Entscheidungsdatum
14.09.2020Norm
AsylG 2005 §5Spruch
W161 2234295-1/3E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Monika LASSMANN als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX StA. Russische Föderation, vertreten durch Mag. Nadja LORENZ, Rechtsanwältin in 1070 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.07.2020, Zl. 830292703-200360131, zu Recht erkannt:
A)
Der Beschwerde wird gemäß § 21 Abs. 3, 2. Satz BFA-VG i.d.g.F. stattgegeben und der bekämpfte Bescheid behoben.
B)
Die ordentliche Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1.1. Der nunmehrige Beschwerdeführer brachte am 07.03.2013 in Österreich einen ersten Antrag auf internationalen Schutz ein.
1.2. Dieser Antrag wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 14.03.2013 abgewiesen und gleichzeitig die Ausweisung des Beschwerdeführers nach Russland ausgesprochen.
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht.
Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 30.03.2015, GZ W129 1433696-1/9E wurde die Beschwerde in Bezug auf §§ 3 und 8 AsylG abgewiesen. Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides wurde aufgehoben und das Verfahren gemäß § 75 Abs. 20 AsylG hinsichtlich der Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.
1.3. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (in Folge BFA) vom 01.07.2015 wurde über die Rückkehrentscheidung neuerlich abgesprochen und dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 55 AsylG 2005 nicht erteilt. Nach § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 iVm Absatz 9 FPG erlassen. Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt.
Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 16.01.2018, GZ W171 1433696-2/13E als unbegründet abgewiesen.
In Bezug auf §§ 3 und 8 AsylG erwuchs das Verfahren am 01.04.2015 in Rechtskraft, in Bezug auf die Rückkehrentscheidung am 19.01.2018.
1.4. Am 25.09.2018 wurde der Beschwerdeführer in die Russische Föderation abgeschoben.
2.1. Spätestens am 24.04.2020 reiste der Beschwerdeführer neuerlich in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 24.04.2020 einen zweiten Antrag auf internationalen Schutz.
Eine EURODAC-Abfrage ergab einen Treffer der Kategorie 1 mit Österreich vom 07.03.2013.
Der Beschwerdeführer war im Zeitpunkt seiner Einreise in Österreich in Besitz eines abgelaufenen italienischen Schengen-Visums, gültig vom 07.05.2019 bis 07.11.2019.
2.2. Bei seiner Erstbefragung am 24.04.2020 gab der Beschwerdeführer an, er könne der Einvernahme ohne Probleme folgen. Nachdem er 2018 von Österreich in seine Heimat abgeschoben worden wäre, hätte er gleich wieder weg gewollt. Sein Vater habe ihn vom Flughafen Moskau abgeholt und gleich in die Ukraine gebracht. Er habe sich bis zum 01.03.2020 in der Ukraine aufgehalten. Dann sei er von Polen (Aufenthalt 01.03.2020 bis 10.03.2020) nach Österreich gelangt. In Polen habe er nicht bleiben wollen. Sein Zielland sei Österreich gewesen, weil seine Ehepartnerin hier lebe. Als Fluchtgrund gab der Beschwerdeführer an, sein Vater sei von der Kadyrow-Gruppe in Tschetschenien ermordet worden. Sein Bruder habe ihm das im Februar mitgeteilt und auch, dass er und sein Bruder gefährdet seien.
2.3. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl richtete am 29.05.2020 ein auf Art. 12. Abs. 4 Dublin III-Verordnung gestütztes Aufnahmeersuchen an Italien.
In dem Ersuchen wird angegeben, der Antragsteller habe am 07.03.2013 in Österreich um Asyl angesucht, er habe eine negative Entscheidung erhalten und sei am 25.09.2018 nach Russland ausgeliefert worden. Der Antragsteller habe in seiner Befragung angegeben, dass er Russland verlassen habe und am 15.05.2019 nach Italien gelangt sei. Am 16.05.2019 sei er nach Österreich gekommen, nach einem Monat sei er in die Ukraine gereist. Er habe die Ukraine am 31.03.2020 verlassen und sei nach Polen gereist, wo er nicht um Asyl angesucht hätte. Am 10.03.2020 sei er nach Österreich gekommen. Der Asylwerber habe keinen Beweis dafür vorgelegt, dass er von Italien in die Ukraine zurückgegangen sei und die Mitgliedstaaten erneut betreten hätte. Er habe ebenso seinen Pass nicht hergezeigt, um seine Ausreise aus der Ukraine nachzuweisen. Seine Angaben, dass er die Mitgliedstaaten verlassen habe, seien nicht glaubwürdig. Die Ehefrau und die Kinder würden in XXXX leben. Der Antragsteller habe seit Jahren nicht mit seiner Familie gewohnt.
Mit Schreiben vom 04.06.2020 und vom 09.06.2020 lehnten die italienischen Dublin-Behörden die Übernahme des Beschwerdeführers zunächst ab.
Am 15.06.2020 brachten die österreichischen Dublin-Behörden eine Remonstration ein.
Mit Schreiben vom 18.06.2020 ersuchte Italien um Übersendung von Unterlagen zum Nachweis, dass der Beschwerdeführer am 25.09.2018 nach Russland überstellt worden sei.
Diese Unterlagen wurden der italienischen Dublin-Behörde mit Schreiben vom 19.06.2020 als Ergänzung zur Remonstration vom 15.06.2020 übermittelt.
Mit Schreiben vom 19.06.2020 erklärte sich Italien zur Übernahme des Beschwerdeführers nach Art. 12 Abs. 4 Dublin III-VO einverstanden.
2.4. Bei der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in Folge: BFA) am 02.07.2020 gab der Beschwerdeführer an, er fühle sich körperlich und geistig in der Lage die Einvernahme durchzuführen. Er habe Nierensteine und ab und zu Magenschmerzen, aber das sei nicht so ernsthaft. Er werde am 15.07.2020 operiert. Er habe auch ärztliche Befunde zur Vorlage. Er habe eine Rechtsberatung in Anspruch genommen und im bisherigen Verfahren der Wahrheit entsprechende Angaben getätigt. Er sei seit XXXX nach islamischen Recht verheiratet, am XXXX habe er seine Frau standesamtlich geheiratet. Er habe zwei leibliche Kinder, geboren am XXXX und am XXXX . Er sei seit seiner Abschiebung von seiner Familie getrennt. Er sei am 15.05.2019 mit einem italienischen Visum nach Österreich eingereist und dann zwei Wochen in Italien gewesen. Am 17.06.2019 sei er von Italien ausgereist. Danach sei er in die Ukraine ausgereist. Dort sei er bis Februar 2020 gewesen. Dann habe ihn ein Freund seines Vaters zur polnischen Grenze geführt, wo zwei Männer ihn über die Grenze geführt hätten. Er sei dann wahrscheinlich in Warschau gewesen, in der Wohnung eines fremden Mannes, der ihn anschließend nach Österreich geführt habe. Er habe seine Dokumente in Polen noch mitgehabt. Er glaube, dass er den Reisepass bei diesem Mann im Auto vergessen habe. Über Vorhalt, dass er in der Erstbefragung noch angegeben habe, dass sich der Reisepass in der Ukraine befände, gab der Beschwerdeführer an, er habe das nicht gesagt. Er habe über Videotelefonie mit seiner Familie Kontakt gehalten. Er habe in der Ukraine gearbeitet. Befragt, warum er kein österreichisches Visum beantragt habe, gab der Beschwerdeführer ahn, weil er von seiner Frau getrennt worden wäre. Er sei 2018 abgeschoben worden. Beim zweiten Mal habe er schon Bedenken gehabt, wieder in Österreich einzureisen, er habe Angst gehabt, wieder abgeschoben zu werden. Er hätte geplant, von Polen nach Frankreich oder Deutschland zu reisen, nach Österreich zu reisen, sei nicht geplant gewesen. Befragt nach weiteren Verwandten gab er an, sein Bruder wohne in Deutschland, in Österreich habe er seine Schwester, seine Ehefrau und die Kinder. Er habe einen Reisepass gehabt. Das Visum sie in dem Reisepass eingeklebt gewesen. Er habe das auch bei der Polizei gesagt. Wenn er den Pass wiederfinden würde, würde er diesen abgeben. Er habe ein italienisches Visum beantragt, weil sein Vater eine Person gekannt hätte, die ein italienisches Visum habe besorgen können. Wenn man in Italien einen Asylantrag stelle, habe man keine Unterkunft, es gebe dort keine Betreuungsstelle. Er selbst habe dort keine Erfahrungen gemacht.
Der Beschwerdeführer legte im Verfahren medizinische Unterlagen vor, nachdem er im Landesklinikum XXXX sowie in der Klinik XXXX wegen Nierensteinen behandelt und erfolgreich operiert wurde. Er legte weiters Urkunden betreffend seine Heirat, die Geburtsurkunden seiner Kinder und Kopie der Konventionspässe seiner Ehefrau und der gemeinsamen Kinder vor.
2.5. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wurde I. der Antrag der beschwerdeführenden Partei auf internationalen Schutz gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass Italien gemäß Art. 12 Abs. 4 Dublin III-Verordnung zur Prüfung des Antrages zuständig ist, sowie II. die Außerlandesbringung der beschwerdeführenden Partei gemäß § 61 Abs. 1 FPG angeordnet und festgestellt, dass demzufolge die Abschiebung der beschwerdeführenden Partei nach Italien gemäß § 61 Abs. 2 FPG zulässig sei.
Der Bescheid enthält ausführliche Feststellungen zum italienischen Asylverfahren. Diese Feststellungen basieren auf einer aktuellen Zusammenstellung der Staatendokumentation im Sinne des § 5 BFA-G. Der Bescheid enthält auch Feststellungen zu COVID-19.
Der Bescheid führt im Verfahrensgang aus, die Identität des Antragstellers stehe fest. Der Beschwerdeführer sei spätestens am 24.4.2020 mit einem italienischen Schengenvisum in das Bundesgebiet eingereist. Italien habe sich mit Schreiben vom 19.06.2020 gemäß Art. 12 Abs. 4 Dublin III-VO für die Führung seines Asylverfahrens für zuständig erklärt. In Österreich befänden sich die Ehefrau und die beiden Kinder des Antragstellers, diese seien alle asylberechtigt. Der Antragsteller würde mit den angeführten Verwandten zwar derzeit im gemeinsamen Haushalt leben, ein solcher habe jedoch bis zu seiner illegalen Einreise nach Österreich nicht bestanden. Außer den angeführten Familienangehörigen befänden sich keine weiteren Verwandten in Österreich. Eine besondere Integrationsverfestigung könne nicht festgestellt werden.
Der Antragsteller habe Nierensteine und Magenschmerzen. Er sei am 15.07.2020 operiert worden, die Operation sei laut Patientenbrief komplikationslos verlaufen. Am 27.07.2020 habe er eine Kontrolle und die Entfernung der Harnleiterschiene stattgefunden. Sonstige schwere psychische Störungen und/oder schwere ansteckende Krankheiten könnten nicht festgestellt werden.
Zur Begründung des Dublin-Tatbestandes wird u.a.festgestellt:
„Festgestellt wird, dass Sie am 24.04.2020, mit einem italienischen Visum (Schengen Visum), in das Gebiet der Europäischen Union (einschließlich Norwegen, Island, Liechtenstein und der Schweiz) eingereist sind, wobei die Einreise von Russland über die Slowakei und weiter nach Österreich erfolgte.“
Und: „Festgestellt wird, dass Sie im Besitz eines spanischen Schengen Visums mit der Gültigkeitsdauer von 07.05.2019 bis 07.11.2019 sind.“
2.6. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit der der Bescheid angefochten und die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung beantragt werden. Die Sachverhaltsfeststellungen würden sich nicht mit dem Akteninhalt decken. Die Gültigkeitsdauer des von Italien ausgestellten Visums habe am 07.11.2019 geendet, sodass es nicht denkmöglich sei, dass die Einreise des Beschwerdeführers nach Österreich am 24.04.2020 auf Grundlage dieses Visums legal erfolgt sei. Vielmehr stehe als Sachverhalt fest, dass der Beschwerdeführer aus der Ukraine kommend am 15.05.2019 nach Italien gereist wäre und nach einem Aufenthalt im Bundesgebiet am 17.06.2019 in die Ukraine zurückgekehrt wäre, sich dort bis März 2020 aufgehalten habe und dann wieder, diesmal unrechtmäßig in das österreichische Bundesgebiet gelangt sei. Die richtige rechtliche Beurteilung dieses Sachverhalts führe zu dem Ergebnis, dass eine auf Art. 12 Abs. 4 Dublin III-VO gestützte Zuständigkeit Italiens nicht vorliegen könne. Auch ergäbe sich die Zuständigkeit Österreichs aus Art. 9 Dublin III-VO und wäre selbst wenn im gegenständlichen Fall keine Zuständigkeit Österreich vorläge, die belangte Behörde verpflichtet gewesen, dass Verfahren des Beschwerdeführers zuzulassen, indem sie vom Selbsteintrittsrecht des Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO Gebrauch mache.
2.7. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 25.08.2020 zu GZ W 161 2234295-1/2Z wurde der Beschwerde die aufschiebende Wirkung gemäß § 17 Abs.1 BFA-VG zuerkannt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Zu A) Stattgebung der Beschwerde:
II.1. Mit 1.1.2014 sind das Bundesverwaltungsgerichtsgesetz (BVwGG) sowie das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl – Verfahrensgesetz (BFA-VG) in Kraft getreten.
Das Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) ist im vorliegenden Fall in der Fassung nach dem Bundesgesetz BGBl. I Nr. 24/2016 anzuwenden. Die maßgeblichen Bestimmungen lauten:
„§ 5 (1) Ein nicht gemäß §§ 4 oder 4a erledigter Antrag auf internationalen Schutz ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin-Verordnung zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist. Mit der Zurückweisungsentscheidung ist auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Eine Zurückweisung des Antrages hat zu unterbleiben, wenn im Rahmen einer Prüfung des § 9 Abs. 2 BFA-VG festgestellt wird, dass eine mit der Zurückweisung verbundene Anordnung zur Außerlandesbringung zu einer Verletzung von Art. 8 EMRK führen würde.
(2) Gemäß Abs. 1 ist auch vorzugehen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin-Verordnung dafür zuständig ist zu prüfen, welcher Staat zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist.
(3) Sofern nicht besondere Gründe, die in der Person des Asylwerbers gelegen sind, glaubhaft gemacht werden oder beim Bundesamt oder beim Bundesverwaltungsgericht offenkundig sind, die für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung sprechen, ist davon auszugehen, dass der Asylwerber in einem Staat nach Abs. 1 Schutz vor Verfolgung findet.
§ 21 Abs. 3 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) idF BGBl. I Nr. 24/2016 lautet:
„§ 21 (3) Ist der Beschwerde gegen die Entscheidung des Bundesamtes im Zulassungsverfahren stattzugeben, ist das Verfahren zugelassen. Der Beschwerde gegen die Entscheidung im Zulassungsverfahren ist auch stattzugeben, wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint.“
Die maßgeblichen Bestimmungen der Dublin-III-Verordnung lauten:
KAPITEL II
ALLGEMEINE GRUNDSÄTZE UND SCHUTZGARANTIEN
Art. 3
Verfahren zur Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz
(1) Die Mitgliedstaaten prüfen jeden Antrag auf internationalen Schutz, den ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einschließlich an der Grenze oder in den Transitzonen stellt. Der Antrag wird von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III als zuständiger Staat bestimmt wird.
(2) Lässt sich anhand der Kriterien dieser Verordnung der zuständige Mitgliedstaat nicht bestimmen, so ist der erste Mitgliedstaat, in dem der Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, für dessen Prüfung zuständig.
Erweist es sich als unmöglich, einen Antragsteller an den zunächst als zuständig bestimmten Mitgliedstaat zu überstellen, da es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Artikels 4 der EU–Grundrechtecharta mit sich bringen, so setzt der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat, die Prüfung der in Kapitel III vorgesehenen Kriterien fort, um festzustellen, ob ein anderer Mitgliedstaat als zuständig bestimmt werden kann.
Kann keine Überstellung gemäß diesem Absatz an einen aufgrund der Kriterien des Kapitels III bestimmten Mitgliedstaat oder an den ersten Mitgliedstaat, in dem der Antrag gestellt wurde, vorgenommen werden, so wird der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat der zuständige Mitgliedstaat.
(3) Jeder Mitgliedstaat behält das Recht, einen Antragsteller nach Maßgabe der Bestimmungen und Schutzgarantien der Richtlinie 32/2013/EU in einen sicheren Drittstaat zurück- oder auszuweisen.
KAPITEL III
KRITERIEN ZUR BESTIMMUNG DES ZUSTÄNDIGEN MITGLIEDSTAATS
Art. 7
Rangfolge der Kriterien
(1) Die Kriterien zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats finden in der in diesem Kapitel genannten Rangfolge Anwendung.
(2) Bei der Bestimmung des nach den Kriterien dieses Kapitels zuständigen Mitgliedstaats wird von der Situation ausgegangen, die zu dem Zeitpunkt gegeben ist, zu dem der Antragsteller seinen Antrag auf internationalen Schutz zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt.
(3) Im Hinblick auf die Anwendung der in den Artikeln 8, 10 und 6 (Anmerkung: gemeint wohl 16) genannten Kriterien berücksichtigen die Mitgliedstaaten alle vorliegenden Indizien für den Aufenthalt von Familienangehörigen, Verwandten oder Personen jeder anderen verwandtschaftlichen Beziehung des Antragstellers im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats, sofern diese Indizien vorgelegt werden, bevor ein anderer Mitgliedstaat dem Gesuch um Aufnahme- oder Wiederaufnahme der betreffenden Person gemäß den Artikeln 22 und 25 stattgegeben hat, und sofern über frühere Anträge des Antragstellers auf internationalen Schutz noch keine Erstentscheidung in der Sache ergangen ist.
Artikel 12
Ausstellung von Aufenthaltstiteln oder Visa
(1) Besitzt der Antragsteller einen gültigen Aufenthaltstitel, so ist der Mitgliedstaat, der den Aufenthaltstitel ausgestellt hat, für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig.
(2) Besitzt der Antragsteller ein gültiges Visum, so ist der Mitgliedstaat, der das Visum erteilt hat, für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig, es sei denn, dass das Visum im Auftrag eines anderen Mitgliedstaats im Rahmen einer Vertretungsvereinbarung gemäß Artikel 8 der Verordnung (EG) Nr. 810/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über einen Visakodex der Gemeinschaft ( 1 ) erteilt wurde. In diesem Fall ist der vertretene Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig.
(3) Besitzt der Antragsteller mehrere gültige Aufenthaltstitel oder Visa verschiedener Mitgliedstaaten, so sind die Mitgliedstaaten für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz in folgender Reihenfolge zuständig:
a) der Mitgliedstaat, der den Aufenthaltstitel mit der längsten Gültigkeitsdauer erteilt hat, oder bei gleicher Gültigkeitsdauer der Mitgliedstaat, der den zuletzt ablaufenden Aufenthaltstitel erteilt hat;
b) der Mitgliedstaat, der das zuletzt ablaufende Visum erteilt hat, wenn es sich um gleichartige Visa handelt;
c) bei nicht gleichartigen Visa der Mitgliedstaat, der das Visum mit der längsten Gültigkeitsdauer erteilt hat, oder bei gleicher Gültigkeitsdauer der Mitgliedstaat, der das zuletzt ablaufende Visum erteilt hat.
(4) Besitzt der Antragsteller nur einen oder mehrere Aufenthaltstitel, die weniger als zwei Jahre zuvor abgelaufen sind, oder ein oder mehrere Visa, die seit weniger als sechs Monaten abgelaufen sind, aufgrund deren er in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einreisen konnte, so sind die Absätze 1, 2 und 3 anwendbar, solange der Antragsteller das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten nicht verlassen hat.
Besitzt der Antragsteller einen oder mehrere Aufenthaltstitel, die mehr als zwei Jahre zuvor abgelaufen sind, oder ein oder mehrere Visa, die seit mehr als sechs Monaten abgelaufen sind, aufgrund deren er in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einreisen konnte, und hat er die Hoheitsgebiete der Mitgliedstaaten nicht verlassen, so ist der Mitgliedstaat zuständig, in dem der Antrag auf internationalen Schutz gestellt wird.
(5) Der Umstand, dass der Aufenthaltstitel oder das Visum aufgrund einer falschen oder missbräuchlich verwendeten Identität oder nach Vorlage von gefälschten, falschen oder ungültigen Dokumenten erteilt wurde, hindert nicht daran, dem Mitgliedstaat, der den Titel oder das Visum erteilt hat, die Zuständigkeit zuzuweisen. Der Mitgliedstaat, der den Aufenthaltstitel oder das Visum ausgestellt hat, ist nicht zuständig, wenn nachgewiesen werden kann, dass nach Ausstellung des Titels oder des Visums eine betrügerische Handlung vorgenommen wurde.
Art. 13
Einreise und/oder Aufenthalt
(1) Wird auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien gemäß den beiden in Artikel 22 Absatz 3 dieser Verordnung genannten Verzeichnissen, einschließlich der Daten nach der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 festgestellt, dass ein Antragsteller aus einem Drittstaat kommend die Land-, See- oder Luftgrenze eines Mitgliedstaats illegal überschritten hat, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig. Die Zuständigkeit endet zwölf Monate nach dem Tag des illegalen Grenzübertritts.
(2) Ist ein Mitgliedstaat nicht oder gemäß Absatz 1 dieses Artikels nicht länger zuständig und wird auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien gemäß den beiden in Artikel 22 Absatz 3 genannten Verzeichnissen festgestellt, dass der Antragsteller — der illegal in die Hoheitsgebiete der Mitgliedstaaten eingereist ist oder bei dem die Umstände der Einreise nicht festgestellt werden können — sich vor der Antragstellung während eines ununterbrochenen Zeitraums von mindestens fünf Monaten in einem Mitgliedstaat aufgehalten hat, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig.
Hat sich der Antragsteller für Zeiträume von mindestens fünf Monaten in verschiedenen Mitgliedstaaten aufgehalten, so ist der Mitgliedstaat, wo er sich zuletzt aufgehalten hat, für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig.
KAPITEL IV
ABHÄNGIGE PERSONEN UND ERMESSENSKLAUSELN
Art. 16
Abhängige Personen
(1) Ist ein Antragsteller wegen Schwangerschaft, eines neugeborenen Kindes, schwerer Krankheit, ernsthafter Behinderung oder hohen Alters auf die Unterstützung seines Kindes, eines seiner Geschwister oder eines Elternteils, das/der sich rechtmäßig in einem Mitgliedstaat aufhält, angewiesen oder ist sein Kind, eines seiner Geschwister oder ein Elternteil, das/der sich rechtmäßig in einem Mitgliedstaat aufhält, auf die Unterstützung des Antragstellers angewiesen, so entscheiden die Mitgliedstaaten in der Regel, den Antragsteller und dieses Kind, dieses seiner Geschwister oder Elternteil nicht zu trennen bzw. sie zusammenzuführen, sofern die familiäre Bindung bereits im Herkunftsland bestanden hat, das Kind, eines seiner Geschwister oder der Elternteil in der Lage ist, die abhängige Person zu unterstützen und die betroffenen Personen ihren Wunsch schriftlich kundgetan haben.
(2) Hält sich das Kind, eines seiner Geschwister oder ein Elternteil im Sinne des Absatzes 1 rechtmäßig in einem anderen Mitgliedstaat als der Antragsteller auf, so ist der Mitgliedstaat, in dem sich das Kind, eines seiner Geschwister oder ein Elternteil rechtmäßig aufhält, zuständiger Mitgliedstaat, sofern der Gesundheitszustand des Antragstellers diesen nicht längerfristig daran hindert, in diesen Mitgliedstaat zu reisen. In diesem Fall, ist der Mitgliedstaat, in dem sich der Antragsteller aufhält, zuständiger Mitgliedstaat. Dieser Mitgliedstaat kann nicht zum Gegenstand der Verpflichtung gemacht werden, das Kind, eines seiner Geschwister oder ein Elternteil in sein Hoheitsgebiet zu verbringen.
(3) Der Kommission wird die Befugnis übertragen gemäß Artikel 45 in Bezug auf die Elemente, die zur Beurteilung des Abhängigkeitsverhältnisses zu berücksichtigen sind, in Bezug auf die Kriterien zur Feststellung des Bestehens einer nachgewiesenen familiären Bindung, in Bezug auf die Kriterien zur Beurteilung der Fähigkeit der betreffenden Person zur Sorge für die abhängige Person und in Bezug auf die Elemente, die zur Beurteilung einer längerfristigen Reiseunfähigkeit zu berücksichtigen sind, delegierte Rechtsakte zu erlassen.
(4) Die Kommission legt im Wege von Durchführungsrechtsakten einheitliche Bedingungen für Konsultationen und den Informationsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten fest. Diese Durchführungsrechtsakte werden nach dem in Artikel 44 Absatz 2 genannten Prüfverfahren erlassen.
Art. 17
Ermessensklauseln
(1) Abweichend von Artikel 3 Absatz 1 kann jeder Mitgliedstaat beschließen, einen bei ihm von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen gestellten Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist.
Der Mitgliedstaat, der gemäß diesem Absatz beschließt, einen Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, wird dadurch zum zuständigen Mitgliedstaat und übernimmt die mit dieser Zuständigkeit einhergehenden Verpflichtungen. Er unterrichtet gegebenenfalls über das elektronische Kommunikationsnetz DubliNet, das gemäß Artikel 18 der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 eingerichtet worden ist, den zuvor zuständigen Mitgliedstaat, den Mitgliedstaat, der ein Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats durchführt, oder den Mitgliedstaat, an den ein Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuch gerichtet wurde.
Der Mitgliedstaat, der nach Maßgabe dieses Absatzes zuständig wird, teilt diese Tatsache unverzüglich über Eurodac nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 mit, indem er den Zeitpunkt über die erfolgte Entscheidung zur Prüfung des Antrags anfügt.
(2) Der Mitgliedstaat, in dem ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt worden ist und der das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats durchführt, oder der zuständige Mitgliedstaat kann, bevor eine Erstentscheidung in der Sache ergangen ist, jederzeit einen anderen Mitgliedstaat ersuchen, den Antragsteller aufzunehmen, aus humanitären Gründen, die sich insbesondere aus dem familiären oder kulturellen Kontext ergeben, um Personen jeder verwandtschaftlichen Beziehung zusammenzuführen, auch wenn der andere Mitgliedstaat nach den Kriterien in den Artikeln 8 bis 11 und 16 nicht zuständig ist. Die betroffenen Personen müssen dem schriftlich zustimmen.
Das Aufnahmegesuch umfasst alle Unterlagen, über die der ersuchende Mitgliedstaat verfügt, um dem ersuchten Mitgliedstaat die Beurteilung des Falles zu ermöglichen.
Der ersuchte Mitgliedstaat nimmt alle erforderlichen Überprüfungen vor, um zu prüfen, dass die angeführten humanitären Gründe vorliegen, und antwortet dem ersuchenden Mitgliedstaat über das elektronische Kommunikationsnetz DubliNet, das gemäß Artikel 18 der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 eingerichtet wurde, innerhalb von zwei Monaten nach Eingang des Gesuchs. Eine Ablehnung des Gesuchs ist zu begründen.
Gibt der ersuchte Mitgliedstaat dem Gesuch statt, so wird ihm die Zuständigkeit für die Antragsprüfung übertragen.
KAPITEL VI
AUFNAHME- UND WIEDERAUFNAHMEVERFAHREN
Art. 20
Einleitung des Verfahrens
(1) Das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats wird eingeleitet, sobald in einem Mitgliedstaat erstmals ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt wird.
(2) Ein Antrag auf internationalen Schutz gilt als gestellt, wenn den zuständigen Behörden des betreffenden Mitgliedstaats ein vom Antragsteller eingereichtes Formblatt oder ein behördliches Protokoll zugegangen ist. Bei einem nicht in schriftlicher Form gestellten Antrag sollte die Frist zwischen der Abgabe der Willenserklärung und der Erstellung eines Protokolls so kurz wie möglich sein.
(3) Für die Zwecke dieser Verordnung ist die Situation eines mit dem Antragsteller einreisenden Minderjährigen, der der Definition des Familienangehörigen entspricht, untrennbar mit der Situation seines Familienangehörigen verbunden und fällt in die Zuständigkeit des Mitgliedstaats, der für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz dieses Familienangehörigen zuständig ist, auch wenn der Minderjährige selbst kein Antragsteller ist, sofern dies dem Wohl des Minderjährigen dient. Ebenso wird bei Kindern verfahren, die nach der Ankunft des Antragstellers im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten geboren werden, ohne dass ein neues Zuständigkeitsverfahren für diese eingeleitet werden muss.
(4) Stellt ein Antragsteller bei den zuständigen Behörden eines Mitgliedstaats einen Antrag auf internationalen Schutz, während er sich im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats aufhält, obliegt die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats dem Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet sich der Antragsteller aufhält. Dieser Mitgliedstaat wird unverzüglich von dem mit dem Antrag befassten Mitgliedstaat unterrichtet und gilt dann für die Zwecke dieser Verordnung als der Mitgliedstaat, bei dem der Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde.
Der Antragsteller wird schriftlich von dieser Änderung des die Zuständigkeit prüfenden Mitgliedstaats und dem Zeitpunkt, zu dem sie erfolgt ist, unterrichtet.
(5) Der Mitgliedstaat, bei dem der erste Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, ist gehalten, einen Antragsteller, der sich ohne Aufenthaltstitel im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats aufhält oder dort einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, nachdem er seinen ersten Antrag noch während des Verfahrens zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats zurückgezogen hat, nach den Bestimmungen der Artikel 23, 24, 25 und 29 wieder aufzunehmen, um das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats zum Abschluss zu bringen.
Diese Pflicht erlischt, wenn der Mitgliedstaat, der das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats abschließen soll, nachweisen kann, dass der Antragsteller zwischenzeitlich das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten für mindestens drei Monate verlassen oder in einem anderen Mitgliedstaat einen Aufenthaltstitel erhalten hat.
Ein nach einem solchen Abwesenheitszeitraum gestellter Antrag im Sinne von Unterabsatz 2 gilt als neuer Antrag, der ein neues Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats auslöst.
Artikel 22 Abs. 7
Antwort auf ein Aufnahmegesuch
…
(7) Wird innerhalb der Frist von zwei Monaten gemäß Absatz 1 bzw. der Frist von einem Monat gemäß Absatz 6 keine Antwort erteilt, ist davon auszugehen, dass dem Aufnahmegesuch stattgegeben wird, was die Verpflichtung nach sich zieht, die Person aufzunehmen und angemessene Vorkehrungen für die Ankunft zu treffen.“
Im vorliegenden Fall sind die Sachverhaltsfeststellungen im angefochtenen Bescheid mangelhaft, widersprüchlich und die darauf gründenden rechtlichen Schlussfolgerungen nicht nachvollziehbar.
Fest steht, dass der Beschwerdeführer nach rechtskräftiger negativer Erledigung seines ersten Asylantrags in Österreich am 25.09.2018 in die Russische Föderation abgeschoben wurde.
In der Folge erlangte er ein italienisches Schengenvisum gültig vom 07.05.2019 bis 07.11.2019. Aufgrund der Tatsache, dass dieses Visum in dem vom BFA festgestellten Zeitpunkt der Einreise des Beschwerdeführers vom 24.04.2020 jedenfalls abgelaufen war, kann somit zunächst nicht, wie vom BFA angenommen, von einer legalen Einreise nach Österreich ausgegangen werden.
Der Beschwerdeführer gab sowohl in der Erstbefragung als auch in seiner Niederschrift vor dem BFA an, er sei mit dem italienischen Visum am 15.05.2019 in Österreich eingereist und zwei Wochen später von Italien ausgereist. Er habe sich danach bis Februar 2020 in der Ukraine befunden und sei von dort über Polen neuerlich nach Österreich gelangt.
Seine diesbezüglichen Angaben wurden von der österreichischen Dublin-Behörde auch der italienischen Dublin-Behörde mitgeteilt und gleichzeitig ausgeführt, dass die Angaben über eine Ausreise in die Ukraine nicht glaubhaft seien und der Beschwerdeführer den Reisepass zum Nachweis seiner Ausreise in die Ukraine nicht vorgezeigt habe.
Im angefochtenen Bescheid wird auf dieses Vorbringen des Beschwerdeführers, wonach er in die Ukraine ausgereist und von dort wieder in die Dublin-Staaten eingereist sei, gar nicht eingegangen.
Die Beschwerde verweist zutreffend auf den Passus auf Seite 16 des angefochtenen Bescheides, wo festgestellt wird, dass die Einreise von Russland über die Slowakei (!) weiter nach Österreich erfolgt sei und darauf, dass die Angaben des Beschwerdeführers über seine Einreise auf Seite 35 des angefochtenen Bescheides als plausibel und widerspruchsfrei erachtet werden.
Legt man die Angaben des Beschwerdeführers, die Tatsache seiner Abschiebung am 25.09.2018 und die Gültigkeitsdauer des ihm ausgestellten Visums zugrunde, ergibt sich zunächst, dass er mit dem am 24.04.2020 bereits lange abgelaufenen Visum nicht legal einreisen konnte und ergibt sich in rechtlicher Hinsicht, dass bei einer Einreise mit einem bereits abgelaufenen italienischen Schengen-Visum die Bestimmung des Art. 12 Abs. 4 Dublin III-VO nicht zur Anwendung kommen kann, da für diesen Fall festgelegt wird, dass diese Bestimmung nur zur Anwendung gelangen kann, wenn der Antragsteller das Hoheitsgebiet der Mitgliedsstaaten nicht verlassen hat.
Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer im Besitz eines spanischen Schengen-Visums gewesen sei, ist ebenfalls aktenwidrig.
Der angefochtene Bescheid sieht die Identität des Antragstellers aufgrund des vorgelegten identitätsbezeugenden Dokuments (russischer Inlandspass) als erwiesen an. Es ist aus dem Akt aber nicht ersichtlich, wann und von wem dieses Dokument vorgelegt wurde. Auch fehlt eine Übersetzung. Der Beschwerdeführer hatte bei seiner Niederschrift noch angegeben, der Reisepass befände sich in Polen.
Auch die in der Beweiswürdigung angeführten Alias-Daten, die sich angeblich aufgrund der Zustimmungserklärung Italiens vom 19.06.2020 ergeben würden, sind nicht nachvollziehbar, da im Schreiben der italienischen Dublin-Behörden vom 19.06.2020 keine Alias-Daten aufscheinen.
Auch gab der Beschwerdeführer an, er habe nicht nur eine Ehefrau und zwei Kinder in Österreich, sondern auch eine Schwester. Diese Schwester wird im Bescheid nicht angeführt, sondern aktenwidrig festgestellt, es befänden sich keine weiteren Verwandten des Beschwerdeführers in Österreich.
Ein weiterer Widerspruch im angefochtenen Bescheid ergibt sich aus dem Gesundheitszustand des Beschwerdeführers. Während in den Feststellungen noch von Nierensteinen, Magenschmerzen und einer Operation die Rede ist und die Beweiswürdigung sich auch damit auseinandersetzt, wird auf Seite 60 des angefochtenen Bescheides festgestellt: „Wie festgestellt, sind bei Ihnen im gesamten Verfahren keinerlei Hinweise auf das Vorliegen einer Erkrankung hervorgekommen, vielmehr von Ihnen verneint an Krankheiten zu leiden.“
Auch ist die auf Seite 32 des Bescheides angeführte nicht gegebene Transportfähigkeit der „Zweitbeschwerdeführerin“ nicht nachvollziehbar.
Aufgrund der getroffenen widersprüchlichen und aktenwidrigen Feststellungen im erstinstanzlichen Bescheid ist es für das erkennende Gericht nicht möglich, nachzuprüfen, von welchem konkreten Sachverhalt die erstinstanzliche Behörde ausgegangen ist und ob und welche Bestimmungen der Dublin III-VO in casu zur Anwendung zu gelangen haben.
Auch kann zum Entscheidungszeitpunkt des Bundesverwaltungsgerichts aufgrund der mangelnden Sachverhaltserhebungen durch die erstinstanzliche Behörde nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden, ob bei dem Beschwerdeführer eine reale Gefährdung seiner insbesondere durch Art. 3 und 8 EMRK gewährleisteten Rechte im Falle seiner Überstellung nach Italien beziehungsweise ob die Voraussetzungen für einen Selbsteintritt Österreichs nach Art. 17 Dublin III-VO vorliegen.
Wie dargelegt wurde im gegenständlichen Fall der entscheidungsrelevante Sachverhalt trotz bestehender Möglichkeit nicht ausreichend ermittelt, weshalb zwingend nach § 21 Abs. 3, 2. Satz BFA-VG vorzugehen war.
Eine mündliche Verhandlung konnte gemäß § 21 Abs. 6a und 7 BFA-VG unterbleiben.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen. Nach Art. 133 Abs. 4 erster Satz B-VG idF BGBl. I Nr. 51/2012 ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Im vorliegenden Fall ist die ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung abhängt. Denn das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten des angefochtenen Bescheides wiedergegeben.
Schlagworte
Behebung der Entscheidung Ermittlungspflicht individuelle Verhältnisse Kassation mangelnde SachverhaltsfeststellungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:W161.2234295.1.01Im RIS seit
04.12.2020Zuletzt aktualisiert am
04.12.2020