TE Bvwg Erkenntnis 2020/10/2 W215 2137687-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 02.10.2020
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Entscheidungsdatum

02.10.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §2 Abs1 Z13
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

W215 2137687-2/20E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. STARK über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit Bundesrepublik Somalia, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 01.08.2017, Zahl 14-1018318906-14618616, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

I. Die Beschwerde gegen Spruchpunkte I. bis III. wird gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG), in der Fassung BGBl. I Nr. 87/2012, § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG,
§ 57 AsylG, in der Fassung BGBl. I Nr. 70/2015, § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG, in der Fassung BGBl. I Nr. 145/2017, § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG), in der Fassung BGBl. I Nr. 56/2018, § 52 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG), in der Fassung BGBl. I Nr. 110/2019, als unbegründet abgewiesen.

II. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt IV. des Bescheides wird mit der Maßnahme abgewiesen, dass dieser zu lauten hat: „Gemäß § 55 FPG, in der Fassung BGBl. I Nr. 68/2013, wird die Frist für die freiwillige Ausreise von XXXX insoweit aufgeschoben, als sie 14 Tage ab Rechtskraft der Erledigung des, derzeit noch beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl anhängigen, Antrags auf internationalen Schutz seines Kindes XXXX , Staatsangehörigkeit Bundesrepublik Somalia, beträgt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz, BGBl Nr. 1/1930 (B-VG), in der Fassung BGBl. I Nr. 51/2012, nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, dessen Identität nicht feststeht, wurde am 16.05.2014 von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes aufgegriffen und stellte danach den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. In seiner Erstbefragung am selben Tag gab der Beschwerdeführer zusammengefasst an, er stamme aus XXXX , sei traditionell verheiratet und gehöre dem Clan der Ashraf an. Er habe sieben Jahre die Grundschule besucht und zuletzt als Hilfskellner gearbeitet. In seinem Herkunftsstaat würden seine Eltern, seine Mutter, seine Ehefrau sowie sechs Brüder und fünf Schwester leben. Eine Schwester halte sich derzeit in Deutschland auf. Er sei Ende 2012 XXXX und habe dort ca. bis Ende 2013 gelebt, danach sei er in den Iran geflogen und von dort weiter nach Österreich gereist. Zu seinen Fluchtgründen führte er im Wesentlichen aus, dass er von der Familie seiner Frau mit dem Tod bedroht worden sei. Seine Frau habe zu einer „höheren“ Volksgruppe in Somalia gehört und ihre Familie sei gegen die Ehe gewesen. Im Fall einer Rückkehr fürchte er, dass er von dieser Familie getötet werde.

Nachdem das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl in der Folge keine weiteren Verfahrensschritte setzte, wandte sich der Beschwerdeführer an die Volksanwaltschaft. Mit Schreiben vom 05.01.2016 teilte die Volksanwaltschaft nach Einholung einer Stellungnahme des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl mit, dass die Beschwerde hinsichtlich der Verfahrensdauer begründet sei.

Mit Schriftsatz vom 30.09.2016 brachte der Beschwerdeführer durch seinen Vertreter Säumnisbeschwerde ein.

Die Säumnisbeschwerdevorlage vom 13.10.2016 langte am XXXX im Bundesverwaltungsgericht ein und wurde einer (anderen) Gerichtsabteilung zur Erledigung zugewiesen.

Mit Anzeige vom XXXX informierte die Polizeiinspektion XXXX darüber, dass der Beschwerdeführer am XXXX berechtigtes Ärgernis erregt und die öffentliche Ordnung gestört habe, da er sich offensichtlich alkoholisiert gemeinsam mit anderen Beteiligten im Ortsgebiet gegen 01:00 in der Nacht lautstark angeschrieben, geschubst und mit Hosengürteln ausgepeitscht habe.

Am XXXX informierte die Polizeiinspektion XXXX darüber, dass der Beschwerdeführer am XXXX aufgrund übermäßigen Alkoholgenusses ab 03:45 Uhr die Nachtruhe im Asylwerberunterkunft massiv gestört und sich gegenüber Mitbewohnern und dem Sicherheitsdienst aggressiv und uneinsichtig gezeigt habe. Zudem habe er seine Zimmereinrichtung demoliert und dabei den Kasten, die Zimmertür und den Laptop eines Mitbewohners beschädigt. Aufgrund seines aggressiven Verhaltens sei er nach den Bestimmungen des § 82 SPG iVm § 35 VStG festgenommen und in den Arrest der Polizeiinspektion gebracht worden.

Der Beschwerdeführer wurde daraufhin, nach Entlassung aus dem Arrest, aufgrund mehrfacher disziplinärer und strafrechtlicher Auffälligkeiten in eine andere Asylwerberunterkunft verlegt. Von dort musste er zwei Tage später, wegen seines Verhalten, ebenfalls entlassen werden und wurde ein Betretungsverbot in allen Einrichtungen des Betreibers ausgesprochen.

Am 07.12.2016 wurde der Beschwerdeführer im Auftrag des Bundesverwaltungsgerichts vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl niederschriftlich befragt. Dabei gab er im Wesentlichen an, dass er XXXX aufgewachsen sei und dort mit seiner Familie gelebt habe. Er habe sieben Jahre die Schule besucht und danach Gelegenheitsarbeiten verrichtet. Sein Vater habe in einem Lebensmittelgeschäft und seine Mutter in einem Geschäft für gebrauchte Kleidung gearbeitet. Sein Lebensstandard sein mittelmäßig gewesen, vier Brüder und drei Schwestern seien in die Schule gegangen. Er habe momentan keinen Kontakt zu seiner Familie und auch nicht zu seinen Freunden. Für die Schleppung habe er 1.300,- USD-Dollar von seiner Familie bekommen, 4.500.- USD-Dollar habe ein Verwandter gezahlt und weitere 3.000,-€ habe ein Onkel aus Kanada übernommen. Zu seinen Fluchtgründen gab der Beschwerdeführer an, dass er als Angehöriger des Clans der Ashraf in Somalia heimlich eine Frau aus dem Clan der Hawiye geheiratet habe. Als ihre Familie davon erfahren hätte, habe sie seine Frau geschlagen, gefoltert und auch den Beschwerdeführer mit dem Tod bedroht. Er sei von Männern aus der Volksgruppe seiner Frau attackiert worden, doch Mullahs auf der Straße hätten ihm dann geholfen. Er sei bei der Polizei und beim XXXX gewesen, doch diese hätten ihn nicht unterstützt. Seine Eltern hätten ihm daraufhin empfohlen, das Land zu verlassen. Er sei zunächst nach Kenia gegangen und dann weitergereist. In Kenia habe er erfahren, dass der Vater des Beschwerdeführers im Juli 2013 entführt und die Frau des Beschwerdeführers gezwungen worden sei, einen anderen Mann zu heiraten. Zu seiner Situation in Österreich gab der Beschwerdeführer an, dass er hier die somalische Asylwerberin XXXX , geboren am XXXX , traditionell geheiratet habe. Er besuche Deutschkurse, verrichte gemeinnützige Arbeit und spiele Fußball.

Am 06.03.2017 wurde vor dem Bundesverwaltungsgericht im Säumnisbeschwerdeverfahren eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung anberaumt, zu welcher der Beschwerdeführer unentschuldigt nicht erschien. Die Verhandlung musste daraufhin auf den 24.04.2017 vertagt werden.

Mit Schreiben vom 12.04.2017 zog der Beschwerdeführer durch seinen Vertreter die Säumnisbeschwerde zurück. Das Bundesverwaltungsgericht stellte das Beschwerdeverfahren daraufhin mit Beschluss vom 19.04.2017, W103 2137687-1/18E, ein und stellte fest, dass die Zuständigkeit des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wieder auflebt.

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 01.08.2017,
Zahl 14-1018318906-14618616, wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 16.05.2014 gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm
§ 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Bundesrepublik Somalia (Spruchpunkt II.) abgewiesen, gemäß § 57 AsylG ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt, gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung in die Bundesrepublik Somalia gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt III.). Die Frist für seine freiwillige Ausreise wurde gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt IV.).

Gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 01.08.2017,
Zahl 14-1018318906-14618616, zugestellt am 04.08.2017, erhob der Beschwerdeführer am 18.08.2017 fristgerecht die gegenständliche Beschwerde. Darin wurde im Wesentlichen vorgebracht, dass der Beschwerdeführer einer Clanminderheit angehöre und von seinen Schwiegereltern verfolgt werde. Er könne weder den Schutz seines Clans noch die Hilfe der Polizei in Anspruch nehmen, da letztere sehr korrupt sei und oft der al-Schabaab angehöre. Da er als Clanangehöriger der Sheikhal ferner eine andere Auffassung des Islam als
al-Schabaab vertrete, wäre ihm auch aus Grund der höheren Gefahr, Opfer einer Zwangsrekrutierung oder Verfolgung durch die al-Schabaab zu werden, Asyl zu gewähren. Alternativ wäre ihm aufgrund der Dürre zumindest subsidiärer Schutz zu gewähren.

2. Die Beschwerdevorlage vom 18.08.2017 langte am 23.08.2017 im Bundesverwaltungsgericht ein und wurde diesmal der nunmehr zur Entscheidung berufenen Gerichtsabteilung zugewiesen.

Zur Ermittlung des maßgeblichen Sachverhaltes wurde für den 30.07.2018 eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht anberaumt. Es erschienen der Beschwerdeführer und sein Vertreter. Das ordnungsgemäß geladene Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl war nicht zur Verhandlung erschienen.

In der Verhandlung legte der Beschwerdeführer ein Foto seines am XXXX im Bundesgebiet geborenen Sohnes vor und gab an, dass die Mutter des Kindes, zugleich seine Lebensgefährtin, XXXX heiße und am XXXX geboren sei. Eine kurze Recherche im System ergab, dass das Verfahren der Lebensgefährtin zur Zahl W215 2168127-1 ebenfalls in derselben Gerichtsabteilung anhängig ist. Mit Einverständnis des Beschwerdeführers und seines Vertreters wurde die Verhandlung zwecks Zusammenlegung der Verfahren und Anberaumung einer gemeinsamen Verhandlung vertagt.

Am 28.11.2018 fand neuerliche eine mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht statt. Es erschienen der Beschwerdeführer, seine Lebensgefährtin und deren gemeinsamer Vertreter; das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hatte sich bereits im Vorfeld für die Verhandlung entschuldigt. Der Beschwerdeführer und seine Lebensgefährtin machten auf Befragen Angaben zu ihren persönlichen Verhältnissen und Fluchtgründen. In der Verhandlung wurden die Quellen der zur Entscheidungsfindung herangezogenen Länderinformationen dargetan. Der Beschwerdeführer und seine Lebensgefährtin verzichteten auf Einsichtnahme und Ausfolgung. Das Bundesverwaltungsgericht räumte den Verfahrensparteien vor Schluss der Verhandlung eine zweiwöchige Frist zur Abgabe von Stellungnahmen ein.

Mit Parteiengehör vom 29.08.2019 wurden dem Beschwerdeführer und seiner Lebensgefährtin Fragen zu ihrer aktuellen Situation in Österreich gestellt und ihnen aktualisierte Quellen der bereits in der mündlichen Verhandlung zur Kenntnis gebrachten Länderberichte übermittelt.

Mit Stellungnahme vom 09.09.2019 wurde im Wesentlichen vorgebracht, dass sie gesund seien, gemeinsam mit ihrem in Österreich geborenen Sohn in einer Flüchtlingsunterkunft wohnen und nach wie vor ausschließlich von Leistungen aus der Grundversorgung leben. Der Beschwerdeführer übe gemeinnützige Tätigkeiten für die Stadt aus und habe einen
A2-Deutschkurs besucht. Seine Lebensgefährtin habe Freunde in Österreich, putze in ihrer Asylwerberunterkunft und habe ebenfalls einen A2-Deutschkurs besucht.

Mit Parteiengehör vom 29.05.2020 wurden dem Beschwerdeführer und seiner Lebensgefährtin im Rahmen eines Parteiengehörs Fragen zu ihrer aktuellen Situation in Österreich gestellt.

Am 12.06.2020 brachten der Beschwerdeführer und seine Lebensgefährtin schriftliche Stellungnahmen beim Bundesverwaltungsgericht ein. Darin wird zusammengefasst ausgeführt, dass die Lebensgefährtin aktuell wieder vom Beschwerdeführer schwanger sei, und die Familie nach wie vor von der österreichischen Grundversorgung und sozialen Diensten lebe. Der Beschwerdeführer sei von 2018 bis COVID-19 für die Gemeinde tätig gewesen. In Jahr 2016 habe der Beschwerdeführer eine Woche lang Häuser ausgeräumt. Derzeit besuchen der Beschwerdeführer und seine Lebensgefährtin Deutschkurse A2. Zur aktuellen Lage wurde aus den UN OCHA Berichten update 04 vom 04.05.2020 sowie update 06 vom 24.05.2020, einem Accord Bericht vom 15.04.2020, einem erstinstanzlichen Bescheid - in einem Verfahren eines anderen Asylwerbers - vom 03.02.2020 und einem UNSC Bericht vom 13.05.2020 (siehe dazu Beweiswürdigung 5.) zitiert. Den Stellungnahmen war die Kopie einer Deutschkursbesuchsbestätigung der Lebensgefährtin des Beschwerdeführers Niveau A2, vom 09.06.2020 beigelegt sowie eine Schwangerschaftsbestätigung einer Gynäkologin mit voraussichtlichem Geburtstermin XXXX .

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat über die zulässige Beschwerde erwogen:

1. Feststellungen:

1. Die Identität des Beschwerdeführers kann nicht festgestellt werden. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger der Bundesrepublik Somalia, gehört dem moslemischem (sunnitischen) Glauben und dem Clan der Ashraf an.

Der Beschwerdeführer reiste illegal in das Bundesgebiet ein und wurde, während er nicht zum Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigt war, aufgegriffen und angehalten. Erst danach stellte er am 16.05.2014 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

Der Beschwerdeführer ist seit 27.07.2016 nach moslemischem Ritus mit der somalischen Asylwerberin XXXX , geboren XXXX , verheiratet, die er in einer Asylwerberunterkunft in Österreich kennengelernt hat. Beide sind Eltern eines am XXXX in Österreich geborenen Sohnes. Das Asylverfahren des Kindes ist nach wie vor beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl anhängig, das Beschwerdeverfahren seiner Lebensgefährten ist in derselben Gerichtsabteilung anhängig und wird ebenfalls mit Erkenntnis vom heutigem Tag, zur Zahl W215 2168127-1/15E, inhaltsgleich entschieden.

2. Der Beschwerdeführer hat nicht glaubhaft gemacht, dass er in der Bundesrepublik Somalia tatsächlich eine Frau aus einem einflussreicheren Clan geheiratet hat und deshalb physischer oder psychischer Gewalt durch seine angeblichen Schwiegereltern ausgesetzt war oder im Fall seiner Rückkehr ausgesetzt sein wird.

Der Beschwerdeführer hat auch nicht glaubhaft gemacht, dass er im Fall seiner Rückkehr eine Zwangsrekrutierung von al-Schabaab zu befürchten hat.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer aus Gründen seiner Volksgruppen- bzw. Clanzugehörigkeit Übergriffen ausgesetzt war oder sein wird.

3. Der Beschwerdeführer stammt aus XXXX . Dort lebte er gemeinsam mit seinen Eltern, sechs Brüdern und fünf Schwestern in einem Haus. Eine weitere Schwester des Beschwerdeführers lebt in der Bundesrepublik Deutschland. Der Beschwerdeführer besuchte bis zur siebten Klasse die Schule und verrichtete nachher Gelegenheitsarbeiten. Der Vater des Beschwerdeführers arbeitet in einem Lebensmittelgeschäft, die Mutter des Beschwerdeführers ist in einem Geschäft für gebrauchte Kleidung tätig. Dass sein Vater aus Anlass der behaupteten Hochzeit im Juli 2013 entführt wurde, hat der Beschwerdeführer nicht glaubhaft gemacht. Der Beschwerdeführer verfügt weiters über Verwandte in der Republik Kenia und in Kanada. Die Ausreise des Beschwerdeführers wurde von seiner Familie finanziert: Er erhielt 1.300.- USD von seiner Mutter, 4.500.- USD wurden von einem weiteren Verwandten bezahlt und 3.000.-€ bezahlte der Onkel des Beschwerdeführers aus Kanada.

Es kann nicht festgestellt werden, dass dem gesunden Beschwerdeführer in der Bundesrepublik Somalia ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit droht oder er Gefahr läuft, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und er in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation gerät. Dabei wird berücksichtigt, dass der Beschwerdeführer gemeinsam mit seiner Familie dorthin zurückkehrt und Sorgepflichten hat. Der Beschwerdeführer kann mit seiner Familie im Fall seiner Rückkehr aber wieder an seiner Wohnadresse bzw. bei Verwandten wohnen und (auch von seinen im Ausland lebenden) Angehörigen finanziell unterstützt werden. Dass der Beschwerdeführer weder zu seinen Familienangehörigen noch zu seinen Freunden Kontakt hat, kann nicht festgestellt werden.

4. In Österreich halten sich die Lebensgefährtin des Beschwerdeführers mit dem gemeinsamen Kind als Asylwerber auf. Das Verfahren der Lebensgefährtin wird mit Erkenntnis vom heutigen Tag, Zahl W215 2168127-1/15E, inhaltsgleich entschieden.

Der Beschwerdeführer hat behauptet eine A2-Deutschprüfung gemacht zu haben, konnte aber bis dato kein Prüfungszeugnis vorlegen. In seiner Stellungnahme vom 12.06.2020 behauptet er aktuell einen A2 Deutschkurs zu besuchen, hat aber keine diesbezügliche Bestätigung vorgelegt. Im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht konnte sich der Beschwerdeführer verständlich, aber nur gebrochen in Deutsch ausdrücken. Der Beschwerdeführer leistet gemeinnützige Tätigkeiten in einer Gärtnerei, verrichtete Hilfsarbeiten im Bauhof und war zur Pflege und Sauberhaltung von Wander- und Spazierwegen eingesetzt. Er verbringt Zeit mit seiner Familie, geht spazieren oder spielt Fußball. Allfällige freundschaftliche Beziehungen sind zu einem Zeitpunkt entstanden, in dem sich der Beschwerdeführer seiner unsicheren aufenthaltsrechtlichen Stellung bewusst sein musste. Der Beschwerdeführer lebt von der Grundversorgung.

Der Beschwerdeführer ist zwar strafgerichtlich unbescholten, fiel jedoch in seiner Unterkunft wiederholt wegen disziplinären Verstößen und Handlungen auf; siehe dazu weiter oben Verfahrensgang.

5. Zur aktuellen Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers wird festgestellt:

Allgemein

In der Bundesrepublik Somalia lebten im Juli 2020 schätzungsweise mehr als 11,75 Millionen Menschen leben (CIA Factbook 09.09.2020).

Die Bundesrepublik Somalia ist eine parlamentarische Demokratie mit starker Stellung des Präsidenten Mohamed Abdullahi Mohamed „Farmajo“ (AA Steckbrief Stand 30.09.2019, abgefragt am 09.09.2020).

Premierminister Hassan Ali Khaire wurde am 25.07.2020 vom Parlament durch ein Misstrauensvotum abgesetzt. Er war seit Februar 2017 im Amt. Der stellvertretende Premierminister wird vorübergehend als Premierminister fungieren, bis ein Nachfolger ernannt wird. Hintergrund des Misstrauensvotums soll ein Streit zwischen Präsident Farmajo und Khaire darüber sein, wann die im Februar 2021 anstehenden nationalen Wahlen abgehalten werden sollen (BAMF 27.07.2020).

Am 15.04.2020 gaben die Sprecher beider Parlamentskammern ihre Entscheidung bekannt, den Beginn der nächsten Parlamentssitzung, die ursprünglich für den 10.04.2020 anberaumt war, aufgrund der COVID-19-Pandemie und gemäß den Empfehlungen des Gesundheitsministeriums zu verschieben, bis alternative virtuelle Vorkehrungen getroffen werden (UNSC 13.05.2020).

Somalia ist ein Staat im Osten Afrikas, am Horn von Afrika. Nach dem Sturz des autoritären Regimes Siad Barres 1991 war das Land gekennzeichnet von Staatszerfall, Bürgerkrieg, Clanrivalitäten und islamistischem Terror. Im Nordwesten Somalias beansprucht das relativ stabile Somaliland seit 1991 internationale Anerkennung als eigenständiger Staat. Die Region Puntland besitzt weitgehende Autonomie, strebt aber keine Unabhängigkeit an und hat den Status eines föderalen Gliedstaats, wie auch die anderen Bundesstaaten Jubbaland, Südwest, Galmudug und Hirshabelle. Mit der Übergangsverfassung von 2012 schreitet der Staatsaufbau voran, Somalia gilt nunmehr als fragiler Staat. 2017 wurde Mohamed Abdullahi Mohamed zum Präsidenten gewählt. Seine Regierung verfolgt eine ehrgeizige Reformagenda in den Bereichen Politik, Wirtschaft und Sicherheit Offizielles Ziel der Regierung sind allgemeine Wahlen 2020 (AA politisches Porträt Stand 30.09.2019, abgefragt am 09.09.2020).

Im Hinblick auf beinahe alle in diesem Bericht zu beleuchtenden Tatsachen ist Somalia faktisch zweigeteilt:

a) Somalia

In den föderalen Gliedstaaten Süd- und Zentralsomalias herrscht in vielen Gebieten Bürgerkrieg. Die somalischen Sicherheitskräfte kämpfen mit Unterstützung der vom VN-Sicherheitsrat mandatierten Friedensmission der Afrikanischen Union AMISOM (African Union Mission in Somalia) gegen die radikalislamistische, al-Qaida-affiliierte al-Schabaab-Miliz. Die Gebiete sind nur teilweise unter der Kontrolle der Regierung, wobei zwischen der im Wesentlichen auf Mogadischu beschränkten Kontrolle der somalischen Bundesregierung und der Kontrolle anderer urbaner und ländlicher Gebiete durch die Regierungen der föderalen Gliedstaaten Somalias, die der Bundesregierung de facto nur formal unterstehen, unterschieden werden muss. Weite Gebiete stehen unter der Kontrolle der al-Schabaab-Miliz oder anderer Milizen. Diese anderen Milizen sind entweder entlang von Clan-Linien organisiert oder, im Falle der moderaten Ahlu Sunna Wal Jama’a in Galmudug, auf Grundlage einer bestimmten religiösen Ausrichtung. Zumindest den al-Schabaab-Kräften kommen als de facto-Regime Schutzpflichten gegenüber der Bevölkerung in den von ihnen kontrollierten Gebieten zu. Der Gliedstaat Puntland im Norden des Landes, direkt an der Spitze des Horns von Afrika, hat sich bereits 1998 mit internationaler Unterstützung konstituiert. Puntland strebt nicht nach Unabhängigkeit von Somalia, erkennt die somalische Bundesregierung an und ist einer der fünf offiziellen föderalen Gliedstaaten Somalias, wenngleich mit größerer Autonomie. Es konnten einigermaßen stabile staatliche Strukturen etabliert werden. Al-Schabaab kontrolliert hier keine Gebiete mehr, sondern ist nur noch in wenigen schwer zugänglichen Bergregionen mit Lagern vertreten, ebenso wie der somalische Ableger des sogenannten „Islamischen Staats“. Stammesmilizen spielen im Vergleich zum Süden eine untergeordnete Rolle, wenngleich sie weiterhin präsent sind. Allerdings ist die Grenzziehung im Süden zu Galmudug sowie im Nordwesten zu Somaliland nicht eindeutig, was immer wieder zu kleineren Scharmützeln, in den Regionen Sool und Sanaag auch zu schwereren gewaltsamen Auseinandersetzungen führt.

b) Somaliland

Das Gebiet der früheren Kolonie Britisch-Somaliland im Nordwesten Somalias hat sich 1991 für unabhängig erklärt, wird aber bisher von keinem Staat völkerrechtlich anerkannt. Allerdings bemühen sich die Nachbarn in der Region sowie zunehmend weitere Staaten in Anerkennung der bisherigen Stabilisierungs- und Entwicklungsfortschritte um pragmatische Zusammenarbeit. Das Vertrauen der internationalen Gemeinschaft wurde durch die mehrfache Verschiebung der Parlamentswahlen und schwerwiegende Korruptionsvorwürfe im Zusammenhang mit dem Abkommen zum Betrieb des Hafens von Berbera auf die Probe gestellt. Al-Schabaab kontrolliert in Somaliland keine Gebiete. Die Grenze zu Puntland ist allerdings umstritten, hier kam es vor allem im Jahr 2018 zu zum Teil heftigen militärischen Auseinandersetzungen zwischen somaliländischen und somalischen (puntländischen) Truppen. Die Lage bleibt weiterhin angespannt.

Grundsätzlich gilt, dass die vorhanden staatlichen Strukturen in Somalia sehr schwach sind und wesentliche Staatsfunktionen von ihnen nicht ausgeübt werden können. Von einer flächendeckenden effektiven Staatsgewalt kann nicht gesprochen werden (AA 02.04.2020).

Seit dem Ende der Übergangsperiode und dem Beginn des New Deal Prozesses 2013 wurde wiederholt der politische Wille zur umfassenden Reform des Staatswesens (Etablierung von Rechtsstaatlichkeit, Schutz von Menschenrechten, Demokratisierung, Föderalisierung) bekundet. 2016 und 2017 konnten mit der Gründung der Gliedstaaten und einem relativ demokratisch erfolgten Machtwechsel wichtige Weichen in Richtung Demokratisierung, legitimer Staatsgewalt und Föderalismus erreicht werden. In den anderen Bereichen ist die Situation nach wie vor mangelhaft. Insbesondere das Verhalten der Sicherheitskräfte, Aufbau, Funktionsweise und Effizienz des Justizsystems und die Lage im Justizvollzug entsprechen nicht den völkerrechtlichen Verpflichtungen des Landes (AA 02.04.2020).

ad a) Somalia

Seit Jahrzehnten haben keine allgemeinen Wahlen auf kommunaler, regionaler oder nationaler Ebene stattgefunden. Politische Ämter wurden seit dem Sturz Siad Barres 1991 entweder erkämpft oder unter Ägide der internationalen Gemeinschaft, hilfsweise unter Einbeziehung nicht demokratisch legitimierter traditioneller Strukturen, insbesondere Clanstrukturen, in Selektionsprozessen vergeben. Traditionell benachteiligte Gruppen wie Frauen, Jugendliche, ethnische Minderheiten, LGBTI, Behinderte sowie auch Binnenflüchtlinge sehen sich somit nicht oder nicht hinreichend vertreten. Im November und Dezember 2016 wurde von über 14.000, von Clanältesten bestimmten Wahlmännern ein 275-köpfiges Parlament gewählt. Wenngleich dieser Prozess einen bemerkenswerten demokratischen Fortschritt darstellte, war er von erheblichen Korruptions- und Manipulationsvorwürfen überschattet. Die Präsidentschaftswahl fand am 08.02.2017 statt, als Gewinner ging der frühere Premierminister Mohamed Abdullahi Mohamed „Farmajo“ hervor. Für Ende 2020/Anfang 2021 sind erstmals allgemeine Parlamentswahlen in den Gebieten vorgesehen, in denen die Sicherheitslage solche Wahlen erlaubt. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist noch nicht abzusehen, ob es tatsächlich dazu kommen oder ob stattdessen erneut ein clanbasierter Selektionsprozess wie 2016 stattfinden wird (AA 02.04.2020).

(CIA, Central Intelligence Agency, The World Factbook, Somalia, last update 17.08.2020, abgefragt am 09.09.2020, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/so.html

AA, Auswärtiges Amt, Somalia, politisches Porträt, Stand 30.09.2019, abgefragt am 09.09.2020, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/somalia-node/-/203162

AA, Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia, Stand Januar 2020, 02.04.2020

AA, Auswärtiges Amt, Somalia, Steckbrief, Stand 30.09.2019, abgefragt am 09.09.2020, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/somalia-node/somalia/203130

UNSC, UN Security Council, Bericht des UNO-Generalsekretärs, Bericht zur Lage in Somalia, S/2020/398, 13.05.2020, https://www.ecoi.net/en/file/local/2030188/S_2020_398_E.pdf

BAMF, Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Note, 27.07.2020, https://www.ecoi.net/en/file/local/2034697/briefingnotes-kw31-2020.pdf)

Parteiensystem

ad a) Somalia

Es gibt keine Parteien im westlichen Sinn. Die politischen Loyalitäten bestimmen sich in erster Linie durch die Clanzugehörigkeit oder religiöse Bindung an informelle Gruppierungen. Im September 2016 verabschiedete der Präsident ein Parteiengesetz, das die Grundlage für eine Parteienbildung werden soll. Trotz vorgesehener Mechanismen, die eine breite geografische Repräsentanz in den Parteien sicherstellen sollen, manifestiert sich das Clansystem auch in den neuen Parteien. Dutzende Parteien haben sich provisorisch registriert, weisen jedoch mehrheitlich keine erkennbaren inhaltlich-programmatischen Konzepte auf. Das nächste Parlament soll Ende 2020 erstmals in einer allgemeinen und freien Wahl – dort, wo die Sicherheitslage dies erlaubt – bestimmt werden. Ob eine solche Wahl tatsächlich und im vorgegeben Zeitrahmen stattfinden wird, ist aktuell noch nicht abzusehen. Dies gilt auch für die Frage, ob sich diese Wahlen erstmals an der Parteizugehörigkeit der Kandidaten orientieren werden (AA 02.04.2020).

Eine Besonderheit der Politik und Geschichte Somalias liegt in der Bedeutung der Clans. Clans sind auf gemeinsame Herkunft zurückgehende Großfamilienverbände mit einer bis zu siebenstelligen Zahl von Angehörigen. Die Kenntnis der Clanstrukturen und ihrer Bedeutung für die somalische Gesellschaft ist ein wichtiger Schlüssel zum Verständnis der politischen und historischen Entwicklungen in Somalia. Die übergeordneten Clans in Somalia sind die Hawiye, Darod, Issaq, Dir und der Clanverbund der Digil-Mirifle bzw. Rahanweyn. Aufgrund des jahrzehntelangen Bürgerkriegs ist es nicht möglich, die genauen Zahlenverhältnisse der einzelnen Clans anzugeben. Hawiye, Darod, Issaq und Digil-Mirifle stellen wohl je 20 bis 25 Prozent der Gesamtbevölkerung, die Dir deutlich weniger. Über 95 Prozent aller Somalier fühlen sich einem Sub-Clan zugehörig, der genealogisch zu einem der Clans gehört. Auch diese Sub-Clans teilen sich wiederum in Untereinheiten auf. Die Zugehörigkeit zu einem Clan bzw. Sub-Clan ist ein wichtiges Identifikationsmerkmal und bestimmt, welche Position eine Person oder Gruppe im politischen Diskurs oder auch in bewaffneten Auseinandersetzungen einnimmt (AA Innenpolitik Stand 05.03.2019, abgefragt am 13.11.2019).

(AA, Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia, Stand Januar 2020, 02.04.2020

AA, Auswärtiges Amt, Somalia, Innenpolitik, Stand 05.03.2019, abgefragt am 13.11.2019, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/somalia-node/-/203162)

Asharaf/Ashraf

Das Danish Immigration Service (DIS) geht in einem Bericht zu einer Fact-Finding-Mission in Somalia aus dem Jahr 2000 ausführlich auf die Asharaf ein und erwähnt dabei, dass diese von Asharaf-Ältesten – die sich selbst als Benadiri bezeichnet hätten - in die Gruppen Hussein und Hassan (mit jeweils weiteren Untergruppierungen) unterteilt würden. Jedes Mitglied der Ashraf-Gemeinschaft stammt entweder von Hassan oder Hussein, den Söhnen der Tochter des Propheten Mohammed, ab (Accord 06.02.2012; BAMF Juli 2010; Accord 03.07.2012; EASO August 2014).

Dr. Luling weist im Bericht der U.K. Border Agency (UKBA) vom 17.12.2012 ebenso darauf hin, dass die Asharaf in die Gruppen Hassan und Hussein unterteilt werden (Accord 06.02.2012).

Das UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (UN OCHA) beschreibt in einer im August 2002 veröffentlichten Studie die Asharaf als arabische Immigranten aus
Saudi-Arabien, die ca. 0,5% der Gesamtbevölkerung ausmachen und vor allem in den Küstenstädten Merka, Brava sowie den Regionen Bay und Bakoolin siedeln. Nach Erkenntnissen der Fact Finding Mission 2000, die auf Angaben von Ashraf-Ältesten beruhen, leben die Ashraf in Süd- und Zentralsomalia hauptsächlich in Städten wie Bardera, Kismayo, Baidoa, Jhoddur, Merka, Brava und Mogadischu. In Mogadischu seien sie v. a. im Bezirk Shangani aber auch in Hamar Weyne beheimatet. Ashraf seien auch in Äthiopien (Ogaden, Oromia, Dire Dawa und Harar) beheimatet. Äthiopische Ashraf seien zum Teil zur Zeit des Ogaden-Krieges (1977) nach Somalia gekommen. Ein Teil dieser exilierten Ashraf sei wiederum 1991 –1992 aus Somalia geflohen. Die Ashraf betrachteten sich als Abkömmlinge von Hassan und Hussein, den Enkeln Mohammads von dessen Tochter Fatima und Schwiegersohn Ali. Jeder Ashraf gehöre zu einer dieser beiden Abstammungslinien und jeder weibliche oder männliche Angehörige der Ashraf ab dem Alter von zwei Jahren sei in der Lage sich selbst einer dieser beiden Linien zuordnen. Da Mohammad seinen Enkeln Hassan und Hussein den Titel „Sharif“ verliehen habe, trügen alle ihre Nachkommen die Bezeichnung Sharif als Namensbestandteil, der dem eigentlichen Namen und dem Vaternamen (manchmal werde auch noch der Name des Großvaters verwendet) hinzugefügt werde. Aus diesem Titel leite sich auch die Bezeichnung der gesamten Gruppe als Ashraf (Plural von „Sharif“; daher auch die Benennung „Sharifian“) ab (Accord 29.04.2010; BAMF Juli 2010; U.K. Home Office Juni 2017).

Die Asharaf werden häufig als Minderheit kategorisiert. Einer der Gründe dafür, weshalb die Asharaf häufig als Minderheit eingestuft werden, liegt darin, dass sich die Asharaf bei der Errichtung der Vorübergehenden Bundesregierung im Jahr 2004 aus politischen Gründen in die 0,5-Gruppe als Minderheit platzierten, nachdem sie Schwierigkeiten hatten, innerhalb der Rahanweyn-Gruppe voll repräsentiert zu werden. Hier wird in erster Linie auf die Digil-Mirifle-Asharaf Bezug genommen und nicht auf die Benadiri-Asharaf. Weitere Asharaf-Gruppen leben zusammen mit anderen somalischen Clans in verschiedenen Regionen des Landes. Die Asharaf gelten allgemein als religiös bzw. als religiöse Lehrer, die von der Tochter des Propheten Mohammed, Fatima, abstammen. Meist sind sie in die Gruppen, mit denen sie zusammen siedeln (Digil-Mirifle oder Benadiri) integriert und werden normalerweise von diesen wegen ihres besonderen religiösen Status als Nachkommen des Propheten beschützt. Sie werden daher nicht als Minderheit im engeren Sinne angegriffen, doch können sie an denselben Problemen, mit denen ihre ‚Gastgeber‘- Clans konfrontiert sind, leiden. So wurden sie in den frühen Bürgerkriegsjahren zusammen mit den Benadiri zum Ziel von Angriffen. Einer der wichtigsten Minister und Verbündeten des früheren Präsident Sheikh Sharif, Sharif Hassan, ist Angehöriger der Asharaf. Der aktuelle Präsident Mohamed Abdullahi Mohamed „Farmajo“ war während Sheikh Sharifs Präsidentschaft Premierminister (von Okt 2010 bis Juni 2011). Präsident Farmajo ist der erste somalische Präsident des Darood-Clans (Marehan Sub-Clan) seit 2008; hingegen gehören beide Sheikh Sharif und Hassan Sheikh zu den Hawiye (Abgaal Sub-Clan). Derzeit können die Digil-Mirifle-Asharaf zum Ziel von Übergriffen durch die islamistische Gruppe Al-Schabaab werden, da letztere den religiösen Status der Asharaf nicht anerkennen und Sharif Hassan, der zusammen mit Präsident Sheikh Sharif die treibende Kraft hinter dem Dschibuti-Abkommen von 2008 war (Accord 15.05.2009; UN Sicherheitsrat 10.02.2017; Europäische Kommission Februar 2017).

Professor Dr. Markus Höhne, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Ethnologie an der Universität Leipzig, schreibt in einer E-Mail-Auskunft vom 20.02.2015 Asharaf sind immer noch mit eine der schwächsten Gruppen in der Bundesrepublik Somalia. Sie werden sicher nicht mehr systematisch verfolgt. Aber im allgemeinen sozialen, politischen, ökonomischen und militärischen Gefüge des Südens, der immer noch weit von Stabilität und Frieden entfernt ist, sind Asharaf anfällig gegenüber Ausbeutung, Übergriffen, Kriminalität, sexueller Gewalt etc. Sie haben keine Miliz, die sie verteidigt. Die Regierung ist bei weitem nicht stabil genug, die Sicherheit Ihrer Bürger zu garantieren. Und noch immer operieren al-Schabaab und Kriminelle sowie undisziplinierte Soldaten in Teilen Südsomalias. Mein Fazit ist: Mitglieder dieser Gruppe sind einer erhöhten Gefahr ausgesetzt. Diese ist aber eher allgemeiner Natur und dadurch bedingt, dass Asharaf politisch und vor allem militärisch nicht stabil verankert sind (Accord 12.06.2015; Accord 08.01.2018).

Teilweise werden auch die Ashraf und die Sheikal (Sheikash) zu den ethnischen Minderheiten gezählt. In kultureller und sprachlicher Hinsicht sind sie aber schwerer von der somalischen Mehrheitsbevölkerung zu unterscheiden. Stattdessen haben sie einen speziellen religiösen Status (u.a. Durchführung von Riten) und spielen traditionell eine wichtige Rolle bei der Konfliktlösung. Beide Gruppen unterhalten Sheegad-Verhältnisse. Es gibt es verschiedene Arten von Allianzen: Nachbarschaft, Angeschlossene, Anhänger und Vortäuschende (bzw. „Adoption“). Die letztere heißt Sheegad. Diesen Status haben normalerweise anzahlmässig schwache Clans wie z.B. berufsständische Gruppen, da er ihnen erlaubt, gegen außen die Clan- bzw. Abstammungslinie und damit auch den Schutz des alliierten Mehrheitsclans zu übernehmen. Sheegad kann aber auch von Angehörigen eines Mehrheitsclans in Anspruch genommen werden. Der Schutzclan regelt für sie alle externen Angelegenheiten wie beispielsweise die Vereinbarung von Mag/Diya. Im Kontakt mit Fremden, auch im Ausland, identifizieren sich Angehörige von Berufsgruppen häufig nicht als solche, sondern als Mitglieder ihres Schutzclans. Es kommt sogar vor, dass sich der Mehrheitsclan an Mag/Diya-Zahlungen der Geschützten beteiligt. Solche Allianzen bestehen auch heute noch, wenn auch das Ausmaß etwas abgenommen hat. Ausdrücke wie Sheegad oder Gaashaanbuur sind in der somalischen Gesellschaft aber nicht mehr sehr bekannt. Vielmehr sind es simple Allianzen, die eingegangen werden (EJDP bzw. nunmehr SEM 31.05.2017).

Meistens leben die Asharaf mit den Menschen integriert, mit denen sie sich niedergelassen haben, d.h. Digil-Mirifle oder Benadiri, und werden in der Regel von den Menschen geschützt, mit denen sie leben, soweit sie als mit dem Propheten verwandt angesehen werden, daher behalten sie einen besonderen religiösen Status. Der Punkt ist, dass sie nicht als Minderheit als solche ins Visier genommen werden, sondern die gleichen Probleme wie ihre „Host“-Clans haben können – so wurden Benadiri Asharaf während des frühen Bürgerkriegs gemeinsam mit Benadiri ins Visier genommen. Heute ist Sharif Hassan, einer der Top-Minister und Verbündeten von Scheich Shariff, ein Asharaf. Derzeit könnte die Digil-Mirifle/Asharaf von der islamistischen al-Schabaab-Gruppe ins Visier genommen werden, zum einen, weil diese den religiösen Status der Asharaf nicht anerkennen, und zum anderen, weil sie sich gegen Shariff Hassan stellen, der 2008 zusammen mit Präsident Scheich Shariff die treibende Kraft im Abkommen von Dschibuti war (ARC 28.01.2018).

(UN Sicherheitsrat, Erklärung des Präsidenten des Sicherheitsrats zur Situation in Somalia, 10.02.2017, http://www.un.org/depts/german/sr/sr_17/sp17-03.pdf

EASO, Informationsbericht über das Herkunftsland Süd- und Zentralsomalia Länderüberblick, August 2014, https://coi.easo.europa.eu/administration/easo/PLib/EASO-COIreport-Somalia_DE.pdf

Accord, Anfragebeantwortung zu Somalia, Zahl a-8059, 03.07.2012, https://www.ecoi.net/local_link/221187/342651_de.html

Accord, Anfragebeantwortung zu Somalia, Informationen zum Clan der Reer-ow-Xassan (Reer aw Hassan) (Minderheitenclan und Schutz), Zahl a-7879, 06.02.2012, https://www.ecoi.net/file_upload/response_en_209792.html

BAMF, Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Informationszentrum für Asyl und Migration, Minderheiten in Somalia, Juli 2010, https://milo.bamf.de/milop/livelink.exe/fetch/2000/702450/683266/693991/697672/697677/6029534/13604856/13565580/Deutschland___Bundesamt_f%C3%BCr_Migration_und_Fl%C3%BCchtlinge%2C_Minderheiten_in_Somalia%2C_Juli_2010.pdf?nodeid=13904432&vernum=-2

Accord, Bericht, Clans in Somalia, Bericht zum Vortrag von Dr. Joakim Gundel beim COI-Workshop in Wien am 15.05.2009, https://www.ecoi.net/file_upload/90_1261131016_accord-bericht-clans-in-somalia-ueberarbeitete-neuausgabe-20091215.pdf

Accord, Anfragebeantwortung zu Somalia, 1) Lage der Asharaf; Gehören die Asharaf dem Sub-Clan der Hassan und dem Hauptclan der Arab an? 2) Heirat zwischen Angehörigen von Minderheiten und Mehrheitsclanangehörigen; 3) Situation von Frauen (Gefahren für alleinstehende Frauen), Zahl a-7230, 29.04.2010, https://www.ecoi.net/file_upload/response_en_141627.html

Europäische Kommission, Somalia 2016-2017; limited election process; EU election expert mission; final report; Framework Contract Beneficiaries, LOT 7 Specific Contract N° 2016/377703/1; 13 September 2016 – 16 February 2017, Februar 2017, https://www.ecoi.net/en/file/local/1408355/1226_1505130012_eu-eem-somalia-final-report.pdf

Accord, Anfragebeantwortung zu Somalia, Informationen zur Lage von (weiblichen) Angehörigen der Asharaf (auch: Ashraf) Zahl a-9202-3 (9230), 12.06.2015, https://www.ecoi.net/local_link/305541/442757_de.html

EJPD, Schweizerische Eidgenossenschaft, Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement, bzw. nunmehr SEM, Staatssekretariat für Migration, Focus Somalia, Clans und Minderheiten, 31.05.2017, https://www.sem.admin.ch/dam/data/sem/internationales/herkunftslaender/afrika/som/SOM-clans-d.pdf

U.K. Home Office, Country Information and Guidance South and central Somalia, Majority clans and minority groups, Version 2.0 Juni 2017, https://www.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment_data/file/619552/Somalia_CPIN_majority_clans_and_minority_groups_in_south_and_central_Somalia_2_0_June_2017.pdf

Accord, Anfragebeantwortung zu Somalia, Informationen zur Behandlung von Angehörigen der Ashraf [auch: Asharaf]; Aktivitäten der al-Schabaab im Gebiet Jubbaland (Gedo, Middle Juba, Lower Juba), Zahl a-10438, 08.01.2018, https://www.ecoi.net/de/dokument/1423102.html)

ARC, Asylum Research Consultancy, Situation in South and Central Somalia (including Mogadishu), 25.01.2018, https://www.ecoi.net/en/file/local/1423361/90_1517484171_2018-01-arc-country-report-on-south-and-central-somalia-incl-mogadishu.pdf)

Madhiban/Madhibaan

Verschiedenen Quellen zufolge leben Madhiban über Somalia verstreut. Sie leben im Norden und in Zentralsomalia, so auch in Hiraan, Mogadischu und Kismayo. Laut Informationen der Asylforschungsberatung (ARC) aus dem Jahr 2017 lebten Madhiban auch über Südsomalia verstreut. Die Madhiban stammen ursprünglich aus den Distrikten Mudug und Nugal, wo sie traditionell mit verschiedenen Hawiye-Clans, darunter Gurgate, in Verbindung standen (EASO 29.01.2019).

Für die berufsständischen Gruppen gibt es zahlreiche somalische Bezeichnungen, bei denen regionale Unterschiede bestehen. Häufig genannt werden Waable, Sab, Madhiban (Madhibaan) und Boon. Zur Regierungszeit von Präsident Siyaad Barre (1969-1991) nannte man sie Dan Wadaag. Die landesweit geläufige Bezeichnung Midgaan ist negativ konnotiert (er bedeutet „unberührbar“ oder „ausgestoßen“) und wird von den Berufsgruppen-Angehörigen als Beleidigung empfunden; sie bevorzugen Begriffe wie Madhibaan oder Gabooye. Der Ausdruck Gabooye wird besonders im Norden des somalischen Kulturraums (Somaliland, äthiopischer Regionalstaat Somali) als Dachbegriff. Ursprünglich bezeichnete Gabooye nur einen Clan aus dem Süden, dessen Angehörige sich als Jäger betätigten. In den 1990er Jahren kamen aber verschiedene berufsständische Gruppen insbesondere im Norden überein, die Bezeichnung als Dachbegriff („umbrella“) zu nutzen. Da es im Somalischen keine allgemeine Bezeichnung dieser Clans gibt, verwendet dieser Bericht den deutschen Ausdruck „berufsständische Gruppen“. Die Madhibaan sind ursprünglich Jäger, heute aber als Färber, Gerber, Schuhmacher und in anderen Berufen tätig. Sie leben im ganzen somalischen Kulturraum. Daneben gibt es viele weitere kleine Berufsgruppen, deren Bezeichnungen manchmal überlappend sind. Dazu gehören die Galgale (Umgebung von Mogadischu), Gaheyle (in Sanaag), Yahhar (traditionell als Weber tätig), Jaaji (Fischer in Zentral- und Nordsomalia), Guuleed Hadde, Hawr Warsame, Habr Yaqub, Madgal und Warabeeye. Einer Quelle zufolge gibt es auch innerhalb der Berufsgruppen-Clans stärkere und schwächere Abstammungslinien, die schwächeren seien marginalisiert. Vertreter einer Nichtregierungsorganisation, die sich für Minderheiten einsetzt, widersprachen aber dieser Darstellung. Einer anderen Quelle zufolge sind die urbanen Gabooye generell bessergestellt als andere Berufsgruppen. Heute hat sich die Situation für die Gabooye im Vergleich zur Zeit um die Jahrtausendwende, als sie nicht einmal normal die Schule besuchen konnten, gebessert. Weder das traditionelle Recht Xeer noch Polizei und Justiz benachteiligen gemäß Erkenntnissen der Fact Finding Mission die Minderheiten systematisch. Xeer-Verträge wurden – gemäß Informationen aus dem Jahr 2009 – nur zwischen Mehrheitsclans geschlossen, Minderheiten waren meist ausgeschlossen. Sie können dem Xeer-System aber indirekt beitreten durch ein vertraglich festgelegtes Klientelverhältnis mit einem Mehrheitsclan. Das Brauchtumsrecht Xeer sieht Allianzen zwischen Gruppen vor, die Gaashaanbuur genannt werden. Dabei gibt es verschiedene Arten von Allianzen: Nachbarschaft, Angeschlossene, Anhänger und Vortäuschende (bzw. „Adoption“). Die letztere heißt Sheegad. Diesen Status haben normalerweise anzahlmäßig schwache Clans wie z.B. berufsständische Gruppen, da er ihnen erlaubt, gegen außen die Clan- bzw. Abstammungslinie und damit auch den Schutz des alliierten Mehrheitsclans zu übernehmen. Shegaad kann aber auch von Angehörigen eines Mehrheitsclans in Anspruch genommen werden. Während Gabooye auf unterer Ebene noch über Repräsentanten verfügen, sind sie bei Entscheidungen auf höheren Ebenen auf Allianzen mit relevanten Clans angewiesen, um repräsentiert zu werden. Quellen der Fact-Finding Mission zeichneten ein teils neues Bild. So hat beispielsweise in Somaliland die Anerkennung von Gabooye-Suldaans zu einer Aufwertung der berufsständischen Gruppen geführt. Damit geht auch soziale Sicherheit einher. Die Gabooye haben im Xeer ihre Rechte. Zusätzlich sind Verfahren im Xeer meist nicht korrumpierbar und fairer. Allerdings gibt es hier auch Ausnahmen: Laut einer Quelle der Fact Finding Mission macht es beispielsweise einen Unterschied, ob ein Gabooye oder ein Angehöriger eines Mehrheitsclans Täter bei einer Vergewaltigung ist – bzw. ob das Opfer Gabooye oder Mehrheitsangehörige ist. Der gesellschaftliche Umgang mit den Angehörigen von Minderheiten hat sich in den letzten Jahren verbessert. Insbesondere unter jungen Leuten ist die Einstellung zu ihnen gemäß Erkenntnissen der Fact-Finding Mission positiver geworden. Obwohl ein gewisses Stigma weiterhin besteht, ist es mittlerweile für viele Angehörige der Mehrheitsclans üblich, auch mit Angehörigen berufsständischer Gruppen zu sprechen, zu essen, zu arbeiten und Freundschaften zu unterhalten, wie mehrere befragte Quellen übereinstimmend aussagten. Dabei handelt es nicht nur um einen oberflächlichen Wandel, sondern um einen „change of mind-set“ – selbst bei älteren Generationen. Die offizielle Anerkennung von Minderheiten Clanältesten in Somaliland hat ihren gesellschaftlichen Ruf dort generell verbessert. Ein Gesprächspartner der Fact-Finding Mission ging sogar davon aus, dass in den Städten Somalilands in den nächsten Jahren die Clans zunehmend an Bedeutung verlieren und dafür die Gesellschaftsschichten bzw. soziale Klassen wichtiger werden könnten. Schon jetzt sind die soziale Stufe und die damit verbundene Armut für viele das Hauptproblem. Früher kam es vor, dass Angehörige der Mehrheitsclans Minderheiten-Angehörige aufgrund von Vorurteilen beschimpften. Die soziale Interaktion mit Angehörigen berufsständischer Gruppen wie z. B. das Grüßen oder gemeinsame Mahlzeiten war eingeschränkt. Nach Einschätzung einer westlichen Botschaft kommt es im Allgemeinen zu keinen gezielten Angriffen oder Misshandlungen der Gabooye (SEM 31.05.2017).

Zu den Gabooye/Midgan gehören unter anderem die Gruppen Madhibaan, Muuse Dhariyo, Howleh, Hawraar Same und Habar Yaquup. Eine örtliche NGO habe laut Bericht des DIS vom Jänner 2013 in Mogadischu angegeben, marginalisierte Gruppen wie etwa die Midgan würden größere Ängste als Angehörige der größeren Clans haben. Dies sei darauf zurückzuführen, dass die Polizei und die Sicherheitskräfte bislang „schwache Einrichtungen“ seien (Accord 23.02.2013).

Die MRG (Minority Rights Group International) berichtet im Juni 2012, dass Minderheitengruppen, wie etwa die Gaboye und Madhiban, zu Tausenden in Binnenvertriebenenlager in Somaliland, Puntland und Kenia ziehen würden, wo sie erneut von Diskriminierung betroffen seien. Minderheitengruppen würden außerhalb der traditionellen somalischen Clanstruktur stehen und deshalb über kein Schutzsystem verfügen. Aufgrund sozialer Segregation, Existenznot und politischer Manipulation seien Minderheitengruppen in größerem Ausmaß von Vergewaltigung, Angriffen, Entführung, Beschlagnahmung von Eigentum und den Konsequenzen von Dürre bedroht.
Das US-Außenministerium (US Department of State, USDOS) schreibt in seinem Jahresbericht zur Menschenrechtslage vom Februar 2014 (Berichtszeitraum: 2013), dass unter anderem die Madhiban und Gabooye zu den Minderheitengruppen zählen würden. Mischehen zwischen Minderheitengruppen und Hauptclans seien traditionell nur eingeschränkt möglich. Minderheitengruppen, die oft über keine bewaffneten Milizen verfügen würden, seien unverhältnismäßig oft von Tötung, Folter, Vergewaltigung, Entführung und Plünderung durch Milizen und Angehörige von Hauptclans betroffen, die von diesen ungestraft verübt würden. Viele Minderheiten würden in großer Armut leben und von zahlreichen Formen von Diskriminierung und Ausgrenzung betroffen sein (Accord 12.06.2015).

Wie allgemein bekannt gelten die Madhiban – wie auch andere Angehörige berufsbezogener Kasten (Waable) – als ärmste und marginalisierteste Gruppe in Somalia. Dies wird von mehreren Quellen unzweifelhaft bestätigt. Kasten bzw. Waable bzw. Midgan bzw. Madhiban sind generell arm und leben in großer Not. Nur wenige konnten jemals die Mittel aufbringen, ins Ausland zu fliehen; so sind diese Menschen auch von Geldflüssen aus der Diaspora weitgehend ausgeschlossen. Gleichzeitig verfügen Angehörige berufsständischer Kasten nur über eine durch ihr geringes Einkommen verursachte schwache Kaufkraft. Dadurch und gleichzeitig auch durch den Ausschluss aus traditionellen Netzwerken bleibt ihnen auch der Zugang zu lukrativen wirtschaftlichen Möglichkeiten verwehrt. Ständische Berufskasten haben traditionell weder das Recht auf Eigentum an Land und Vieh noch das Recht, sich an lokalen Geschäften, Marktwirtschaft oder Politik zu beteiligen. Wenn Kinder überhaupt eingeschult werden, werden diese auch bald wieder von der Schule genommen, um sie als Arbeitskraft einzusetzen. Minderheitenvertreter beklagen, dass ihnen das Recht auf Bildung versagt bleibt. Hinsichtlich des Restaurantbetriebs ist festzuhalten, dass es zwischen „noblen“ somalischen Clans und Angehörigen von Kasten einige gesellschaftliche Tabus gibt. Diese beschränken sich nicht nur auf eine etwaige Mischehe, sondern auch auf z.B. ein gemeinsames Essen oder engere Kontakte. Oft leben sie auch in separaten Wohngebieten. Angehörige von berufsständischen Kasten sind üblicherweise auf ihre traditionellen Berufe beschränkt, bzw. können sie nur derartigen – oder verwandten – Berufen nachgehen. Keinem Somali-Clan ist es erlaubt, mit den Midgan-Madhiban oder anderen niedrigen Kasten Mischehen einzugehen, mit ihnen zu essen, oder enge Kontakte zu pflegen [closely associate]. Die Waable [= berufsständische Kasten; also auch Madhiban] besaßen weiterhin keine politische Macht. Sie waren auf lokaler Ebene nicht vertreten und wurden weiterhin von Waranle und Wadaad beeinflusst. Selbst in den Städten, wo sie größere Bewegungsfreiheit hatten, lebten sie in getrennten Gebieten, in Vorstadtghettos. Insgesamt bedeutete der Ausbruch des Bürgerkrieges eine Verschlechterung der Situation der Waable. Nicht nur, dass sie an den drastischen Folgen der Kämpfe zu leiden hatten, traf sie insbesondere auch der Rückschritt der Somali-Gesellschaft als Ganzes. Je weiter entfernt die Erinnerung an staatliche Strukturen zurücklag, desto mehr verfiel vor allem Süd- und Zentralsomalia in eine Zeitreise zum traditionellen Urzustand zurück, zu den historisch verankerten Reglements der Gesellschaft. Dieser Rückschritt traf die Minderheiten aus mehreren Richtungen: erstens verloren sie den staatlichen Schutz. Da sich über Jahrzehnte der Staatlichkeit vor allem in den Städten traditionelle Schutzmechanismen auf ein formelles Maß reduziert hatten, fanden sich die Waable wie auch andere ethnische Minderheiten ohne Schutz bzw. Patron wieder. Dementsprechend waren es vor allem in den ersten Jahren des Bürgerkrieges die Minderheiten, welche im Konflikt besonders zum Ziel wurden und überproportional von Tötungen, Vergewaltigungen und Plünderung betroffen waren. Zweitens mussten sich die Angehörigen der Berufskasten aus Mangel einer Alternative zum Patron in das alte System einfügen, wodurch ihnen auf längere Sicht die Möglichkeit genommen wurde, die Ansätze einer Emanzipation fortzuführen. Drittens wurden sie vom rasch entstehenden System der Geldflüsse aus der Diaspora größtenteils ausgeschlossen, da nur wenige von ihnen die Mittel aufbringen konnten, ins Ausland zu fliehen. Selbst bei der Hilfe durch humanitäre Organisationen wurden die Minderheiten diskriminiert. Eine weitere Separation der Waable betrifft deren Wohnstätten. In der nomadischen Tradition ist es üblich, die Lager der Berufskasten abseits anderer Clans zu errichten. Dies erfolgt entweder höhenmäßig unterhalb des Lagers der „Noblen“ oder auf der anderen Seite eines Flussbettes. Diese traditionelle „Ghetto-Bildung“ hatte auch im Zuge der Urbanisierung Konsequenzen. Meist sind die Wohngebiete der Berufskasten weiter entfernt von Wasserstellen, medizinischen Einrichtungen und Schulen. Obwohl die traditionellen Berufe der Waable sie im produktivsten Sektor der Gesellschaft ansiedeln, stellt heute die Beschränkung auf diese Tätigkeiten eine Art sozioökonomisches „Ghetto“ dar, welches ihre soziale Mobilität stark einschränkt. Konventionelle Wege sozialen Aufstiegs sind ihnen oftmals verwehrt. Zum Beispiel sind üblicherweise keine Stellen im öffentlichen Dienst für sie verfügbar. Zudem bleibt ihnen der Erhalt durch agrarische Subsistenzwirtschaft verwehrt. Gleichzeitig verfügen die Waable nur über eine durch ihr geringes Einkommen verursachte schwache Kaufkraft. Dadurch und gleichzeitig auch durch den Ausschluss aus traditionellen Netzwerken bleibt ihnen auch der Zugang zu lukrativen wirtschaftlichen Möglichkeiten verwehrt. Professor Markus Höhne zitiert die in Somaliland tätige Minderheiten-NGO VOSOMWO. Nach deren Aussagen, würden Minderheiten – und hier speziell Frauen – Grundrechte verweigert, so zum Beispiel das Recht auf Bildung. Schon Anfang der 2000er, als einige europäische Regierungen davon ausgingen, dass in Somalia die schlimmste Zeit überstanden sei, war die Angabe der Zugehörigkeit zu einer Minderheitengruppe in Somalia ein relativ sicheres Mittel, um in Europa Asyl zu bekommen. Klarerweise haben auch Angehörige von „noblen“ Clans von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht, und sich als Minderheitenangehörige (z.B. Midgan oder Ashraf) ausgegeben (BFA Anfragebeantwortung 23.01.2017).

In Mogadischu leben Vertreter der meisten Clans und Minderheiten. In Mogadischu kommen Menschen, über Clangrenzen hinweg, zu Arbeits-und Bildungszwecken und im sozialen Umfeld zusammen sowie um zu heiraten. Einige Gruppen von Minderheiten haben eine gut etablierte Gemeinschaft in Mogadischu, und einige haben in den letzten Jahren ihre Geschäfte und Existenzen wiederaufgebaut. Es gibt keine Aufzeichnungen über die Clan- oder Gruppenzugehörigkeit der Einwohner von Mogadischu, aber nach Angaben lokaler Auskunftspersonen sind „die meisten“ Clans in der Stadt vertreten ... Außerdem sind Somalias Regierung und Parlament, in dem alle vier großen Clans in Südsomalia (Darod, Dir, Hawiye und Rahanweyne/Digil) sowie Minderheiten repräsentiert sind (siehe zum Beispiel UNSOM 2016), in Mogadischu vertreten. Obwohl Mogadischus Bevölkerung weitgehend nach Clan-Zugehörigkeit ... und ihre Loyalität in erster Linie beim eigenen Clan liegt, ist wichtig zu betonen, dass die Menschen in Bezug auf Arbeit, Handel, Schulbildung und andere soziale Rahmenbedingungen über die Clangrenzen hinweg zusammenkommen. Auch Leute aus verschiedenen Clans heiraten (U.K. Jänner 2019).

(U.K. Home Office, Country Policy and Information Note Somalia, Majority clans and minority groups in south and central Somalia, Version 3.0 Jänner 2019, https://assets.publishing.service.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment_data/file/773526/Somalia_-_Clans_-_CPIN_V3.0e.pdf

SEM, EJPD, Schweizerische Eidgenossenschaft, Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement, bzw. nunmehr SEM, Staatssekretariat für Migration, Focus Somalia, Clans und Minderheiten, 31.05.2017, https://www.sem.admin.ch/dam/data/sem/internationales/herkunftslaender/afrika/som/SOM-clans-d.pdf

Accord, Anfragebeantwortung zu Somalia, Informationen zur Lage der Gaboye/Midgan, Zahl a-9202-2 (9229), 12.06.2015, http://www.ecoi.net/local_link/309154/448404_de.html

Accord Anfragebeantwortung zu Somalia, Aktuelle Lage von Angehörigen der Madhiban/Midgan, Zahl a-8293, 23.02.2013

Staatendoku, Anfragebeantwortung der Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Somalia, Madhiban in Kismayo, 23.01.2017

EASO, Anfragebeantwortung zur somalischen Kaste der Madhiban, 29.01.2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2002652/SOM_Q3.pdf)

„Mischehen“

Alle dazu befragten Gesprächspartner der Fact-Finding Mission waren sich darin einig, dass Mehrheitsclans Mischehen mit Angehörigen berufsständischer Gruppen meist nicht akzeptieren. Dies stimmt auch mit den Angaben in der Literatur überein. Dabei richtet sich dieses Tabu ausschließlich gegen diese Art von Minderheiten. In der traditionell exogamen somalischen Gesellschaft ist dies ein Nachteil, da es den Minderheitenclans verunmöglicht, Allianzen auf Augenhöhe zu schließen und Netzwerke aufzubauen. Als besonders problematisch wird es angesehen, wenn eine Mehrheits-Frau einen Minderheiten-Mann heiratet, da dann ihre Kinder der Minderheit angehören werden. Der umgekehrte Fall ist weniger problematisch, da die Kinder eines Mehrheiten-Mannes trotz einer Minderheiten-Mutter dem Mehrheitsclan angehören. Der Druck auf Mischehen ist insbesondere in ländlichen Gebieten ausgeprägt, während er in den Städten etwas abgenommen haben dürfte. Eine Quelle der Fact-Finding Mission gab gar an, dass eine Mischehe in kosmopolitischen Städten wie Mogadischu oder Kismayo „keine große Sache“ sei. Mischehen zwischen Mehrheitsclans und berufsständischen Gruppen kommen nach übereinstimmenden Aussagen mehrerer Gesprächspartner der Fact-Finding Mission „sehr, sehr selten“ vor – insbesondere zwischen Mehrheits-Frauen und Minderheits-Männern. Es bestehen offenbar regionale Unterschiede. Im clanmäßig homogeneren Norden des somalischen Kulturraums ist den Mehrheitsclans tendenziell die „Reinheit“ des Clans wichtiger als im stark durchmischten Süden. Deshalb sind Mischehen im Norden seltener und gleichzeitig stärker stigmatisiert als im Süden. In Somaliland lehnen die Clanfamilien Isaaq und Darod Mischehen vehement ab, während sie die Dir eher akzeptieren. Eine Quelle der Fact-Finding Mission gab an, dass auch die Hawiye und die Rahanweyn die Frage der Mischehe weniger eng sehen würden als die Isaaq. Eine weitere Quelle gab an, dass Hawiye in einer Ehe zwischen einem Hawiye-Mann und einer Minderheiten-Frau tendenziell kein großes Problem sehen. Einige wenige Mischehen sind auch in Jijiga in Äthiopien bekannt. Probleme können vor der eigentlichen Eheschließung beginnen. In der somalischen Gesellschaft müssen Heiratswillige bei ihren Familien einige traditionelle Verfahren absolvieren, bevor die Familien ihr Einverständnis zur Ehe geben. Wenn jemand eine Person aus einer Minderheit heiraten möchte, gelingt dies in aller Regel nicht und die Betroffenen akzeptieren das Verdikt. Selbst bei Heiraten unter Mehrheitsclans k

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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