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10/07 VerwaltungsgerichtshofNorm
VwGG §33 Abs1Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Mag. Nedwed und Mag. Tolar als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des P D, vertreten durch Rast & Musliu, Rechtsanwälte in 1080 Wien, Alser Straße 23/14, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 7. September 2020, W195 2229080-1/9E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger von Bangladesch, stellte am 6. Dezember 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz. Als Fluchtgrund gab er zusammengefasst an, dass er aufgrund seiner Zugehörigkeit zur oppositionellen Bangladesh Nationalist Party (BNP) in seinem Herkunftsstaat politischer Verfolgung durch die Anhänger der Awami League (AL) sowie die staatlichen Behörden ausgesetzt sei. Der Revisionswerber befürchte im Falle seiner Rückkehr seine sofortige Verhaftung.
2 Mit Bescheid vom 29. Jänner 2020 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diesen Antrag zur Gänze ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass die Abschiebung des Revisionswerbers nach Bangladesch zulässig sei, und legte eine vierzehntägige Frist für die freiwillige Ausreise fest.
3 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - mit dem angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab. Es erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.
4 Begründend führte das BVwG - soweit für die Behandlung der vorliegenden Revision relevant - aus, das Fluchtvorbringen des Revisionswerbers sei nicht glaubhaft. Dem Revisionswerber sei es nicht gelungen, glaubhaft darzulegen, dass die von ihm vorgebrachten politischen Auseinandersetzungen mit Anhängern der AL bzw. der Polizei tatsächlich stattgefunden hätten und der Revisionswerber einer politischen Verfolgung ausgesetzt gewesen wäre. Im Rahmen der Rückkehrentscheidung führte das BVwG eine näher begründete Interessenabwägung im Sinn des § 9 BFA-VG durch und kam zu dem Ergebnis, dass der Revisionswerber in einer Gesamtschau kein besonderes Maß an persönlicher, sozialer und wirtschaftlicher Integration dargetan habe. Die Rückkehrentscheidung bilde auch keinen unzulässigen Eingriff in das Recht auf Schutz des Familienlebens. Der Revisionswerber wohne zwar seit März 2020 bei einer Freundin und deren Tochter; er trage zum Einkommen durch das Einkaufen bei. Eine „vertrauensvolle oder gar tiefgründige Beziehung“ zwischen dem Revisionswerber und der Freundin bestehe aber nicht.
5 Dagegen richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die zu ihrer Zulässigkeit zusammengefasst vorbringt, das BVwG sei willkürlich und spontan von einer Unglaubwürdigkeit des Revisionswerbers ausgegangen, obwohl es dem BVwG zuzumuten gewesen wäre, mit Recherchen vor Ort durch einen Vertrauensanwalt die politische Funktion des Revisionswerbers als Generalsekretär der BNP sowie die gegen ihn gerichteten Anzeigen auf ihre Authentizität zu überprüfen. Darüber hinaus befinde sich der Revisionswerber bereits seit fast fünf Jahren im österreichischen Bundesgebiet und weise eine überragende und außergewöhnliche Integration auf. Er lebe mit seiner österreichischen Freundin und deren Kind in einem gemeinsamen Haushalt und führe aus näher genannten Gründen eine Lebensgemeinschaft im Sinn des Art. 8 EMRK.
6 Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan.
7 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
8 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
9 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
10 Das BVwG ist entgegen dem Revisionsvorbringen keineswegs „willkürlich und spontan von einer Unglaubwürdigkeit“ des Revisionswerbers ausgegangen. Vielmehr hat es nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung beweiswürdigend etwa erwogen, es sei nicht glaubhaft, dass der Revisionswerber wie behauptet seit dem Jahr 2008 die Funktion als Generalsekretär der BNP auf Wahlbezirksebene ausübe, weil er von diesen zwölf Jahren nach seinem eigenen Vorbringen vier Jahre in Malaysia und vier Jahre in Österreich verbracht habe. Das BVwG hat weiters näher dargelegt, warum es auch die behaupteten politischen Auseinandersetzungen mit Anhängern der AL bzw. der Polizei für nicht glaubhaft hält. Mit der pauschal gehaltenen Behauptung, der Revisionswerber habe sein Fluchtvorbringen im Verfahren gleichbleibend, detailliert und ausführlich geschildert, wird eine vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifende Unvertretbarkeit der Beweiswürdigung (vgl. etwa VwGH 27.7.2020, Ra 2020/18/0181, mwN) fallbezogen nicht aufgezeigt.
11 Dem Revisionsvorbringen, das BVwG hätte Recherchen vor Ort insbesondere betreffend die Funktion des Revisionswerbers als Generalsekretär der BNP vornehmen lassen müssen, ist zunächst zu entgegnen, dass der Revisionswerber während des Verfahrens vor dem BVwG keinen darauf gerichteten Beweisantrag gestellt hat. Somit ist auf die hg. Rechtsprechung zu verweisen, wonach die Frage, ob das Verwaltungsgericht im Rahmen seiner amtswegigen Ermittlungspflicht weitere Ermittlungsschritte setzen muss, einer einzelfallbezogenen Beurteilung unterliegt. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung läge insoweit nur dann vor, wenn diese Beurteilung grob fehlerhaft erfolgt wäre (vgl. VwGH 10.6.2020, Ra 2020/18/0068, mwN). Dafür liegt angesichts der unbedenklichen Beweiswürdigung des BVwG zu diesem Themenkreis kein Anhaltspunkt vor.
12 Soweit sich die Revision gegen die Rückkehrentscheidung richtet und auf den fast fünfjährigen Aufenthalt des Revisionswerbers im Bundesgebiet verweist, ist auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hinzuweisen, wonach einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die nach Art. 8 EMRK durchzuführende Interessenabwägung zukommt und in Fällen, in denen eine relativ kurze Aufenthaltsdauer des Betroffenen in Österreich vorliegt, regelmäßig erwartet wird, dass die in dieser Zeit erlangte Integration außergewöhnlich ist, um die Rückkehrentscheidung auf Dauer für unzulässig zu erklären und einen entsprechenden Aufenthaltstitel zu rechtfertigen. Der Verwaltungsgerichtshof hat zudem mehrfach darauf hingewiesen, dass es im Sinne des § 9 Abs. 2 Z 8 BFA-VG maßgeblich relativierend ist, wenn integrationsbegründende Schritte zu einem Zeitpunkt gesetzt wurden, in dem sich der Fremde seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein musste (vgl. zum Ganzen VwGH 8.1.2020, Ra 2019/18/0329, mwN).
13 Das BVwG berücksichtigte die vom Revisionswerber in der Zulässigkeitsbegründung vorgebrachten Umstände, hat darin aber in vertretbarer (und somit nicht revisibler, vgl. etwa erneut VwGH 8.1.2020, Ra 2019/18/0329, mwN) Weise keine außergewöhnliche Integration im Sinne der oben angeführten Rechtsprechung gesehen.
14 Sofern der Revisionswerber vorbringt, er führe mit seiner Partnerin eine Lebensgemeinschaft im Sinn des Art. 8 EMRK, ist auf die Rechtsprechung des EGMR hinzuweisen, wonach bei der Frage, ob eine nichteheliche Lebensgemeinschaft ein Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK begründet, auf das Bestehen enger persönlicher Bindungen abzustellen ist, die sich in einer Reihe von Umständen - etwa dem Zusammenleben, der Länge der Beziehung oder der Geburt gemeinsamer Kinder - äußern können (vgl. VwGH 17.12.2019, Ro 2019/18/0006, mwN unter Verweis auf die Judikatur des EGMR).
15 Die Revision behauptet zwar das Vorliegen einer Lebensgemeinschaft zwischen dem Revisionswerber und seiner Freundin, die von gegenseitiger Unterstützung und Abhängigkeit gekennzeichnet sei, entfernt sich damit aber von den (vertretbaren) beweiswürdigenden Überlegungen des BVwG, wonach ein schützenswertes Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK fallbezogen gerade nicht vorliege.
16 In der Revision werden daher keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 11. November 2020
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:FR2020180037.F00Im RIS seit
04.01.2021Zuletzt aktualisiert am
04.01.2021