Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AufG 1992 §5 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Puck und die Hofräte Dr. Zens,
Dr. Bayjones, Dr. Schick und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Wildmann, über die Beschwerde der EF (geborene B) in Wien, geboren 1970, vertreten durch DDr. Wolfgang Schulter, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Fleischmarkt 28, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 13. September 1995, Zl. 303.024/2-III/11/95, betreffend Aufenthaltsbewilligung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund (Bundesministerium für Inneres) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.770,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Beschwerdeführerin, eine kroatische Staatsangehörige, stellte am 16. März 1994 im Wege der österreichischen Botschaft in Zagreb einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung, der als "Erstantrag" bezeichnet war und als Aufenthaltszweck Familienzusammenführung mit dem Ehemann angab. Dieser Antrag wurde vom Landeshauptmann von Wien mit Bescheid vom 18. April 1994 gemäß § 4 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufG) abgewiesen. Die Beschwerdeführerin erhob dagegen Berufung, in der sie unter anderem ausführte, ihre Ehe mit dem in Österreich aufhältigen Ehemann bestehe bereits seit mehr als einem Jahr. Der Bundesminister für Inneres behob mit Bescheid vom 28. Oktober 1994 den Bescheid der Behörde erster Instanz gemäß §§ 2 Abs. 1 und 9 Abs. 3 AufG ersatzlos und verwies auf die in der Zwischenzeit eingetretene Erschöpfung der für das Jahr 1994 festgesetzten Quote.
Mit Bescheid vom 28. April 1995 wies der Landeshauptmann von Wien den Antrag der Beschwerdeführerin gemäß § 5 Abs. 1 AufG wegen nicht gesicherten Unterhaltes ab. Die dagegen erhobene Berufung wurde vom Bundesminister für Inneres mit Bescheid vom 13. September 1995, zugestellt am 25. September 1995, gemäß § 5 Abs. 1 AufG in Verbindung mit § 10 Abs. 1 Z. 4 und 6 des Fremdengesetzes (FrG) abgewiesen.
Begründend führte der Bundesminister für Inneres aus, die Beschwerdeführerin habe am 16. März 1994 einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung gestellt, der vom Landeshauptmann von Wien mit der Begründung abgewiesen worden sei, daß die Vorschrift des § 5 Abs. 1 AufG einer Aufenthaltsbewilligung entgegenstehe. Gegen diese Beurteilung habe die Beschwerdeführerin eingewendet, daß ihr Ehemann nunmehr S 15.000,-- netto verdiene und daher der Unterhalt gesichert sei. Die Berufungsbehörde habe den Antrag einer neuerlichen Prüfung unterzogen und dabei festgestellt, daß sich die Beschwerdeführerin nach der auf ihren eigenen Angaben beruhenden unbestrittenen Aktenlage "sichtvermerksfrei" in Österreich aufhalte, zumal sie nicht als Touristin, sondern mit der Absicht, in Österreich einen ordentlichen Wohnsitz zu gründen und hier zu arbeiten, eingereist sei und zu diesem Zweck von Anfang an einen Sichtvermerk benötigt hätte.
Die Beschwerdeführerin halte sich zumindest seit 11. Jänner 1994 in Österreich auf und sei hier polizeilich aufrecht gemeldet.
Unbeschadet ihres Vorbringens sei bei der Beurteilung ihres Antrages allein maßgeblich, daß § 5 AufG zwingend die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung ausschließe, wenn ein Sichtvermerksversagungsgrund im Sinne des Fremdengesetzes vorliegt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 6 dieses Gesetzes liege ein solcher vor, wenn der Sichtvermerk zeitlich an einen Touristensichtvermerk anschließen oder nach sichtvermerksfreier Einreise erteilt werden soll.
Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG sei ein Sichtvermerk zu versagen, wenn durch den Aufenthalt des Sichtvermerkswerbers die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährdet wird. Die Beschwerdeführerin halte sich nach wie vor entgegen den Bestimmungen des Fremdenrechtes sichtvermerksfrei und damit illegal in Österreich auf. Dadurch zeige sie, daß sie nicht gewillt sei, die österreichische Rechtsordnung, insbesondere in einem Bereich, der für den geordneten Ablauf eines geregelten Fremdenwesens vorgesehen ist, zu respektieren. Damit liege ein Sichtvermerksversagungsgrund im Sinne des § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG vor.
Gerade im Hinblick auf § 3 Abs. 1 Z. 2 AufG und ein geordnetes Fremdenwesen habe die Berufungsbehörde festgestellt, daß unter Abwägung der persönlichen Interessen der Beschwerdeführerin mit den öffentlichen im Sinne des Art. 8 Abs. 2 MRK die öffentlichen Interessen überwögen.
Entgegen den Ausführungen der Beschwerdeführerin in der Berufung zur Familienzusammenführung sei die Berufungsbehörde der Ansicht, daß "natürlich" auch in ihrem Fall fremdenrechtliche Regelungen vor allem im Hinblick auf die Beispielswirkung gegenüber anderen Fremden einzuhalten seien, gerade deswegen habe die Berufungsbehörde den privaten Interessen der Beschwerdeführerin keine vorrangige Stellung eingeräumt.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit der Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden. Die Beschwerdeführerin habe bereits nach Abweisung ihres Antrages durch den Landeshauptmann von Wien mit Bescheid vom 18. April 1994 in ihrer Berufung darauf hingewiesen, daß sie gemäß § 3 Abs. 1 Z. 2 AufG einen durchsetzbaren Rechtsanspruch auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung erworben habe. Die belangte Behörde habe im Zuge des Berufungsverfahrens kein Parteiengehör eingeräumt, sei aber in der Begründung des angefochtenen Bescheides erheblich von der Begründung des erstinstanzlichen Bescheides abgewichen und zum Ergebnis gekommen, daß ein Sichtvermerksversagungsgrund nach § 10 Abs. 1 Z. 4 und 6 FrG vorliege. Die belangte Behörde stelle in diesem Bescheid fest, daß sich die Beschwerdeführerin sichtvermerksfrei im Bundesgebiet aufhalte und versucht habe, mit dem vorliegenden Antrag einen begonnenen sichtvermerksfreien Aufenthalt fortzusetzen. Diese Feststellungen seien tatsachen- und aktenwidrig. Zwar werde eingeräumt, daß die Beschwerdeführerin des öfteren den Ehegatten besuchsweise in Österreich aufgesucht habe. Diesbezüglich könne in den Originalreisepaß der Beschwerdeführerin Einsicht genommen werden, in dem entsprechende zahlreiche Grenzkontrollstempel angebracht worden seien. Von einem durchgehenden Aufenthalt im Bundesgebiet könne hingegen keine Rede sein. Bei Einräumung des Parteiengehörs hätte die Beschwerdeführerin nicht nur unter Vorlage ihres Reisepasses, sondern auch unter Vorlage einer Melde- und Aufenthaltsbestätigung aus Kroatien nachweisen können, daß sie nicht im Bundesgebiet aufhältig sei. Darüber hinaus liege weiterhin ein Rechtsanspruch gemäß § 3 Abs. 1 Z. 2 AufG vor. Die Beschwerdeführerin wäre somit in der Lage gewesen, im Falle der Durchführung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens Beweismittel vorzulegen, die geeignet gewesen wären, eine andere Entscheidung nach sich zu ziehen, zumindest aber die Feststellung der erkennenden Behörde, die Beschwerdeführerin halte sich im Inland auf, zu erschüttern. Jedenfalls hätte die belangte Behörde Parteiengehör einzuräumen gehabt, da sie den Versagungsgrund gegenüber dem erstinstanzlichen Bescheid geändert habe.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahren vorgelegt und die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde erwogen:
Im Hinblick auf das Datum der Erlassung des angefochtenen Bescheides (25. September 1995) ist für die Überprüfung seiner Rechtmäßigkeit durch den Verwaltungsgerichtshof die Rechtslage nach der AufG-Novelle, BGBl. Nr. 351/1995, maßgeblich.
Die §§ 3 Abs. 1 und 2 sowie 5 Abs. 1 AufG in der Fassung dieser Novelle lauten (auszugsweise):
"§ 3. (1) Ehelichen und außerehelichen minderjährigen Kindern und Ehegatten
...
2. von Fremden, die aufgrund einer Bewilligung, eines vor dem 1. Juli 1993 ausgestellten Sichtvermerks oder sonst gemäß § 1 Abs. 3 Z. 1 bis 5 rechtmäßig seit mehr als zwei Jahren ihren Hauptwohnsitz in Österreich haben, ist nach Maßgabe des § 2 Abs. 3 Z. 3 und 4 eine Bewilligung zu erteilen, sofern kein Ausschließungsgrund (§ 5 Abs. 1) vorliegt.
(2) Die Erteilung einer Bewilligung gemäß Abs. 1 für Ehegatten setzt voraus, daß die Ehe zum Zeitpunkt der Antragstellung bereits mindestens ein halbes Jahr besteht.
...
§ 5. (1) Eine Bewilligung darf Fremden nicht erteilt werden, bei denen ein Sichtvermerksversagungsgrund (§ 10 Abs. 1 FrG) vorliegt, ..."
§ 10 Abs. 1 Z. 4 und 6 FrG lautet:
"§ 10. (1) Die Erteilung eines Sichtvermerkes ist zu versagen, wenn
...
4.
der Aufenthalt des Sichtvermerkswerbers die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährden würde;
...
6.
der Sichtvermerk zeitlich an einen Touristensichtvermerk anschließen oder nach sichtvermerksfreier Einreise (§ 12 Aufenthaltsgesetz oder § 14) erteilt werden soll;
..."
Die Beschwerdeführerin hat bereits in ihrem Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung als Eheschließungsdatum den 29. August 1987 angegeben (vgl. Seite 3 des Verwaltungsaktes). Daß ihre Ehe bereits seit mehr als einem Jahr bestand, gab die Beschwerdeführerin auch in ihrer Berufung an. Ungeachtet dessen enthält der angefochtene Bescheid keine Feststellungen darüber, ob die Beschwerdeführerin die Voraussetzungen erfüllt, die für die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung gemäß § 3 Abs. 1 Z. 2 AufG normiert sind. Der angefochtene Bescheid wäre allerdings dann nicht mit der geltend gemachten Rechtswidrigkeit belastet, wenn die belangte Behörde zu Recht den Sichtvermerksversagungsgrund nach § 10 Abs. 1 Z. 4 oder Z. 6 FrG herangezogen hätte, weil § 3 Abs. 1 Z. 2 FrG einen Rechtsanspruch auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung nur vorsieht, soweit kein Ausschließungsgrund im Sinne des § 5 Abs. 1 AufG, somit u.a. kein Sichtvermerksversagungsgrund gemäß § 10 Abs. 1 FrG, vorliegt.
Anders als die Behörde erster Instanz, die den Antrag gemäß § 5 Abs. 1 AufG wegen mangelnden Unterhaltes der Beschwerdeführerin abgewiesen hatte, stützte sich die belangte Behörde u.a. auf den Sichtvermerksversagungsgrund nach § 10 Abs. 1 Z. 6 FrG. Dieser Sichtvermerksversagungsgrund wäre verwirklicht, wenn sich die Beschwerdeführerin in dem für die Entscheidung der Behörde maßgeblichen Zeitpunkt im Anschluß an eine mit einem Touristensichtvermerk erfolgte Einreise oder nach sichtvermerksfreier Einreise (weiterhin) im Bundesgebiet aufgehalten hätte (vgl. zur Maßgeblichkeit des Entscheidungszeitpunktes das hg. Erkenntnis vom 20. Oktober 1995, Zl. 95/19/0500).
Da die im § 6 Abs. 1 AufG verankerte Pflicht des Antragstellers, glaubhaft zu machen, daß kein Ausschließungsgrund vorliegt, nicht so weit reicht, auch das Nichtvorliegen eines Sichtvermerksversagungsgrundes im Sinne des § 10 Abs. 1 FrG darzutun, durfte die belangte Behörde § 10 Abs. 1 Z. 6 FrG allerdings nur nach Durchführung eines entsprechenden Ermittlungsverfahrens heranziehen, in dessen Rahmen sie von Amts wegen zu prüfen hatte, ob die Beschwerdeführerin sich weiterhin in Österreich aufhielt (vgl. das hg. Erkenntnis vom 21. Mai 1997, Zlen. 95/19/1311, 1312). Im Rahmen eines solchen Ermittlungsverfahrens hatte die Behörde der Beschwerdeführerin auch entsprechend Parteiengehör einzuräumen. Parteiengehör brauchte allerdings hinsichtlich solcher Angaben nicht gewährt zu werden, die die Beschwerdeführerin im Verwaltungsverfahren selbst gemacht hatte (vgl. das hg. Erkenntnis vom 27. Juni 1985, Zl. 85/18/0219).
Wie aus den Verwaltungsakten ersichtlich ist, hat die belangte Behörde Ermittlungen über den Aufenthalt der Beschwerdeführerin zum Zeitpunkt ihrer Entscheidung nicht gepflogen. Der bloße Umstand allein, daß die Beschwerdeführerin im Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung an einer Wiener Adresse aufrecht gemeldet war, kann Ermittlungen über den tatsächlichen Aufenthalt der Beschwerdeführerin nicht ersetzen. Es wäre naheliegend gewesen, daß die belangte Behörde im Berufungsverfahren die Beschwerdeführerin zu ihrem Aufenthalt einvernommen hätte. Wäre die Beschwerdeführerin ihrer Pflicht, an den Feststellungen des maßgeblichen Sachverhaltes mitzuwirken, nicht nachgekommen, wäre die belangte Behörde befugt gewesen, das diesbezügliche Verhalten der Beschwerdeführerin in ihre Beweisüberlegungen einzubeziehen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 24. März 1997, Zl. 95/19/0792, mwN.). Die belangte Behörde gewährte der Beschwerdeführerin zu ihrer maßgeblichen Sachverhaltsannahme, daß sich die Beschwerdeführerin "sichtvermerksfrei" (gemeint wohl: unrechtmäßig) im Bundesgebiet aufhalte, kein Parteiengehör. Es ist ihr daher ein Verfahrensfehler anzulasten. Da die belangte Behörde, wie sich aus den Verwaltungsakten ergibt, insbesondere die für ihre Annahme maßgeblichen Feststellungen über die Einreise der Beschwerdeführerin und ihren anschließenden Aufenthalt im Bundesgebiet unterlassen hat, ist das konkrete Vorbringen der Beschwerdeführerin, sie hätte bei Einräumung des Parteiengehörs unter Vorlage des Originalreisepasses zeigen können, daß sie sich in Österreich nur zu Besuchszwecken aufgehalten hätte, geeignet aufzuzeigen, daß die belangte Behörde bei Vermeidung ihrer Verfahrensfehler zu einem anderen Bescheid hätte gelangen können.
Da die belangte Behörde ihre rechtliche Beurteilung, der Aufenthalt der Beschwerdeführerin gefährde die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit im Bundesgebiet, jedenfalls auf die Annahme eines unrechtmäßigen Aufenthaltes im Bundesgebiet gründet, ist auch die Heranziehung des Sichtvermerksversagungsgrundes nach § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG vom aufgezeigten Verfahrensmangel erfaßt.
Aus diesen Erwägungen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm Art. I Z. 1 der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Soweit Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zitiert wurden, die in der Amtlichen Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse dieses Gerichtshofes nicht veröffentlicht sind, wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1997:1995191413.X00Im RIS seit
02.05.2001