TE Bvwg Erkenntnis 2020/9/4 W261 2223136-1

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Veröffentlicht am 04.09.2020
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Entscheidungsdatum

04.09.2020

Norm

Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen §1
BBG §42
BBG §45
B-VG Art133 Abs4

Spruch

W261 2223136-1/13E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch Richterin Mag. Karin GASTINGER, MAS als Vorsitzende und die Richterin Mag. Karin RETTENHABER-LAGLER sowie den fachkundigen Laienrichter Herbert PICHLER als Beisitzerin und als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Wien vom 16.08.2019, betreffend die Abweisung des Antrages auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid wird ersatzlos behoben.

Die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung auf Grund einer Behinderung" in den Behindertenpass liegen vor.

B)

Die Revision ist nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I.       Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer ist seit 10.07.2002 Inhaber eines Behindertenpasses mit einem Grad der Behinderung von 80 von Hundert (in der Folge v.H.).

Er stellte erstmals am 12.1.2002 einen Antrag auf Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass, welche mit Bescheid des Bundessozialamtes vom 20.01.2003 abgewiesen wurde.

Am 29.05.2019 stellte er beim Sozialministeriumservice (in der Folge „belangte Behörde“ genannt) einen Antrag auf Ausstellung eines Ausweises gemäß § 29 b Straßenverkehrsordnung (StVO) (Parkausweis), der entsprechend dem von der belangten Behörde zur Verfügung gestellten und vom Beschwerdeführer ausgefüllten Antragsformular auch als Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass gilt und legte eine Reihe von ärztlichen Befunden vor.

Die belangte Behörde holte in weiterer Folge ein Sachverständigengutachten eines Arztes für Allgemeinmedizin ein. In dem auf Grundlage einer persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers am 12.07.2019 erstatteten Gutachten vom 13.07.2019 stellte der medizinische Sachverständige fest, dass die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass aus medizinischer Sicht nicht vorlägen.

Die belangte Behörde übermittelte das genannte Gutachten dem Beschwerdeführer mit Schreiben vom 18.07.2019 im Rahmen des Parteiengehörs und räumt ihm die Möglichkeit ein, hierzu innerhalb einer Frist von zwei Wochen eine Stellungnahme abzugeben.

Der Beschwerdeführer machte mit einem Schreiben, welches am 02.08.2019 bei der belangten Behörde einlangte, von diesem Recht Gebrauch und legte weitere Befunde vor. Er sei aufgrund seiner Arterienverschlüsse nicht in der Lage, längere Wegstrecken zurückzulegen. Es komme bei ihm bereits nach kurzen Wegstrecken zu krampfartigen Schmerzen, und er leide zudem an einer belastungsabhängigen Dyspnoe.

Die belangte Behörde ersuchte den befassten Sachverständigen um eine ergänzende Stellungnahme, welche dieser am 14.08.2019 abgab. Darin führte er aus, dass die vom Beschwerdeführer vorgelegten Befunde und die Ausführungen in seiner Stellungnahme nicht geeignet seien, zu einer anderen Beurteilung zu kommen.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 16.08.2019 wies die belangte Behörde den Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass gemäß §§ 42 und 45 BBG ab.

Darüber hinaus führte die belangte Behörde anmerkend aus, dass über den Antrag auf Ausstellung eines § 29b-Ausweises nach der Straßenverkehrsordnung (StVO) nicht abgesprochen werde, da die grundsätzlichen Voraussetzungen für die Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass nicht vorliegen würden.

Die belangte Behörde schloss dem genannten Bescheid das eingeholte Sachverständigengutachten und die ergänzende Stellungnahme in Kopie an.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht die gegenständliche Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht.

Darin brachte der Beschwerdeführer im Wesentlichen vor, dass der medizinische Sachverständige erneut nicht auf die belastungsabhängigen Schmerzen aufgrund der paVK (periphere arterielle Verschluss Krankheit) eingegangen sei. Bereits nach 60 Metern würden Schmerzen in der rechten Wade auftreten, nach einer Gehstrecke von 150 Metern könne er nicht weitergehen. Weiters werde auf einer von ihm vorgelegten Ambulanzkarte eine belastungsabhängige Dyspnoe beschrieben, welche der medizinische Sachverständige ebenfalls nicht berücksichtigt habe. Die vorgelegten Befunde würden belegen, dass seine körperliche Belastbarkeit massiv eingeschränkt sei. Er ersuche um eine nachvollziehbare Begründung, weswegen ihm trotz der objektiv diagnostizierten Beschwerden die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar sei. Allenfalls beantrage er die Untersuchung durch einen Facharzt für Innere Medizin. Der Beschwerdeführer schloss der Beschwerde keine Befunde an.

Die belangte Behörde legte den Aktenvorgang dem Bundesverwaltungsgericht (in der Folge BVwG) mit Schreiben vom 05.09.2019 vor, wo dieser am selben Tag in der Gerichtsabteilung W260 einlangte.

Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 21.01.2020 wurde das gegenständliche Beschwerdeverfahren der Gerichtsabteilung W260 abgenommen und der Gerichtsabteilung W261 neu zugeteilt, wo dieses am 12.02.2020 einlangte.

Das Bundesverwaltungsgericht führte am 12.02.2020 eine Abfrage im Zentralen Melderegister durch, wonach der Beschwerdeführer österreichischer Staatsbürger ist, und seinen ordentlichen Wohnsitz im Inland hat.

Das Bundesverwaltungsgericht ersuchte mit Schreiben vom 10.03.2020 eine Fachärztin für Innere Medizin um Erstellung eines Sachverständigengutachtens auf Basis einer persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers.

Der ursprünglich für 20.04.2020 vorgesehen gewesene Untersuchungstermin musste bedingt durch die COVID-19 Pandemie auf 08.06.2020 verschoben werden.

In deren medizinischen Sachverständigengutachten vom 20.06.2020, basierend auf einer persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers am 08.06.2020 kommt diese zusammenfassend zu dem Ergebnis, dass es dem Beschwerdeführer aufgrund seiner Behinderungen nicht mehr zuzumuten ist, öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen.

Das Bundesverwaltungsgericht informierte den Beschwerdeführer mit Schreiben vom 01.07.2020 über das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens und räumte diesen die Möglichkeit ein, hierzu eine schriftliche Stellungnahme abzugeben.

In dessen Stellungnahme vom 15.07.2020 brachte der Beschwerdeführer vor, dass die medizinische Sachverständige seine Einwendungen in der Beschwerde bestätige. Er halte sein bisheriges Vorbringen aufrecht und hoffe auf eine Entscheidung in seinem Sinne.

II.     Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.       Feststellungen

Der Beschwerdeführer erfüllt die allgemeinen Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses. Der Beschwerdeführer hat seinen ordentlichen Wohnsitz im Inland und besitzt einen Behindertenpass.

Dem Beschwerdeführer ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel nicht zumutbar.

Art und Ausmaß der Funktionseinschränkungen des Beschwerdeführers:

Größe: 175 cm Gewicht: 88kg

Allgemeinzustand: gut.

Ernährungszustand: gut.

Kopf frei beweglich, Hirnnervenaustrittspunkte frei, Hörvermögen gut, Sehvermögen gut.

Hals: keine vergrößerten Lymphknoten tastbar, Schilddrüse schluckverschieblich.

Herz: Herztöne rhythmisch, rein, normofrequent.

Lunge: Vesiculäratmen, keine Rasselgeräusche, Lungenbasen verschieblich.

Bauch: weich, kein Druckschmerz, keine Abwehrspannung, Leber und Milz nicht tastbar.

Caput: unauffällig.

Halswirbelsäule (HWS): Rotation der HWS frei, KJA 3cm.

Rechte obere Extremität:

Schulter: unauffällig.

Ellbogen- Hand- und Fingergelenke aktiv und passiv frei, periphere Sensibilität und DB zum Untersuchungszeitpunkt ohne Befund.

Linke obere Extremität:

Schulter: unauffällig.

Ellbogen- Hand-und Fingergelenke aktiv und passiv frei, periphere Sensibilität und DB zum Untersuchungszeitpunkt ohne Befund.

Gebrauchshand: rechts.

Brustwirbelsäule (BWS): achsengerade, nicht klopfdolent.

Lendenwirbelsäule (LWS): Klopfschmerz in der Lendenwirbelsäule.

Becken: stabil.

Rechte untere Extremität:

Hüfte und Knie unauffällig.

Linke untere Extremität:

Hüfte: geringer Rotation- oder Stauchungsschmerz. Knie: Beugung und Streckung nicht eingeschränkt.

Muskulatur der oberen und unteren Extremität seitengleich ausgebildet.

Sensibilitätsstörungen in beiden Unterschenkel angegeben.

Pulse peripher nicht tastbar.

Status Psychicus:

Unauffällig, in allen Qualitäten orientiert.

Gehfähigkeit:

Unauffälliges Gangbild, keine Gehbehinderung feststellbar, die Claudicatio intrermittens (Schaufensterkrankheit) im Rahmen der Untersuchung h. o. aufgrund der Räumlichkeiten nicht testbar, jedoch durch einen Befund objektiviert, wiederkehrende Atemnot, zu Beginn leichte Sprechdyspnoe.

Der Beschwerdeführer hat folgende Funktionseinschränkungen, die voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:

-       Periphere arterielle Verschluss Krankheit II b rechts größer als links, AFS Verschluss rechts

-        Zustand nach Myocardinfarkten (1988, 2002, 2003), Zustand nach Coronarstent

-        Zustand nach Cardiomyopathie

-        Zustand nach Defibrillatorimplantation

-        Hypertonie

-       Nicht insulinpflichtiger Diabetes mellitus Typ 2

-        Verdacht auf diabetische Polyneuropathie
-          Hyperlipidämie

Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel:

Die festgestellten Gesundheitsschädigungen am Stütz- und Bewegungsapparat haben keine erhebliche Einschränkung der Mobilität zur Folge.

Das Zurücklegen von kurzen Wegstrecken von 300 bis 400 Meter ist dem Beschwerdeführer nicht zumutbar. Die Gehstrecke ist aufgrund der Gefäßerkrankung (PVAK IIb) eingeschränkt auf 200 Metern im Sinne einer Schaufenstererkrankung.

Das Gehen ist beim Beschwerdeführer mit Belastungsschmerzen verbunden, welche in Ruhe wieder abnehmen. Schmerzstillende Mittel schaffen bei vorliegender Schaufensterkrankheit keine Abhilfe.

Niveauunterschiede können uneingeschränkt überwunden werden. Gehen und Stehen im Verkehrsmittel ist möglich. Haltegriffe können benutzt werden. Das Aufsuchen von Sitzplätzen ist uneingeschränkt möglich.

Es gibt keine Kompensationsmöglichkeiten, welche es dem Beschwerdeführer ermöglichen würden, eine längere Wegstrecke ohne Schmerzen zurückzulegen.

Aufgrund der Cardiomyopathie besteht eine eingeschränkte Herzleistung und eine höhergradig reduzierte Pumpfunktion, ein erhöhter Pulmonalisdruck von 40 mm HG. Es besteht daher aus cardialer Seite eine Einschränkung, welche eine Belastung im üblichen Ausmaß nicht mehr zulässt.

2.       Beweiswürdigung:

Die Feststellungen zu den allgemeinen Voraussetzungen, dem Wohnsitz des Beschwerdeführers im Inland und zum Behindertenpass ergeben sich aus dem diesbezüglich unbedenklichen, widerspruchsfreien und unbestrittenen Akteninhalt.

Die Feststellungen zu Art, Ausmaß und Auswirkungen der Funktionseinschränkungen auf die Zumutbarkeit zur Benützung öffentlicher Verkehrsmittel gründen sich – in freier Beweiswürdigung – in nachstehend ausgeführtem Umfang auf die vorgelegten und eingeholten Beweismittel:

Das vom Bundesverwaltungsgericht eingeholte Sachverständigengutachten einer Fachärztin für Innere Medizin vom 20.06.2020, basierend auf einer persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers am 08.06.2020, ist schlüssig und nachvollziehbar, es weist keine Widersprüche auf. Es wird auf die Art der Leiden und deren Ausmaß ausführlich eingegangen. Auch wird zu den Auswirkungen der festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel eingehend Stellung genommen und nachvollziehbar ausgeführt, dass es dem Beschwerdeführer aufgrund seiner Erkrankungen, insbesondere wegen seiner Peripheren Arteriellen Verschlusskrankheit im Stadium II b und der Einschränkungen der Belastungsfähigkeit aufgrund des Zustandes nach ischämischer Cardiomyopathie nicht möglich und zumutbar ist, öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen.

Damit bestätigt die medizinische Sachverständige das Vorbringen des Beschwerdeführers in seiner Beschwerde. Das genannte medizinische Sachverständigengutachten wurde den Parteien des Verfahrens im Rahmen des Parteiengehörs zur Stellungnahme übermittelt und blieb unbestritten.

3.       Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

1.       Zur Entscheidung in der Sache:

Der Vollständigkeit halber wird zunächst darauf hingewiesen, dass mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 16.08.2019 der Antrag des Beschwerdeführers auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass gemäß §§ 42 und 45 Bundesbehindertengesetz idgF BGBl I Nr. 32/2018 (in der Folge kurz BBG) abgewiesen wurde. Verfahrensgegenstand ist somit nicht die Feststellung des Gesamtgrades der Behinderung, sondern ausschließlich die Prüfung der Voraussetzungen der Vornahme der beantragten Zusatzeintragung.

Die gegenständlich maßgeblichen Bestimmungen des Bundesbehindertengesetzes (BBG) lauten:

§ 42. (1) Der Behindertenpass hat den Vornamen sowie den Familien- oder Nachnamen, das Geburtsdatum, eine allfällige Versicherungsnummer, den Wohnort und einen festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.

§ 45. (1) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.

(2) Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.

(3) In Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung hat die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.

(4) Bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß Abs. 3 hat eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter mitzuwirken. Die fachkundigen Laienrichterinnen oder Laienrichter (Ersatzmitglieder) haben für die jeweiligen Agenden die erforderliche Qualifikation (insbesondere Fachkunde im Bereich des Sozialrechts) aufzuweisen.

§ 47. Der Bundesminister für Arbeit und Soziales ist ermächtigt, mit Verordnung die näheren Bestimmungen über den nach § 40 auszustellenden Behindertenpass und damit verbundene Berechtigungen festzusetzen.“

§ 1 Abs. 4 der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen, idg F BGBl II Nr. 263/2016 lautet – soweit im gegenständlichen Fall relevant - auszugsweise:

„§ 1 ….

(4) Auf Antrag des Menschen mit Behinderung ist jedenfalls einzutragen:

1. …….

2. ……

3. die Feststellung, dass dem Inhaber/der Inhaberin des Passes die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar ist; die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist insbesondere dann nicht zumutbar, wenn das 36. Lebensmonat vollendet ist und

-        erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten oder

-        erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit oder

-        erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten, Funktionen oder

-        eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems oder

-        eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit nach § 1 Abs. 4 Z 1 lit. b oder d

vorliegen.
(5) Grundlage für die Beurteilung, ob die Voraussetzungen für die in Abs. 4 genannten Eintragungen erfüllt sind, bildet ein Gutachten eines/einer ärztlichen Sachverständigen des Sozialministeriumservice. Soweit es zur ganzheitlichen Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen erforderlich erscheint, können Experten/Expertinnen aus anderen Fachbereichen beigezogen werden. Bei der Ermittlung der Funktionsbeeinträchtigungen sind alle zumutbaren therapeutischen Optionen, wechselseitigen Beeinflussungen und Kompensationsmöglichkeiten zu berücksichtigen.

(6)……“

In den Erläuterungen zu § 1 Abs. 2 Z 3 zur Stammfassung der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen BGBl. II Nr. 495/2013 wird unter anderem - soweit im gegenständlichen Fall relevant - Folgendes ausgeführt:

"Zu § 1 Abs. 2 Z 3 (neu nunmehr § 1 Abs. 4 Z. 3, BGBl. II Nr. 263/2016):

Durch die Verwendung des Begriffes „dauerhafte Mobilitätseinschränkung“ hat schon der Gesetzgeber (StVO-Novelle) zum Ausdruck gebracht, dass es sich um eine Funktionsbeeinträchtigung handeln muss, die zumindest 6 Monate andauert. Dieser Zeitraum entspricht auch den grundsätzlichen Voraussetzungen für die Erlangung eines Behindertenpasses.

Erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit betreffen vorrangig cardiopulmonale Funktionseinschränkungen. Bei den folgenden Einschränkungen liegt jedenfalls eine Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel vor:

-        arterielle Verschlusskrankheit ab II/B nach Fontaine bei fehlender therapeutischer Option

-        Herzinsuffizienz mit hochgradigen Dekompensationszeichen

-        hochgradige Rechtsherzinsuffizienz

-        Lungengerüsterkrankungen unter Langzeitsauerstofftherapie

-        COPD IV mit Langzeitsauerstofftherapie

-        Emphysem mit Langzeitsauerstofftherapie

-        mobiles Gerät mit Flüssigsauerstoff muss nachweislich benützt werden..."

Um die Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel beurteilen zu können, hat die Behörde nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu ermitteln, ob der Antragsteller dauernd an seiner Gesundheit geschädigt ist, und wie sich diese Gesundheitsschädigung nach ihrer Art und ihrer Schwere auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirkt. Sofern nicht die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auf Grund der Art und der Schwere der Gesundheitsschädigung auf der Hand liegt, bedarf es in einem Verfahren über einen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass regelmäßig eines ärztlichen Sachverständigengutachtens, in dem die dauernde Gesundheitsschädigung und ihre Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in nachvollziehbarer Weise dargestellt werden. Nur dadurch wird die Behörde in die Lage versetzt, zu beurteilen, ob dem Betreffenden die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung unzumutbar ist (vgl. VwGH 23.02.2011, 2007/11/0142, und die dort zitierten Erkenntnisse vom 18.12.2006, 2006/11/0211, und vom 17.11.2009, 2006/11/0178, jeweils mwN.).

Ein solches Sachverständigengutachten muss sich mit der Frage befassen, ob der Antragsteller dauernd an seiner Gesundheit geschädigt ist und wie sich diese Gesundheitsschädigung nach ihrer Art und ihrer Schwere auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirkt (VwGH 20.03.2001, 2000/11/0321). Dabei ist auf die konkrete Fähigkeit des Beschwerdeführers zur Benützung öffentlicher Verkehrsmittel einzugehen, dies unter Berücksichtigung der hierbei zurückzulegenden größeren Entfernungen, der zu überwindenden Niveauunterschiede beim Aus- und Einsteigen, der Schwierigkeiten beim Stehen, bei der Sitzplatzsuche, bei notwendig werdender Fortbewegung im Verkehrsmittel während der Fahrt etc. (VwGH 22.10.2002, 2001/11/0242; VwGH 14.05.2009, 2007/11/0080).

Bei der Beurteilung der zumutbaren Wegstrecke geht der Verwaltungsgerichtshof von städtischen Verhältnissen und der durchschnittlichen Distanz von 300 bis 400 Metern bis zur nächsten Haltestelle eines öffentlichen Verkehrsmittels aus (vgl. das Erkenntnis vom 27. Mai 2014, Zl. Ro 2014/11/0013).

Wie oben im Rahmen der Beweiswürdigung ausgeführt – auf die diesbezüglichen Ausführungen wird verwiesen -, wurde im eingeholten Sachverständigengutachten vom 20.06.2020, beruhend auf einer persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers am 08.06.2020, nachvollziehbar bestätigt, dass im Fall des Beschwerdeführers die Voraussetzungen für die Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass vorliegen. Mit dem Vorliegen der beim Beschwerdeführer objektivierten aktuellen Funktionsbeeinträchtigungen vermag dieser, wie in seiner Beschwerde richtig angeführt, die Überschreitung der Schwelle der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel im Sinne der Bestimmung des § 1 Abs. 4 Z 3 der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen darzutun.

Da festgestellt worden ist, dass die dauernden Gesundheitsschädigungen ein Ausmaß erreichen, welches die Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass rechtfertigt, war spruchgemäß zu entscheiden und der angefochtene Bescheid ersatzlos zu beheben.

Die belangte Behörde wird dem Beschwerdeführer einen neuen Behindertenpass mit der beantragten Zusatzeintragung auszustellen haben. Dabei wird zu berücksichtigen sein, dass die medizinische Sachverständige eine Nachuntersuchung in zwei Jahren empfahl.

2.       Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung

Der im Beschwerdefall maßgebliche Sachverhalt ergibt sich aus dem Akt der belangten Behörde, auf das über Veranlassung des Bundesverwaltungsgerichtes eingeholte medizinische Sachverständigengutachten, das auf einer persönlichen Untersuchung beruht und welches auf alle Einwände und vorgelegten Befunde des Beschwerdeführers in fachlicher Hinsicht eingeht, und welchem die Parteien des Verfahrens im Rahmen des eingeräumten Parteiengehörs nicht substantiiert entgegengetreten sind. Die strittige Tatsachenfrage, genauer die Art und das Ausmaß der Funktionseinschränkungen des Beschwerdeführers und damit verbunden die Frage der Zumutbarkeit der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel, sind einem Bereich zuzuordnen, der von einem Sachverständigen zu beurteilen ist. Das Ergebnis dieser Begutachtung war, dass der Beschwerde Folge zu geben ist. Der Beschwerdeführer hat keine mündliche Beschwerdeverhandlung beantragt. All dies lässt die Einschätzung zu, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und eine Entscheidung ohne vorherige Verhandlung im Beschwerdefall nicht nur mit Art. 6 EMRK und Art. 47 GRC kompatibel ist, sondern der Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis (§ 39 Abs. 2a AVG) gedient ist, gleichzeitig aber das Interesse der materiellen Wahrheit und der Wahrung des Parteiengehörs nicht verkürzt wird. Art. 6 EMRK bzw. Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union stehen somit dem Absehen von einer mündlichen Verhandlung gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG nicht entgegen.

Zu Spruchteil B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.

Schlagworte

Behindertenpass Sachverständigengutachten Unzumutbarkeit Zusatzeintragung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W261.2223136.1.00

Im RIS seit

04.12.2020

Zuletzt aktualisiert am

04.12.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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