TE Bvwg Beschluss 2020/8/10 L510 2231799-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 10.08.2020
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Entscheidungsdatum

10.08.2020

Norm

AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §9
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch

L510 2231799-1/2E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch den Richter Mag. INDERLIETH als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. ungeklärt, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 06.05.2020, Zl. XXXX :

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben, der angefochtene Bescheid gemäß § 28 Abs 3 VwGVG aufgehoben und die Angelegenheit an die belangte Behörde zur Erlassung eines neuen Bescheides zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Begründung:

I. Verfahrensgang:

1. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 26.07.2004 wurde der Beschwerdeführerin der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (IZR).

2. Mit gegenständlich angefochtenem Bescheid vom 06.05.2020 wurde der Beschwerdeführerin (I.) der Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 AsylG von Amts wegen aberkannt, (II.) die erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 9 Abs. 4 AsylG entzogen und (III.) ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (AS 91ff).

3. Mit Schriftsatz vom „18.5.2019“ (richtig wohl 18.05.2020) erhob die Beschwerdeführerin fristgerecht Beschwerde gegen diesen Bescheid (AS 129ff).

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Sachverhaltsfeststellungen:

1.1. Die Beschwerdeführerin wurde XXXX geboren. Sie weist eine psychische Beeinträchtigung auf (Verwaltungsverfahrensakt des BFA beginnend mit dem Antrag der Beschwerdeführerin vom 04.03.2004 (VA1), AS 219, 223). Die Beschwerdeführerin gab an, dass ihre Mutter armenische Staatsangehörige sei, dass ihr Vater syrischer Staatsangehöriger sei/gewesen sei und dass sie in Aleppo geboren worden sei (VA1, AS 1). Zum Vater besteht kein Kontakt (mehr). Ihre Großmutter gab gegenüber dem (damals zuständigen) Bundesasylamt (BAA) insbesondere an, dass die Beschwerdeführerin bis 1999 in Syrien gelebt habe, danach mit ihrer Mutter nach Belgien und danach nach Deutschland gegangen sei. Die Mutter der Beschwerdeführerin sei psychisch krank und habe sich nicht um die Beschwerdeführerin kümmern können (VA1, AS 19, 21).

Die Obsorge der damals minderjährigen Beschwerdeführerin wurde im Jahr 2003 durch Beschluss eines österreichischen Bezirksgerichtes auf deren Großeltern übertragen (VA1, AS 3). Eine Erwachsenenvertretung für die nunmehr volljährige Beschwerdeführerin sei deshalb nicht veranlasst worden, da die Großeltern der Beschwerdeführerin für diese sorgen (Verwaltungsverfahrensakt des BFA zum gegenständlichen Aberkennungsverfahren (VA2), AS 81).

1.2. In allen in den vorgelegten Akten enthaltenen Schreiben zwischen 2004 und 2007, sowie aus den Jahren 2013, 2014 und 2018 wird von Seiten der belangten Behörde als auch von Seiten der Beschwerdeführerin angeführt, dass die Staatsangehörigkeit der Beschwerdeführerin ungeklärt sei (VA1, AS 9, 15, 17, 25, 53, 57, 59, 63, 87, 137, 155, 203).

1.3. Im Bescheid des BAA vom 26.07.2004 steht zunächst bei der Anführung der Identität, dass die Staatangehörigkeit ungeklärt sei (VA1, AS 29). Dem Spruch des Bescheides ist zu entnehmen, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Armenien nicht zulässig sei (VA1, AS 29) und in den Feststellungen wird dargelegt, dass der „Herkunftsstaat“ der Beschwerdeführerin Armenien sei (VA1, AS 37).

In den Bescheiden des BAA vom 08.06.2005, 23.05.2006, 13.06.2007, 21.05.2012, 30.04.2013, 13.06.2014 und vom 26.04.2016 wird die Staatsangehörigkeit der Beschwerdeführerin als ungeklärt angegeben (VA1, AS 65, 81, 109, 127, 145, 157, 187).

1.4. Im VA1 ist eine Kopie eines unübersetzt gebliebenen Dokumentes enthalten, welches die Notiz „Kopie von Original“ und „Geburtsurkunde Jerewan“ aufweist (VA1, AS 117).

1.5. Das österreichische Zentrale Melderegister enthält die Information, dass die Staatsangehörigkeit der Beschwerdeführerin nicht geklärt sei (diverse Auszüge in den Akten).

1.6. Den Strafregisterauszügen betreffend die Beschwerdeführerin, die am 29.04.2013 und am 26.04.2016 von der belangten Behörde eingeholt wurden, ist zu entnehmen, dass die Beschwerdeführerin in Aleppo geboren worden sei und Staatsangehörige von Syrien sei (VA1, AS 141, 185).

1.7. Dem Einvernahmeprotokoll des BFA vom 13.07.2018 ist zu entnehmen, dass die Staatsangehörigkeit der Beschwerdeführerin ungeklärt sei (VA1, AS 213), sowie dass die Beschwerdeführerin keine Kenntnis über ihre Staatsangehörigkeit habe (VA1, AS 214), die Mutter Armenierin und der Vater Syrer (gewesen) sei (VA1, AS 214). Auch bereits in ihrem Antrag auf Asyl vom 04.03.2004 gab die Beschwerdeführerin an, dass ihre Mutter armenische Staatsangehörige sei, ihr Vater syrischer Staatsangehöriger und dass sie in Aleppo geboren worden sei (VA1, AS 1).

1.8. Dem Bescheid des BFA vom 16.08.2018 (VA2, AS 5ff), der bei der Anführung der Identität der Beschwerdeführerin Armenien aufweist, sind dem Abschnitt Beweiswürdigung folgende Überlegungen zu entnehmen (Orthographie im Original):

„Die Feststellungen zu Ihrer armenischen Staatsangehörigkeit ergibt sich einerseits aus dem Akteninhalt und andererseits aus dem armenischen Staatsbürgerschaftsgesetz.

Artikel 11 des armenischen Staatsbürgerschaftsgesetzes besagt, dass ein Kind, dessen Eltern zum Zeitpunkt der Geburt armenische Staatsbürger waren, die armenische Staatsbürgerschaft unabhängig vom Geburtsort erhalten soll.

Wenn zum Zeitpunkt der Geburt ein Elternteil armenischer Staatsbürger ist und der andere Elternteil unbekannt oder staatenlos ist, soll die armenische Staatsbürgerschaft erhalten.

Wenn zum Zeitpunkt der Geburt ein Elternteil armenischer Staatsbürger ist und das andere Elternteil eine anderen Staatsbürgerschaft hat, soll die Staatbürgerschaft des Kindes durch ein gemeinsames Abkommen der Eltern bestimmt werden.

Wenn es kein solches Abkommen gibt, soll das Kind die armenische Staatsbürgerschaft erhalten, wenn es auf dem Territorium der Republik Armenien geboren wurde oder staatenlos würde, wenn es die armenische Staatsangehörigkeit nicht erhalten würde, oder wenn die Eltern ihren dauerhaften Aufenthalt auf dem Territorium der Republik Armenien haben.

Umgelegt auf Ihren Fall bedeutet dies, dass Sie in Armenien als Tochter einer armenischen Staatsangehörigen geboren wurden.“

1.9. Mit Bescheid vom 28.08.2018, der bei der Anführung der Identität der Beschwerdeführerin „ungeklärt“ aufweist, hob das BFA seinen Bescheid vom 16.08.2018 zur Gänze auf (VA2, AS 61ff).

1.10. Im Aktenvermerk vom 23.04.2020, in der Aufforderung zur Stellungnahme vom 23.04.2020, im E-Mail des BFA vom 08.05.2020 und der Verfahrensanordnung vom 08.05.2020 ist jeweils angeführt, dass die Staatsangehörigkeit der Beschwerdeführerin ungeklärt sei (VA2, AS 71, 77, 89, 115).

1.11. In ihrer Stellungnahme vom 30.04.2020 führt die Beschwerdeführerin unter anderem aus, dass sich aus ihrer Aufenthaltskarte des MA35, welche das BFA selbst erwähnt habe [Anm. BVwG: Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt EU“ gültig von XXXX bis XXXX ], eine syrische Staatsangehörigkeit ergebe (AS 81).

1.12. Der gegenständlich angefochtene Bescheid vom 06.05.2020 enthält zunächst zur Anführung der Identität der Beschwerdeführerin Folgendes:

„Frau XXXX

XXXX

ungeklärt“.

In den Feststellungen ist angeführt, dass die Beschwerdeführerin den Vornamen „ XXXX “ führe, am „ XXXX “ in Armenien geboren sei, armenische Staatsangehörige sei und ihre Identität feststehe (VA2, AS 94).

2. Beweiswürdigung:

Sämtliche Feststellungen ergeben sich aus den vorgelegten Verwaltungsverfahrensakten des BFA bzw. des zuvor zuständigen BAA, wobei auf die bereits in den Feststellungen angeführten Fundstellen hingewiesen wird. Der festgestellte Sachverhalt ist nicht strittig.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

Zurückverweisung gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG

3.1. Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht (Z1) oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist (Z2). Gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vorliegen, in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

Entsprechend der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu § 28 VwGVG verlangt es das in § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (VwGH 17.03.2016, Ra 2015/11/0127; 29.04.2015, Ra 2015/20/0038; 26.06.2014, Ro 2014/03/0063 RS29).

3.2. Gegenständlich ist den Verwaltungsverfahrensakten des BFA nicht zu entnehmen, dass das BFA Ermittlungstätigkeiten betreffend die Feststellung der Staatsangehörigkeit der Beschwerdeführerin unternommen hätte. Die Staatsangehörigkeit ist jedoch (u.a.) wesentliche Voraussetzung für die Prüfung der vom BFA vorgenommenen Aberkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten aufgrund einer Änderung der Lage im Herkunftsstaat.

Wie dem festgestellten Sachverhalt zu entnehmen ist, kann das BFA selbst nicht von einer geklärten Staatsangehörigkeit der Beschwerdeführerin ausgehen, zumal sogar noch der gegenständlich angefochtene Bescheid vom 06.05.2020 „ungeklärt“ als Staatsangehörigkeit bei der Anführung der Identität der Beschwerdeführerin aufweist, so wie auch die zahlreichen vorangegangenen Schreiben des BFA an die Beschwerdeführerin bzw. die Bescheide des BFA betreffend die Beschwerdeführerin (vgl. Feststellungen oben). Auch das Zentrale Melderegister weist eine ungeklärte Staatsangehörigkeit der Beschwerdeführerin auf.

Das BFA verweist darauf, dass die Staatsangehörigkeit der Beschwerdeführerin bereits seit dem rechtskräftigen Bescheid des BAA vom 26.07.2004 feststehe und diese armenisch sei. Jenem Bescheid ist jedoch nicht zu entnehmen, dass das BAA festgestellt hätte, dass die Staatsangehörigkeit der Beschwerdeführerin jene von Armenien ist, wurde in jenem Bescheid doch lediglich festgestellt, dass der „Herkunftsstaat“ der Beschwerdeführerin Armenien sei (VA1, AS 37). Gemäß § 1 Z 4 AsylG in der zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung geltenden Rechtslage (entspricht § 2 Abs. 1 Z 17 AsylG in der derzeit geltenden Rechtslage) ist Herkunftsstaat jener Staat, dessen Staatsangehörigkeit Fremde besitzen, oder – im Falle der Staatenlosigkeit – der Staat des früheren gewöhnlichen Aufenthaltes. Die bloße Anführung des Herkunftsstaates lässt somit keinen eindeutigen Rückschluss auf die Staatsangehörigkeit eines Fremden zu. Die tatsächliche Staatsangehörigkeit der Beschwerdeführerin ist diesem Bescheid gerade eben nicht zu entnehmen, bei der Anführung der Identität der Beschwerdeführerin wurde die Staatsangehörigkeit als ungeklärt vermerkt (VA1, AS 29). Es sind dem Akt des BAA auch keine Ermittlungsschritte hinsichtlich der Feststellung der Staatsangehörigkeit der Beschwerdeführerin zu entnehmen, die zur Erlassung des Bescheides vom 26.07.2004 gesetzt worden wären. Insofern wird auch darauf hingewiesen, dass das BAA ein vorgelegtes fremdsprachiges Dokument, welches den Anschein einer Geburtskunde aufweist, nicht übersetzen ließ, sondern lediglich „Kopie von Original“ und „Geburtsurkunde Jerewan“ darauf vermerkte (VA1, AS 117). Besonders auffällig ist der auf diesem Dokument aufgedruckte Stempel, der, obwohl schlecht lesbar, die Vermutung zulässt, dass das Dokument von einem Generalkonsulat der Republik Armenien ausgestellt wurde. Die Ausstellung einer Geburtsurkunde durch ein Generalkonsulat Armeniens wäre damit in Einklang zu bringen, dass die Beschwerdeführerin, wie sie stets vorbrachte, in Aleppo (Syrien) geboren sei und dort die ersten Jahre ihres Lebens verbracht habe.

Dem entgegengesetzt geht das BFA im seinem Bescheid vom 16.08.2018 davon aus, dass die Beschwerdeführerin in Armenien geboren worden sei. Aufgrund welcher Überlegungen das BFA von dieser Annahme ausging, ist jedoch nicht angeführt und ergibt sich auch sonst nicht. Aus jenem Bescheid geht auch hervor, dass sich das BFA auf Art. 11 des armenischen Staatsbürgerschaftsgesetzes beziehe. Dabei übersieht das BFA aber, dass es keinen ordnungsgemäß ermittelten Sachverhalt zur Verfügung hatte, den es unter diese Bestimmung subsumieren hätte können. Das BFA ging offensichtlich davon aus, dass der Vater der Beschwerdeführerin syrischer Staatsangehörigkeit ist und die Mutter armenischer Staatsangehörigkeit (wie es die Beschwerdeführerin auch stets angab). Nach der vom BFA angewendeten Bestimmung wäre somit zunächst zu klären, ob es ein gemeinsames Abkommen der Eltern gibt, durch das die Staatsangehörigkeit des Kindes, also der Beschwerdeführerin, bestimmt worden ist. Das BFA hat aber nicht ermittelt, ob es ein solches Abkommen gibt. In einem Fall, in dem es kein solches Abkommen gibt, soll das Kind die armenische Staatsbürgerschaft erhalten, wenn es auf dem Territorium der Republik Armenien geboren wurde oder staatenlos würde, wenn es die armenische Staatsangehörigkeit nicht erhalten würde, oder wenn die Eltern ihren dauerhaften Aufenthalt auf dem Territorium der Republik Armenien haben. Dass die Beschwerdeführerin in Armenien geboren wurde, hat das BFA zwar angenommen, steht jedoch keinesfalls fest (vgl. dazu Angaben der Beschwerdeführerin als auch die unübersetzt gebliebene, vermeintliche Geburtsurkunde). Dass die Beschwerdeführerin staatenlos geworden wäre, wenn sie nicht von ihrer Mutter die armenische Staatsangehörigkeit übertragen bekommen hätte, kann ohne weitere Ermittlungsschritte auch nicht gesagt werden, da es zumindest nicht ausschließbar ist, dass die Beschwerdeführerin die syrische Staatsangehörigkeit ihres Vaters (sofern es den Tatsachen entspricht, dass der Vater syrischer Staatsangehöriger ist) hätte bekommen können. Davon, dass die Eltern ihren dauerhaften Aufenthalt in Armenien gehabt haben, kann aus dem Akteninhalt auch nicht ausgegangen werden. Die Subsumtion des BFA („Umgelegt auf Ihren Fall bedeutet dies, dass Sie in Armenien als Tochter einer armenischen Staatsangehörigen geboren wurden.“) entbehrt somit nachvollziehbarer Grundlagen. Im Übrigen hat das BFA seinen Bescheid vom 16.08.2018 mit Bescheid vom 28.08.2018 aufgehoben, weshalb diese Überlegungen ohnehin als nicht mehr existent zu betrachten sind. Nichtsdestotrotz nahm das BFA im Laufe des weiteren Verfahrens keine Ermittlungsschritte betreffend die Staatsangehörigkeit der Beschwerdeführerin vor, sondern zog sich im gegenständlich angefochtenen Bescheid darauf zurück, dass die Beschwerdeführerin in Armenien geboren worden sei, armenische Staatsangehörige sei und ihre Identität feststehe. Das BFA führte hierbei auch einen falschen Vornamen der Beschwerdeführerin (nämlich jenen ihrer Großmutter) und ein falsches Geburtsjahr (nämlich jenes ihrer Großmutter) an (VA2, AS 94). Insofern das BFA beweiswürdigend festhält, dass sich die Feststellungen zur Person der Beschwerdeführerin auf den Akteninhalt gründen würden (VA2, AS 103), ist darin kein Erklärungswert enthalten.

3.3. Zusammenfassend ist somit festzuhalten, dass das BFA betreffend die Staatsangehörigkeit der Beschwerdeführerin, die für die vorgenommene Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten und die Beurteilung der Lage im Herkunftsstaat von essentieller Bedeutung ist, jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit nicht vorgenommen hat. Diese Einschätzung wird zusätzlich dadurch untermauert, dass das BFA den der Beschwerdeführerin vom Magistrat der Stadt Wien ausgestellten Aufenthaltstitel zwar grundsätzlich im angefochtenen Bescheid miteinbezog, jedoch gänzlich unberücksichtigt ließ, dass dieser als Staatsangehörigkeit der Beschwerdeführerin Syrien aufweist.

3.4. Gegenständlich liegen somit keine vorhandenen Ermittlungsergebnisse vor, welche einer allfälligen Ergänzung durch das BVwG bedürften (vgl. VwGH 19.12.2018, Ra2018/01/0368), sondern es wäre verfahrensgegenständlich das gesamte erforderliche Ermittlungsverfahren der belangten Behörde zur Klärung der Staatsangehörigkeit der Beschwerdeführerin auf das BVwG übertragen. Die Aufhebung des Bescheides der belangten Behörde und die Zurückverweisung der Angelegenheit an dieselbe steht daher im Einklang mit der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 17.03.2016, Ra 2015/11/0127), weshalb gegenständlich das dem BVwG gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG eingeräumte Ermessen im Sinne einer kassatorischen Entscheidung auszuüben und das Verfahren spruchgemäß an das BFA zur Durchführung eines Ermittlungsverfahrens und zur neuerlichen Entscheidung zurückzuverweisen ist.

3.5. Das BFA wird daher im fortgesetzten Verfahren unter Berücksichtigung des Vorbringens der Beschwerdeführerin seit 2004, Ermittlungen hinsichtlich deren Staatsangehörigkeit zu tätigen haben. Insbesondere wird es die vorgelegte vermeintliche Geburtsurkunde übersetzen lassen müssen und sich allenfalls unter der Einbindung von Ermittlungen vor Ort von deren Echtheit zu überzeugen haben. Weiters wird es auch mit dem Magistrat Wien diesbezüglich Rücksprache zu halten haben, aufgrund welcher Überlegungen dieses zum Schluss kam, dass die Beschwerdeführerin syrische Staatsangehörige sei. Die Ermittlungsergebnisse wird das BFA der Beschwerdeführerin mit der Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme innerhalb einer angemessenen Frist zur Kenntnis zu bringen haben. In weiterer Folge wird das BFA das Ermittlungsergebnis unter Berücksichtigung sämtlicher bekannter Bescheinigungsmittel einer - schlüssigen - Beweiswürdigung zu unterziehen und individuelle Feststellungen zu treffen zu haben, welche als Basis für die rechtliche Beurteilung dienen.

3.6. Auch unter Effizienzgesichtspunkten verbietet sich eine Heranziehung des § 28 Abs. 2 Z 2 VwGVG, zumal die Verwaltungsbehörde die erforderlichen Ermittlungsschritte und damit die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes im Sinne des Gesetzes zumindest mit der gleichen Raschheit und mit nicht höheren Kosten als das Verwaltungsgericht bewerkstelligen wird können. Im Gegenteil ist angesichts der erforderlichen Beweisaufnahme und der grundsätzlich gegebenen Verhandlungspflicht nicht anzunehmen, dass die zur Erforschung der materiellen Wahrheit ergänzenden Ermittlungen unter Wahrung des Parteiengehörs durch das Bundesverwaltungsgericht selbst mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden wäre. Wobei es bei der Beurteilung der Kostenersparnis und Raschheit darüber hinaus nicht auf die Auswirkungen auf das Gesamtverfahren, sondern nur auf die Ersparnis an Zeit und Kosten für die jeweilige konkrete Amtshandlung ankommt. Dass die Zurückverweisung den gesamten Verfahrensverlauf verlängert, ist bei der Zeit- und Kostenersparnis nicht in Rechnung zu stellen, weil ansonsten eine kassatorische Entscheidung nie in Frage käme (vgl. Hengstschläger/Leeb, AVG, § 66 Rz 20 mwN).

Entfall der mündlichen Verhandlung

Gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG kann eine Verhandlung entfallen, wenn der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist, oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist.

Zu B)

Revision

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die getroffene Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Ermittlungspflicht Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung Staatsangehörigkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:L510.2231799.1.00

Im RIS seit

03.12.2020

Zuletzt aktualisiert am

03.12.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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