Entscheidungsdatum
29.07.2020Norm
B-VG Art133 Abs9Spruch
W203 2226540-1/2Z
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch den Richter Mag. Gottfried SCHLÖGLHOFER betreffend die Beschwerde von XXXX , vertreten durch KOMWID Kompein Widmann, Rechtsanwälte OG, Beatrixgasse 1/11, 1030 Wien, gegen den Bescheid der Bildungsdirektion für Wien vom 28.10.2019, GZ: 600.012/0182-Präs3a/2019:
A)
Gemäß Art. 139 Abs. 1 Z 1 und Art. 140 Abs. 1 Z 1 lit. a i.V.m. Art. 135 Abs. 4 i.V.m. Art. 89 Abs. 2 B-VG wird an den Verfassungsgerichtshof der Antrag gestellt,
§ 33 Abs. 2 lit. c und § 45 Abs. 5 des Bundesgesetzes über die Ordnung von Unterricht und Erziehung in den im Schulorganisationsgesetz geregelten Schulen (Schulunterrichtsgesetz – SchUG); BGBl. Nr. 472/1986 (WV) idF BGBl. I Nr. 35/2018,
als verfassungswidrig aufzuheben.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 9 B-VG i.V.m. § 25a Abs. 3 VwGG nicht zulässig.
Text
BEGRÜNDUNG
I. Sachverhalt:
1. Der Beschwerdeführer besuchte im Schuljahr 2018/19 die 5. Klasse „ XXXX “ an der XXXX (im Folgenden: gegenständliche Schule).
2. Am 19.12.2018 fand aufgrund einer Vielzahl von unentschuldigten Fehlstunden ein Krisengespräch zwischen dem zuständigen Abteilungsvorstand der gegenständlichen Schule und dem Beschwerdeführer statt.
3. Mit Schreiben vomm 11.02.2019 wurde der Beschwerdeführer von der Schulleitung der gegenständlichen Schule aufgefordert, innerhalb einer Woche sein Fernbleiben durch Vorlage eines ärtzlichen Zeugnisses bzw. durch Nachweis eines sonstigen Verhinderungsgrundes zu rechtfertigen.
4. Am 19.03.2019 stellte der Klassenvorstand der 5. Klasse „ XXXX “ eine schriftliche Bestätigung über die Abmeldung des Beschwerdeführers vom Schulbesuch aus und übergab diese dem Beschwerdeführer persönlich.
5. Am 24.03.2019 stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Wiederaufnahme an der gegenständlichen Schule.
6. In einer schriftlichen Stellungnahme vom 07.04.2019 führte der Beschwerdeführer im Wesentlichen aus, dass sein Fernbleiben „schwerwiegende Gründe“ habe. Er leide seit Jahren an einer schweren Streptokokkeninfektion und stehe deswegen in ärztlicher Behandlung. Durch die ständigen, äußerst schmerzhaften Infektionen seien sein Immunsystem und seine Psyche beeinträchtigt und er sei dadurch auch empfänglicher für neue Erkrankungen und leide an Unwohlsein und Bauchkrämpfen. Er habe seine Gründe für das Fernbleiben nicht schon früher bekannt gegeben, weil er nicht als „Aussätziger“ habe gelten wollen. Infolge einer „Warnung“ vom Jänner 2019 habe er alle relevanten Entschuldigungen nachgereicht und habe in der Folge auch eine Schulnachricht ausgestellt bekommen.
7. Am 17.05.2019 fand in der Bildungsdirektion für Wien (im Folgenden: belangte Behörde) in Anwesenheit der zuständigen Schulqualitätsmanagerin sowie dreier an der gegenständlichen Schulte tätigen Lehrkräfte ein Gespräch mit dem Beschwerdeführer statt.
8. Am 05.06.2019 kam es an der gegenständlichen Schule zu einem Treffen mit dem Beschwerdeführer und dessen Eltern, im Zuge dessen die Möglichkeit eines Wechsels an eine andere Schule angesprochen wurde. Der Beschwerdeführer forderte stattdessen jedoch die Ausstellung eines Abschlusszeugnisses und die Zulassung zu RDP.
9. Am 27.09.2019 wurde von der Schulleitung der Antrag des Beschwerdeführers vom 07.04.2019 auf Wiederaufnahme an die gegenständliche Schule als unbegründet abgewiesen. Begründend wurde ausgeführt, dass der Beschwerdeführer im Zeitraum September 2018 bis März 2019 insgesamt über 2 Monate unentschuldigt vom Unterricht ferngeblieben sei und trotz mehrfacher Aufforderung keine tauglichen Entchuldigungen vorgelegt habe.
Die Entscheidung wurde dem Beschwerdeführer am 03.10.2019 zugestellt.
10. Am 07.10.2019 erhob der Beschwerdeführer bei der belangten Behörde gegen die Entscheidung der gegenständlichen Schule vom 27.09.2019 Widerspruch und begründete diesen damit, dass er am 13.02.2019 dem Klassenvorstand eine Begründung für sämtliche Fehlstunden überreicht habe. Es seien daher sowohl die Abmeldung des Beschwerdeführers vom Schulbesuch als auch die Abweisung der Wiederaufnahme desselben zu Unrecht erfolgt.
11. Mit Bescheid der belangten Behörde vom 28.11.2019, GZ: 600.012/0182-Präs3a/2019 (im Folgenden: angefochtener Bescheid), wurde der Widerspruch des Beschwerdeführers gegen die Entscheidung über den Antrag auf Wiederaufnahme gemäß § 45 SchUG abgewiesen. Begründend wurde ausgeführt, dass ein Schüler einer mittleren oder höheren Schule gemäß § 33 Abs. 2 lit. c SchUG als vom Schulbesuch abgemeldet gelte, wenn er länger als eine Woche oder fünf nicht zusammenhängende Schultage oder 30 Unterrichtsstunden im Unterrichtsjahr dem Unterricht fernbleibe, ohne das Fernbleiben zu rechtfertigen. Eine Wideraufnahme sei nur mit Bewilligung des Schulleiters zulässig und nur dann zu erteilen, wenn das Fernbleiben nachträglich gerechtfertigt werde und die Unterlassung der Mitteilung an die Schule aus rücksichtswürdigen Gründen unterblieben sei. Im vorliegenden Fall habe der Beschwerdeführer den Klassenvorstand oder Schulleiter nicht von jeder Verhinderung ohne Aufschub benachrichtigt. Auch auf schriftliche Aufforderung hin sei eine Mitteilung binnen einer Woche nicht an der Schule eingelangt, womit der Beschwerdeführer nach Ablauf dieser Woche ex lege als vom Schulbesuch abgemeldet gelte. Da das Fernbleiben auch nicht nachträglich gerechtfertigt worden wäre und die Mitteilung an die Schule nicht aus rücksichtswürdigen Gründen unterblieben sei, sei der Antrag auf Wiederaufnahme abzuweisen gewesen.
12. Am 27.11.2019 brachte der Beschwerdeführer über seine rechtsfreundliche Vertretung Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 28.10.2019 ein und begründete diese im Wesentlichen wie folgt:
Ein den Grundsätzen des § 70 Abs. 2, 3 und 4 SchUG entsprechendes Verfahren habe nicht stattgefunden.
Bereits die Abmeldung des Beschwerdeführers von der gegenständlichen Schule sei mehrfach rechtswidrig gewesen, da dieser der schriftlichen Aufforderung zur Rechtfertigung vom 11.02.2019 bereits am 13.02.2019 nachgekommen sei. Wenn die Schule vermeine, eine entsprechende Übergabe von Entschuldigungen habe nie stattgefunden, stelle sich die Frage, wieso die Abmeldung erst mehr als einen Monat später – nämlich am 19.03.2019 – erfolgt sei.
Es werde daher – neben der Durchführung einer mündlichen Verhandlung - beantragt, das Bundesverwaltungsgericht möge den angefochtenen Bescheid dahingehend abändern, dass der Beschwerdeführer an der gegenständlichen Schule wiederaufgenommen sei; in eventu, den angefochtenen Bescheid aufzuheben und die Angelegenheit an die belangte Behörde zurückzuverweisen; in eventu die Beschwerde mangels Vorliegens einer rechtsgültigen Entscheidung über die Abmeldung des Beschwerdeführers von der gegenständlichen Schule zurückzuweisen; in eventu festzustellen, dass die Abmeldung des Beschwerdeführers von der gegenständlichen Schule am 19.03.2019 rechtswirdrig erfolgt sei; in eventu festzustellen, dass die Abweisung der Wiederaufnahme des Beschwerdeführers rechtswidrig sei.
13. Mit Schreiben der belangten Behörde vom 12.12.2019 wurde die Beschwerde samt Verwaltungsakt von der belangten Behörde dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vorgelegt, ohne von der Möglichkeit einer Beschwerdevorentscheidung Gebrauch zu machen.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen (vgl. dazu auch BVwG W128 2221785-1/7Z vom 11.02.2020):
1. Zu Spruchpunkt A)
1.1. Rechtslage
§ 33 Schulunterrichtsgesetz (SchUG), BGBl. Nr. 472/1986 (WV) idF BGBl. I Nr. 35/2018 lautet (auszugsweise; die als verfassungswidrig angefochtenen Teile der Bestimmung sind hervorgehoben):
„Beendigung des Schulbesuches
§ 33. (1) Ein Schüler hört auf, Schüler einer Schule zu sein, wenn er die lehrplanmäßig letzte Schulstufe abgeschlossen hat. Wenn ein Schüler zur Wiederholung der lehrplanmäßig letzten Schulstufe berechtigt ist (§ 27) und von diesem Recht Gebrauch macht, bleibt er bis zum Abschluß der Wiederholung weiterhin Schüler.
(2) Ein Schüler hört schon vor dem im Abs. 1 genannten Zeitpunkt auf, Schüler einer Schule zu sein
[…]
c) mit dem ungenützten Ablauf der einwöchigen Frist seit der Zustellung einer schriftlichen Aufforderung zur Rechtfertigung gemäß § 45 Abs. 5;
[…]
(3) Der Zeitpunkt und der Grund der Beendigung des Schulbesuches sind auf dem Jahreszeugnis (§ 22 Abs. 1) oder dem Semesterzeugnis (§ 22a Abs. 1), wenn jedoch das Ende des Schulbesuches nicht mit dem Abschluß einer Schulstufe zusammenfällt, auf der Schulbesuchsbestätigung (§ 22 Abs. 10) ersichtlich zu machen.“
§ 45 SchUG lautet (auszugsweise):
„Fernbleiben von der Schule
§ 45. (1) Das Fernbleiben vom Unterricht ist nur zulässig:
a) bei gerechtfertigter Verhinderung (Abs. 2 und 3),
b) bei Erlaubnis zum Fernbleiben (Abs. 4),
c) bei Befreiung von der Teilnahme an einzelnen Unterrichtsgegenständen (§ 11 Abs. 6).
(2) Eine gerechtfertigte Verhinderung ist insbesondere: Krankheit des Schülers; mit der Gefahr der Übertragung verbundene Krankheit von Hausangehörigen des Schülers; Krankheit der Eltern oder anderer Angehöriger, wenn sie vorübergehend der Hilfe des Schülers unbedingt bedürfen; außergewöhnliche Ereignisse im Leben des Schülers oder in der Familie des Schülers; Ungangbarkeit des Schulweges oder schlechte Witterung, wenn die Gesundheit des Schülers dadurch gefährdet ist; Dauer der Beschäftigungsverbote im Sinne der Bestimmungen über den Mutterschutz.
(3) Der Schüler hat den Klassenvorstand oder den Schulleiter von jeder Verhinderung ohne Aufschub mündlich oder schriftlich unter Angabe des Grundes zu benachrichtigen. Auf Verlangen des Klassenvorstandes oder des Schulleiters hat die Benachrichtigung jedenfalls schriftlich zu erfolgen. Bei einer länger als eine Woche dauernden Erkrankung oder Erholungsbedürftigkeit oder bei häufigerem krankheitsbedingtem kürzerem Fernbleiben kann der Klassenvorstand oder der Schulleiter die Vorlage eines ärztlichen Zeugnisses verlangen, sofern Zweifel darüber bestehen, ob eine Krankheit oder Erholungsbedürftigkeit gegeben war.
[…]
(5) Wenn ein Schüler einer mittleren oder höheren Schule länger als eine Woche oder fünf nicht zusammenhängende Schultage oder 30 Unterrichtsstunden im Unterrichtsjahr dem Unterricht fernbleibt, ohne das Fernbleiben zu rechtfertigen (Abs. 3) und auch auf schriftliche Aufforderung hin eine Mitteilung binnen einer Woche nicht eintrifft, so gilt der Schüler als vom Schulbesuch abgemeldet (§ 33 Abs. 2 lit. c). Die Wiederaufnahme des Schülers ist nur mit Bewilligung des Schulleiters zulässig, die nur dann zu erteilen ist, wenn das Fernbleiben nachträglich gerechtfertigt wird und die Unterlassung der Mitteilung an die Schule aus rücksichtswürdigen Gründen unterblieben ist.
[…]“
Gemäß § 49 Abs. 1 SchUG ist der Schüler von der Schule auszuschließen, wenn er seine Pflichten (§ 43) in schwerwiegender Weise verletzt und die Anwendung von Erziehungsmitteln gemäß § 47 oder von Maßnahmen gemäß der Hausordnung erfolglos bleibt oder wenn das Verhalten eines Schülers eine dauernde Gefährdung von Mitschülern oder anderer an der Schule tätigen Personen hinsichtlich ihrer Sittlichkeit, körperlichen Sicherheit oder ihres Eigentums darstellt.
Gemäß § 49 Abs. 4 SchUG hat die zuständige Schulbehörde nach Durchführung des Ermittlungsverfahrens die Beendigung des Ausschlußverfahrens festzustellen, wenn die Voraussetzungen im Sinne des Abs. 1 für einen Ausschluß nicht vorliegen. Sie kann zugleich dem Schüler eine Rüge erteilen oder eine Maßnahme nach § 47 Abs. 2 anordnen, wenn sein Verhalten zwar einen Ausschluß nicht begründet, er aber sonst gegen seine Pflichten verstoßen hat. Andernfalls hat die zuständige Schulbehörde den Ausschluß des Schülers mit Bescheid auszusprechen.
§ 70 SchUG lautet (auszugsweise):
„Verfahren
§ 70. (1) Soweit zur Durchführung von Verfahren andere Organe als die Schulbehörden des Bundes berufen sind, finden die allgemeinen Verfahrensbestimmungen des AVG keine Anwendung und sind in den nachstehend angeführten Angelegenheiten die Absätze 2 bis 4 anzuwenden:
[…]
j) Fernbleiben von der Schule (§ 45),
[…]
(2) Der Erlassung einer Entscheidung hat die Feststellung des maßgebenden Sachverhaltes, soweit er nicht von vornherein klar gegeben ist, durch Beweise voranzugehen. Als Beweismittel kommt alles in Betracht, was zur Feststellung des maßgebenden Sachverhaltes geeignet und nach Lage des einzelnen Falles zweckdienlich ist. Dem Schüler (Aufnahmsbewerber, Prüfungskandidaten) ist, sofern der Sachverhalt nicht von vornherein klar gegeben ist oder seinem Standpunkt nicht vollinhaltlich Rechnung getragen werden soll, Gelegenheit zu geben, zu den Sachverhaltsfeststellungen Stellung zu nehmen.
(2a) Das verfahrensleitende Organ hat von den Verfahrensbestimmungen nach Maßgabe der technischen Gegebenheiten abzuweichen, wenn dies für Körper- oder Sinnesbehinderte, die am Verfahren beteiligt sind, erforderlich ist.
(3) Entscheidungen können sowohl mündlich als auch schriftlich erlassen werden. Sofern einem Ansuchen nicht vollinhaltlich stattgegeben wird, kann innerhalb einer Woche eine schriftliche Ausfertigung der Entscheidung verlangt werden.
(4) Die schriftliche Ausfertigung einer Entscheidung hat zu enthalten:
a) Bezeichnung und Standort der Schule, Bezeichnung des entscheidenden Organes;
b) den Inhalt der Entscheidung unter Anführung der angewendeten Gesetzesstellen;
c) die Begründung, wenn dem Standpunkt des Schülers (Aufnahmsbewerbers, Prüfungskandidaten) nicht vollinhaltlich Rechnung getragen wird;
d) Datum der Entscheidung;
e) die Unterschrift des entscheidenden Organes, bei Kollegialorganen des Vorsitzenden;
f) die Belehrung über die Widerspruchsmöglichkeit, wenn dem Ansuchen nicht vollinhaltlich stattgegeben wird.“
Gemäß § 71 Abs. 1 SchuG ist gegen Entscheidungen in den Angelegenheiten des § 70 Abs. 1 Widerspruch an die zuständige Schulbehörde zulässig. Der Widerspruch ist schriftlich (in jeder technisch möglichen Form, nicht jedoch mit E-Mail) innerhalb von fünf Tagen bei der Schule, im Falle der Externistenprüfungen bei der Prüfungskommission, einzubringen.
Gemäß § 71 Abs. 9 SchUG ist gegen andere als in Abs. 1 und 2 dieser Gesetzesstelle genannte Entscheidungen von schulischen Organen ein Widerspruch an die zuständige Schulbehörde nicht zulässig.
§ 3 der Verordnung des Bundesministers für Unterricht und Kunst vom 24.07.1974 betreffend die Schulordnung (Schulordnung), BGBl. Nr. 139/1974, lautet wie folgt:
„§ 3. (1) Bei verspätetem Eintreffen zum Unterricht, zu einer Schulveranstaltung und einer schulbezogenen Veranstaltung hat der Schüler dem Lehrer den Grund seiner Verspätung anzugeben.
(2) Auf das Fernbleiben von der Schule finden Anwendung:
1. für der allgemeinen Schulpflicht unterliegende Schüler § 9 des Schulpflichtgesetzes 1985, BGBl. Nr. 76,
2. für der Berufsschulpflicht unterliegende Schüler § 22 Abs. 3 in Verbindung mit § 9 sowie § 23 des Schulpflichtgesetzes 1985,
3. im übrigen § 45 des Schulunterrichtsgesetzes.
(3) Das verspätete Eintreffen des Schülers zum Unterricht, zu Schulveranstaltungen und schulbezogenen Veranstaltungen, das vorzeitige Verlassen sowie das Fernbleiben von der Schule sind im Klassenbuch zu vermerken. Beim Fernbleiben von der Schule ist auch der Rechtfertigungsgrund anzuführen.“
1.2. Zulässigkeit des Antrags
Die hier anzuwendenden gesetzlichen Bestimmungen des SchUG sind aus folgenden Gründen präjudiziell im Sinne des Art. 89 Abs. 2 iVm Art. 135 Abs. 4 iVm Art. 140 Abs. 1 Z 1 lit. a B-VG:
Das Bundesverwaltungsgericht ist gemäß Art. 89 Abs. 2 iVm Art. 135 Abs. 4 und Art. 140 Abs. 1 Z 1 lit. a B-VG berechtigt, an den Verfassungsgerichtshof den Antrag auf Aufhebung eines Gesetzes zu stellen, gegen dessen Anwendung es aus dem Grund der Verfassungswidrigkeit Bedenken hegt.
Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Widerspruch des Beschwerdeführers gegen die Entscheidung der gegenständlichen Schule betreffend den Antrag auf Wiederaufnahme als unbegründet abgewiesen und dabei begründend im Wesentlichen ausgeführt, dass ein Schüler einer mittleren oder höheren Schule gemäß § 33 Abs. 2 lit. c SchUG als vom Schulbesuch abgemeldet gelte, wenn er länger als eine Woche oder fünf nicht zusammenhängende Schultage oder 30 Unterrichtsstunden im Unterrichtsjahr dem Unterricht fernbleibt, ohne das Fernbleiben zu rechtfertigen. Eine Wiederaufnahme sei nur mit Bewilligung des Schulleiters zulässig und nur dann zu erteilen, wenn das Fernbleiben nachträglich gerechtfertigt wird und die Unterlassung der Mitteilung an die Schule aus rücksichtswüdigen Gründen unterblieben ist. Dies treffe auf den Beschwerdeführer nicht zu, weswegen dieser mit Fristablauf ex lege als vom Schulbesuch abgemeldet gelte. Da das Fernbleiben auch nicht nachträglich gerechtfertigt worden und die Mitteilung an die Schule nicht aus rücksichtswürdigen Gründen unterblieben sei, sei der Antrag auf Wiederaufnahme abzuweisen gewesen.
Verfahrensgegenständlich ist es nicht denkunmöglich ist, dass das Bundesverwaltungsgericht bei der Überprüfung des angefochtenen Bescheides § 45 Abs. 5 SchUG anzuwenden hat (vgl. etwa VfSlg. 10.640/1985, 12.189/1989, 15.237/1998, 16.245/2001 und 16.927/2003, wonach ein Antrag i.S.d. des Art. 140 Abs. 1 Z 1 lit. a B-VG nur dann wegen mangelnder Präjudizialität zurückgewiesen werden kann, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, dass die – angefochtene – generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlassfall bildet). Dies deshalb, da die Wiederaufnahme an die Schule in der einschlägigen Norm des § 45 Abs. 5 SchUG geregelt ist, die belangte Behörde diese Bestimmung auch ausdrücklich als Rechtsgrundlage nennt und auch inhaltlich darauf abstellt, in dem sie diese im vierten Absatz der „Rechtlichen Beurteilung“ wörtlich als Basis für ihre Entscheidung zitiert.
Der Umfang einer auf ihre Verfassungsmäßigkeit hin zu prüfenden und allenfalls aufzuhebenden Gesetzesbestimmung ist derart abzugrenzen, dass die mit der aufzuhebenden Gesetzesstelle in untrennbarem Zusammenhang stehenden Bestimmungen auch erfasst werden (vgl. VfSlg. 13.965/1994 mwN, 16.542/2002, 16.911/2003). Ein untrennbarer Zusammenhang ist anzunehmen, wenn sich die Frage der Verfassungsmäßigkeit der vom Verfassungsgerichtshof anzuwendenden Bestimmungen nicht ohne Mitberücksichtigung weiterer Bestimmungen beantworten lässt, insbesondere deshalb, weil sich ihr (gegebenenfalls verfassungsrechtlich bedenklicher) Inhalt erst mit Blick auf diese weiteren Bestimmungen erschließt. Ein solcher Zusammenhang kann sich aber auch daraus ergeben, dass diese weiteren Bestimmungen durch die Aufhebung der verfassungsrechtlich bedenklichen Normen einen völlig veränderten Inhalt erhielten (vgl. VfSlg. 8155/1977, 8461/1978 uva).
Nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichtes ist für die Bereinigung der wie folgend unter Punkt 1.3. dargelegten verfassungswidrigen Rechtslage die Aufhebung des gesamten § 45 Abs. 5 SchUG – und nicht bloß dessen die Wiederaufnahme regelnden zweiten Satzes – notwendig, da die im ersten Satz leg. cit. geregelte ex lege Abmeldung vom Schulbesuch mit der im zweiten Satz leg. cit. geregelten Wiederaufnahme insofern in einem untrennbaren Zusammenhang steht, als die Wiederaufnahme eines Schüler ohne eine (ex-lege-)Abmeldung vom Schulbesuch ihre gesetzliche Grundlage verlieren würde. Damit ist auch die Bestimmung des § 33 Abs. 2 lit. c SchUG untrennbar verbunden, da mit dieser Bestimmung - bei ungenütztem Ablauf der einwöchigen Frist seit der Zustellung einer schriftlichen Aufforderung zur Rechtfertigung gemäß § 45 Abs. 5 SchUG – ebenfalls die ex lege eintretende Beendigung des Schulbesuches normiert wird. Für den Fall der Aufhebung des § 45 Abs. 5 SchUG bliebe für die Bestimmung des § 33 Abs. 2 lit. c leg. cit. kein Anwendungsbereich, weswegen auch deren Aufhebung beantragt wird.
Sollte der Verfassungsgerichtshof zum Ergebnis gelangen, dass durch die Aufhebung „mehr aus dem Rechtsbestand ausgeschieden wird, als Voraussetzung für den Anlassfall bildet“, so wird auf die jüngste Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes verwiesen, wonach eine zu weite Fassung eines Antrags diesen nicht in jedem Fall unzulässig macht. Soweit alle vom Antrag erfassten Bestimmungen präjudiziell sind oder der Antrag mit solchen untrennbar zusammenhängenden Bestimmungen erfasst, führt dies – ist der Antrag in der Sache begründet – im Fall der Aufhebung nur eines Teils der angefochtenen Bestimmungen im Übrigen zu seiner teilweisen Abweisung (vgl. VfGH 8.10.2014, G 83/2014 u.a.; 9.12.2014, G 136/2014 u.a.; 10.3.2015, G 203/2014 u.a.).
1.3. Bedenken
1.3.1. Wie dem Gesetzeswortlaut zu entnehmen ist, ist Voraussetzung für die ex lege Beendigung des Schulbesuchs und eine etwaige damit einhergehende Beantragung der Wiederaufnahme an der Schule, dass das Verfahren nach § 45 Abs. 5 SchUG eingehalten wird. Die schriftliche Aufforderung nach § 45 Abs. 5 SchUG muss den Auftrag enthalten, das Fernbleiben vom Unterricht binnen einer Woche - gerechnet vom Tag der Zustellung der Aufforderung an den Schüler - zu rechtfertigen. Bei Nichteintreffen einer Mitteilung innerhalb der Frist gilt der Schüler als vom Schulbesuch abgemeldet.
Aus dem Gesetzeswortlaut ist erkennbar, dass eine bloße Mitteilung über das Fernbleiben nicht ausreichend ist, um dieses zu rechtfertigen, sondern, dass ein gerechtfertigtes Fernbleiben zu belegen ist. Dazu kann gemäß § 45 Abs. 3 SchUG auch die Beibringung eines ärztlichen Attestes verlangt werden (wobei die Aufnahme einer Diagnose in das ärztliche Attest nicht zwingend vorgesehen ist; vgl. etwa Jonak-Kövesi, Das österreichische Schulrecht, 14. Auflage, FN 8 zu § 45 SchUG).
In ihrem ursprünglichen Wortlaut diente die Bestimmung des § 45 Abs. 5 SchUG, idF BGBl. Nr. 472/1986, dazu, Schüler, die länger als eine Woche dem Unterricht ohne Rechtfertigung fernbleiben, wenn zusätzlich auf Aufforderung nach einer weiteren Woche keine Mitteilung eintrifft, ex lege aus dem Schülerstand auszuscheiden. Mit BGBl. I Nr. 35/2018 wurde der Tatbestand der ex lege Beendigung des Schulbesuches auch auf jene Fälle ausgeweitet, in denen ein Schüler innerhalb eines Unterrichtsjahres 5 nicht zusammenhängende Schultage oder 30 Unterrichtsstunden dem Unterricht fernbleibt.
Den parlamentarischen Materialien zu § 45 Abs. 5 SchUG (siehe AA-18 XXVI. GP 78) ist insbesondere zu entnehmen, dass die „Regelungen betreffend das Fernbleiben von der Schule auch für Schülerinnen und Schüler, die die Schulpflicht bereits beendet haben, nachgeschärft werden. Künftig soll an diese Schülerinnen und Schüler von mittleren und höheren Schulen ab dem sechsten Schultag oder ab der 31. Unterrichtsstunde, dem bzw. der eine Schülerin oder ein Schüler in einem Unterrichtsjahr ferngeblieben ist, eine schriftliche Aufforderung ergehen, das Fernbleiben zu rechtfertigen. Dafür bleibt eine Woche Zeit ab Zustellung der schriftlichen Mitteilung. Sollte es keinen Rechtfertigungsgrund für das Fernbleiben geben oder diese Rechtfertigung nicht rechtzeitig erfolgen, gilt die betroffene Schülerin oder der betroffene Schüler wie bisher als vom Schulbesuch abgemeldet. Um eine Rechtfertigung zu überprüfen, kann auch ein ärztliches Attest verlangt werden (§ 45 Abs. 3).“
Die Regierungsvorlage (RV 107 BlgNR XXVI. GP, 39, zu Art. 4 Z 8 und 9 SchPflG) spricht ebenso von einer Verschärfung des Systems des § 45 SchUG und der Einführung von Sanktionen für ein ungerechtfertigtes Fernbleiben vom Unterricht (als Pendant zu § 24 Abs. 4 und 5 SchPflG, wonach der Begriff „Schulpflichtverletzung“ konkretisiert wurde und eine klare Grenze – mit drei [aufeinanderfolgenden oder nicht aufeinanderfolgenden] Unterrichtstagen – gesetzt wurde, ab der eine Schulpflichtverletzung jedenfalls zur Anzeige zu bringen ist). So führte der Gesetzgeber insbesondere aus, dass „auch hier […] Melde- und Informationspflichten des Schülers bzw. der Erziehungsberechtigten vorgesehen [sind] und wird davon ausgegangen, dass bei verantwortungsvollem Umgang mit diesen Pflichten keine Schwierigkeiten darin bestehen werden, eine Rechtfertigung des Fernbleibens oder dessen Nichtrechtfertigung auch mit den Erziehungsberechtigten einverständlich festzustellen. Anders als nach dem Schulpflichtgesetz 1985 wird ungerechtfertigtes Fernbleiben von nicht der Schulpflicht unterliegenden Schülerinnen und Schülern nicht strafrechtlich sanktioniert, wenngleich es nicht zuletzt im Hinblick auf den Aufwand der öffentlichen Hand nicht minder verpönt ist. Siehe in diesem Zusammenhang auch die in § 8 der Schulordnung vorgesehenen Erziehungsmittel […].
Für die unterschiedlichsten Fälle von Schulpflichtverletzungen kann es keine allgemeingültige konkrete Anordnung gesetzlicher Art geben. Vielmehr ist verantwortungsbewusstes Vorgehen am Standort in der konkreten Situation erforderlich. Zumal verantwortungsbewusstes Handeln an den Schulen vorauszusetzen ist, soll mit vorliegendem Entwurf ein Rahmen vorskizziert werden, an dem sich Schulleiterinnen und Schulleiter orientieren können und sollen. Ziel ist es jedenfalls auch, weitgehende Einheitlichkeit im Umgang mit Schulpflichtverletzungen zu erreichen. Weiters soll Bürokratie abgeschafft werden, ohne dass die zur Verfügung stehenden Möglichkeiten (Schulpsychologie, Schulsozialarbeit ua. Unterstützungen etwa durch Beratungslehrer, Schülerberater, Psychagogen, Jugendcoachs) eingeschränkt werden. Schulautonome Maßnahmen sollen höchstmögliche Effizienz sicherstellen.“
1.3.2. Gegenständlich ist überdies § 49 SchUG näher zu beleuchten, da auch diese Bestimmung des SchUG eine Rechtsfolge für ein ungerechtfertigtes Fernbleiben vom Unterricht vorsieht:
So sieht § 49 erster Satz SchUG den Ausschluss eines Schülers vor, wenn dieser seine in § 43 SchUG normierten Pflichten in schwerwiegender Weise verletzt – vorausgesetzt die Anwendung von Erziehungsmitteln gemäß § 47 leg. cit. oder von Maßnahmen gemäß der Hausordnung blieb erfolglos (zur Pflichtverletzung infolge ungerechtfertigten Fernbleibens siehe Jonak-Kövesi, Das österreichische Schulrecht, 14. Auflage, FN 3 zu § 49 SchUG sowie VwGH 24.11.1986, 86/10/0133, wonach ein Verstoß des Schülers gegen die ihm in § 45 Abs. 3 SchUG auferlegte Benachrichtigungspflicht in Extremfällen als schwerwiegende Verletzung von Schülerpflichten qualifiziert wird und VwGH 19.10.1987, 87/10/0135, wonach ein ungerechtfertigtes Fernbleiben in einem Ausmaß von knapp 40 % als schwerwiegende Verletzung von Schülerpflichten zu qualifizieren ist, welche die in § 2 Schulorganisationsgesetz grundgelegte Aufgabe der österreichischen Schule ernstlich zu gefährden geeignet ist).
§ 49 Abs. 2 und 4 SchUG enthält bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 49 Abs. 1 leg. cit. besondere Verfahrensbestimmungen. So hat die Schulkonferenz nach § 49 Abs. 2 SchUG bei Vorliegen der Voraussetzungen nach Abs. 1 einen Antrag auf Ausschluss des Schülers an die Schulbehörde erster Instanz zu stellen, wobei dem Schüler Gelegenheit zur Rechtfertigung zu geben ist und den Erziehungsberechtigten ein Recht zur Abgabe einer Stellungnahme zukommt. Die Schulkonferenz hat bei ihrer Beratung die für und gegen den Ausschluss sprechenden Gründe zu berücksichtigen und ihren Antrag zu begründen. Eine Zweitschrift des Antrages ist dem Schüler zuzustellen.
Nach § 49 Abs. 4 SchUG hat die Schulbehörde erster Instanz nach Durchführung des Ermittlungsverfahrens die Beendigung des Ausschlussverfahrens festzustellen, wenn die Voraussetzungen im Sinne des Abs. 1 für einen Ausschluss nicht vorliegen. Sie kann zugleich dem Schüler eine Rüge erteilen oder eine Maßnahme nach § 47 Abs. 2 SchUG anordnen, wenn sein Verhalten zwar einen Ausschluss nicht begründet, er aber sonst gegen seine Pflichten verstoßen hat. Andernfalls hat die Schulbehörde erster Instanz den Ausschluss des Schülers mit Bescheid auszusprechen. In diesem Fall verbleibt dem Schüler die Möglichkeit, den Bescheid mittels Beschwerde zu bekämpfen.
1.3.3. Das Bundesverwaltungsgericht legt seine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die angefochtene Bestimmung des SchUG im Wesentlichen wie folgt dar:
Die jeweilige Vorgehensweise der Schule bewirkt letztlich unterschiedliche Rechtsfolgen mit unterschiedlich ausgeprägtem Rechtschutz, wobei aus den Bestimmungen des SchUG nicht erkennbar ist, nach welchen Kriterien eine Anwendung von § 45 Abs. 5 SchUG bzw. von § 49 Abs. 1 SchUG geboten erscheint.
Vielmehr erfolgt die Abmeldung gemäß § 45 Abs. 5 SchUG ex lege eine Woche nach fruchtlosem Ablauf der Aufforderung zur Rechtfertigung, ohne dass es weiterer Verfahrensschritte bedarf. Dies wiegt umso schwerer, als oft schon zum Zeitpunkt der Aufforderung bereits feststeht, dass das Fernbleiben nicht gerechtfertigt war, bzw. da sich die 5 Tage bzw. 30 Unterrichtsstunden über das gesamte Schuljahr verteilen können, eine Rechtfertigung in Folge Zeitablauf (etwa die Einholung eines ärztlichen Attestes nach mehreren Monaten) nicht mehr möglich ist. Eine nähere Determinierung, ob eine solche Aufforderung in jedem Fall zu erfolgen hat, bzw. unter welchen Voraussetzungen eine solche zu unterbleiben hat oder unterbleiben kann, ist der Bestimmung nicht zu entnehmen.
1.3.3.1. Vor diesem Hintergrund hegt das Bundesverwaltungsgericht Bedenken, dass § 45 Abs. 5 SchUG dem auch den Gesetzgeber bindenden Gleichheitsgrundsatz widerspricht:
Ein solche Verletzung kann nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg. 10. 413/1985, 14. 842/1997, 15. 326/1998 und 16. 488/2002) nur vorliegen, wenn der angefochtene Bescheid auf einer dem Gleichheitsgebot widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, wenn die Behörde der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn sie bei Erlassung des Bescheides Willkür geübt hat. So bindet der Gleichheitsgrundsatz auch den Gesetzgeber (s. etwa VfSlg. 13. 327/1993, 16. 407/2001). Er setzt ihm insofern inhaltliche Schranken, als er verbietet, sachlich nicht begründbare Regelungen zu treffen (vgl. zB. VfSlg. 14. 039/1995, 16.407/2001).
Es ist für das Bundesverwaltungsgericht keine sachliche Rechtfertigung dafür ersichtlich, dass der Gesetzgeber im Wesentlichen gleiche Sachverhalte (nicht gerechtfertigtes Fernbleiben vom Unterricht in einem bestimmten Ausmaß) ungleich regelt und somit unterschiedliche Rechtsfolgen zulässt.
So erscheint § 45 Abs. 5 SchUG in Zusammenhang mit § 49 Abs. 1 SchUG unsachlich, da für ein und denselben Tatbestand (Verletzung von Schülerpflichten durch nicht gerechtfertigtes Fernbleiben vom Unterricht), je nachdem, wie die Schule weiter vorgeht, eine unterschiedliche Rechtsfolge im Ergebnis bewirkt wird. Denn der Gesetzgeber des § 45 Abs. 5 SchUG und des § 49 Abs. 1 SchUG sieht nicht zwingend vor, ob in einem Fall wie dem Anlassfall das Verfahren gemäß § 49 Abs. 1 SchUG einzuleiten ist oder ob die Schule auf Grund von § 45 Abs. 5 SchUG von der ex lege Abmeldung des Schülers auszugehen hat.
Darüber hinaus ist nicht ersichtlich, wieso gerade im Fall des in § 45 Abs. 5 SchUG geregelten Schulausschlussgrundes im Gegensatz zu den sonstigen Schulausschlussgründen, die gemäß § 49 SchUG einem ordentlichen Verfahren unterliegen, ein derartiges Verfahren nicht vorgesehen ist.
1.3.3.2. Das Bundesverwaltungsgericht hegt darüber hinaus auch Bedenken, dass § 45 Abs. 5 SchUG gegen das in Art. 18 Abs. 1 B-VG verankerte Rechtsstaatsprinzip verstößt:
Das in Art 18 Abs. 1 B-VG verankerte Rechtsstaatsprinzip gebietet, dass Gesetze einen Inhalt haben müssen, durch den das Verhalten der Behörde oder des Gerichts vorherbestimmt ist. Angesichts der unterschiedlichen Lebensgebiete, Sachverhalte und Rechtsfolgen, die Gegenstand und Inhalt gesetzlicher Regelung sein können, ist dabei ganz allgemein davon auszugehen, dass Art. 18 B-VG einen dem jeweiligen Regelungsgegenstand adäquaten Determinierungsgrad verlangt (zB VfSlg 19.700/2012 mwN). Ob eine Norm dem rechtsstaatlichen Determinierungsgebot entspricht, richtet sich nicht nur nach ihrem Wortlaut, sondern auch nach ihrer Entstehungsgeschichte, dem Gegenstand und dem Zweck der Regelung (vgl. VfSlg 8209/1977, 9883/1983, 12.947/1991). Bei der Ermittlung des Inhaltes einer gesetzlichen Regelung sind daher alle der Auslegung zur Verfügung stehenden Möglichkeiten auszuschöpfen. Erst wenn nach Heranziehung sämtlicher Interpretationsmethoden nicht beurteilt werden kann, wozu das Gesetz ermächtigt, verletzt die Regelung die in Art der 18 B-VG enthaltenen rechtsstaatlichen Erfordernisse (VfSlg 16.137/2001 mwN, 20.130/2016). Im Sinne des Art. 18 Abs. 1 B-VG bedarf es der Vorherbestimmung konkreter Rechtswirkungen (siehe VfSlg 19.934/2014; vgl. auch VfSlg 15.059/1997, 19.509/2011, sowie jüngst VfSlg. 20.235/2018).
Jeder Vollzugsakt muss materiell und formell auf das Gesetz zurückführbar sein; es müssen sowohl Tatbestand und Rechtsfolge (materielles Recht) als auch das zur Vollziehung zuständige Organ (Behördenkompetenz) und sein Vorgehen (Verfahren) gesetzlich geregelt sein (siehe Walter/Mayer/Kucsko-Stadlmayer, Bundesverfassungsrecht10 [2007], Rz 573).
Wie bereits oben ausgeführt bewirkt die jeweilige Vorgehensweise der Schule unterschiedliche Rechtsfolgen mit unterschiedlich ausgeprägtem Rechtsschutz, wobei aus den Bestimmungen des SchUG nicht erkennbar ist, nach welchen Kriterien eine Anwendung von § 45 Abs. 5 SchUG bzw. von § 49 Abs. 1 SchUG geboten erscheint. Aus den Materialien (siehe Punkt II 1.3.1.) zu § 45 Abs. 5 SchUG lässt sich ebenso nicht entnehmen, in welchem Verhältnis § 45 Abs. 5 SchUG und § 49 SchUG zueinander stehen.
Gleichermaßen können aus § 3 Abs. 2 Z 3 Schulordnung, wonach auf das Fernbleiben von der Schule „im übrigen § 45 des Schulunterrichtsgesetzes“ Anwendung findet, keine weiteren Erkenntnisse gewonnen werden, zumal diese Bestimmung auch keine dem Rechtsstaatlichkeitsgebot entsprechenden Determinierungen bietet, wonach der Rechtsunterworfene das Handeln der Verwaltungsbehörde vorhersehen kann.
Im Übrigen fehlt überhaupt eine Bestimmung, mit der der Schule die Möglichkeit eingeräumt wird, eine (bekämpfbare) Entscheidung zu erlassen. Zwar ist das Fernbleiben von der Schule (§ 45 SchUG) in § 70 Abs. 1 lit. j SchUG aufgezählt, jedoch tritt die im § 45 Abs. 5 iVm § 33 Abs. 1 lit. c SchUG vorgesehene Rechtsfolge (anders als zB. in Abs. 4 leg.cit.) ex lege ein, ohne dass eine diesbezügliche Entscheidung vorgesehen wäre. Dabei ist zu beachten, dass für Verfahren der Schule gemäß § 70 Abs. 1 SchUG die Bestimmungen des AVG keine Anwendung finden und nur die in § 71 Abs. 1 SchUG und § 71 Abs. 2 SchUG taxativ aufgezählten Entscheidungen einem Widerspruch zugänglich sind (vgl. VwGH 21.12.2016, Ra 2016/10/0106).
Hinzu kommt, dass es, wie oben bereits ausgeführt, mehr oder weniger der freien Entscheidung der Schulleitung überlassen bleibt, ob und wann eine entsprechende Aufforderung veranlasst wird, die Voraussetzung für die ex lege eintretende Rechtsfolge ist.
Abgesehen davon enthält § 45 Abs. 5 SchUG keine ausreichende Determinierung und bleibt unter Heranziehung der Materialen überdies unklar, ob für den Eintritt der ex lege Abmeldung sämtliche 5 Tage bzw. 30 Unterrichtsstunden zu rechtfertigen sind, oder ob die Rechtsfolge nur dann Eintritt, wenn nach der Rechtfertigung noch mindestens 5 Tage bzw. 30 Unterrichtsstunden als ungerechtfertigt übrigbleiben. Fraglich bleibt in diesem Zusammenhang auch, ob ein Schultag auch dann als ganzer zu zählen sein wird, wenn an diesem nur eine einzige stundenplanmäßige Unterrichtseinheit vorgesehen ist und ein Schüler ungerechtfertigt fernbleibt.
Weiters geht aus den Materialen zur angefochtenen Bestimmung nicht hervor, ob die in § 45 Abs. 5 zweiter Satz SchUG geregelte Wiederaufnahme des Schülers, ex tunc oder ex nunc wirkt, zumal die ex lege Abmeldung eines Schülers weitere Veranlassungen (vgl. etwa § 33 Abs. 3 SchUG) und Folgen (wie beispielsweise die Rückzahlung der Familienbeihilfe; dazu etwa VwGH 18.11.2009, 2009/13/0118) nach sich zieht bzw. nach sich ziehen kann. In diesem Zusammenhang wird auch zu erörtern sein, ob zwischenzeitlich verpasste Prüfungen nachgeholt werden können.
1.3.3.3. Aus den oben angeführten Gründen hegt das Bundesverwaltungsgericht auch Bedenken, dass durch die angefochtene Bestimmung das Recht auf den gesetzlichen Richter im Sinne des Art. 83 Abs. 2 B-VG verletzt ist.
Der Verfassungsgerichtshof behebt ein Gesetz, das die Zuständigkeit nicht hinreichend determiniert wegen Verstoßes gegen Art. 18 Abs. 1 iVm Art. 83 Abs. 2 B-VG. Im Unterschied zu Art. 18 B-VG vermittelt Art. 83 Abs. 2 B-VG aber keinen differenzierten Determinierungsmaßstab: Der Gesetzgeber wird „zu einer – strengen Prüfungsmaßstäben standhaltenden – präzisen Regelung der Behördenzuständigkeit“ verpflichtet, die sich „nach objektiven Kriterien“ aus dem Gesetz ergeben muss. Diesen Anforderungen widerspricht es, wenn die Zuständigkeit von Umständen abhängt, die vom Rechtsunterworfenen nicht vorhersehbar sind und eine willkürliche Änderung der Zuständigkeit ermöglichen (siehe Khakzadeh-Leiler in Kneihs/Lienbacher, Bundesverfassungsrecht Art 83 Abs 2, B-VG Rz 17.
Gegenständlich liegt dieser Fall vor, da für den Normunterworfenen nicht vorhersehbar ist, ob seitens der Schule mit einem Verfahren gemäß § 49 SchUG vorgegangen wird oder ob, durch eine Aufforderung gemäß § 45 Abs. 5 SchUG die Beendigung des Schulbesuches ex lege eingeleitet wird.
Wie oben bereits ausgeführt wird, steht durch Zeitablauf de facto bereits zum Zeitpunkt der Aufforderung fest, dass die in der Vergangenheit liegenden Fehlzeiten nicht mehr gerechtfertigt werden können. In einem Verfahren gemäß § 49 SchUG wäre hingegen von der Behörde nach Durchführung eines Ermittlungsverfahrens der Ausschluss mit (in der Folge bekämpfbarem) Bescheid auszusprechen.
1.4. Aus diesen Gründen erscheint nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichtes die beantragte Aufhebung der angefochtenen Bestimmung durch den Verfassungsgerichtshof geboten.
2. Zu Spruchpunkt B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 9 B-VG iVm. § 25a Abs. 3 VwGG nicht zulässig.
Schlagworte
Abmeldung Determinierungsgebot ex lege - Beendigung Fernbleiben vom Unterricht Gesetzesprüfung gesetzlicher Richter Gesetzprüfungsantrag Gleichheitsgrundsatz Präjudizialität verfassungswidrig VfGHEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:W203.2226540.1.00Im RIS seit
03.12.2020Zuletzt aktualisiert am
03.12.2020