TE Vwgh Erkenntnis 2020/11/5 Ra 2020/10/0060

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Veröffentlicht am 05.11.2020
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

AVG §62 Abs4
VwGG §42 Abs2 Z1
VwGVG 2014 §17

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Rigler sowie den Hofrat Dr. Fasching und die Hofrätin Dr. Leonhartsberger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Wurzer über die Revision des Vereins M in W, vertreten durch Wolf Theiss Rechtsanwälte GmbH & Co KG in 1010 Wien, Schubertring 6, gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichtes Wien vom 12. September 2019, VGW-122/V/043/11913/2019-1, betreffend Berichtigung eines Erkenntnisses iA Wiener Kindergartengesetz (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Magistrat der Stadt Wien, vertreten durch Mag. Wilfried Embacher, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Schleifmühlgasse 5/8), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Wien hat der revisionswerbenden Partei Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Mit Bescheid der belangten Behörde vom 29. Oktober 2018 wurde die der revisionswerbenden Partei mit Bescheid vom 18. Mai 1998 erteilte Bewilligung zum Betrieb eines näher genannten Kindergartens gemäß § 11 Abs. 1 Z 2 und 3 iVm §§ 1, 2 Abs. 1, und 4 Abs. 3 Wiener Kindergartengesetz (WKGG) sowie in Verbindung mit näher genannten Bestimmungen der Wiener Kindergartenverordnung (WKGVO) widerrufen.

2        Die revisionswerbende Partei erhob gegen diesen Bescheid Beschwerde.

3        Im Rahmen der am 10. September 2019 durchgeführten mündlichen Verhandlung verkündete das Verwaltungsgericht Wien (Verwaltungsgericht) das Erkenntnis mit nachstehendem Spruch:

„I. Gemäß § 28 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG wird aufgrund der Beschwerde festgestellt, dass der gegenständliche Widerruf der Bewilligung zum Betrieb des Kindergartens nicht rechtmäßig war.“

Weiters sprach es aus, dass die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig sei (II).

4        Begründend führte das Verwaltungsgericht zusammengefasst aus, es könne festgestellt werden, dass zum Zeitpunkt der vorliegenden Entscheidung der Kindergarten den Vorgaben einer elementarpädagogischen Bildungseinrichtung entspreche und die für den Widerruf maßgeblichen [seinerzeitigen] Mängel weggefallen seien. Aus dem Wortlaut des § 11 Abs. 1 Z 2 und 3 WKGG sei abzuleiten, dass nicht die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Erlassung des Widerrufsbescheides maßgeblich sei, sondern es auf den Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung ankomme. Die Voraussetzungen für den Widerruf des Betriebes müssten sowohl im Zeitpunkt der Erlassung der behördlichen Entscheidung als auch im Zeitpunkt der Erlassung der Beschwerdeentscheidung gegeben sein. Falle während des Verfahrens eine dieser Voraussetzungen weg, so sei ein „vergangenheitsbezogener Feststellungsbescheid“ zu erlassen. Der angefochtene Bescheid sei weder mit formeller noch inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet, doch sei ihm durch die zwischenzeitliche Veränderung im Kindergarten die Grundlage entzogen.

5        Mit Beschluss vom 12. September 2019 berichtigte das Verwaltungsgericht das Erkenntnis vom 10. September 2019 dahingehend, dass dessen Spruchpunkt I. zu lauten habe:

„Gemäß § 28 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG wird festgestellt, dass der gegenständliche Widerruf zum Betrieb eines Kindergartens zum Zeitpunkt der Entscheidung der Behörde rechtmäßig war. Im Übrigen wird der Beschwerde stattgegeben und der angefochtene Bescheid behoben.“

Weiters sprach es aus, dass die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

6        Begründend führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus, im Spruch des mündlich verkündeten Erkenntnisses sei der Widerruf der Kindergartenbewilligung als nicht rechtmäßig festgestellt worden. Dabei handle es sich um eine offenbar auf einem Versehen beruhende Unrichtigkeit, da nach den Entscheidungsgründen die Rechtmäßigkeit der behördlichen Entscheidung zum Zeitpunkt ihrer Erlassung festgestellt worden und auf Grund des Wegfalls der Voraussetzungen für den Widerrufsbescheid der Beschwerde Folge zu geben und der Bescheid zu beheben gewesen sei. Es sei nicht nur klar erkennbar, dass in der gegenständlichen Rechtssache ein Fehler unterlaufen sei, sondern auch welchen Inhalt das Erkenntnis nach dem Willen des Verwaltungsgerichtes haben sollte. Es lägen daher die Voraussetzungen für eine Berichtigung gemäß § 62 Abs. 4 AVG vor.

7        Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision. Die belangte Behörde erstattete eine Revisionsbeantwortung.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

8        Die Revision erweist sich bereits im Hinblick auf die Zulässigkeitsbegründung, wonach das Verwaltungsgericht von näher genannter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu den Grenzen einer Berichtung gemäß § 62 Abs. 4 AVG abgewichen sei, als zulässig. Sie ist auch berechtigt.

9        Gemäß § 62 Abs. 4 AVG iVm § 17 VwGVG kann das Verwaltungsgericht Schreib- und Rechenfehler oder diesen gleichzuhaltende, offenbar auf einem Versehen oder offenbar ausschließlich auf technisch mangelhaftem Betrieb einer automationsunterstützten Datenverarbeitungsanlage beruhende Unrichtigkeiten in seinen Entscheidungen jederzeit von Amts wegen berichtigen.

10       Die Anwendung des § 62 Abs. 4 AVG setzt einen fehlerhaften Verwaltungsakt mit der Maßgabe voraus, dass eine auf einem Versehen beruhende Unrichtigkeit sowie deren Offenkundigkeit gegeben ist. Die Berichtigung ist auf jene Fälle der Fehlerhaftigkeit eingeschränkt, in denen die Unrichtigkeit eine offenkundige ist, wobei es allerdings ausreichend ist, wenn die Personen, für die der Bescheid bestimmt ist, die Unrichtigkeit des Bescheides hätten erkennen können und die Unrichtigkeit ferner von der Behörde - bei entsprechender Aufmerksamkeit - bereits bei der Erlassung des Bescheides hätte vermieden werden können. Bei der Beurteilung einer Unrichtigkeit als offenkundig im Sinne des § 62 Abs. 4 AVG kommt es letztlich auf den Inhalt der übrigen Bescheidteile (z.B. Begründung) bzw. auf den Akteninhalt an. Eine Berichtigung im Sinne des § 62 Abs. 4 AVG ist überall dort ausgeschlossen, wo sie eine nachträgliche Änderung des Spruchinhaltes des berichtigten Bescheides oder die Sanierung eines unterlaufenen Begründungsmangels bewirkt; insbesondere bietet die genannte Bestimmung keine Handhabe für eine inhaltlich berichtigende oder erklärende Auslegung des Spruchs eines Bescheides (vgl. etwa VwGH 18.10.2017, Ra 2017/17/0330, und 22.2.2018, Ra 2017/09/0006, jeweils mwN).

11       Im vorliegenden Fall stellte das Verwaltungsgericht mit mündlich verkündetem Erkenntnis zunächst fest, dass der Widerruf der Bewilligung zum Betrieb des Kindergartens nicht rechtmäßig gewesen sei. Damit wurde der Widerruf der Bewilligung ex tunc für rechtswidrig erklärt. Im Berichtigungsbeschluss wurde demgegenüber - gegenteilig - festgestellt, dass der gegenständliche „Widerruf zum Betrieb des Kindergartens“ zum Zeitpunkt der Entscheidung der Behörde rechtmäßig gewesen sei; im Übrigen wurde der Beschwerde stattgegeben und der angefochtene Bescheid - mit Wirkung ex nunc - behoben.

12       Im Hinblick darauf kann kein Zweifel daran bestehen, dass mit dem angefochtenen Beschluss eine Veränderung des normativen Gehalts desfrüheren Erkenntnisses erfolgt ist. Diese nachträgliche Änderung des Spruchinhaltes findet in § 62 Abs. 4 AVG iVm § 17 VwGVG aber keine Deckung.

13       Soweit die Revisionsbeantwortung vorbringt, dass nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (Hinweis auf VwGH 22.7.2004, 2004/10/0047) insbesondere solche Unrichtigkeiten einer Berichtigung zugänglich seien, die - gleichgültig ob im Spruch oder der Begründung - erkennbar nicht der behördlichen Willensbildung selbst, sondern alleine ihrer Mitteilung anhaften, ist dem zu entgegnen, dass nach dieser Rechtsprechung § 64 Abs. 2 AVG auch insbesondere in Fällen Anwendung zu finden hat, in denen die der Partei zugestellte Ausfertigung des Bescheides mit dem genehmigten Bescheidkonzept der erkennenden Behörde nicht übereinstimmt (vgl. dazu etwa auch VwGH 28.2.2019, Ra 2018/12/0041). Ein derartiger Fall einer bloß fehlerhaften „Mitteilung“ liegt gegenständlich aber nicht vor: die Formulierung des Spruchs des am 10. September 2019 mündlich verkündeten Erkenntnisses beruht nämlich bereits auf einer entsprechenden Willensbildung der erkennenden Richterin, zumal nach der Begründung des Erkenntnisses die Erlassung eines „vergangenheitsbezogenen Feststellungsbescheides“ ausdrücklich intendiert war.

14       Der angefochtene Beschluss war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

15       Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 5. November 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020100060.L00

Im RIS seit

21.12.2020

Zuletzt aktualisiert am

21.12.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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