TE Bvwg Erkenntnis 2020/10/1 W261 2233422-1

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Veröffentlicht am 01.10.2020
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Entscheidungsdatum

01.10.2020

Norm

BBG §40
BBG §41
BBG §45
B-VG Art133 Abs4

Spruch

W261 2233422-1/4E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Karin GASTINGER, MAS als Vorsitzende und die Richterin Mag. Karin RETTENHABER-LAGLER sowie den fachkundigen Laienrichter Robert ARTHOFER als Beisitzerin und als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , vertreten durch Dr. Robert PALKA, Rechtsanwalt in 1010 Wien, gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Wien, vom 10.01.2020, betreffend die Abweisung des Antrages auf Ausstellung eines Behindertenpasses, zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I.       Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer stellte am 25.10.2019 einen Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses beim Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (auch Sozialministeriumservice, in der Folge belangte Behörde) und legte ein Konvolut an medizinische Befunden bei.

Die belangte Behörde holte zur Überprüfung des Antrages ein Sachverständigengutachten eines Arztes für Allgemeinmedizin ein. In dem auf Grundlage einer persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers am 26.11.2019 erstatteten Gutachten vom 08.12.2019 stellte der medizinische Sachverständige beim Beschwerdeführer die Funktionseinschränkungen chronisch lymphatische Leukämie, eine geringe Funktionsbehinderung im linken Schultergelenk und den Zustand nach Schienbeinkopfbruch links, und einen Gesamtgrad der Behinderung in Höhe von 40 von Hundert (in der Folge v.H.) fest.

Die belangte Behörde übermittelte dem Beschwerdeführer dieses Sachverständigengutachten mit Schreiben vom 09.12.2019 im Rahmen des Parteiengehörs und räumte diesem eine Frist zur Abgabe einer Stellungnahme ein. Der Beschwerdeführer gab keine Stellungnahme ab.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 16.01.2020 wies die belangte Behörde den Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses gemäß §§ 40, 41 und 45 Bundesbehindertengesetz (BBG) ab und stellte einen Grad der Behinderung in Höhe von 40 v.H. fest. Die belangte Behörde legte dem Bescheid das eingeholte Sachverständigengutachten in Kopie bei.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer, bevollmächtigt vertreten durch Dr. Robert PALKA, Rechtsanwalt in 1010 Wien, fristgerecht Beschwerde und brachte zusammengefasst vor, dass die Einschätzung des medizinischen Sachverständigen zu Unrecht erfolgt sei. Auch die Feststellung, dass dem Beschwerdeführer die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar sei, sei nicht nachzuvollziehen, zumal eine schwere Erkrankung des Immunsystems vorliege. Dies werde auch durch ein mit der Beschwerde vorgelegtes medizinisches Gutachten einer namentlich genannten Ärztin des AKH Wien bestätigt.

Die belangte Behörde holte zur Überprüfung des Beschwerdevorbringens ein Sachverständigengutachten aufgrund der Aktenlage einer Fachärztin für Innere Medizin vom 07.04.2020 ein. Die medizinische Sachverständige kam unter Berücksichtigung sämtlicher im Akt aufliegender medizinischen Befunde zum Ergebnis, dass der Beschwerdeführer an einer chronisch lymphatischen Leukämie, an geringen Funktionseinschränkungen des linken Schultergelenkes und an einem Zustand nach Schienbeinkopfbruch links mit einem Gesamtgrad der Behinderung von 40 v.H. leide.

Die belangte Behörde übermittelte dieses Sachverständigengutachten dem Beschwerdeführer mit Schreiben vom 18.05.2020 im Rahmen des Parteiengehörs.

Der Beschwerdeführer gab mit Eingabe vom 03.06.2020 durch seinen bevollmächtigten Vertreter eine schriftliche Stellungnahme ab. Er führte darin aus, dass nach § 3 Einschätzungsverordnung eine Einschätzung des Gesamtgrades der Behinderung vorzunehmen sei. Beim Beschwerdeführer würden Einschränkungen aus verschiedenen medizinischen Fachbereichen vorliegen, weswegen eine Beiziehung von Fachärzten aus dem Fachbereich der Orthopädie erforderlich sei. Die medizinische Sachverständige habe nicht berücksichtigt, dass ein Befund des AKH Wien belegen würde, dass beim Beschwerdeführer eine erhöhte Infektionsgefahr vorliege, weswegen ihm eine Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel nicht zuzumuten sei. Berücksichtige man zudem die Funktionseinschränkungen der linken Schulter und die Einschränkungen nach Schienbeinkopfbruch links so seien diese nicht zu vernachlässigen, weswegen eine Gesamteinschätzung im Sinne des § 3 Abs. 1 der Einschätzungsverordnung den Gesamtgrad der Behinderung deutlich über 50 % ansteigen lassen würde. Der Beschwerdeführer legte weitere medizinische Befunde vor und beantragte die Ergänzung der bisher durchgeführten medizinischen Untersuchungen durch Beiziehung eines Facharztes aus dem Fachgebiet der Orthopädie.

Die belangte Behörde holte in weiterer Folge ein medizinisches Sachverständigengutachten einer Fachärztin für Unfallchirurgie und Ärztin für Allgemeinmedizin vom 20.07.2020 auf Grund einer persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers am selben Tag ein. Die medizinische Sachverständige kommt zusammenfassend zum Ergebnis, dass Beschwerdeführer an einer chronisch lymphatischen Leukämie, an geringen Funktionseinschränkungen des linken Schultergelenkes und an einem Zustand nach Schienbeinkopfbruch links mit einem Gesamtgrad der Behinderung von 40 v.H. leide.

Die belangte Behörde legte den Aktenvorgang dem Bundesverwaltungsgericht mit Schreiben vom 27.07.2020 zur Entscheidung vor, wo dieser am selben Tag einlangte.

Das Bundesverwaltungsgericht führte am 28.07.2020 eine Abfrage im Zentralen Melderegister durch, wonach der Beschwerdeführer österreichischer Staatsbürger ist, und seinen ordentlichen Wohnsitz im Inland hat.

Das Bundesverwaltungsgericht brachte den Parteien des Verfahrens das von der belangten Behörde eingeholte medizinische Sachverständigengutachten einer Fachärztin für Unfallchirurgie und Ärztin für Allgemeinmedizin vom 20.07.2020 mit Schreiben vom 25.08.2020 zur Kenntnis und räumte diesen eine Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme ein.

Keine der Parteien gab dazu eine Stellungnahme ab.

II.     Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.       Feststellungen:

Der Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses langte am 25.10.2019 bei der belangten Behörde ein.

Der Beschwerdeführer erfüllt die allgemeinen Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses. Der Beschwerdeführer hat seinen Wohnsitz im Inland.

Ausmaß der Funktionseinschränkungen:

Allgemeinzustand: gut, 58a

Ernährungszustand: gut.

Größe: 186,00 cm  Gewicht: 95,00 kg

Klinischer Status – Fachstatus:

Caput/Collum: klinisch unauffälliges Hör- und Sehvermögen, sichtbare Schleimhautpartien unauffällig, Pupillen rund, isocor, prompte Reaktion auf Licht. Halsvenen nicht gestaut.
Thorax: symmetrisch, elastisch. Atemexkursion seitengleich, sonorer Klopfschall, VA. HAT rein, rhythmisch. Keine Dyspnoe, keine Zyanose.

Abdomen: klinisch unauffällig, Resistenz linker Oberbauch tastbar – vergrößerte Milz, kein Druckschmerz. Integument: unauffällig.
Schultergürtel und beide oberen Extremitäten:

Rechtshänder. Der Schultergürtel steht horizontal, seitengleich mittelkräftig entwickelte Muskelverhältnisse. Die Durchblutung ist ungestört, Radialispulse beidseits tastbar, die Sensibilität wird als ungestört angegeben. Die Benützungszeichen sind seitengleich vorhanden.

Schulter links: Clavikula unauffällig, Bemuskelung im Seitenvergleich links zart schwächer ausgeprägt als rechts, Beweglichkeit nicht eingeschränkt.
Sämtliche weiteren Gelenke sind bandfest und klinisch unauffällig.

Aktive Beweglichkeit: Schultern, Ellbogengelenke, Unterarmdrehung, Handgelenke, Daumen und Langfinger seitengleich frei beweglich. Grob- und Spitzgriff sind uneingeschränkt durchführbar. Der Faustschluss ist komplett, Fingerspreizen beidseits unauffällig, die grobe Kraft in etwa seitengleich, Tonus und Trophik unauffällig. Nacken- und Schürzengriff sind uneingeschränkt durchführbar.
Becken und beide unteren Extremitäten:

Freies Stehen sicher möglich, Zehenballengang und Fersengang beidseits sind ohne Anhalten und ohne Einsinken durchführbar. Der Einbeinstand ist ohne Anhalten möglich. Die tiefe Hocke ist möglich. Die Beinachse ist im Lot. Seitengleich mittelkräftig entwickelte Muskelverhältnisse. Beinlänge ident. Die Durchblutung ist ungestört, keine Ödeme, keine Varizen, die Sensibilität wird als ungestört angegeben. Die Beschwielung ist in etwa seitengleich.
Kniegelenk links: unauffällig.
Sämtliche weiteren Gelenke sind bandfest und klinisch unauffällig.

Aktive Beweglichkeit: Hüften frei, Knie rechts 0/0/140, links 0/0/130, Sprunggelenke und Zehen sind seitengleich frei beweglich. Das Abheben der gestreckten unteren Extremität ist beidseits bis 60° bei KG 5 möglich.
Wirbelsäule:
Schultergürtel und Becken stehen horizontal, in etwa im Lot, regelrechte Krümmungsverhältnisse. Die Rückenmuskulatur ist symmetrisch ausgebildet, mäßig Hartspann. ISG und Ischiadicusdruckpunkte sind frei.
Aktive Beweglichkeit:
HWS: in allen Ebenen frei beweglich.
BWS/LWS: FBA: 10 cm, in allen Ebenen frei beweglich.
Lasegue bds. negativ, geprüfte Muskeleigenreflexe seitengleich mittellebhaft auslösbar.

Gesamtmobilität – Gangbild:
Kommt selbständig gehend mit Halbschuhen, das Gangbild hinkfrei und unauffällig. Die Bewegungsabläufe nicht eingeschränkt. Das Aus- und Ankleiden wird selbständig im Sitzen durchgeführt.

Status Psychicus:

Allseits orientiert; Merkfähigkeit, Konzentration und Antrieb unauffällig; Stimmungslage ausgeglichen.

Beim Beschwerdeführer bestehen folgende Funktionseinschränkungen, die voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:

1)       Chronisch lymphatische Leukämie

2)       Geringgradige posttraumatische Funktionseinschränkung linkes Schultergelenk

3)       Zustand nach Schienbeinkopfbruch links

Der Gesamtgrad der Behinderung beträgt 40 v. H.

Das Leiden 1 wird durch die weiteren Leiden nicht erhöht, da kein ungünstiges Zusammenwirken vorliegt.

2.       Beweiswürdigung:

Die Feststellungen hinsichtlich der Antragsstellung basieren auf dem Akteninhalt.

Die Feststellungen zum Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt des Beschwerdeführers im Inland basieren auf dem vom Bundesverwaltungsgericht eingeholten Auszug aus dem Zentralen Melderegister.

Der Gesamtgrad der Behinderung gründet sich auf das seitens der belangten Behörde eingeholte Sachverständigengutachten einer Fachärztin für Unfallchirurgie und Ärztin für Allgemeinmedizin vom 20.07.2020, basierend auf einer persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers am selben Tag und auf das Gutachten einer Fachärztin für Innere Medizin auf Grund der Aktenlage vom 07.04.2020.

Darin wird auf die Art der Leiden des Beschwerdeführers und deren Ausmaß vollständig, nachvollziehbar und widerspruchsfrei eingegangen. Die medizinischen Gutachterinnen setzen sich aus jeweils fachlicher Sicht umfassend und nachvollziehbar mit den vorgelegten Befunden sowie mit der Frage der wechselseitigen Leidensbeeinflussungen und dem Zusammenwirken der zu berücksichtigenden Gesundheitsschädigungen auseinander. Die getroffenen Einschätzungen, basierend auf den im Rahmen einer persönlichen Untersuchung erhobenen Befunden, entsprechen auch den festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen; die Gesundheitsschädigungen sind nach der Einschätzungsverordnung richtig eingestuft.

Die Sachverständige für Unfallchirurgie geht in ihrem Gutachten vom 20.07.2020 ausführlich auf sämtliche Einwendungen und Befunde des Beschwerdeführers in seiner Beschwerde und seiner Stellungnahme im Rahmen des Parteiengehörs vom 03.06.2020 ein. Das Vorbringen des Beschwerdeführers war nicht geeignet, die von allen von der belangten Behörde beigezogenen medizinischen Sachverständigen vorgenommenen Einschätzungen der Funktionseinschränkungen des Beschwerdeführers nach der Einschätzungsverordnung zu widerlegen. Der Beschwerdeführer ist damit den Ausführungen der medizinischen Sachverständigen nicht und damit insbesondere auch nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegengetreten, steht es dem Antragsteller, so er der Auffassung ist, dass seine Leiden nicht hinreichend berücksichtigt wurden, nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes doch frei, das im Auftrag der Behörde erstellte Gutachten durch die Beibringung eines Gegengutachtens eines Sachverständigen seiner Wahl zu entkräften (vgl. etwa VwGH 27.06.2000, 2000/11/0093).

Seitens des Bundesverwaltungsgericht bestehen folglich keine Zweifel an der Richtigkeit, Vollständigkeit, Widerspruchsfreiheit und Schlüssigkeit der vorliegenden Sachverständigengutachten vom 07.04.2020 und vom 20.07.2020. Diese werden daher in freier Beweiswürdigung der gegenständlichen Entscheidung zu Grunde gelegt.

Insoweit der Beschwerdeführer in seiner Beschwerde und seinen Stellungnahmen moniert, dass nicht festgestellt worden sei, dass ihm die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel nicht zumutbar sei, so übersieht er bei dieser Argumentation, dass Gegenstand dieser Entscheidung die Abweisung des Antrages auf Ausstellung eines Behindertenpasses, und nicht die Vornahme einer beantragten Zusatzeintragung in einem auszustellenden Behindertenpass, ist.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

1.       Zur Entscheidung in der Sache

Die gegenständlich maßgeblichen Bestimmungen des Bundesbehindertengesetzes (BBG) lauten:

„§ 40. (1) Behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% ist auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpass auszustellen, wenn

1. ihr Grad der Behinderung (ihre Minderung der Erwerbsfähigkeit) nach bundesgesetzlichen Vorschriften durch Bescheid oder Urteil festgestellt ist oder

2.       sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften wegen Invalidität, Berufsunfähigkeit, Dienstunfähigkeit oder dauernder Erwerbsunfähigkeit Geldleistungen beziehen oder

3.       sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften ein Pflegegeld, eine Pflegezulage, eine Blindenzulage oder eine gleichartige Leistung erhalten oder

5.       sie dem Personenkreis der begünstigten Behinderten im Sinne des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, angehören.

(2) Behinderten Menschen, die nicht dem im Abs. 1 angeführten Personenkreis angehören, ist ein Behindertenpaß auszustellen, wenn und insoweit das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen auf Grund von Vereinbarungen des Bundes mit dem jeweiligen Land oder auf Grund anderer Rechtsvorschriften hiezu ermächtigt ist.

§ 41. (1) Als Nachweis für das Vorliegen der im § 40 genannten Voraussetzungen gilt der letzte rechtskräftige Bescheid eines Rehabilitationsträgers (§ 3) oder ein rechtskräftiges Urteil eines Gerichtes nach dem Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, BGBl. Nr. 104/1985, ein rechtskräftiges Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes oder die Mitteilung über die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe gemäß § 8 Abs. 5 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967, BGBl. Nr. 376. Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen hat den Grad der Behinderung nach der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010) unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen einzuschätzen, wenn

1.       nach bundesgesetzlichen Vorschriften Leistungen wegen einer Behinderung erbracht werden und die hiefür maßgebenden Vorschriften keine Einschätzung vorsehen oder

2. zwei oder mehr Einschätzungen nach bundesgesetzlichen Vorschriften vorliegen und keine Gesamteinschätzung vorgenommen wurde oder

3.       ein Fall des § 40 Abs. 2 vorliegt.

(2) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind ohne Durchführung eines Ermittlungsverfahrens zurückzuweisen, wenn seit der letzten rechtskräftigen Entscheidung noch kein Jahr vergangen ist. Dies gilt nicht, wenn eine offenkundige Änderung einer Funktionsbeeinträchtigung glaubhaft geltend gemacht wird.

§ 42. (1) Der Behindertenpass hat den Vornamen sowie den Familien- oder Nachnamen, das Geburtsdatum, eine allfällige Versicherungsnummer, den Wohnort und einen festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.

§ 45. (1) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.

(2) Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.

(3) In Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung hat die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.

(4) Bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß Abs. 3 hat eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter mitzuwirken. Die fachkundigen Laienrichterinnen oder Laienrichter (Ersatzmitglieder) haben für die jeweiligen Agenden die erforderliche Qualifikation (insbesondere Fachkunde im Bereich des Sozialrechts) aufzuweisen.

§ 46 Die Beschwerdefrist beträgt abweichend von den Vorschriften des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes, BGBl. I Nr. 33/2013, sechs Wochen. Die Frist zur Erlassung der Beschwerdevorentscheidung beträgt 12 Wochen. In Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht dürfen neue Tatsachen und Beweismittel nicht vorgebracht werden.“

Die maßgebenden Bestimmungen der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend nähere Bestimmungen über die Feststellung des Grades der Behinderung (Einschätzungsverordnung, BGBl. II. Nr. 261/2010 idgF BGBl II. Nr. 251/2012) lauten auszugsweise wie folgt:

"Behinderung

§ 1. Unter Behinderung im Sinne dieser Verordnung ist die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen zu verstehen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft, insbesondere am allgemeinen Erwerbsleben, zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten.

Grad der Behinderung

§ 2. (1) Die Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen sind als Grad der Behinderung zu beurteilen. Der Grad der Behinderung wird nach Art und Schwere der Funktionsbeeinträchtigung in festen Sätzen oder Rahmensätzen in der Anlage dieser Verordnung festgelegt. Die Anlage bildet einen Bestandteil dieser Verordnung.

(2) Bei Auswirkungen von Funktionsbeeinträchtigungen, die nicht in der Anlage angeführt sind, ist der Grad der Behinderung in Analogie zu vergleichbaren Funktionsbeeinträchtigungen festzulegen.

(3) Der Grad der Behinderung ist nach durch zehn teilbaren Hundertsätzen festzustellen. Ein um fünf geringerer Grad der Behinderung wird von ihnen mit umfasst. Das Ergebnis der Einschätzung innerhalb eines Rahmensatzes ist zu begründen.

Gesamtgrad der Behinderung

§ 3. (1) Eine Einschätzung des Gesamtgrades der Behinderung ist dann vorzunehmen, wenn mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen. Bei der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung sind die einzelnen Werte der Funktionsbeeinträchtigungen nicht zu addieren. Maßgebend sind die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander.

(2) Bei der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung ist zunächst von jener Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, für die der höchste Wert festgestellt wurde. In der Folge ist zu prüfen, ob und inwieweit dieser durch die weiteren Funktionsbeeinträchtigungen erhöht wird. Gesundheitsschädigungen mit einem Ausmaß von weniger als 20 v.H. sind außer Betracht zu lassen, sofern eine solche Gesundheitsschädigung im Zusammenwirken mit einer anderen Gesundheitsschädigung keine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung verursacht. Bei Überschneidungen von Funktionsbeeinträchtigungen ist grundsätzlich vom höheren Grad der Behinderung auszugehen.

(3) Eine wechselseitige Beeinflussung der Funktionsbeeinträchtigungen, die geeignet ist, eine Erhöhung des Grades der Behinderung zu bewirken, liegt vor, wenn

-        sich eine Funktionsbeeinträchtigung auf eine andere besonders nachteilig auswirkt,

-        zwei oder mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen, die gemeinsam zu einer wesentlichen Funktionsbeeinträchtigung führen.

(4) Eine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung ist dann gegeben, wenn das Gesamtbild der Behinderung eine andere Beurteilung gerechtfertigt erscheinen lässt, als die einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen alleine.

Grundlage der Einschätzung

§ 4. (1) Die Grundlage für die Einschätzung des Grades der Behinderung bildet die Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen im körperlichen, geistigen, psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung in Form eines ärztlichen Sachverständigengutachtens. Erforderlichenfalls sind Experten aus anderen Fachbereichen - beispielsweise Psychologen - zur ganzheitlichen Beurteilung heran zu ziehen.
(2) Das Gutachten hat neben den persönlichen Daten die Anamnese, den Untersuchungsbefund, die Diagnosen, die Einschätzung des Grades der Behinderung, eine Begründung für die Einschätzung des Grades der Behinderung innerhalb eines Rahmensatzes sowie die Erstellung des Gesamtgrades der Behinderung und dessen Begründung zu enthalten.

...“

Zunächst ist rechtlich festzuhalten, dass der Grad der Behinderung im Beschwerdefall - wie dies auch die belangte Behörde zu Recht annahm - nach der Einschätzungsverordnung einzuschätzen war, was im Verfahren auch unbestritten geblieben ist.

Das Leiden 1 des Beschwerdeführers ist eine chronisch lymphatische Leukämie, welche alle im gegenständlichen Verfahren beigezogenen medizinischen Sachverständigen richtig nach Position 10.03.07 der Einschätzungsverordnung als myeloprofierative Erkrankung mit leichten Auswirkungen im oberen Rahmensatz dieser Position mit einem Grad der Behinderung von 40 % einstuften, weil der Allgemeinzustand des Beschwerdeführers gut ist, jedoch eine regelmäßige Immunglobolingabe erforderlich ist.

Beim Leiden 2 des Beschwerdeführers handelt es sich um eine geringgradige posttraumatische Funktionseinschränkung des linken Schultergelenkes, welches alle im Verfahren beigezogenen medizinischen Sachverständigen richtig nach Position 02.06.01 der Einschätzungsverordnung als Funktionseinschränkung geringen Grades des Schultergelenkes mit dem fixen Rahmensatz von 10% einstuften.

Das Leiden 3 des Beschwerdeführers ist der Zustand nach einem Schienbeinkopfbruch links, welche von allen beizogen Sachverständigen richtig im unteren Rahmensatz der Position 02.05.18 der Einschätzungsverordnung als Funktionseinschränkung geringen Grades des Kniegelenks mit einem Grad der Behinderung von 10 % eingestuft wurde, zumal nur eine geringe Beugehemmung beim Beschwerdeführer vorliegt.

Die Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung hat bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen nicht im Wege der Addition der einzelnen Werte der Funktionsbeeinträchtigungen zu erfolgen, sondern es ist bei Zusammentreffen mehrerer Leiden zunächst von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, für welche der höchste Wert festgestellt wurde, und dann ist zu prüfen, ob und inwieweit durch das Zusammenwirken aller zu berücksichtigenden Funktionsbeeinträchtigungen eine höhere Einschätzung des Grades der Behinderung gerechtfertigt ist (vgl. den eindeutigen Wortlaut des § 3 der Einschätzungsverordnung, sowie die auf diese Rechtslage übertragbare Rechtsprechung, VwGH 17.07.2009, 2007/11/0088; 22.01.2013, 2011/11/0209 mwN).

Das Leiden 1 wird durch die weiteren Leiden nicht erhöht, da kein ungünstiges Zusammenwirken vorliegt, woraus der Gesamtgrad der Behinderung von 40 vH resultiert.

Wie oben unter Punkt 2. (Beweiswürdigung) ausgeführt, werden der gegenständlichen Entscheidung die seitens der belangten Behörde eingeholten Sachverständigengutachten einer Fachärztin für Innere Medizin aufgrund der Aktenlage vom 07.04.2020 und einer Fachärztin für Unfallchirurgie vom 20.07.2020, beruhend auf einer persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers am selben Tag zu Grunde gelegt.

Beide medizinische Sachverständigen stellen in deren Sachverständigengutachten fest, dass eine ungünstige wechselseitige Leidensbeeinflussung der Leiden des Beschwerdeführers wegen fehlendem ungünstigen Zusammenwirken nicht besteht, woraus sich ein Gesamtgrad der Behinderung von 40 v.H. ergibt.

Die vom Beschwerdeführer im Rahmen der Beschwerde vorgelegten Befunde und die vorgebrachten Beschwerdegründe waren nicht geeignet, die durch die medizinischen Sachverständigen getroffenen Beurteilungen zu widerlegen oder zusätzliche Dauerleiden bzw. eine zwischenzeitlich eingetretene Verschlechterung des Zustandes zu belegen.

Mit einem Gesamtgrad der Behinderung von 40 v.H. sind die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses gemäß § 40 Abs. 1 BBG, wonach behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbstätigkeit von mindestens 50 v.H. ein Behindertenpass auszustellen ist, aktuell nicht erfüllt.

Im Übrigen ist aber auch darauf hinzuweisen, dass bei einer späteren Verschlechterung des Leidenszustandes die neuerliche Einschätzung des Grades der Behinderung nach Maßgabe des § 41 Abs. 2 BBG in Betracht kommt.

Die Beschwerde war daher spruchgemäß abzuweisen.

2.       Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung

Der im Beschwerdefall maßgebliche Sachverhalt ergibt sich aus dem Akt der belangten Behörde und insbesondere auf die von der belangten Behörde eingeholten medizinischen Sachverständigengutachten, welche teilweise auf einer persönlichen Untersuchung beruhen, auf alle Einwände und die im Verfahren vorgelegten Atteste des Beschwerdeführers in fachlicher Hinsicht eingehen, und welchen der Beschwerdeführer nicht substantiiert entgegengetreten ist. Die strittige Tatsachenfrage, genauer die Art und das Ausmaß der Funktionseinschränkungen des Beschwerdeführers sind einem Bereich zuzuordnen, der von einem Sachverständigen zu beurteilen ist. Beide Parteien haben keinen Verhandlungsantrag gestellt. All dies lässt die Einschätzung zu, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und eine Entscheidung ohne vorherige Verhandlung im Beschwerdefall nicht nur mit Art. 6 EMRK und Art. 47 GRC kompatibel ist, sondern der Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis (§ 39 Abs. 2a AVG) gedient ist, gleichzeitig aber das Interesse der materiellen Wahrheit und der Wahrung des Parteiengehörs nicht verkürzt wird.

Zu Spruchteil B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.

Schlagworte

Behindertenpass Grad der Behinderung Sachverständigengutachten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W261.2233422.1.00

Im RIS seit

04.12.2020

Zuletzt aktualisiert am

04.12.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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