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60/01 ArbeitsvertragsrechtNorm
B-VG Art11 Abs2Leitsatz
Keine Verfassungswidrigkeit einer Bestimmung des Arbeitsvertragsrechts-AnpassungsG betreffend vom VStG 1991 abweichende - längere - Verjährungsfristen; Unerlässlichkeit der längeren Strafbarkeitsverjährung auf Grund der – aus verwaltungsökonomischen Rücksichten gegebenen – mehrjährigen Abstände zwischen den Prüfungen lohnabhängiger Abgaben und Beiträge sowie wegen oftmals auftretender Verfahrensverzögerungen bei Beschuldigten aus dem AuslandRechtssatz
Abweisung eines Antrags des Landesverwaltungsgerichts Steiermark (LVwG - Gerichtsantrag) betreffend (den präjudiziellen) §7i Abs7 Arbeitsvertragsrechts-Anpassungsgesetz (AVRAG) idF BGBl I 94/2014.
§7i Abs7 AVRAG erhielt mit der Novelle BGBl I 94/2014 jenen Wortlaut, den das LVwG in der Begründung seines Antrages wiedergibt. Es geht daher mit hinreichender Deutlichkeit hervor, auf welche Fassung (nämlich BGBl I 94/2014) des §7i Abs7 AVRAG Bezug genommen wird, womit dem für Anträge gemäß Art140 B-VG geltenden strengen Formerfordernis des §62 Abs1 erster Satz VfGG Genüge getan ist.
Der Gesetzgeber hat - auch im Hinblick auf die Öffnung des Arbeitsmarktes für Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen aus dem EWR im Mai 2011 - Maßnahmen zur Verhinderung von Lohn- und Sozialdumping ergriffen, um gleiche Lohnbedingungen für in Österreich tätige Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen sowie faire Wettbewerbsbedingungen zwischen den Unternehmen zu ermöglichen. In den Erläuterungen zur Novelle BGBl I 94/2014 wird ausgeführt, dass sich in der Praxis gezeigt habe, dass Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen oftmals eine Anzeige wegen des mit einer wesentlich geringeren Strafe bedrohten Tatbestands des Nicht-Bereithaltens von Lohnunterlagen in Kauf genommen hätten, um Unterentlohnungen zu "verschleiern". Ohne diese Lohnunterlagen sei eine erfolgversprechende Anzeige wegen Lohndumping regelmäßig nicht möglich.
Die - im Hinblick auf Art11 Abs2 B-VG zu beurteilende - längere Strafbarkeitsverjährungsfrist des §7i Abs7 AVRAG ist im Zusammenhang mit der Prüfung von lohnabhängigen Abgaben und Beiträgen ("GPLA") zu sehen, zumal Fälle von Unterentlohnung häufig erst im Rahmen einer solchen Prüfung aufgedeckt werden. Aus verwaltungsökonomischen Gründen können Prüfungen von lohnabhängigen Abgaben und Beiträgen nur in mehrjährigen Abständen erfolgen. Im Hinblick darauf wird auch auf die Fristen gemäß §68 ASVG und §§207 ff BAO betreffend die Beitrags- und Abgabenverjährung hingewiesen. Dem Gesetzgeber ist daher nicht entgegenzutreten, wenn er die Strafbarkeit für Unterentlohnung auch in jenen Fällen sicherstellen möchte, in denen die Unterentlohnung erst auf Grund einer Prüfung von lohnabhängigen Abgaben und Beiträgen angezeigt wird.
Die längere Strafbarkeitsverjährungsfrist ist unerlässlich, weil die Mitwirkung der Beschuldigten erforderlich ist, um anhand der vorgelegten Lohnunterlagen, eine etwaige Unterentlohnung berechnen zu können: Dazu bedarf es insbesondere einer Überprüfung der Lohnverrechnung sowie einer Nachprüfung, ob unter Berücksichtigung der vorgelegten Unterlagen zu Ausbildung, Einstufung und Tätigkeitsbereich der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen eine korrekte kollektivvertragliche Entlohnung erfolgt ist. In Verwaltungsstrafverfahren im Zusammenhang mit Lohn- und Sozialdumping haben Beschuldigte überdies häufig ihren Wohnsitz im Ausland, was die Verfahrensführung allgemein aufwendiger gestaltet. Diese Umstände führen oftmals zu Verzögerungen im Verfahren und stellen für die Behörden einen nicht unerheblichen Mehraufwand dar.
Schlagworte
Arbeitsrecht, Arbeitsvertrag, Geldstrafe, Strafe (Verwaltungsstrafrecht), Verjährung, BedarfskompetenzEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2020:G227.2020Zuletzt aktualisiert am
06.04.2022