TE Bvwg Erkenntnis 2020/9/23 W185 2232897-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 23.09.2020
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Entscheidungsdatum

23.09.2020

Norm

AsylG 2005 §5
BFA-VG §21 Abs5 Satz1
B-VG Art133 Abs4

Spruch

W185 2232897-1/9E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Gerhard PRÜNSTER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX alias XXXX , StA. Nigeria, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 25.06.2020, Zl. 1262233709-200238794, zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird gemäß § 5 AsylG 2005 idgF als unbegründet abgewiesen.

Gemäß § 21 Abs. 5 Satz 1 BFA-VG idgF wird festgestellt, dass die Anordnung zur Außerlandesbringung zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides rechtmäßig war.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger aus Nigeria, stellte nach illegaler Einreise in das Bundesgebiet am 02.03.2020 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

Laut der im Akt aufliegenden EURODAC-Treffermeldung suchte der Beschwerdeführer am 24.11.2016 in Italien um Asyl an (IT1 …).

Im Rahmen der Erstbefragung des Beschwerdeführers durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 29.07.2019 gab dieser zu seinem Reiseweg befragt an, seine Heimat im Mai 2016 verlassen zu haben und mit einem Bus nach Niger gelangt zu sein, wo er sich drei Wochen lang aufgehalten habe. Im Anschluss sei er über Libyen nach Italien gelangt, wo er um Asyl angesucht und sich für etwa dreieinhalb Jahre aufgehalten habe. Italien habe den Beschwerdeführer „gut behandelt“, er habe jedoch letztlich eine negative Entscheidung erhalten. Nach Italien zurückkehren wolle er nicht, da in Österreich seine Ehefrau und seine Kinder leben würden. Die Frau habe er nach traditionellem Ritus geheiratet. Diese sei österreichische Staatsangehörige und nunmehr schwanger. Das Vorliegen gesundheitlicher Probleme wurde vom Beschwerdeführer verneint. Vorgelegt wurden der Meldezettel der Lebensgefährtin des Beschwerdeführers, eine Kopie deren Reisepasses, des Staatsbürgerschaftsnachweises sowie die Kopie des Reisepasses eines im Jahr 2008 geborenen Kindes der Lebensgefährtin des Beschwerdeführers.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: Bundesamt) richtete am 04.03.2020 ein Wiederaufnahmegesuch gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. d der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (in der Folge Dublin III-VO) an Italien; dies unter Bekanntgabe des Eurodac-Treffers der Kategorie 1 mit Italien.

Am 05.03.2020 ersuchte der Beschwerdeführer schriftlich um eine Verlegung, um seine schwangere Frau nach der Geburt unterstützen zu können.

Aus einem Schreiben des Bundesamtes vom 11.03.2020 ergibt sich die Einstellung der Grundversorgung (freiwilliger Verzicht aufgrund Privatverzug).

Mit Schreiben vom 17.03.2020 stimmten die italienischen Behörden der Wiederaufnahme des Beschwerdeführers nach Art 18 Abs 1 lit d Dublin III-VO ausdrücklich zu.

Am 23.06.2020 fand - in Anwesenheit einer Rechtsberaterin und nach durchgeführter Rechtsberatung - die Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt statt. Hierbei gab dieser zu seinem Gesundheitszustand befragt an, sich physisch und psychisch in der Lage zu sehen, Angaben zu seinem Verfahren zu erstatten. Es gehe ihm gut und er befinde sich nicht in medizinischer Behandlung. Seine bisherigen Angaben würden der Wahrheit entsprechen. Seine Frau, seine Tochter sowie weitere Kinder seiner Frau würden in Österreich leben. Der Vater der ersten drei Kinder seiner Frau sei bereits verstorben. Er habe seine Frau im Jahr 2017 auf Facebook kennengelernt und am 20.03.2018 nach traditionellem Ritus in Nigeria geheiratet. Zum Zeitpunkt des Kennenlernens habe sich der Beschwerdeführer in Italien, die Frau in Österreich aufgehalten. Das erste persönliche Treffen habe im April 2017 in Italien stattgefunden. Seine Frau und deren Kinder hätten dann jeden Urlaub in Italien verbracht; deshalb habe man sich oft sehen können. Eine standesamtliche Hochzeit habe bis dato noch nicht stattgefunden. Etwa 2 bis 3 Monate bevor der Beschwerdeführer nach Österreich gekommen sei, hätte er seine Frau das letzte Mal gesehen; als er nach Österreich gekommen sei, sei seine Frau im sechsten oder siebten Monat schwanger gewesen. Ein gemeinsamer Haushalt habe nur in Urlaub bestanden. Der Beschwerdeführer habe derzeit mangels einer Beschäftigung kein Einkommen; seine Frau arbeite als Krankenschwester und sorge für den Unterhalten der gesamten Familie. Er kümmere sich im Gegenzug um die Kinder, lerne und spiele mit ihnen. Der Beschwerdeführer sei also von seiner Frau finanziell abhängig; ein sonstiges Abhängigkeitsverhältnis bestehe nicht. Es seien „alle gesund“. Befragt, warum er erst jetzt nach Österreich gekommen sei, obwohl hier seine Frau lebe, erklärte der Beschwerdeführer, nicht illegal habe hierher kommen wollen. Er habe sie dann in der Schwangerschaft unterstützen wollen. Außerdem habe sich das Corona-Virus in Italien sehr stark ausgebreitet gehabt. In Italien habe der Beschwerdeführer eine eigene Wohnung gehabt. Nunmehr lebe er mit seiner Frau und den vier Kindern zusammen. Über Vorhalt der Zustimmung Italiens zur Übernahme des Beschwerdeführers und der Absicht, dessen Antrag zurückzuweisen und den Beschwerdeführer nach Italien auszuweisen, erklärte der Beschwerdeführer, wegen seiner Familie in Österreich nicht nach Italien zurückkehren zu wollen. Er wüsste nicht, wie er mit seiner Frau und den Kindern nach Italien gehen sollte. Ansonsten habe er keine Probleme in Italien. Er sei dort nicht schlecht behandelt worden; es gebe dort auch Arbeit. In Italien habe es in den ganzen dreieinhalb Jahren keine konkreten Vorfälle gegen seine Person gegeben. Die Rechtsberaterin stellte einen Antrag auf Zulassung des Verfahrens gemäß Art 8 EMRK. Der Beschwerdeführer legte die Anerkennungsurkunde der Vaterschaft zu seinem Kind, die Erklärung hinsichtlich der gemeinsamen Obsorge, Kopien der Reisepässe der Kinder seiner Lebensgefährtin, eine Kopie der Heiratsurkunde aus Nigeria sowie Unterlagen eines Deutschkurses vor.

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass gemäß Artikel 18 Abs. 1 lit. d Dublin III-VO Italien für die Prüfung des Antrages zuständig sei (Spruchpunkt I.). Gleichzeitig wurde gegen den Beschwerdeführer gemäß § 61 Abs. 1 FPG die Außerlandesbringung angeordnet und festgestellt, dass demzufolge seine Abschiebung nach Italien gemäß § 61 Abs. 2 FPG zulässig sei (Spruchpunkt II.).

Zu Italien werden folgende Feststellungen getroffen:

(Anmerkung: Die Feststellungen sind durch die Staatendokumentation des Bundesamtes zusammengestellt und entsprechen dem Stand vom 09.10.2019).
1.         Allgemeines zum Asylverfahren

In Italien existiert ein rechtsstaatliches Asylverfahren mit gerichtlichen Beschwerdemöglichkeiten. Im Oktober 2018 gab es mit Einführung von Gesetzesdekret Nr. 113 vom 4.10.2018 (in Verbindung mit dem Umwandlungsgesetz Nr. 132 vom 1.12.2018 (auch als „Salvini-Dekret“ bzw. „Salvini-Gesetz“ bekannt) einige legislative Änderungen (siehe dazu insbesondere Abschnitte 6. und 7. in diesem LIB, Anm.):

(AIDA 4.2019; für ausführliche Informationen siehe dieselbe Quelle).

Mit Stand 27. September 2019 waren in Italien 49.014 Personen in einem Asylerfahren, davon haben 26.240 Personen ihren Asylantrag im Jahr 2019 gestellt (MdI 27.9.2019).

Im Jahre 2019 haben die italienischen Asylbehörden bis zum 7. Juni 42.916 Asylentscheidungen getroffen, davon erhielten 4.605 Personen Flüchtlingsstatus, 2.790 subsidiären Schutz, 672 humanitären Schutz, 2.340 waren unauffindbar und 32.304 wurden negativ entschieden (MdI 7.6.2019). Mit Anfang Oktober 2019 waren in Italien 50.298 Asylanträge anhängig (SN 2.10.2019).

Die Asylverfahren nehmen, inklusive Beschwerdephase, bis zu zwei Jahre in Anspruch (USDOS 13.3.2019).

Quellen:

?        AIDA - Asylum Information Database (4.2019): Association for Legal Studies on Immigration (ASGI) / European Council on Refugees and Exiles (ECRE): Country Report: Italy, http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_it_2017update.pdf, Zugriff 27.8.2019

?        MdI – Ministero dell‘Interno (27.9.2019): Commissione Nazionale per il Diritto di Asilo, per E-Mail

?        MdI – Ministero dell‘Interno (7.6.2019): Commissione Nazionale per il Diritto di Asilo, https://www.camera.it/application/xmanager/projects/leg18/attachments/upload_file_doc_acquisiti/pdfs/000/001/795/REPORT_FINO_AL_07.06.2019_.pdf, Zugriff 24.9.2019

?        SN – Salzburger Nachrichten (2.10.2019): Zahl der Migrantenankünfte in Italien 2019 stark rückläufig, https://www.sn.at/politik/weltpolitik/zahl-der-migrantenankuenfte-in-italien-2019-stark-ruecklaeufig-77097958, Zugriff: 9.10.2019

?        USDOS – US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Italy, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004308.html, Zugriff 23.9.2019
2.         Dublin-Rückkehrer

Wenn Italien einer Überstellung ausdrücklich zustimmt, wird der Flughafen angegeben, welcher der für das konkrete Asylverfahren zuständigen Quästur am nächsten liegt. Wenn Italien durch Fristablauf zustimmt, landen Rückkehrer üblicherweise auf den Flughäfen Rom-Fiumicino und Mailand-Malpensa. Ihnen wird am Flughafen von der Polizei eine Einladung (verbale di invito) ausgehändigt, der zu entnehmen ist, welche Quästur für ihr Asylverfahren zuständig ist. Mit dieser ist dann ein Termin zu vereinbaren. Die Quästuren sind oft weit von den Ankunftsflughäfen entfernt und die Asylwerber müssen auf eigene Faust und oft auch auf eigene Kosten innerhalb weniger Tage dorthin reisen, was bisweilen problematisch sein kann (AIDA 4.2019).

Die Situation von Dublin-Rückkehrern hängt vom Stand ihres Verfahrens in Italien ab:
1. Wenn ein Rückkehrer noch keinen Asylantrag in Italien gestellt hat, kann er dies tun, so wie jede andere Person auch. Der Rückkehrer könnte aber auch als illegaler Migrant betrachtet und mit einer Anordnung zur Außerlandesbringung konfrontiert werden. Derartige Fälle wurden 2018 vom Flughafen Mailand Malpensa berichtet (AIDA 4.2019).
2. Wenn das Verfahren eines Antragstellers suspendiert wurde, weil er sich dem Verfahren vor dem Interview entzogen hat, kann der Rückkehrer binnen 12 Monaten ab Suspendierung einen neuen Interviewtermin beantragen. Sind mehr als 12 Monate vergangen und das Verfahren wurde beendet, kann nur ein Folgeantrag gestellt werden, für den seit Oktober 2018 verschärfte Regelungen gelten (AIDA 4.2019).

3. Wurde das Verfahren des Antragstellers in der Zwischenzeit negativ entschieden und ihm dies zur Kenntnis gebracht, ohne dass er Beschwerde eingelegt hätte, ist für den Rückkehrer eine Anordnung zur Außerlandesbringung und Schubhaft möglich. Wenn dem Antragsteller die negative Entscheidung nicht zur Kenntnis gebracht werden konnte, gilt diese seit Oktober 2018 nach 20 Tagen als zugestellt und ist für den Rückkehrer eine Anordnung zur Außerlandesbringung und Schubhaft möglich (AIDA 4.2019). (Für weitere Informationen, siehe Kapitel 6.2. „Dublin-Rückkehrer“, Anm.)

Mit Gesetz 132/2018 wurde der humanitäre Schutzstatus stark überarbeitet und der Zugang zu dieser Schutzform eingeschränkt. Abgelaufene (alte) Aufenthaltstitel aus humanitären Gründen, werden nicht erneuert (VB 22.2.2019) und können auch nicht mehr verlängert werden. Sie können jedoch bei rechtzeitiger Antragstellung und Erfüllung der Voraussetzungen in einen anderen Titel umgewandelt werden (Aufenthaltstitel für Arbeit, Familienzusammenführung, etc. oder in einen humanitären Titel neuer Rechtslage) (VB 25.2.2019). Ansonsten läuft der Titel ab und der Aufenthalt in Italien ist nicht mehr rechtmäßig (VB 22.2.2019). (für nähere Informationen zu diesem Thema siehe Abschnitt 7. “Schutzberechtigte”, Anm.) Wenn Dublin-Rückkehrer im Besitz eines humanitären Aufenthaltes waren, der nicht fristgerecht in einen der neuen Aufenthaltstitel umgewandelt wurde, sind sie zum Aufenthalt in Italien nicht mehr berechtigt und damit von der Versorgung ausgeschlossen (SFH 8.5.2019).

Quellen:

?        AIDA - Asylum Information Database (4.2019): Association for Legal Studies on Immigration (ASGI) / European Council on Refugees and Exiles (ECRE): Country Report: Italy, http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_it_2017update.pdf, Zugriff 27.8.2019

?        SFH – Schweizerische Flüchtlingshilfe (8.5.2019): Aktuelle Situation für Asylsuchende in Italien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2008993/190508-auskunft-italien.pdf, Zugriff 25.9.2019

?        VB des BM.I Italien (25.2.2019): Auskunft des VB, per E-Mail

?        VB des BM.I Italien (22.2.2019): Bericht des VB, per E-Mail
3.         Non-Refoulement

Medienberichten zufolge wurden 2018 über 100 auf See aufgelesene Migranten nach Libyen zurückgebracht. Italienische Gerichte haben Überstellungen von afghanischen Asylwerbern in EU-Mitgliedsstaaten, in denen Asylverfahren der besagten Afghanen bereits negativ erledigt worden waren, unter Verweis auf ein Ketten-Refoulement-Risiko nach Afghanistan annulliert (AIDA 4.2019).

Mit Gesetz 132/2018 wurde auch das Prinzip der sicheren Herkunftsstaaten in Italien eingeführt. Da aber bislang keine entsprechende Liste sicherer Herkunftsstaaten beschlossen wurde, wird das Konzept in der Praxis derzeit nicht angewendet (AIDA 4.2019).

Es gibt Berichte über ignorierte Versuche Asyl zu beantragen und kollektive Kettenabschiebung nach Slowenien und weiter bis nach Bosnien-Herzegowina (AI 1.3.2019).

Quellen:

?        AI – Amnesty International (1.3.2019): Italy: Refugees and migrants' rights under attack: Amnesty International submission for the UN Universal Periodic Review, 34th Session of the UPR Working Group, https://www.ecoi.net/en/file/local/2007541/EUR3002372019ENGLISH.pdf, Zugriff 30.9.2019

?        AIDA - Asylum Information Database (4.2019): Association for Legal Studies on Immigration (ASGI) / European Council on Refugees and Exiles (ECRE): Country Report: Italy, http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_it_2017update.pdf, Zugriff 29.8.2019
4.         Versorgung

Mit der Einführung von Gesetzesdekret Nr. 113 vom 4.10.2018 (in Verbindung mit dem Umwandlungsgesetz Nr. 132 vom 1.12.2018 auch als „Salvini-Dekret“ bzw. „Salvini-Gesetz“ bekannt) gibt es auch weitgehende Änderungen im Unterbringungssystem. Das bisherige System (CARA als Erstaufnahme, SPRAR als kommunal organisierte Unterbringung und Integration für Asylwerber und Schutzberechtigte, CAS als Notmaßnahme für Bootsflüchtlinge) wird völlig neu organisiert und nur noch zwischen einer Erstaufnahme und einer sekundären Versorgungsschiene unterschieden (VB 19.2.2019; vgl. AIDA 4.2019).

Erstaufnahmeeinrichtungen („prima accoglienza“) werden CAS und CARA ersetzen. Zielgruppe dieser Einrichtungen sind Asylwerber (auch in einem Beschwerdeverfahren oder in Dublin-out-Verfahren bis zur Überstellung), ausdrücklich auch Dublin-Rückkehrer (VB 19.2.2019) und Vulnerable (mit Ausnahme von UMA) (SFH 8.5.2019). Fremde, die in Italien bereits einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt haben, werden in jener Region untergebracht, in welcher der Antrag ursprünglich eingebracht wurde. In allen anderen Fällen ist jene Region zuständig, in der sich der Flughafen befindet, an dem der Fremde ankommt. Für diese Erstaufnahmeeinrichtungen wurden seitens des italienischen Innenministeriums neue Ausschreibungsspezifikationen ausgearbeitet, die bereits durch den italienischen Rechnungshof genehmigt und an die Präfekturen übermittelt wurden. Die Ausschreibung und staatliche Verwaltung/Kontrolle der Einrichtungen obliegt nach wie vor den Präfekturen. Seitens des italienischen Innenministers wurde betont, dass die Einhaltung sämtlicher europarechtlicher Bestimmungen (hier insbesondere die Aufnahmerichtlinie 2013/33/EU) unter Wahrung der menschlichen Würde jedenfalls sichergestellt ist. Herkunft, religiöse Überzeugung, Gesundheitszustand, Vulnerabilität sowie die Familieneinheit finden Berücksichtigung. Bei den Kernleistungen (Sozialbetreuung, Information, soziokulturelle Mediation, sanitäre Einrichtungen sowie Startpaket, Taschengeld und Telefonkarte) soll es zu keiner Kürzung oder Streichung kommen. Integrationsmaßnahmen werden im neuen System nur noch Schutzberechtigten zukommen. Bei den Ausschreibungsspezifikationen wird zwischen kollektiven und individuellen (z.B. Selbstversorger) Unterbringungsplätzen unterschieden. Die Versorgung sieht unter anderem folgende Leistungen vor:

?        Unterbringung, Verpflegung

?        Sozialbetreuung, Information, linguistisch-kulturelle Mediation

?        notwendige Transporte

?        medizinische Betreuung: Erstuntersuchung, ärztliche Betreuung in den Zentren zusätzlich zum allgemeinen Zugang zum nationalen Gesundheitsdienst

?        Hygieneprodukte

?        Wäschedienst oder Waschprodukte

?        Erstpaket (Kleidung, Bettzeug, Telefonkarte)

?        Taschengeld (€ 2,50/Tag/Person bis zu € 7,50/Tag für eine Kernfamilie)

?        Schulbedarf

?        usw.

Nach Auskunft des italienischen Innenministeriums sind Plätze für Familien sowie allein reisende Frauen (mit Kindern) vorgesehen. In den Spezifikationen sind Personalschlüssel, Reinigungsintervalle, Melde- und Aufzeichnungsverpflichtungen des Betreibers in Bezug auf Leistungen an die Bewohner, An-/Abwesenheiten etc. festgelegt. Die Präfekturen sind zu regelmäßigen, unangekündigten Kontrollen berechtigt und verpflichtet (VB 19.2.2019).

Ende 2018 wurden amtliche Ausschreibungsvorgaben für die Unterbringungseinrichtungen veröffentlicht, die die Standards für die Unterbringung im gesamten Land vereinheitlichen sollen. Die Vorgaben garantieren persönliche Hygiene, Taschengeld (Euro 2,50/Tag in der Erstaufnahme) und Euro 5,- für Telefonwertkarten, jedoch keine Integrationsmaßnahmen mehr (Italienisch-Kurse, Orientierungskurse, Berufsausbildungen oder Freizeitaktivitäten). Ebenso eingespart wird psychologische Betreuung, welche nur noch in Hotspots und Schubhaftzentren verfügbar ist. Rechtsberatung und kulturelle Mediation werden reduziert (AIDA 4.2019; vgl. SFH 8.5.2019).

Die sekundären Aufnahmeeinrichtungen (früher SPRAR) heißen ab sofort SIPROIMI („Sistema di protezione per titolari di protezione internazionale e per minori stranieri non accompagnati“ – Schutzsystem für international Schutzberechtigte und unbegleitete minderjährige Fremde). Asylwerber, mit Ausnahme unbegleiteter Minderjähriger, haben dort keinen Zugang mehr (AIDA 4.2019). SIPROIMI stehen nur noch Personen mit internationalem Schutz, unbegleiteten Minderjährigen, sowie Personen zur Verfügung, die nach der neuen Rechtslage einen Aufenthaltstitel wegen besonders berücksichtigungswürdiger Umstände haben („neue“ humanitäre Titel; siehe dazu mehr in Abschnitt 7. „Schutzberechtigte“, Anm.). In diesen Einrichtungen werden zusätzlich zu den oben beschrieben Leistungen auch Maßnahmen mit dem Ziel einer umfassenden Integration (Gesellschaft, Arbeitsmarkt, Sprache, etc.) geboten (VB 19.2.2019).

Nur diejenigen asylsuchenden Personen und Inhaber eines humanitären Status, denen vor dem 4. Oktober 2018 ein Platz in einem SPRAR-Zentrum zugesagt wurde, werden noch in einem SPRAR-Zentrum untergebracht (SFH 8.5.2019). Personen mit humanitärem Schutz nach alter Rechtslage, die sich mit Stichtag 05.10.2018 noch in einem SPRAR/SIPROIMI befanden, können dort für den vorgesehenen Zeitraum bzw. bis zum Ende des Projektzeitraumes weiterhin bleiben. Jene Fremde mit humanitärem Schutz nach alter Rechtslage, die sich noch in einer Erstaufnahmeeinrichtung befinden, verbleiben dort so lange, bis ihnen von der Quästur der Aufenthaltstitel („permesso di soggiorno“) übergeben wurde und werden danach aus dem Aufnahmesystem entlassen (VB 19.2.2019).

In den letzten Jahren war das italienische Aufnahmesystem angesichts der zahlreichen Anlandungen von Migranten von Überforderung und dem Versuch geprägt, möglichst viele Unterbringungsplätze in möglichst kurzer Zeit zu schaffen. Dabei entstanden verschiedene Arten von Unterbringungszentren auf Projektbasis in Gemeinden, Regionen und zentraler Ebene mit nur grob festgelegt Zielgruppen. Mit der Neustrukturierung wurde ein differenziertes Aufnahmesystem geschaffen, das auch der Kritik des italienischen Rechnungshofes Rechnung trägt, der die undifferenzierte Unterbringung bzw. Erbringung insbesondere von kostspieligen Integrationsmaßnahmen an Migranten ohne dauerhaften Aufenthaltstitel bemängelt hat. So werden Asylwerber zukünftig in den Erstaufnahmeeinrichtungen untergebracht. Personen mit Schutzstatus bzw. einer der neuen Formen des humanitären Schutzes sowie allein reisende Minderjährige erhalten Zugang zu den sekundären Aufnahmeeinrichtungen, in denen zusätzlich integrative Leistungen angeboten werden (VB 19.2.2019). Ende 2018 wurden amtliche Ausschreibungsvorgaben für Unterbringungseinrichtungen veröffentlicht, die die Standards für die Unterbringung im gesamten Land vereinheitlichen sollen. Durch die neuen Vergabekriterien wurde auch auf den Vorwurf reagiert, dass die Aufnahmeeinrichtungen außerhalb des SPRAR keine einheitlichen Standards sicherstellen. Durch die Staffelung der Strukturen nach Unterbringungsplätzen mit entsprechend angepasstem Personalstand und Serviceleistungen kann seitens der Präfekturen im Rahmen der Vergabeverfahren auf den Bedarf und die Gegebenheiten vor Ort im jeweiligen Fall eingegangen werden, wodurch sich die Kosten von € 35/Person/Tag auf € 21/Person/Tag senken sollen. Die Vorgaben garantieren persönliche Hygiene, Taschengeld (Euro 2,50/Tag in der Erstaufnahme) und Euro 5,- für Telefonwertkarten, jedoch keine Integrationsmaßnahmen mehr (VB 19.2.2019; vgl. AIDA 4.2019). Dass eine solche Restrukturierung ohne Einbußen bei der Qualität oder dem Leistungsangebot (so der Vorwurf bzw. die Befürchtung der Kritiker) machbar ist, scheint angesichts der vorliegenden Unterlagen aus Sicht des VB nachvollziehbar (VB 19.2.2019). Kritiker meinen hingegen, die neuen Vorgaben würden zu einem Abbau von Personal in den Unterbringungseinrichtungen und zur Reduzierung der gebotenen Leistungen führen. Kleinere Zentren würden unwirtschaftlich und zur Schließung gezwungen, stattdessen würden größere, kostensenkende Kollektivzentren geschaffen (SFH 8.5.2019).

Asylwerber dürfen zwei Monate nach Antragstellung legal arbeiten (AIDA 4.2019; vgl. USDOS 13.3.2019). In der Praxis haben Asylwerber jedoch Schwierigkeiten beim Zugang zum Arbeitsmarkt, etwa durch Verzögerungen bei der Registrierung ihrer Asylanträge (die damit einhergehende Aufenthaltserlaubnis ist für den Zugang zum Arbeitsmarkt wichtig), oder durch die anhaltende Wirtschaftskrise, die Sprachbarriere, oder die geografische Abgelegenheit der Unterbringungszentren usw. (AIDA 4.2019).

Es gibt Berichte über Diskriminierung und Ausbeutung von Migranten durch Arbeitgeber. Die hohe Arbeitslosigkeit schmälert die Chancen von Migranten auf legale Anstellung (USDOS 13.3.2019).

Quellen:

?        AIDA - Asylum Information Database (4.2019): Association for Legal Studies on Immigration (ASGI) / European Council on Refugees and Exiles (ECRE): Country Report: Italy, http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_it_2017update.pdf, Zugriff 19.9.2019

?        SFH – Schweizerische Flüchtlingshilfe (8.5.2019): Aktuelle Situation für Asylsuchende in Italien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2008993/190508-auskunft-italien.pdf, Zugriff 25.9.2019

?        USDOS – US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Italy, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004308.html, Zugriff 23.9.2019

?        VB des BM.I Italien (19.2.2019): Bericht des VB, per E-Mail

4.1.    Unterbringung

Grundsätzlich sind bedürftige Fremde zur Unterbringung in Italien berechtigt, sobald sie den Willen erkennbar machen, um Asyl ansuchen zu wollen. Das Unterbringungsrecht gilt bis zur erstinstanzlichen Entscheidung bzw. dem Ende der Rechtsmittelfrist. Bei Rechtsmitteln mit automatischer aufschiebender Wirkung besteht das Unterbringungsrecht auch bis zur Entscheidung des Gerichts. Bei Rechtsmitteln ohne automatische aufschiebende Wirkung kann diese vom Gericht zuerkannt werden und in einen solchen Fall besteht auch das Unterbringungsrecht weiter. Seit Ende 2018 haben einige Rechtsmittel keine aufschiebende Wirkung mehr. Gemäß der Praxis in den Vorjahren erfolgt der tatsächliche Zugang zur Unterbringung erst mit der formellen Registrierung des Antrags (verbalizzazione), die bis zu einige Monate nach der Antragstellung stattfinden kann, abhängig von Region und Antragszahlen. In dieser Zeit müssen Betroffene alternative Unterbringungsmöglichkeiten finden, was problematisch sein kann. Zum Ausmaß dieses Phänomens gibt es allerdings keine statistischen Zahlen. Betroffene Asylwerber ohne ausreichende Geldmittel sind daher auf Freunde oder Notunterkünfte angewiesen, oder es droht ihnen Obdachlosigkeit. In ganz Italien gibt es auch informelle Siedlungen oder besetzte Häuser, in denen Fremde leben, unter ihnen Asylwerber und Schutzberechtigte (AIDA 4.2019).

Das offizielle italienische Unterbringungssystem für erwachsene Asylwerber stellt sich folgendermaßen dar:

CPSA (Centri di primo soccorso e accoglienza) / Hotspots

Es handelt sich dabei um Zentren an den Hauptanlandungspunkten der Migranten, die über das Mittelmeer nach Italien kommen. Die CPSA wurden 2006 gegründet und fungieren seit 2016 formell als “Hotspots” (gemäß dem sogenannten “Hotspot-approach” der Europäischen Kommission). Diese dienen der raschen erkennungsdienstlichen Behandlung, Trennung von Asylwerbern und Migranten und ihrer entsprechenden weiteren Behandlung. Ende 2018 gab es in Italien vier Hotspots in Apulien (Taranto) und Sizilien (Lampedusa, Pozzalo, Messina), die zusammen 453 Migranten beherbergten. Zu Identifikationszwecken werden Migranten in den Hotspots oft wochenlang festgehalten, was Kritiker als ungesetzlich bezeichnen (AIDA 4.2019).

Erstaufnahme

Diese soll in den bereits existierenden Zentren (Centri d’accoglienza richiedenti asilo, CARA und Centri di accoglienza, CDA) und in neu festzulegenden Einrichtungen umgesetzt werden. Die Zentren sind meist groß, geografisch isoliert und der Standard der Unterbringungsbedingungen schwankt zum Teil erheblich. Derzeit gibt es 14 Erstaufnahmezentren, aber Anfang 2019 hat das Innenministerium verlautbart, die großen Zentren schließen und durch kleinere ersetzen zu wollen, weil diese leichter zu kontrollieren seien. Im Falle von Platzmangel kann auch auf temporäre Strukturen (Centri di accoglienza straordinaria, CAS) zurückgegriffen werden, das sind Notunterkünfte der Präfekturen. Die Unterbringung in einem CAS soll so kurz als möglich dauern, bis zur Unterbringung des Betreffenden in einem Erstaufnahmezentrum. Doch es gibt derzeit über 9.000 CAS in ganz Italien und sie bilden damit die Mehrheit der im Land verfügbaren Unterbringungsplätze. Auch in den CAS ist der Unterbringungsstandard stark von der betreibenden Präfektur abhängig. In der Vergangenheit wurden einige CAS stark für die dortigen Zustände kritisiert. In Zukunft sollen die Ende 2018 veröffentlichten amtlichen Ausschreibungsvorgaben für Unterbringungseinrichtungen die Standards für die Unterbringung im gesamten Land vereinheitlichen (AIDA 4.2019).

Die Erstaufnahmezentren müssen seit Oktober 2018 alle Asylsuchenden, einschliesslich Vulnerabler, mit Ausnahme von UMA, aufnehmen. Die Aufnahmezentren der ersten Stufe haben infolge der neuen Vorschriften für das öffentliche Auftragswesen mit erheblichen Budgetkürzungen zu kämpfen. Diese Kürzungen führen zu einer Verringerung des Personalbestands und somit einer Verschlechterung der Betreuung der Asylsuchenden (SFH 8.5.2019).

Die Integration der Asylsuchenden beginnt erst nach Zuerkennung eines Schutztitels und Verlegung in ein SIPROIMI. Die Erstaufnahmeeinrichtungen bieten keine Integrationsprojekte, wie Berufsorientierung, etc. (AIDA 4.2019).

(Für Informationen zu SIPROIMI siehe Abschnitt 7. “Schutzberechtigte”, Anm.)

Private Unterbringung / NGOs

Außerhalb der staatlichen Strukturen existiert noch ein Netzwerk privater Unterbringungsmöglichkeiten, betrieben von karitativen Organisationen bzw. Kirchen. Ihre Zahl ist schwierig festzumachen. Interessant sind sie speziell in Notfällen oder als Integrationsmittel. Im April 2017 beherbergten außerdem über 500 Familien in Italien einen Fremden. In einer Initiative der Caritas waren im Mai 2017 rund 500 weitere Migranten privat untergebracht (AIDA 4.2019).

Im Feber 2018 waren in ganz Italien geschätzt mindestens 10.000 Personen von der Unterbringung faktisch ausgeschlossen, darunter Asylwerber und Schutzberechtigte. Sie leben nicht selten in besetzen Gebäuden, von denen mittlerweile durch Involvierung von Regionen oder Gemeinden aber auch viele legalisiert wurden (MSF 8.2.2018). Informelle Siedlungen gibt es im ganzen Land, wenn auch Ende 2018 einige von den Behörden geräumt wurden (AIDA 4.2019). Auch Vertreter von UNHCR, IOM und anderer humanitärer Organisationen und NGOs, berichteten über tausende von legalen und illegalen Migranten und Flüchtlingen, die in verlassenen Gebäuden und in unzulänglichen und überfüllten Einrichtungen in Rom und anderen Großstädten leben und nur eingeschränkten Zugang zu medizinischer Versorgung, Rechtsberatung, Bildung und anderen öffentlichen Dienstleistungen haben (USDOS 13.3.2019).

Mit Stand 30.9.2019 befanden sich in Italien 99.599 Migranten in staatlicher Unterbringung (VB 30.9.2019).

CPR (Centri di Permanenza per il Rimpatrio)

Italien verfügt außerdem über sieben Schubhaftzentrum (CPR) mit zusammen 751 Plätzen. Unbegleitete Minderjährige und Vulnerable dürfen nicht in CPR untergebracht werden, Familien hingegen schon. In der Praxis werden aber nur sehr selten Kinder in CPR untergebracht. Wenn Migranten in den Hotspots die Abgabe von Fingerabdrücken verweigern, können sie zu Identifikationszwecken für max. 180 Tage in CPR inhaftiert werden (AIDA 4.2019).

Quellen:

?        AIDA - Asylum Information Database (4.2019): Association for Legal Studies on Immigration (ASGI) / European Council on Refugees and Exiles (ECRE): Country Report: Italy, http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_it_2017update.pdf, Zugriff 19.9.2019

?        MSF – Médecins Sans Frontières (8.2.2018): “Out of sight” – Second edition, https://www.ecoi.net/de/dokument/1424506.html, Zugriff 8.10.2019

?        USDOS – US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Italy, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004308.html, Zugriff 23.9.2019

?        SFH – Schweizerische Flüchtlingshilfe (8.5.2019): Aktuelle Situation für Asylsuchende in Italien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2008993/190508-auskunft-italien.pdf, Zugriff 25.9.2019

?        VB des BM.I Italien (30.9.2019): Bericht des VB, per E-Mail

?        VB des BM.I Italien (19.2.2019): Bericht des VB, per E-Mail

4.2.    Dublin-Rückkehrer

Mit der Einführung von Gesetzesdekret Nr. 113 vom 4.10.2018 (in Verbindung mit dem Umwandlungsgesetz Nr. 132 vom 1.12.2018; auch als „Salvini-Dekret“ bzw. „Salvini-Gesetz“ bekannt) wird festgelegt, dass die Erstaufnahmeeinrichtungen („prima accoglienza“), welche CAS und CARA ersetzen sollen, ausdrücklich auch die reguläre Unterbringungsmöglichkeit für Dublin-Rückkehrer sind (VB 19.2.2019), da für Asylwerber kein Zugang zu den Zentren der zweiten Stufe (SIPROIMI-Zentren) vorgesehen ist (AIDA 4.2019).

Im Sinne des Tarakhel-Urteils stellte Italien im Februar 2015 in einem Rundbrief eine Liste von Einrichtungen zur Verfügung, welche für die Unterbringung von Familien geeignet sind, welche als Dublin-Rückkehrer nach Italien kommen. Im Sinne der neuen Rechtslage im Land hat Italien am 8. Jänner 2019 einen neuen Rundbrief versendet und auf die geänderten Gegebenheiten reagiert. Es wird darin bestätigt, dass in Übereinstimmung mit dem neuen Gesetz 132/2018, gemäß der Dublin-VO rücküberstellte Antragsteller nicht in SIPROIMI, sondern im Rahmen der Erstaufnahme (s.o.) untergebracht werden. Italien garantiert, dass diese Zentren dafür geeignet sein werden, um alle Arten von Betroffenen zu betreuen und die Einhaltung ihrer Grundrechte zu gewährleisten, vor allem die Familieneinheit und den Schutz Minderjähriger (MdI 8.1.2019; vgl. AIDA 4.2019).

Genauer sollen Dublin-Rückkehrer, die bereits einen Asylantrag in Italien gestellt hatten, bevor sie das Land verließen, vom Flughafen in die Provinz der Antragstellung überstellt werden. Dublin-Rückkehrer, die noch keinen Asylantrag in Italien gestellt haben, sind in der Provinz des Ankunftsflughafens unterzubringen. Die Familieneinheit sollte dabei immer gewahrt bleiben. (AIDA 4.2019).

Bezüglich des Verlustes des Rechtes auf Unterbringung gelten noch immer die Regeln aus dem Dekret 142/2015: Verlässt eine Person unerlaubt eine staatliche Unterbringung, so wird von einer freiwilligen Abreise ausgegangen und sie verliert das Recht auf Unterbringung. Dies gilt auch nach einer Dublin-Rückkehr (SFH 8.5.2019). Die Präfektur kann eine neuerliche Unterbringung verweigern (AIDA 4.2019). Solche Personen sind gegebenenfalls auf private oder karitative Unterbringungsmöglichkeiten bzw. Obdachlosenunterkünfte angewiesen. Hat der Rückkehrer vor der Weiterreise kein Asylgesuch in Italien gestellt und tut dies erst nach der Rückkehr, besteht das Recht auf Unterbringung ohne Einschränkung. Da sich die formelle Einbringung des Antrags aber oftmals über Wochen verzögern kann, kann bis zur Unterbringung eine entsprechende Lücke entstehen (SFH 8.5.2019; vgl. AIDA 4.2019).

Quellen:

?        AIDA - Asylum Information Database (4.2019): Association for Legal Studies on Immigration (ASGI) / European Council on Refugees and Exiles (ECRE): Country Report: Italy, http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_it_2017update.pdf, Zugriff 29.8.2019

?        MdI – Ministero dell‘Interno (8.1.2019): Circular Letter, per E-Mail

?        SFH – Schweizerische Flüchtlingshilfe (8.5.2019): Aktuelle Situation für Asylsuchende in Italien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2008993/190508-auskunft-italien.pdf, Zugriff 25.9.2019

?        VB des BM.I Italien (19.2.2019): Bericht des VB, per E-Mail

4.3.    Medizinische Versorgung

Mit Einführung von Gesetzesdekret Nr. 113 vom 4.10.2018 (in Verbindung mit dem Umwandlungsgesetz Nr. 132 vom 1.12.2018; auch als „Salvini-Dekret“ bzw. „Salvini-Gesetz“ bekannt) ist die medizinische Versorgung von Asylwerbern weiterhin gewährleistet. Es wurde oft kritisiert, dass durch das neue Gesetz Asylwerber von der medizinischen Versorgung abgeschnitten würden, weil deren Registrierung bei den Gemeinden („residenza“) nicht mehr vorgesehen ist. Letzteres ist grundsätzlich richtig, allerdings unterscheidet Italien beim „Wohnsitz“ zwischen „residenza“ und „domicilio“ (VB 19.2.2019). Nach der neuen Rechtslage ist die Einschreibung beim Nationalen Gesundheitsdienst für Asylwerber auf Basis des „domicilio“ garantiert (CILD 1.2.2019), welcher üblicherweise im Aufnahmezentrum liegt. Somit ist auch für Asylwerber weiterhin die Ausstellung einer Gesundheitskarte („tessera sanitaria“) möglich, mit welcher sie Zugang zu den medizinischen Leistungen erhalten. Zusätzlich sind in den Erstaufnahmezentren Ärzte beschäftigt, die neben medizinischen Erstuntersuchungen und Notfallmaßnahmen auch die nationalen Gesundheitsdienste entlasten sollen. Der Zugang zu medizinischer Notversorgung in öffentlichen Spitälern bleibt weiterhin bestehen, auch für illegale Migranten (VB 19.2.2019).

Asylwerber und Personen mit einem Schutzstatus in Italien müssen sich beim italienischen nationalen Gesundheitsdienst registrieren und haben dann in Bezug auf medizinische Versorgung dieselben Rechte und Pflichten wie italienische Staatsbürger. Das gilt unabhängig davon, ob sie staatliche Versorgung genießen oder nicht. Das Recht auf medizinische Versorgung entsteht formell im Moment der Registrierung eines Asylantrags, wobei es aber in der Praxis in einigen Regionen bis zu einigen Monaten Verzögerung kommen kann (AIDA 4.2019), weil bei bestimmten Quästuren die Zuweisung des Steuer-Codes (codice fiscale), die im Zuge der Formalisierung des Asylantrags erfolgt und für den Zugang zur medizinischen Versorgung wichtig ist, länger dauert. Bis dahin haben die betroffenen Asylsuchenden nur Zugang zu medizinischen Basisleistungen wie etwa einer Notfallversorgung, wie sie gemäß Artikel 35 des Einwanderungsgesetzes (TUI) auch illegalen Migranten zusteht. Die Anmeldung beim italienischen nationalen Gesundheitsdienst erfolgt im zuständigen Büro des lokalen Gesundheitsdienstes (Azienda sanitaria locale, ASL), in der Gemeinde, in der der Asylwerber seinen Wohnsitz (domicilio) hat. Im Zuge der Registrierung wird eine europäische Gesundheitskarte (tessera europea di assicurazione malattia) ausgestellt. Die Registrierung berechtigt zu folgenden Leistungen: freie Wahl eines Hausarztes bzw. Kinderarztes (kostenlose Arztbesuche, Hausbesuche, Rezepte, usw.); Geburtshilfe und gynäkologische Betreuung bei der Familienberatung (consultorio familiare) ohne allgemeinärztliche Überweisung; kostenlose Aufenthalte in öffentlichen Krankenhäusern. Das Recht auf medizinische Versorgung sollte im Rahmen der Erneuerung der Aufenthaltserlaubnis nicht erlöschen. Wenn die Aufenthaltserlaubnis abgelaufen ist, besteht keine Garantie auf Zugang zu nicht notwendiger medizinischer Versorgung bis zur Erneuerung derselben, was aufgrund bürokratischer Verzögerungen einige Zeit dauern kann. Wenn Asylwerber keine Wohnsitzmeldung (domicilio) vorweisen können, erhalten sie auch keine Gesundheitskarte. Eines der größten Hindernisse für den Zugang zu Gesundheitsdiensten ist jedoch die Sprachbarriere (AIDA 4.2019).

Asylwerber können sich auf Basis einer Eigendeklaration bei den ASL als bedürftig registrieren lassen. Sie werden dann arbeitslosen Staatsbürgern gleichgestellt und müssen keine Praxisgebühr („Ticket“) bezahlen. Die Befreiung gilt zunächst für zwei Monate ab Asylantragstellung (da in diesem Zeitraum kein Zugang zum Arbeitsmarkt besteht). Um die Ticket-Befreiung danach beizubehalten, müssen sich die AW offiziell arbeitslos melden. Laut Gesetz ist die Ticket-Befreiung auch bei niedrigem Einkommen möglich, doch durch die neue Rechtslage mit Gesetz 132/2018 kommen Asylwerber mit niedrigem Einkommen nicht in diesen Genuss, da ihnen entsprechende Bestätigungen aufgrund mangelnder verwaltungsinterner Anweisungen nicht ausgestellt werden (AIDA 4.2019).

Asylwerber mit psychischen Problemen und Folteropfer haben dasselbe Recht auf Zugang zu medizinischer Versorgung wie italienische Bürger. In der Praxis haben sie die Möglichkeit, von speziellen Leistungen des nationalen Gesundheitsdienstes, spezialisierter NGOs oder privater Stellen zu profitieren. Die NGOs ASGI und Ärzte ohne Grenzen betreiben in Rom seit April 2016 ein Zentrum zur Identifikation und Rehabilitation von Folteropfern. ASGI arbeitet auch mit anderen Institutionen zusammen und beobachtet die Einhaltung der verfassungsmäßigen Rechte der Migranten auf medizinische Versorgung (AIDA 4.2019).

Bei den Gesundheitsdienstleistungen in den Zentren sehen die neuen Ausschreibungskriterien in Aufnahmezentren mit bis zu 50 Plätzen durchschnittlich nur noch vier Stunden ärztliche Betreuung pro Person und Jahr vor, Pflegepersonal ist in diesen Zentren keines mehr vorgesehen. In großen Zentren (bis zu 300 Plätzen) muss ein Arzt nur noch 24 Stunden pro Woche statt wie bisher rund um die Uhr anwesend sein. Für die Zentren ist keine Unterstützung durch interne Psychologen/Psychiater mehr vorgesehen. Die soziale Unterstützung für Zentren mit bis zu 50 Plätzen wurde auf sechs Stunden pro Woche reduziert, jene für Zentren mit bis zu 300 Plätzen auf 24 Stunden pro Woche (SFH 8.5.2019).

MedCOI bearbeitet grundsätzlich keine medizinischen Anfragen zu EU-Mitgliedsstaaten, da die medizinischen Mitarbeiter von MedCOI (Ärzte) davon ausgehen, dass medizinische Behandlungsmöglichkeiten in der EU generell in ausreichendem Maße verfügbar sind. Ausnahmen von dieser Regel sind nur in sehr spezifischen Einzelfällen möglich (MedCOI 14.12.2016).

Quellen:

?        AIDA - Asylum Information Database (4.2019): Association for Legal Studies on Immigration (ASGI) / European Council on Refugees and Exiles (ECRE): Country Report: Italy, http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_it_2017update.pdf, Zugriff 19.9.2019

?        CILD - Coalizione Italiana Libertà e Diritti Civili (1.2.2019): ANAGRAFE E DIRITTI: COSA CAMBIA COL DECRETO SALVINI. Know Your Rights, https://immigrazione.it/docs/2019/know-your-rights.pdf, Zugriff 26.2.2018

?        MedCOI – Medical Country of Origin Information (14.12.2016): Auskunft MedCOI, per E-Mail

?        SFH – Schweizerische Flüchtlingshilfe (8.5.2019): Aktuelle Situation für Asylsuchende in Italien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2008993/190508-auskunft-italien.pdf, Zugriff 25.9.2019

?        VB des BM.I Italien (19.2.2019): Bericht des VB, per E-Mail

Zusammengefasst wurde festgehalten, dass die Identität des Beschwerdeführers nicht feststehe. Dieser sei volljährig und gesund. Es könne nicht festgestellt werden, dass schwere psychische Störungen oder schwere Erkrankungen vorliegen würden. Derzeit herrsche weltweit die als COVID-19 bezeichnete Pandemie. COVID-19 werde durch das Corona-Virus SARS-COV-2 verursacht. In Italien seien bisher 238.833Fälle nachgewiesen worden, wobei bisher 34.675 diesbezügliche Todesfälle bestätigt worden seien (http://voronavirus.jhu.edu/map.htlm, abgerufen am 24.06.2020). Man gehe von einer Sterblichkeitsrate von 1 bis 3 % aus, wobei v.a. alte Menschen und immungeschwächte Personen betroffen seien. Nach dem aktuellen Stand verlauf die Viruserkrankung bei ca. 80% der Betroffenen leicht und bei ca. 15 % der Betroffenen schwerer, wenn auch nicht lebensbedrohlich. Bei ca. 5% der Betroffenen verlaufe die Viruserkrankung so schwer, dass Lebensgefahr gegeben sei und intensivmedizinische Behandlungsmaßnahmen notwendig seien. Diese sehr schweren Krankheitsverläufe würden am häufigsten in den Risikogruppen der älteren Personen und der Personen mit Vorerkrankungen (wie z.B. Diabetes, Herzkrankheiten und Bluthochdruck) auftreten. Der Beschwerdeführer habe am 24.11.2016 in Italien um Asyl angesucht; Italien habe der Wiederaufnahme des Beschwerdeführers nach Art 18 Abs 1 lit d Dublin III-VO ausdrücklich zugestimmt. In Österreich befänden sich die Gattin nach traditionellem Recht, eine österreichische Staatsangehörige, sowie die gemeinsame Tochter mit dem Beschwerdeführer. Überdies befänden sich noch drei Kinder der Gattin aus einer Vorbeziehung hier und würden bei dieser im Haushalt leben. Mit den angeführten Verwandten lebe der Beschwerdeführer zwar derzeit in einem gemeinsamen Haushalt; ein solcher habe jedoch vor der illegalen Einreise des Beschwerdeführers nach Österreich nicht bestanden. Besuche in Italien haben im Zuge von Urlauben der Frau des Beschwerdeführers stattgefunden. Es bestünde weder ein finanzielles noch ein sonstiges Abhängigkeitsverhältnis. Die Lebensgefährtin des Beschwerdeführers habe auch schon bisher als Krankenschwester für sich und ihre Kinder sorgen können; der Beschwerdeführer habe in Italien Arbeit gehabt. Nach der „Eheschließung“ habe sich der Beschwerdeführer noch 2 Jahre in Italien aufgehalten, bevor er nach Österreich gekommen sei. Warum der Genannte nicht früher nach Österreich gekommen sei, habe dieser nicht nachvollziehbar erklären können. Weitere verwandtschaftliche oder familiäre Anknüpfungspunkte des Beschwerdeführers bestünden in Österreich nicht. Eine besondere Integrationsverfestigung bestehe nicht. Besuche der Frau und der Kinder in Italien seien wie bisher auch weiterhin möglich, sodass die Beziehung aufrechterhalten werden könne. Dies sei auch via Telefon und Internet möglich und auch zumutbar. Eine Überstellung stelle daher keinen Eingriff in das Familienleben des Beschwerdeführers dar. Die Berücksichtigung des Kindeswohls gehe nicht so weit, dass sich der Beschwerdeführer im Wissen um seinen unsicheren Aufenthalt den bevorzugten Mitgliedstaat quasi frei wählen könne. Es sei auf die Verfahren nach dem NAG zu verweisen. Es könne nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer in Italien systematischen Misshandlungen bzw Verfolgungen ausgesetzt gewesen sei oder diese dort zu erwarten hätte. Der Beschwerdeführer sei nicht als besonders vulnerabel anzusehen. Er sei 41 Jahr alt und habe keine Vorerkrankungen, weshalb er nicht zur Covid-Risikogruppe gehöre. Aus medizinischer Sicht spreche nichts gegen eine Rücküberstellung nach Italien.

Die Feststellungen zur Pandemie würden sich aus dem Amtswissen und die konkreten Daten aus den Angaben der Johns Hopkins Universität in Baltimore, USA, ergeben, welche ausführlich Daten rund um die Pandemie sammle und auswerte. Die Feststellungen zum Virus SARS-Cov-2 würden sich aus den vom BM für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz als oberste Gesundheitsbehörde veröffentlichten Informationen ergeben. Es sei notorisch, dass die Mitgliedstaaten allesamt – wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß – vom Ausbruch der Pandemie betroffen seien und hier vor großen Herausforderungen im Gesundheitssystem stünden. Diesbezüglich würden in den einzelnen Ländern tagesaktuell entsprechende Maßnahmen gesetzt (beispielsweise die Verhängung von Ausgangsbeschränkungen und Quarantänemaßnahmen sowie teilweise die Vornahme von Grenzschließungen und Einschränkungen im Personen- und Warenverkehr), welche die Ausbreitung von COVID-19 hintanhalten und gleichzeitig die medizinische Versorgung der Bevölkerung – seien es nun eigene Staatsbürger oder dort ansässige Fremde – möglichst sicherstellen sollten. Für den hier gegenständlichen Anwendungsbereich der Dublin III-VO bedeute dies konkret, dass zahlreiche Mitgliedstaaten die Durchführung von Überstellungen temporär ausgesetzt hätten respektive keine sog. Dublin-Rückkehrer übernehmen würden, wobei die Mitgliedstaaten aufgrund der dynamischen Entwicklung der Situation in engem Austausch miteinander stünden, ebenso mit der Europäischen Kommission. Es sei davon auszugehen, dass Überstellungen erst dann wieder durchgeführt werden würden, wenn sich die Lage entspanne, sich die einzelnen Mitgliedstaaten wieder dazu im Stand sehen würden, die von ihnen übernommenen sog. Dublin-Rückkehrer potentiell auch medizinisch zu versorgen und insofern insgesamt eine Situation eintrete, die mit jener vor Ausbruch der Pandemie vergleichbar sei. Die skizzierten bestehenden Überstellungshindernisse seien aus heutiger Sicht – aller Wahrscheinlichkeit nach – zeitlich begrenzt; es sei davon auszugehen, dass Reisebewegungen jedenfalls in der Maximalfrist der Verordnung (vgl die in Art 29 Dublin III-VO geregelte grundsätzlich sechsmonatige Überstellungsfrist) wiederaufgenommen werden könnten. Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen sei die Heranziehung der Länderfeststellungen zu Italien hinreichend; einerseits aufgrund der Annahme, dass dann – und nur dann – Überstellungen durchgeführt würden, wenn Italien – entsprechend seiner unionsrechtlichen Verpflichtungen, deren durchgehende Einhaltung bis zum Beweis des Gegenteils vorausgesetzt werden könne – für die Einhaltung der einschlägigen asyl- und fremdenrechtlichen Standards garantieren könne und die Länderfeststellungen insofern wieder volle Gültigkeit hätten, und andererseits aufgrund des Umstandes, dass es sich beim Beschwerdeführer nicht um eine besonders vulnerable Person handle und keine Anzeichen dafür vorliegen würden, dass dieser aktuell im besonderen Maße auf eine medizinische Versorgung angewiesen wäre. Aus den Angaben des Beschwerdeführers seien keine stichhaltigen Gründe für die Annahme glaubhaft gemacht worden, dass dieser tatsächlich konkret Gefahr liefe, in Italien Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden oder dass diesem eine Verletzung seiner durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte dadurch drohen könnte. Zum Vorbringen des Beschwerdeführers sei festzuhalten, dass sich Asylwerber im Zuge der Feststellung des für das Asylverfahren zuständigen Dublin-Staates nicht jenen Mitgliedstaat aussuchen könnten, in dem sie die bestmögliche Unterbringung und Versorgung erwarten könnten. Eine Schutzverweigerung Italien sei nicht zu erwarten, zumal es eine ausdrückliche Zustimmung Italiens zur Wiederaufnahme des Beschwerdeführers gebe. Mangels Anhaltspunkten für eine Integrationsverfestigung in Österreich sei davon auszugehen, dass die Anordnung der Außerlandesbringung nicht zu einer relevanten Verletzung der Dublin III-VO sowie von Art. 7 GRC bzw. Art. 8 EMRK führe und die Zurückweisungsentscheidung daher unter diesen Aspekten zulässig sei. Im Hinblick auf die derzeit bestehende Pandemie aufgrund des Corona-Virus sei festzuhalten, dass der Beschwerdeführer aktuell 41 Jahre alt sei und an keinen schwerwiegenden Erkrankungen leide, womit dieser nicht unter die Risikogruppe der älteren Personen und Personen mit Vorerkrankungen falle. Ein bei Überstellung nach Italien vorliegende individuelles „real risk“ einer Verletzung des Art 3 EMRK sei somit hier nicht erkennbar. Zudem sei – losgelöst von der individuellen Situation des Beschwerdeführers – auf die beweiswürdigenden Erwägungen zu verweisen, wonach die aktuelle Corona-Pandemie – unter Beachtung der maximalen Überstellungsfrist von 6 Monaten aus der Dublin III-VO als Schranke – zurzeit kein generelles Überstellungshindernis bezogen auf eben diese unionsrechtlich vorgesehene Zeitspanne und insofern auch keine Notwendigkeit tagesaktueller Ermittlungen in jedem Fall auszulösen vermöge. Gegenständlich bestünde daher im Kontext eines Eilverfahrens zur Rückführung in den zuständigen Mitgliedstaat unmittelbare Entscheidungspflicht der Behörde und widerspräche etwa eine Zurückverweisung hier offenkundig dem Unionsrecht. Eine Anordnung zur Außerlandesbringung habe gemäß § 61 Abs 2 FPG zur Folge, dass die Abschiebung in den Zielstaat zulässig sei. Die aktuelle COVID-19-Pandemie erfordere nicht sie Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung. Eine Epidemie im Herkunftsstaat eines Fremden sei zwar grundsätzlich unter dem Aspekt des Art 3 EMRK beachtlich. Da es sich aber eben nicht nur um eine Epidemie im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers, sondern um eine Pandemie handle, sei das allgemeine Lebensrisiko am Erreger SARS-CoV-2 zu erkranken, weltweit, dh sowohl im Herkunftsstaat als auch in Österreich erhöht. Dazu komme noch, dass das individuelle Risiko des Beschwerdeführers, an SARS-CoV-2 schwer oder gar tödlich zu erkranken, sehr niedrig sei. Das Risiko eines derartig schweren Verlaufs der Erkrankung sei nämlich bei jungen, nicht immungeschwächten Menschen viel geringer, als bei Menschen aus Risikogruppen (alte und immungeschwächte Menschen). Auch wenn nicht ausgeschlossen werden könne, dass sich der Beschwerdeführer in seinem Herkunftsstaat mit dem Erreger CARS-CoV-2 infiziere – was aber auch für den Fall des Verbleibs des Beschwerdeführers in Österreich gelten würde – sei das Risiko eines schweren oder gar tödlichen Verlaufs der Erkrankung äußerst gering. Ein „real risk“ einer Verletzung des Art 3 EMRK drohe dem Beschwerdeführer in seinem Herkunftsstaat aufgrund der COVID-19-Pandemie daher nicht. Die Regelvermutung des § 5 Abs. 3 AsylG habe bei Abwägung aller Umstände nicht erschüttert werden können. Es habe sich kein zwingender Anlass für die Ausübung des Selbsteintrittsrechts ergeben.

Am 07.07.2020 langte fristgerecht eine von der gewillkürten Rechtsvertreterin verfasste Beschwerde beim Bundesamt ein. Darin wird zusammengefasst ausgeführt, dass evident sei, dass der Beschwerdeführer mit seiner Frau, welche österreichische Staatsbürgerin sei, seit der Geburt der gemeinsamen Tochter zusammenlebe. Der Beschwerdeführer lebe mit seiner Frau und seinem Kind im gemeinsamen Haushalt. Da der Beschwerdeführer keine Arbeitserlaubnis habe, sei er von seiner Frau finanziell abhängig. Im Gegenzug führe der Genannte den Haushalt, kümmere sich um die Kindererziehung und unterstütze seine Frau bei sämtlichen täglichen Angelegenheiten wie Einkauf etc. Ohne dessen Mitwirkung würde seine Frau den Alltag nicht bewältigen können. Die angesprochene Frau des Beschwerdeführers habe aus einer früheren Beziehung noch drei mj Kinder mitgebracht. Nach Ende der Karenz beabsichtige die Frau ihre Vollzeittätigkeit im Gesundheitsbereich wieder aufzunehmen. Nach dem Gesagten ist vom Vorliegen eines Familienlebens auszugehen. Der Beschwerdeführer habe bereits eine intensive und enge Beziehung mit seiner Tochter aufgebaut. Die im Bescheid getroffene Feststellung, dass der Beschwerdeführer mit seiner Frau und seiner Tochter nicht im gemeinsamen Haushalt lebe, sei nachweislich unrichtig. Inwieweit keine Abhängigkeit zueinander bestehe und auch keine besondere Beziehungsintensität vorliege, habe die Behörde3 nicht darzulegen vermocht. Der Beschwerdeführer sei für seine Tochter gemeinsam mit seiner Frau obsorgeberechtigt. Weder dem Beschwerdeführer noch dessen Gattin sei es zumutbar, im Sinne eines regelmäßigen Kontaktrechts von Österreich nach Italien zu reisen. Es sei von immenser Bedeutung, dass ein Kind bei Vater und Mutter aufwachse. Auch dieser Umstand sei nicht entsprechend berücksichtigt worden. Gerade vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie kann es den Familienmitgliedern nicht zugemutet werden, regelmäßig nach Italien zu reisen. Unklar sei, ob es zu erneuten Reisebeschränkungen kommen werde. Ein telefonische oder ein via Internet erfolgender Kontakt könne einen persönlichen Kontakt nicht ersetzen. Der Beschwerdeführer sei unbescholten, lerne Deutsch und nehme keine Leistungen aus der Grundversorgung in Anspruch. Sein Lebensmittelpunkt sei Österreich. In Italien dagegen habe der Beschwerdeführer weder einen Freundes- noch einen Familienkreis. Er müsse sich in Italien nach einer Überstellung einen vollkommen neuen Lebensmittelpunkt (Wohnung, Arbeit etc) schaffen. Der Beschwerde sei aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

Aus einem im Akt erliegenden Bescheid einer Bezirkshauptmannschaft vom 10.07.2020 ergibt sich, dass der am 09.07.2020 vom Beschwerdeführer eingebrachte Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Familienangehöriger“ gem § 47 NAG zurückgewiesen wurde.

Am 28.08.2020 wurde der Beschwerdeführer auf dem Luftweg nach Italien überstellt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Beschwerdeführer, ein volljähriger Staatsangehöriger aus Nigeria, reiste von Libyen kommend über Italien in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten ein und hat das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten zwischenzeitig auch nicht wieder verlassen.

Laut der vorliegenden EURODAC-Treffermeldung suchte der Beschwerdeführer am 24.11.2016 in Italien um Asyl an (IT1 …). Nach seinen eigenen Angaben erhielt er in Italien eine negative Entscheidung.

In weiterer Folge begab sich der Beschwerdeführer illegal in das Bundesgebiet und stellte hier am 02.03.2020 den vorliegenden Antrag auf internationalen Schutz.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl richtete am 04.03.2020 ein Wiederaufnahmegesuch gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. d Dublin III-VO an Italien. Mit Schreiben vom 17.03.2020 stimmte Italien der Wiederaufnahme des Beschwerdeführers nach der genannten Bestimmung ausdrücklich zu.

Das Bundesverwaltungsgericht schließt sich den oben wiedergegebenen Feststellungen des angefochtenen Bescheides zur Allgemeinsituation im Mitgliedstaat Italien an.

Konkrete, in der Person des Beschwerdeführers gelegene Gründe, welche für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung im zuständigen Mitgliedstaat sprechen, liegen nicht vor.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Überstellung nach Italien Gefahr liefe, einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe bzw. einer sonstigen konkreten individuellen Gefahr unterworfen zu werden.

Der Beschwerdeführer ist nicht lebensbedrohlich erkrankt; er leidet nicht an akuten Erkrankungen, die eine Überstellung nach Italien unzulässig machen würden. Nach eigenen Angaben ist er gesund. Die Überstellungsfähigkeit ist (war) gegeben. In Italien sind alle Krankheiten behandelbar und ist ausreichende medizinische Versorgung für Asylwerber gewährleistet, welche auch in der Praxis zugänglich ist.

Die aktuelle Situation hinsichtlich der Covid-19-Pandemie begründet keine Unmöglichkeit einer Rückkehr des Beschwerdeführers nach Italien. Bei Covid-19 handelt es sich um eine durch das Corona-Virus SARS-CoV-2 verursachte Viruserkrankung, die erstmals im Jahr 2019 in Wuhan/China festgestellt wurde und sich seither weltweit verbreitet. Nach dem aktuellen Stand verläuft die Viruserkrankung bei ca. 80% der Betroffenen leicht und bei ca. 15 % der Betroffenen schwerer, wenn auch nicht lebensbedrohlich. Bei ca. 5% der Betroffenen verläuft die Viruserkrankung so schwer, dass Lebensgefahr gegeben ist und intensivmedizinische Behandlungsmaßnahmen notwendig sind. Diese sehr schweren Krankheitsverläufe treten am häufigsten in den Risikogruppen der älteren Personen und der Personen mit Vorerkrankungen (wie z.B. Diabetes, Herzkrankheiten und Bluthochdruck) auf. Mit Stichtag 22.09.2020 hat es in Italien insgesamt 299.505 bestätigte Fälle von mit dem Corona-Virus infizierten Personen, 45.079 aktive Fälle, 218.703 genesene Fälle und 35.724 Todesfälle gegeben.

In Österreich befinden sich die Lebensgefährtin (Anm: Hochzeit nach traditionellem Ritus) des Beschwerdeführers sowie deren gemeinsame Tochter. Im selben Haushalt wie die Genannten wohnen auch noch drei mj Kinder der Lebensgefährtin des Beschwerdeführers aus einer früheren Beziehung. Die Lebensgefährtin und die gemeinsame Tochter sind österreichische Staatsbürger. Es besteht ein gemeinsames Obsorgerecht für das gemeinsame Kind. Es ist vom Vorliegen eines Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK auszugehen, in dessen Schutzbereich eingegriffen wurde (siehe auch unten).

Der Beschwerdeführer bezieht keine Leistungen aus der Grundversorgung.

Am 28.08.2020 wurde der Beschwerdeführer innerhalb offener Überstellungsfrist nach Italien überstellt.

2. Beweiswürdigung:

Die festgestellten Tatsachen hinsichtlich der illegalen Einreise des Beschwerdeführers in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten von Libyen kommend via Italien und der dortigen Asylantra

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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