Entscheidungsdatum
12.11.2020Norm
Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen §1Spruch
G304 2230606-1/7E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Beatrix LEHNER als Vorsitzende, sowie den Richter Ing. Mag. Franz SANDRIESSER und die fachkundige Laienrichterin Maria HIERZER als Beisitzerin über die Beschwerde der XXXX , geb. XXXX , gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Steiermark, vom 14.02.2020, Sozialversicherungsnummer: XXXX , betreffend die Feststellung, dass die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung auf Grund einer Behinderung“ nicht vorliegen, zu Recht erkannt:
A)
Gemäß § 28 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013 idgF. iVm. §§ 42 und 45 Bundesbehindertengesetz (BBG), BGBl. Nr. 22/1970 idF. BGBl. I Nr. 138/2013 wird die gegen den angefochtenen Bescheid erhobene Beschwerde als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Die Beschwerdeführerin (im Folgenden: BF) brachte am 17.06.2019 beim Sozialministeriumservice (im Folgenden: belangte Behörde) einen Antrag auf Ausstellung eines Ausweises gemäß § 29b Straßenverkehrsordnung 1960 (Parkausweis) samt Beilagen ein, der gemäß Hinweis auf dem Antragsformular auch als Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass gilt.
2. Im Rahmen des seitens der belangten Behörde durchgeführten Ermittlungsverfahrens wurden medizinische Sachverständigengutachten eingeholt.
Im Sachverständigengutachten von Dr. XXXX , Arzt für Allgemeinmedizin, vom 02.10.2019 wurde nach durchgeführter Untersuchung der BF am 30.08.2019 betreffend Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ausgeführt, dass aus medizinischer Sicht die Zumutbarkeit gegeben sei.
3. Am 11.10.2019 erstattete die BF im Rahmen des eingeräumten Parteiengehörs eine Stellungnahme, woraufhin die belangte Behörde ein weiteres Gutachten zur verfahrensgegenständlichen Frage einholte.
Im Sachverständigengutachten von Dr. XXXX , Ärztin für Allgemeinmedizin und Fachärztin für Anästhesie, vom 12.02.2020 wurde nach durchgeführter Untersuchung der BF am 29.01.2020 betreffend Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel Folgendes ausgeführt:
„Die Mobilität durch die stattgehabte Darmoperation mit Stromanlage sowie die Beckenbeinthrombose etwas eingeschränkt. Eine kurze Wegstrecke von 400m kann aber selbstständig und ohne Gehhilfe zurückgelegt werden, ÖVM können sicher benutzt werden (Ein-/Aussteigen, Halten an Haltegriffen, sicherer Stand). Das Stoma und seine Umgebung sind bland, keinerlei Hautveränderungen oder –reizungen erkennbar, das Stoma sitzt und klebt aktuell gut, keine wesentlichen Hautfalten. Zudem ist bereits eine zeitnahe Stomarückoperation anberaumt und damit eine weitere Besserung zu erwarten.“
4. Mit Bescheid der belangten Behörde vom 14.02.2020 wurde der Antrag der BF auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ gem. §§ 42 und 45 des Bundesbehindertengesetzes (BBG), BGBl. 283/1990, idgF, abgewiesen.
Begründend wurde ausgeführt, dass die eingeholten ärztlichen Sachverständigengutachten als schlüssig erkannt und in freier Beweiswürdigung der Entscheidung zu Grunde gelegt worden seien.
Die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel sei insbesondere dann nicht zumutbar, wenn das 36. Lebensjahr vollendet ist und erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten oder erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit oder erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten, Funktionen oder eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems oder eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit vorliegen.
Die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist dann unzumutbar, wenn eine kurze Wegstrecke (300 bis 400 Meter) nicht aus eigener Kraft und ohne fremde Hilfe, auch unter der Verwendung der zweckmäßigsten Behelfe, ohne Unterbrechung zurückgelegt werden könne oder wenn die Verwendung des erforderlichen Behelfs die Benützung des öffentlichen Transportmittels in hohem Maß erschweren würde.
Die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel sei auch dann nicht zumutbar, wenn sich die dauerhafte Gesundheitsschädigung auf die Möglichkeit des Ein- und Aussteigens und die sichere Beförderung in einem öffentlichen Verkehrsmittel unter Berücksichtigung der beim üblichen Betrieb dieses Verkehrsmittels angegebenen Bedingungen auswirke.
Da das ärztliche Begutachtungsverfahren ergeben habe, dass die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung nicht vorliegen, sei der Antrag der BF abzuweisen.
Abschließend scheint im Bescheid folgende Anmerkung auf:
„Da die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ nicht vorliegen, kann ein Ausweis gemäß § 29b – StVO (Parkausweis) nicht ausgestellt werden.“
5. Dagegen erhob die BF innerhalb offener Frist eine mit „Einspruch“ betitelte Beschwerde, die der Stellungnahme vom 11.10.2019 inhaltsgleich ist. Sie verwies auf eine Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes und unter anderem darauf, dass sie ca. 500 Meter von der nächsten Bushaltestelle entfernt am Land wohne und, wenn sie ins Krankenhaus fahre, nicht direkt dorthin fahren könne, sondern umsteigen müsse.
6. Am 30.04.2020 langte die gegenständliche Beschwerde samt dazugehörigem Verwaltungsakt beim Bundesverwaltungsgericht (im Folgenden: BVwG) ein.
7. Mit Verfügung des BVwG vom 23.06.2020, Zl. G304 2230606-1/2Z, wurde Dr. XXXX , Arzt für Allgemeinmedizin, Arbeitsmedizin, Sportmedizin, Manuelle Medizin, ersucht, ein Sachverständigengutachten auf der Grundlage der Einschätzungsverordnung zu erstellen und dieses „binnen sechs Wochen ab Begutachtung dieser Anordnung“ dem BVwG zu übermitteln.
Mit weiterer Verfügung des BVwG vom 23.06.2020, Zl. G304 2230606-1/2Z, wurde die BF aufgefordert, sich am 23.07.2020 um 16:20 Uhr bei Dr. Ronald WEISS zur ärztlichen Begutachtung einzufinden.
8. Im Sachverständigengutachten von Dr. XXXX vom 24.07.2020 wurde nach Begutachtung der BF am 24.07.2020 bei der BF keine hochgradige Funktionseinschränkung festgestellt und im Wesentlichen zusammengefasst festgehalten, dass kürzere Wegstrecken aus eigener Kraft zurückgelegt, einfache Niveauunterschiede selbstständig überwunden werden können und „die Mobilität zur Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel in ausreichendem Maße erhalten ist“. Den vorgutachterlichen Bewertungen wurde nicht entgegengetreten.
9. Mit Verfügung des BVwG vom 07.09.2020, Zl. G304 2230606-1/5Z, der BF zugestellt am 29.09.2020, wurde der BF das eingeholte Sachverständigengutachten vom 24.07.2020 übermittelt und ihr zur Wahrung des Parteiengehörs die Gelegenheit eingeräumt, dazu binnen zwei Wochen ab Zustellung dieser Verfügung Stellung zu nehmen.
10. Eine Stellungnahme zum der BF vorgehaltenen Sachverständigengutachten ist bis dato beim BVwG nicht eingelangt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Die BF ist im Besitz eines Behindertenpasses.
Die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung „Die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung auf Grund einer Behinderung ist nicht zumutbar“ liegen nicht vor.
2. Beweiswürdigung:
2.1. Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Inhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes und des vorliegenden Gerichtsaktes des BVwG.
2.2. Basierend auf der ständigen Rechtsprechung des VwGH bedarf es in einem Verfahren über einen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung" in einen Behindertenpass regelmäßig eines ärztlichen Sachverständigengutachtens, das die Auswirkungen der Gesundheitsschädigung auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel beurteilt, sofern diese Frage nicht in einem unmittelbar zuvor durchgeführten Verfahren gemäß § 14 Abs. 2 Behinderteneinstellungsgesetz im Rahmen der ärztlichen Begutachtung ausreichend behandelt wurde oder die Unzumutbarkeit aufgrund der Art der Gesundheitsschädigung auf der Hand liegt (VwGH vom 20.03.2001, GZ 2000/11/0321).
Nach der ständigen Judikatur des VwGH muss ein Sachverständigengutachten einen Befund und das eigentliche Gutachten im engeren Sinn enthalten. Der Befund ist die vom Sachverständigen - wenn auch unter Zuhilfenahme wissenschaftlicher Feststellungsmethoden - vorgenommene Tatsachenfeststellung. Die Schlussfolgerungen des Sachverständigen aus dem Befund, zu deren Gewinnung er seine besonderen Fachkenntnisse und Erfahrungen benötigt, bilden das Gutachten im engeren Sinn. Eine sachverständige Äußerung, die sich in der Abgabe eines Urteiles (eines Gutachtens im engeren Sinn) erschöpft, aber weder die Tatsachen, auf die sich dieses Urteil gründet, noch die Art, wie diese Tatsachen ermittelt wurden, erkennen lässt, ist mit einem wesentlichen Mangel behaftet und als Beweismittel unbrauchbar; die Behörde, die eine so geartete Äußerung ihrer Entscheidung zugrunde legt, wird ihrer Pflicht zur Erhebung und Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes (§ 37 AVG) nicht gerecht (VwGH vom 17.02.2004, GZ 2002/06/0151).
Hat eine Partei grundlegende Bedenken gegen ein ärztliches Gutachten, dann ist es nach Ansicht des VwGH an ihr gelegen, auf gleichem fachlichen Niveau diesem entgegenzutreten oder unter Anbietung von tauglichen Beweismitteln darzutun, dass die Aussagen des ärztlichen Sachverständigen mit dem Stand der medizinischen Forschung und Erkenntnis nicht vereinbar sind (VwGH vom 20.10.1978, 1353/78).
Eine Partei kann ein Sachverständigengutachten nur dann erfolgreich bekämpfen, wenn sie unter präziser Darstellung der gegen die Gutachten gerichteten sachlichen Einwände ausdrücklich erklärt, dass sie die Einholung eines weiteren Gutachtens bestimmter Fachrichtung zur vollständigen Ermittlung des Sachverhaltes für erforderlich halte und daher einen Antrag auf Beiziehung eines weiteren Sachverständigen stellt (VwGH vom 23.11.1978, GZ 0705/77).
Der Verwaltungsgerichtshof führte aber in diesem Zusammenhang auch aus, dass keine Verletzung des Parteiengehörs vorliegt, wenn einem Antrag auf Einholung eines zusätzlichen Gutachtens nicht stattgegeben wird (VwGH vom 25.06.1987, 87/06/0017).
2.2.1. Der Sachverständige Dr. XXXX hat sich in seinem Gutachten vom 24.07.2020 ausführlich mit den gesundheitlichen Beschwerden der BF auseinandergesetzt.
Er konnte bei der BF keine hochgradige Funktionseinschränkung feststellen und gab im Gutachten vom 24.07.2020 folgende zusammenfassende Bewertung ab:
„(…) Primär wird der Einspruch damit begründet, dass die Thrombose in den letzten 2 Monaten (Schreiben vom April 2020) akut geworden sei und ihre Gehstrecke einschränke.
Sie zweitens im Bereich ihres Seitenausganges immer wieder unter Reizzuständen leide und das Stomasackerl nicht hafte und drittens sie ungefähr 500 Meter von der nächsten Bushaltestelle entfernt wohne und es auch sehr umständlich sei von A nach B zu kommen und in einem Notfall in der Nähe von Krankenhäusern es fast unmöglich sei einen Parkplatz zu bekommen.
Im Rahmen der persönlichen Begutachtung wird auch die aktuelle Corona-Pandemie-Situation angeführt.
Im Rahmen der heutigen US zeigt sich keine höhergradige Mobilitätseinschränkung – sämtliche großen und kleinen Gelenke sowie die Wirbelsäule sind alltagstauglich ausreichend frei, die moderate allgemeine Kraftminderung nach Chemotherapie bewirkt keine hochgradige Funktionseinschränkung.
Neurologische Ausfälle oder sonstige höhere Funktionseinschränkungen der unteren Extremität sind nicht evident; die Thrombose ist bereits im Okt. 2019 erlitten u. ausreichend konsolidiert um keine besondere Schonung zu erfordern; eine besondere Schwellneigung kann im Rahmen der heutigen US trotz warmen Temperaturen u. fehlender Kompressionstherapie nicht objektiviert werden.
Es finden sich abgesehen von einer moderaten allgemeinen Schwäche keinen relevanten kardiopulmonalen Leistungsminderungen.
Es besteht keine schere anhaltende Erkrankung des Immunsystems, keine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit.
Der angegebene imperative Stuhldrang mit berichtetem mehrfachen Stuhlgang von geringer Menge kann naturgemäß nicht nachgeprüft werden; zwar wird angegeben, dass normalerweise Inkontinenzprodukte verwendet werden, diese werden am heutigen Tag jedoch nicht verwendet u. trotzdem findet sich neben einer sauberen Unterwäsche eine saubere u. unauffällige perianale Region.
Der Schließmuskelapparat ist vollständig intakt. Kneifen ohne Einschränkungen durchführbar, sodass keine Hinweise für eine manifeste Inkontinenzproblematik objektivierbar sind.
Die angegebene Problematik der Infrastruktur in abgelegener Wohnlage ist für den Parkausweis nicht relevant.
Ebenso stellt die aktuelle Corona-Virus-Pandemie keine Begründung für eine dauernde hochgradige Mobilitätseinschränkung dar.
Insgesamt können daher kürzere Wegstrecken sehr wohl aus eigener Kraft zurückgelegt werden.
Einfache Niveauunterschiede können selbstständig überwunden werden.
Die Mobilität ist zur Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel in ausreichendem Maße erhalten.
Bei berichteter Drangsymptomatik können handelsübliche Inkontinenzprodukte bei Bedarf verwendet werden.“
Demnach besteht bei der BF keine hochgradige Funktionseinschränkung bzw. Mobilitätseinschränkung und können bei Bedarf handelsübliche Inkontinenzprodukte verwendet, kürzere Wegstrecken aus eigener Kraft zurückgelegt und einfache Niveauunterschiede selbstständig überwunden werden.
Für die gegenständliche Beurteilung der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist die von der BF in ihrer Beschwerde angeführte Infrastrukturproblematik bei ihr zuhause bzw. die Entfernung zur nächstgelegenen Bushaltestelle nicht relevant, sondern bezüglich einer zurücklegbaren Wegstrecke dafür nur die Frage maßgeblich, ob eine kurze Wegstrecke von 300 bis 400 Meter aus eigener Kraft und ohne fremde Hilfe, gegebenenfalls unter Verwendung der zweckmäßigen Behelfe, ohne Unterbrechung zurückgelegt werden kann.
Wenn dies nicht möglich ist, ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel nicht zumutbar. Die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist auch dann nicht zumutbar, wenn die Verwendung des erforderlichen Behelfs die Benützung des öffentlichen Transportmittels in hohem Maße erschwert, bzw. wenn sich die dauerhafte Gesundheitsschädigung auf die Möglichkeit des Ein- und Aussteigens und die sichere Beförderung in einem öffentlichen Verkehrsmittel unter Berücksichtigung der beim üblichen Betrieb dieses Verkehrsmittel angegebenen Bedingungen auswirkt.
Als „Begründung für eventuelle Änderung und Stellungnahme zum Vorgutachten“ wurde festgehalten, den gutachterlichen Vorbewertungen könne auch im Rahmen der heutigen Untersuchung nicht widersprochen werden, eine derart hochgradige und dauerhafte Mobilitätseinschränkung gemäß den Erläuterungen zum Parkausweis könne nicht bescheinigt werden“, wobei bezüglich dieses Verweises auf das Vorgutachten darauf hingewiesen wird, dass im seitens der belangten Behörde eingeholten Vorgutachten vom 12.02.2020 unter anderem festgehalten wurde, dass die BF eine kurze Wegstrecke von 400m selbstständig und ohne Gehhilfe zurücklegen kann und öffentliche Verkehrsmittel sicher benutzt werden können (Ein-/Aussteigen, Halten an Haltegriffen, sicherer Stand).
Mit Sachverständigengutachten vom 24.07.2020 wurde somit keine der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel entgegenstehende Funktions- bzw. Mobilitätseinschränkung festgestellt und die Zurücklegung einer relevanten Wegstrecke, die Überwindung von bei öffentlichen Verkehrsmitteln üblichen Niveauunterschieden und eine sichere Transportmöglichkeit für möglich gehalten.
Da die BF gegen das ihr im Rahmen des Parteiengehörs vorgehaltene Sachverständigengutachten vom 24.07.2020 keine Einwendung erhoben hat, konnte dieses Gutachten gegenständlicher Entscheidung in freier Beweiswürdigung zugrunde gelegt werden.
3. Rechtliche Beurteilung:
3.1. Zuständigkeit und anzuwendendes Recht:
Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz – BVwGG) entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Gemäß § 45 Abs. 3 BBG hat in Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.
Bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß § 45 Abs. 3 BBG hat eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter mitzuwirken. Die im § 10 Abs. 1 Z 6 des Bundesbehindertengesetzes genannte Vereinigung entsendet die Vertreterin oder den Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung. Hinsichtlich der Aufteilung des Nominierungsrechtes auf gleichartige Vereinigungen ist § 10 Abs. 2 des Bundesbehindertengesetzes anzuwenden. Für die Vertreterin oder den Vertreter ist jeweils auch die erforderliche Anzahl von Ersatzmitgliedern zu entsenden.
Gegenständlich liegt somit Senatszuständigkeit vor.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichts-verfahrensgesetz - VwGVG) geregelt (§ 1 leg.cit.).
Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben ist, den angefochtenen Bescheid auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.
Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.
Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.
3.2. Zu Spruchteil A):
3.2.1. Gemäß § 1 Abs. 4 Z 3 der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen, BGBl. II Nr. 495/2013, idF BGBl. II Nr. 263/2016, ist auf Antrag des Menschen mit Behinderung jedenfalls einzutragen, die Feststellung, dass dem Inhaber/der Inhaberin des Passes die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar ist; die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist insbesondere dann nicht zumutbar, wenn das 36. Lebensmonat vollendet ist und
- erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten oder
- erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit oder
- erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten, Funktionen oder
- eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems oder
- eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit nach
Abs. 4 Z 1 lit. b oder d vorliegen.
Nach der (noch zur Rechtslage nach der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen, BGBl. 86/1991, ergangenen) ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat die Behörde, um die Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel beurteilen zu können, zu ermitteln, ob der Antragsteller dauernd an seiner Gesundheit geschädigt ist und wie sich diese Gesundheitsschädigung nach ihrer Art und ihrer Schwere auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirkt. Sofern nicht die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auf Grund der Art und der Schwere der Gesundheitsschädigung auf der Hand liegt, bedarf es in einem Verfahren über einen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung" regelmäßig eines ärztlichen Sachverständigengutachtens, in dem die dauernde Gesundheitsschädigung und ihre Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in nachvollziehbarer Weise dargestellt werden. Nur dadurch wird die Behörde in die Lage versetzt, zu beurteilen, ob dem Betreffenden die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung unzumutbar ist (vgl. VwGH 22.10.2002, 2001/11/0242; VwGH 20.04.2004, 2003/11/0078 [= VwSlg. 16.340 A/2004]; VwGH 01.06.2005, 2003/10/0108; VwGH 29.06.2006, 2006/10/0050; VwGH 18.12.2006, 2006/11/0211; VwGH 17.11.2009, 2006/11/0178; VwGH 23.02.2011, 2007/11/0142; VwGH 23.05.2012, 2008/11/0128; VwGH 17.06.2013, 2010/11/0021, je mwN).
Ein solches Sachverständigengutachten muss sich mit der Frage befassen, ob der Antragsteller dauernd an seiner Gesundheit geschädigt ist und wie sich diese Gesundheitsschädigung nach ihrer Art und ihrer Schwere auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirkt (20.03.2001, 2000/11/0321 [= VwSlg. 15.577 A/2001]). Dabei ist auf die konkrete Fähigkeit des Beschwerdeführers zur Benützung öffentlicher Verkehrsmittel einzugehen, dies unter Berücksichtigung der hiebei zurückzulegenden größeren Entfernungen, der zu überwindenden Niveauunterschiede beim Aus- und Einsteigen, der Schwierigkeiten beim Stehen, bei der Sitzplatzsuche, bei notwendig werdender Fortbewegung im Verkehrsmittel während der Fahrt etc. (VwGH 22.10.2002, 2001/11/0242; VwGH 14.05.2009, 2007/11/0080).
Dabei kommt es entscheidend auf die Art und die Schwere der dauernden Gesundheitsschädigung und deren Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel im Allgemeinen an, nicht aber auf andere Umstände, die die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel aus sonstigen, von der Gesundheitsbeeinträchtigung unabhängigen Gründen erschweren, wie etwa die Entfernung des Wohnorts des Beschwerdeführers vom nächstgelegenen Bahnhof (vgl. VwGH 22.10.2002, 2001/11/0258 und 27.05.2014, Ro 2014/11/0013).
Die angeführte (zur Rechtslage vor Erlassung der Verordnung BGBl. II Nr. 495/2013 ergangene) Rechtsprechung des VwGH ist zur Beurteilung der Voraussetzungen der Zusatzeintragung nach § 1 Abs. 4 Z 3 der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen, BGBl. II Nr. 495/2013, unverändert von Bedeutung. Dies folgt bereits daraus, dass die zitierte Verordnungsbestimmung jene rechtlich relevanten Gesichtspunkte der Benützung eines Verkehrsmittels, auf die die bisherige Rechtsprechung abstellt (Zugangsmöglichkeit, Ein- und Aussteigemöglicheit, Stehen, Sitzplatzsuche, etc), nicht modifiziert oder beseitigt hat, sondern weiterhin auf den Begriff der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel abstellt und lediglich ergänzend regelt, welche gesundheitlichen Beeinträchtigungen "insbesondere" als solche in Betracht kommen, die die Unzumutbarkeit nach sich ziehen können.
3.2.2. Mit Sachverständigengutachten vom 24.07.2020 wurde bei der BF keine der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel entgegenstehende Funktions- bzw. Mobilitätseinschränkung festgestellt und die Zurücklegung einer relevanten Wegstrecke, die Überwindung von bei öffentlichen Verkehrsmitteln üblichen Niveauunterschieden und eine sichere Transportmöglichkeit für möglich gehalten.
Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich somit, dass dem seitens des BVwG eingeholten allgemeinmedizinischen Sachverständigengutachten vom 24.07.2020 folgend bei der BF die Voraussetzungen für die Feststellung, dass die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel nicht zumutbar ist, nicht vorliegen, die BF eine relevante Wegstrecke zurücklegen, übliche Niveauunterschiede überwinden und sicher in einem öffentlichen Transportmittel befördert werden kann, und ihr somit die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar ist.
Die gegenständliche Beschwerde war daher spruchgemäß abzuweisen.
3.3. Entfall einer mündlichen Verhandlung:
Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.
Gemäß § 24 Abs. 2 VwGVG kann die Verhandlung entfallen, wenn
1. der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist oder
2. die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist.
Gemäß § 24 Abs. 3 VwGVG hat der Beschwerdeführer die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Den sonstigen Parteien ist Gelegenheit zu geben, binnen angemessener, zwei Wochen nicht übersteigender Frist einen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung zu stellen. Ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung kann nur mit Zustimmung der anderen Parteien zurückgezogen werden.
Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen.
Der EGMR hat in seinen Entscheidungen vom 10. Mai 2007, Nr. 7401/04 (Hofbauer/Österreich Nr. 2), und vom 3. Mai 2007, Nr. 17.912/05 (Bösch/Österreich), unter Hinweis auf seine frühere Rechtsprechung dargelegt, dass der Beschwerdeführer grundsätzlich ein Recht auf eine mündliche Verhandlung vor einem Tribunal hat, außer es lägen außergewöhnliche Umstände vor, die eine Ausnahme davon rechtfertigten. Der EGMR hat das Vorliegen solcher außergewöhnlichen Umstände angenommen, wenn das Verfahren ausschließlich rechtliche oder "hoch-technische" Fragen ("exclusively legal or highly technical questions") betrifft. Der Gerichtshof verwies im Zusammenhang mit Verfahren betreffend ziemlich technische Angelegenheiten ("rather technical nature of disputes") auch auf das Bedürfnis der nationalen Behörden nach zweckmäßiger und wirtschaftlicher Vorgangsweise, das angesichts der sonstigen Umstände des Falles zum Absehen von einer mündlichen Verhandlung berechtige (VwGH 03.10.2013, 2012/06/0221).
In seinem Urteil vom 18. Juli 2013, Nr. 56.422/09 (Schädler-Eberle/Liechtenstein) hat der EGMR in Weiterführung seiner bisherigen Judikatur dargelegt, dass es Verfahren gebe, in denen eine Verhandlung nicht geboten sei, etwa wenn keine Fragen der Beweiswürdigung aufträten oder die Tatsachenfeststellungen nicht bestritten seien, sodass eine Verhandlung nicht notwendig sei und das Gericht auf Grund des schriftlichen Vorbringens und der schriftlichen Unterlagen entscheiden könne (VwGH 03.10.2013, 2012/06/0221).
Der entscheidungsrelevante Sachverhalt ist vor dem Hintergrund des vorliegenden, unbestritten gebliebenen Sachverständigengutachtens vom 24.07.2020, welches als schlüssig, nachvollziehbar und widerspruchsfrei erachtet wird, geklärt, weshalb von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden konnte.
3.4. Zu Spruchteil B): Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG) hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzlicher Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung.
Weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Die Zulassung der Revision war gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG zudem zu verneinen, weil die gegenständliche Entscheidung in Wesentlichen nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, sondern von Tatsachenfragen. Maßgebend ist das festgestellte Ausmaß der Funktionsbeeinträchtigungen bzw. der Mobilitätseinschränkung.
Schlagworte
Behindertenpass Sachverständigengutachten Zumutbarkeit ZusatzeintragungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:G304.2230606.1.00Im RIS seit
04.12.2020Zuletzt aktualisiert am
04.12.2020