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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
AsylG 2005 §8 Abs1Beachte
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Mag. Nedwed und Mag. Tolar als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des 1. E H und der 2. A H, beide in S, beide vertreten durch Dr. Benno Wageneder, Rechtsanwalt in 4910 Ried/Innkreis, Promenade 3, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. Juli 2020, 1. I421 2152591-1/26E und 2. I421 2152595-1/22E, betreffend Asylangelegenheiten (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Erstrevisionswerber und die Zweitrevisionswerberin sind miteinander verheiratet, stammen aus dem Irak, Provinz Kirkuk, und stellten am 28. Mai 2015 (Erstrevisionswerber) bzw. am 9. November 2015 (Zweitrevisionswerberin) Anträge auf internationalen Schutz, die mit Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 13. März 2017 abgewiesen wurden. Das BFA erteilte den Revisionswerbern weiters keine Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen sie Rückkehrentscheidungen, stellte die Zulässigkeit der Abschiebung in den Irak fest und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.
2 Die dagegen erhobene gemeinsame Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung ab. Das BVwG sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
3 Begründend führte das BVwG zusammengefasst aus, den Revisionswerbern sei es nicht gelungen, eine asylrelevante Verfolgung glaubhaft zu machen. Eine Rückkehr in die Herkunftsregion im Irak sei ohne Verletzung der durch Art. 2 und 3 EMRK garantierten Rechte möglich, weil die Revisionswerber volljährig, gesund und arbeitsfähig seien sowie über Schulbildung und Berufserfahrung verfügen würden. Die Revisionswerber würden überdies in ihrer Herkunftsprovinz auch noch über ein familiäres Netz verfügen, das sie bei einer Rückkehr unterstützen könne. Zur Rückkehrentscheidung nahm das BVwG eine näher begründete Abwägung nach Art. 8 Abs. 2 EMRK vor, bei der sie die Aufenthaltsdauer von etwa fünf Jahren, einzelne Integrationsschritte, die jedoch noch zu keiner „tiefergehenden sozialen und integrativen Verfestigung“ geführt hätten, und die mangelnde Selbsterhaltungsfähigkeit bzw. Inanspruchnahme der Grundversorgung anführte und zu dem Schluss gelangte, dass die öffentlichen Interessen an einer Aufenthaltsbeendigung die privaten Interessen der Revisionswerber an einem Verbleib im Bundesgebiet überwögen.
4 Die vorliegende außerordentliche Revision wendet sich der Sache nach nur gegen die Nichtzuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten und die damit verbundenen Rückkehrentscheidungen sowie die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung in den Irak, nicht jedoch gegen die Abweisung der Anträge auf Zuerkennung des Status der Asylberechtigten. Sie führt zur Begründung ihrer Zulässigkeit im Wesentlichen aus, das BVwG habe seinem Erkenntnis nicht die zum Entscheidungszeitpunkt aktuellen Länderberichte zugrunde gelegt, aufgrund derer eine Rückführung der Revisionswerber zu einer unmenschlichen Behandlung führen würde. Der Erstrevisionswerber sei Jahrgang 1972 und adipös. Dies sei gerichtsnotorisch und daher nicht vom Neuerungsverbot umfasst. Sohin liege ein Risikofaktor vor, auch wenn er sich als gesund und arbeitsfähig bezeichnet habe. Beschränkungen des Wirtschaftslebens hätten zu einem Wirtschaftseinbruch in der Herkunftsregion geführt. Nur der Erstrevisionswerber sei berufstätig, die Zweitrevisionswerberin noch nicht. Das familiäre Auffangnetz sei seit Ausbruch „der Pandemie“ schon belastet und mittelfristig nicht in der Lage, zwei Erwachsene „durchzutragen“. Hätte das BVwG „die neuen Berichte von OCHA, von Nachrichtenagenturen wie Anadolu Agency und von NGO wie Ärzte ohne Grenzen berücksichtigt, wäre es zu einer zumindest vorübergehenden Unzulässigkeit der Abschiebung gekommen.“ Das BVwG habe außerdem im Rahmen der Rückkehrentscheidung zu Unrecht die Selbsterhaltungsfähigkeit der Revisionswerber verneint, weil es gleichzeitig von der Ausübung gewerblicher Tätigkeiten (KFZ-Service, Hausbetreuung) durch die Revisionswerber ausgehe, die ihrer Natur nach nicht ehrenamtlich und unentgeltlich seien. Der teilweise Bezug von Grundversorgungsleistungen schade nicht.
5 Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan.
6 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
7 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
8 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
9 Zu Recht macht die Revision geltend, dass sich das BVwG im angefochtenen Erkenntnis mit den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie im Irak nicht beschäftigt hat. Dieser Begründungs- und Ermittlungsmangel könnte aber nur dann zur Zulässigkeit und Berechtigung der Revision führen, wenn seine Vermeidung ein anderes Verfahrensergebnis erbracht haben könnte. Dies aufzuzeigen ist nach der ständigen hg. Rechtsprechung Aufgabe der Revision (vgl. dazu etwa VwGH 22.5.2020, Ra 2020/18/0153, mwN).
10 Bei der Prüfung der realen Gefahr einer drohenden Verletzung der durch Art. 2 oder 3 EMRK garantierten Rechte eines Asylwerbers bei Rückkehr in seinen Heimatstaat bedarf es nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes einer ganzheitlichen Bewertung möglicher Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat. Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Eine solche Situation ist aber nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK reicht nicht aus. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, dass exzeptionelle Umstände vorliegen. Eine solche einzelfallbezogene Beurteilung ist im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel (VwGH 7.9.2020, Ra 2020/18/0273, mwN).
11 Das erstmals in der Revision erstattete und nicht näher ausgeführte Vorbringen, wonach aufgrund einer Adipositas-Erkrankung des Erstrevisionswerbers ein Risikofaktor in Bezug auf COVID-19 vorliege, mit dem sich das BVwG auseinandersetzen hätte müssen, unterliegt dem aus § 41 VwGG abgeleiteten Neuerungsverbot und ist daher schon deshalb nicht geeignet, das Vorliegen einer grundsätzlichen Rechtsfrage aufzuzeigen (vgl. etwa VwGH 8.6.2020, Ra 2020/19/0155). Entgegen dem Revisionsvorbringen war eine maßgebliche Krankheit des Erstrevisionswerbers, die ihn bei Rückkehr als besonders vulnerabel erscheinen lassen konnte, nicht notorisch, bestätigte der Erstrevisionswerber im Laufe des Verfahrens (insbesondere auch in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG) doch wiederholt und ausdrücklich, gesund zu sein. Die Revision legt nicht dar, weshalb für das BVwG trotzdem das Gegenteil offenkundig gewesen sein sollte.
12 Auch soweit die Revision auf COVID-19-bedingte Beschränkungen des Wirtschaftslebens hinweist, die zu einem Wirtschaftseinbruch und damit zu mangelndem Zugang zum Arbeitsmarkt in der Herkunftsregion der Revisionswerber geführt hätten, legt sie keine drohende Verletzung von Art. 3 EMRK im Sinne der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dar, zumal sie dem Argument des BVwG, die Revisionswerber könnten bei der Rückkehr in ihre Heimatregion von ihrer dort lebenden Familie unterstützt werden, nicht substantiiert entgegentritt. Die Revision bezweifelt zwar in allgemeinen Worten, dass die Familie „mittelfristig“ die Revisionswerber „durchtragen“ könne, zeigt damit aber eine reale Gefahr der Verletzung von Art. 2 und 3 EMRK für die Revisionswerber im Sinne der dargestellten höchstgerichtlichen Rechtsprechung nicht auf.
13 Soweit die Revision die vom BVwG vorgenommene Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK dahingehend beanstandet, dass das BVwG zu Unrecht davon ausgegangen sei, dass die Revisionswerber in Österreich nicht selbsterhaltungsfähig seien, ist auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalles in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinne des Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel ist (vgl. VwGH 8.1.2020, Ra 2019/18/0329, mwN).
14 Dass der Frage der Selbsterhaltungsfähigkeit der Revisionswerber vor dem Hintergrund der weiteren vom BVwG berücksichtigten Umstände (etwa der Aufenthaltsdauer im Bundesgebiet von unter fünf Jahren) fallbezogen eine solche Bedeutung zukäme, dass die Interessenabwägung zu einem anderen Ergebnis hätte führen müssen, wird von der Revision mit ihren pauschalen Ausführungen jedoch nicht dargelegt, weshalb es ihr nicht gelungen ist, die Unvertretbarkeit der Interessenabwägung aufzuzeigen.
15 In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 6. November 2020
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020180375.L00Im RIS seit
04.01.2021Zuletzt aktualisiert am
04.01.2021