Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann-Prentner und Mag. Wessely-Kristöfel als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Werner Hallas (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Herbert Böhm (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei A*****, vertreten durch Holzer Kofler Mikosch Kasper Rechtsanwälte OG in Klagenfurt, gegen die beklagte Partei IEF-Service GmbH, *****, vertreten durch die Finanzprokuratur, 1010 Wien, Singerstraße 17–19, wegen 14.161 EUR sA (Insolvenz-Entgelt), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 16. Juli 2020, GZ 6 Rs 29/20m-24, mit dem das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Arbeits- und Sozialgericht vom 19. Februar 2020, GZ 30 Cgs 120/19t-16, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird teilweise Folge gegeben.
Die angefochtene Entscheidung wird teilweise bestätigt, sodass sie als Teilurteil lautet:
„Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei Insolvenz-Entgelt von 7.110 EUR samt 4 % Zinsen seit 26. 2. 2019 binnen 14 Tagen zu zahlen, wird abgewiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt der Endentscheidung vorbehalten.“
Im Übrigen, das ist im Umfang des Begehrens auf Zahlung eines Insolvenz-Entgelts von 7.051 EUR sA, werden die Urteile der Vorinstanzen aufgehoben.
Die Rechtssache wird insoweit an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.
Text
Entscheidungsgründe:
Mit Gesellschaftsvertrag vom 27. 7. 2018 gründeten T***** als Komplementär und der Kläger als Kommanditist die T***** KG (in der Folge nur Schuldnerin), über deren Vermögen mit Beschluss des Landesgerichts Klagenfurt vom 20. 2. 2019 das Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Der Komplementär war zu 51 % (Kapitalanteil 510 EUR) und der Kläger zu 49 % (Kapitalanteil 490 EUR) Gesellschafter. Gegenstand des Unternehmens war das Baugewerbe sowie der Handel mit Waren aller Art.
Der Gesellschaftsvertrag lautete auszugsweise wie folgt:
„§ 8 Geschäftsführung und Vertretung
...
(2) Maßnahmen, die über den gewöhnlichen Betrieb des Unternehmens hinausgehen, bedürfen eines vorangehenden Gesellschafterbeschlusses.
Für folgende Geschäfte ist darüber hinaus ein Gesellschafterbeschluss mit Zweidrittelmehrheit erforderlich:
a) Geschäfte, die zu einer wesentlichen Änderung des Geschäftsbetriebs führen, wie etwa der Erwerb von Beteiligungen an anderen Unternehmen, Veräußerung oder Aufgabe von Unternehmensteilen;
b) Erwerb, Veräußerung oder Belastung von Liegenschaften;
c) Erteilung und Widerruf von Handlungs- und Generalhandlungsvollmachten;
§ 9 Gesellschafterbeschlüsse
…
(3) Die Gesellschafterbeschlüsse werden, soweit nicht dieser Vertrag andere Mehrheiten vorsieht, mit einfacher Mehrheit gefasst. Jedem Gesellschafter kommt das Stimmrecht nach Maßgabe seiner Beteiligung zu (§ 6).
(4) Neben den im § 8 angeführten Maßnahmen bedürfen einer Zweidrittelmehrheit folgende Beschlüsse:
a) Die Festlegung der Entnahmebefugnisse;
b) die Auflösung der Gesellschaft;
c) die Fortsetzung der Gesellschaft nach Aufkündigung durch einen Gesellschafter (§ 4, Abs 2), nach Eröffnung des Konkurses über das Vermögen eines Gesellschafters sowie nach Kündigung durch einen Privatgläubiger;
d) die Zustimmung zur Übertragung, Teilung oder Belastung eines Gesellschaftsanteils …“.
Der Kläger sollte für die Schuldnerin „Baustellen lukrieren“, Arbeiten auf Baustellen kontrollieren und für den Komplementär, der nicht ausreichend Deutsch sprach, übersetzen. Der Steuerberater, der über Ersuchen des Klägers für die Schuldnerin tätig war, schlug dem Komplementär und dem Kläger vor, diesen für seinen Aufgabenbereich „in ein Angestelltenverhältnis zu übernehmen“. Das Arbeitsverhältnis des Klägers – mit einer Arbeitszeit von 39 Wochenstunden an fünf Arbeitstagen und einem monatlichen Bruttogehalt von 2.507 EUR – begann mit 13. 8. 2018. Der erste Monat „galt als Probezeit“. Dem Kläger standen für seine Tätigkeiten weder ein Pkw noch ein Mobiltelefon oder ein Computer der Schuldnerin zur Verfügung. Die Nutzung eines vom Komplementär zur Verfügung gestellten Büros lehnte der Kläger ab. Er erledigte seine Arbeiten von seinem Auto aus und fuhr sehr viel herum. Der Komplementär beauftragte ihn, neue Baustellen zu akquirieren, den Steuerberater aufzusuchen oder Material auf Baustellen zu bringen. Im Übrigen arbeitete der Kläger eigenständig und war für den Komplementär auch nicht immer erreichbar. Der Kläger akquirierte eine neue Baustelle und führte Kontrolltätigkeiten auf Baustellen durch. Er sprach auch mit Mitarbeitern von Immobilienunternehmen und einem Installateur. Diese Arbeiten führte er bis 19. 9. 2018 durch. An Gehalt wurde ihm ein Betrag von 929,70 EUR ausbezahlt. Während des aufrechten Arbeitsverhältnisses konsumierte er keinen Urlaub.
Der Komplementär teilte dem Kläger im September 2018 mit, dass die Schuldnerin „auf einen ungarischen Steuerberater wechseln werde“. Der Kläger war damit nicht einverstanden und erklärte, dass er in diesem Fall nicht mehr weiterarbeiten wolle und jemand anderer seine Position in der Firma übernehmen solle. Über eine „konkrete Abmeldung des Klägers bei der Schuldnerin“ wurde dabei aber nicht gesprochen. Der Kläger wurde von der Schuldnerin mit 10. 9. 2018 mit dem Abmeldegrund „Lösung in der Probezeit“ bei der Gebietskrankenkasse abgemeldet. Der Kläger erlangte davon erst am 19. 9. 2018 Kenntnis.
Mit Bescheid vom 25. 11. 2019 wies die Beklagte den Antrag des Klägers auf Insolvenz-Entgelt ab.
Der Kläger begehrt die Zahlung von 14.161 EUR „zuzüglich Zinsen seit Antragstellung“ an Insolvenz-Entgelt, und zwar laufendes Entgelt von 230 EUR für den 13. 8. bis 31. 8. 2018 und von 1.144 EUR für den 1. 9. bis 19. 9. 2018, Urlaubszuschuss und Weihnachtsremuneration von jeweils 193 EUR für den 13. 8. bis 19. 9. 2018, Kündigungsentschädigung von insgesamt 7.110 EUR für den Zeitraum 20. 9. bis 31. 12. 2018, Urlaubsersatzleistung für 10,68 Werktage von 896 EUR, Zinsen von 286 EUR, Anmeldegebühr von 23 EUR, Anmeldekosten (TP2) inkl ERV von 346 EUR sowie Kosten zu 68 Cga 134/18 von 3.740 EUR.
Der Beklagte bestritt und wandte ein, dass das vermeintliche Dienstverhältnis noch innerhalb der Probezeit gelöst worden sei. Im Übrigen habe der Kläger eine arbeitnehmeruntypische Stellung sowie einen beherrschenden Einfluss auf das Unternehmen gehabt.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren einschließlich „4 % Zinsen seit 26. 2. 2019“ statt. Da die von der Schuldnerin veranlasste Auflösung des Dienstverhältnisses dem Kläger erst am 19. 9. 2018 zugegangen sei, liege keine Beendigung innerhalb der Probezeit vor. Es sei daher von einer (fristwidrigen) Arbeitgeberkündigung auszugehen. Die dem Kläger im Gesellschaftsvertrag eingeräumten Möglichkeiten (alleinige Kündigung der Gesellschaft, qualifizierte Sperrminorität bei Maßnahmen des außerordentlichen Geschäftsbetriebs und bei Auflösung der Gesellschaft und bei der Verfügung über Gesellschaftsanteile, Mitbestimmung bei der Gewinnverteilung) beinhalteten eine Verfügungsbefugnis, die im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen (§§ 124, 133, 164, 167 UGB) für einen Kommanditisten ohnedies vorgesehen sei. Auch im Rahmen seiner Tätigkeit sei ein selbstständiger Eingriff des Klägers in den unmittelbar unternehmerischen Bereich der Schuldnerin (wie die Einstellung von Arbeitnehmern, Entscheidung über die Löhne der Mitarbeiter, Bestimmung von Betriebsurlaub) nicht erweislich gewesen. Dem Kläger sei daher kein beherrschender Einfluss zugekommen. Demgegenüber sei von seiner Arbeitnehmereigenschaft auszugehen.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten Folge und wies das Klagebegehren ab. Hier seien Maßnahmen, die über den gewöhnlichen Betrieb des Unternehmens hinausgehen, von einem vorangehenden Gesellschafterbeschluss (und nicht vom bloßen Widerspruchsrecht) abhängig gemacht worden. Dem Kläger sei daher eine über die gesetzliche Regelung hinausgehende Mitwirkungsbefugnis eingeräumt worden. Darüber hinaus seien der Erwerb, die Veräußerung oder die Belastung von Liegenschaften und der Widerruf von Handlungs- und Generalhandlungsvollmachten, die Fortsetzung der Gesellschaft sowie die Zustimmung zur Übertragung, Teilung oder Belastung eines Gesellschaftsanteils, die nicht zwangsläufig zu außergewöhnlichen Geschäften gezählt werden könnten, von einer Zweidrittelmehrheit abhängig gemacht worden, sodass, auch infolge der Beteiligung von 49 %, von einem beherrschenden Einfluss des Klägers schon aufgrund der vertraglichen Regelung ausgegangen werden könne. Schließlich sei auch die geforderte faktische Ausübung eines beherrschenden Einflusses zu bejahen, zumal es der Kläger gewesen sei, der den gewerberechtlichen Geschäftsführer und auch den Steuerberater für die Schuldnerin organisiert habe. Auch der Umstand, dass der Kläger eigenständig gearbeitet habe, er – wegen mangelnder Deutschkenntnisse des Komplementärs und seiner Beziehungen – Aufträge hätte akquirieren sollen und die Kontrolltätigkeiten auf den Baustellen durchgeführt habe, spreche für seinen beherrschenden Einfluss. Dies werde auch dadurch unterstützt, dass der Kläger dem Komplementär, nur weil dieser die Steuerberatung für die Schuldnerin habe wechseln wollen, erklärt habe, „nicht mehr weiterarbeiten zu wollen“. Ganz offenkundig habe der Komplementär diese Kündigung durch den Kläger vor der vertraglich festgelegten ersten Kündigungsmöglichkeit zum 31. 12. 2019 auch akzeptiert. Letztlich indiziere der Umstand, dass die Begründung des Angestelltenverhältnisses über Anraten des vom Kläger ausgewählten Steuerberaters erfolgt sei, dass dem Kläger faktisch ein beherrschender Einfluss auf die Gesellschaft zugekommen sei.
Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei, weil es sich um eine Einzelfallbetrachtung handle.
Dagegen richtet sich die Revision des Klägers aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinn einer Klagsstattgebung abzuändern.
Die Beklagte beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision des Klägers zurückzuweisen, hilfsweise, ihr nicht Folge zu geben.
Die Revision ist – entgegen dem nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts – zulässig, weil die Rechtslage einer Klarstellung bedarf, und auch teilweise berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
1.1 Gemäß § 1 Abs 6 Z 2 IESG haben Gesellschafter, denen ein beherrschender Einfluss auf die Gesellschaft zusteht, auch wenn dieser Einfluss ausschließlich oder teilweise auf der treuhändigen Verfügung von Geschäftsanteilen Dritter beruht oder durch treuhändige Weitergabe von Geschäftsanteilen ausgeübt wird, keinen Anspruch auf Insolvenz-Entgelt.
Beherrschender Einfluss liegt nicht nur dann vor, wenn der Gesellschafter kraft seines Beteiligungsverhältnisses als Mehrheitsgesellschafter die Beschlussfassung in der Generalversammlung im Wesentlichen allein bestimmen kann, sondern auch dann, wenn er über einen solchen Anteil verfügt, der ihn in die Lage versetzt, eine Beschlussfassung auch in der Generalversammlung zu verhindern (RIS-Justiz RS0077381). Beherrschender Einfluss kommt einem Minderheitsgesellschafter einer GmbH allerdings nur dann zu, wenn ihm durch Festlegung höherer Quoten für im Rahmen der Unternehmensführung wesentliche, andere als die ohnehin nach dem Gesetz nur mit qualifizierter Mehrheit zu beschließenden Angelegenheiten eine Sperrminorität eingeräumt wird (RS0077386; 9 ObS 21/91). Auch in den Fällen, in denen der Gesellschafter gleichzeitig Arbeitnehmer der Gesellschaft ist (vgl RS0021243), kann ihm – durch eine solche qualifizierte Sperrminorität – als Gesellschafter beherrschender Einfluss auf die Gesellschaft, daher im gesellschaftsrechtlichen Sinn, zukommen (8 ObS 9/09w).
1.2 Das Berufungsgericht hat seiner Entscheidung zwar diese Rechtsprechung, die sinngemäß auch für den Kommanditisten einer Kommanditgesellschaft herangezogen werden kann, zugrunde gelegt. Seiner Schlussfolgerung, der Gesellschaftsvertrag räume dem Kläger über die gesetzliche Regelung hinausgehende Mitwirkungsbefugnis ein, weil die über den gewöhnlichen Betrieb des Unternehmens hinausgehenden Maßnahmen von einem vorangehenden Gesellschafterbeschluss (und nicht von einem bloßen Widerspruchsrecht) abhängig gemacht wurden, kann allerdings nicht beigetreten werden.
1.2.1 Nach § 164 Satz 1 UGB sind Kommanditisten von der gewöhnlichen Geschäftsführung ausgeschlossen. Die gewöhnliche Geschäftsführung liegt ausschließlich in den Händen der Komplementäre (Schörghofer in Kalss/Nowotny/Schauer, Österreichisches Gesellschaftsrecht2 Rz 2/904; vgl auch RS0061660), außer es ist im Gesellschaftsvertrag Abweichendes bestimmt (Kammel in Straube/Ratka/Rauter, UGB I4 § 164 Rz 2; siehe auch RS0062085). Grundlagengeschäfte, wie etwa Änderungen des Gesellschaftsvertrags, die Aufnahme neuer Gesellschafter oder die Auflösung der Gesellschaft, bedürfen der Beschlussfassung aller Gesellschafter, also der Zustimmung auch der Kommanditisten (RS0061850; Kammel aaO Rz 5; Schörghofer aaO Rz 2/901). Die Kommanditisten sind auch zur Beschlussfassung über ungewöhnliche Geschäfte berufen (RS0061850 [T5]; 2 Ob 281/05w; 1 Ob 192/08d). Hierbei handelt es sich (entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts) um kein leeres Widerspruchsrecht; die betreffende Maßnahme darf nur mit Zustimmung aller Gesellschafter durchgeführt werden (RS0062149; Schörghofer aaO Rz 2/908; vgl auch Wachter, Außergewöhnliche Geschäftsführungsmaßnahmen bei unerreichbaren oder blockierenden Kommanditisten, NZ 2015/2 [9]).
Zu den ungewöhnlichen Geschäften gehören nach der Rechtsprechung alle Maßnahmen, die nach ihrem Inhalt, ihrem Zweck oder ihrer Tragweite (insbesondere deren Umfang) über den Rahmen des gewöhnlichen Geschäftsbetriebs des Unternehmens der Gesellschaft hinausgehen (RS0061660 [T3]).
1.2.2 Daraus folgt, dass die Regelung des § 8 Abs 2 des Gesellschaftsvertrags, die „Maßnahmen, die über den gewöhnlichen Betrieb des Unternehmens hinausgehen“, von einem Gesellschafterbeschluss abhängig macht, dem Kläger keine über die bereits gesetzlich vorgesehenen Befugnisse hinausgehende Einflussmöglichkeit auf die Schuldnerin einräumt.
Die in § 8 Abs 2 lit a des Gesellschaftsvertrags genannten „Geschäfte, die zu einer wesentlichen Änderung des Geschäftsbetriebs führen“, sind zweifellos den ungewöhnlichen Geschäften zuzuordnen. Dasselbe gilt für die in § 8 Abs 2 lit c angesprochene Erteilung und den Widerruf einer der Prokura entsprechenden Handlungsvollmacht oder einer darüber sogar hinausgehenden Generalvollmacht (Enzinger in Straube/Ratka/Rauter, UGB I4 § 116 Rz 24). Auch wenn der Erwerb, die Veräußerung oder Belastung von Liegenschaften theoretisch zum gewöhnlichen Geschäftsbetrieb eines Bauunternehmens zählen könnte, fehlen jegliche Anhaltspunkte, dass das in concreto der Fall war. Die in § 9 Abs 4 lit a bis d genannten Maßnahmen (Festlegung der Entnahmebefugnisse, Auflösung bzw Fortsetzung der Gesellschaft, Zustimmung zur Übertragung, Teilung oder Belastung eines Gesellschaftsanteils) sind allesamt als Grundlagengeschäfte zu werten bzw setzen schon aufgrund der gesetzlichen Regelungen des UGB (etwa § 161 Abs 2 iVm § 131 Z 2 bzw § 141 Abs 1 UGB) Einstimmigkeit voraus (vgl RS0061561).
1.3 Der Kläger zeigt in seiner Revision damit zutreffend auf, dass keine Rede davon sein kann, der Gesellschaftsvertrag würde ihm für im Rahmen der Unternehmensführung wesentliche, andere als die ohnehin nach dem Gesetz nur mit qualifizierter Mehrheit zu beschließenden Angelegenheiten eine Sperrminorität einräumen. Dem Kläger als Kommanditisten der Schuldnerin und Minderheitsgesellschaft kam auch aufgrund des Gesellschaftsvertrags kein beherrschender Einfluss zu.
1.4 Aus den Feststellungen ergibt sich auch nicht, dass der Kläger einen solchen Einfluss faktisch ausgeübt hätte. Arbeitgeberfunktionen hatte der Kläger keine, Einfluss auf die laufende Geschäftsführung hat er nicht genommen. Mag das Akquirieren von Baustellen, mit dem der Kläger vom Komplementär beauftragt worden war, auch für den wirtschaftlichen Erfolg der Schuldnerin maßgeblich gewesen sein, lässt sich daraus noch nicht ableiten, dass der Kläger die Geschicke der Schuldnerin (mit)gelenkt hätte, zumal weder feststeht noch behauptet wird, dass er über die Auftragsvergabe (mit-)entschieden hätte. Das gilt auch dafür, dass der Kläger den gewerberechtlichen Geschäftsführer bzw den Steuerberater „organisierte“. Schließlich spricht gegen einen tatsächlich beherrschenden Einfluss des Klägers auf die Schuldnerin, dass er der Mitteilung des Komplementärs, dass die Schuldnerin „auf einen ungarischen Steuerberater wechseln werde“, nichts anderes als die Erklärung entgegenzusetzen hatte, dass er in diesem Fall nicht mehr weiterarbeiten wolle und jemand anderer seine Position in der Firma übernehmen solle.
2.1 Diese Erklärung des Klägers hat das Erstgericht bei seiner rechtlichen Beurteilung, es läge keine Auflösung innerhalb der Probezeit vor, zu Unrecht außer Acht gelassen.
Auch im Arbeitsrecht ist der objektive Erklärungswert einer Willensäußerung maßgeblich (RS0028642). Es kommt darauf an, wie die Erklärung bei objektiver Beurteilung der Sachlage durch einen redlichen und verständigen Menschen zu verstehen war (RS0028642 [T4]; RS0028612).
Nach dem objektiven Erklärungswert konnte die Äußerung hier nur so verstanden werden (und wurde – wie die Abmeldung des Klägers von der Gebietskrankenkasse mit 10. 9. 2018 zeigt – vom Komplementär auch so verstanden), dass der Kläger von der vereinbarten Möglichkeit (§ 19 Abs 2 AngG, § 1158 Abs 2 ABGB) Gebrauch gemacht hat, sein Probedienstverhältnis mit sofortiger Wirkung aufzulösen. Das Verb „weiterarbeiten“ kann sich bei objektiver Betrachtungsweise nämlich nur auf die vom Dienstvertrag umfasste Tätigkeit des Klägers und nicht auf seine Stellung als Kommanditist beziehen, die als solche mit keiner „Arbeit“ verbunden war. Daran ändert nichts, dass der Kläger nach den Feststellungen bis 19. 9. 2018 weitergearbeitet hat, weil er nicht einmal vorbringt, dass der Schuldnerin bzw dem Komplementär dies erkennbar gewesen wäre, was allenfalls ein widersprüchliches Erklärungsverhalten begründet hätte.
2.2 Die Ansicht des Erstgerichts, es liege eine fristwidrige Arbeitgeberkündigung vor, erweist sich vor diesem Hintergrund als unrichtig. Die daraus abgeleiteten Ansprüche des Klägers wurden vom Berufungsgericht im Ergebnis jedenfalls zu Recht abgewiesen. Insoweit konnte die klagsabweisende Berufungsentscheidung als Teilurteil bestätigt werden.
3.1 Die Beklagte hat in erster Instanz eingewandt, dass dem Kläger die Arbeitnehmereigenschaft fehle. Auch das Berufungsgericht verweist auf den Umstand, dass der Kläger eigenständig gearbeitet habe.
Der Dienstvertrag oder Arbeitsvertrag im Sinn des § 1151 ABGB ist vor allem durch die persönliche Abhängigkeit des Arbeitnehmers, also durch dessen Unterworfenheit unter die funktionelle Autorität des Arbeitgebers, gekennzeichnet, welche sich in organisatorischer Gebundenheit, insbesondere an Arbeitszeit, Arbeitsort und Kontrolle – nicht notwendig auch an Weisungen über die Art der Ausführung der Tätigkeit – äußert. Für den Arbeitsvertrag wesentlich ist daher eine weitgehende Ausschaltung der Bestimmungsfreiheit des Arbeitnehmers (RS0021306). Für die Abgrenzung des Arbeitsvertrags vom freien Dienstvertrag kommt es nicht auf die Art der ausgeübten Tätigkeiten, sondern darauf an, ob diese Tätigkeiten in „persönlicher Abhängigkeit“ zu verrichten sind (RS0021306 [T11]). Entscheidend ist, ob bei einer Gesamtbetrachtung die Merkmale der persönlichen Abhängigkeit ihrem Gewicht und ihrer Bedeutung nach überwiegen (RS0021284 [T8]).
3.2 Nach den Feststellungen könnte das – neben dem Gesellschaftsvertrag bestehende – Rechtsverhältnis des Klägers zur Schuldnerin als freier Dienstvertrag zu qualifizieren sein. Zwar sind freie Dienstnehmer im Sinn des § 4 Abs 4 ASVG den Arbeitnehmern seit 1. 1. 2008 aufgrund BGBl I 104/2007 gleichgestellt. Sie haben daher auch Anspruch auf Insolvenz-Entgelt für offene Forderungen aus dem freien Dienstverhältnis, allerdings in einem geringeren Umfang, weil auf freie Dienstverhältnisse jene arbeitsrechtlichen Regelungen, die die persönliche Abhängigkeit des Arbeitnehmers voraussetzen, nicht anwendbar sind (Gahleitner in Neumayr/Reissner, ZellKomm3 § 1 IESG Rz 9 ff, 59/1).
3.3 Da die Parteien hier mit der Beurteilung der Tätigkeit des Klägers als „freies Dienstverhältnis“ überrascht werden könnten, ist dieser rechtliche Aspekt noch mit ihnen zu erörtern und ist ihnen auch Gelegenheit zu geben, allfälliges weiteres Vorbringen (unter anderem zu den für den Fall eines freien Dienstvertrags gesicherten Ansprüchen des Klägers) zu erstatten. Schon aus diesem Grund waren die Entscheidungen der Vorinstanzen, soweit sie über die geltend gemachte Kündigungsentschädigung hinausgehen, aufzuheben.
3.4 Darüber hinaus entziehen sich aber auch die begehrten Kosten und die Zinsenpauschale derzeit noch einer abschließenden Beurteilung:
Grundsätzlich sind im Verfahren nach dem IESG nur akzessorische Kostenansprüche zur Durchsetzung gesicherter Hauptansprüche gesichert (RS0076640; 9 ObS 14/89). Der Kläger hat daher nur auf jene „tarifmäßigen Kosten“ Anspruch, die ihm bei der Durchsetzung seiner gesicherten Hauptansprüche entstanden sind. Da dem Kläger hier nur Ansprüche bis 10. 9. 2018 zustehen (siehe Punkt 2.), können ihm Kosten für das arbeitsgerichtliche Verfahren gegen die Schuldnerin auch nur auf dieser Basis zuerkannt werden. Zu diesen Kosten fehlen allerdings sowohl nähere Tatsachenbehauptungen als auch Feststellungen.
Für die gemäß § 1 Abs 2 Z 1 bis 3 IESG gesicherten Ansprüche gebührt ab der Fälligkeit dieser Ansprüche bis zum Stichtag Insolvenz-Entgelt für Zinsen (§ 3 Abs 2 IESG). Eine Sicherung für Zinsen aus Kosten ist nicht vorgesehen (RS0077416). § 3 Abs 2 IESG ist eine abschließende Regelung für gesicherte Zinsen; ein weitergehender Ersatzanspruch aus der verspäteten Entgeltzahlung als der im IESG geregelte Anspruch auf (Verzugs-)Zinsen ist nach der Systematik dieses Gesetzes nicht gesichert (8 ObS 24/05w), selbst wenn die Geschäftsstelle der Beklagten mit der Zuerkennung von Insolvenz-Entgelt in Verzug ist (9 ObS 18/92; 8 ObS 3/96).
Es ist nicht ersichtlich, wie der Kläger die Zinsenpauschale berechnet hat. Auch dieses Thema wird das Erstgericht daher noch mit den Parteien zu erörtern haben, bevor es unter Bedachtnahme auf die referierte Rechtslage eine neuerliche Entscheidung trifft.
4. Die Urteile der Vorinstanzen waren daher in teilweiser Stattgebung der Revision des Klägers im Umfang des Zahlungsbegehrens von 7.051 EUR sA mangels Spruchreife aufzuheben.
5. Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.
Textnummer
E129958European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2020:008OBS00005.20Y.1023.000Im RIS seit
03.12.2020Zuletzt aktualisiert am
18.10.2021