TE Vfgh Erkenntnis 1995/10/11 V76/94

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Veröffentlicht am 11.10.1995
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Index

L8 Boden- und Verkehrsrecht
L8000 Raumordnung

Norm

B-VG Art18 Abs2
B-VG Art139 Abs1 / Prüfungsmaßstab
Flächenwidmungsplan der Marktgemeinde Kundl vom 18.10.78
Tir RaumOG 1994 §27
Tir RaumOG 1994 §108 Abs2
Tir RaumOG 1994 §108 Abs4
Tir RaumOG 1994 §109

Leitsatz

Keine Gesetzwidrigkeit eines Flächenwidmungsplanes hinsichtlich der Widmung eines an der Gemeindegrenze gelegenen Grundstücks als Freiland; Ziel der Erhaltung eines Grüngürtels und Naherholungsgebietes als ein dem Tir RaumOG 1994 entsprechendes örtliches Raumordnungsinteresse; keine Verletzung der Verpflichtung zur Bedachtnahme auf die örtlichen Raumordnungsinteressen der Nachbargemeinde

Spruch

Der Antrag wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Mit ihrem auf Art139 Abs1 B-VG gestützten Antrag begehren die Antragsteller die Aufhebung des Flächenwidmungsplanes der Marktgemeinde Kundl vom 18. Oktober 1978, genehmigt mit Bescheid der Tiroler Landesregierung vom 4. Mai 1979, kundgemacht durch Anschlag an der Amtstafel vom 11. bis 25. Mai 1979, insoweit, als für das Grundstück Nr. 1014, KG Kundl, die Widmung "Freiland" ausgewiesen ist.

2. Ihre Antragslegitimation begründen die Antragsteller damit, daß sie "grundbücherliche Eigentümer des Gst 1014 in EZ 90034 GB Kundl" sind. Als Eigentümer dieses Grundstückes seien sie direkt durch die gegenständlichen Widmung betroffen.

3. Hinsichtlich der Gesetzwidrigkeit des angefochtenen Flächenwidmungsplanes bringen die Antragsteller vor:

Das Grundstück Nr. 1014 liege an der Grenze zur Gemeinde Radfeld und schließe an das dortige Gewerbeaufschließungsgebiet bzw. unmittelbar an das Firmengelände eines Transport- und Reparaturunternehmens an.

Der gegenständliche Flächenwidmungsplan weise für das Grundstück Nr. 1014 die Widmungskategorie Freiland auf. Östlich des Grundstücks "liegen Wiesenflächen, südlich und südwestlich befinden sich teilweise von Gehölzen durchsetzte Wiesen. Entlang der östlichen Grenze verläuft ein kleiner Wassergraben, der seit erfolgter Geländekorrekturen an südlich gelegenen Grundstücken Wasser führt und zur Vernässung des Gst 1014 geführt hat."

Auf Grund der "speziellen Lage - das Grundstück befindet sich in einem Bereich, dessen Einzugsgebiet im Osten durch den Sauluegbach und im Westen durch den Rettenbach entwässert wird -" sei es bei extremen Niederschlägen stets zu Überschwemmungen bei den Unterliegern gekommen. Zur Beseitigung dieser Überschwemmungsgefahr für die Nachbargrundstücke sei in einem wasserrechtlichen Verfahren ua. im südöstlichen Teil des Grundstückes die Errichtung eines "Hochwasser-Rückhaltebeckens" vorgeschrieben worden. Auf Grund verschiedener behördlicher Auflagen sei die bis in die Jahre 1986/87 erfolgte landwirtschaftliche Nutzung nicht mehr möglich bzw. zweckdienlich. Ein Teil des Grundstückes solle nunmehr als Biotop verwendet werden.

Da sich das Grundstück für eine gewerbliche Nutzung bestens eigne (Aufschüttungen, räumliche Nähe zum benachbarten Gewerbegebiet), beabsichtigten die Antragsteller das Grundstück an ein gewerbliches Unternehmen zu verkaufen. Hiefür sei eine Umwidmung des gegenständlichen Grundstückes von "Freiland" in "Gewerbe(aufschließungs)gebiet" notwendig. Diesbezügliche Ansuchen der Antragsteller bei der Gemeinde Kundl seien abgelehnt worden. Als Begründung sei die Erhaltung eines Grüngürtels als natürliche Gemeindegrenze angegeben worden.

Der bestehende Flächenwidmungsplan widerspreche den "gegenwärtigen raumordnungsrechtlichen Vorschriften" und sei wegen Gesetzwidrigkeit gemäß Art139 Abs3 lita B-VG aufzuheben.

Die angefochtene Verordnung der Gemeinde Kundl stütze sich auf §35 iVm. §27 Tiroler Raumordnungsgesetz 1994, LGBl. 81/1993, (TROG 1994). Demnach habe die örtliche Raumordnung auch "die örtlichen Raumordnungsinteressen der Nachbargemeinden, insbesondere im Bereich der gemeinsamen Grenze, zu beachten". Während die Nachbargemeinde Radfeld die gewerbliche Entwicklung ihrer ansäßigen Wirtschaft durch eine geeignete örtliche Raumordnungspolitik unterstütze, verweigere die Gemeinde Kundl aus unerklärlichen Gründen den Grundstückseigentümern an ihrer Gemeindegrenze "die Umwidmung von Freiland in Gewerbe(aufschließungs)gebiet".

Eine "Erstwidmung in Gewerbe(aufschließungs)gebiet (wäre) auf keinen Fall mit den Zielen der örtlichen Raumordnung in Widerspruch gestanden ... . Aber auch eine nachträgliche Änderung

des Flächenwidmungsplanes ... wäre unter den gegebenen

Verhältnissen nicht nur raumplanerisch angezeigt, sondern ... gemäß §36 Abs1 lita TROG 1994 ausdrücklich vorgeschrieben!" So müsse nämlich der Flächenwidmungsplan einer Gemeinde geändert werden, wenn dies auf Grund einer Änderung des örtlichen Raumordnungskonzeptes erforderlich sei. Die Änderung des örtlichen Raumordnungskonzeptes sei im vorliegenden Fall gemäß §32 Abs1 lita TROG 1994 durchzuführen, "wenn dies durch eine Änderung der dem örtlichen Raumordnungskonzept zugrundeliegenden Gegebenheiten in Hinblick auf die Ziele der örtlichen Raumordnung (vgl. §27 TROG 1994) notwendig ist". Die Ziele der örtlichen Raumordnung forderten nämlich die Erhaltung und Weiterentwicklung der Wirtschaft. In Verbindung mit der Grundsatzbestimmung, daß bei der örtlichen Raumordnung auch auf die Raumordnungsinteressen der Nachbargemeinden, insbesondere im Bereich der gemeinsamen Grenzen, Bedacht zu nehmen sei, ergebe sich unzweifelhaft die Verpflichtung zur Änderung des bestehenden Flächenwidmungsplanes.

Dies bedeute, "daß bei einem größeren zusammenhängenden Gewerbegebiet an der Grenze der Nachbargemeinde auf raumplanerischer Ebene die Verpflichtung der Gemeinde besteht, für die gewerbliche Nutzung geeignete Grundstücke einer ebensolchen Widmung zuzuführen". Die örtliche Raumplanung könne nicht an den Gemeindegrenzen enden und übergeordnete räumliche Entwicklungen außer Betracht lassen. Jeder Flächenwidmungsplan einer Gemeinde habe sich nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zur Gänze in überörtliche Interessen einzufügen.

Daß diese Ansicht grundsätzlich auch von der Gemeinde Kundl getragen werde, beweise der Umstand, "daß mit Gemeinderatsbeschluß vom 9.6.1993 (richtig: 9.6.1983) die Umwidmung von Freiland in Mischgebiet für das Grenzgebiet zur Gemeinde Radfeld beschlossen wurde". Die Tiroler Landesregierung habe jedoch "mit Bescheid vom 6.9.1984 ... die aufsichtsbehördliche Genehmigung des Flächenwidmungsplanes trotz Zustimmung der Fachabteilung des Amtes der Tiroler Landesregierung nicht erteilt".

4. Die Tiroler Landesregierung beantragt in ihrer Äußerung die Abweisung des Antrages.

Die Bedachtnahmepflicht nach §27 Abs1 dritter Satz des TROG 1994 sei nicht in der Weise zu verstehen, daß die an das Gewerbe- und Industriegebiet einer Nachbargemeinde angrenzenden Flächen ebenfalls als Gewerbe- und Industriegebiet gewidmet werden müßten. Diese Bedachtnahmepflicht verbiete ausschließlich Widmungen, die berechtigten Raumordnungsinteressen der jeweiligen Nachbargemeinde zuwiderlaufen würden, was insbesondere im Falle gegenseitiger Nutzungskonflikte der Fall wäre. Bei einem Aufeinandertreffen von einem als Gewerbe- und Industriegebiet und einem als Freiland gewidmeten Gebiet sei dies nicht der Fall.

Für die Rechtmäßigkeit der gegenständlichen Widmung als Freiland sei nicht maßgebend, ob auch eine Widmung als Gewerbe- und Industriegebiet mit den örtlichen Raumordnungszielen in Einklang gestanden wäre. Grundsätzlich bestehe für die Gemeinde nämlich keine Verpflichtung zur Herbeiführung einer bestimmten Widmung. Maßgebend für die Rechtmäßigkeit einer Widmungsfestlegung sei nur, ob diese mit den maßgebenden Raumordnungszielen vereinbar ist. Dabei könne dahingestellt bleiben, "ob das Grundstück der Antragsteller - wie von ihnen behauptet - noch landwirtschaftlich nutzbar ist. Selbst wenn dies - noch dazu auf Grund von seitens der Antragsteller selbst gesetzten Maßnahmen - nicht mehr der Fall sein sollte, kann daraus kein Anspruch auf Herbeiführung einer Baulandwidmung abgeleitet werden."

Die Meinung der Antragsteller, wonach die Gemeinde nach §36 Abs1 lita TROG 1994 verpflichtet gewesen wäre, den Flächenwidmungsplan hinsichtlich des gegenständlichen Grundstückes zu ändern, sei unzutreffend.

"Der Flächenwidmungsplan der Gemeinde Kundl wurde nämlich nach dem Tiroler Raumordnungsgesetz, LGBl. Nr. 10/1972, in der Fassung der Gesetze LGBl. Nr. 70/1973, 63/1976 und 12/1979 erlassen. Das Tiroler Raumordnungsgesetz, das in der Folge als Tiroler Raumordnungsgesetz 1984, LGBl. Nr. 4, wiederverlautbart und durch die Gesetze LGBl. Nr. 88/1983, 38/1984 und 76/1990 weiter geändert wurde, ist am 1. Jänner 1994 gleichzeitig mit dem Inkrafttreten des Tiroler Raumordnungsgesetzes 1994 außer Kraft getreten. Nach §108 Abs2 leg.cit. bleiben die im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Tiroler Raumordnungsgesetzes 1994 bestehenden Flächenwidmungspläne weiter aufrecht. Sie dürfen jedoch nach §108 Abs4 leg.cit. bis zum Inkrafttreten des - von der Gemeinde nach dem Tiroler Raumordnungsgesetz 1994 erstmals zu erlassenden - örtlichen Raumordnungskonzeptes nur bei Vorliegen eines wichtigen im öffentlichen Interesse gelegenen Grundes geändert werden, wobei die Änderung den örtlichen Raumordnungszielen nicht widersprechen darf. Da die Gemeinde Kundl ein örtliches Raumordnungskonzept noch nicht erlassen hat, ergibt es sich, daß der ausschließlich auf die Änderung dieses Konzeptes abstellende Änderungsgrund nach §36 Abs1 lita nicht zum Tragen kommen kann."

Anläßlich der Erlassung des Flächenwidmungsplanes der Gemeinde Kundl seien ausreichend Flächen als Gewerbe- und Industriegebiet vorgesehen worden.

Unzutreffend sei "die - nicht verfahrensgegenständliche - Behauptung der Antragsteller, daß einer Mischgebietswidmung im fraglichen Bereich ungeachtet der Zustimmung der zuständigen Fachabteilung des Amtes der Tiroler Landesregierung die aufsichtsbehördliche Genehmigung versagt worden sei". In der Stellungnahme der betreffenden Abteilung sei "im Gegenteil von einer eindeutigen Fehlentwicklung vom Standpunkt der Ortsplanung aus die Rede".

5. Der Gemeinderat der Marktgemeinde Kundl beantragt ebenfalls die Abweisung des vorliegenden Antrages.

Das Grundstück Nr. 1014 sei im Flächenwidmungsplan vom 18. Oktober 1978 als Freiland ausgewiesen. Im Katasterplan sei der größere Teil als "Wiese", im östlichen Bereich eine schmale Teilfläche als "Waldfläche" eingetragen. Auch alle auf dem Gemeindegebiet Kundl angrenzenden und nachbarlichen Grundstücke "sind Wiese bzw. Waldparzellen und liegen im Freiland". Mit Gemeinderatsbeschluß vom 24. April 1981 habe die Nachbargemeinde Radfeld ihren Flächenwidmungsplan beschlossen, "der mit 8. September 1981 vom Amt der Tiroler Landesregierung genehmigt und vom 11. bis 28. September 1981 kundgemacht wurde". Dieser weise auf der westlich an die Gemeindegrenze anschließenden Fläche Gewerbeaufschließungsgebiet aus. Auf dieser Fläche seien vorzugsweise "KFZ-Betriebe, Frächtereien und Speditionen angesiedelt".

Für die Gemeinde Kundl sei die Erhaltung eines Grüngürtels an diesem Bereich der Gemeindegrenze ein wichtiges raumplanerisches Ziel. Damit werde auch die Erhaltung eines Naherholungsgebietes gesichert. Die Aufgaben und Ziele der überörtlichen Raumordnung (Erhaltung der Umwelt, insbesondere die möglichste Schonung der Landschaft und des Naturhaushaltes sowie die Vorsorge für die Erhaltung ausreichender Gebiete für die Land- und Forstwirtschaft) sowie die Ziele der örtlichen Raumordnung (Erhaltung zusammenhängender, unverbaut bleibender landwirtschaftlicher Flächen und Erholungsräume, Schutz des Landschaftsbildes) seien bei der Erstellung des Flächenwidmungsplanes verwirklicht worden.

Wenn Jahre danach "die Nachbargemeinde ein 'G' - Gebiet an der Gemeindegrenze situiert", so gehe der Einwand, die örtlichen Raumordnungsinteressen der Nachbargemeinde, insbesondere im Bereich der gemeinsamen Grenze, wären von der Marktgemeinde Kundl zu beachten, in diesem Fall völlig ins Leere. Die Widmungsänderung des Grundstückes Nr. 1014 widerspräche außerdem einer sparsamen und wirtschaftlichen Verwendung von Budgetmitteln, da für ein "verschwindend kleines Flächenausmaß unverhältnismäßig hohe finanzielle Belastungen für den Aufbau einer völlig neuen Infrastruktur in diesem Gemeindebereich verbunden" wäre.

Außerdem sei das Vorliegen "wichtiger Gründe" für eine allfällige Flächenwidmungsplanänderung zu bezweifeln, zumal die am Erwerb des Grundstückes Nr. 1014 Interessierten bereits entprechende Betriebsgebäude hätten.

Auch aus raumordnerischer Sicht der Umwelt sei "eine weitere Konzentration von Transportunternehmen - derzeit haben ca. 100 LKW hier ihren Standort - abzulehnen". Zudem liege dieses Gewerbeaufschließungsgebiet "fast genau in der Mitte von den Autobahnausfahrten Wörgl bzw. Kramsach ..., sodaß der gesamte Schwerlastverkehr jeweils ca. 7 km über die Bundesstraße entweder durch das Gemeindegebiet von Kundl oder von Rattenberg bzw. Radfeld" fahren müsse.

6. In einer Stellungnahme entgegnen die Antragsteller den Äußerungen der Tiroler Landesregierung sowie des Gemeinderates der Gemeinde Kundl und führen zusätzlich aus:

Der von der Tiroler Landesregierung in ihrer Äußerung vertretenen Rechtsansicht zur Auslegung des §27 Abs1 dritter Satz TROG 1994 könne nicht beigetreten werden. Eine lediglich auf die Unverträglichkeit von Widmungen im Nachbargebiet von Gemeinden abstellende überörtliche Berücksichtigung widerspreche der Intention des Gesetzgebers. Daß die aufgezeigte Umwidmung in Gewerbegebiet nicht nur den überörtlichen Raumordnungsinteressen, sondern auch den Zielen der örtlichen Raumordnungspolitik entspreche, ergebe sich insbesondere aus §27 Abs2 litb TROG 1994. Der Begriff "Wirtschaft" sei nicht nur unter dem "Gesichtspunkt der ortsansässigen Wirtschaft zu verstehen"; vielmehr falle darunter auch die Wirtschaft des angrenzenden Nachbargebietes.

Auch wenn man den bestehenden Flächenwidmungsplan nach dem Tiroler Raumordnungsgesetz 1984, LGBl. 4/1984, (TROG 1984), beurteile, stehe die Widmung des gegenständlichen Grundstückes auch mit diesen Bestimmungen klar im Widerspruch (§10 Abs2 und §28 TROG 1984).

7. In einer weiteren Äußerung betont die Tiroler Landesregierung, daß die Pflicht zur Bedachtnahme auf die Raumordnungsinteressen der Nachbargemeinden nicht so zu verstehen sei, "daß der von einer Gemeinde eingeschlagene Weg - hier die Widmung eines Gewerbe- und Industriegebietes an der Gemeindegrenze durch die Gemeinde Radfeld - von der angrenzenden Gemeinde jedenfalls fortgesetzt werden muß".

Schließlich finde der Flächenwidmungsplan der Marktgemeinde Kundl seine gesetzliche Deckung nicht mehr im außer Kraft getretenen "Tiroler Raumordnungsgesetz 1984, sondern im Tiroler Raumordnungsgesetz 1994 (vgl. insbesondere dessen §§108 Abs2 und 109)". Eine Änderung des Flächenwidmungsplanes könne sich daher entgegen dem nunmehrigen Vorbringen der Antragsteller nicht mehr auf §28 TROG 1984 stützen.

8. Der Gemeinderat der Marktgemeinde Kundl bemerkt in einer zusätzlichen Äußerung, daß dem - von den Antragstellern erwähnten - Umwidmungsbeschluß bezüglich des betreffenden Grundstückes vom 9. Juni 1983 von Freiland in Mischgebiet eine andere "Überlegung" zugrundelag, nämlich daß die fünf Kinder des Grundeigentümers eine "Baufläche für je ein Eigenheim erhalten". Aber auch hier sei letztlich den Zielen der örtlichen Raumplanung der Vorzug gegeben und eine Umwidmung versagt worden.

9. In einer weiteren Stellungnahme wiederholen die Antragsteller im wesentlichen die bereits vorgebrachten Bedenken gegen die für ihr Grundstück geltende Flächenwidmung.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1. Der gemäß Art139 Abs1 letzter Satz B-VG gestellte Antrag ist, da auch die sonstigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, mit Rücksicht auf die ständige, mit Erkenntnis VfSlg. 9260/1981 eingeleitete Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (betreffend die unmittelbare Anfechtbarkeit von Flächenwidmungsplänen durch die davon betroffenen Grundeigentümer in Tirol) zulässig.

2. Er ist jedoch in der Sache nicht berechtigt.

a. Die von den Antragstellern angefochtene flächenplanerische Widmung wurde auf Grund des Tiroler Raumordnungsgesetzes, LGBl. 10/1972 idF LGBl. 70/1973, 63/1976 und 12/1979 (wiederverlautbart als TROG 1984), vorgenommen.

Wie der Verfassungsgerichtshof zuletzt in seinem Erkenntnis vom 22. Juni 1995, G297/94, für das Raumordnungsrecht aussprach, ist für die Beurteilung der inhaltlichen Gesetzmäßigkeit von Verordnungen nach seiner ständigen Rechtsprechung die Rechtslage zum Zeitpunkt der Fällung des verfassungsgerichtlichen Erkenntnisses maßgebend. Demgemäß ist die angefochtene Flächenwidmung anhand des TROG 1994 zu beurteilen, dessen §108 Abs2 erster Satz die Weitergeltung der "im Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gesetzes bestehenden Flächenwidmungspläne nach §10 des Tiroler Raumordnungsgesetzes 1984" anordnet. Der Übergangsvorschrift des §109 Abs1 TROG 1994 (betreffend "bestehende Widmungen") zufolge gelten die in Flächenwidmungsplänen nach §10 TROG 1984 festgelegten Widmungen als Widmungen im Sinne des TROG 1994, soweit in den Absätzen 2 bis 6 des §109 TROG 1994 nichts anderes bestimmt ist. Die von den Antragstellern angefochtene Freilandwidmung ihres Grundstücks ist sohin anhand §41 TROG 1994 in Verbindung mit den sonstigen Vorschriften dieses Gesetzes, insbesondere den Aufgaben und Zielen der örtlichen Raumordnung gemäß §27 TROG 1994 zu messen. Ob eine Verpflichtung zur Änderung eines Flächenwidmungsplanes gegeben ist, deren Verletzung eine bestehende Widmung unter Umständen gesetzwidrig machen könnte, ist gemäß §108 Abs4 zweiter Satz TROG 1994 danach zu beurteilen, ob "die Voraussetzungen nach §36 Abs1 litc, d oder e vorliegen".

b. Das erste Bedenken der Antragsteller gegen die Freilandwidmung ihres Grundstücks gründet auf dem ihrer Meinung dadurch bewirkten Verstoß gegen die Vorschrift des §27 Abs1 letzter Satz TROG 1994, dem zufolge "auf die örtlichen Raumordnungsinteressen der Nachbargemeinden, insbesondere im Bereich der gemeinsamen Grenzen, Bedacht zu nehmen" ist. Da für das, an ihr Grundstück angrenzende Gebiet der Nachbargemeinde Radfeld eine Gewerbegebietswidmung verordnet (und diese dort auch verwirklicht) ist, nehmen die Antragsteller eine Verpflichtung der Gemeinde Kundl an, ihr Grundstück, auf dem eine weitere landwirtschaftliche Nutzung unmöglich sei, ebenfalls als Gewerbegebiet zu widmen.

Die Antragsteller sind mit dieser Auffassung nicht im Recht. Die Verpflichtung zur Bedachtnahme auf die örtlichen Raumordnungsinteressen der Nachbargemeinden, insbesondere im Bereich der gemeinsamen Grenzen, gemäß §27 Abs1 letzter Satz TROG 1994 bedeutet keinesfalls, daß die raumordnungspolitischen (Ziel-)vorstellungen einer Gemeinde eine benachbarte Gemeinde im Grenzbereich zu gleichartigen Flächenwidmungen zwingen. Die Verpflichtung, auf "die örtlichen Raumordnungsinteressen", - also dem Gesetzeswortlaut zufolge nicht einmal auf die konkreten Widmungen - der Nachbargemeinden "Bedacht zu nehmen", kann nur bedeuten, daß eine Gemeinde rechtswidrig handelt, wenn sie die ihr mitgeteilten, zum Zeitpunkt ihrer Planung bereits manifesten Raumordnungsinteressen der Nachbargemeinden nicht bedenkt und womöglich Flächen an der gemeinsamen Gemeindegrenze derart widmet, daß diese Widmungen eine Verwirklichung der Raumordnungsinteressen der Nachbargemeinde behindern. Daß dabei dem "Kriterium der Priorität" eine gewisse Bedeutung zukommt, ergibt sich aus der "Logik des Planungsprozesses" (Fröhler-Oberndorfer, Österreichisches Raumordnungsrecht II, 1986, 178): Eine Bedachtnahme kommt von vornherein nur in Betracht, soweit entsprechend konkretisierte Planungen der Nachbargemeinde bereits vorliegen.

So gesehen wäre gemäß §27 Abs1 letzter Satz TROG 1994 primär zu fragen, ob bei der Gewerbegebietswidmung der Gemeinde Radfeld, die auf dem Beschluß des Gemeinderates der Gemeinde Radfeld vom 24. April 1981 beruht, auf die Freilandwidmung angrenzender Grundstücke der Marktgemeinde Kundl, die auf einen Gemeinderatsbeschluß vom 25. Oktober 1974 zurückgeht und derzeit rechtlich auf dem Beschluß des Gemeinderates der Marktgemeinde Kundl über den Flächenwidmungsplan vom 18. Oktober 1978 beruht, hinreichend Bedacht genommen wurde. Auf diese Frage braucht der Verfassungsgerichtshof in Anbetracht der vorliegenden Planungssituation nicht einzugehen. Denn zum ersten erscheint bereits das von der Marktgemeinde Kundl in ihrer Äußerung mitgeteilte, ua. mit der Freilandwidmung des Grundstücks der Antragsteller verfolgte und diese rechtfertigende raumplanerische Ziel der Erhaltung eines Grüngürtels und eines Naherholungsgebietes in diesem Bereich der Gemeindegrenze ein Aberzeugendes und dem Gesetz entsprechendes örtliches Raumordnungsinteresse. Zum anderen ist aber auch in keiner Weise aktenkundig, daß etwa die Gemeinde Radfeld ein spezifisches Raumordnungsinteresse an der Erweiterung ihres Gewerbegebietes (im Bereich der Marktgemeinde Kundl) dargetan hätte. Vielmehr entspricht die an das Gewerbe- und Industriegebiet in Radfeld angrenzende Freilandwidmung in der Marktgemeinde Kundl dem raumplanungsrechtlichen Gebot, daß gegenseitige Beeinträchtigungen verschieden gewidmeter benachbarter Grundflächen soweit wie möglich vermieden werden sollen (vgl. zB. §37 Abs3 zweiter Satz TROG 1994), worauf auch die Tiroler Landesregierung in ihrer Äußerung hinweist, wenn sie "bei einem Aufeinandertreffen von einem als Gewerbe- und Industriegebiet und einem als Freiland gewidmeten Gebiet" "gegenseitige Nutzungskonflikte" ausschließt.

c. Das weitere Bedenken der Antragsteller, wie es aus ihrem Verordnungsprüfungsantrag im Verein mit ihren, auf die Äußerungen der Tiroler Landesregierung und der Gemeinde Kundl replizierenden Stellungnahmen hervorgeht, versteht der Verfassungsgerichtshof dahin, daß die Freilandwidmung dem Raumordnungsziel der "Erhaltung und Weiterentwicklung der Wirtschaft" gemäß §27 Abs2 litb TROG 1994 widerspreche, und durch die Aufrechterhaltung der Freilandwidmung auch dem Raumordnungsziel der "Erhaltung zusammenhängender land- und forstwirtschaftlich nutzbarer Gebiete" gemäß §27 Abs2 litg TROG 1994 deshalb nicht Rechnung getragen werden könne, weil "die bis 1986/87 erfolgte landwirtschaftliche Nutzung dieses Grundstückes nicht mehr möglich" und auch eine widmungsgemäße Verwendung des Grundstückes "nicht mehr zweckdienlich" sei.

Die Antragsteller übersehen, daß angesichts des vom Verfassungsgerichtshof nicht zu beanstandenden, oben unter a. dargestellten, für die Freilandwidmung des Grundstücks Nr. 1014, KG Kundl, maßgeblichen örtlichen Raumordnungsinteresses der "Erhaltung eines Grüngürtels" und "eines Naherholungsgebietes" die Ziele der örtlichen Raumordnung gemäß §27 Abs2 TROG 1994 lita ("die ausgewogene Anordnung und Gliederung des Baulandes im Hinblick auf die Erfordernisse des Schutzes des Landschaftsbildes, ..."), litc ("die weitestmögliche Vermeidung von Nutzungskonflikten und wechselseitigen Beeinträchtigungen ..."), lite ("die Vorsorge für eine zweckmäßige und bodensparende, auf die Bedürfnisse der Bevölkerung und die Erfordernisse des Schutzes des ... Landschaftsbildes abgestimmte Bebauung ..."), lith ("die Erhaltung ökologisch besonders wertvoller Flächen und die Bewahrung erhaltenswerter natürlicher oder naturnaher Landschaftselemente und Landschaftsteile") und liti ("die Erhaltung zusammenhängender Erholungsräume") eine hinreichende rechtliche Grundlage für die von den Antragstellern angefochtene Freilandwidmung bilden.

Im übrigen ist der Tiroler Landesregierung entgegen der Meinung der Antragsteller dahin rechtzugeben, daß die (weitere) Möglichkeit der landwirtschaftlichen Nutzung eines Grundstückes keine Voraussetzung seiner Freilandwidmung bildet. Da im übrigen die Marktgemeinde Kundl - unbestritten - in ausreichendem Ausmaß Gewerbe- und Industriegebiete für "die Erhaltung und Weiterentwicklung der Wirtschaft" (§27 Abs2 litb TROG 1994) vorgesehen und gewidmet hat, kann ihr auch keine Abwägungsfehleinschätzung vorgeworfen werden, welche die in Ausübung ihres Planungsermessens verordnete Freilandwidmung des Grundstücks der Antragsteller rechtswidrig machen würde.

d. Zu dem von den Antragstellern vorgetragenen Argument einer aus dem TROG 1994 abzuleitenden rechtlichen Notwendigkeit der Änderung der Freilandwidmung ihres Grundstücks in eine Gewerbe- und Industriegebietswidmung ist auf die eingangs a. zitierte Vorschrift des §108 Abs4 zweiter Satz TROG 1994 zu verweisen. Danach besteht eine Verpflichtung, vor Inkrafttreten des örtlichen Raumordnungskonzeptes einen bestehenden Flächenwidmungsplan zu ändern, lediglich, wenn dies notwendig ist, um Widersprüche mit Planungen des Landes oder des Bundes zu vermeiden sowie in bestimmten, gesetzlich aufgezählten Fällen gebotener Rückwidmungen von Sonder-, Vorbehalts- und Verkehrsflächen. Ganz offenkundig liegt für die das Grundstück der Antragsteller betreffende Freilandwidmung keiner der Gründe vor, die die Gemeinde zur Flächenwidmungsplanänderung verpflichten.

Ob die nach Meinung der Antragsteller nicht mehr länger mögliche landwirtschaftliche Nutzung ihres Grundstücks oder ihr Wunsch nach Ausweitung des nachbargemeindlichen Gewerbe- und Industriegebietes ein "wichtiger im öffentlichen Interesse gelegener Grund" im Sinne des §108 Abs4 erster Satz TROG 1994 ist und die dann zulässige (aber gleichwohl nicht gebotene) Widmungsänderung auch den Zielen der örtlichen Raumordnung nach dem TROG 1994 entspricht, ist im vorliegenden Verfahren nicht zu prüfen. Lediglich wenn die Marktgemeinde Kundl in Ausübung ihres planerischen Ermessens dem Wunsch der Antragsteller durch eine Flächenwidmungsplanänderung Rechnung tragen will, ist sie an die genannten Voraussetzungen des §108 Abs4 erster Satz TROG 1994 gebunden.

Da die Bedenken der Antragsteller sohin insgesamt nicht zutreffen, war ihr Antrag auf Aufhebung der Freilandwidmung ihres Grundstücks abzuweisen.

3. Dies konnte vom Verfassungsgerichtshof gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne mündliche Verhandlung beschlossen werden.

Schlagworte

VfGH / Prüfungsmaßstab, Raumordnung, Flächenwidmungsplan, Freiland, Berücksichtigungsprinzip, Übergangsbestimmung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1995:V76.1994

Dokumentnummer

JFT_10048989_94V00076_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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