Entscheidungsdatum
15.10.2020Norm
AsylG 2005 §12a Abs2Spruch
W123 2171072-2/3E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch den Richter Dr. Michael ETLINGER über die durch den mündlich verkündeten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 12.10.2020, Zl. 1087596808, erfolgte Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes des XXXX , geb. XXXX , StA: Afghanistan:
A)
Die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes ist gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 nicht rechtmäßig.
Der mündlich verkündete Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 12.10.2020, Zl. 1087596808, wird aufgehoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte nach Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 16.09.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.
2. Am 17.09.2015 fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung des Beschwerdeführers nach dem statt und brachte zum Fluchtgrund vor, dass er in Afghanistan mit ihm unbekannten Leuten Probleme gehabt habe, da diese Leute Drogen verkauft hätten. Er sei von diesen oberhalb des Bauches angeschossen und auch geschlagen worden. Im Falle einer Rückkehr fürchte er von den besagten ihm unbekannten Leuten getötet zu werden.
3. Bei der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: belangte Behörde) am 02.08.2017 gab der Beschwerdeführer zu seinem Fluchtgrund an, dass er und sein Vater in Afghanistan einen Supermarkt besessen hätten. Neben dem Geschäft hätten einige Leute Drogen verkauft, weshalb sich immer weniger Kunden in deren Geschäft getraut und sie Verkaufseinbußen gehabt hätten. Daraufhin hätten der Beschwerdeführer und sein Vater beschlossen, eine Anzeige bei der Polizei zu erstatten. Die Leute hätten von der Anzeige erfahren und hätten gesagt, dass dies nicht richtig gewesen sei und die Polizei auch ihnen gehöre. Am nächsten Tag sei er, als er am Weg zum Einkaufen gewesen sei, von diesen Leuten überfallen, getreten und beraubt worden. Alle Leute hätten gewusst, dass er immer diesen einen Weg gehe und er viel Geld mithabe. Er habe diese Leute gekannt, es seien die Leute, die die Drogen verkauft hätten, gewesen. Sie hätten ihn dann wieder gehen lassen und folglich nach ihm gerufen, woraufhin er sich umgedreht und sie auf ihn geschossen hätten. Sie hätten ihn am Boden liegen gelassen und sei er von einem Passanten in das Krankenhaus gebracht worden. Daraufhin habe er Afghanistan mit Hilfe seines Vaters verlassen.
4. Mit Bescheid der belangten Behörde vom 25.08.2017 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen, ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt, gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen sowie gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.) und gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für seine freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt (Spruchpunkt IV.).
In der Begründung führte die belangte Behörde insbesondere aus, dass nicht festgestellt werden habe können, dass der Beschwerdeführer sein Herkunftsland aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung verlassen habe. Die von ihm vorgebrachten Fluchtgründe seien insgesamt nicht asylrelevant und würden nicht in den Anwendungsbereich der Genfer Flüchtlingskonvention fallen. Der Beschwerdeführer sei in Afghanistan weder aufgrund seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung verfolgt worden. Fluchtauslösend wären kriminelle Handlungen durch Private.
5. Gegen den genannten Bescheid erhob der Beschwerdeführer durch seinen Vertreter mit Schreiben vom 05.09.2017 Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht, in der im Wesentlichen ausgeführt wurde, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers asylrelevant sei. Ferner wurde das mangelhafte Ermittlungsverfahren gerügt und hinsichtlich der Länderfeststellungen bemängelt, dass die Behörde lediglich allgemein gehaltene Länderberichte angewendet und sich nicht mit der Situation des Beschwerdeführers auseinandergesetzt habe.
6. Am 16.10.2019 führte das Bundesverwaltungsgericht in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die Sprache Dari eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, in welcher der Beschwerdeführer ausführlich zu seinen Fluchtgründen, seinen persönlichen Umständen im Herkunftsstaat sowie zu seiner Integration befragt wurde.
7. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 31.01.2020, W232 2171072-1/34E, wurde die Beschwerde als unbegründet abgewiesen und im Zuge der rechtlichen Beurteilung zum Antrag auf Asyl insbesondere darauf hingewiesen, dass es sich bei der vom Asylwerber vorgebrachten Verfolgung um eine Verfolgung durch Privatpersonen – ohne Anknüpfung an einen Konventionsgrund – handelt.
8. Am 28.09.2020 stellte der Beschwerdeführer den gegenständlichen Folgeantrag auf internationalen Schutz und gab im Rahmen der Erstbefragung am selben Tag an, dass sein neuer Asylgrund seine Homosexualität sei. Der Beschwerdeführer stehe seit dem Jahr 2018 zu seiner Homosexualität. Aufgrund dieses Umstandes sei sein Leben in Afghanistan gefährdet.
9. Am 12.10.2020 erfolgte die Einvernahme des Beschwerdeführers vor der belangten Behörde. Auf die Frage, warum er erneut einen Asylantrag stellt, bestätigte der Beschwerdeführer zunächst seine Fluchtgründe bei der ersten Asyleinvernahme. Als zweiten (neuen) Grund brachte der Beschwerdeführers erstmals vor, dass er homosexuell sei und bereits in Afghanistan immer Beziehungen mit Männern gehabt habe. Zudem habe er auch 2018 eine Beziehung mit einem Österreicher gehabt. Ferner hätten ihn ein paar Afghanen in Österreich vergewaltigt und davon ein Video produziert. Alle hätten nunmehr gewusst, dass der Beschwerdeführer homosexuell sei. Der Beschwerdeführer habe sich „damals“ geschämt und daher diesen zweiten Fluchtgrund bisher nicht erwähnt.
10. Im Anschluss an die Einvernahme wurde der im Spruch angeführte Bescheid mündlich verkündet und gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 der faktische Abschiebeschutz gemäß § 12 AsylG 2005 gegen den Beschwerdeführer aufgehoben.
Beweiswürdigend wurde insbesondere ausgeführt, dass das neue Vorbringen des Beschwerdeführers vollständig unglaubwürdig gewesen sei, da es sich lediglich auf Behauptungen stütze und einer Verifizierung nicht zugänglich sei. Zudem habe der Beschwerdeführer ein derartiges Vorbringen in seinem Vorverfahren nicht einmal ansatzweise getätigt. Es handle sich daher um eine „gesteigertes Vorbringen“.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der oben unter I. wiedergegebene Sachverhalt wird festgestellt.
2. Beweiswürdigung:
Der Verfahrensgang und der festgestellte Sachverhalt ergeben sich aus dem unbedenklichen und unzweifelhaften Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakte der belangten Behörde sowie aus dem Gerichtsakt des Bundesverwaltungsgerichtes.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
3.1. Der mit "Faktischer Abschiebeschutz bei Folgeanträgen" betitelte § 12a AsylG 2005 lautet:
"§ 12a. (1) Hat der Fremde einen Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23) nach einer zurückweisenden Entscheidung gemäß §§ 4a oder 5 oder nach jeder weiteren, einer zurückweisenden Entscheidung gemäß §§ 4a oder 5 folgenden, zurückweisenden Entscheidung gemäß § 68 Abs. 1 AVG gestellt, kommt ihm ein faktischer Abschiebeschutz nicht zu, wenn
1. gegen ihn eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG oder eine Ausweisung gemäß § 66 FPG erlassen wurde,
2. kein Fall des § 19 Abs. 2 BFA-VG vorliegt,
3. im Fall des § 5 eine Zuständigkeit des anderen Staates weiterhin besteht oder dieser die Zuständigkeit weiterhin oder neuerlich anerkennt und sich seit der Entscheidung gemäß § 5 die Umstände im zuständigen anderen Staat im Hinblick auf Art. 3 EMRK nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit maßgeblich verschlechtert haben., und
4. eine Abschiebung unter Berücksichtigung des Art. 8 EMRK (§ 9 Abs. 1 bis 2 BFA-VG) weiterhin zulässig ist.
(2) Hat der Fremde einen Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23) gestellt und liegt kein Fall des Abs. 1 vor, kann das Bundesamt den faktischen Abschiebeschutz des Fremden aufheben, wenn
1. gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG besteht,
2. der Antrag voraussichtlich zurückzuweisen ist, weil keine entscheidungswesentliche Änderung des maßgeblichen Sachverhalts eingetreten ist, und
3. die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung keine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2, 3 oder 8 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten und für ihn als Zivilperson keine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
(3) Hat der Fremde einen Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23) gemäß Abs. 2 binnen achtzehn Tagen vor einem bereits festgelegten Abschiebetermin gestellt, kommt ihm ein faktischer Abschiebeschutz nicht zu, wenn zum Antragszeitpunkt
1. gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG besteht,
2. der Fremde über den Abschiebetermin zuvor nachweislich informiert worden ist (§ 58 Abs. 2 FPG) und
3. darüber hinaus
a) sich der Fremde in Schub-, Straf- oder Untersuchungshaft befindet;
b) gegen den Fremden ein gelinderes Mittel (§ 77 FPG) angewandt wird, oder
c) der Fremde nach einer Festnahme gemäß § 34 Abs. 3 Z 1 oder 3 BFA-VG iVm § 40 Abs. 1 Z 1 BFA-VG angehalten wird.
Liegt eine der Voraussetzungen der Z 1 bis 3 nicht vor, ist gemäß Abs. 2 vorzugehen. Für die Berechnung der achtzehntägigen Frist gilt § 33 Abs. 2 AVG nicht.
(4) In den Fällen des Abs. 3 hat das Bundesamt dem Fremden den faktischen Abschiebeschutz in Ausnahmefällen zuzuerkennen, wenn der Folgeantrag nicht zur ungerechtfertigten Verhinderung oder Verzögerung der Abschiebung gestellt wurde. Dies ist dann der Fall, wenn
1. der Fremde anlässlich der Befragung oder Einvernahme (§ 19) glaubhaft macht, dass er den Folgeantrag zu keinem früheren Zeitpunkt stellen konnte oder
2. sich seit der letzten Entscheidung die objektive Situation im Herkunftsstaat entscheidungsrelevant geändert hat.
Über das Vorliegen der Voraussetzungen der Z 1 und 2 ist mit Mandatsbescheid (§ 57 AVG) zu entscheiden. Wurde der Folgeantrag binnen zwei Tagen vor dem bereits festgelegten Abschiebetermin gestellt, hat sich die Prüfung des faktischen Abschiebeschutzes auf das Vorliegen der Voraussetzung der Z 2 zu beschränken. Für die Berechnung der zweitägigen Frist gilt § 33 Abs. 2 AVG nicht. Die Zuerkennung des faktischen Abschiebeschutzes steht einer weiteren Verfahrensführung gemäß Abs. 2 nicht entgegen.
(5) Abweichend von §§ 17 Abs. 4 und 29 Abs. 1 beginnt das Zulassungsverfahren in den Fällen des Abs. 1 und 3 bereits mit der Stellung des Antrags auf internationalen Schutz.
(6) Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 FPG bleiben 18 Monate ab der Ausreise des Fremden aufrecht, es sei denn es wurde ein darüber hinausgehender Zeitraum gemäß § 53 Abs. 2 und 3 FPG festgesetzt. Anordnungen zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, Ausweisungen gemäß § 66 FPG und Aufenthaltsverbote gemäß § 67 FPG bleiben 18 Monate ab der Ausreise des Fremden aufrecht. Dies gilt nicht für Aufenthaltsverbote gemäß § 67 FPG, die über einen darüber hinausgehenden Zeitraum festgesetzt wurden."
3.2. Gemäß § 22 Abs. 10 AsylG 2005 ergehen Entscheidungen des Bundesamtes über die Aufhebung des Abschiebeschutzes gemäß § 12a Abs. 2 mündlich in Bescheidform. Die Beurkundung gemäß § 62 Abs. 2 AVG gilt auch als schriftliche Ausfertigung gemäß § 62 Abs. 3 AVG. Die Verwaltungsakte sind dem Bundesverwaltungsgericht unverzüglich zur Überprüfung gemäß § 22 BFA-VG zu übermitteln. Diese gilt als Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht; dies ist in der Rechtsmittelbelehrung anzugeben. Über die Rechtmäßigkeit der Aufhebung des Abschiebeschutzes hat das Bundesverwaltungsgericht im Rahmen der Überprüfung gemäß § 22 BFA-VG mit Beschluss zu entscheiden.
Der mit "Überprüfung der Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes " betitelte § 22 BFA-VG lautet:
"(1) Eine Entscheidung des Bundesamtes, mit der der faktische Abschiebeschutz eines Fremden aufgehoben wurde (§ 12a Abs. 2 AsylG 2005), ist vom Bundesverwaltungsgericht unverzüglich einer Überprüfung zu unterziehen. Das Verfahren ist ohne Abhaltung einer mündlichen Verhandlung zu entscheiden. § 20 gilt sinngemäß. § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG ist nicht anzuwenden.
(2) Die Aufhebung des Abschiebeschutzes gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 und eine aufrechte Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG oder eine Ausweisung gemäß § 66 FPG sind mit der Erlassung der Entscheidung gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 durchsetzbar. Mit der Durchführung der die Rückkehrentscheidung oder Ausweisung umsetzenden Abschiebung gemäß § 46 FPG ist bis zum Ablauf des dritten Arbeitstages ab Einlangen der gemäß § 22 Abs. 10 AsylG 2005 zu übermittelnden Verwaltungsakten bei der zuständigen Gerichtsabteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuzuwarten. Das Bundesverwaltungsgericht hat das Bundesamt unverzüglich vom Einlangen der Verwaltungsakten bei der zuständigen Gerichtsabteilung und von der im Rahmen der Überprüfung gemäß Abs. 1 getroffenen Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Aufhebung des Abschiebeschutzes zu verständigen.
(3) Über die Rechtmäßigkeit der Aufhebung des Abschiebeschutzes im Rahmen der Überprüfung gemäß Abs. 1 hat das Bundesverwaltungsgericht binnen acht Wochen zu entscheiden.
3.3. Eine der Voraussetzungen für die Aberkennung faktischen Abschiebeschutzes ist gemäß § 12a Abs. 2 Z 2 AsylG 2005, dass "der Antrag voraussichtlich zurückzuweisen ist, weil keine entscheidungswesentliche Änderung des maßgeblichen Sachverhalts eingetreten ist". Es ist also eine Prognose darüber zu treffen, ob der Antrag voraussichtlich (insbesondere wegen entschiedener Sache) zurückzuweisen sein wird.
Der Verwaltungsgerichtshof hat zur Tatbestandsvoraussetzung des § 12a Abs. 2 Z 2 AsylG 2005 ("wenn der Antrag voraussichtlich zurückzuweisen ist, weil keine entscheidungswesentliche Änderung des maßgeblichen Sachverhalts eingetreten ist") erkannt, es müsse das vom Gesetz angestrebte Ziel beachtet werden, den faktischen Abschiebeschutz nur für klar missbräuchliche Anträge beseitigen zu wollen. Nicht jeder Folgeantrag, bei dem eine (spätere) Zurückweisung wegen entschiedener Sache gemäß § 68 AVG in Betracht kommen könnte, berechtige daher zur Aberkennung des faktischen Abschiebeschutzes nach § 12a Abs. 2 AsylG 2005. Es müsse sich vielmehr um einen Fall handeln, in dem sich dieser Verfahrensausgang von vornherein deutlich abzeichne. Nur dann könne auch angenommen werden, dass die Antragstellung in Wirklichkeit den Zweck verfolge, die Durchsetzung einer vorangegangenen und mit einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme verbundenen (rechtskräftigen) Vorentscheidung zu verhindern. Auf einen solchen missbräuchlichen Zweck deute - unter Bedachtnahme auf näher bezeichnete unionsrechtlichen Vorgaben - etwa die mehrfache Folgeantragstellung hin, wenn dieser keine substanziell neuen und eine andere Beurteilung rechtfertigenden Sachverhaltselemente zugrunde liegen. Möglich seien aber auch andere Umstände, die den Schluss zuließen, dass der Fremde mit seinem Folgeantrag eine (bevorstehende) Abschiebung verhindern oder verzögern möchte (vgl. dazu grundlegend VwGH 19.12.2017, Ra 2017/18/0451; siehe auch VwGH 07.02.2020, Ra 2019/18/0487).
§ 12a Abs. 2 Z 2 AsylG verlangt eine Prognoseentscheidung über eine voraussichtliche Antragszurückweisung; die Sachentscheidung über den Folgeantrag selbst ist nicht Gegenstand des Verfahrens (vgl. die in Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht [2016] auf S. 284 angeführten Gesetzesmaterialien zu § 22 BFA-VG).
3.4. Daraus folgt für den gegenständlichen Fall:
a) Im vorangegangenen Verfahren gab der Beschwerdeführer als Fluchtgrund an, mit unbekannten Leuten Probleme gehabt zu haben und von diesen überfallen, getreten und beraubt worden zu sein.
b) Im gegenständlichen Verfahren brachte der Beschwerdeführer erstmals vor, homosexuell zu sein, sich jedoch bisher ob dieser Tatsache geschämt zu haben. Es drohe ihm daher bei einer Rückkehr nach Afghanistan Verfolgung.
Im Falle des Zutreffens der Behauptungen des Beschwerdeführers läge ein entscheidungsrelevanter geänderter Sachverhalt vor, der zu einer möglichen Verfolgung im Heimatland aus GFK-relevanten Gründen führen könnte.
§ 12a Abs. 2 Z 2 AsylG verlangt eine Prognoseentscheidung über eine voraussichtliche Antragszurückweisung; die Sachentscheidung über den Folgeantrag selbst ist nicht Gegenstand des Verfahrens.
Im Lichte der aufgezeigten Erwägungen kann derzeit nicht hinreichend zuverlässig davon ausgegangen werden, dass der vorliegende Antrag wegen entschiedener Sache zurückzuweisen sein wird. Dies ergibt sich schon aufgrund des Umstandes, dass die belangte Behörde – sieht man einmal von der Einvernahme des Beschwerdeführers ab – keine weiteren Ermittlungsschritte setzte, um den behaupteten Nachfluchtgrund einer umfassenden Überprüfung zu unterziehen. So behauptete der Beschwerdeführer im Rahmen der Einvernahme etwa, dass er im Jahr 2018 eine „Beziehung“ mit einem Österreicher, namens „ XXXX “, gehabt habe. Dem Verfahrensakt lässt sich jedoch nicht entnehmen, dass die belangte Behörde dieses Vorbringen einer näheren Prüfung unterzogen hätte (etwa durch eine Zeugenbefragung).
Somit handelt es sich iSd Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes gegenständlich nicht um einen Fall, in dem sich der Verfahrensausgang von vornherein schon deutlich abzeichnet, womit aber jedenfalls eine der drei Voraussetzungen, unter denen der faktische Abschiebeschutz gemäß § 12a Abs. 2 AsylG aufgehoben werden darf, derzeit nicht erfüllt ist.
Mit Aufhebung des vorliegenden Bescheides kommt dem Beschwerdeführer faktischer Abschiebeschutz iSd § 12 Abs. 1 AsylG zu.
Gemäß § 22 Abs. 1 BFA-VG war ohne Abhaltung einer mündlichen Verhandlung zu entscheiden.
Zu B)
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Da in der vorliegenden Entscheidung die maßgeblichen Rechtsfragen klar waren und keiner Auslegung bedurften, ist nicht vom Vorliegen einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 133 Abs. 4 B-VG auszugehen.
Schlagworte
Behebung der Entscheidung faktischer Abschiebeschutz - Aufhebung nicht rechtmäßig Folgeantrag Homosexualität Nachfluchtgründe Prognoseentscheidung Rechtswidrigkeit soziale GruppeEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:W123.2171072.2.00Im RIS seit
04.12.2020Zuletzt aktualisiert am
04.12.2020