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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
AufG 1992 §5 Abs1;Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden): 95/19/0979Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Puck und die Hofräte Dr. Holeschofsky, Dr. Zens, Dr. Bayjones und Dr. Schick als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Wildmann, über die Beschwerden 1. des
D H, geboren 1992, und 2. der S H, geboren 1973, beide zuletzt in 6833 Klaus, der Erstbeschwerdeführer vertreten durch die Zweitbeschwerdeführerin, diese vertreten durch Dr. Gottfried Waibel, Rechtsanwalt in 6850 Dornbirn, Schulgasse 7, gegen die Bescheide des Bundesministers für Inneres je vom 4. Dezember 1994, 1.) Zl. 103.483/3-III/11/94 und
2.) Zl. 103.483/2-III/11/94, jeweils betreffend Aufenthaltsbewilligung, zu Recht erkannt:
Spruch
Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben.
Der Bund (Bundesministerium für Inneres) hat den beschwerdeführenden Parteien Aufwendungen in der Höhe von jeweils S 12.740,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Die beschwerdeführenden Parteien stellten rechtsfreundlich vertreten aus Schellenberg (Liechtenstein) ihre am 19. April 1994 bei der Behörde erster Instanz eingelangten Anträge auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung. Die Zweitbeschwerdeführerin (Mutter des Erstbeschwerdeführers) gab darin an, daß sie in Hohenems geboren und in Vorarlberg aufgewachsen sei; sie sei bis Anfang 1992 aufenthaltsberechtigt gewesen. Am 27. Juli 1991 habe sie Radovan H geheiratet und sich sodann in den Jahren 1992 und 1993 zusammen mit ihrem Mann in Jugoslawien aufgehalten. Dort sei ihr Sohn (der Erstbeschwerdeführer) geboren worden. Da die Ehe schlecht verlaufen sei und sie mit ihrem Mann nicht mehr habe zusammenleben können, sei sie zu ihren Eltern nach Österreich "geflohen". Die Schwestern der Zweitbeschwerdeführerin lebten in Österreich, nur eine sei in Liechtenstein verheiratet. Auf die Antragsfrage nach der "Anschrift" gaben die beschwerdeführenden Parteien jeweils eine Adresse in Österreich an; eine Antragsfrage nach dem derzeitigen Wohnsitz (im Rechtssinn) oder auch eine solche nach einer gesicherten Unterkunft in Österreich ist dem Formular nicht zu entnehmen.
Eine über Aufforderung durch die Bezirkshauptmannschaft Feldkirch vom 27. April 1994 hinsichtlich der Zweitbeschwerdeführerin vorgenommene "Fremdenkontrolle" durch den Gendarmerieposten Klaus am 11. Mai 1994 brachte als Ergebnis, daß die Zweitbeschwerdeführerin laut Auskunft ihrer Schwester wieder nach Jugoslawien abgereist sei; sie sei angeblich ca. drei Wochen auf Besuch gewesen. Einem weiteren Bericht des Gendarmeriepostens 6832 Sulz vom 22. Mai 1994 ist zu entnehmen, daß die Zweitbeschwerdeführerin über einen Touristensichtvermerk, ausgestellt am 22. März 1994 und gültig bis zum 22. April 1994, verfügte. Sie sei ohne Aufenthaltsbewilligung in Österreich angetroffen, eine Anzeige nach dem Fremdengesetz sei erstattet worden.
Über einen weiteren Auftrag der Bezirkshauptmannschaft Feldkirch vom 6. Juli 1994 berichtete der Gendarmerieposten Sulz am 11. (oder 10.) Juli 1994, daß die Zweitbeschwerdeführerin (mit dem Erstbeschwerdeführer) das österreichische Bundesgebiet verlassen habe und nach Jugoslawien ausgereist sei.
Mit den vor dem Verwaltungsgerichtshof bekämpften Bescheiden wurden die Berufungen der beschwerdeführenden Parteien gemäß § 66 Abs. 4 AVG iVm § 5 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufG) iVm § 10 Abs. 1 Z. 6 des Fremdengesetzes (FrG) sowie § 6 Abs. 2 AufG abgewiesen. Da gemäß § 6 Abs. 2 AufG der Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung nicht vor der Einreise in das Bundesgebiet vom Ausland aus eingebracht worden sei und "somit" die Bewilligung nach dem AufG zeitlich an einen Touristensichtvermerk anschließen solle, sei der Berufung keine Folge zu geben gewesen. Die belangte Behörde ging dabei jeweils von einer Einreise in das Bundesgebiet mit 27. März 1994 aus.
Der Verfassungsgerichtshof lehnte jeweils mit Beschluß vom 13. Juni 1995, 1.) B 239/95-3 und 2.) B 238/95-5, die Behandlung der dagegen zunächst an ihn erhobenen Beschwerden ab und trat diese in der Folge mit Beschlüssen jeweils vom 19. September 1995 gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof ab.
Dieser hat über die wegen des sachlichen und persönlichen Zusammenhanges verbundenen Beschwerdesachen erwogen:
Im Hinblick auf die Zustellung der bekämpften Bescheide am 5. Jänner 1995 (betreffend den Erstbeschwerdeführer) bzw. am 17. Jänner 1995 (betreffend die Zweitbeschwerdeführerin) hatte die belangte Behörde die Rechtslage VOR der Novelle des Aufenthaltsgesetzes BGBl. Nr. 351/1995, anzuwenden.
Nach § 5 Abs. 1 AufG darf Fremden eine Aufenthaltsbewilligung nicht erteilt werden, bei denen unter anderem ein Sichtvermerksversagungsgrund iSd § 10 Abs. 1 FrG vorliegt. Nach § 10 Abs. 1 Z. 6 FrG ist die Erteilung eines Sichtvermerkes zu versagen, wenn dieser zeitlich (unter anderem) an einen Touristensichtvermerk anschließen soll.
§ 6 Abs. 2 AufG in der hier anzuwendenden Fassung lautet wie folgt:
"(2) Der Antrag auf Erteilung einer Bewilligung ist vor der Einreise nach Österreich vom Ausland aus zu stellen. Der Antrag auf Verlängerung einer Bewilligung kann auch vom Inland aus gestellt werden."
Aufgrund der Aktenlage ist davon auszugehen, daß auch der Erstbeschwerdeführer - eingetragen im Paß der Mutter - aufgrund des erteilten Touristensichtvermerkes zum Aufenthalt in Österreich berechtigt war.
Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits mehrfach ausgeführt hat, vermag die im Anschluß an die Antragstellung erfolgte Ausnützung eines Touristensichtvermerkes mit anschließender Ausreise vor Bescheiderlassung durch die belangte Behörde dem Fremden aus dem Gesichtspunkt des § 10 Abs. 1 Z. 6 FrG nicht zu schaden (vgl. das hg. Erkenntnis vom 18. April 1997, Zlen. 96/19/0240, 0303, mwN). Dies hat die belangte Behörde im Hinblick auf den aktenkundigen Hinweis auf die Ausreise der beschwerdeführenden Parteien vor Bescheiderlassung verkannt.
Die belangte Behörde ist aber auch zu Unrecht davon ausgegangen, daß die Erfordernisse des § 6 Abs. 2 AufG in der hier anzuwendenden Fassung nicht eingehalten worden seien. Zwar hat die Zweitbeschwerdeführerin - ungeachtet der Bezeichnung ihres Antrages als "Verlängerungsantrag" - im Hinblick auf die Begründung eines ordentlichen Wohnsitzes in Jugoslawien einen "Erstantrag" gestellt, der - ebenso wie der Antrag des Erstbeschwerdeführers - aus dem Ausland einzubringen war. Dies ist aber auch geschehen, haben doch nach dem nicht widerlegten Akteninhalt die beschwerdeführenden Parteien ihre Anträge auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung von Liechtenstein aus gestellt. Daß sie gleichzeitig bereits einen Aufenthalt (iSd § 1 Abs. 1 AufG) in Österreich begründet hätten, steht unter Bedachtnahme auf den erteilten Touristensichtvermerk und die aktenkundige Ausreise der beschwerdeführenden Parteien nicht fest. Zwar trifft es zu, daß § 6 Abs. 2 AufG keine bloße Formvorschrift bildet und diese Bestimmung im Einklang mit dem aus den Gesetzesmaterialien hervorgehenden Willen des Gesetzgebers dahin auszulegen ist, daß der Fremde die Entscheidung über seinen im Ausland zu stellenden Antrag im Regelfall auch vom Ausland aus abzuwarten hat (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 14. Dezember 1995, Zl. 95/19/1087), doch hindert dies nur die Aufenthaltsnahme (iSd § 1 Abs.1 AufG) im Inland, nicht aber die Ausnützung eines Touristensichtvermerkes.
Im Hinblick auf die gebrauchten Abweisungsgründe war nicht zu prüfen, ob der kurzfristige illegale Aufenthalt in Österreich dem Antrag der beschwerdeführenden Parteien auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung etwa entgegensteht.
Aus diesen Erwägungen waren die angefochtenen Bescheide gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Das Mehrbegehren betreffend den Ersatz von Umsatzsteuer war abzuweisen, weil neben dem Ersatz des pauschalierten Schriftsatzaufwandes ein Ersatz von Umsatzsteuer nicht zusteht.
Da die Schriftsätze der Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens und die dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegten Akten des Verwaltungsverfahrens erkennen lassen, daß die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten läßt und Art. 6 MRK dem nicht entgegensteht, konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 4 und 6 VwGG von der beantragten Verhandlung abgesehen werden.
Soweit Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zitiert wurden, die in der Amtlichen Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse dieses Gerichtshofes nicht veröffentlicht sind, wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1997:1995190978.X00Im RIS seit
02.05.2001