Entscheidungsdatum
19.10.2020Norm
Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen §1Spruch
W201 2232502-1/3E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Angela SCHIDLOF als Vorsitzende und die Richterin Dr. Margit MÖSLINGER-GEHMAYR sowie den fachkundigen Laienrichter Franz GROSCHAN als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle Niederösterreich, vom 05.06.2020, OB XXXX , betreffend die Abweisung des Antrages auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass gemäß § 42 und § 45 Bundesbehindertengesetz (BBG), u Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen und der angefochtene Bescheid bestätigt.
Die Voraussetzungen für die Eintragung des Zusatzes "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung " in den Behindertenpass liegen nicht vor.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG .
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer stellte einlangend am 10.10.2020 beim Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (Kurzbezeichnung: Sozialministeriumservice; in der Folge belangte Behörde genannt) unter Vorlage eines medizinischen Beweismittels einen Antrag auf Ausstellung eines Ausweises gemäß § 29b der Straßenverkehrsordnung (StVO), welcher auch als Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses und Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass gilt, sofern die antragstellende Partei nicht bereits im Besitz eines solchen ist.
2. Dem, durch die belangte Behörde eingeholten, auf persönliche Untersuchung am 04.03.2020 basierenden Sachverständigengutachten Dris. XXXX , Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie ist (auszugsweise) Folgendes zu entnehmen:
„Klinischer Status – Fachstatus:
Allgemeinzustand gut. Ernährungszustand adipös. Stuhl unauffällig. Miktion unauffällig. Rechtshänder.
Hirnnerven: Geruch anamnestisch unauffällig. Visus: Brille für die Weite. Pupillen mittelweit, rund isocor. Optomotorik frei, keine Doppelbilder, kein Nystagmus. Facialis: Seitengleich innerviert, kein mimisches Defizit. Sensibilität: Unauffällig. Hörvermögen: Anamnestisch unauffällig. Zunge: Wird gerade herausgestreckt, seitengleich gut beweglich. Uvula mittelständig, Gaumensegel hebt symmetrisch. Kopfdrehung und Schulterhebung unauffällig. Sprache und Sprechen unauffällig.
Obere Extremitäten: Kraft seitengleich unauffällig. Trophik unauffällig. Tonus unauffällig. Motilität: Nacken und Schürzengriff nicht eingeschränkt. Seitenabduktion beidseits bis zur Senkrechten. Faustschluss und Fingerspreizen gut durchführbar. Pinzettengriff beidseits möglich. Feinmotorik ungestört. MER (BSR, RPR, TSR) seitengleich mittellebhaft. Pyramidenbahnzeichen negativ. Eudiadochokinese. AVV beidseits gehalten ohne Absinken, ohne Pronation. FNV: Zielsicher beidseits. Sensibilität seitengleich unauffällig.
Untere Extremitäten: Kraft seitengleich unauffällig. Trophik unauffällig. Tonus unauffällig. Motilität nicht eingeschränkt. PSR seitengleich mittellebhaft. ASR seitengleich mittellebhaft. Pyramidenbahnzeichen negativ. Stand und Gang unauffällig.
Gesamtmobilität – Gangbild: Kommt frei gehend alleine zur Untersuchung, wurde vom Vater mit dem PKW hergebracht.
Status Psychicus: Kooperativ und freundlich, gut auskunftsfähig, bewusstseinsklar, voll orientiert, kein kognitiv-mnestisches Defizit. Gedankenductus geordnet, kohärent. Konzentration leicht reduziert. Antrieb vermindert. Stimmungslage depressiv. Im Positiven kaum affizierbar, starr. Affekte verarmt, keine produktive Symptomatik.
Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:
Lfd. Nr.
Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:
Position
GdB
01
Soziale Phobie mit depressiver Reaktion, sonstige spezifische Persönlichkeitsstörung
Unterer Rahmensatz, da im Alltag selbständig, keine schwerwiegenden kognitiven Einbußen.
03.05.02
50 vH
Gesamtgrad der Behinderung
50 vH
Mit Ausschöpfung der Therapiemöglichkeiten (stationäre Behandlung/Psychotherapie, Arbeitsintegration etc.) ist eine Besserungsfähigkeit nicht ausgeschlossen.“
Zur Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wird Folgendes festgehalten:
„Welche der festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen lassen das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke, das Ein- und Aussteigen sowie den sicheren Transport in einem öffentlichen Verkehrsmittel nicht zu und warum?
Keine. Obwohl eine soziale Phobie diagnostiziert wurde, ist daraus keine Funktionseinschränkung in einem solchen Ausmaß nachvollziehbar, dass eine erhebliche Erschwernis der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel daraus resultieren würde. Aktuelle Befunde werden keine vorgelegt, die Therapiemöglichkeiten sind nicht ausgeschöpft.
Liegt eine schwere Erkrankung des Immunsystems vor?
Nein“
3. Im Rahmen des gemäß § 45 Abs. 3 AVG am 10.03.2020 erteilten Parteiengehörs wurde vom Beschwerdeführer vorgebracht, dass er immer mehr vereinsamen werde, sollte er weiterhin gezwungen sein, auf öffentlich Verkehrsmittel zurückzugreifen. Diesbezügliche Befunde werde er nachreichen. Er ersuche um Zusendung des Behindertenpasses und das Verfahren bezüglich Parkausweis weiterzuführen.
4. Am 27.04.2020 hat die belangte Behörde dem Beschwerdeführer gemäß § 40, § 41 und
§ 45 BBG einen bis 31.03.20222 befristeten Behindertenpass ausgestellt und einen Grad der Behinderung in Höhe von 50 vH eingetragen.
5. Am 07.05.2020 hat der Beschwerdeführer einen Befund Dris. XXXX vom 05.05.2020 in Vorlage gebracht.
6. Zur Überprüfung der Einwendungen betreffend die Vornahme des beantragten Zusatzvermerkes, hat die belangte Behörde von der bereits befassten Sachverständigen
Dr. XXXX eine auf der Aktenlage basierende medizinische Stellungnahme, datiert mit 12.05.2020 eingeholt.
Dieser Stellungnahme ist im Wesentlichen Folgendes zu entnehmen:
„Vorgelegter Befund Psychiater Dr. XXXX 05.05.2020: Herr XXXX steht in psychiatrischer und psychotherapeutischer Behandlung in meiner Ordination. Diagnosen: Persönlichkeitsstörung F 60.8, Soziale Phobie F 40.1, Rezidivierende depressive Störung F 33.1. Die Symptome der sozialen Phobie äußern sich auch in einer erheblichen Erschwernis der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel, verbunden mit bedeutsamer Angst.
Daraus ergibt sich keine relevante Änderung zum letzten vorliegenden Befund ( XXXX -Gutachten vom 11.04.2019, Befund Dr. XXXX vom 19.03.2019). Im Rahmen der aus psychiatrischer Sicht zu berücksichtigenden Funktionen zur Beurteilung der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel“ ist das geforderte Ausschöpfen des therapeutischen Angebotes nicht nachvollziehbar (wie hochfrequente psychiatrische und psychotherapeutische Behandlungen, stationäre psychiatrische Behandlung und stationäre Psychotherapie etc.) Daher erfolgt keine Änderung zum Gutachten vom 04.03.2020.“
7. Mit dem angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf Vornahme der Zusatzeintragung“ Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass abgewiesen.
Die Abweisung wurde mit dem Ergebnis der fachärztlichen Untersuchung begründet.
Als Beilage zum Bescheid wurden das Gutachten Dris. XXXX vom 04.03.2020 und deren medizinische Stellungnahme vom 12.05.2020 übermittelt.
8. Mit Email vom 25.06.2020 brachte der Beschwerdeführer ohne Vorlage weiterer Beweismittel fristgerecht Beschwerde ein. Begründend wurde ausgeführt, dass er weder mit dem Gutachten Dris. XXXX noch mit deren Stellungnahme einverstanden sei. Auf den Befund Dr. XXXX sei nicht eingegangen worden. Er sei der Meinung, dass ihm die Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ zustehe.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Der Beschwerdeführer erfüllt die allgemeinen Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses. Der Beschwerdeführer hat seinen Wohnsitz im Inland und ist im Besitz eines bis 31.03.2022 befristet ausgestellten Behindertenpasses.
1.2. Der Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ ist am 10.01.2020 bei der belangten Behörde eingelangt.
1.3. Der Beschwerdeführer kann sich im öffentlichen Raum selbständig fortbewegen, eine kurze Wegstrecke aus eigener Kraft und ohne fremde Hilfe zurücklegen. Die dauernde Gesundheitsschädigung wirkt sich nicht maßgebend auf die Möglichkeit des Ein- und Aussteigens bei öffentlichen Verkehrsmitteln aus. Der sichere und gefährdungsfreie Transport im öffentlichen Verkehrsmittel ist nicht erheblich eingeschränkt.
Es liegen weder erhebliche dauerhafte Einschränkungen der unteren Extremitäten noch der körperlichen Leistungsfähigkeit vor. Der Beschwerdeführer leidet nicht an erheblichen Einschränkungen der Sinnesfunktionen oder an einer schweren anhaltenden Erkrankung des Immunsystems.
Beim Beschwerdeführer liegen keine erheblichen Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Funktionen im Sinne einer Klaustrophobie, Soziophobie und phobische Angststörungen als Hauptdiagnose nach ICD 10 nach Ausschöpfung des therapeutischen Angebotes und einer nachgewiesenen Behandlung von mindestens 1 Jahr, hochgradige Entwicklungsstörungen mit gravierenden Verhaltensauffälligkeiten oder schwere kognitive Einschränkungen - der mit einer eingeschränkten Gefahreneinschätzung des öffentlichen Raumes einhergehen – vor.
1.4. Dem Beschwerdeführer ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar.
2. Beweiswürdigung:
Zu 1.1. und 1.2.) Die Feststellungen zu den allgemeinen Voraussetzungen ergeben sich aus dem diesbezüglich unbedenklichen, widerspruchsfreien und unbestrittenen Akteninhalt.
Zu 1.3. und 1.4.) Die Feststellungen zu Art, Ausmaß und Auswirkungen der Funktionseinschränkungen gründen sich – in freier Beweiswürdigung – auf die vorgelegten und eingeholten Beweismittel.
Das durch die belangte Behörde eingeholte fachärztliche Sachverständigengutachten und dessen ergänzende Stellungnahme sind schlüssig und nachvollziehbar und weisen keine Widersprüche auf. Es wurde auf die Art der Leiden, deren Ausmaß und Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ausführlich eingegangen. Das genannte Sachverständigengutachten und die ergänzende Stellungahme werden daher der Entscheidung in freier Beweiswürdigung zu Grunde gelegt.
Das Vorbringen des Beschwerdeführers und die vorgelegten Beweismittel waren nicht geeignet, die gutachterlichen Feststellungen in Zweifel zu ziehen.
Dem vom Beschwerdeführer vorgelegten Befund Dr. XXXX , Facharzt für Psychiatrie ist lediglich zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer sich bei diesem in psychiatrischer und psychotherapeutischer Behandlung befindet. Es werden darin die - auch von der befassten Sachverständigen Dris. XXXX in die Beurteilung einbezogenen - Diagnosen Persönlichkeitsstörung, soziale Phobie und rezidivierende depressive Störung angeführt. Weiters wird in diesem Befund angegeben, dass sich die Symptome der sozialen Phobie in einer erheblichen Erschwernis der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel verbunden mit bedeutsamer Angst äußern würden. Aus welchem Grund der Befundleger zu dieser Schlussfolgerung kommt, wird aber nicht dargestellt. So finden sich in diesem Beweismittel auch weder Art noch Dauer der Behandlung.
Lässt ein ärztliches Attest nicht erkennen, auf welchem Weg sein Aussteller zu seinen Schlussfolgerungen gekommen ist, ist es mit einem wesentlichen Mangel behaftet und als Beweismittel nicht geeignet. Eine Vermutung, dass das in einem "befundlosen" Attest abgegebene Fachurteil nach den Regeln der Wissenschaft erstellt worden sei, besteht nicht. (VwGH vom 06.11.2001, Zl. 94/09/0060) Diesem Beweismittel kommt daher keine Aussagekraft zu.
Dem gegenüber erläutert Dr. XXXX in ihrem Gutachten nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführer zwar in seinem Antrieb vermindert ist, eine depressive Stimmungslage vorliegt und der Beschwerdeführer im Positiven kaum affizierbar ist, dass aber trotz der Diagnose der sozialen Phobie keine Funktionseinschränkungen in einem Ausmaß vorliegen, die eine erhebliche Erschwernis bei der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel nach sich ziehen würden. So ist der Beschwerdeführer kooperativ, bewusstseinsklar, voll orientiert und liegt kein kognitives Defizit vor.
Auch erläutert die Sachverständige vor dem Hintergrund der klinischen Untersuchung schlüssig, dass beim Beschwerdeführer jedenfalls Therapieoptionen in Form hochfrequenter psychiatrischer und psychotherapeutischer Behandlung und/oder stationärer psychiatrischer bzw. stationärer Psychotherapie Behandlung bestehen. Dies ist vor allem vor dem Hintergrund wesentlich, dass bei der Ermittlung der Funktionsbeeinträchtigungen alle zumutbaren therapeutischen Optionen, wechselseitigen Beeinflussungen und Kompensationsmöglichkeiten zu berücksichtigen sind.
Das Vorliegen weiterer relevanter Gesundheitsschädigungen konnte im Rahmen der persönlichen Untersuchung nicht objektiviert werden, wurde nicht durch Befunde dokumentiert und wurde vom Beschwerdeführer auch nicht behauptet.
Die Krankengeschichte des Beschwerdeführers wurde umfassend berücksichtigt. Auch wurden im Beschwerdevorbringen weder neuen Leiden vorgebracht noch wurden weitere medizinische Beweismittel vorgelegt.
Dem Beschwerdevorbringen wurde insofern entsprochen, als nun eine neuerliche Überprüfung erfolgte. Das Beschwerdevorbringen ist jedoch nicht geeignet, die gutachterliche Beurteilung wonach das vorliegende psychisch/psychiatrische Beschwerdebild nicht geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zu bergründen, zu entkräften.
Die Angaben des Beschwerdeführers konnten nicht über den erstellten Befund hinaus objektiviert werden.
3. Rechtliche Beurteilung:
Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz – BVwGG) entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Gemäß § 45 Abs. 3 BBG hat in Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen. Gegenständlich liegt somit Senatszuständigkeit vor.
Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.
Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
Zu A) Abweisung der Beschwerde
Unter Behinderung im Sinne dieses Bundesgesetzes ist die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen zu verstehen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten. (§ 1 Abs. 2 BBG)
Der Behindertenpass hat den Vornamen sowie den Familiennamen, das Geburtsdatum eine allfällige Versicherungsnummer und den festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen. (§ 42 Abs. 1 BBG)
Der Behindertenpaß ist unbefristet auszustellen, wenn keine Änderung in den Voraussetzungen zu erwarten ist. (§ 42 Abs. 2 BBG)
Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluß der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen. (§ 45 Abs. 1 BBG)
Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu. (§ 45 Abs. 2 BBG)
Auf Antrag des Menschen mit Behinderung ist u.a. jedenfalls einzutragen:
3. die Feststellung, dass dem Inhaber/der Inhaberin des Passes die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar ist; die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist insbesondere dann nicht zumutbar, wenn das 36. Lebensmonat vollendet ist und
- erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten oder
- erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit oder
- erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten, Funktionen oder
- eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems oder
- eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit nach § 1 Abs. 4 Z 1 lit. b oder d
vorliegen.
(§ 1 Abs. 4 Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen auszugsweise)
Grundlage für die Beurteilung, ob die Voraussetzungen für die in Abs. 4 genannten Eintragungen erfüllt sind, bildet ein Gutachten eines/einer ärztlichen Sachverständigen des Sozialministeriumservice. Soweit es zur ganzheitlichen Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen erforderlich erscheint, können Experten/Expertinnen aus anderen Fachbereichen beigezogen werden. Bei der Ermittlung der Funktions-beeinträchtigungen sind alle zumutbaren therapeutischen Optionen, wechselseitigen Beeinflussungen und Kompensationsmöglichkeiten zu berücksichtigen.
(§ 1 Abs. 5 Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen)
In den Erläuterungen zur Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen BGBl. II 495/2013 wird Folgendes ausgeführt:
Zu § 1 Abs. 2 Z 3 (auszugsweise):
Mit der vorliegenden Verordnung sollen präzisere Kriterien für die Beurteilung der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel festgelegt werden. Die durch die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes bisher entwickelten Grundsätze werden dabei berücksichtigt.
Grundsätzlich ist eine Beurteilung nur im Zuge einer Untersuchung des Antragstellers/der Antragstellerin möglich. Im Rahmen der Mitwirkungspflicht des Menschen mit Behinderung sind therapeutische Möglichkeiten zu berücksichtigen. Therapierefraktion – das heißt keine therapeutische Option ist mehr offen – ist in geeigneter Form nachzuweisen. Eine Bestätigung des Hausarztes/der Hausärztin ist nicht ausreichend.
Durch die Verwendung des Begriffes „dauerhafte Mobilitätseinschränkung“ hat schon der Gesetzgeber (StVO-Novelle) zum Ausdruck gebracht, dass es sich um eine Funktionsbeeinträchtigung handeln muss, die zumindest 6 Monate andauert. Dieser Zeitraum entspricht auch den grundsätzlichen Voraussetzungen für die Erlangung eines Behindertenpasses.
Die Begriffe „erheblich“ und „schwer“ werden bereits jetzt in der Einschätzungsverordnung je nach Funktionseinschränkung oder Erkrankungsbild verwendet und sind inhaltlich gleich bedeutend.
Nachfolgende Beispiele und medizinische Erläuterungen sollen besonders häufige, typische Fälle veranschaulichen und richtungsgebend für die ärztlichen Sachverständigen bei der einheitlichen Beurteilung seltener, untypischer ähnlich gelagerter Sachverhalte sein. Davon abweichende Einzelfälle sind denkbar und werden von den Sachverständigen bei der Beurteilung entsprechend zu begründen sein.
Erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Funktionen umfassen im Hinblick auf eine Beurteilung der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel folgende Krankheitsbilder:
? Klaustrophobie, Soziophobie und phobische Angststörungen als Hauptdiagnose nach ICD 10 und nach Ausschöpfung des therapeutischen Angebotes und einer nachgewiesenen Behandlung von mindestens 1 Jahr
? hochgradige Entwicklungsstörungen mit gravierenden Verhaltensauffälligkeiten
? schwere kognitive Einschränkungen, die mit einer eingeschränkten Gefahreneinschätzung des öffentlichen Raumes einhergehen
? nachweislich therapierefraktäres, schweres, cerebrales Anfallsleiden - Begleitperson ist erforderlich
Um die Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel beurteilen zu können, hat die Behörde zu ermitteln, ob der Antragsteller dauernd an seiner Gesundheit geschädigt ist und wie sich diese Gesundheitsschädigung nach ihrer Art und ihrer Schwere auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirkt. Sofern nicht die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auf Grund der Art und der Schwere der Gesundheitsschädigung auf der Hand liegt, bedarf es in einem Verfahren über einen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung" regelmäßig eines ärztlichen Sachverständigengutachtens, in dem die dauernde Gesundheitsschädigung und ihre Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in nachvollziehbarer Weise dargestellt werden. Nur dadurch wird die Behörde in die Lage versetzt, zu beurteilen, ob dem Betreffenden die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung unzumutbar ist (vgl. VwGH vom 23.05.2012, Zl. 2008/11/0128, und die dort angeführte Vorjudikatur sowie vom 22. Oktober 2002, Zl. 2001/11/0242, vom 27.01.2015, Zl. 2012/11/0186).
Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu dieser Zusatzeintragung ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel dann unzumutbar, wenn eine kurze Wegstrecke nicht aus eigener Kraft und ohne fremde Hilfe, allenfalls unter Verwendung zweckmäßiger Behelfe ohne Unterbrechung zurückgelegt werden kann oder wenn die Verwendung der erforderlichen Behelfe die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in hohem Maße erschwert. Die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist auch dann nicht zumutbar, wenn sich die dauernde Gesundheitsschädigung auf die Möglichkeit des Ein- und Aussteigens und die sichere Beförderung in einem öffentlichen Verkehrsmittel unter Berücksichtigung der beim üblichen Betrieb dieser Verkehrsmittel gegebenen Bedingungen auswirkt (VwGH 22.10.2002, 2001/11/0242).
Zu prüfen ist die konkrete Fähigkeit öffentliche Verkehrsmittel zu benützen. Zu berücksichtigen sind insbesondere zu überwindende Niveauunterschiede beim Aus- und
Einsteigen, Schwierigkeiten beim Stehen, bei der Sitzplatzsuche, bei notwendig werdender Fortbewegung im Verkehrsmittel während der Fahrt (VwGH 14.05.2009, 2007/11/0080).
Betreffend das Kalkül „kurze Wegstrecke“ wird angemerkt, dass der Verwaltungsgerichtshof von einer unter Zugrundelegung städtischer Verhältnisse durchschnittlich gegebenen Entfernung zum nächsten öffentlichen Verkehrsmittel von 300 - 400 m ausgeht (vgl. u.a. VwGH 27.05.2014, Ro 2014/11/0013).
Auf den Beschwerdefall bezogen:
Beim Beschwerdeführer liegen weder erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren oder oberen Extremitäten noch der körperlichen Belastbarkeit vor, es besteht keine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems und es liegen auch keine schweren Einschränkungen intellektueller Funktionen oder von Sinnesfunktionen vor.
Der Beschwerdeführer leidet zwar an einer sozialen Phobie mit depressiver Reaktion und Persönlichkeitsstörung, insoweit der Beschwerdeführer aber vorbringt, dass ihm aus diesem Grund die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel nicht zumutbar sei, ist auf die Ausführungen im Rahmen der Beweiswürdigung zu verweisen, wonach eine erhebliche Einschränkung im Sinne von Klaustrophobie, Soziophobie und phobische Angststörungen als Hauptdiagnose nach ICD 10 und nach Ausschöpfung des therapeutischen Angebotes und einer nachgewiesenen Behandlung von mindestens einem Jahr nicht vorliegt.
Weitere Gesundheitsschädigungen konnten weder objektiviert werden, noch wurden solche vom Beschwerdeführer behauptet.
Wie unter Punkt II.2. bereits ausgeführt, sind das Beschwerdevorbringen und die vorgelegten Beweismittel nicht geeignet darzutun, dass die gutachterliche Beurteilung, wonach sich die dauernde Gesundheitsschädigung nicht maßgebend negativ auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirkt, nicht dem tatsächlichen Leidensausmaß des Beschwerdeführers entspräche.
Die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist daher zumutbar.
Da festgestellt worden ist, dass die dauernde Gesundheitsschädigung kein Ausmaß erreicht, welches die Vornahme der Zusatzeintragung "Dem Inhaber des Passes ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar" rechtfertigt, war spruchgemäß zu entscheiden.
Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung:
Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.
Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurde nicht beantragt.
Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG konnte das Gericht von der Verhandlung absehen, weil der maßgebliche Sachverhalt ausreichend ermittelt wurde. Die Schriftsätze der Parteien und die Akten des Verfahrens lassen erkennen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt. Vielmehr erschien der Sachverhalt zur Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Bescheides aus der Aktenlage geklärt. Dem steht auch Art 6 Abs. 1 EMRK nicht entgegensteht, vgl. dazu auch das zuletzt das Erkenntnis des VwGH vom 21.02.2019, Ra 2019/08/0027
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG) hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung einerseits von Tatsachenfragen abhängt. Maßgebend sind die Art des Leidens und das festgestellte Ausmaß der Funktionsbeeinträchtigungen. Andererseits sind Rechtsfragen zu lösen, welchen keine grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage zur Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen stützen.
In den Erläuterungen zur Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen BGBl. II 495/2013 wird ausgeführt, dass damit präzisere Kriterien für die Beurteilung der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel festgelegt werden sollen. Die durch die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes bisher entwickelten Grundsätze werden dabei berücksichtigt. Es war sohin keine – von der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes abweichende – Neuregelung beabsichtigt.
Vielmehr wird in den Erläuterungen ausdrücklich festgehalten, dass im Hinblick auf die ab 01.01.2014 eingerichtete zweistufige Verwaltungsgerichtsbarkeit, um Rechtssicherheit zu gewährleisten und die Einheitlichkeit der Vollziehung der im Behindertenpass möglichen Eintragungen sicherzustellen, die Voraussetzungen, die die Vornahme von Eintragungen im Behindertenpass rechtfertigen, in einer Verordnung geregelt werden sollen.
Es handelt sich um eine einzelfallbezogene Beurteilung, welche im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde.
Schlagworte
Behindertenpass Sachverständigengutachten Zumutbarkeit ZusatzeintragungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:W201.2232502.1.00Im RIS seit
04.12.2020Zuletzt aktualisiert am
04.12.2020