Entscheidungsdatum
13.08.2020Norm
AsylG 2005 §11Spruch
W159 2196661-1/13E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Clemens KUZMINSKI als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geboren XXXX , Staatsangehöriger von Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 02.05.2018, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 18.06.2020 zu Recht erkannt:
A)
Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 idgF der Status eines Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § Abs. 5 leg. cit. wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
Der Beschwerdeführer, ein Staatsbürger von Afghanistan, gelangte (spätestens) am 05.12.2015 irregulär nach Österreich und stellte an diesem Tag einen Antrag auf internationalen Schutz. Noch am gleichen Tag wurde er von der Polizeiinspektion XXXX einer Erstbefragung nach dem Asylgesetz unterzogen. Dabei gab er zu seinen Fluchtgründen an, dass er bei einer Security-Firma zur Bewachung ausländischer Camps zuständig gewesen sei und dass er dort auch gegen die Taliban habe kämpfen müssen. Er sei seitens der Taliban mit dem Umbringen bedroht worden.
Nach Zulassung zum Asylverfahren erfolgte am 15.01.2018 eine Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Tirol. Der Beschwerdeführer gab an, dass er gesund sei und legte eine afghanische Geburtsurkunde, Drohbriefe der Taliban, Arbeitsbestätigungen der Firma XXXX , Deutschkursbestätigungen von A0 bis A2, diverse Arbeitsbestätigungen, Teilnahmebestätigungen an Fortbildungsveranstaltungen sowie ein Empfehlungsschreiben des Flüchtlingsheimes XXXX vor. Er habe einen Reisepass gehabt, dieser sei aber bereits in Afghanistan verloren gegangen. Bei der Erstbefragung habe es Verständigungsschwierigkeiten mit der aus dem Iran stammenden Dolmetscherin gegeben. Er habe seine Fluchtgründe noch nicht ausführlich geschildert. Er sei am XXXX im Dorf XXXX im Distrikt XXXX in der Provinz Maidan Wardak in Afghanistan geboren, Paschtune und Moslem/Sunnit. Er sei traditionell verheiratet. Sein Vater lebe noch im Heimatdorf, seine Mutter sei bereits verstorben. Seine Frau lebe mit den beiden Söhnen und der Tochter in Kabul, sein Bruder und seine vier Schwestern in Afghanistan in der Provinz Maidan Wardak. Er habe zunächst als Landwirt gearbeitet und dann als Sicherheitsmann bei der XXXX . Er habe zwölf Jahre lang die Schule besucht und habe 2010 begonnen, bei der XXXX zu arbeiten. 2014 sei er mit seiner Familie nach Kabul gezogen. Mit seiner Frau habe er regelmäßigen telefonischen Kontakt.
Zu seinen Fluchtgründen gefragt, gab er an, dass er für die XXXX als Sicherheitsmann gearbeitet habe und im August/September 2014 ihr Konvoy auf dem Weg von Kandahar im Gebiet von XXXX , in der Provinz Maidan Wardak von Taliban überfallen worden sei. Die Polizei sei zur Hilfe gekommen. Er habe dort einige Männer gesehen, die von der Polizei festgenommen worden seien. Diese hätte ihn erkannt. Sie hätten ihn auch wegen seiner Tätigkeit für diese Firma angesprochen. Bevor er zurückgekommen sei, habe er zuhause angerufen und erfahren, dass die Taliban bei ihnen zuhause gewesen wären und nach ihm gesucht hätten. Sonst habe er niemandem von seiner Tätigkeit erzählt, nur seiner Frau. Sein Vater habe ihm gesagt, dass er nicht nach Hause gehen solle und auch nicht mehr anrufen solle, weil die Taliban gesagt hätten, dass die Familie sie informieren solle, sobald er zuhause sei. Sie hätten Angst vor den Taliban. Die Taliban hätten auch 3.000,-- US Dollar und 30.000,-- Afghani mitgenommen. Seine Frau sei in der Folge zu ihrem Vater zurückgekehrt. Er sei dann nach Kabul und habe seine Familie nach Kabul gehört, weil er gedacht habe, dass er dort vor den Taliban sicher sei. Die Taliban hätten ihn aber trotzdem wieder telefonisch bedroht. Er habe das auch seinem Arbeitgeber gesagt. Diese habe gemeint, dass er das nicht beachten solle. Er habe zunächst eine Wohnung für dreieinhalb Monate gefunden, dann habe er eine neue Wohnung suchen müssen. Nachdem er ca. vier bis fünf Tage von der alten Wohnung weg gewesen sei, hätten die Taliban ihn dort gesucht und bei dem neuen Mieter nach ihm gefragt. Er habe dem Nachmieter seine Telefonnummer gegeben, da die Stromrechnung nicht bezahlt worden sei. Die Taliban hätten sich als Beamte der Sicherheitsbehörde vorgestellt und ihm einen Brief hinterlegt. Nachdem er diesen Brief erhalten habe, sei er zur Polizei gegangen und habe um Hilfe ersucht. Die Polizei habe ihn gefragt, ob er die Personen kenne und ihre Adresse wisse. Nachdem er dies verneint habe, wurde sein Ersuchen um Personenschutz abgelehnt. Er sei dann umgezogen und habe bei seinem Arbeitgeber gekündigt. Weiters sei er auch zum Ältestenrat in Maidan Wardak gegangen und habe diesem sein Problem geschildert und um Hilfe gebeten. Diese hätten mit den Taliban Kontakt aufgenommen, welche den Standpunkt vertreten hätten, dass er die Drohungen der Taliban ignoriert habe. Daraufhin habe er beschlossen, dass er nicht mehr in Afghanistan bleiben könne. Die XXXX gehöre einem gewissen XXXX und habe überwiegend von den Amerikanern Aufträge erhalten. Sie habe ca. 50 Mitarbeiter gehabt, auch den Firmensitz nannte er. Für diese Tätigkeit habe man ihm gezeigt, wie man mit einer Waffe umgehe, eine sonstige Ausbildung habe er nicht erhalten. Er habe mehrmals im Monat Konvoys von Kabul nach Kandahar begleitet. Sonst habe er einsatzbereit sein müssen. Die Taliban hätten ihm schon davor zweimal gedroht, dass, wenn sie erfahren würden, dass er für die Regierung oder für die Ausländer arbeite, er die Konsequenzen zu tragen habe. Er selbst habe nur einmal einen Überfall der Taliban auf einen Konvoi erlebt. Es habe im Dorf sonst keine andere Arbeit gegeben. Er hätte sich nur den Taliban anschließen können und gegen die Regierung kämpfen und das habe er nicht gewollt. Einer der Taliban, der an dem Überfall beteiligt gewesen sei, sei ein Verwandter seines Vaters gewesen. Seine Kinder seien noch klein. Sie seien nicht direkt durch die Taliban gefährdet. Er mache sich aber trotzdem Sorgen um sie.
Er sei im Dezember 2015 nach Österreich eingereist und lebe in einem Flüchtlingsheim in XXXX . Er habe gemeinnützig gearbeitet, lebe von der Grundversorgung, habe Deutschkurse bis A2 gemacht, die Prüfung habe er aber noch nicht. In Afghanistan habe er die zwölfte (letzte) Klasse der Schule nicht abgeschlossen. Verwandte oder Familienangehörige in Österreich habe er nicht, bei Vereinen sei er auch nicht. Er habe kein weiteres Vorbringen und möchte zu den Länderberichten auch keine Stellungnahme abgeben.
Die belangte Behörde versuchte im Wege der Staatendokumentation Informationen über die vom Beschwerdeführer angegebene XXXX einzuholen. In einer Anfragebeantwortung vom 28.02.2018 hätten keine Informationen gefunden werden können. Das lasse jedoch nicht den Schluss zu, dass die Firma in dem genannten Zeitraum nicht existent gewesen sei. Es hätten sich auch keine Hinweise auf einen Anschlag in der angegebenen Gegend im August/September 2014 gefunden.
Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 02.05.2018, Zl. XXXX wurde unter Spruchteil I. der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen, unter Spruchpunkt II. dieser Antrag auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf der Herkunftsstaat Afghanistan abgewiesen, unter Spruchpunkt III. ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt, unter Spruchpunkt IV. eine Rückkehrentscheidung erlassen, unter Spruchpunkt V. festgestellt, dass die Abschiebung zulässig sei und unter Spruchpunkt VI. eine Frist von 14 Tagen für die freiwillige Ausreise eingeräumt.
In der Begründung des Bescheides wurde der bisherige Verfahrensgang einschließlich der oben im Wesentlichen wiedergegebenen Einvernahme dargestellt, die vom Beschwerdeführer vorgelegten Beweismittel aufgelistet und Feststellungen zu Afghanistan getroffen und auch die erwähnte eingeholte Auskunft bei der Staatendokumentation wiedergegeben. Beweiswürdigend wurde zunächst festgehalten, dass es glaubhaft sei, dass der Beschwerdeführer afghanischer Staatsbürger sei und aus der Provinz Maidan Wardak und dem Dorf XXXX stamme. Auch können die Volksgruppenzugehörigkeit, das Religionsbekenntnis, die Schul- und Berufsausbildung und der Familienstand als glaubwürdig angenommen werden. Hinsichtlich der Fluchtgründe würden jedoch konsistente und homogene Angaben fehlen. Nach einem Artikel in der Huffington Post würden zahlreiche gefälschte Drohbriefe der Taliban kursieren. Auch habe die Staatendokumentation die Angaben des Beschwerdeführers zu dem von ihm angeführten Unternehmen in keiner Weise verifizieren können und hätten sich auch keine Hinweise auf einen Anschlag in dem angegebenen Zeitraum am angegebenen Ort gefunden. Insgesamt sei das Fluchtvorbringen weder nachvollziehbar noch glaubwürdig. Schließlich stehe dem Beschwerdeführer auch eine innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul offen.
Rechtlich wurde zu Spruchpunkt I. insbesondere ausgeführt, dass aufgrund der unwahren Angaben diese nicht zur Glaubhaftmachung begründeter Furcht vor Verfolgung geeignet gewesen seien und daher der Asylantrag abzuweisen gewesen sei. Zum Spruchpunkt II. wurde nach Darlegung der bezughabenden Rechtslage und Judikatur insbesondere ausgeführt, dass im vorliegenden Fall weder von einer Bedrohungssituation im Sinne des Art. 3 EMRK noch davon auszugehen sei, dass der Beschwerdeführer bei Rückkehr in eine ausweglose Lage gerate und stehe ihm überdies eine inländische Fluchtalternative offen. Er habe keine individuellen Umstände glaubhaft machen können, dass er im Falle der Rückkehr nach Afghanistan einer realen Gefahr der Verletzung des Art. 3 EMRK ausgesetzt sei und würde sich aufgrund der allgemeinen Lage kein Abschiebungshindernis nach Afghanistan ergeben. Die Voraussetzungen des § 57 AsylG würden nicht erfüllt (Spruchpunkt III.). Hinsichtlich Spruchpunkt IV. wurde zunächst festgehalten, dass im vorliegenden Fall kein Familienbezug bzw. Familienleben in Österreich vorliege. Hinsichtlich des Privatlebens sei zunächst einmal auf die illegale Einreise zu verweisen. Es hätte sich auch kein ausgeprägtes Privatleben entwickelt, was auf eine besondere Bindung in Österreich bei gleichzeitiger Entfremdung vom Heimatland hinweisen würde. Wenn auch keine strafrechtliche Verurteilung vorliege, so könne aufgrund der Aufenthaltsdauer von lediglich ca. zweieinhalb Jahren auch nicht von einer derartig nachhaltigen Integration gesprochen werden, die schwer wiegen würde als das öffentliche Interesse an der Effektuierung einer negativen Asylentscheidung. Es sei daher ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht zu erteilen gewesen und eine Rückkehrentscheidung als zulässig zu bezeichnen.
Zu Spruchpunkt V. wurde insbesondere ausgeführt, dass keine Bedrohung im Sinne des § 50 FPG vorliege und einer Abschiebung nach Afghanistan auch keine Empfehlung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte entgegenstehe, sodass diese als zulässig zu bezeichnen sei; auch Gründe für die Verlängerung der Frist für die freiwillige Ausreise wären nicht hervorgekommen (Spruchpunkt VI).
Gegen diesen Bescheid erhob der Antragsteller, vertreten durch die XXXX , fristgerecht gegen alle Spruchpunkte Beschwerde, wobei zunächst das bisherige Vorbringen wiedergegeben wurde. Kritisiert wurde insbesondere die mangelnde Erforschung des maßgeblichen Sachverhaltes, insbesondere auch im Hinblick auf eine innerstaatliche Fluchtalternative und Rückkehrmöglichkeit. Auch die Länderfeststellungen, insbesonders die Ermittlungen hinsichtlich der Mitarbeiter von ausländischen Firmen wären mangelhaft gewesen und wäre vor allem die Schutzfähigkeit und Schutzwilligkeit der afghanischen Behörden in Zweifel zu ziehen. Die Taliban hätten dem Beschwerdeführer unterstellt, dass er mit den Amerikanern zusammenarbeiten würde und liege daher der Asylgrund der Verfolgung aufgrund der Religion vor. Auch die Beweiswürdigung sei nicht schlüssig und können dem Beschwerdeführer Differenzen zur Erstbefragung nicht vorgehalten werden, weil es Kommunikationsschwierigkeiten mit der aus dem Iran stammenden Dolmetscherin gegeben habe. Überdies würden die Taliban dem Beschwerdeführer eine regierungsfreundliche politische Gesinnung unterstellen. Eine inländische Fluchtalternative stehe dem Beschwerdeführer als alleinstehenden, mittellosen jungen Mann nicht realistischer Weise offen und wurde schließlich auch auf die Integration des Beschwerdeführers hingewiesen. Abschließend wurde begründet, die Durchführung einer mündlichen Verhandlung im Hinblick auf die diesbezügliche Judikatur des VfGH zu § 47 GRC beantragt.
In der Folge hielt sich der Beschwerdeführer in Frankreich auf, wurde jedoch nach Österreich am 22.02.2019 rücküberstellt.
Mit Schreiben vom 19.02.2020 gab XXXX die Vertretung des Beschwerdeführers bekannt und wurde in der Folge seitens der XXXX die Vollmacht niedergelegt.
Das Bundesverwaltungsgericht beraumte eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung für den 18.06.2020 an. Der nunmehrige ausgewiesene Vertreter erstattete einen vorbereitenden Schriftsatz, dass er Beschwerdeführer Opfer zahlreicher Bedrohungen seitens der Taliban geworden sei und ihm zumindest wegen unterstellter politischer Gesinnung asylrelevante Verfolgung drohe. Auch ein Vorbringen zur COVID 19 Pandemie wurde erstattet, weiters eine Arbeitsbestätigung des XXXX , eine Deutschkursbestätigung und ein Sozialbericht der XXXX (Quartiergeber) vorgelegt.
Der Beschwerdeführer erschien in Begleitung eines Mitarbeiters seines ausgewiesenen Vertreters, die belangte Behörde ließ sich für das Nichterscheinen entschuldigen. Der Beschwerdeführer hielt sein bisheriges Vorbringen aufrecht und wollte dieses weder korrigieren noch ergänzen. Er sei afghanischer Staatsangehöriger. Die bis dato nicht übersetzte Tazkira des Beschwerdeführers wurde übersetzt. Der Beschwerdeführer gab an, Paschtune und sunnitischer Moslem zu sein. Er übe seinen Glauben in Österreich auch aus. Er sei am XXXX im Dorf XXXX , dem Distrikt XXXX in der Provinz Maidan Wardak in Afghanistan geboren, habe bis auch acht bis neun Monate vor der Ausreise, wo er sich in Kabul aufgehalten habe, immer dort gelebt. Er habe bis zur 12. Klasse die Schule besucht, aber nicht abgeschlossen. Eine weitere Ausbildung habe er in Afghanistan nicht erhalten. Sein Vater habe einige Grundstücke bewirtschaftet. Die wirtschaftliche Lage der Familie sei jedoch mittelmäßig gewesen. Seine Mutter sei schon verstorben, als er erst sieben Jahre alt gewesen sei. Sein Vater lebe noch immer im Dorf XXXX . Er habe einen Bruder und fünf Schwestern, wisse aber nicht, wo diese derzeit leben, da er im Moment keinen Kontakt mit ihnen habe. Er sei verheiratet und habe zwei Söhne (zehn und acht Jahre) sowie eine Tochter (fünf Jahre alt). Diese würden sich mit seiner Ehefrau in Kabul aufhalten.
Mit dem afghanischen Staat habe er kein Problem gehabt. Aufgrund der Vermittlung zweier Freunde sei er zu der Tätigkeit bei der XXXX gekommen. Diese Firma habe mit dem amerikanischen Militär zusammengearbeitet und sei ein Logistikunternehmen gewesen. Sie hätten mindestens 20 LKWs gehabt. Manchmal wurden noch zusätzliche LKWS angemietet, meistens seien es Sattelschlepper gewesen. Es seien auch Tank-LKWs dabei gewesen. Die LKWs seien aus deutscher Produktion gewesen. Er habe bei dieser Firma als Security und Begleiter für die LKWs gearbeitet. Er sei mit den LKWs mitgefahren. Sie hätten lediglich gelernt, eine Waffe zu benützen, sonst habe er keine Ausbildung als Security gehabt. Sie hätten als Waffen ein Kalaschnikow-Gewehr und auch eine Pistole gehabt und einer der beiden Waffen immer mitgehabt. Bei den Begleitungen hätten sie normale afghanische Kleidung getragen, um nicht aufzufallen. Er sei fast immer nur die Strecke Kabul – Kandahar gefahren. Warum die Staatendokumentation über diese Firma nichts herausfinden habe können, wisse er auch nicht. Er wisse auch nicht, ob diese Firma überhaupt noch existiere. Sie habe ausschließlich Herrn XXXX gehört.
Aufgefordert, den von ihm erwähnten Überfall der Taliban auf den Fahrzeug Konvoi zu schildern, gab er an, dass es entweder im sechsten oder siebenten Monat des 1393 gewesen sei. Sie seien von Kabul nach Kandahar unterwegs gewesen. In der Gegend von XXXX , im Ort XXXX , hätten die Taliban sie angegriffen. Er sei im dritten Auto gewesen. Den vierten LKW hätten die Taliban erwischt. Er habe einen Anruf erhalten, dass er zu diesem LKW kommen hätte sollen. Zur gleichen Zeit seien Polizisten gekommen. Diese haben einige Leute festgenommen. Er sei gefragt worden, ob er für diese Firma arbeite, was er bejaht habe. Als die Festgenommenen in den Bezirkshauptort XXXX gebracht worden seien, hätten sie einstimmig gesagt, dass sie ihn kennen würden und wissen, wo er arbeite. Sie seien dann mit den LKWs weitergefahren. Die Festgenommenen hätten den Taliban berichtet, wer er sei und wo er arbeite. Bei dem Überfall habe es keine Toten, aber leicht Verletzte gegeben. Die Taliban wären gleich daraufhin zu ihnen nach Hause gekommen und hätten Geld mitgenommen. Sie hätten auch seinen Vater und seinen Bruder geschlagen. Sein Vater habe ihm davon abgeraten, weiterhin mit ihm Kontakt aufzunehmen und nach Hause zurückzukehren. Sie hätten Angst gehabt, dass sie so auch in diese Sache involviert werden würden. Gefragt, wie er sich erklären könne, dass die Taliban in seinem Heimatort so schnell von seiner Tätigkeit Kenntnis erlangt hätten, gab er an, dass die Taliban fast alles über den afghanischen Staat und seine Bürger wissen würden. Er habe dann seine Frau und seine Kinder nach Kabul geholt und sei in Kabul verblieben. Er habe seiner Familie auch nicht über seine Tätigkeit erzählt, weil er sie sonst in Gefahr gebracht hätte. Die Taliban hätten ihn auch in Kabul bedroht. Sie hätten herausgefunden, wo er wohne, hätten mit dem Hausbesitzer gesprochen und nach ihm gesucht. Daraufhin habe der Hausbesitzer ihn angerufen und den Brief für ihn hinterlegt. Das sei der bereits übersetzte Drohbrief. Daraufhin sei er zur Polizeistation XXXX in Kabul gegangen und hätte gesagt, dass die Taliban nach ihm gesucht hätten und für ihn einen Brief hinterlassen hätten. Da er die Leute nicht namentlich habe nennen können, hätte die Polizei ihm gesagt, dass sie ihm nicht weiterhelfen können. Er habe dann bei der XXXX gekündigt und in der Folge von Ersparnissen gelebt. Ca. zehn bis elf Monate habe er noch in Afghanistan verbracht. In dieser Zeit sei er mehrfach telefonisch bedroht worden. Die Taliban hätten ihn aufgefordert, sich zu ergeben. Wenn er dies nicht tun würde, würden sie ihn überall, wo sie ihn finden würden, töten. Er habe in den zehn bis elf Monaten seinen Wohnsitz ständig gewechselt. Die Taliban hätten ihn sicher gesucht. Er habe auch mit den Weißbärtigen bzw. mit dem Ältestenrat der Provinz Maidan Wardak Kontakt aufgenommen und ihnen gesagt, dass er beweisen könne, dass er nicht mehr für die besagte Firma arbeite und dass sie das an die Taliban weiterleiten sollten. Die Taliban hätten allerdings den Weißbärtigen gesagt, dass er mit den Ungläubigen zusammengearbeitet habe und dass sie in nicht in Ruhe lassen würden (auch wenn er seine Tätigkeit zwischenzeitig beendet habe). Er habe sich dann gedacht, wenn die Taliban das dem Ältestenrat so gesagt hätten, würden sie das sicher ernst nehmen und habe er sich daraufhin entschlossen, auszureisen. Im zehnten oder elften Monat des Jahres 2015 sei er zunächst von Kabul nach XXXX geflogen und dann weiter auf dem Landweg nach Europa gereist. Er habe seine Familie deswegen nicht mitnehmen können, da sein jüngstes Kind erst zwei Wochen alt gewesen sei. Auch für die anderen Kinder sei der Weg zu beschwerlich gewesen. Zwischenzeitig habe er nur mehr zu seiner Frau und nicht mehr zu seinem Vater Kontakt. Gesundheitlich gehe es seiner Frau und seinen Kindern gut. Er hoffe, dass sie noch immer etwas von seinen Ersparnissen hätten. Ob seine Frau zwischenzeitig von den Taliban behelligt worden sei, wisse er nicht, aber er wisse, dass sie die Familie als Druckmittel verwenden würden. Seine Frau habe auch Angst und seine Kinder ebenso. Durch Anrufe hätte er auch seinen Vater und seinen Bruder in Gefahr gebracht.
Gesundheitliche oder psychische Probleme habe er nicht. In Österreich arbeite er und lerne Deutsch. Die A2-Prüfung habe er leider nicht geschafft. Er sei für die Gemeinde tätig, schneide Blumen und Gras und säubere die Straßen. In Vereinen oder Institutionen sei er nicht Mitglied, er habe allerdings schon österreichische Freunde. Er möchte in Österreich unbedingt einen Job finden. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan sei sein Leben in Gefahr. Er werde dort getötet. Auf Vorhalt, dass er jung, gesund und arbeitsfähig sei, Schulausbildung und Berufserfahrung habe, ob er sich nicht in Herat oder Mazar-e Sharif niederlassen könne, gab er an, dass die Taliban ihn auch dort finden würden. Er habe auch niemanden in diesen beiden Städten. Ein weiteres Vorbringen habe er nicht.
Den Verfahrensparteien wurden das aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan einschließlich einer allgemeinen Information von ACCORD zu Covid 19 vom 05.06.2020 unter Einräumung einer Frist von drei Wochen zur Abgabe einer Stellungnahme zur Kenntnis gebracht. Schließlich wurde auch der aktuelle Strafregisterauszug des Beschwerdeführers, in dem keine Verurteilung aufscheint, verlesen.
Von der Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme machte der anwaltlich vertretene Beschwerdeführer Gebrauch, wobei nochmals darauf hingewiesen wurde, dass der Beschwerdeführer aufgrund seiner Tätigkeit bei einem Logistikunternehmen, welches mit dem amerikanischen Militär zusammengearbeitet habe, in das Visier der Taliban geraten sei und er wiederholten Verfolgungshandlungen ausgesetzt gewesen sei. Aufgrund des landesweiten Einflussbereiches der Taliban stehe ihm auch keine relevante inländische Fluchtalternative zur Verfügung und sei ihm im Lichte der Zusammenarbeit mit dem amerikanischen Militär wegen zumindest unterstellter politischer Gesinnung der Status eines Asylberechtigten zu gewähren, in eventu, im Lichte der aktuellen COVID 19 Pandemie, subsidiärer Schutz.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat wie folgt festgestellt und erwogen:
1. Feststellungen:
Zur Person des Beschwerdeführers wird Folgendes festgestellt:
Der Beschwerdeführer ist Staatsbürger von Afghanistan, Paschtune und sunnitischer Moslem und wurde am XXXX im Dorf XXXX im Distrikt XXXX in der Provinz Maidan Wardak geboren. Er ist dort aufgewachsen und hat auch die meiste Zeit dort gelebt, nur die letzten acht bis neun Monate vor seiner Ausreise verbrachte er in Kabul. Er hat die Schule bis zur 12. Klasse (ohne Abschluss) besucht, arbeitete zunächst bei seinem Vater in der Landwirtschaft und dann als Security bei der XXXX , welche mit dem amerikanischen Militär zusammenarbeitete und für dieses Transporte durchführte. Der Beschwerdeführer gelangte im sechsten oder siebenten Monat 1393 (afghanischer Zeitrechnung) auf dem Weg von Kabul nach Kandahar in der Gegend von XXXX in einen Angriff der Taliban, in den die afghanische Polizei intervenierte und einige Taliban festnahmen. Zumindest einer der Taliban kannte den Beschwerdeführer und leitete den Umstand, dass der Beschwerdeführer als Security bei dieser mit den Amerikanern kooperierenden Firma arbeitete, an die Taliban weiter. Sogleich überfielen die Taliban das Haus des Beschwerdeführers, nahmen namhafte Geldbeträge mit und bedrohten seinen Vater und seinen Bruder bzw. forderten diese auf, den Taliban den Aufenthaltsort des Beschwerdeführers bekannt zu geben. Sein Vater riet dem Beschwerdeführer ab, weiter mit ihm Kontakt aufzunehmen. Er fuhr nach Kabul, wo er seine Frau und seine drei Kinder (zwei Buben, eine Mädchen) nachholte. Nach wenigen Monaten wurde er jedoch auch in Kabul von den Taliban gefunden. Er wechselte jedoch rasch aufeinanderfolgend die Wohnungen, sodass sie ihn nicht persönlich erreichen konnten. Sie übermittelten ihm jedoch einen Drohbrief und wollten ihn auch in seiner früheren Wohnung mitnehmen. Der Beschwerdeführer wurde in der Folge weiter von den Taliban bedroht („Aufgefordert sich zu ergeben, wenn er das nicht tue, würden sie ihn überall, wo sie ihn finden würden, töten“). Der Beschwerdeführer versuchte zunächst staatlichen Schutz durch die Polizei zu erlangen, aber da er die ihn bedrohenden Taliban nicht namentlich nennen konnte, wurde ein solcher Schutz verweigert. Daraufhin kündigte der Beschwerdeführer und wandte sich mit der Mitteilung, dass er nicht mehr bei der genannten Firma arbeite, an den Ältestenrat der Provinz Maidan Wardak, damit diese mit den Taliban sprechen. Diese ließen ihm jedoch ausrichten, dass er sich den Anordnungen der Taliban widersetzt habe und mit Ungläubigen zusammengearbeitet habe und sie ihn weiter nicht in Ruhe lassen würden. Daraufhin verließ der Beschwerdeführer im Oktober/November 2015 Afghanistan, indem er zunächst von Kabul nach XXXX flog und weiter auf dem Landweg nach Europa gelangte, wo er am 05.12.2015 irregulär in das Bundesgebiet kam und einen Antrag auf internationalen Schutz stellte. Der Beschwerdeführer hat nach wie vor mit seiner Frau Kontakt. Sie hat Angst und lebt mit ihren Kindern in unsicheren wirtschaftlichen Verhältnissen. Der Beschwerdeführer ist gesund, er leistet gemeinnützige Arbeit und hat mehrere Deutschkurse besucht. Er führt kein Familienleben in Österreich und ist unbescholten.
Zu Afghanistan wird Folgendes festgestellt:
1. Politische Lage
Letzte Änderung: 18.5.2020
Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind (AA 15.4.2019). Auf einer Fläche von ca. 632.000 Quadratkilometern (CIA 24.5.2019) leben ca. 32 Millionen Menschen (CSO 2019).
Im Jahr 2004 wurde die neue Verfassung angenommen (BFA 7.2016; vgl. Casolino 2011), die vorsieht, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürgerinnen und Bürger Afghanistans, Mann wie Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA 3.2014; vgl. Casolino 2011, MPI 27.1.2004).
Die Verfassung der islamischen Republik Afghanistan sieht vor, dass der Präsident der Republik direkt vom Volk gewählt wird und sein Mandat fünf Jahre beträgt (Casolino 2011). Implizit schreibt die Verfassung dem Präsidenten auch die Führung der Exekutive zu (AAN 13.2.2015) und die Provinzvorsteher, sowie andere wichtige Verwaltungsbeamte, werden direkt vom Präsidenten ernannt und sind diesem rechenschaftspflichtig. Viele werden aufgrund persönlicher Beziehungen ausgewählt (EC 18.5.2019).
Die ursprünglich für den 20. April 2019 vorgesehene Präsidentschaftswahl wurde mehrfach verschoben, da die Wahlbehörden auf eine landesweite Wahl so kurz nach der Parlamentswahl im Oktober 2018 nicht vorbereitet waren. Der Oberste Gerichtshof Afghanistans konnte die Herausforderungen für die Wahlkommission nachvollziehen und verlängerte die Amtszeit von Präsident Ashraf Ghani bis zu der auf den 28.9.2019 verschobenen Präsidentschaftswahl (DZ 21.4.2019). Die unabhängige afghanische Wahlkommission (Afghanistan’s Independent Election Commission) hat mehr als vier Monate nach der Präsidentschaftswahl in Afghanistan Mohammed Ashraf Ghani zum Sieger erklärt (DW 18.2.2020). Der amtierende Präsident erhielt 50,64% der Stimmen, wie die Kommission verlautbarte (DW 18.2.2020; vgl. REU 25.2.2020; UNGASC 17.3.2020). Da Ghani im ersten Durchgang die Präsidentschaftswahl bereits gewonnen hat, ist keine Stichwahl mehr notwendig (DW 18.2.2020). CEO bzw. Regierungsgeschäftsführer Abdullah Abdullah, kam den Resultaten zufolge auf 39,52% (DW 18.2.2020; vgl. REU 25.2.2020). Die Präsidentenwahl hatte am 28. September stattgefunden. Nach monatelangem, erbittertem Streit um die Richtigkeit von Hunderttausenden von Stimmen waren nur noch 1,8 Millionen Wahlzettel berücksichtigt worden. Hingegen lag die Zahl der registrierten Wähler bei 9,6 Millionen. Afghanistan hat eine geschätzte Bevölkerung von 35 Millionen Einwohnern (DW 18.2.2020).
Wochenlang stritten der amtierende Präsident Ashraf Ghani und sein ehemaliger Regierungsgeschäftsführer Abdullah Abdullah um die Macht in Kabul und darum wer die Präsidentschaftswahl im vergangenen September gewonnen hatte. Abdullah Abdullah beschuldigte die Wahlbehörden, Ghani begünstigt zu haben, und anerkannte das Resultat nicht (NZZ 20.4.2020). Am 9.3.2020 ließen sich sowohl Ghani als auch Abdullah als Präsident vereidigen (NZZ 20.4.2020; vgl. TN 16.4.2020). Nach monatelanger politischer Krise (DP 17.5.2020; vgl. TN 11.5.2020), einigten sich der afghanische Präsident Ashraf Ghani und Abdullah Abdullah auf eine Machtteilung: Abdullah wird die Friedensgespräche mit den Taliban leiten und Mitglieder seines Wahlkampfteams werden ins Regierungskabinett aufgenommen (DP 17.5.2020; vgl. BBC 17.5.2020; DW 17.5.2020).
Anm.: Weitere Details zur Machtteilungsvereinbarung sind zum Zeitpunkt der Aktualisierung noch nicht bekannt (Stand: 18.5.2020) und werden zu einem späteren Zeitpunkt bekannt gegeben (BBC 17.5.2020).
Präsidentschafts- und Parlamentswahlen
Die afghanische Nationalversammlung ist die höchste legislative Institution des Landes und agiert im Namen des gesamten afghanischen Volkes (Casolino 2011). Sie besteht aus zwei Kammern: dem Unterhaus oder Volksvertretung (Wolesi Jirga) mit 250 Abgeordneten (für 5 Jahre gewählt), sowie dem Oberhaus oder Ältestenrat (Meschrano Jirga) mit 102 Abgeordneten (AA 15.4.2019).
Das Oberhaus setzt sich laut Verfassung zu je einem Drittel aus Vertretern der Provinz- und Distrikträte zusammen. Das letzte Drittel der Senatoren wird durch den Präsidenten bestimmt (AA 15.4.2019). Die Hälfte der vom Präsidenten entsandten Senatoren müssen Frauen sein. Weiters vergibt der Präsident zwei Sitze für die nomadischen Kutschi und zwei weitere an behinderte Personen. Auch ist de facto ein Sitz für einen Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft reserviert (USDOS 13.3.2019).
Die Sitze im Unterhaus verteilen sich proportional zur Bevölkerungszahl auf die 34 Provinzen. Verfassungsgemäß sind für Frauen 68 Sitze, für die Minderheit der Kutschi zehn Sitze und für Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft ein Sitz reserviert (AAN 22.1.2017; vgl. USDOS 13.3.2019, Casolino 2011).
Die Rolle des Parlaments bleibt begrenzt. Ob das neue Parlament, das sich nach den Wahlen vom Oktober 2018 erst mit erheblicher Verzögerung im April 2019 konstituierte, eine andere Rolle einnehmen kann, muss sich zunächst noch erweisen. Zwar beweisen die Abgeordneten mit kritischen Anhörungen und Abänderungen von Gesetzentwürfen in teils wichtigen Punkten, dass das Parlament grundsätzlich funktionsfähig ist, doch nutzt das Parlament auch seine verfassungsmäßigen Rechte, um die Arbeit der Regierung destruktiv zu behindern, Personalvorschläge der Regierung z.T. über längere Zeiträume zu blockieren und sich Zugeständnisse wohl auch durch finanzielle Zuwendungen an einzelne Abgeordnete abkaufen zu lassen. Insbesondere das Unterhaus hat sich dadurch sowohl die Regierung der Nationalen Einheit als auch die Zivilgesellschaft zum Gegner gemacht. Generell leidet die Legislative unter einem kaum entwickelten Parteiensystem und mangelnder Rechenschaft der Parlamentarier gegenüber ihren Wählern (AA 2.9.2019).
Die Präsidentschaftswahlen und Parlamentswahlen finden gemäß Verfassung alle fünf Jahre statt (USIP 11.2013). Mit dreijähriger Verzögerung fanden zuletzt am 20. und 21. Oktober 2018 – mit Ausnahme der Provinz Ghazni – Parlamentswahlen statt (AA 15.4.2019; vgl. USDOS 13.3.2019). Die letzten Präsidentschaftswahlen fanden am 28. September 2019 statt (RFE/RL 20.10.2019).
Bei den Wahlen zur Nationalversammlung am 20. und 21.10.2018 gaben etwa vier Millionen der registrierten 8,8 Millionen Wahlberechtigten ihre Stimme ab. Die Wahl war durch Unregelmäßigkeiten geprägt, darunter Betrug bei der Wählerregistrierung und Stimmabgabe, Einschüchterung der Wähler, und einige Wahllokale mussten wegen Bedrohungen durch örtliche Machthaber schließen. Die Taliban und andere Gruppierungen behinderten die Stimmabgabe durch Drohungen und Belästigungen (USDOS 13.3.2019).
Wegen Vorwürfen des Betruges und des Missmanagements erklärte Anfang Dezember 2018 die afghanische Wahlbeschwerdekommission (ECC) alle in der Provinz Kabul abgegebenen Stimmen für ungültig (RFE/RL 6.12.2018). Die beiden Wahlkommissionen einigten sich in Folge auf eine neue Methode zur Zählung der abgegebenen Stimmen (TN 12.12.2018). Die Provinzergebnisse von Kabul wurden schließlich am 14.5.2019, fast sieben Monate nach dem Wahltag, veröffentlicht. In einer Ansprache bezeichnete Präsident Ghani die Wahl als „Katastrophe“ und die beiden Wahlkommissionen als „ineffizient“ (AAN 17.5.2019).
Politische Parteien
Die afghanische Verfassung erlaubt die Gründung politischer Parteien, solange deren Programm nicht im Widerspruch zu den Prinzipien des Islam steht (USDOS 29.5.2018). Um den Parteien einen allgemeinen und nationalen Charakter zu verleihen, verbietet die Verfassung jeglichen Zusammenschluss in politischen Organisationen, der aufgrund von ethnischer, sprachlicher (Casolino 2011; vgl. MPI 27.1.2004) oder konfessioneller Zugehörigkeit erfolgt (Casolino 2011; vgl. MPI 27.1.2004; USDOS 29.5.2018). Auch darf keine rechtmäßig zustande gekommene Partei oder Organisation ohne rechtliche Begründung und ohne richterlichen Beschluss aufgelöst werden (MPI 27.1.2004).
Das kaum entwickelte afghanische Parteiensystem weist mit über 70 registrierten Parteien eine starke Zersplitterung auf (AA 2.9.2019). Die politischen Parteien haben ihren Platz im politischen System Afghanistans noch nicht etablieren können (DOA 17.3.2019). Die meisten dieser Gruppierungen erscheinen mehr als Machtvehikel ihrer Führungsfiguren denn als politisch-programmatisch gefestigte Parteien (AA 2.9.2019; vgl. AAN 6.5.2018, DOA 17.3.2019). Ethnische Zugehörigkeit, persönliche Beziehungen und ad hoc geformte Koalitionen spielen traditionell eine größere Rolle als politische Organisationen (AA 2.9.2019).
Das derzeitige Wahlsystem ist personenbezogen, die Parteien können keine Kandidatenlisten erstellen, es sind keine Sitze für die Parteien reserviert und es ist den Parteien untersagt, Fraktionen im Parlament zu gründen. Der Parteivorsitz wird nicht durch parteiinterne Abläufe bestimmt, sondern wird eher wie ein partimoniales Erbgut gesehen, das von einer Generation an die nächste, vom Vater zum Sohn, übergeben wird. Die Menschen vertrauen den Parteien nicht und junge, gebildete Leute sind nicht gewillt, solchen Parteien beizutreten (DOA 17.3.2019).
Friedens- und Versöhnungsprozess
Die afghanischen Regierungskräfte und die Amerikaner können die Taliban, die über rund 60 000 Mann verfügen, nicht besiegen. Auch die Islamisten sind nicht stark genug, um die Regierungstruppen zu überrennen, obwohl sie rund die Hälfte des Landes kontrollieren oder dort zumindest präsent sind. In Afghanistan herrscht fast zwei Jahrzehnte nach dem Sturz des Taliban-Regimes durch die USA eine Pattsituation (NZZ 20.4.2020). Das lang erwartete Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten und den Taliban wurde Ende Februar 2020 unterzeichnet (AJ 7.5.2020; vgl. NPR 6.5.2020) – die afghanische Regierung war an dem Abkommen weder beteiligt, noch unterzeichnete sie dieses. Diesem Abkommen zufolge hätten noch vor den für 10.03.2020 angesetzten inneren Friedensgesprächen, von den Taliban bis zu 1.000 Gefangene und von der Regierung 5.000 gefangene Taliban freigelassen werden sollen. Zum einen, verzögern die Unstimmigkeiten zwischen den Taliban und der afghanischen Regierung über Umfang und Umsetzungstempo des Austauschs, die Gespräche (AJ 7.5.2020) [ Anm.: 800 Taliban-Gefangene entließ die afghanische Regierung, während die Taliban 100 der vereinbarten 1.000 Sicherheitskräfte frei ließen – (NPR 6.5.2020)], Andererseits stocken die Verhandlungen auch aufgrund des innerpolitischen Disputes zwischen Ashraf Ghani und Abdullah Abdullah, die beide die Präsidentschaft für sich beanspruchten. Die Taliban haben seit dem unterzeichneten Abkommen im Februar mehr als 4.500 Angriffe verübt. Die von dieser Gewalt am stärksten betroffenen Provinzen sind auch jene Provinzen, die am stärksten von COVID-19-Fällen betroffen sind (AJ 7.5.2020). In den innerafghanischen Gesprächen wird es um die künftige Staatsordnung, eine Machtteilung und die Integration der Aufständischen gehen (NZZ 20.4.2020).
Das Abkommen mit den US-Amerikanern
Das Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten und den Taliban enthält das Versprechen der US-Amerikaner, ihre noch rund 13.000 Armeeangehörigen in Afghanistan innerhalb von 14 Monaten abzuziehen. Auch die verbliebenen nichtamerikanischen NATO-Truppen (Stand Ende 2019: rund 6.700 Mann) sollen abgezogen werden. In den ersten 135 Tagen nach der Unterzeichnung werden die US-Amerikaner ihre Truppen in Afghanistan auf 8.600 Mann reduzieren. Der Abzug der ausländischen Truppenangehörigen, von denen die meisten Beratungs- und Ausbildungsfunktionen wahrnehmen, ist abhängig davon, ob die Taliban ihren Teil der Abmachung einhalten. Sie haben im Abkommen zugesichert, terroristischen Gruppierungen wie etwa al-Qaida keine Zuflucht zu gewähren. Die Taliban verpflichteten sich weiter, innerhalb von zehn Tagen nach Unterzeichnung, Gespräche mit einer afghanischen Delegation aufzunehmen (NZZ 20.4.2020; vgl. USDOS 29.2.2020).
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2. Sicherheitslage
Letzte Änderung: 22.4.2020
Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil (UNGASC 17.3.2019). Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die wichtigsten Bevölkerungszentren und Transitrouten sowie Provinzhauptstädte und die meisten Distriktzentren. Nichtsdestotrotz, hat die afghanische Regierung wichtige Transitrouten verloren (USDOD 12.2019).
Der Konflikt in Afghanistan befindet sich nach wie vor in einer "strategischen Pattsituation", die nur durch Verhandlungen zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban gelöst werden kann (SIGAR 30.1.2020). Die afghanische Regierung führte zum ersten Mal persönliche Gespräche mit den Taliban, inhaltlich wurde über den Austausch tausender Gefangener verhandelt; bis dahin hatten die beiden Seiten sich nur per Videokonferenz unterhalten (BBC 1.4.2020). Ein erster Schritt Richtung inner-afghanischer Verhandlungen, welcher Teil eines zwischen Taliban und US-Amerikanern unterzeichneten Abkommens ist (TD 2.4.2020). Die Gespräche fanden vor dem Hintergrund anhaltender Gewalt im Land statt (BBC 1.4.2020).
Für den Berichtszeitraum 8.11.2019-6.2.2020 verzeichnete die UNAMA 4.907 sicherheitsrelevante Vorfälle – ähnlich dem Vorjahreswert. Die Sicherheitslage blieb nach wie vor volatil. Die höchste Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle wurden in der südlichen Region, gefolgt von den nördlichen und östlichen Regionen, registriert, die alle samt 68% der Zwischenfälle ausmachten. Die aktivsten Konfliktregionen waren in den Provinzen Kandahar, Helmand, Nangarhar und Balkh zu finden. Entsprechend saisonaler Trends, gingen die Kämpfe in den Wintermonaten – Ende 2019 und Anfang 2020 – zurück (UNGASC 17.3.2020).
Die Sicherheitslage im Jahr 2019
Die geographische Verteilung aufständischer Aktivitäten innerhalb Afghanistans blieb, im Vergleich der beiden Jahre 2018 und 2019, weitgehend konstant. Im Jahr 2019 fanden auch weiterhin im Süden und Westen Afghanistans weiterhin schwere Kampfhandlungen statt; feindliche Aktivitäten nahmen zu und breiteten sich in größeren Gebieten des Nordens und Ostens aus. Der Resolute Support (RS) Mision (seit 2015 die Unterstützungsmission der NATO in Afghanistan) zufolge, waren für das Jahr 2019 29.083 feindlich-initiierte Angriffe landesweit zu verzeichnen. Im Gegensatz waren es im Jahr 2018 27.417 (SIGAR 30.1.2020). Mit einer hohen Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen – speziell in den südlichen, nördlichen und östlichen Regionen – blieb die Sicherheitslage vorerst volatil, bevor ein Zeitraum der Reduzierung der Gewalt registriert werden konnte. Die UNAMA (Hilfsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan) registrierte für das gesamte Jahr 2019 10.392 zivile Opfer, was einem Rückgang von 5% gegenüber 2018 entspricht (UNGASC 17.3.2020).
Seit Ende des Jahres 2019 haben Angriffe durch regierungsfeindliche Elemente erheblich zugenommen. Im September 2019 fanden die afghanischen Präsidentschaftswahlen statt, in diesem Monat wurde auch die höchste Anzahl feindlicher Angriffe eines einzelnen Monats seit Juni 2012 und die höchste Anzahl effektiver feindlicher Angriffe seit Beginn der Aufzeichnung der RS-Mission im Januar 2010 registriert. Dieses Ausmaß an Gewalt setzte sich auch nach den Präsidentschaftswahlen fort, denn im Oktober 2019 wurde die zweithöchste Anzahl feindlicher Angriffe in einem Monat seit Juli 2013 dokumentiert. Betrachtet man jedoch das Jahr 2019 in dessen Gesamtheit, so waren scheinbar feindliche Angriffe, seit Anfang des Jahres, im Zuge der laufenden Friedensgespräche zurückgegangen. Nichtsdestotrotz führte ein turbulentes letztes Halbjahr zu verstärkten Angriffen feindlicher Elemente von insgesamt 6% und effektiver Angriffe von 4% im Jahr 2019 im Vergleich zu den bereits hohen Werten des Jahres 2018 (SIGAR 30.1.2020).
Zivile Opfer
Für das Jahr 2019 registrierte die Hilfsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UNAMA) als Folge des bewaffneten Konflikts 10.392 zivile Opfer (3.403 Tote und 6.989 Verletzte), was einen Rückgang um 5% gegenüber dem Vorjahr, aber auch die niedrigste Anzahl an zivilen Opfern seit dem Jahr 2013 bedeutet. Nachdem die Anzahl der durch ISKP verursachten zivilen Opfer zurückgegangen war, konnte ein Rückgang aller zivilen Opfer registriert werden, wenngleich die Anzahl ziviler Opfer speziell durch Taliban und internationale Streitkräfte zugenommen hatte. Im Laufe des Jahres 2019 war das Gewaltniveau erheblichen Schwankungen unterworfen, was auf Erfolge und Misserfolge im Rahmen der Friedensverhandlungen zwischen Taliban und den US-Amerikanern zurückzuführen war. In der ersten Jahreshälfte 2019 kam es zu intensiven Luftangriffen durch die internationalen Streitkräfte und Suchaktionen der afghanischen Streitkräfte – insbesondere der Spezialkräfte des afghanischen Geheimdienstes NDS (National Directorate of Security Special Forces) (UNAMA 2.2020).
Aufgrund der Suchaktionen der afghanischen Streitkräfte, gab es zur Jahresmitte mehr zivile Opfer durch regierungsfreundliche Truppen als durch regierungsfeindliche Truppen. Das dritte Quartal des Jahres 2019 registrierte die höchste Anzahl an zivilen Opfern seit 2009, was hauptsächlich auf verstärkte Anzahl von Angriffen durch Selbstmordattentäter und IEDs (improvisierte Sprengsätze) der regierungsfeindlichen Seite – insbesondere der Taliban – sowie auf Gewalt in Zusammenhang mit den Präsidentschaftswahlen zurückzuführen ist. Das vierte Quartal 2019 verzeichnete, im Vergleich zum Jahr 2018, eine geringere Anzahl an zivilen Opfern; wenngleich sich deren Anzahl durch Luftangriffe, Suchoperationen und IEDs seit dem Jahr 2015 auf einem Rekordniveau befand (UNAMA 2.2020).
(UNAMA 2.2020)
Die RS-Mission sammelt ebenfalls Informationen zu zivilen Opfern in Afghanistan, die sich gegenüber der Datensammlung der UNAMA unterscheiden, da die RS-Mission Zugang zu einem breiteren Spektrum an forensischen Daten und Quellen hat. Der RS-Mission zufolge, ist im Jahr 2019 die Anzahl ziviler Opfer in den meisten Provinzen (19 von 34) im Vergleich zum Jahr 2018 gestiegen; auch haben sich die Schwerpunkte verschoben. So verzeichneten die Provinzen Kabul und Nangarhar weiterhin die höchste Anzahl ziviler Opfer. Im letzten Quartal schrieb die RS-Mission 91% ziviler Opfer regierungsfeindlichen Kräften zu (29% wurden den Taliban zugeschrieben, 11% ISKP, 4% dem Haqqani-Netzwerk und 47% unbekannten Aufständischen). 4% wurden regierungsnahen/-freundlichen Kräften zugeschrieben (3% der ANDSF und 1% den Koalitionskräften), während 5% anderen oder unbekannten Kräften zugeschrieben wurden. Diese Prozentsätze entsprechen in etwa den RS-Opferzahlen für Anfang 2019. Als Hauptursache für zivile Opfer waren weiterhin improvisierte Sprengsätze (43%), gefolgt von direkten (25%) und indirekten Beschüssen (5%) verantwortlich – dies war auch schon zu Beginn des Jahres 2019 der Fall (SIGAR 30.1.2020).
High-Profile Angriffe (HPAs)
Sowohl in den ersten fünf Monaten 2019, als auch im letzten Halbjahr 2019 führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele aus, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen (USDOD 12.2019; vgl. USDOD 6.2019). Das Haqqani-Netzwerk führte von September bis zum Ende des Berichtszeitraums keine HPA in der Hauptstadtregion durch. Die Gesamtzahl der öffentlichkeitswirksamen Angriffe ist sowohl in Kabul als auch im ganzen Land in den letzten anderthalb Jahren stetig zurückgegangen (USDOD 12.2019). Zwischen 1.6.2019 und 31.10.2019 fanden 19 HPAs in Kabul statt (Vorjahreswert: 17) (USDOD 12.2019), landesweit betrug die Zahl 88 (USDOD 12.2019).
Öffentlichkeitswirksame Angriffe durch regierungsfeindliche Elemente setzten sich im Berichtszeitraum (8.11.2019-6.2.2020) fort: 8 Selbstmordanschläge wurden verzeichnet; im Berichtszeitraum davor (9.8.-7.11.2019) wurden 31 und im Vergleichszeitraum des Vorjahres 12 Selbstmordanschläge verzeichnet. Der Großteil der Anschläge richtetet sich gegen die ANDSF (afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte) und die internationalen Streitkräfte; dazu zählte ein komplexer Angriff der Taliban auf den Militärflughafen Bagram im Dezember 2019. Im Februar 2020 kam es in Provinz Nangarhar zu einem sogenannten „green-on-blue-attack“: der Angreifer trug die Uniform der afghanischen Nationalarmee und eröffnete das Feuer auf internationale Streitkräfte, dabei wurden zwei US-Soldaten und ein Soldat der afghanischen Nationalarmee getötet. Zu einem weiteren Selbstmordanschlag auf eine Militärakademie kam es ebenso im Februar in der Stadt Kabul; bei diesem Angriff wurden mindestens 6 Personen getötet und mehr als 10 verwundet (UNGASC 17.3.2020). Dieser Großangriff beendete mehrere Monate relativer Ruhe in der afghanischen Hauptstadt (DS 11.2.2020; vgl. UNGASC 17.3.2020).
Die Taliban setzten außerdem improvisierte Sprengkörper in Selbstmordfahrzeugen gegen Einrichtungen der ANDSF in den Provinzen Kandahar, Helmand und Balkh ein (UNGASC 17.3.2020).
Anschläge gegen Gläubige und Kultstätten, religiöse Minderheiten
Nach Unterzeichnung des Abkommens zwischen den USA und den Taliban war es bereits Anfang März 2020 zu einem ersten großen Angriff des ISKP gekommen (BBC 6.3.2020; vgl. AJ 6.3.2020). Der ISKP hatte sich an den Verhandlungen nicht beteiligt (BBC 6.3.2020) und bekannte sich zu dem Angriff auf eine Gedenkfeier eines schiitischen Führers; Schätzungen zufolge wurden dabei mindestens 32 Menschen getötet und 60 Personen verletzt (BBC 6.3.2020; vgl. AJ 6.3.2020).
Am 25.3.2020 kam es zu einem tödlichen Angriff des ISKP auf eine Gebetsstätte der Sikh (Dharamshala) in Kabul. Dabei starben 25 Menschen, 8 weitere wurden verletzt (NYT 26.3.2020; vgl. TN 26.3.2020; BBC 25.3.2020). Regierungsnahe Quellen in Afghanistan machen das Haqqani-Netzwerk für diesen Angriff verantwortlich, sie werten dies als Vergeltung für die Gewalt an Muslimen in Indien (AJ 27.3.2020; vgl. TTI 26.3.2020). Die Taliban distanzierten sich von dem Angriff (NYT 26.3.2020). Am Tag nach dem Angriff auf die Gebetsstätte, detonierte eine magnetische Bombe beim Krematorium der Sikh, als die Trauerfeierlichkeiten für die getöteten Sikh-Mitglieder im Gange waren. Mindestens eine Person wurde dabei verletzt (TTI 26.3.2020; vgl. NYT 26.3.2020).
Regierungsfeindliche Gruppierungen
In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv – insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan (USDOD 12.2019; vgl. CRS 12.2.2019) und stellt nicht nur für die beiden Länder eine Sicherheitsherausforderung dar, sondern eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabilität (USDOD 12.2019):
Taliban
Der derzeitige Taliban-Führer ist nach wie vor Haibatullah Akhundzada (REU 17.8.2019; vgl. FA 3.1.2018) – Stellvertreter sind Mullah Mohammad Yaqub – Sohn des ehemaligen Taliban-Führers Mullah Omar – und Serajuddin Haqqani (CTC 1.2018; vgl. TN 26.5.2016) Sohn des Führers des Haqqani-Netzwerkes (TN 13.1.2017). Die Taliban bezeichnen sich selbst als das Islamische Emirat Afghanistan (VOJ o.D.). Die Regierungsstruktur und das militärische Kommando sind in der Layha, einem Verhaltenskodex der Taliban definiert (AAN 4.7.2011), welche zuletzt 2010 veröffentlicht wurde (AAN 6.12.2018). Die Taliban sind keine monolithische Organisation (NZZ 20.4.2020); nur allzu oft werden die Taliban als eine homogene Einheit angesehen, während diese aber eine lose Zusammenballung lokaler Stammesführer, unabhängiger Warlords sowie abgekoppelter und abgeschotteter Zellen sind (BR 5.3.2020).
Ein Bericht über die Rekrutierungspraxis der Taliban teilt die Taliban-Kämpfer in zwei Kategorien: professionelle Vollzeitkämpfer, die oft in den Madrassen rekrutiert werden, und Teilzeit-Kämpfer vor Ort, die gegenüber einem lokalen Kommandanten loyal und in die lokale Gesellschaft eingebettet sind (LI 29.6.2017). Die Gesamtstärke der Taliban wurde von einem Experten im Jahr 2017 auf über 200.000 geschätzt, darunter angeblich 150.000 Kämpfer (rund 60.000 Vollzeitkämpfer mobiler Einheiten, der Rest sein Teil der lokalen Milizen). Der Experte schätzte jedoch, dass die Zahl der Vollzeitkämpfer, die gleichzeitig in Afghanistan aktiv sind, selten 40.000 übersteigt (LI 23.8.2017). Im Jänner 2018 schätzte ein Beamter des US-Verteidigungsministeriums die Gesamtstärke der Taliban in Afghanistan auf 60.000 (NBC 30.1.2018). Laut dem oben genannten Experten werden die Kämpfe hauptsächlich von den Vollzeitkämpfern der mobilen Einheiten ausgetragen (LI 23.8.2017; vgl. AAN 3.1.2017; AAN 17.3.2017).
Die Taliban betreiben Trainingslager in Afghanistan. Seit Ende 2014 wurden 20 davon öffentlich zur Schau gestellt. Das Khalid bin Walid-Camp soll12 Ableger, in acht Provinzen betreibt (Helmand, Kandahar, Ghazni, Ghor, Saripul, Faryab, Farah und Maidan Wardak). 300 Militärtrainer und Gelehrte sind dort tätig und es soll möglich sein, in diesem Camp bis zu 2.000 Rekruten auf einmal auszubilden (LWJ 14.8.2019).