TE Bvwg Erkenntnis 2020/9/22 W218 2232276-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 22.09.2020
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

22.09.2020

Norm

Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen §1
BBG §42
BBG §45
B-VG Art133 Abs4

Spruch

W218 2232276-1/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Benedikta TAURER als Vorsitzende und die Richterin Mag. Marion STEINER sowie die fachkundige Laienrichterin Mag. Bettina PINTER als Beisitzerinnen über die Beschwerde der XXXX , geboren am XXXX gegen den Bescheid des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle Niederösterreich vom 02.06.2020, betreffend Abweisung der Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“, zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1.       Mit Bescheid vom 02.06.2020 hat das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (Kurzbezeichnung: Sozialministeriumservice; in der Folge belangte Behörde genannt) den Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass gem. §§ 42 und 45 BBG (Bundesbehindertengesetz) abgewiesen. In ihrer Begründung traf die belangte Behörde die Feststellung, dass die Voraussetzungen für die genannte Zusatzeintragung nicht vorlägen.

2.       Gegen diesen Bescheid wurde von der Beschwerdeführerin fristgerecht Beschwerde erhoben. Ohne Vorlage von Beweismitteln wurde im Wesentlichen vorgebracht, dass die medizinische Sachverständige der Meinung sei, die Beschwerdeführerin könne alle Erledigungen zu Fuß machen, doch könne die Beschwerdeführerin einen Trolley nicht in den Bus heben, da sie nicht mehr als ein Kilo heben dürfe. Die Busverbindungen am Land seien zudem nicht immer gegeben.

Die Beschwerdeführerin führte weiters aus, bei der Operation sei ihr Darm versetzt worden und entleere dieser sich wann er wolle. Trotz Windeln wäre ein Transport in den öffentlichen Verkehrsmitteln für die Beschwerdeführerin als auch ihre Mitmenschen nicht zumutbar. Eine Nutzung des Behindertenparkplatzes würde es ihr ermöglichen, sofort nach Hause zu fahren.

Die Beschwerdeführerin beantrage die Hinzuziehung eines Sachverständigen für die erforderliche Nachuntersuchung (Endoskopie) bei einem Arzt, der nicht nach Aussehen oder Kleidung beurteile, sondern nach Fakten.

3.       Die gegenständliche Beschwerde und die Bezug habenden Verwaltungsakten langten am 23.06.2020 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.       Feststellungen:

Die Beschwerdeführerin ist im Besitz eines gültigen Behindertenpasses.

Die Voraussetzungen für die Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ liegen nicht vor.

2.       Beweiswürdigung:

Das eingeholte ärztliche Sachverständigengutachten ist schlüssig und nachvollziehbar, es weist keine Widersprüche auf.

Die Beschwerdeführerin leidet an folgenden Funktionseinschränkungen:

1. Pankreasgangkarzinom ohne Lymphknotenbefall (Op. 9/2019), Pos.Nr.: 13.01.03, Grad der Behinderung 50 %

2. Chronisch obstruktive Lungenerkrankung – Moderate Form – COPD II, Pos.Nr.: 06.06.02, Grad der Behinderung 40 %

3. Hypertonie, Mäßige Hypertonie, Pos.Nr.: 05.01.02, Grad der Behinderung 20 %

4. Zustand nach Schilddrüsenoperation, Pos.Nr.: 09.01.01, Grad der Behinderung 10 %

Im medizinischen Sachverständigengutachten einer Fachärztin für Innere Medizin, wird, basierend auf der persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin, am 10.03.2020, im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:

Der Beschwerdeführerin ist es zumutbar, eine kurze Wegstrecke sowie einige Stufen selbstständig zu bewältigen. Die Kraft und die Beweglichkeit beider Beine sind nach ausführlicher Untersuchung jedenfalls erhalten. Die Hüft- und Kniegelenke zeigten sich im Rahmen der persönlichen Untersuchung in allen Ebenen frei beweglich. Die Beschwerdeführerin konnte sich im Untersuchungsraum normalschrittig, sicher und frei bewegen. Die Beschwerdeführerin bestritt im Zuge der Beschwerde nicht, dass ihr das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke im Ausmaß von 300 bis 400 Metern möglich ist, sondern führte lediglich aus, dass sie sich beim Heben schwer tue.

Die Beschwerdeführerin konnte im Zuge der persönlichen Untersuchung sowohl den Schürzen als auch den Nackengriff beidseitig ungehindert durchführen. Der Faustschluss war seitengleich unauffällig. Die Kraft in beiden Armen ist ausreichend vorhanden und kann die Beschwerdeführerin aufgrund des Vorhandenseins ausreichender Beweglichkeit die öffentlichen Verkehrsmittel sicher benützen, insbesondere, da die Greiffunktion zum Festhalten ausreichend gegeben ist. Wenn die Beschwerdeführerin ausführt, sie könne die öffentlichen Verkehrsmittel nicht benützen, da sie den Trolley beim Einkaufen nicht in den Bus heben könne, so ist darauf zu verweisen, dass sie die Einkäufe auch ins Auto heben müsste und insofern kein Gewichtsunterschied vorliegt. Die von der Sachverständigen angeführte Möglichkeit der Benützung eines Trolleys zwischen den Geschäften und den öffentlichen Verkehrsmitteln würde der Beschwerdeführerin jedenfalls den Weg erleichtern.

Im Zuge der Erstellung eines ärztlichen Gutachtens zum Antrag auf Zuerkennung des Pflegegeldes vom 16.11.2019 zeigte sich zwar ein schlechtes Gangbild und kam der untersuchende Arzt zum Ergebnis, dass die Beschwerdeführerin außer Haus einer Begleitperson bedarf. Dabei ist aber zu berücksichtigen, dass die Beschwerdeführerin am 25.09.2019 operiert wurde (partielle Duodenopankreatektomie) und der untersuchende Arzt von einer wesentlichen Besserung binnen neun Monaten ausgeht. Aufgrund der Ergebnisse der Untersuchung durch die internistische Sachverständige am 10.03.2020, wo die Beschwerdeführerin ein Gangbild aufzeigte, aus dem ableitbar ist, dass sie jedenfalls in der Lage ist, eine Wegstrecke von 300 bis 400 Metern alleine zurückzulegen, ist von einer eingetretenen Besserung auszugehen, sodass die Untersuchungsergebnisse des PVA Gutachtens nicht mehr zur Beurteilung herangezogen werden können.

Bei der Beschwerdeführerin liegt ein Zustand nach Pankreasoperation mit normalem Ernährungszustand vor. Die Beschwerdeführerin bringt im Zuge der Beschwerde lediglich vor, ihr Darm entleere sich wann er wolle. Es liegen jedoch keine objektiven Befundberichte vor, welche eine relevante Stuhlinkontinenz eindeutig belegen. Eine diesbezügliche Unvorhersehbarkeit und Unabwendbarkeit sowie Unkontrollierbarkeit der Stuhlfrequenz ist daher nicht ausreichend begründbar. Zusammenfassend wirkt sich das Pankreasgangkarzinom ohne Hinweis auf eine höhergradige, anhaltende Stuhlinkontinenz auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel nicht auf erhebliche Weise negativ aus.

Trotz Vorliegen einer COPD II konnte keine maßgebliche cardiorespiratorische Leistungseinschränkung festgestellt werden. Im Zuge der persönlichen Untersuchung zeigte sich keine Dyspnoe, sondern nur ein leichter Reizhusten. Es zeigte sich im Pulmo ein sonorer Klopfschall. Aus dem Befundbericht vom 01.08.2019 geht zudem hervor, dass das Vesikuläratmen über beide Lungen möglich ist, die Basen gut atemverschieblich sind und keine Rasselgeräusche vorhanden sind.

Es wurde auf die Art der Leiden und deren Ausmaß ausführlich eingegangen.

Auch wurde zu den Auswirkungen der festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel Stellung genommen.

Die getroffenen Einschätzungen, basierend auf dem im Rahmen persönlicher Untersuchung der Beschwerdeführerin erhobenen klinischen Befund, entsprechen den festgestellten Funktionseinschränkungen.

Das Sachverständigengutachten wird daher in freier Beweiswürdigung der Entscheidung zu Grunde gelegt.

3.       Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 45 Abs. 3 BBG hat in Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen. Gegenständlich liegt somit Senatszuständigkeit vor.

Zu A)

1.       Zur Entscheidung in der Sache:

Unter Behinderung im Sinne dieses Bundesgesetzes ist die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen zu verstehen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten. (§ 1 Abs. 2 BBG)

Der Behindertenpass hat den Vornamen sowie den Familien- oder Nachnamen, das Geburtsdatum eine allfällige Versicherungsnummer und den festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen. (§ 42 Abs. 1 BBG)

Auf Antrag des Menschen mit Behinderung ist jedenfalls einzutragen:

1.-2.(…)

3.       die Feststellung, dass dem Inhaber/der Inhaberin des Passes die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar ist; die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist insbesondere dann nicht zumutbar, wenn das 36. Lebensmonat vollendet ist und

-        erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten oder

-        erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit oder

-        erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten, Funktionen oder

-        eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems oder

-        eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit nach § 1 Abs. 2 Z 1 lit. b oder d

vorliegen.

(§ 1 Abs. 2 Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen auszugsweise)

Grundlage für die Beurteilung, ob die Voraussetzungen für die in § 1 Abs. 2 genannten Eintragungen erfüllt sind, bildet ein Gutachten eines ärztlichen Sachverständigen des Bundessozialamtes. Soweit es zur ganzheitlichen Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen erforderlich erscheint, können Experten/Expertinnen aus anderen Fachbereichen beigezogen werden. Bei der Ermittlung der Funktionsbeeinträchtigungen sind alle zumutbaren therapeutischen Optionen, wechselseitigen Beeinflussungen und Kompensationsmöglichkeiten zu berücksichtigen.

(§ 1 Abs. 3 Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen)

Zum Nachweis, dass der Behindertenpassinhaber/die Behindertenpassinhaberin, der/die über die Eintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ verfügt, die im § 29b Abs. 2 bis 4 der Straßenverkehrsordnung 1960, BGBl. 159 (StVO), genannten Berechtigungen in Anspruch nehmen kann, ist ihm/ihr ein Parkausweis auszustellen. Die in einem gültigen Behindertenpass enthaltene Eintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung oder Blindheit“ ist der Eintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ gleichzuhalten.

(§ 3 Abs. 1 Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen)

Zu § 1 Abs. 2 Z 3:

Mit der vorliegenden Verordnung sollen präzisere Kriterien für die Beurteilung der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel festgelegt werden. Die durch die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes bisher entwickelten Grundsätze werden dabei berücksichtigt.

Grundsätzlich ist eine Beurteilung nur im Zuge einer Untersuchung des Antragstellers/der Antragstellerin möglich. Im Rahmen der Mitwirkungspflicht des Menschen mit Behinderung sind therapeutische Möglichkeiten zu berücksichtigen. Therapierefraktion – das heißt keine therapeutische Option ist mehr offen – ist in geeigneter Form nachzuweisen. Eine Bestätigung des Hausarztes/der Hausärztin ist nicht ausreichend.

Durch die Verwendung des Begriffes „dauerhafte Mobilitätseinschränkung“ hat schon der Gesetzgeber (StVO-Novelle) zum Ausdruck gebracht, dass es sich um eine Funktionsbeeinträchtigung handeln muss, die zumindest 6 Monate andauert. Dieser Zeitraum entspricht auch den grundsätzlichen Voraussetzungen für die Erlangung eines Behindertenpasses.

Nachfolgende Beispiele und medizinische Erläuterungen sollen besonders häufige, typische Fälle veranschaulichen und richtungsgebend für die ärztlichen Sachverständigen bei der einheitlichen Beurteilung seltener, untypischer ähnlich gelagerter Sachverhalte sein. Davon abweichende Einzelfälle sind denkbar und werden von den Sachverständigen bei der Beurteilung entsprechend zu begründen sein.

Die Begriffe „erheblich“ und „schwer“ werden bereits jetzt in der Einschätzungsverordnung je nach Funktionseinschränkung oder Erkrankungsbild verwendet und sind inhaltlich gleich bedeutend.

Unter erheblicher Einschränkung der Funktionen der unteren Extremitäten sind ungeachtet der Ursache eingeschränkte Gelenksfunktionen, Funktionseinschränkungen durch Erkrankungen von Knochen, Knorpeln, Sehnen, Bändern, Muskeln, Nerven, Gefäßen, durch Narbenzüge, Missbildungen und Traumen zu verstehen.

Zusätzlich vorliegende Beeinträchtigungen der oberen Extremitäten und eingeschränkte Kompensationsmöglichkeiten sind zu berücksichtigen. Eine erhebliche Funktionseinschränkung wird in der Regel ab einer Beinverkürzung von 8 cm vorliegen.

Erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit betreffen vorrangig cardiopulmonale Funktionseinschränkungen. Bei den folgenden Einschränkungen liegt jedenfalls eine Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel vor:

-        arterielle Verschlusskrankheit ab II/B nach Fontaine bei fehlender therapeutischer Option

-        Herzinsuffizienz mit hochgradigen Dekompensationszeichen

-        hochgradige Rechtsherzinsuffizienz

-        Lungengerüsterkrankungen unter Langzeitsauerstofftherapie

-        COPD IV mit Langzeitsauerstofftherapie

-        Emphysem mit Langzeitsauerstofftherapie

-        mobiles Gerät mit Flüssigsauerstoff muss nachweislich benützt werden

Keine Einschränkung im Hinblick auf die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel haben:

-        vorübergehende Funktionseinschränkungen des Immunsystem als Nebenwirkung im Rahmen von Chemo-und /oder Strahlentherapien,

-        laufende Erhaltungstherapien mit dem therapeutischen Ziel, Abstoßreaktionen von Transplantaten zu verhindern oder die Aktivität von Autoimmunerkrankungen einzuschränken,

-        Kleinwuchs

-        gut versorgte Ileostoma, Colostoma und Ähnliches mit dichtem Verschluss. Es kommt weder zu Austritt von Stuhl oder Stuhlwasser noch zu Geruchsbelästigungen. Lediglich bei ungünstiger Lokalisation und deswegen permanent undichter Versorgung ist in Ausnahmefällen die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel unzumutbar,

-        bei Inkontinenz, da die am Markt üblichen Inkontinenzprodukte ausreichend sicher sind und Verunreinigungen der Person durch Stuhl oder Harn vorbeugen. Lediglich bei anhaltend schweren Erkrankungen des Verdauungstraktes ist in Ausnahmefällen die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel unzumutbar.

Um die Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel beurteilen zu können, hat die Behörde zu ermitteln, ob der Antragsteller dauernd an seiner Gesundheit geschädigt ist und wie sich diese Gesundheitsschädigung nach ihrer Art und ihrer Schwere auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirkt. Sofern nicht die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auf Grund der Art und der Schwere der Gesundheitsschädigung auf der Hand liegt, bedarf es in einem Verfahren über einen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung" regelmäßig eines ärztlichen Sachverständigengutachtens, in dem die dauernde Gesundheitsschädigung und ihre Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in nachvollziehbarer Weise dargestellt werden. Nur dadurch wird die Behörde in die Lage versetzt, zu beurteilen, ob dem Betreffenden die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung unzumutbar ist (vgl. VwGH vom 23.05.2012, Zl. 2008/11/0128, und die dort angeführte Vorjudikatur sowie vom 22. Oktober 2002, Zl. 2001/11/0242, vom 27.01.2015, Zl. 2012/11/0186).

Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu dieser Zusatzeintragung ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel dann unzumutbar, wenn eine kurze Wegstrecke nicht aus eigener Kraft und ohne fremde Hilfe, allenfalls unter Verwendung zweckmäßiger Behelfe ohne Unterbrechung zurückgelegt werden kann oder wenn die Verwendung der erforderlichen Behelfe die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in hohem Maße erschwert. Die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist auch dann nicht zumutbar, wenn sich die dauernde Gesundheitsschädigung auf die Möglichkeit des Ein- und Aussteigens und die sichere Beförderung in einem öffentlichen Verkehrsmittel unter Berücksichtigung der beim üblichen Betrieb dieser Verkehrsmittel gegebenen Bedingungen auswirkt.

Zu prüfen ist die konkrete Fähigkeit öffentliche Verkehrsmittel zu benützen. Zu berücksichtigen sind insbesondere zu überwindende Niveauunterschiede beim Aus- und Einsteigen, Schwierigkeiten beim Stehen, bei der Sitzplatzsuche, bei notwendig werdender Fortbewegung im Verkehrsmittel während der Fahrt. (VwGH 22.10.2002, Zl. 2001/11/0242; 14.05.2009, 2007/11/0080)

Für die Berechtigung der zusätzlichen Eintragung in den Behindertenpass hinsichtlich der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel kommt es entscheidend auf die Art und die Schwere der dauernden Gesundheitsschädigung und deren Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel an, nicht aber auf andere Umstände, die die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel erschweren. Aus diesem Grund ist der Umstand betreffend die mangelnde Infrastruktur (Vorhandensein und Erreichbarkeit, Entfernung zum nächsten öffentlichen Verkehrsmittel, "Leben am Land") oder den Transport von schweren Gepäckstücken und das Tätigen von Einkäufen rechtlich nicht von Relevanz und kann daher bei der Beurteilung der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel nicht berücksichtigt werden (VwGH vom 22.10.2002, Zl. 2001/11/0258).

Dem Vorbringen, dass die nächste Haltestelle nur schwer erreichbar ist, wird entgegengehalten, dass die mangelnde Infrastruktur keine Voraussetzung für die Vornahme der beantragten Zusatzeintragung ist.

Betreffend die Beurteilung ob eine dauernd starke Gehbehinderung iSd § 29b StVO1960 in der Fassung vor dem 01.01.2014 vorliegt, ist der Verwaltungsgerichtshof von einer möglichen Wegstrecke von mehr als 300 m ausgegangen.

Es ist von einer ausreichenden Funktionsfähigkeit des Bewegungsapparates auszugehen, die vorgebrachten Schmerzen konnten nicht in einem Ausmaß festgestellt werden, welche die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel erheblich erschweren bzw. kann diesen durch milde Schmerzmedikation angemessen begegnet werden.

Bei der Beschwerdeführerin liegen weder erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten noch der körperlichen Belastbarkeit vor bzw. konnten keine maßgebenden Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten oder von Sinnesfunktionen festgestellt werden, es ist auch keine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems vorhanden.

Sowohl die Geh-, Steh- und Steigfähigkeit als auch die cardiopulmonale Belastbarkeit sind ausreichend.

Daher ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar.

Es ist festgestellt worden, dass die dauernden Gesundheitsschädigungen kein Ausmaß erreichen, welches die Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel“ in den Behindertenpass rechtfertigt.

Es war spruchgemäß zu entscheiden.

2.       Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung:

Das Verwaltungsgericht hat auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

(§ 24 Abs. 1 VwGVG)

Die Verhandlung kann entfallen, wenn

1.       der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist oder

2.       die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist.

(§ 24 Abs. 2 VwGVG)

Der Beschwerdeführer hat die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Den sonstigen Parteien ist Gelegenheit zu geben, binnen angemessener, zwei Wochen nicht übersteigender Frist einen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung zu stellen. Ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung kann nur mit Zustimmung der anderen Parteien zurückgezogen werden. (§ 24 Abs. 3 VwGVG)

Soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, kann das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen. (§ 24 Abs. 4 VwGVG)

Das Verwaltungsgericht kann von der Durchführung (Fortsetzung) einer Verhandlung absehen, wenn die Parteien ausdrücklich darauf verzichten. Ein solcher Verzicht kann bis zum Beginn der (fortgesetzten) Verhandlung erklärt werden. (§ 24 Abs. 5 VwGVG)

Maßgebend für die gegenständliche Entscheidung über das Vorliegen der Voraussetzungen für den beantragten Zusatzvermerk sind die Art, das Ausmaß und die Auswirkungen der festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen.

Da der Sachverhalt geklärt ist, konnte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung unterbleiben. Im Übrigen wurde die Durchführung einer mündlichen Verhandlung im Beschwerdeverfahren nicht beantragt.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG) hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Vielmehr hängt die Entscheidung von Tatsachenfragen ab. Maßgebend sind die Art des Leidens und das festgestellte Ausmaß der Funktionsbeeinträchtigungen.

Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.

In den Erläuterungen zur Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen BGBl. II 495/2013 wird ausgeführt, dass ausgehend von den bisherigen durch die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes entwickelten Beurteilungskriterien zur Frage „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel“ Funktionseinschränkungen relevant sind, die die selbstständige Fortbewegung im öffentlichen Raum sowie den sicheren, gefährdungsfreien Transport im öffentlichen Verkehrsmittel erheblich einschränken. Als Aktionsradius ist eine Gehstrecke von rund 10 Minuten, entsprechend einer Entfernung von rund 200 bis 300 m anzunehmen. Es war sohin keine – von der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes abweichende – Neuregelung beabsichtigt. Vielmehr wird in den Erläuterung ausdrücklich festgehalten, dass im Hinblick auf die ab 01.01.2014 eingerichtete zweistufige Verwaltungsgerichtsbarkeit, um Rechtssicherheit zu gewährleisten und die Einheitlichkeit der Vollziehung der im Behindertenpass möglichen Eintragungen sicherzustellen, die Voraussetzungen, die die Vornahme von Eintragungen im Behindertenpass rechtfertigen, in einer Verordnung geregelt werden sollen.

Schlagworte

Behindertenpass Sachverständigengutachten Zumutbarkeit Zusatzeintragung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W218.2232276.1.00

Im RIS seit

04.12.2020

Zuletzt aktualisiert am

04.12.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten