Entscheidungsdatum
12.11.2020Norm
Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen §1Spruch
G304 2226084-1/11E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Beatrix LEHNER als Vorsitzende, sowie den Richter Ing. Mag. Franz SANDRIESSER und die fachkundige Laienrichterin Maria HIERZER als Beisitzerin über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Steiermark, vom 07.11.2019, Sozialversicherungsnummer: XXXX , betreffend Grad der Behinderung und betreffend die Feststellung, dass die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung auf Grund einer Behinderung“ nicht vorliegen, zu Recht erkannt:
A)
I.
Der Beschwerde hinsichtlich des festzustellenden Grades der Behinderung wird stattgegeben.
Der Grad der Behinderung beträgt 60 v.H.
II.
Die Beschwerde hinsichtlich der Vornahme der Zusatzeintragung „Die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung auf Grund einer Behinderung ist nicht zumutbar“ wird abgewiesen. Die Voraussetzungen für diese Zusatzeintragung liegen nicht vor.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) brachte am 16.08.2019 bei der zuständigen Landesstelle des Sozialministeriumservice (im Folgenden: belangte Behörde) einen Antrag auf Neuausstellung des Behindertenpasses wegen Ablaufs der Befristung und einen Antrag auf Ausstellung eines Ausweises gemäß § 29b Straßenverkehrsordnung 1960 (Parkausweis) samt Beilagen ein, der auch als Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass gilt.
2. Im Rahmen des seitens der belangten Behörde durchgeführten Ermittlungsverfahrens wurde ein ärztliches Sachverständigengutachten von Dr. XXXX , Facharzt für Orthopädie, vom 13.10.2019 eingeholt, wobei nach Begutachtung des BF am 01.10.2019 ein Gesamtgrad der Behinderung von 50 v.H. festgestellt und bezüglich Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel Folgendes ausgeführt wurde:
„Der Antragsteller erscheint zur Untersuchung mit zwei Gehstützen und gibt an, dass er diese zur Sicherheit mitnimmt. Er würde schmerzfrei ohne Hilfsmittel nur rund 50 Meter zurücklegen können, da es dann zu ziehenden Schmerzen, vor allem im Bereich der rechten Wade kommt. Bei der Voruntersuchung im Oktober 2018 war noch ein Knochenmarksödem als Residuum der Spondylodiszitis im Segment L4/5 vorliegend und der Antragsteller in der Mobilität deutlich eingeschränkt. Gegenwärtig ist die Funktion nur mäßiggradig eingeschränkt. Laut MRT vom Mai ist das Knochenmarködem vollständig zurückgegangen. Der Antragsteller weist auch beim Barfußgangbild ohne Hilfsmittel keine wesentliche Erschwernis auf. Auch das Hinlegen und das Wiederaufrichten aus der liegenden Position bereitet ihm keine wesentlichen Umstände und geschieht zügig und problemlos. Aus orthopädischer Sicht ist dem Antragsteller jedenfalls das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke zum Erreichen öffentlicher Verkehrsmittel wieder zumutbar. Auch das selbstständige Ein- und Aussteigen kann mit ausreichender Sicherheit gewährleistet werden.“
3. In einer seitens der belangten Behörde eingeholten „Stellungnahme“ von Dr. XXXX MAIER vom 07.11.2019 wurde Folgendes angeführt:
„Der Antragsteller beansprucht (damit offenbar „beeinsprucht“ gemeint) das Ergebnis der Untersuchung vom 1.10.2019 und reicht einen EMG-Befund sowie einen Befundbericht von Dr. (…) nach. Die darin beschriebene Wurzelläsion S1 rechts und die sensible Polyneuropathie sind in der GS1 enthalten und ausreichend gewürdigt. Die beklagten Schwindelanfälle sowie die Schwerhörigkeit, der Tinnitus und der angegebene essenzielle Tremor haben für ein orthopädisches Fachgutachten keine Relevanz. Insgesamt hat sich die Mobilität im Vergleich zum Vorgutachten 10/2018 deutlich gebessert. Eine Änderung des Ergebnisses der Begutachtung vom 1.10. ergibt sich somit nicht.“
4. Daraufhin wurde dem BF am 07.11.2019 ein neuer Behindertenpass mit einem festgestellten Gesamtbehinderungsgrad von 50 v.H. ausgestellt, unbefristet, ab 01.11.2019 gültig und gestützt auf das Sachverständigengutachten vom 13.10.2019 und die sachverständige Stellungnahme vom 07.11.2019.
5. Mit Bescheid der belangten Behörde vom 07.11.2019 wurde der Antrag des BF auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ gem. §§ 42 und 45 des Bundesbehindertengesetzes (BBG), BGBl. 283/1990, idgF, abgewiesen.
Begründend wurde ausgeführt, es sei im Ermittlungsverfahrens ein Gutachten eingeholt worden, nach welchem die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung nicht gegeben seien. Die wesentlichen Ergebnisse des ärztlichen Begutachtungsverfahrens seien der einen Bestandteil der Begründung bildenden Beilage – der Stellungnahme von Dr. XXXX vom 07.11.2019 – zu entnehmen. Die Ergebnisse des ärztlichen Begutachtungsverfahrens seien als schlüssig erkannt und in freier Beweiswürdigung der Entscheidung zu Grunde gelegt worden.
Im Bescheid wurde daraufhin nach Anführung der „anzuwendenden rechtlichen Bestimmungen“ der Schluss gezogen, dass der Antrag des BF abzuweisen sei, habe das ärztliche Begutachtungsverfahren doch ergeben, dass die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung nicht vorliegen.
Abschließend scheint im Bescheid noch folgende Anmerkung auf:
„Da die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ nicht vorliegen, kann ein Ausweis gemäß § 29b – StVO (Parkausweis) nicht ausgestellt werden.“
6. Gegen das Sachverständigengutachten vom 13.10.2019 bzw. die Herabsetzung des mit Sachverständigengutachten vom 04.05.2010 festgestellten Gesamtbehinderungsgrades des BF von 70 v.H. auf 50 v.H. mit Sachverständigengutachten vom 13.10.2019 wurde innerhalb offener Frist Beschwerde erhoben. Es wurde unter Verweis auf die Schwerhörigkeit des BF, seine Schwindelanfälle und den essentiellen Tremor um nochmalige Prüfung seiner Angelegenheit ersucht.
7. Am 04.12.2019 langte die gegenständliche Beschwerde samt dazugehörigem Verwaltungsakt beim Bundesverwaltungsgericht (im Folgenden: BVwG) ein.
8. Am 17.12.2019 langte beim BVwG eine Beschwerdeergänzung ein, in welcher der BF anführte, sein Prostataleiden sei nach orthopädischer Begutachtung am 01.10.2019 von 50 v.H. auf 30 v.H. herabgesetzt worden, ohne dass er davor diesbezüglich untersucht oder befragt worden wäre. Nach der Prostatektomie sei bislang keine Besserung der Beschwerden eingetreten. Diese Beschwerden würden ihn im Alltag erheblich behindern –
? „Miktionsstörungen beim Husten und Niesen (vor allem durch die Pollenallergie ausgelöst) sowie bei akustischer Wahrnehmung von Vibrations – und Summgeräuschen als auch beim Heben von Gegenständen.
? Ständiger Harndrang (stündlicher bis halbstündlicher Toilettengang).
? Starke Schweißausbrüche bei geringer Anstrengung.
? Beim Verlassen des Hauses muss ich immer Einlagen tragen; zu Hause nicht ständig, außer in der Pollenflugzeit (Februar bis Juli).“
Es wurde um neuerliche Beurteilung ersucht.
9. Mit Verfügung des BVwG vom 04.02.2020, Zl. G304 2226084-1/3Z, wurde Herr Dr. XXXX , Arzt für Allgemeinmedizin, ersucht, binnen sechs Wochen ab Begutachtung dieser Verfügung dem BVwG ein Sachverständigengutachten auf der Grundlage der Einschätzungsverordnung zu übermitteln.
Mit Verfügung des BVwG vom 04.02.2020, Zl. G304 2226084-1/3Z, wurde der BF aufgefordert, sich am 02.03.2020 um 15:30 Uhr bei Dr. XXXX zur ärztlichen Begutachtung einzufinden.
10. In dem eingeholten Gutachten von Dr. XXXX vom 02.03.2020 wird nach Begutachtung des BF am 02.03.2020 unter Berücksichtigung vorgelegter Befunde im Wesentlichen Folgendes festgehalten:
Lfd. Nr.
Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:
Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes:
Pos. Nr.
GdB %
GS1
Degeneratives Wirbelsäulensyndrom nach Bandscheibenoperation und Spondylodiszitis sowie Gleitwirbelbildung lumbal
Oberer RSW nach zweimaliger Spondylodiszitis, mehrsegmentale Bandscheibenprotusionen, Prolaps L3/4, Listhese L3-L5, Funktionseinschränkungen, Gefühlsstörungen des rechten Beins ohne motorische Ausfallserscheinungen
02.01.02
40 v.H.
GS2
Operierte Prostatakrebserkrankung 11/2009 mit Inkontinenz und nachgewiesener Einlagenversorgung.
Eine Stufe unter dem oberen RSW bei Miktionsstörungen und intermittierender Einlagenversorgung
13.01.02
30 v.H.
GS3
Degenerative Abnützung beider Kniegelenke
Oberer RSW bei Funktionseinschränkung bds., das rechte Knie führend da frisch operiert mit belastungsabhängigen Beschwerden
02.05.19
30 v.H.
GS4
Innenohrschwerhörigkeit mit Ohrgeräusch (Tinnitus bds., Hörgeräteversorgung vorhanden)
12.02.01 2.03.01
30 v.H.
GS5
Essentieller Tremor in erster Linie der oberen Extremitäten unklarer Genese
Eine Stufe über dem unteren RSW entsprechend der nachgewiesenen Symptomatik-Analogposition
04.09.01
20 v.H.
GS6
Asthma bronchiale unter Medikation
Oberer RSW entsprechend der Medikationsnotwendigkeit
06.05.01
20 v.H.
GS7
Morbus Menier (Schwindelerscheinung)
Eine Stufe unter dem unteren RSW entsprechend der aktuell geringen Symptomatik, teilweise mit der Innenohrstörung symptomverwandt
12.03.01
20 v.H.
GS8
Sensible Polyneuropathie des rechten Beines (Nervenschädigung)
Eine Stufe über dem unteren RSW entsprechend der nachgewiesenen Symptomatik mit der Nervenwurzelreizung bedingt durch die Lendenwirbelsäulenschädigung symptomverwandt
04.06.01
20 v.H.
Gesamtgrad der Behinderung 60 v.H.
Begründend für den Gesamtgrad der Behinderung wurde angeführt:
„Die führende GS1 wird durch die GS3 und GS8 im Zusammenwirkung bei negativer orthopädischer Wechselwirkung in der Funktionskette um eine Stufe gehoben, die GS4 und GS7 heben im Zusammenwirken wegen zusätzlicher Beeinträchtigung im Alltag – Mobilität – ebenso um 1 Stufe. Die weiteren GS heben nicht weiter an da keine negative Leidensbeeinflussung im Sinne einer negativen Wechselwirkung besteht. Leiden welche zu keiner relevanten Minderung führen: beginnende Abnützung der Schulterkappensehnen am rechten Schultergelenk (Impingement).“
Abschließend wurde im Gutachten folgende „Stellungnahme“ abgegeben:
„Im Vorgutachten Dris XXXX (Orthopäde) sind einige Leiden nicht gewürdigt worden, diese sind nun im gegenständlichen Gutachten angeführt und entsprechend der Funktionszusammenhänge eingeschätzt und gewürdigt worden.“
11. Mit Schreiben des BVwG vom 13.08.2020, Zl. G304 2226084-1/7Z, wurde Dr. XXXX , Arzt für Allgemeinmedizin, ersucht, unter Berücksichtigung des Vorbringens des BF und allfällig mit der Beschwerdeschrift vorgelegter ärztlicher Befunde bzw. mitgebrachter ärztlicher Befunde ein Ergänzungsgutachten zum von ihm bereits erstellten Sachverständigengutachten – betreffend Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung – zu erstellen und dieses „binnen sechs Wochen ab Zustellung dieser Verfügung“ dem BVwG zu übermitteln.
12. In dem eingeholten aktenmäßigen Sachverständigengutachten von Dr. XXXX vom 26.08.2020 wurde keine erhebliche Funktionseinschränkung beim BF festgestellt und folgende Stellungnahme abgegeben:
„Auf Grund der Befunde, welche bereits bekannt waren, als auch der Untersuchungsergebnisse ist eine ausreichende Wegstrecke, zumindest mit Hilfsmittel, ebenso geringe Niveauunterschiede als auch der sichere Transport als umsetzbar anzunehmen. Eine Inkontinenz ist mit üblichen Produkten kompensierbar. Die Angabe von Schwindel bei einem angegebenen Mb. Meniere klinisch nicht objektivierbar. (lt. Befund 9/19 Neurologe welcher die Diagnose stellte: (Zehenspitzenstand und Gang ungestört ebenso Fersengang).“
13. Mit Verfügung des BVwG vom 07.09.2020, Zl. G304 2226084-1/9Z, dem BF zugestellt am 29.09.2020, wurde dem BF das ergänzend eingeholte Sachverständigengutachten übermittelt und ihm zur Wahrung des Parteiengehörs die Gelegenheit eingeräumt, dazu binnen zwei Wochen ab Zustellung dieser Verfügung schriftlich Stellung zu nehmen.
14. Eine Stellungnahme zum dem BF vorgehaltenen Sachverständigengutachten ist beim BVwG bis dato nicht eingelangt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der BF ist im Besitz eines Behindertenpasses.
Sein Gesamtgrad der Behinderung beträgt 60 v.H.
Die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung „Die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung auf Grund einer Behinderung ist nicht zumutbar“ liegen nicht vor.
2. Beweiswürdigung:
2.1. Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Inhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes und des vorliegenden Gerichtsaktes des BVwG.
2.2. Basierend auf der ständigen Rechtsprechung des VwGH bedarf es in einem Verfahren über einen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung" in einen Behindertenpass regelmäßig eines ärztlichen Sachverständigengutachtens, das die Auswirkungen der Gesundheitsschädigung auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel beurteilt, sofern diese Frage nicht in einem unmittelbar zuvor durchgeführten Verfahren gemäß § 14 Abs. 2 Behinderteneinstellungsgesetz im Rahmen der ärztlichen Begutachtung ausreichend behandelt wurde oder die Unzumutbarkeit aufgrund der Art der Gesundheitsschädigung auf der Hand liegt (VwGH vom 20.03.2001, GZ 2000/11/0321).
Nach der ständigen Judikatur des VwGH muss ein Sachverständigengutachten einen Befund und das eigentliche Gutachten im engeren Sinn enthalten. Der Befund ist die vom Sachverständigen - wenn auch unter Zuhilfenahme wissenschaftlicher Feststellungsmethoden - vorgenommene Tatsachenfeststellung. Die Schlussfolgerungen des Sachverständigen aus dem Befund, zu deren Gewinnung er seine besonderen Fachkenntnisse und Erfahrungen benötigt, bilden das Gutachten im engeren Sinn. Eine sachverständige Äußerung, die sich in der Abgabe eines Urteiles (eines Gutachtens im engeren Sinn) erschöpft, aber weder die Tatsachen, auf die sich dieses Urteil gründet, noch die Art, wie diese Tatsachen ermittelt wurden, erkennen lässt, ist mit einem wesentlichen Mangel behaftet und als Beweismittel unbrauchbar; die Behörde, die eine so geartete Äußerung ihrer Entscheidung zugrunde legt, wird ihrer Pflicht zur Erhebung und Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes (§ 37 AVG) nicht gerecht (VwGH vom 17.02.2004, GZ 2002/06/0151).
Hat eine Partei grundlegende Bedenken gegen ein ärztliches Gutachten, dann ist es nach Ansicht des VwGH an ihr gelegen, auf gleichem fachlichen Niveau diesem entgegenzutreten oder unter Anbietung von tauglichen Beweismitteln darzutun, dass die Aussagen des ärztlichen Sachverständigen mit dem Stand der medizinischen Forschung und Erkenntnis nicht vereinbar sind (VwGH vom 20.10.1978, 1353/78).
Eine Partei kann ein Sachverständigengutachten nur dann erfolgreich bekämpfen, wenn sie unter präziser Darstellung der gegen die Gutachten gerichteten sachlichen Einwände ausdrücklich erklärt, dass sie die Einholung eines weiteren Gutachtens bestimmter Fachrichtung zur vollständigen Ermittlung des Sachverhaltes für erforderlich halte und daher einen Antrag auf Beiziehung eines weiteren Sachverständigen stellt (VwGH vom 23.11.1978, GZ 0705/77).
Der Verwaltungsgerichtshof führte aber in diesem Zusammenhang auch aus, dass keine Verletzung des Parteiengehörs vorliegt, wenn einem Antrag auf Einholung eines zusätzlichen Gutachtens nicht stattgegeben wird (VwGH vom 25.06.1987, 87/06/0017).
2.2.1. Der BF wandte sich in seiner Beschwerde unter Verweis auf seine Schwerhörigkeit, seine Schwindelanfälle und den essentiellen Tremor gegen die Herabsetzung des ihm ursprünglich mit Sachverständigengutachten vom 04.05.2010 zuerkannten Behinderungsgrad von 70 v.H. auf 50 v.H. bzw. gegen die Feststellung eines Behinderungsgrades von insgesamt 50 v.H. im Sachverständigengutachten vom 13.10.2019 und in seinem sich darauf stützenden neu ausgestellten Behindertenpass vom 07.11.2019.
Es wurde um nochmalige Prüfung seiner Angelegenheit ersucht.
Am 17.12.2019 langte beim BVwG eine Beschwerdeergänzung ein, in welcher der BF anführte, sein Prostataleiden sei nach orthopädischer Begutachtung am 01.10.2019 von 50 v.H. auf 30 v.H. herabgesetzt worden, ohne dass er davor diesbezüglich untersucht oder befragt worden wäre. Nach der Prostatektomie sei bislang keine Besserung der Beschwerden eingetreten. Diese Beschwerden würden ihn im Alltag erheblich behindern –
? „Miktionsstörungen beim Husten und Niesen (vor allem durch die Pollenallergie ausgelöst) sowie bei akustischer Wahrnehmung von Vibrations – und Summgeräuschen als auch beim Heben von Gegenständen.
? Ständiger Harndrang (stündlicher bis halbstündlicher Toilettengang).
? Starke Schweißausbrüche bei geringer Anstrengung.
? Beim Verlassen des Hauses muss ich immer Einlagen tragen; zu Hause nicht ständig, außer in der Pollenflugzeit (Februar bis Juli).“
Es wurde diesbezüglich um neuerliche Beurteilung ersucht.
Mit seiner Beschwerdeergänzung, in welcher er auf eine durch bestimmte gesundheitliche Beschwerden erhebliche Behinderung im Alltag hingewiesen hat, wandte sich der BF auch gegen die Nichteintragung der von ihm beantragten Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung auf Grund einer Behinderung“ in seinem neu ausgestellten Behindertenpass und damit auch gegen die Abweisung der von ihm beantragten Zusatzeintragung mit Bescheid vom 07.11.2019.
Im zunächst seitens des BVwG eingeholten Sachverständigengutachten vom 02.03.2020 wurde ein Gesamtgrad der Behinderung von 60 v.H. festgestellt und begründend dafür ausgeführt, dass die führende mit 40 v.H. eingeschätzte GS1 (degeneratives Wirbelsäulensyndrom) durch die GS3 und GS8 (degenerative Abnützung beider Kniegelenke und Nervenschädigung beim rechten Bein) im Zusammenwirken bei negativer orthopädischer Wechselwirkung in der Funktionskette um eine Stufe, durch die GS4 und GS7 (bds. Tinnitus und Schwindelerscheinung) im Zusammenwirken wegen zusätzlicher Beeinträchtigung im Alltag – Mobilität ebenso um eine Stufe, durch die weiteren GS jedoch nicht weiter angehoben wird, da keine negative Leidensbeeinflussung im Sinne einer negativen Wechselwirkung besteht.
Dieses Gutachten wird für schlüssig und nachvollziehbar gehalten.
Im von Dr. XXXX ergänzend eingeholten Sachverständigengutachten betreffend Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung auf Grund einer Behinderung“ vom 26.08.2020 wurde festgehalten, dass beim BF keine erhebliche Funktionsbeeinträchtigung besteht, eine Inkontinenz mit üblichen Produkten kompensierbar ist und eine ausreichende Wegstrecke zurückgelegt, geringe Niveauunterschiede überwunden werden können und ein sicherer Transport in öffentlichen Verkehrsmitteln möglich ist.
Demnach ist somit dem BF die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar.
Auch dieses Gutachten wird für schlüssig und nachvollziehbar gehalten.
Der BF hat gegen die beiden ihm vorgehaltenen Sachverständigengutachten vom 02.03.2020 und 26.08.2020 keine Einwendung erhoben, weshalb diese Gutachten gegenständlicher Entscheidung zugrunde gelegt werden.
3. Rechtliche Beurteilung:
3.1. Zuständigkeit und anzuwendendes Recht:
Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz – BVwGG) entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Gemäß § 45 Abs. 3 BBG hat in Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.
Bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß § 45 Abs. 3 BBG hat eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter mitzuwirken. Die im § 10 Abs. 1 Z 6 des Bundesbehindertengesetzes genannte Vereinigung entsendet die Vertreterin oder den Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung. Hinsichtlich der Aufteilung des Nominierungsrechtes auf gleichartige Vereinigungen ist § 10 Abs. 2 des Bundesbehindertengesetzes anzuwenden. Für die Vertreterin oder den Vertreter ist jeweils auch die erforderliche Anzahl von Ersatzmitgliedern zu entsenden.
Gegenständlich liegt somit Senatszuständigkeit vor.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichts-verfahrensgesetz - VwGVG) geregelt (§ 1 leg.cit.).
Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben ist, den angefochtenen Bescheid auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.
Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.
Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.
3.2. Zu Spruchteil A):
3.2.1.
„ABSCHNITT VI
BEHINDERTENPASS
§ 40. (1) Behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% ist auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpaß auszustellen, wenn
1. ihr Grad der Behinderung (ihre Minderung der Erwerbsfähigkeit) nach bundesgesetzlichen Vorschriften durch Bescheid oder Urteil festgestellt ist oder
2. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften wegen Invalidität, Berufsunfähigkeit, Dienstunfähigkeit oder dauernder Erwerbsunfähigkeit Geldleistungen beziehen oder
3. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften ein Pflegegeld, eine Pflegezulage, eine Blindenzulage oder eine gleichartige Leistung erhalten oder
4. für sie erhöhte Familienbeihilfe bezogen wird oder sie selbst erhöhte Familienbeihilfe beziehen oder
5. sie dem Personenkreis der begünstigten Behinderten im Sinne des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, angehören.
(2) Behinderten Menschen, die nicht dem im Abs. 1 angeführten Personenkreis angehören, ist ein Behindertenpaß auszustellen, wenn und insoweit das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen auf Grund von Vereinbarungen des Bundes mit dem jeweiligen Land oder auf Grund anderer Rechtsvorschriften hiezu ermächtigt ist.
§ 41. (1) Als Nachweis für das Vorliegen der im § 40 genannten Voraussetzungen gilt der letzte rechtskräftige Bescheid eines Rehabilitationsträgers (§ 3), ein rechtskräftiges Urteil eines Gerichtes nach dem Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, BGBl. Nr. 104/1985, ein rechtskräftiges Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes oder die Mitteilung über die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe gemäß § 8 Abs. 5 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967, BGBl. Nr. 376. Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen hat den Grad der Behinderung nach der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010) unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen einzuschätzen, wenn
1. nach bundesgesetzlichen Vorschriften Leistungen wegen einer Behinderung erbracht werden und die hiefür maßgebenden Vorschriften keine Einschätzung vorsehen oder
2. zwei oder mehr Einschätzungen nach bundesgesetzlichen Vorschriften vorliegen und keine Gesamteinschätzung vorgenommen wurde oder
3. ein Fall des § 40 Abs. 2 vorliegt.
(2) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind ohne Durchführung eines Ermittlungsverfahrens zurückzuweisen, wenn seit der letzten rechtskräftigen Entscheidung noch kein Jahr vergangen ist. Dies gilt nicht, wenn eine offenkundige Änderung einer Funktionsbeeinträchtigung glaubhaft geltend gemacht wird.
(3) Entspricht ein Behindertenpasswerber oder der Inhaber eines Behindertenpasses ohne triftigen Grund einer schriftlichen Aufforderung zum Erscheinen zu einer zumutbaren ärztlichen Untersuchung nicht, verweigert er eine für die Entscheidungsfindung unerlässliche ärztliche Untersuchung oder weigert er sich, die zur Durchführung des Verfahrens unerlässlichen Angaben zu machen, ist das Verfahren einzustellen. Er ist nachweislich auf die Folgen seines Verhaltens hinzuweisen.
§ 42. (1) Der Behindertenpass hat den Vornamen sowie den Familiennamen, das Geburtsdatum eine allfällige Versicherungsnummer und den festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.
(2) Der Behindertenpaß ist unbefristet auszustellen, wenn keine Änderung in den Voraussetzungen zu erwarten ist.
§ 43. (1) Treten Änderungen ein, durch die behördliche Eintragungen im Behindertenpaß berührt werden, hat das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen diese zu berichtigen oder erforderlichenfalls einen neuen Behindertenpaß auszustellen. Bei Wegfall der Voraussetzungen ist der Behindertenpaß einzuziehen.
(2) Der Besitzer des Behindertenpasses ist verpflichtet, dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen binnen vier Wochen jede Änderung anzuzeigen, durch die behördliche Eintragungen im Behindertenpaß berührt werden, und über Aufforderung dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen den Behindertenpaß vorzulegen.
§ 44. (1) Ein Behindertenpaß ist ungültig, wenn die behördlichen Eintragungen, Unterschriften oder Stempel unkenntlich geworden sind, das Lichtbild fehlt oder den Besitzer nicht mehr einwandfrei erkennen läßt oder Beschädigungen oder Merkmale seine Vollständigkeit, Einheit oder Echtheit in Frage stellen.
(2) Wenn der Behindertenpaß gemäß Abs. 1 ungültig ist oder der Verlust des Behindertenpasses glaubhaft gemacht wurde, ist ein neuer Behindertenpaß auszustellen.
§ 45. (1) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluß der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.
(2) Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.
(3) In Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung hat die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.
(4) Bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß Abs. 3 hat eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter mitzuwirken. Die fachkundigen Laienrichterinnen oder Laienrichter (Ersatzmitglieder) haben für die jeweiligen Agenden die erforderliche Qualifikation (insbesondere Fachkunde im Bereich des Sozialrechts) aufzuweisen.
(5) Die im § 10 Abs. 1 Z 6 des Bundesbehindertengesetzes genannte Vereinigung entsendet die Vertreterin oder den Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung. Hinsichtlich der Aufteilung des Nominierungsrechtes auf gleichartige Vereinigungen ist § 10 Abs. 2 des Bundesbehindertengesetzes anzuwenden. Für jede Vertreterin und jeden Vertreter ist jeweils auch die erforderliche Anzahl von Ersatzmitgliedern zu entsenden.
(6) Reisekosten, die einem behinderten Menschen dadurch erwachsen, dass er im Zusammenhang mit einem Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses einer Ladung des Sozialministeriumservice Folge leistet, sind in dem im § 49 des Kriegsopferversorgungsgesetzes 1957 angeführten Umfang zu ersetzen. Der Ersatz der Reisekosten entfällt, wenn die Fahrtstrecke (Straßenkilometer) zwischen dem Wohnort und dem Ort der Untersuchung 50 km (einfache Strecke) nicht übersteigt.“
Gemäß § 1 Abs. 4 Z 3 der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen, BGBl. II Nr. 495/2013, idF BGBl. II Nr. 263/2016, ist auf Antrag des Menschen mit Behinderung jedenfalls einzutragen, die Feststellung, dass dem Inhaber/der Inhaberin des Passes die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar ist; die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist insbesondere dann nicht zumutbar, wenn das 36. Lebensmonat vollendet ist und
- erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten oder
- erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit oder
- erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten, Funktionen oder
- eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems oder
- eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit nach
Abs. 4 Z 1 lit. b oder d vorliegen.
Nach der (noch zur Rechtslage nach der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen, BGBl. 86/1991, ergangenen) ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat die Behörde, um die Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel beurteilen zu können, zu ermitteln, ob der Antragsteller dauernd an seiner Gesundheit geschädigt ist und wie sich diese Gesundheitsschädigung nach ihrer Art und ihrer Schwere auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirkt. Sofern nicht die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auf Grund der Art und der Schwere der Gesundheitsschädigung auf der Hand liegt, bedarf es in einem Verfahren über einen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung" regelmäßig eines ärztlichen Sachverständigengutachtens, in dem die dauernde Gesundheitsschädigung und ihre Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in nachvollziehbarer Weise dargestellt werden. Nur dadurch wird die Behörde in die Lage versetzt, zu beurteilen, ob dem Betreffenden die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung unzumutbar ist (vgl. VwGH 22.10.2002, 2001/11/0242; VwGH 20.04.2004, 2003/11/0078 [= VwSlg. 16.340 A/2004]; VwGH 01.06.2005, 2003/10/0108; VwGH 29.06.2006, 2006/10/0050; VwGH 18.12.2006, 2006/11/0211; VwGH 17.11.2009, 2006/11/0178; VwGH 23.02.2011, 2007/11/0142; VwGH 23.05.2012, 2008/11/0128; VwGH 17.06.2013, 2010/11/0021, je mwN).
Ein solches Sachverständigengutachten muss sich mit der Frage befassen, ob der Antragsteller dauernd an seiner Gesundheit geschädigt ist und wie sich diese Gesundheitsschädigung nach ihrer Art und ihrer Schwere auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirkt (20.03.2001, 2000/11/0321 [= VwSlg. 15.577 A/2001]). Dabei ist auf die konkrete Fähigkeit des Beschwerdeführers zur Benützung öffentlicher Verkehrsmittel einzugehen, dies unter Berücksichtigung der hiebei zurückzulegenden größeren Entfernungen, der zu überwindenden Niveauunterschiede beim Aus- und Einsteigen, der Schwierigkeiten beim Stehen, bei der Sitzplatzsuche, bei notwendig werdender Fortbewegung im Verkehrsmittel während der Fahrt etc. (VwGH 22.10.2002, 2001/11/0242; VwGH 14.05.2009, 2007/11/0080).
Die angeführte (zur Rechtslage vor Erlassung der Verordnung BGBl. II Nr. 495/2013 ergangene) Rechtsprechung ist zur Beurteilung der Voraussetzungen der Zusatzeintragung nach § 1 Abs. 4 Z 3 der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen, BGBl. II Nr. 495/2013, idF BGBl. II Nr. 263/2016, unverändert von Bedeutung. Dies folgt bereits daraus, dass die zitierte Verordnungsbestimmung jene rechtlich relevanten Gesichtspunkte der Benützung eines Verkehrsmittels, auf die die bisherige Rechtsprechung abstellt (Zugangsmöglichkeit, Ein- und Aussteigemöglicheit, Stehen, Sitzplatzsuche, etc), nicht modifiziert oder beseitigt hat, sondern weiterhin auf den Begriff der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel abstellt und lediglich ergänzend regelt, welche gesundheitlichen Beeinträchtigungen "insbesondere" als solche in Betracht kommen, die die Unzumutbarkeit nach sich ziehen können.
3.2.2. Gemäß § 45 Abs. 2 Satz 2 BBG kommt dem Behindertenpass des BF vom 07.11.2019 Bescheidcharakter zu.
Der BF richtete sich in seiner Beschwerde gegen das seinem Behindertenpass zugrundeliegende Sachverständigengutachten vom 13.10.2019 bzw. gegen die Herabsetzung seines ursprünglich mit Vorgutachten vom 04.05.2010 festgestellten Behinderungsgrades von gesamt 70 v.H. auf einen Gesamtbehinderungsgrad von 50 v.H. mit Sachverständigengutachten vom 13.10.2019.
In seinem nach § 45 Abs. 2 Satz 2 BBG als Bescheid geltenden Behindertenpass vom 07.11.2019 scheint nicht die vom BF mit seinem Antrag auf Neuausstellung des Behindertenpasses wegen Ablaufs der Befristung mitbeantragte Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass auf. Die behördliche Ablehnung der Vornahme dieser Zusatzeintragung wurde auch ausdrücklich mit Bescheid vom 07.11.2019, womit der Antrag des BF auf Vornahme der besagten Zusatzeintragung abgewiesen wurde, ausgesprochen.
Im zunächst seitens des BVwG eingeholten Sachverständigengutachten vom 02.03.2020 wurde ein Gesamtgrad der Behinderung von 60 v.H. festgestellt und – nachvollziehbar – begründend dafür ausgeführt, dass die führende mit 40 v.H. eingeschätzte GS1 (degeneratives Wirbelsäulensyndrom) durch die GS3 und GS8 (degenerative Abnützung beider Kniegelenke und Nervenschädigung beim rechten Bein) im Zusammenwirken bei negativer orthopädischer Wechselwirkung in der Funktionskette um eine Stufe, durch die GS4 und GS7 (bds. Tinnitus und Schwindelerscheinung) im Zusammenwirken wegen zusätzlicher Beeinträchtigung im Alltag – Mobilität ebenso um eine Stufe, durch die weiteren GS jedoch nicht weiter angehoben wird, da keine negative Leidensbeeinflussung im Sinne einer negativen Wechselwirkung besteht.
Im ergänzend eingeholten Sachverständigengutachten betreffend Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung auf Grund einer Behinderung“ vom 26.08.2020 wurde festgehalten, dass beim BF keine erhebliche Funktionsbeeinträchtigung besteht, eine Inkontinenz mit üblichen Produkten kompensierbar ist und eine ausreichende Wegstrecke zurückgelegt, geringe Niveauunterschiede überwunden werden können und ein sicherer Transport in öffentlichen Verkehrsmitteln möglich ist. Demnach ist dem BF die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar.
Die beiden Sachverständigengutachten vom 02.03.2020 und vom 26.08.2020 werden für schlüssig und nachvollziehbar gehalten.
Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens, der betreffend Grad der Behinderung und betreffend Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung auf Grund einer Behinderung“ seitens des BVwG eingeholten Sachverständigengutachten vom 02.03.2020 und 26.08.2020 bzw. des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich, dass der BF insgesamt nicht mehr den ihm ursprünglich zuerkannten Gesamtbehinderungsgrad von 70 v.H., sondern einen Behinderungsgrad von 60 v.H. aufweist, womit hier eine höhere Einstufung als im bekämpften Bescheid vorliegt. Des Weiteren hat sich aus diesen Gutachten ergeben, dass beim BF die Voraussetzungen für die Feststellung, dass die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar ist, nicht vorliegen.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden und der Beschwerde hinsichtlich des Grades der Behinderung stattzugeben und die Beschwerde hinsichtlich der Zusatzeintragung als unbegründet abzuweisen.
3.3. Entfall einer mündlichen Verhandlung:
Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.
Gemäß § 24 Abs.2 VwGVG kann die Verhandlung entfallen, wenn
1. der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist oder
2. die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist.
Gemäß § 24 Abs. 3 VwGVG hat der Beschwerdeführer die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Den sonstigen Parteien ist Gelegenheit zu geben, binnen angemessener, zwei Wochen nicht übersteigender Frist einen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung zu stellen. Ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung kann nur mit Zustimmung der anderen Parteien zurückgezogen werden.
Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen.
Der EGMR hat in seinen Entscheidungen vom 10. Mai 2007, Nr. 7401/04 (Hofbauer/Österreich Nr. 2), und vom 3. Mai 2007, Nr. 17.912/05 (Bösch/Österreich), unter Hinweis auf seine frühere Rechtsprechung dargelegt, dass der Beschwerdeführer grundsätzlich ein Recht auf eine mündliche Verhandlung vor einem Tribunal hat, außer es lägen außergewöhnliche Umstände vor, die eine Ausnahme davon rechtfertigten. Der EGMR hat das Vorliegen solcher außergewöhnlichen Umstände angenommen, wenn das Verfahren ausschließlich rechtliche oder "hoch-technische" Fragen ("exclusively legal or highly technical questions") betrifft. Der Gerichtshof verwies im Zusammenhang mit Verfahren betreffend ziemlich technische Angelegenheiten ("rather technical nature of disputes") auch auf das Bedürfnis der nationalen Behörden nach zweckmäßiger und wirtschaftlicher Vorgangsweise, das angesichts der sonstigen Umstände des Falles zum Absehen von einer mündlichen Verhandlung berechtige (VwGH 03.10.2013, 2012/06/0221).
In seinem Urteil vom 18. Juli 2013, Nr. 56.422/09 (Schädler-Eberle/Liechtenstein) hat der EGMR in Weiterführung seiner bisherigen Judikatur dargelegt, dass es Verfahren gebe, in denen eine Verhandlung nicht geboten sei, etwa wenn keine Fragen der Beweiswürdigung aufträten oder die Tatsachenfeststellungen nicht bestritten seien, sodass eine Verhandlung nicht notwendig sei und das Gericht auf Grund des schriftlichen Vorbringens und der schriftlichen Unterlagen entscheiden könne (VwGH 03.10.2013, 2012/06/0221).
Der entscheidungsrelevante Sachverhalt ist vor dem Hintergrund der vorliegenden, nicht bestrittenen Sachverständigengutachten vom 02.03.2020 und vom 26.08.2020, welche als schlüssig, nachvollziehbar und widerspruchsfrei erachtet werden, geklärt, weshalb von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden konnte.
3.4. Zu Spruchteil B): Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG) hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzlicher Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung.
Weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Die Zulassung der Revision war gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG zudem zu verneinen, weil die gegenständliche Entscheidung in Wesentlichen nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, sondern von Tatsachenfragen. Maßgebend ist das festgestellte Ausmaß der Funktionsbeeinträchtigungen.
Schlagworte
Behindertenpass Grad der Behinderung Neufestsetzung Sachverständigengutachten Teilstattgebung Zumutbarkeit ZusatzeintragungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:G304.2226084.1.00Im RIS seit
04.12.2020Zuletzt aktualisiert am
04.12.2020