TE Vwgh Erkenntnis 1997/9/12 95/19/1561

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Veröffentlicht am 12.09.1997
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §63 Abs5;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Puck und die Hofräte Dr. Zens und Dr. Schick als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Wildmann, über die Beschwerde der SB in 1100 Wien, W-Gasse 41/11, geboren 1954, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 3. Oktober 1995, Zl. 303.282/2-III/11/95, betreffend Zurückweisung einer Berufung in Angelegenheit einer Aufenthaltsbewilligung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund (Bundesministerium für Inneres) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.640,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid vom 2. Mai 1995 wies der Landeshauptmann von Wien den Antrag der Beschwerdeführerin auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung gemäß § 6 Abs. 2 des Aufenthaltsgesetzes (AufG) ab. Die gegen diesen Bescheid erhobene Berufung der Beschwerdeführerin wurde vom Bundesminister für Inneres mit Bescheid vom 3. Oktober 1995 gemäß § 66 Abs. 4 AVG zurückgewiesen.

Begründend führte der Bundesminister für Inneres aus, Berufungen seien gemäß § 63 Abs. 5 AVG binnen zwei Wochen nach erfolgter Zustellung einzubringen. Da die Zustellung rechtswirksam am 10. Mai 1995 erfolgt sei und die Berufung der Beschwerdeführerin erst am 26. Juni 1995 und daher verspätet eingebracht worden sei, sei spruchgemäß zu entscheiden gewesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit der Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden. Die Beschwerdeführerin erachtet sich durch den angefochtenen Bescheid in ihrem Recht auf Gewährung des Aufenthalts in Österreich gemäß den Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes und des Fremdengesetzes verletzt. Entgegen den Feststellungen der belangten Behörde sei der Bescheid des Amtes der Wiener Landesregierung (gemeint: des Landeshauptmannes von Wien) erst am 12. Juni 1995 beim ausgewiesenen Vertreter der Beschwerdeführerin eingelangt. Der Vertreter der Beschwerdeführerin habe bereits die Erteilung der Vollmacht mit Vollmachtsvorlage vom 21. März 1995 angezeigt und habe diese Vollmachtsvorlage rekommandiert am 23. März 1995 an das Amt der Wiener Landesregierung abgesendet. Die Behörde erster Instanz habe deshalb sehr wohl Kenntnis von der erteilten aufrechten Bevollmächtigung des ausgewiesenen Vertreters der Beschwerdeführerin gehabt. Die Bestellung eines Rechtsvertreters bewirke, daß die Behörde Verfahrenshandlungen gegen den Vertreter zu setzen habe. Diesem sei daher im Ermittlungsverfahren Gehör zu gewähren bzw. der Bescheid zuzustellen. Eine wirksame Zustellung sei deshalb erstmals an den Vertreter der Beschwerdeführerin am 12. Juni 1995 erfolgt. Unter Berücksichtigung dieser Zustellung sei die Berufung, welche rekommandiert am 26. Juni 1995 abgegangen sei, rechtzeitig gewesen. Bei richtiger Rechtsauffassung hätte die belangte Behörde die Berufung der Beschwerdeführerin nicht zurückweisen dürfen, sondern in der Sache entscheiden müssen.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und die Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde in dem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Dreiersenat erwogen:

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat die Berufungsbehörde grundsätzlich das Risiko einer Bescheidaufhebung zu tragen, wenn sie von der Feststellung der Versäumung der Rechtsmittelfrist ausgeht, diese Feststellung aber - wie im Beschwerdefall - dem Rechtsmittelwerber vor ihrer Entscheidung nicht vorgehalten hat (vgl. dazu die hg. Erkenntnisse vom 23. März 1988, Zl. 88/18/0048, vom 25. Juni 1992, Zl. 92/09/0156, vom 21. März 1994, Zl. 94/10/0010, sowie vom 28. Juni 1995, Zl. 95/21/0017). Zwar ist zuzugeben, daß der äußere Tatbestand (Rückschein) der belangten Behörde den Gedanken an eine Gesetzwidrigkeit des nach der Aktenlage am 9. Mai 1995 erfolgten ersten Zustellversuches nicht nahegelegt hat, doch hat die Berufungsbehörde die von ihr angenommene offenbare Verspätung des Rechtsmittels dem Berufungswerber vorzuhalten. Unterläßt sie dies, so kann der Berufungswerber ohne Verstoß gegen das Neuerungsverbot den Zustellmangel in seiner Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof dartun (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 23. März 1988, Zl. 88/18/0048, und die dort angegebene Rechtsprechung).

Die belangte Behörde hatte schon deswegen Grund zu Zweifeln an der Rechtmäßigkeit der ersten Zustellung am 9. Mai 1995, weil sich im Verwaltungsakt unmittelbar nach dem Rückschein über die Zustellung am 9. Mai 1995, auf den sich die belangte Behörde offensichtlich bezogen hat, noch ein weiterer Rückschein (vgl. Seite 62 des Verwaltungsaktes) befindet, der als Zustelladressaten die Beschwerdeführerin zu Handen von Rechtsanwalt Dr. Robert Wallentin und eine Übernahmsbestätigung vom 12. Juni 1995 ausweist. Weshalb diese zweite Zustellung veranlaßt worden war, ist aus dem Verwaltungsakt nicht ersichtlich. Schon der Umstand, daß unter der Annahme, erst die Zustellung am 12. Juni 1995 sei rechtmäßig erfolgt, eine Versäumung der Rechtsmittelfrist nicht vorgelegen wäre, hätte es jedoch nahegelegt, die Beschwerdeführerin zur Frage der Versäumung der Berufungsfrist einzuvernehmen. Hätte die belangte Behörde der Beschwerdeführerin ihre Annahme von der Verspätung des Rechtsmittels zur Kenntnis gebracht, wäre diese in die Lage versetzt worden darzutun, daß sie - wie in der Beschwerde vorgebracht wird - bereits vor dem erfolgten ersten Zustellversuch die Behörde von der Erteilung einer Zustellvollmacht für Rechtsanwalt Dr. Wallentin verständigt hatte. Falls dieses Vorbringen zutreffend gewesen wäre, wäre der Bescheid der Behörde erster Instanz gegenüber der Beschwerdeführerin erst mit Zustellung an ihren Vertreter, somit am 12. Juni 1995, erlassen worden. Die am 27. Juni 1995 im Amt der Wiener Landesregierung eingelangte Berufung der Beschwerdeführerin wäre dann, da rekommandiert am 26. Juni 1995 zur Post gegeben, rechtzeitig eingelangt gewesen.

Der belangten Behörde, die ihre Feststellung der Versäumung der Berufungsfrist der Beschwerdeführerin vor Erlassung des die Berufung zurückweisenden Bescheides nicht vorgehalten hat, ist damit ein Verfahrensfehler unterlaufen, bei dessen Vermeidung im Hinblick auf die Darlegungen der Beschwerde nicht ausgeschlossen werden kann, daß die Behörde zu einem anderen Bescheid gekommen wäre.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht im Rahmen des gestellten Begehrens auf den §§ 47 ff VwGG iVm Art. I der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Soweit Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zitiert wurden, die in der Amtlichen Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse dieses Gerichtshofes nicht veröffentlicht sind, wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1997:1995191561.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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