, ein Zehrgeld in der Höhe von 50 EUR gewährt. Dieser Betrag kann im Fall von besonderen Bedürfnissen erhöht werden (BMI Rückkehrhilfe).
Für Rückkehrer leisten UNHCR und IOM in der ersten Zeit in Afghanistan Unterstützung. Bei der Anschlussunterstützung ist die Transition von humanitärer Hilfe hin zu Entwicklungszusammenarbeit nicht immer lückenlos. Es gibt keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrer. Der Großteil der (freiwilligen bzw. zwangsweisen) Rückkehrer aus Europa kehrt direkt zu ihren Familien oder in ihre Gemeinschaften zurück. Es befinden sich viele Rückkehrer in Gebieten, die für Hilfsorganisationen aufgrund der Sicherheitslage nicht erreichbar sind (LIB, Kapitel 22).
IOM Österreich unterstützt auch derzeit Rückkehrer/innen im Rahmen der freiwilligen Rückkehr. Aufgrund des stark reduzierten Flugbetriebs ist die Rückkehr seit April 2020 nur in sehr wenige Länder tatsächlich möglich. Neben der Reiseorganisation bietet IOM Österreich dabei, wie bekannt, Unterstützung bei der Ausreise am Flughafen Wien Schwechat an (LIB, Landesspezifische Anmerkungen COVID-19).
IOM Österreich bietet derzeit, aufgrund der COVID-19-Lage, folgende Aktivitäten an:
- Qualitätssicherung in der Rückkehrberatung (Erarbeitung von Leitfäden und Trainings)
- Unterstützung bei der freiwilligen Rückkehr und Reintegration im Rahmen der vorhandenen Möglichkeiten (Virtuelle Beratung, Austausch mit Rückkehrberatungseinrichtungen und Behörden, Monitoring der Reisemöglichkeiten) (LIB, Landesspezifische Anmerkungen COVID-19).
Das Projekt RESTART III – Unterstützung des österreichischen Rückkehrsystems und der Reintegration freiwilliger Rückkehrer/innen in Afghanistan“ wird bereits umgesetzt. Derzeit arbeiten die österreichischen IOM-Mitarbeiter/innen vorwiegend an der ersten Komponente (Unterstützung des österreichischen Rückkehrsystems) und erarbeiten Leitfäden und Trainingsinhalte. Die Unterstützung der freiwilligen Rückkehr nach Afghanistan ist derzeit aufgrund fehlender Flugverbindungen nicht möglich. IOM beobachtet die Situation und steht diesbezüglich in engem Austausch mit den zuständigen Rückkehrberatungseinrichtungen und den österreichischen Behörden (LIB, Landesspezifische Anmerkungen COVID-19).
Informationen von IOM Kabul zufolge, sind IOM-Rückkehrprojekte mit Stand 13.5.2020 auch weiterhin in Afghanistan operativ (LIB, Landesspezifische Anmerkungen COVID-19).
Die „Reception Assistance“ umfasst sofortige Unterstützung oder Hilfe bei der Ankunft am Flughafen: IOM trifft die freiwilligen Rückkehrer vor der Einwanderungslinie bzw. im internationalen Bereich des Flughafens, begleitet sie zum Einwanderungsschalter und unterstützt bei den Formalitäten, der Gepäckabholung, der Zollabfertigung, usw. Darüber hinaus arrangiert IOM den Weitertransport zum Endziel der Rückkehrer innerhalb des Herkunftslandes und bietet auch grundlegende medizinische Unterstützung am Flughafen an. 1.279 Rückkehrer erhielten Unterstützung bei der Weiterreise in ihre Heimatprovinz. Für die Provinzen, die über einen Flughafen und Flugverbindungen verfügen, werden Flüge zur Verfügung gestellt. Der Rückkehrer erhält ein Flugticket und Unterstützung bezüglich des Flughafen-Transfers. Der Transport nach Herat findet in der Regel auf dem Luftweg statt (LIB, Kapitel 22).
Familien in Afghanistan halten in der Regel Kontakt zu ihrem nach Europa ausgewanderten Familienmitglied und wissen genau Bescheid, wo sich dieses aufhält und wie es ihm in Europa ergeht. Dieser Faktor wird in Asylinterviews meist heruntergespielt und viele Migranten, vor allem Minderjährige, sind instruiert zu behaupten, sie hätten keine lebenden Verwandten mehr oder jeglichen Kontakt zu diesen verloren (LIB, Kapitel 22).
2. Beweiswürdigung
2.1. Die Feststellungen zur Person des BF basieren auf seinen diesbezüglich glaubwürdigen Angaben.
Die Feststellungen zu den strafgerichtlichen Verurteilungen des BF beruhen auf den Strafurteilen des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 18.04.2018 und vom 14.08.2018 sowie der am 27.08.2020 eingeholten Strafregisterauskunft.
Die Feststellung, dass der BF keine Familienangehörigen in Österreich hat, ergibt sich aus einer Abfrage aus dem Grundversorgungs-Betreuungsinformationssystem vom 27.08.2020. Dass der BF von Juli 2017 bis Dezember 2017 sowie von Februar 2018 bis August 2018 einer legalen Erwerbstätigkeit nachging, beruht auf seinen diesbezüglichen Angaben in der Einvernahme vor dem BFA. Dass die Familienangehörigen des BF in Afghanistan leben, beruht ebenfalls auf seinen Angaben.
Dass der Beschwerdeführer bei einer möglichen Rückkehr nach Mazar-e Scharif oder Herat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit nicht in eine existenzbedrohende Notlage geraten würde, ergibt sich aus einer Zusammenschau der oben wiedergegebenen Länderberichte und den festgestellten persönlichen Umständen des Beschwerdeführers.
Dass der Beschwerdeführer ein junger, gesunder Mann ohne lebensbedrohlicher physischer und psychischer Erkrankung ist und er nicht zur Risikogruppe für COVID-19 zählt, ergibt sich aus der Tatsache, dass er im gesamten Verfahren sowie im Verfahren zu W151 2117818-1 keine diesbezüglichen Angaben getätigt hat.
2.2. Die Feststellungen zur Situation in Afghanistan beruhen auf den nun aktualisierten genannten Quellen, die bereits das BFA seinem Bescheid zugrunde legte und der Beschwerdeführer nicht entkräften konnte. Angesichts der Seriosität dieser Quellen und der Plausibilität ihrer Aussagen besteht für das Bundesverwaltungsgericht kein Grund, an deren Richtigkeit zu zweifeln.
3. Rechtliche Beurteilung
3.1. Zur Abweisung der Beschwerde (Spruchpunkt A)
3.1.1. Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides (Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten)
3.1.1.1. § 9 AsylG 2005 lautet auszugsweise:
„Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten
§ 9. (1) Einem Fremden ist der Status eines subsidiär Schutzberechtigten von Amts wegen mit Bescheid abzuerkennen, wenn
1. die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten
(§ 8 Abs. 1) nicht oder nicht mehr vorliegen;
2. er den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen in einem anderen Staat hat oder
3. er die Staatsangehörigkeit eines anderen Staates erlangt hat und eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen neuen Herkunftsstaat keine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention oder für ihn als Zivilperson keine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde
(2) Ist der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht schon aus den Gründen des § 9 Abs. 1 abzuerkennen, so hat eine Aberkennung auch dann zu erfolgen, wenn
1. einer der in Art. 1 Abschnitt F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe vorliegt;
2. der Fremde eine Gefahr für die Allgemeinheit und Sicherheit der Republik Österreich darstellt oder
3. der Fremde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt worden ist.
In diesen Fällen ist die ist die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten mit der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme und der Feststellung zu verbinden, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat unzulässig ist, da dies eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
...“
§ 9 Abs. 2 AsylG 2005 bestimmt somit ausdrücklich, dass eine Aberkennung nach Abs. 2 nur dann erfolgen kann, wenn die Voraussetzungen für eine Aberkennung nach Abs. 1 nicht vorliegen. Abs. 2 ist gegenüber Abs. 1 subsidiär (vgl. EräutRV, 330 BglNR 24. GP 10 f). Eine „parallele“ Prüfung bzw. eine Aberkennung nach Abs. 1 und Abs. 2 – welche die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid vornahm – ist somit nicht rechtskonform.
Somit ist zuerst zu prüfen, ob die Voraussetzungen für eine Aberkennung nach § 9 Abs. 1 AsylG 2005 erfüllt sind. In Frage kommt eine Aberkennung nach § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005:
Nach § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 ist einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten unter anderen dann abzuerkennen, wenn die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht mehr vorliegen.
Nach Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes kommt eine Aberkennung nach § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG 2005 lediglich in Frage, wenn sich die Umstände nach der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten maßgeblich geändert haben (VfGH 24.09.2019, E 2330/2019).
Nach Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes muss sich der Sachverhalt seit der Zuerkennung des subsidiären Schutzes bzw. der erfolgten Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung nach § 8 Abs. 4 AsylG 2005 - die nur im Falle des weiteren Vorliegens der Voraussetzungen für die Zuerkennung erteilt werden darf - geändert haben (vgl. dazu etwa VwGH 17.10.2019, Ra 2019/18/0353, mwN). Nicht jede Änderung des Sachverhalts rechtfertigt allerdings die Aberkennung des subsidiären Schutzes. Eine maßgebliche Änderung liegt unter Bedachtnahme auf die unionsrechtlichen Vorgaben von Art. 19 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 16 Abs. 2 der Richtlinie 2011/95/EU (Statusrichtlinie) vielmehr nur dann vor, wenn sich die Umstände so wesentlich und nicht nur vorübergehend verändert haben, dass ein Anspruch auf subsidiären Schutz nicht länger besteht (VwGH 17.12.2019, Ra 2019/18/0173).
In Bezug auf die Frage, ob sich die Umstände so wesentlich und nicht nur vorübergehend verändert haben, sodass Anspruch auf subsidiären Schutz nicht länger besteht, kommt es nicht allein auf den Eintritt eines einzelnen Ereignisses an. Der Wegfall der Notwendigkeit, auf den Schutz eines anderen Staates angewiesen zu sein, kann sich durchaus auch als Ergebnis unterschiedlicher Entwicklungen von Ereignissen, die sowohl in der Person des Fremden als auch in der in seinem Heimatland gegebenen Situation gelegen sind, darstellen (VwGH 29.11.2019, Ra 2019/14/0449; vgl. auch VwGH 27.05.2019, Ra 2019/14/0153).
3.1.1.2. Für den konkreten Fall bedeutet dies Folgendes:
Im Zuerkennungsbescheid vom 11.11.2015 wurde dem BF der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt, weil die Sicherheitslage, die Versorgungslage und die allgemeinen Lebensbedingungen in ganz Afghanistan schwierig bzw. prekär seien. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan bestünde die Gefahr, dass der BF in eine aussichtslose Lage geraten würde, weshalb eine Verletzung seiner durch Art. 2 und Art. 3 EMRK geschützten Rechte drohe.
Nunmehr ergibt sich zur aktuellen Situation in Afghanistan Folgendes:
Die Sicherheitslage in der Herkunftsprovinz des BF – Wardak – ist nach wie vor prekär. Eine Rückkehr des BF in seine Herkunftsprovinz ist daher nach wie vor nicht möglich. Möglich ist nunmehr jedoch eine Rückführung in andere Teile Afghanistan – konkret in die Städte Mazar-e Sharif und Herat –, weil in diesen beiden Städten für den BF eine innerstaatliche Fluchtalternative im Sinne des § 11 AsylG 2005 besteht:
Das Bestehen einer innerstaatliche Fluchtalternative steht der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten entgegen (§ 8 Abs. 3 AsylG 2005). Besteht für den BF eine innerstaatliche Fluchtalternative liegen die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht mehr vor (vgl. VwGH 29.01.2020, Ro 2019/18/0002). Das Bestehen einer innerstaatliche Fluchtalternative setzt gemäß § 11 Abs. 1 AsylG 2005 voraus, dass dem BF in einem Teil seines Herkunftsstaates vom Staat oder sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet werden kann, und ihm der Aufenthalt in diesem Teil des Staatsgebietes zugemutet werden kann. Schutz ist gewährleistet, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates keine wohlbegründete Furcht nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention vorliegen kann und die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8 Abs. 1 AsylG 2005) in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates nicht gegeben sind. Zudem muss das ins Auge gefasste Gebiet sicher und legal zu erreichen sein (VwGH vom 23.01.2018, Ra 2018/18/001; VwGH vom 08.08.2017, Ra 2017/19/0118).
Bei der Prüfung, ob eine innerstaatliche Fluchtalternative gegeben ist, ist gemäß § 11 Abs. 2 AsylG 2005 auf die allgemeinen Gegebenheiten des Herkunftsstaates und auf die persönlichen Umstände des BF im Entscheidungszeitpunkt abzustellen. Es handelt sich letztlich um eine Entscheidung im Einzelfall, wobei die zu erwartende Lage des BF in dem in Frage kommenden Gebiet zu prüfen ist (VwGH vom 08.08.2017, Ra 2017/19/0018).
Ob dem BF der Aufenthalt in einem bestimmten Gebiet des Herkunftsstaates zugemutet werden kann, hängt von mehreren Faktoren ab. Dazu müssen die persönlichen Umstände des BF, die Sicherheit, die Achtung der Menschenrechte und die Aussichten auf wirtschaftliches Überleben in diesem Gebiet beurteilt werden. Es muss möglich sein, im Gebiet der innerstaatlichen Fluchtalternative nach allfälligen anfänglichen Schwierigkeiten Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute des BF führen können. Ein voraussichtlich niedrigerer Lebensstandard oder eine Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation sind keine ausreichenden Gründe, um ein vorgeschlagenes Gebiet als unzumutbar abzulehnen. Die Verhältnisse in dem Gebiet müssen aber ein für das betreffende Land relativ normales Leben ermöglichen (VwGH 23.01.2018, Ra 2018/18/0001; VwGH 30.01.2018 Ra 2018/18/0001).
Bei der vorliegenden Beurteilung sind auch Richtlinien bzw. Berichte des UNHCR von Bedeu-tung, denen nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes Indizwirkung zukommt (vgl. etwa VwGH 16.01.2008, 2006/19/0182, m.w.N.). In seinen Richtlinien „zur Feststellung des Internationalen Schutzbedarfs Afghanischer Asylsuchender“ vom 19. April 2016 geht UNHCR davon aus, dass eine interne Schutzalternative nur dann zumutbar ist, wenn die betroffene Person im Neuansiedlungsgebiet Zugang zu einem traditionellen Unterstützungsnetzwerk durch Mitglieder ihrer (erweiterten) Familie oder durch Mitglieder ihrer größeren ethnischen Gruppe hat und davon ausgegangen werden kann, dass diese willens und in der Lage sind, den Betroffenen auch tatsächlich zu unterstützen. Die einzigen Ausnahmen von dieser Anforderung der externen Unterstützung stellen nach Auffassung von UNHCR alleinstehende leistungsfähige Männer und verheiratete Paare im berufsfähigen Alter ohne festgestellten besonderen Schutzbedarf dar; diese Personen können „unter bestimmten Umständen“ ohne Unterstützung von Familie und Gemeinschaft in urbanen und semiurbanen Umgebungen leben, die die notwendige Infrastruktur sowie Erwerbsmöglichkeiten zur Sicherung der Grundversorgung bieten und unter tatsächlicher staatlicher Kontrolle stehen (siehe auch VwGH 08.08.2017, Ra 2017/19/0118).
Aus den aktuellen Länderberichten geht hervor, dass die Stadt Mazar-e Sharif für Normalbürger vergleichsweise sicher ist. Die Provinz Balkh – dessen Hauptstadt Mazar-e Sharif ist – ist eine der stabilsten Provinzen Afghanistans. Sie zählt zu den relativ ruhigen Provinzen Afghanistans. Manchmal kommt es zu Zusammenstößen zwischen Aufständischen und den afghanischen Sicherheitskräften oder auch zu Angriffen auf Einrichtungen der Sicherheitskräfte. Diese Gefährdungsquellen sind jedoch in reinen Wohngebieten nicht anzunehmen, weshalb die Sicherheitslage in Mazar-e Sharif als ausreichend sicher zu bewerten ist. Mazar-e Sharif ist über den internationalen Flughafen erreichbar.
Ebenso gehört die Provinz Herat – dessen Provinzhauptstadt Herat ist – zu den relativ ruhigen Provinzen im Westen Afghanistans. In einigen abgelegenen Distrikten sind Taliban-Kämpfer aktiv und versuchen oft terroristische Aktivitäten durchzuführen, die Stadt Herat gilt jedoch als sehr sicher. Das Niveau an willkürlicher Gewalt ist in der Stadt Herat so gering, dass für Zivilisten an sich nicht die Gefahr besteht, von erheblichen Eingriffen in die psychische oder physische Unversehrtheit betroffen zu sein, besteht. Herat-Stadt ist über den internationalen Flughafen erreichbar.
Hinsichtlich der Versorgungslage in Mazar-e Sharif und Herat ist den Länderberichten zu entnehmen, dass die Verwirklichung grundlegender sozialer und wirtschaftlicher Bedürfnisse, wie etwa der Zugang zu Arbeit, Nahrung, Wohnraum und Gesundheitsversorgung, zwar häufig nur sehr eingeschränkt möglich ist, die Versorgung der Bevölkerung jedoch zumindest grundlegend gesichert ist.
Aus den im angefochtenen Bescheid dargestellten Länderberichten in Zusammenschau mit der laufenden Medienbeobachtung und den Feststellungen zur COVID-19 Pandemie ergibt sich unverändert kein Hinweis darauf, dass die Versorgungsbedingungen in Afghanistan derart prekär wären, als dass jeder Rückkehrer vor diesem Hintergrund mit dem realen Risiko einer existenzbedrohenden Notlage konfrontiert wäre.
Da der BF gesund ist, nicht zur Risikogruppe der Personen gehört, welche schwer an COVID-19 erkranken könnten, sich im erwerbsfähigen Alter befindet, elf Jahre lang die Schule besucht hat und in Afghanistan sowie in Österreich in der Lage war bzw. ist, sich durch verschiedene berufliche Tätigkeiten seine Existenzgrundlage zu sichern, liegt für ihn im vorliegenden Fall kein besonderer Schutzbedarf vor.
Für den BF besteht somit eine innerstaatliche Fluchtalternative in den Städten Mazar-e Sharif und Herat: Ihm kann in beiden Städten Schutz gewährleistet werden, weil es keine Hinweise im Verfahren gab, dass in Mazar-e Sharif oder Herat wohlbegründete Furcht nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention vorliegen kann, die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in beiden Städten nicht gegeben sind und dem BF der Aufenthalt in den Städten auch zumutbar ist. Beide Städte gelten als vergleichsweise sicher, die Versorgungslage ist ausreichend gesichert und es kann davon ausgegangen werden, dass der BF aufgrund seiner Ausbildung und beruflichen Vorerfahrungen in der Lage sein wird, sich seinen Lebensunterhalt zu sichern und nicht in eine aussichtslose Lage geraten wird. Zudem befinden sich zahlreiche seiner Familienangehörigen in Afghanistan – sowohl seine Eltern als auch seine Geschwister leben nach wie vor in Afghanistan. Er verfügt somit über umfangreiche familiäre Unterstützung; wobei zu beachten ist, dass es ihm als alleinstehender, leistungsfähiger Mann ohne spezifische Vulnerabilität auch möglich wäre, sich ganz ohne familiäre Unterstützung in Mazar-e Sharif oder Herat niederzulassen (vgl. VwGH 08.08.2017, Ra 2017/19/0118).
Aus den aktuellen Länderfeststellungen ist somit das Bestehen einer innerstaatlichen Fluchtalternative in Mazar-e Sharif und Herat ableitbar – und wurde auch, wie soeben aufgezeigt, abgeleitet. Auf den im Zuerkennungsbescheid getroffenen Länderfeststellungen wäre das Bestehen einer innerstaatlichen Fluchtalternative hingegen nicht ableitbar gewesen. Im Zuerkennungsbescheid wurden keine Feststellungen zur konkreten Sicherheits- und Versorgungslage in Mazar-e Sharif und Herat getroffen. Es wurden lediglich Feststellungen zur allgemeinen Sicherheitslage in Afghanistan bzw. zur Situation in Provinzen im Zentralraum Afghanistans getroffen. Aus den im Zuerkennungsbescheid getroffenen Länderfeststellungen wäre demnach das Bestehen einer Innerstaatlichen Fluchtalternative – bei welcher rechtlichen Beurteilung auch immer – nicht ableitbar gewesen. Sowohl im Aberkennungsbescheid als auch vorliegenden Erkenntnis wurden demgegenüber umfassende Feststellungen zur Sicherheits-, Versorgungslage und wirtschaftlichen Situation in beiden Städten getroffen, aus denen – in Zusammenhalt mit den persönlichen Umständen des BF – das Bestehen einer innerstaatlichen Fluchtalternative abgeleitet werden konnte. Die Umstände bzw. der Sachverhalt, der zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten führte, haben bzw. hat sich somit maßgeblich geändert.
Der Bescheid vom 18.10.2016, mit dem die befristete Aufenthaltsberechtigung des BF zuletzt verlängert wurde, war bei der Lageänderungsprüfung nicht näher zu berücksichtigen, weil in diesem keine Feststellungen über die Situation in Afghanistan oder die persönlichen Umstände des BF getroffen wurden. Die Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung wurde lediglich damit begründet, dass aufgrund der Ermittlungen zur allgemeinen Lage in Afghanistan in Verbindung mit dem Vorbringen des BF das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung als glaubwürdig gewertet werden habe können. Mangels Treffens entscheidungsrelevanter Feststellungen war somit ein Vergleich der aktuellen Feststellungen mit den im Verlängerungsbescheid getroffenen Feststellungen nicht möglich.
Die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten liegen somit nicht mehr vor, weshalb dem BF der Status des subsidiär Schutzberechtigten zu Recht nach § 9 Abs. 1 AsylG 2005 abzuerkennen war. Eine Prüfung, ob die Aberkennungsvoraussetzungen nach § 9 Abs. 2 AsylG 2005 erfüllt sind, erübrigt sich somit, weil § 9 Abs. 2 AsylG 2005 erst zur Anwendung kommt, wenn die Voraussetzungen des § 9 Abs. 1 AsylG 2005 nicht erfüllt sind. Dementsprechend ist auch der Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides nur mit der Maßgabe zu bestätigen, dass eine Aberkennung nach § 9 Abs. 1 AsylG 2005 – und nicht nach § 9 Abs. 1 und Abs. 2 AsylG 2005 – erfolgt.
3.1.2. Zu Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides (Entziehung der befristeten Aufenthaltsberechtigung)
Gemäß § 9 Abs. 4 AsylG 2005 ist die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten mit dem Entzug der Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter zu verbinden. Da die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach § 9 Abs. 1 Z 1 AslyG 2005 zu Recht erfolgte (siehe dazu 3.1.1.), erfolgte somit auch der Entzug der Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter zu Recht.
3.1.3. Zu Spruchpunkt III. und IV. des angefochtenen Bescheides (Nichterteilung eines Aufenthaltstitels und Erlassung einer Rückkehrentscheidung)
Gemäß § 10 Abs 1 Z 5 AsylG 2005 ist eine Entscheidung nach dem AsylG 2005 mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung der Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird und von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt wird.
Unter den in § 57 Abs. 1 AsylG 2005 genannten Voraussetzungen ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zu erteilen.
Die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 liegen nicht vor, weil der Aufenthalt des BF weder seit mindestens einem Jahr gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG geduldet ist noch zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen notwendig ist noch der BF Opfer von Gewalt im Sinne des § 57 Abs. 1 Z 3 FPG wurde. Weder hat der BF das Vorliegen eines der Gründe des § 57 FPG behauptet noch kam ein Hinweis auf das Vorliegen eines solchen Sachverhaltes im Ermittlungsverfahren hervor.
Gema?ß § 55 Abs 1 AsylG 2005 ist von Amts wegen oder auf begru?ndeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ zu erteilen, wenn
1. dies gema?ß § 9 Abs 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienleben im Sinne des Art 8 EMRK geboten ist und
2. das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gema?ß § 9 IntG erfu?llt wurde oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbsta?tigkeit ausgeu?bt wird, mit deren Einkommen die monatliche Geringfu?gigkeitsgrenze nach § 5 Abs 2 ASVG erreicht wird.
Liegt nach Abs. 2 nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vor, ist eine „Aufenthaltsberechtigung“ zu erteilen.
Gemäß Art 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts ist nach Abs. 2 nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.
Gemäß § 9 Abs. 1 BFA-VG ist eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, durch die in das Privat- und Familienleben des Fremden eingegriffen wird, nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Nach § 9 Abs. 2 BFA-VG sind bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK insbesondere zu berücksichtigen:
1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts und die Frage, ob dieser rechtswidrig war,
2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,
3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,
4. der Grad der Integration,
5. die Bindungen zum Heimatstaat,
6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,
7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,
8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewußt waren,
9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthalts in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.
Der BF hält sich seit 2014 rechtmäßig in Österreich, pflegt diverse soziale Kontakte und ging von Juli 2017 bis Dezember 2017 sowie von Februar 2018 bis August 2018 einer legalen Erwerbstätigkeit nach. Er ist ledig, hat keine Kinder oder nahe Angehörige, und verfügt somit über kein Familienleben in Österreich. Er weist geringe Deutschkenntnisse auf. Er wurde aufgrund des Vergehens der Vorbereitung von Suchtgifthandel nach § 28 Abs. 1 SMG zu einer bedingten Freiheitsstrafe von sechs Monaten sowie aufgrund der Begehung weiterer Straftaten nach dem SMG zu einer teilbedingten Zusatzstrafe von 15 Monaten verurteilt. Dem öffentlichen Interesse der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit kommt ein hoher Stellenwert zu. So entschied der Verwaltungsgerichtshof beispielsweise, dass das wiederholte Fehlv