TE Bvwg Erkenntnis 2020/9/7 W117 1436976-3

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 07.09.2020
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Entscheidungsdatum

07.09.2020

Norm

AsylG 2005 §54 Abs1 Z1
AsylG 2005 §55 Abs1
AsylG 2005 §58 Abs2
BFA-VG §9 Abs2
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

W117 1436976-3/14E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Andreas DRUCKENTHANER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation, vertreten durch RA Mag. M. DIETRICH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 25.07.2019, Zl. 603155600-180315553/BMI-BFA_VBG_RD, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

A)

I. Der Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt I. und II des angefochtenen Bescheides stattgegeben, gemäß § 9 Abs. 2 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 idgF, festgestellt, dass eine Rückkehrentscheidung in Bezug auf den Herkunftsstaat (Russische Föderation) auf Dauer unzulässig ist und XXXX gemäß § 54 Abs. 1 Z 1, § 58 Abs. 2 iVm § 55 Abs. 1 AsylG 2005 der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung plus" auf die Dauer von 12 Monaten erteilt.

II. Die übrigen Spruchpunkte des angefochtenen Bescheids werden ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer reiste am 13.09.2012 gemeinsam mit seiner Ehefrau (Beschwerdeführerin zu W117 14369773) illegal nach Österreich ein und stellten sie am selben Tag jeweils einen Antrag auf internationalen Schutz, im Wesentlichen deswegen, weil der Beschwerdeführer als Inhaber eines Lebensmittelgeschäftes, vor dem zwei Männer zwei andere erschossen hätten, wiederholt von der Polizei befragt und geschlagen sowie von den Kriminellen mit dem Umbringen seiner Ehefrau bedroht worden sei, wenn er sie der Polizei verrate. Seine Ehefrau bezog sich auf diese Fluchtgründe.

Am XXXX wurde die gemeinsame Tochter (Beschwerdeführerin zu W117 1436978-3) im Bundesgebiet geboren. Am 31.12.2012 wurden für diese durch ihre Mutter ebenfalls internationaler Schutz beantragt und die Fluchtgründe des Beschwerdeführers geltend gemacht

Mit Bescheiden vom 27.07.2013, Zlen: 1.) 12 12.554-BAI, 2.) 12 12 555-BAI und 3.) 13 00.102-BAI, wies das Bundesasylamt die Anträge aller Beschwerdeführer auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF ab (Spruchpunkt I.). Weiters wies es die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten unter Bezugnahme auf den Herkunftsstaat Russische Föderation gemäß § 8 Absatz 1 iVm 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG ab (Spruchpunkt II.) und wies die Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation aus (Spruchpunkt III.).

Die dagegen erhobenen Beschwerden wurden mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 14.08.2014, Zlen. W204 1436976-1/8E, W204 1436977-1/7E und W204 1436978-1/7E, hinsichtlich Asyl und subsidiären Schutz als unbegründet abgewiesen, und zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung an das Bundesamt für Fremdenwesen gemäß § 75 Abs. 20 AsylG 2005 zurückverwiesen.

Am XXXX wurde der gemeinsame Sohn (Beschwerdeführer zu W117 2109620-2) im Bundesgebiet geboren. Am 23.01.2015 stellte seine Mutter als gesetzliche Vertreterin für ihn ebenfalls einen Antrag auf internationalen Schutz.

Mit Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 10.06.2015 wurde dem Beschwerdeführer, seiner Ehefrau und seiner Tochter ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 55 AsylG 2005 nicht erteilt. Nach §10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen sie eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 iVm Abs. 9 FPG erlassen. Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung in die russische Föderation gemäß § 46 FPG zulässig sei. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde die Frist für die freiwillige Ausreise mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt.

Mit Bescheid vom selben Tag wies das BFA den Antrag des Sohnes des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF ab (Spruchpunkt I.). Weiters wies es seinen Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten unter Bezugnahme auf den Herkunftsstaat Russische Föderation gemäß § 8 Absatz 1 iVm 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG ab (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß §§ 57 und 55 AsylG 2005 nicht erteilt. Nach § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 iVm Abs. 9 FPG erlassen. Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung in die russische Föderation gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III).

Die gegen diese Entscheidungen erhobenen Beschwerden wurden seitens des Bundesverwaltungsgerichtes mit Erkenntnis vom 19.03.2018, Zlen. W171 1436976-2/9E, W171 1436977-2/10E, W171 1436978-2/7E und W2109620-1/7E, als unbegründet abgewiesen. Dieses Erkenntnis ist am 20.03.2018 in Rechtskraft erwachsen.

Der Beschwerdeführer beantragte am 03.04.2018 umgehend mittels Formular einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen. Dazu legte er einen (am 04.10.2016 ausgestellten österreichischen) Führerschein, eine Bestätigung über eine Caritas-Unterkunft, einen Sozialversicherungsauszug, ein ÖSD-Zertifikat A2 vom 08.04.2015 und verschiedene Bestätigungen (Erste-Hilfe-Kurs am 02.07.2017, über die Höhe der Unterbringungskosten, Beschäftigungsbestätigung der CARITAS über gemeinnützige Tätigkeiten für Gemeinde und Caritas von 01.10.2012 bis 01.08.2016 im Rahmen des Projektes „Nachbarschaftshilfe“, Arbeitsbestätigung der Pfarre vom 29.01.2018 für die Zeit vom April 2013 bis Juli 2016 ) und einige private Empfehlungsschreiben sowie eine Teilnahmebestätigung an einem Brandschutzkurs am 01.und 02.09.2015 vor.

Mit Verbesserungsauftrag vom 17.04.2018 wurde die Vorlage eines gültigen Reisepasses, einer Geburts- und Heiratsurkunde, eine Übersetzung eines Dokuments, Nachweis über die Integrationsprüfung nicht älter als zwei Jahre oder ein positives Abschlusszeugnis in Deutsch einer mindestens 5 –jährigen Schulausbildung oder ein Nachweis über die Ausübung einer erlaubten Erwerbstätigkeit in Österreich mit nicht geringfügigem Einkommen binnen 4 Wochen erbeten.

Hiezu wurde die Frist über Ersuchen des Beschwerdeführers mehrfach verlängert.

Am 14.06.2018 wurde eine Unterschriftenliste zur Unterstützung der Beschwerdeführer vorgelegt.

Am 17.09.2018 legte der Beschwerdeführer einen am 07.06.2017 abgelaufenen russischen (Inlands)Reisepass beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vor.

Mit Schriftsatz vom 09.10.2018 reichte der bevollmächtigte Vertreter des Beschwerdeführers ein Unterstützungsschreiben für den Beschwerdeführer über seine bereits dreijährige unentgeltliche Betreuung einer älteren Dame vor.

Zwei Abrechnungen für März 2015 ist zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer für Zustellungen die Beträge von 415,72 € und 299,70 € von der XXXX erhalten hat.

Ermittlungen gemäß § 60 Abs. 3 Z 1 AsylG betreffend den Beschwerdeführer verliefen nach der Mitteilung der LPD XXXX vom 21.11.2018 negativ.

Im Akt befindet sich eine Kopie eines am 03.12.2018 ausgestellten russischen Reisepasses des Beschwerdeführers, gültig bis 03.12.2028.

Mit nunmehr angefochtenem Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 25.07.2019 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus besonders berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 55 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.), gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 3 FPG erlassen (Spruchpunkt II.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers in die Russische Föderation gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.) und gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG für die freiwillige Ausreise eine Frist von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung erteilt (Spruchpunkt IV.).

Dagegen richtet sich die vorliegende vollumfängliche Beschwerde aller Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 20.08.2019. Seit rechtskräftigem Abschluss der Asylverfahren mit 20.03.2018 seien fast eineinhalb Jahre vergangen, in der sich die Beschwerdeführer weiter nachhaltig integriert hätten. Sie hätten zahlreiche Integrationsunterlagen vorgelegt und sei insbesondere festzuhalten, dass der Beschwerdeführer nunmehr als Zeitungsausträger selbständig arbeite und so viel verdiene, dass er nicht mehr auf die Grundversorgung angewiesen sei. Ab August 2019 sei die Familie selbsterhaltungsfähig. Die Tochter komme im Herbst in die Schule, der Sohn in den Kindergarten. Es müsse ausdrücklich auf die vorbildliche Integration der Beschwerdeführer hingewiesen werden. Der Beschwerdeführer habe im Rahmen des Erlaubten stets versucht, einer ordentlichen Arbeit nachzugehen. Selbst wenn die Behörde zur Ansicht gelangt sei, dass die Voraussetzungen des § 55 Abs. 1 AsylG 2005 nicht vorlägen, so hätte ihnen zumindest eine Aufenthaltsberechtigung nach § 55 Abs. 2 AsylG 2005 erteilt werden müssen. Insbesondere die Situation der Kinder müsse nach der jüngsten Judikatur des VfGH im Falle einer Rückkehr eruiert werden. Es sei angesichts der intensiven Bemühungen der Beschwerdeführer von ihrer künftigen Selbsterhaltungsfähigkeit auszugehen und sie seien darüber hinaus auch privat vielfältig vernetzt. Nochmals sei darauf hinzuweisen, dass die Beschwerdeführer über sämtliche Voraussetzungen für die Erteilung von Aufenthaltstiteln aus Gründen des Art. 8 EMRK verfügten. Beantragt werde ua. die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.

Die Beschwerden langten am 26.08.2019 mitsamt den bezughabenden Verwaltungsakten beim Bundesverwaltungsgericht ein.

Mit am 10.06.2020 eingelangter verfahrensleitender Anordnung des VwGH vom 02.06.2020, Fr 2020/21/0021 bis 0024-2, wurde der Fristsetzungsantrag der Beschwerdeführer vom 20.04.2020 dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung binnen drei Monaten zugestellt.

Mit Schriftsatz vom 16.07.2020 legte der Vertreter des Beschwerdeführers eine Bestätigung vom 13.07.2020 über die Kranken- und Unfallversicherung des Beschwerdeführers bei der Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen ab dem 01.01.2019 bis laufend vor; weiters eine Bestätigung der Caritas vom 13.07.2020 über die Unterkunftnahme des Beschwerdeführers und seiner Familie im Quartier der Caritas und die Erwerbstätigkeit bzw. Selbsterhaltungsfähigkeit des Beschwerdeführers ab dem 01.08.2019 sowie dem Entfall des Bezugs von Grundversorgung.

Am 08.10.2019 übersendete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dem Bundesverwaltungsgericht das dort eingelangte Urteil des LG XXXX vom 30.09.2019, womit der Beschwerdeführer wegen §§ 146, 147(2), 148 1.Fall StGB (schwerer gewerbsmäßiger Betrug) zu einer Geldstrafe von 360 Tagsätzen zu je 4.- € (somit zu 1.440.- €) verurteilt wurde, wovon ihm 180 Tagsätze auf eine Probezeit von 3 Jahren bedingt nachgesehen wurden.

Am 03.08.2020 fand beim Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung in Anwesenheit eines Dolmetschers für die russische Sprache statt, an welcher der Beschwerdeführer (BF1) und seine Ehefrau (BF2) teilnahmen. Die minderjährigen Kinder sowie der anwaltliche Vertreter der Beschwerdeführer waren nicht anwesend und blieb ein Vertreter des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl der Verhandlung entschuldigt fern.

Eingangs gaben die Beschwerdeführer dabei auf Befragen an:

„RI befragt die beschwerdeführenden Parteien, ob diese psychisch und physisch in der Lage ist, der heute stattfindenden mündlichen Verhandlung zu folgen und an sie gerichteten Fragen wahrheitsgemäß beantworten?

BF1 und BF2: Ok.

Festgehalten wird, dass die Verfahren des BF, seiner Gattin und der Kinder in einem geführt werden als verfahrensökonomischen Gründen. BF1 und BF2 vertreten auch BF3 und BF4.

Festgehalten wird, dass das Vertretungsverhältnis zum Anwalt weiterbesteht, er aber aus Kostengründen nicht an der Verhandlung teilnimmt, die Vertretung hätte 1.200 Euro gekostet und das wäre den BF zu teuer gewesen.

Diese Verhandlung nahm sodann folgenden Verlauf:

„RI: Sie haben sich einen Reisepass 3.12.2018 ausstellen lassen, wo?

BF1: Ich habe mir den am russ. Konsulat in XXXX . ausstellen lassen.

RI: Sie sind seit 2012 durchgehend in Ö?

BF1 und BF2: Ja.

Festgehalten wird, dass das BVwG mit Erkenntnis W171 1436976-2/9E u.a. vom 19.3.2018, zugestellt am 20.3.2018, die Beschwerde der Familie in Bezug auf den Erhalt eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen gem. §§ 57 und 55 abgewiesen hatte und die BF in der Folge am 3.4.2018 wiederum einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels stellte, der im gegenständlichen Verfahren von der Verwaltungsbehörde abgewiesen wurde und gegen den die BF allesamt eine Beschwerde erhoben.

RI: Was hat sich seit dem Erkenntnis des Kollegen im Jahre 2018 Neues ergeben? Arbeiten Sie jetzt?

BF1 auf Deutsch: Ja, nachgefragt: ich arbeite als selbständiger Zeitungszusteller bei XXXX . Das ist eine große österreichische Nachrichtenfirma, die die Zeitungen mit Informationen beliefert.

BF1 legt diesbezüglich eine Bestätigung vom 16.7.2020 vor.

BF1 legt auch eine Bestätigung einer fixen Übernahme seiner Person in ein weiteres Beförderungsunternehmen ( XXXX ) vom 22.7.2020 vor, dies aber unter der Voraussetzung, dass das positiv wird.

RI: Wie viel verdienen Sie bei XXXX ?

BF: Zwischen 1.600 und 2.000 Euro netto.

Dem BF1 wird aufgetragen, innerhalb einer Woche Gehaltsbestätigungen der XXXX dem Gericht zukommen zu lassen.

RI: Wie viele Stunden arbeiten Sie pro Woche?

BF1: Ich habe ein Vollzeitbeschäftigungsverhältnis. Ich fange um 3 Uhr früh an und stelle die Zeitung auch zuhause zu. Ich arbeite bis acht oder neun Uhr.

Festgehalten wird, dass der BF1 in ausgezeichnetem Deutsch die Antworten liefert. Der D wird aber zur Sicherheit weiter der Verhandlung beiwohnen.

RI: Was machen Sie danach?

BF1: Ich komme um 9 Uhr nach Hause, dann schlafe ich von 10 Uhr oder 11 Uhr zwei, drei Stunden lang. Ich schlafe zweimal von 10 Uhr am Abend bis zwei, drei Uhr früh, um dann wieder zu arbeiten.

RI: Was machen Sie in der Zwischenzeit?

BF1: Dann esse ich zu Mittag mit der Familie. Aktuell auch mit den Kindern, weil ja keine Schule ist. Während der Schulzeit bin ich verantwortlich dafür, den Sohn vom Kindergarten abzuholen. Die Tochter ist schon selbständig und kommt alleine nach Hause. Die Schule ist nämlich auch in der Nähe meiner Wohnung. Am Nachmittag gehen wir entweder spazieren oder ich bin alleine mit den Kindern.

BF2 auf Deutsch: Ich arbeite derzeit nicht, aber ich backe sehr gerne, ich bringe den Sohn in den Kindergarten, mein Mann holt ihn ab. Ich bin den ganzen Tag zu Hause und verrichte die Hausarbeit oder gehe oft mit Freundinnen in die Bibliothek.

Festgehalten wird, dass auch BF2 die Antworten in deutscher Sprache gibt, hier scheint kein D notwendig.

BF2: Ich würde ja gerne arbeiten, aber mit meinem derzeitigen Status geht das gar nicht.

BF1: Nur meine Firma, die XXXX , ermöglicht es, über Werkvertrag sich zu beschäftigen.

RI: Sind Sie sozialversichert?

BF1: Ja, ich bin seit 1.1.2019 sowohl kranken- als auch unfallversichert, durchgehend.

RI: Sind Sie versichert?

BF2: Ich bin über das Land XXXX versichert, das funktioniert wie folgt: Bevor ich zum Arzt gehe, gehe ich zur Krankenkasse, dann hole ich den Zettel für die drei Monate, die Krankenkassabeamtin fragt mich, zu welchem Arzt ich gehe, dann sage ich ihr den Arzt, dann wird das eingetragen und dann gehe ich mit dem Zettel zum Arzt und gebe diesen ab. Das gilt auch für die Kinder, für diese wird das auch selbständig gemacht.

BF1: Für den Fall, dass ich eine positive Antwort erhalte, würde meine Gattin über mich versichert sein.

RI: Wie sind Ihre Wohnverhältnisse?

BF1 legt vor: Benützungsvereinbarungsverlängerung hinsichtlich der vom ihm mit der Familie in Anspruch genommenen zweieinhalb Zimmer plus - „allgemeine Räume (Küche, Bad, WC)“. Die Wohnfläche beträgt 57,17 m2. Vertragspartner ist die Caritas der Diözese XXXX . Jetzt wird das aktuell verlängert.

BF2 legt zum Nachweis ihrer Deutschkenntnisse ein Zertifikat „Zeugnis zur Integrationsprüfung“ (Sprachkompetenz Werte- und Orientierungswissen) mit Niveau A2 vor, ausgestellt am 14.5.2018.

RI: Sie wurden mit Urteil des LG XXXX unter der Zahl XXXX wg. gewerbsmäßigen Betruges nach §§ 146, 147 Abs. 2 und § 148, 1. Fall STGB verurteilt, weil Sie Leistungen im erheblichen Ausmaß aus der GVS bezogen haben.

BF1 gibt dazu an, Russisch antworten zu wollen:

Am Anfang hatte ich überhaupt keine Ahnung, dass das ungesetzlich ist. Ich habe nie irgendetwas beispielsweise gestohlen. Ich erhielt vom Staat seinerzeit die Grundversorgung. Dieses Geld hat für das Leben nicht ausgereicht, es war für die ganze Familie 840 Euro und das reichte für zwei Kinder, meine Gattin und mich, alles zusammen, nicht aus. Ich suchte offiziell Arbeit, ich bin einfach zu den Firmen gegangen und habe gefragt, ob sie Arbeit haben. Die Firmen sagten mir aber, sie könnten mich nicht nehmen, weil ich keinen Aufenthaltsstatus habe. Danach, 2015, habe ich die Firma XXXX gefunden. Diese Firma hat mich als Selbständigen aufgenommen, was eben von Gesetzes her möglich war. Am Anfang verdiente ich ca. 400 oder 500 Euro netto, ich hatte nicht Vollzeit gearbeitet. Ich glaube, ich kann es aber nicht mehr ganz genau sagen, da bekam ich diesen geringen Betrag. Dann begann ich allmählich immer mehr und mehr zu arbeiten. Ab 2016 oder so habe ich dann angefangen Vollzeit zu arbeiten. Jedes Jahr habe ich dann mehr und mehr gearbeitet.

RI: Sie hatten im Jahr 2012 ein Info-Blatt erhalten, dass Sie das nicht machen dürfen.

BF1: Ich hatte eine Gerichtsverhandlung in XXXX und da habe ich den Sachverhalt erklärt. Ich sagte, dass ich 2012 nach Österreich gekommen bin, um Asyl zu beantragen. Ich habe dem Strafrichter erklärt, dass ich damals unter großem Stress stand und einfach alle Papiere unterschrieben habe, nur, um hierbleiben zu dürfen, ich habe diese Papiere aber nicht gelesen.

RI: Es müsste Ihnen ja klar gewesen sein, dass man nicht zweimal kassieren darf.

BF1: Ich befinde mich hier in einem fremden Land, ich kannte die Gesetze nicht, ich wusste das irgendwie nicht. Anfangs konnte ich auch zu wenig Deutsch. Ich kannte auch zu wenig Leute, die ich fragen hätte können. Dann frage ich mich, wieso die österr. Behörden so lange gewartet haben, um mir das vorzuwerfen, man hätte mir das schon 2015 sagen können, dass ich das nicht darf. Ich habe alles ja ganz offen gemacht und nie verheimlicht, der österr. Staat wusste ja davon. Sie sehen doch an uns, was wir für eine Familie sind, wir haben nie gestohlen, ich kenne viele Leute, die rauben, stehlen. Sie bekommen dann ins Gefängnis und bekommen dann sogar ein positives Erkenntnis.

RI: Sie wurden damals verurteilt, was ist mit der Strafe eigentlich, 12 Raten: 11 Raten in Höhe von 60 Euro und 1 Rate in Höhe von 69 Euro, haben Sie das schon bezahlt? Wie weit sind Sie mit der Strafabgeltung?

BF1: Ich zahle monatlich, ich erklärte dem Strafrichter das genauso wie Ihnen, ich hatte auch einen Anwalt dabei. Der R hat mich verstanden, hat sich in meine Lage versetzt und mir diese Strafe gegeben. Ich bezahlte diese Beträge auch.

RI: Was ist mit dem Schaden, der der Republik entstanden ist durch die unrechtmäßige Zuwendung?

BF1: Ich wäre bereit gewesen, den der Republik entstandenen Schaden zu tilgen, ich wurde vorgeladen vor die BH XXXX . Ich habe dort mit einem Hrn. XXXX , einem Beamten, gesprochen. Er hat mir genau das gleiche gesagt, wie Sie heute, ich muss den Schaden tilgen. Ich habe gesagt, einverstanden, ich werde das machen. Er sagte, ich soll einen Lohnzettel bringen, damit man sieht, wie viel ich verdiene. Ich soll eine Aufstellung machen, wofür ich das Geld verwende. Er sagte, wir schauen dann, wie viel ich monatlich zurückzahlen kann. Das war vor dem Corona-Ausbruch, Februar/März. Ich bin der Einzige, der verdient. Ich habe ein Auto, das brauche ich ja zur Arbeit, ich habe das auch alles aufgeschrieben, was ich mit dem Geld mache. Ich sagte, wenn Sie mir eine Aufenthaltsbewilligung geben, könnte meine Frau auch arbeiten. Vor einem Monat schickten sie mir dann einen Brief mit der Aufforderung, Geld zurückzuzahlen, ich gab den Brief meinen Anwalt, damit er sich mit Hrn. XXXX in Verbindung setzt. Das ist kein Problem, ich zahle das Geld gerne an den Staat zurück. Ich bin sehr willig, den Schaden wiedergutzumachen. Der Anwalt wollte schon kommen, aber wir konnten ihn nicht zahlen.

BF1 wird aufgetragen, diesen Brief innerhalb 1 Woche vorzulegen.

BF1 versucht telefonisch den Anwalt zu erreichen, um dem Gericht die genannten Schriftstücke zusenden zu lassen.

BF1 übergibt das Telefon dem Richter. Dieser nennt seine Email-Adresse, wohin die genannten Schriftstücke gesandt werden sollen.

RI: Wie viel könnten Sie jetzt zahlen?

BF1: Nachdem ich diese Strafe abbezahlt habe und wenn ich weiterhin so viel verdiene wie bis jetzt, könnte ich monatlich 100 bis 150 Euro bezahlen. Deshalb ersuche ich Sie auch um eine Aufenthaltsberechtigung, dann könnte meine Frau auch mitzahlen.

BF2 bringt zur Integration vor, dass sie auch B1 erfolgreich abgelegt habe.

BF2 legt diesbezüglich das Zeugnis vom 11.7.2020 zur Integrationsprüfung vor.

BF2 wird zu Ihrem persönlichen Werdegang befragt:

Ich komme aus Dagestan und habe dort 11 Klassen Schule gemacht, dort konnte ich nicht arbeiten. ich wollte ursprünglich Lehrerin oder Ärztin werden, ich dachte, nach der Heirat studiere ich, dann bekamen wir Probleme und wir kamen nach Österreich. Einen Beruf habe ich nicht gelernt.

BF1: Ich habe 6 Jahre die Universität besucht und erfolgreich abgeschlossen, ich habe diplomiert. Ich habe auch bei der Feuerwehr freiwillig gearbeitet.

RI: Wie stellen Sie sich Ihr Leben hier weiter vor?

BF2: Ich möchte arbeiten, wenn die Kinder noch klein sind, kann ich von 7 bis 12 Uhr arbeiten.

RI: Haben Sie eine Einstellungszusage?

BF2: Ich habe zB bei einer Konditorei gefragt, einmal im Monat treffe ich mich im Frauenkaffee mit verschiedenen Leuten, die erklären uns, welche beruflichen Möglichkeiten wir haben. Sie haben mir gesagt, wenn ich den Status habe, könnte ich in der Bäckerei oder Konditorei arbeiten.

BF1: Was machen Sie gerade in jüngster Zeit von der Arbeit her?

BF1 verweist auf die vorgelegte Mappe, wonach er bei der Rettung den Erste-Hilfe-Kurs, die Branddienstkursausbildung bei der Feuerwehr gemacht hat und dass er aktives Mitglied bei der Ortsfeuerwehr in XXXX ist.

BF legen auch zahlreiche Bescheinigungen in Bezug auf die von ihnen vorgenommenen Integrationsaktivitäten vor.

BF2 gibt für BF3 und BF4 an, dass diese auch immer mit Österreichern in Spielgruppen zusammen sind, verweist auf das gute Zeugnis von BF3, das nur zwei Zweier uns sonst lauter Einser enthält.

BF2 legt auch noch eine Fotomappe mit offensichtlich Feierlichkeiten und Betreuungstätigkeiten vor.

Die Unterlagen (gesamte von BF vorgelegte Mappe) wird kopiert und zum Akt genommen.

BF1: Ich habe vergessen, dass ich auch bei der Organisation „Tischlein deck dich“ mitarbeite. Bei dieser Aktion werden Lebensmittel an Bedürftige verteilt, ich sortiere die Lebensmittel aus, ich werfe schlecht gewordene Lebensmittel weg. Ich mache dies pro Woche einmal für zwei bis drei Stunden, das mache ich seit ca. einem halben Jahr. Während der Corona-Zeit habe ich das nicht gemacht, man sagte, wir müssten dabei zu nahe beieinanderstehen, wenn wir die Lebensmittel aussortieren. Jeden Mittwoch helfe ich zusätzlich einer alten Frau beim Einkaufen. Ich gehe für sie in die Apotheke und erledige die Einkäufe. Seit einem Jahr ist sie nicht rausgegangen, jetzt ist sie zwei-, dreimal rausgegangen, sie ist schwindlig und ich gehe mit ihr auch spazieren. Sie hat keine Kinder.

BF1 gibt noch ergänzend an, ich werde 100%ig sicher dem österr. Staat den Schaden ersetzen, so wie ich jetzt schon die Strafe zahle.

BF1 und BF2 geben auch noch an, hier in Österreich über einen großen österr. Freundeskreis, alleine schon von der Schule her, zu verfügen.

BF1 gibt an, einen österr. FS besitzt und diesen in Österreich gemacht hat.

BF1 legt dem Richter den Führerschein, ausgestellt am 28.9.2016, vor.

BF1: Die FS-Prüfung habe ich in Österreich gemacht.

Festgehalten wird, dass der zuständige Einzelrichter einen sehr positiven Eindruck von den BF gewonnen hat, insbesondere wirkt überzeugend die Bereitschaft zur Schadengutmachung und auch die Deutschkenntnisse, insbesondere jene der BF2.“

Vorgelegt wurden:

-Bestätigung der XXXX vom 16.07.2020 über die Tätigkeit des BF1 als neuer Selbständiger auf Werkvertragsbasis seit Jänner 2015

-Arbeitsplatzzusage vom 22.07.2020 von XXXX im Fall der Klärung der Umstände des BF1

-mehrere Unterstützungs- bzw. Empfehlungsschreiben für die Beschwerdeführer vom Juli 2020

-ÖSD-Integrationszeugnis B1 vom 11.07.2020 für die BF2

-ÖSD-Deutschzertifikat A2 vom 08.04.2015 für den BF1

-Bestätigung der Caritas vom 13.07.2020 über die Unterkunftnahme der Beschwerdeführer im Caritasquartier und die Selbsterhaltungsfähigkeit des BF1 ab 01.08.2019 wegen Erwerbstätigkeit.

- Bestätigung vom 13.07.2020 der Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen über die Kranken- und Unfallversicherung des BF1 ab 01.01.2019 bis laufend

-Schulbesuchsbestätigung vom 10.07.2020 erste Klasse Volksschule 2019/2020 für die Tochter

-Schulnachricht vom 07.02.2020 erste Klasse Volksschule 2019/2020 für die Tochter

-undatierte Benützungsvereinbarung- Verlängerung über die Unterkunft von der Caritas bis 31.07.2020

-Bescheinigung der Berufsrettung XXXX vom 02.07.2017 über die Teilnahme des BF1 an einer Erste-Hilfe-Unterweisung

- Bescheinigung der Berufsrettung XXXX vom 02.07.2017 über die Teilnahme der BF2 an einer Erste-Hilfe-Unterweisung

-Teilnahmebestätigung für den BF1 an einer Branddienst-Grundausbildung am 01. und 02.09.2015

-Mitgliedsbestätigung der Ortsfeuerwehr XXXX vom 14.04.2015 seit 02.09.2014 für den BF1

ÖIF-Zeugnis zur Integrationsprüfung A2 vom 14.05.2018 für die BF2

-zahlreiche Fotos (von Aktivitäten und Festen der Kinder, Backwerk und Torten, Treffen und Einladungen sowie sozialen Aktivitäten in der Gemeinde)

Am 06.08.2020 übermittelte der Beschwerdeführer ein aktuelles Lohnkonto aus 2020 von XXXX mit monatlichen Einkünften von rund 1.300.- bis 1.600.- € Brutto/Netto.

Der Vertreter des Beschwerdeführers übermittelte mit Schriftsätzen vom 12.08.2020 das Schreiben der BH XXXX an den Beschwerdeführer vom 08.07.2020, woraus sich ein bescheidmäßig festgestellter Überbezug an Mindestsicherung in Höhe von 39.304,87 € ergibt, wozu die vom Beschwerdeführer zugesagte Rückzahlung urgiert und die Benachrichtigung der Staatsanwaltschaft angedroht wird; ferner neuerlich das Lohnkonto des Beschwerdeführers bei der XXXX für 2020.

Der Beschwerdeführer wurde von 01.11.2014 bis zum 01.08.2019 im Rahmen der Grundversorgung betreut.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation. Die Identität des Beschwerdeführers steht fest.

Er reiste am 13.09.2012 gemeinsam mit seiner Ehefrau in das Bundesgebiet ein und hält sich seitdem in Österreich auf.

Sie haben zwei minderjährige Kinder, die in Österreich geboren sind.

Der Beschwerdeführer befand sich seit seiner Einreise am 13.09.2012 gemeinsam mit seiner Ehefrau so wie seine danach in Österreich geborenen beiden minderjährigen Kinder bis zum negativen Abschluss seines Asylverfahrens am 20.03.2018 rechtmäßig im Bundesgebiet.

Der Beschwerdeführer verfügt über einen russischen Abschluss an der Hochschule für Brandschutzwesen und hat im Herkunftsstaat ein Lebensmittelgeschäft betrieben.

Der Beschwerdeführer hat einen seit etwa 12 Jahren in Österreich aufhältigen Onkel sowie Cousins und Cousinen zu denen kein finanzielles Abhängigkeitsverhältnis besteht. Seine übrigen Verwandten (Eltern, Geschwister usw.) leben noch im Herkunftsstaat.

In Österreich ist der Beschwerdeführer seit 2015 als selbständiger Zeitungszusteller tätig, bringt aktuell bereits monatlich zwischen 1.300 und 1.600 € brutto/netto ins Verdienen und ist auch sozialversichert. Er verfügt zudem über eine aktuelle Arbeitsplatzzusage vom 22.07.2020 der Firma XXXX „nach Klärung seiner persönlichen Umstände“. Er hat auch bereits gute Deutschkenntnisse erworben und verfügt über ein ÖSD-Zertifikat A2 vom 08.04.2015.

Seit 2014 ist er zudem Mitglied der Feuerwehr in seinem Wohnort, hat 2015 auch bereits eine Branddienst-Grundausbildung absolviert und 2017 an einer Erste-Hilfe-Unterweisung teilgenommen. Er hat in Österreich am 28.09.2016 auch schon die Führerscheinprüfung abgelegt. Er ist daneben noch ehrenamtlich bei der Organisation „Tischlein deck dich“ tätig und unterstützt eine alte Dame mit Besorgungen und bei Spaziergängen. Der Beschwerdeführer hat bereits vielfältige soziale Kontakte mit österreichischen Staatsbürgern geknüpft.

Mit Urteil des LG XXXX vom 30.09.2019 wurde der Beschwerdeführer wegen §§ 146, 147(2), 148 1.Fall StGB zu einer Geldstrafe von 360 Tagsätzen zu je 4.- € (1.440.-€) verurteilt, wovon ihm 180 Tagsätze auf eine Probezeit von 3 Jahren bedingt nachgesehen wurden.

Der Beschwerdeführer hat in der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht überzeugend den Unrechtsgehalt der der Verurteilung zugrundeliegenden unzulässigen Betätigung und damit verbundenen unrechtmäßigen Bezuges von Lohn relativiert, indem er glaubwürdig vorbrachte, dass er aufgrund der beiden Kinder mit dem Grundversorgungsbezügen nicht wirklich das Auslangen (für sich und die Familie) fand, er die Tätigkeit ganz offen, weil angemeldet etc, und nicht heimlich verrichtete und eben aufrechten Willens ist, den der Republik entstandenen Schaden in der Höhe von 39.304,87 € zurückzuzahlen.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen zur Identität und Herkunft des Beschwerdeführers stützen sich auf seine diesbezüglich glaubwürdigen Angaben in den bisherigen Verfahren sowie die dazu vorgelegten Personaldokumente (gültiger russischer Reisepass).

Die Feststellungen zur persönlichen Situation des Beschwerdeführers und seiner Familienangehörigen im Herkunftsstaat und in Österreich ergeben sich aus ihren glaubwürdigen Angaben im Rahmen der bisherigen Verfahren und der Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 03.08.2020. Ihre Angaben konnten zudem durch entsprechende im gegenständlichen Beschwerdeverfahren vorgelegte und oben näher dargestellte integrationsbelegende Unterlagen bestätigt bzw. untermauert werden. Die Feststellungen über die (weiter vertieften) Deutschkenntnisse des Beschwerdeführers ergeben sich aus dem vorgelegten ÖSD-Zertifikat A2 sowie dem in der Beschwerdeverhandlung gewonnenen persönlichen Eindruck. Hierzu ist zu ergänzen, dass der Beschwerdeführer mündliche Deutschkenntnisse auf einem höheren Niveau als A2 dartun konnte, zumal er überwiegend auf Deutsch antwortete.

Seine aktuellen Einkünfte aus selbständiger Erwerbstätigkeit und seine Arbeitsplatzzusage ergeben sich aus dem vorgelegten Lohnkonto für 2020, der Versicherungsbestätigung und der Einstellungszusage vom 22.07.2020. Der Beschwerdeführer erwirtschaftet danach ein nicht nur geringfügiges und legales Einkommen, welches im Zusammenhang mit seiner beruflichen Vorbildung (insbesondere im Herkunftsstaat) für die Zukunft auf Selbsterhaltungsfähigkeit schließen lässt.

Die von ihm absolvierten Ausbildungen hat er durch entsprechende Bescheinigungen belegt. Seine ehrenamtliche Tätigkeit ist auf Grund der (in früheren Verfahren) vorgelegten Bestätigungen dazu ebenfalls glaubhaft bzw. durch mehrere Unterstützungsschreiben untermauert worden.

Die Feststellungen zur strafrechtlichen Verurteilung des Beschwerdeführers ergibt sich aus dem vorliegenden Urteil bzw. daraus, dass er in der Verhandlung bestätigt und dargelegt hat, die Strafe in Raten zu bezahlen.

Anzumerken ist dazu, dass der Beschwerdeführer lediglich eine Geldstrafe erhalten hat und ihm diese zur Hälfte bedingt auf eine Probezeit von 3 Jahren nachgesehen wurde. Sein diesbezügliches Vorbringen in der Verhandlung am 03.08.2020 ist nachvollziehbar und erscheint dem Bundesverwaltungsgericht auch glaubhaft. Vor diesem Hintergrund ist aber auch glaubhaft, dass der Beschwerdeführer den entstandenen Überbezug zurückerstatten wird. Daraus ergibt sich für das Bundesverwaltungsgericht auch die positive Zukunftsprognose, dass der Beschwerdeführer in Zukunft nicht mehr straffällig werden wird.

Die Aufnahme weiterer Beweise war wegen Entscheidungsreife nicht mehr erforderlich.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 6 des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes (BVwGG), BGBl. I Nr. 10/2013, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

In vorliegendem Fall ist in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen und obliegt somit in der gegenständlichen Rechtssache die Entscheidung dem nach der jeweils geltenden Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuständigen Einzelrichter.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I 2013/33 i.d.F. BGBl. I 2013/122, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.

Soweit das Verwaltungsgericht nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, hat es gemäß § 27 VwGVG den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs.1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen. Gemäß § 9 Abs.1 VwGVG hat die Beschwerde u.a. (Z 3) die Gründe, auf die sich die Behauptung der Rechtswidrigkeit stützt, sowie (Z 4) das Begehren zu enthalten. In den erläuternden Bemerkungen der Regierungsvorlage zur Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl. I Nr. 51/2012, wurde zu § 27 VwGVG ausgeführt: „Der vorgeschlagene § 27 legt den Prüfungsumfang des Verwaltungsgerichtes fest. Anders als die Kognitionsbefugnis einer Berufungsbehörde (vgl. § 66 Abs. 4 AVG) soll die Kognitionsbefugnis des Verwaltungsgerichtes durch den Inhalt der Beschwerde beschränkt sein.“

Zu A)

I. Zu den Spruchpunkten I. und II. des angefochtenen Bescheides (Rückkehrentscheidung, Abweisung des Antrages auf Erteilung eines Aufenthaltstitels):

Gemäß § 52 Abs. 3 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 AsylG 2005 zurück- oder abgewiesen wird. Auch das AsylG sieht eine entsprechende zwingende Verbindung von Aussprüchen nach § 56 AsylG mit einer Rückkehrentscheidung vor. § 10 Abs. 3 AsylG lautet: „Wird der Antrag eines Drittstaatsangehörigen auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 abgewiesen, so ist diese Entscheidung mit einer Rückkehrentscheidung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden. Wird ein solcher Antrag zurückgewiesen, gilt dies nur insoweit, als dass kein Fall des § 58 Abs. 9 Z 1 bis 3 vorliegt.“

Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung gemäß § 9 Abs. 1 BFA-VG BGBl I. Nr. 87/2012 idgF zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG sind bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK insbesondere zu berücksichtigen:

1.       die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war

2.       das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3.       die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4.       der Grad der Integration,

5.       die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6.       die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7.       Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8.       die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9.       die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

Gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG ist über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl I Nr 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

Gemäß § 9 Abs. 4 BFA-VG darf gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich auf Grund eines Aufenthaltstitels rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, eine Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 Abs. 4 iVm 53 Abs. 1a FPG nicht erlassen werden, wenn

1.       ihm vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes die Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 (StbG), BGBl. Nr. 311, verliehen hätte werden können, oder

2.       er von klein auf im Inland aufgewachsen und hier langjährig rechtmäßig niedergelassen ist.

Gemäß § 9 Abs. 5 BFA-VG darf gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits fünf Jahre, aber noch nicht acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, mangels eigener Mittel zu seinem Unterhalt, mangels ausreichenden Krankenversicherungsschutzes, mangels eigener Unterkunft oder wegen der Möglichkeit der finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft eine Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 Abs. 4 iVm 53 FPG nicht erlassen werden. Dies gilt allerdings nur, wenn der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, die Mittel zu seinem Unterhalt und seinen Krankenversicherungsschutz durch Einsatz eigener Kräfte zu sichern oder eine andere eigene Unterkunft beizubringen, und dies nicht aussichtslos scheint.

Gemäß § 9 Abs. 6 BFA-VG darf gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 4 FPG nur mehr erlassen werden, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 FPG vorliegen. § 73 Strafgesetzbuch (StGB), BGBl Nr 60/1974 gilt.

Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Ob eine Verletzung des Rechts auf Schutz des Privat- und Familienlebens iSd Art. 8 EMRK vorliegt, hängt nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte sowie des Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshofes jeweils von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab. Die Regelung erfordert eine Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffes; letztere verlangt eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter und öffentlichen Interessen. In diesem Sinn wird eine Ausweisung nicht erlassen werden dürfen, wenn ihre Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden (und seiner Familie) schwerer wiegen würden als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung.

Die Verhältnismäßigkeit einer Ausweisung - nunmehr Rückkehrentscheidung - ist dann gegeben, wenn der Konventionsstaat bei seiner aufenthaltsbeendenden Maßnahme einen gerechten Ausgleich zwischen dem Interesse des Fremden auf Fortsetzung seines Privat- und Familienlebens einerseits und dem staatlichen Interesse auf Verteidigung der öffentlichen Ordnung andererseits, also dem Interesse des Einzelnen und jenem der Gemeinschaft als Ganzes gefunden hat. Dabei variiert der Ermessensspielraum des Staates je nach den Umständen des Einzelfalles und muss in einer nachvollziehbaren Verhältnismäßigkeitsprüfung in Form einer Interessenabwägung erfolgen.

Bei dieser Interessenabwägung sind - wie in § 9 Abs. 2 BFA-VG unter Berücksichtigung der Judikatur der Gerichtshöfe öffentlichen Rechts ausdrücklich normiert wird - insbesondere die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration des Fremden, die Bindungen zum Heimatstaat, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts, die Frage, ob das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren sowie die Frage zu berücksichtigen, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist (vgl. VfGH 29.9.2007, B 1150/07; 12.6.2007, B 2126/06; VwGH 26.6.2007, 2007/01/0479; 26.1.2006, 2002/20/0423).

Das Verfahren betreffend Aufenthaltstitel erfordert eine Einzelfallbeurteilung. Bei der bei Abweisung eines Antrages auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gebotenen Gesamtbeurteilung der Verhältnismäßigkeit des Eingriffes sind gemäß Art. 8 EMRK alle relevanten Umstände seit der Einreise der Fremden zu berücksichtigen (VwGH 16.12.2014, Zl. 2012/22/0148).

Vom Prüfungsumfang des Begriffes des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK ist nicht nur die Kernfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern umfasst, sondern z.B. auch Beziehungen zwischen Geschwistern (EKMR 14.3.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Eltern und erwachsenen Kindern (etwa EKMR 6.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215). Dies allerdings nur unter der Voraussetzung, dass eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt. Es kann nämlich nicht von vornherein davon ausgegangen werden, dass zwischen Personen, welche miteinander verwandt sind, immer auch ein ausreichend intensives Familienleben iSd Art. 8 EMRK besteht, vielmehr ist dies von den jeweils gegebenen Umständen, von der konkreten Lebenssituation abhängig. Der Begriff des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK setzt daher neben der Verwandtschaft auch andere, engere Bindungen voraus; die Beziehungen müssen eine gewisse Intensität aufweisen. So ist etwa darauf abzustellen, ob die betreffenden Personen zusammengelebt haben, ein gemeinsamer Haushalt vorliegt oder ob sie (finanziell) voneinander abhängig sind (vgl. etwa die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 26.01.2006, 2002/20/0423, vom 08.06.2006, Zl. 2003/01/0600-14, oder vom 26.1.2006, Zl.2002/20/0235-9, worin der Verwaltungsgerichtshof feststellte, dass das Familienleben zwischen Eltern und minderjährigen Kindern nicht automatisch mit Erreichen der Volljährigkeit beendet wird, wenn das Kind weiter bei den Eltern lebt).

Der Beschwerdeführer lebt in Österreich seit seiner Einreise mit seiner Ehefrau und seinen beiden im Bundesgebiet geborenen minderjährigen Kinder, welche ebenfalls gleichlautende Anträge auf Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung stellten, im gemeinsamen Haushalt.

Es besteht somit ein schützenswertes Familienleben iSd Art. 8 EMRK. Eine Rückkehrentscheidung, die die gesamte Familie betrifft, würde nicht in das Familienleben der beschwerdeführenden Parteien eingreifen (vgl. VwGH 19.12.2012, Zl. 2012/22/0221; VwGH 19.09.2012, Zl. 2012/22/0143; EGMR 9.10.2003, Fall Slivenko, NL 2003, 263), die Rückkehrentscheidung nur gegen einzelne Familienmitglieder hingegen sehr wohl.

Unter dem "Privatleben" sind nach der Rechtsprechung des EGMR persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (vgl. Sisojeva ua gg Lettland, EuGRZ 2006, 554). In diesem Zusammenhang kommt dem Grad der sozialen Integration des Betroffenen eine wichtige Bedeutung zu.

Für den Aspekt des Privatlebens spielt auch die zeitliche Komponente im Aufenthaltsstaat eine Rolle, wobei die bisherige Rechtsprechung grundsätzlich keine Jahresgrenze festlegt, sondern eine Interessenabwägung im speziellen Einzelfall vornimmt (vgl. dazu Peter Chvosta, Die Ausweisung von Asylwerbern und Art. 8 MRK, in ÖJZ 2007, 852ff.). Der Verwaltungsgerichtshof hat jedoch wiederholt zum Ausdruck gebracht, dass einem inländischen Aufenthalt von weniger als fünf Jahren für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung hinsichtlich der durchzuführenden Interessenabwägung zukommt (vgl. dazu VwGH 30.07.2015, Zl. 2014/22/0055; VwGH 23.06.2015, Zl. 2015/22/0026; VwGH 10.11.2010, Zl. 2008/22/0777, VwGH 26.06.2007, Zl. 2007/01/0479). Andererseits kann aber auch nicht gesagt werden, dass eine in drei Jahren erlangte Integration keine außergewöhnliche, die Erteilung eines Aufenthaltstitels rechtfertigende Konstellation begründen kann. Die Annahme eines „Automatismus“, wonach ein Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels bei Vorliegen einer Aufenthaltsdauer von nur drei Jahren „jedenfalls“ abzuweisen wäre, ist verfehlt (vgl. VwGH 30.07.2015, Zl. 014/22/0055). Hinsichtlich eines fünfeinhalbjährigen Aufenthaltes eines Ehepaars, dem im Wesentlichen zwei unberechtigte Asylanträge sowie ein Wiederaufnahmeantrag zugrunde lagen, maß der Verwaltungsgerichtshof Sprachkursen (A2 und B1), Arbeitsplatzzusagen und einem Freundeskreis kein solches Gewicht bei, dass der Verstoß gegen die Fremdenrechtsordnung im Hinblick auf ihre privaten und familiären Interessen akzeptiert werden hätte müssen (VwGH 26.03.2015, Zl. 2014/22/0154).

Der Beschwerdeführer hält sich seit September 2012 - sohin seit nunmehr noch nicht ganz acht Jahren – gemeinsam mit seiner Ehefrau in Österreich auf. Er stellte am 13.09.2012 einen Antrag auf internationalen Schutz und verfügte ab Verfahrenszulassung bis zur Finalisierung im Jahre 2018 über ein vorläufiges Aufenthaltsrecht im Asylverfahren gemäß § 13 AsylG 2005 aufgrund eines nicht a priori unbegründeten Asylantrages.

Zur strafrechtlichen Verurteilung des Beschwerdeführers ist anzumerken, dass diese im Hinblick auf die Art des Fehlverhaltens in Zusammenschau mit dem Umstand, dass der Beschwerdeführer in der Lage war, seine Verurteilung erfolgreich zu relativieren, bei der Abwägung aller Interessen nicht so stark ins Gewicht fällt:

Nach seinem Vorbringen hat er, wie schon im Rahmen der Beweiswürdigung hervorgehoben, die Arbeiten zur Aufbesserung seines Bezugs aus der Grundversorgung zu keinem Zeitpunkt verheimlicht. Der Staat hat durch seine Sozialversicherung davon gewusst und die Arbeit selbst war auch legal. Er hat zudem plausibel dargestellt, dass die Grundversorgung für die vierköpfige Familie nicht ausreichend war. Die verhängte Strafe zahlt er in Raten ab und er ist auch bereit, den entstandenen Schaden zu tilgen.

Der Beschwerdeführer und seine Familie nutzten die Zeit in Österreich, um sich nachhaltig in die österreichische Gesellschaft zu integrieren. Indem der Beschwerdeführer seine legale Tätigkeit und das daraus erzielte Einkommen erheblich steigerte und auch eine Sozialversicherung erlangt hat, hat er seine wirtschaftliche Integration deutlich weiter vertieft. Aber auch seine Sprachkenntnisse hat er zumindest mündlich erheblich weiter vertieft; die in der Verhandlung in deutscher Sprache gegebenen Antworten lassen nur den Schluss zu, dass er die Prüfung B1 in Bälde erfolgreich ablegen wird. Der Beschwerdeführer ist darüber hinaus weiterhin sozial engagiert und bei der freiwilligen Feuerwehr aktiv. Auch seine ehrenamtliche Unterstützung von Mitmenschen hält er weiterhin aufrecht.

Weiters ist festzustellen, dass der Beschwerdeführer seine Bindung zum Herkunftsland, wo er aufgewachsen ist, seine Schul- und Berufsausbildung absolviert sowie den überwiegenden Teil seines bisherigen Lebens verbracht hat, zwar nicht gänzlich verloren hat, da er mit seinen Eltern nach wie vor in Kontakt steht, er aber inzwischen sprachlich und sozial in Österreich derart verwurzelt ist, dass jedenfalls davon auszugehen ist, dass sich sein Lebensmittelpunkt nach Österreich verlagert hat.

In diesem Sinne konnte er auch überzeugend den Eindruck vermitteln, sowohl willens als auch fähig zu sein, sich wirtschaftlich weiter rasch zu integrieren, worauf auch die Arbeitsplatzzusage vom Juli 2020 hindeutet (vgl. zur besonderen Bedeutung des persönlichen Eindrucks VwGH 12.11.2015, Zl. Ra 2015/21/0101; VwGH 28.01.2015, Ra 2014/20/0121) –,

In diesem Zusammenhang ist auch auf die Situation der Kinder hinzuweisen, die in Österreich geboren wurden und ausschließlich in Österreich sozialisiert sind.

Unter Miteinbeziehung all dieser Aspekte und der herangezogenen Judikatur fällt das private Interesse des Beschwerdeführers, vor allem da er seinen Aufenthalt in Österreich auch stets genutzt hat, um sich hier zu sozial und gesellschaftlich zu integrieren, nach einer Aufenthaltsdauer von beinahe 8 Jahren im konkreten Fall in Summe schwerer ins Gewicht als sein Fehlverhalten, weshalb selbst im Hinblick auf das starke öffentliche Interesse an der geordneten Besorgung des Fremdenwesens eine aufenthaltsbeendende Maßnahme letztlich doch unverhältnismäßig erscheint.

Der Vollständigkeit halber sei angeführt, dass der weitere Aufenthalt des Beschwerdeführers (sogar) gerade in einer wirtschaftlich derart prekären Situation wie der aktuellen – Stichwort: COVID-19 – im öffentlichen Interesse ist, da der Staat ansonsten auf dem Schaden in der Höhe von fast € 40.000 sitzen bliebe, wofür letztlich der österreichische Steuerzahler aufzukommen habe; so aber wird dieser mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit vom Beschwerdeführer gutgemacht.

Das Bundesverwaltungsgericht kommt daher aufgrund der vorgenommenen Interessenabwägung im konkreten Fall zum Ergebnis, dass eine Rückkehrentscheidung gegen den Beschwerdeführer unzulässig ist. Des Weiteren ist davon auszugehen, dass die drohende Verletzung seines Privatlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend, sondern auf Dauer sind und es ist daher gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG festzustellen, dass die Rückkehrentscheidung gegen den Beschwerdeführer auf Dauer unzulässig ist.

Da die Ausweisung des Beschwerdeführers gemäß § 9 BFA-VG auf Dauer unzulässig ist, ist ihm gemäß § 58 Abs. 3 BFA-VG ein Aufenthaltstitel gemäß § 55 AsylG 2005 zu erteilen. Da dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel gemäß § 55 AsylG 2005 zu erteilen ist, liegen die Voraussetzungen für die Anordnung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 10 AsylG 2005, §

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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