Entscheidungsdatum
14.08.2020Norm
AsylG 2005 §11Spruch
W253 2141761-1/23E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Jörg C. BINDER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung – Diakonie und Volkshilfe, Wattgasse 48/3, 1170 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 28.10.2016, Zl. 1083202502 - 151123367, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 17.06.2019 zu Recht:
A)
I. Die Beschwerde wird hinsichtlich der Spruchpunkte I. und II. des angefochtenen Bescheides als unbegründet abgewiesen.
II. Der Beschwerde wird hinsichtlich der Spruchpunkte III. und IV. des angefochtenen Bescheides stattgegeben und die Erlassung einer Rückkehrentscheidung in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 52 FPG iVm § 9 BFA-VG auf Dauer für unzulässig erklärt.
III. Dem Beschwerdeführer wird gemäß § 54 und 55 Abs. 1 AsylG 2005 der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung plus“ für die Dauer von zwölf Monaten erteilt.
B)
Die ordentliche Revision ist nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer stellte am 19.08.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.
Noch am Tag der Antragstellung fand die Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes statt. Zusammengefasst gab der Beschwerdeführer an, dass er in XXXX geboren worden und ledig sei. Er habe neun Klasse der Grundschule ebendort besucht. Er habe keine Berufsausbildung absolviert. Sein Vater, seine Mutter, drei Brüder sowie zwei Schwestern würden sich im Herkunftsland bzw. einem anderen Drittstaat befinden. Er habe in Afghanistan in Parwan, XXXX gelebt. Befragt zu seinem Fluchtgrund gab der Beschwerdeführer an, dass er „wegen des Krieges und der Taliban“ geflohen sei. Er sei als Ungläubiger bedroht worden und dadurch auch seine gesamte Familie. Sonst habe er keine weiteren Fluchtgründe. Bei einer Rückkehr habe er „Angst um sein Leben“.
2. Die Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) fand am 08.09.2016 statt. Zusammengefasst gab der Beschwerdeführer an, dass er gesund sei, nicht in ärztlicher Behandlung stehe und auch keine Medikamente einnehme. Er habe zuletzt in der Provinz Parwan in der Gemeinde Siyaagerd in der kleinen Stadt XXXX gelebt. Dies sei die Adresse seines Elternhauses, er habe von Geburt an dort gelebt, sei aber dazwischen von seinem Onkel nach Kabul gebracht worden. Er habe sich bis vor ca. zwei Jahren vor der Einvernahme in Kabul aufgehalten, da „sie“ Angst vor seinem Onkel väterlicherseits gehabt hätten. Er habe ein Jahr lang in Kabul gelebt und sei danach wieder nach XXXX zurückgekehrt und habe von dort aus die Flucht angetreten. Dazu befragt wer „sie“ seien, gab der Beschwerdeführer an, dass er damit sich und seinen Onkel mütterlicherseits gemeint habe, mit welchem er auch in Kabul gewesen sei. Nach der Rückkehr aus Kabul in seine Heimatstadt habe er sich dort ca. ein Jahr lang aufgehalten. Er habe in seiner Heimatstadt mit seiner Mutter und seiner Großmutter gelebt, auf Nachfrage gab der Beschwerdeführer an, dass auch sein Vater dort gelebt habe, er habe aber nicht viel Interesse an ihnen gehabt. Er habe drei Brüder und zwei Schwestern, die hätten auch mit ihm zusammengelebt. Das letzte Mal Kontakt mit seiner Mutter und seinem Onkel habe der Beschwerdeführer kurz nach seiner Einreise nach Österreich gehabt. Er habe danach keinen Kontakt mehr zu ihnen gehabt, da er die Telefonnummer nicht gehabt habe, die habe nur der Schlepper gehabt. Auf Nachfrage, welche afghanische Nummer von seinem Mobiltelefon angerufen worden sei, gab der Beschwerdeführer an, dass er das nicht wisse, er würde schon mit Leuten in Afghanistan sprechen, aber nicht mit seiner Familie. Er habe zum Zeitpunkt der Einvernahme keine Kontakte mehr nach Afghanistan gehabt. Auf Nachfrage gab er an, dass er schon noch Kontakt zu einem Freund in Kabul habe, aber sonst zu keinem mehr. Sonst habe er keinen Kontakt zu Angehörigen in Afghanistan, seine Mutter habe keinen sehr engen Kontakt zu den Verwandten gehabt und habe auch nicht zugelassen, dass der Beschwerdeführer diese besuche. Er sei Schüler gewesen, er habe die Schule sowohl in XXXX als auch in Kabul besucht. Er habe die Schule insgesamt acht Jahre lang besucht, dann habe er das Interesse am Lernen und an der Schule verloren und im 9. Jahr die Schule geschwänzt. Zu diesem Zeitpunkt sei er schon wieder aus Kabul zurück in XXXX gewesen. Die Schwiegereltern seines Vaters seien sehr reich gewesen, diesen Reichtum habe der Vater genutzt. Dieser habe auch selbst in der Landwirtschaft gearbeitet, aber nicht sehr oft. Die Familie habe ein Einfamilienhaus in XXXX , aber solange die Großeltern leben würden, „komme man nicht an sein Erbe“, das sei so üblich in Afghanistan.
Zu seinen Fluchtgründen befragt gab der Beschwerdeführer an, dass er wegen seines Onkels väterlicherseits in Schwierigkeiten gewesen sei. Dieser Onkel habe ihn und auch seine Mutter stets geschlagen. Wenn er keinen anderen Vorwand gehabt habe, habe er den Vorwand genutzt, dass der Beschwerdeführer und seine Mutter Ungläubige seien. Der Großvater väterlicherseits habe dreimal geheiratet und der Vater des Beschwerdeführers habe, so vermeine der Beschwerdeführer, Probleme mit seinen Brüder wegen des Erbes gehabt. Sie seien dem Willen und den Wünschen des Onkels ausgesetzt gewesen. Die Mutter habe den Vater auch öfter wegen der Probleme mit seinen Geschwistern gefragt, der Vater habe aber auch der Mutter nichts darüber erzählt. Wann die Probleme zwischen dem Onkel und dem Beschwerdeführer begonnen hätten, könne er nicht genau angeben, es sei in der Zeit gewesen, als er „angefangen habe seine Umwelt zu verstehen und etwas mitzubekommen“. Seitdem habe er Probleme gehabt, anfangs habe der Onkel den Beschwerdeführer zu sich nehmen wollen, der Beschwerdeführer wisse nicht warum, seine Mutter habe ihm das erzählt. Der Onkel habe ein Problem mit der Mutter des Beschwerdeführers gehabt, er habe sie gehasst, wieso wisse er nicht. Der Onkel habe „nachts das Sagen“ und viele Kontakte gehabt. Er sei wie die Taliban gewesen, er habe sich manchen gegenüber nett verhalten und manchen gegenüber nicht. Sie hätten zu denen gehört, denen gegenüber er nicht nett gewesen sei. Der Onkel sei nachts zum Beschwerdeführer gekommen und habe diesen geschlagen. In Afghanistan würden Verwandte andere Verwandte leicht ausfindig machen können. Der Onkel sei zu ihnen ins Haus gekommen, er habe gewusst, wo sie leben. Er habe sich in der Stadt ausgekannt und niemand habe sich vor ihm verstecken können. Der Beschwerdeführer wisse nicht, wie der Onkel nachts ins Haus gekommen sei, er habe ihn sehr oft geschlagen, wenn er wütend gewesen sei, sei er ins Haus gekommen. Seine Mutter habe nichts machen können. Sein Onkel mütterlicherseits habe den Beschwerdeführer bei sich versteckt und sei dann mit ihm nach Kabul gegangen. Dieser Onkel habe zuerst im Dorf und dann in Kabul gearbeitet und die Mutter habe den Beschwerdeführer dem Onkel „mitgegeben“. Der Beschwerdeführer sei von Kabul wieder ins Dorf gegangen, da jemand seinem Onkel väterlicherseits sein Versteck verraten habe. Der Beschwerdeführer glaube, dass der Onkel väterlicherseits ein Problem damit gehabt habe, dass er selbst keinen Sohn gehabt habe und dass er deswegen den Beschwerdeführer bei sich haben wollte. Hätte er den Beschwerdeführer gefunden, hätte er ihn sicher umgebracht, so sei das „nämlich in XXXX “. Auch die Geschwister des Beschwerdeführers hätten Probleme mit dem Onkel gehabt. Der Onkel väterlicherseits habe nicht gewusst, dass der Beschwerdeführer wieder von Kabul nach XXXX zurückgekehrt sei, er habe auch keinen Kontakt mit ihm gehabt. Er wisse nicht, wieso er von Kabul nach XXXX zurückgekehrt sei, er habe sich noch eine Weile dort aufgehalten, er habe sich verabschieden wollen. Seine Mutter habe die Ausreise aus Afghanistan geplant, der Beschwerdeführer habe nichts davon gewusst. Die Mutter habe es manchmal erwähnt, aber nie konkret. Er wisse nicht, wann genau sie es das erste Mal erwähnt habe, sie – auf Nachfrage: Eltern und Geschwister - hätten eigentlich auch flüchten wollen. Der Beschwerdeführer wisse nicht, wieso er dann alleine geflüchtet sei, die Beziehung seiner Eltern sei weder gut noch schlecht gewesen, sie seien einer „Tyrannei“ ausgesetzt gewesen und hätten sich nicht wehren können. Wieso seine Eltern auch flüchten hätten wollen, habe der Beschwerdeführer nicht gefragt, aber es habe die „genannten“ Probleme gegeben. In der letzten Zeit hätten alle Angst gehabt, vor allem seine Mutter, wovor habe der Beschwerdeführer nicht gefragt. Er wisse nicht mehr genau, wann er erfahren habe, dass er Afghanistan verlassen werde. Sie seien nicht wegen der Probleme mit ihrem Onkel zur Polizei gegangen, da es in Siyaagerd keine Polizei gegeben habe. Dies seien seine Fluchtgründe, von staatlicher Seite sei der Beschwerdeführer nicht verfolgt oder bedroht worden. Er habe keine Probleme aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit bzw. Religionszugehörigkeit in Afghanistan gehabt. Bei einer Rückkehr würden „die Leute“ ihn töten, die Umstände mit seinem Onkel hätten ihn dazu gezwungen aus Afghanistan zu flüchten. Es sei nicht möglich gewesen, in Afghanistan woanders hinzugehen, wäre dies möglich gewesen, hätte der Beschwerdeführer Afghanistan nicht verlassen. Er könne nach Afghanistan zurückkehren, wenn es seinen Onkel nicht mehr gebe.
In Österreich habe der Beschwerdeführer keine Bekannte, er lebe von der Grundversorgung. Er besuche die HTL, einen Deutschkurs habe er auch schon besucht, der B1-Kurs fange bald an und er habe mit seiner Vertrauensperson schon viel Deutsch gelernt. Er lerne viel in seiner Freizeit und habe auch schon viele österreichische Freunde.
Vorgelegt wurde eine englische Übersetzung der Tazkira des Beschwerdeführers sowie Unterlagen über einen Schulbesuch und ein Unterstützungsschreiben.
3. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 28.10.2016 wies das BFA den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz zur Gänze ab (Spruchpunkte I. und II.). Es wurde dem Beschwerdeführer kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt, eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt IV.).
Nicht festgestellt werden habe können, dass der Beschwerdeführer in
Afghanistan einer Verfolgung oder Bedrohung durch familiäre Streitigkeiten mit einem Onkel väterlicherseits ausgesetzt sei. Er habe weiters keine Probleme aufgrund seiner Volksgruppen- oder Religionszugehörigkeit oder mit staatlichen Behörden und werde auch nicht vom afghanischen Staat gesucht. Es drohe dem Beschwerdeführer aufgrund seiner Ausreise und Antragstellung zur Gewährung von internationalem Schutz in Österreich oder aufgrund von Umständen, die sich außerhalb seines Heimatlandes ereignet haben keine Verfolgung. Im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan sei er keiner Bedrohung oder Verfolgung ausgesetzt. Seine Eltern, seine Großmutter, seine drei Brüder sowie zwei Schwestern und sein Onkel mütterlicherseits hätten bis zuletzt im Heimatdorf in Afghanistan gelebt. Zu einem Freund in Kabul, der nach wie vor dort wohnhaft sei, halte der Beschwerdeführer Kontakt. Er verfüge somit über soziale Anknüpfungspunkte in Afghanistan und würde dort als alleinstehender, gesunder und arbeitsfähiger Mann nicht in eine existenzielle Notlage geraten.
Begründend wurde auf das Wesentlichste zusammengefasst ausgeführt, dass es dem Beschwerdeführer nicht gelungen sei, seine Fluchtgründe nachvollziehbar darzustellen und sein Fluchtvorbringen glaubhaft zu machen. Der Beschwerdeführer sei nicht in der Lage gewesen Details zur behaupteten Bedrohung und Verfolgung durch den Onkel väterlicherseits anzugeben. Auch habe er widersprüchliche Angaben zu diesem Vorbringen und auch zu den vorgebrachten Streitigkeiten seines Vaters mit seinen Geschwistern aufgrund eines Erbes gemacht. Es sei auch fragwürdig, ob der Onkel explizit den Beschwerdeführer nachts aufgesucht habe oder ob die Probleme mit der Mutter und dem Vater des Beschwerdeführers in Zusammenhang stehen würden. Auch habe der Beschwerdeführer sich selbst widersprochen, indem er angab, dass alle seine Geschwister Probleme mit dem Onkel gehabt hätten. Die Mutter habe den Beschwerdeführer mit dem Onkel mütterlicherseits nach Kabul geschickt, da der Beschwerdeführer dort bessere Ausbildungsmöglichkeiten gehabt habe. Auch habe der Beschwerdeführer diese Probleme mit dem Onkel väterlicherseits in der Erstbefragung mit keinem Wort erwähnt. Die Gründe für die Ausreise seien die Verbesserung der Lebenssituation aufgrund der allgemein schlechten Sicherheitslage.
Da dem Beschwerdeführer keine Verfolgung in Afghanistan drohe, er dort über soziale Anknüpfungspunkte verfüge und ortskundig sei, habe er als alleinstehender, gesunder und arbeitsfähiger Mann in seinem Heimatland nichts zu befürchten. Die Sicherheitssituation in der Heimatprovinz des Beschwerdeführers Parwan sei prekär.
4. Der Beschwerdeführer erhob gegen den Bescheid fristgerecht Beschwerde. Er brachte im Wesentlichen vor, dass er sowohl in der Erstbefragung, als auch in er Einvernahme vor dem BFA eine asylrelevante Verfolgung durch seinen Onkel bzw. die Taliban geltend gemacht habe. Ebenso habe das BFA es unterlassen, Länderberichte zu den entscheidungsrelevanten Themenkomplexen einzuholen. Der Beschwerdeführer sei von seinem Onkel, einem mächtigen Mann der mit den Taliban zusammenarbeite, über Jahre hinweg tyrannisiert und misshandelt worden. Er sei als Ungläubiger beschimpft worden, da er den Befehlen seines Onkels keine Folge leisten habe wollen und selbst der Versuch in Kabul ein neues Leben zu beginnen sei gescheitert, da er dort von seinem Onkel aufgespürt worden sei. Nicht nur von seinem Onkel, sondern auch von anderen Dorfbewohnern sei er als Ungläubiger beschimpft worden und müsse um sein Leben fürchten. Es sei nicht nachvollziehbar, wie das BFA zur Ansicht gelangt sei, dass der Beschwerdeführer von seiner Mutter zu Ausbildungszwecken nach Kabul geschickt worden sei, die Bedrohung durch seinen Onkel, die Sicherheitslage in seiner Heimatprovinz und die Gefahr von den Taliban umgebracht zu werden, sei so prekär geworden, dass der Beschwerdeführer mit seinem Onkel mütterlicherseits nach Kabul geflüchtet sei um dort Schutz zu suchen. Auch habe das BFA die Länderfeststellungen falsch gewürdigt. Dem Beschwerdeführer drohe eine Verfolgung aufgrund seiner unterstellten politischen Gesinnung. Er habe sich gegen den Willen seines Onkels gestellt, der in seinem Heimatdorf großen Einfluss habe und mit den Taliban zusammenarbeite. Im Falle einer Rückkehr würde man dem Beschwerdeführer vorwerfen, dass er mit den politischen Zielen der Taliban nicht übereinstimme und sich dadurch in eine Gefahrensituation begebe, die eine Furcht vor der Verfolgung durch die Taliban rechtfertige. Es sei nicht nachvollziehbar, wie das BFA zur Beurteilung gelange, dass der Beschwerdeführer unbehelligt in Kabul leben könne. Zu einer innerstaatlichen Fluchtalternative sei auszuführen, dass das BFA übersehe, dass der Beschwerdeführer lediglich Kontakt zu einem Freund in Kabul gehabt habe. Weitere familiäre oder freundschaftliche Kontakte zu in Kabul lebenden Personen bestünden nicht. Wie der Beschwerdeführer schon glaubhaft darlegen habe können, habe er bereits versucht in Kabul Schutz vor der Bedrohung durch seinen Onkel zu suchen, er sei jedoch von diesem dort aufgespürt worden, weswegen eine innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul nicht in Frage komme.
5. Mit Schreiben vom 05.12.2016 wurde die gegenständliche Beschwerde – ohne von der Möglichkeit eine Beschwerdevorentscheidung zu erlassen – dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vorgelegt.
6. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 17.06.2019 eine mündliche Verhandlung durch in welcher der Beschwerdeführer auch teilweise ohne Dolmetscher und auf Deutsch antwortet.
Noch am Anfang der Verhandlung wurde durch den Beschwerdevertreter der Antrag gestellt, einen Sachverständigen aus dem Gebiet der Neurologie/Psychiatrie zu bestellen, der Beschwerdeführer sei zwar nicht in ärztlicher Behandlung, aber beim Vorbereitungsgespräch seien ernsthafte Zweifel an der Dispositionsfähigkeit des Beschwerdeführers aufgekommen, da dessen Angaben „wirr gewirkt“ hätten. Der Beschwerdeführer führte dazu aus, dass es richtig sei, dass er noch nicht beim Arzt gewesen sei, da er „Angst vor dem Neurologen“ habe. Er habe grundsätzlich Angst vor Krankenhäusern. Dem Beschwerdeführer sei vor allem seine Konzentrationsschwäche aufgefallen, er vergesse derzeit alles sehr schnell. Er habe das Gefühl, dass sein Zustand immer schlechter werde. Er leide nicht an Schlaflosigkeit.
Ergänzend zur Niederschrift vor dem BFA gab der Beschwerdeführer an, dass es in seinem Heimatdorf schon eine Polizei gebe, dass er dort aber nicht hingegangen sei. Er erinnere sich nicht, ob es noch weitere falsche Protokollierungen gebe.
Das Geburtsdatum, dass im Altersfeststellungsgutachten angeführt sei, sei nicht richtig, in seiner Tazkira finde sich ein anderes Geburtsdatum. Er lehne die Altersfeststellung jedoch nicht ab, da sie doch mit moderner Technik durchgeführt worden sei. Weder seine Mutter noch seine Großmutter würden sein richtiges Geburtsdatum kennen, da das Geburtsjahr aus der Tazkira nicht geführt werde. Er habe er kein Problem mit dem Geburtsdatum, welches bei der Altersfeststellung festgestellt worden sei. Seine Großmutter habe ihm gesagt, dass das Geburtsjahr in der Tazkira richtig sei, seine Mutter hingegen meine, dass sein Alter ein bis zwei Jahre davon abweichen könne. Die Untersuchung sei zu akzeptieren, er habe kein Problem mit der Feststellung.
Die Angaben zu seiner Schul- bzw. zur fehlenden Berufsausbildung und zur Familie des Beschwerdeführers deckten sich mit den bisher gemachten Angaben.
Der Beschwerdeführer wisse nicht, ob sein Vater Probleme habe oder nicht, er habe jedenfalls sowohl die Mutter als auch die Geschwister geschlagen. Er habe auch Probleme mit dem Onkel und „dessen Leuten“ gehabt. Sie hätten ihn zunächst als „ungläubig“ und dann später als „Atheist“ bezeichnet und ihn aus „ihrem Kreis verstoßen“. Dieser Onkel sei der Stiefbruder seines Vaters gewesen. Konkret zu den Problemen befragt gab der Beschwerdeführer an, dass sie eines Tages zusammengesessen seien und es seien religiöse Themen besprochen worden. Sein Onkel und sein Schwager und auch andere hätten immer wieder Gott erwähnt und Gott gepriesen. Er habe sich unbewusst zu Wort gemeldet und gesagt, dass er nicht dauernd von Gott sprechen, sondern seine Sachen selber erledigen solle. Seither sei er als „ungläubig“ und „abtrünnig“ betrachtet worden. Er habe Afghanistan verlassen, da verbreitet worden sei, dass er „keinen Gott kennen“ würde. Sein Stiefonkel, dessen Schwager und „deren Leute“ hätten auch Verbindungen zu den Taliban und so habe sich das auch unter den Taliban verbreitet. Seine Mutter habe erzählt, dass diese Verbindung zu den Taliban bestehe. Er sei von diesen Leuten auch zusammengeschlagen worden, sodass er sich nicht mehr sicher gefühlt und Afghanistan verlassen habe. Sein Onkel und sein Schwager, der Mann seiner Schwester, hätten den Beschwerdeführer sehr viel geschlagen und diese Dinge über ihn verbreitet. Der Beschwerdeführer sei wegen seiner Mutter aus Kabul in sein Heimatdorf zurückgegangen um sich zu verabschieden. Er habe Afghanistan bzw. Kabul verlassen, da er einem großen Stamm angehöre und nicht gewusst habe, wer aus seinem Stamm gut und er böse sei und wer was von wem erfahren habe und wer mit wem in Verbindung stehe. Bei einer Rückkehr könne er wegen seines Abfalles vom Glauben („Ich weiß selber nicht, ob ich vom Glauben abgefallen bin oder nicht.“) bzw. der dort verbreiteten Informationen, dass er „ungläubig“ sei nicht mehr dort leben, da er befürchte getötet zu werden. Er sei ca. mit 15 oder 16 Jahren vom Glauben abgefallen, er sei ein ganzes Jahr nicht in die Moschee gegangen. Er habe gebetet und nur das gemacht, was für ihn gut gewesen sei. Er habe grundsätzlich nicht auf das gehört, was die Mullahs erzählt und vorgeschrieben haben, er habe diesen einfach nicht zugehört, er habe die Mullahs nicht gemocht. Die Mullahs würden allen vorschreiben, wie sie leben sollen und an welche Gesetze sie sich halten sollen, sie hätten den Beschwerdeführer ebenfalls nicht gemocht. Dazu befragt, wieso nur der Beschwerdeführer alleine geflüchtet sei, obwohl seine ganze Familie bedroht worden sei, gab dieser an, dass hauptsächlich er einer Bedrohung ausgesetzt gewesen sei, aber seine „arme Mutter“ sei ebenfalls zusammengeschlagen worden. Der Vater habe dazu nichts gesagt. Der Beschwerdeführer wisse nicht, wieso sein Vater ihn nicht vor dem Onkel geschützt habe, er wisse nicht, ob dieser kein Interesse gehabt habe oder ob er es nicht gewollt oder gekonnt habe. Er stehe mit seinem Onkel mütterlicherseits, mit dem er in Kabul gelebt habe nicht in Kontakt und er wisse nicht, ob dieser nicht auch behaupten würde, dass der Beschwerdeführer „ungläubig“ sei. Es seien jetzt 100 % der Leute über den Beschwerdeführer informiert, da er auf Facebook Fotos von Weihnachten gepostet habe, er habe damals noch nicht gewusst, was Weihnachten bedeute und welches Ausmaß sein Post annehmen würde. Es seien Fotos von einem Faschingsfest gewesen, die jemand anderer gepostet habe und der Beschwerdeführer sei lediglich „getagt“ worden. Diese Dame habe nicht gewusst, dass sie damit etwas „verursachen“ könne. Befragt zum Unterschied zwischen Weihnachten und Fasching gab der Beschwerdeführer an, dass man sich zu Fasching verkleide, Weihnachten sei hingegen ein religiöses Fest, bei dem gesagt werde, dass „Jesus zu Weihnachten geboren“ worden sei. Die Fotos seien von einem Faschingsfest gewesen, zu Weihnachten habe er lediglich „Frohe Weihnachten“ auf Facebook gepostet. Dies sei glaublich 2016 gewesen. Diese Nachricht dürften viele Leute gelesen haben, aber es habe ihm nur eine einzige Person mit dem Familiennamen „ XXXX “ geantwortet. Es seien viele Beschimpfungen gewesen, die er nicht wiederholen wolle. Er habe z.B. geschrieben, dass der Beschwerdeführer „schwul“ sei und er einige Dinge einfach unterlassen solle. Der Beschwerdeführer habe damals den Post gelöscht und aus Angst seinen Account deaktiviert. Er habe diese Person nicht gekannt, aber es sei jemand aus seinem Heimatdorf gewesen, das wisse er.
Zu seiner Situation in Österreich befragt gab der Beschwerdeführer auf Deutsch an, dass er sich in Österreich sehr wohl, wie in seiner Heimat, fühle. Er habe in Traiskirchen bei einem landwirtschaftlichen Projekt mitgearbeitet und habe auch in Gumpoldskirchen bei einem Fest mitgeholfen. Er melde sich für freiwillige Arbeiten, dürfe aber keine Lehre beginnen. Der Beschwerdeführer würde sich gerne für eine Lehre bewerben und eine Schule besuchen. Er wolle KFZ-Mechaniker werden. Er sei zwei Jahre in der HTL gewesen und habe sich dort wegen eines technischen Berufes informiert. Auch in Afghanistan habe er schon immer mit Autos arbeiten wollen. Direkt habe er sich noch nicht beworben. „Eine Frau“ habe einmal für ihn eine Lehrstelle als Schlosser gefunden, er sei dort hingegangen und habe sein Interesse für Autos geäußert.
Auf Nachfrage des Beschwerdeführervertreters gab dieser an, dass die Taliban von seinem „Glaubensabfall“ wissen würden. Er gehe in keine Moschee. Er würde auch eine christliche Frau heiraten, wenn diese keine Probleme habe, dass er kein Christ sei.
Die in der Verhandlung befragte Zeugin, die „Patin“ des Beschwerdeführers, gab an, dass sie oft den Eindruck habe, dass sich der Beschwerdeführer nicht klar und strukturiert ausdrücken könne. Sie habe den Beschwerdeführer im Sommer 2015 in Traiskirchen über Deutschkurse, die sie ehrenamtlich gebe kennengelernt. Anfangs habe sie den Eindruck gehabt, dass auf Grund der mangelnden Deutschkenntnisse es zu Verständigungsproblemen gekommen sei, aber mit zunehmenden Deutschkenntnissen habe sie den Eindruck gehabt, dass der Beschwerdeführer sich eher wirr und unklar ausdrücke. Auch „afghanische Burschen“ die einbezogen wurden, hätten gesagt, dass sie dem Beschwerdeführer teilweise nicht folgen könnten. Der Beschwerdeführer sei sehr offen gegenüber „westlichen Werten“, er habe von Anfang an an kulturellen Aktivitäten teilgenommen. Er sei von Anfang an sehr bemüht gewesen und habe sich als Dolmetscher eingebracht. Er spreche nachweislich Deutsch auf B1-Niveau. Der Beschwerdeführer sei sehr bemüht, aber die Zeugin habe den Eindruck, dass er, vielleicht aus psychischen Gründen, Schwierigkeiten habe sich strukturiert auszudrücken. Er „verliere“ sich oft in Themen und Punkten, die gar nicht zum Thema passen würden, sie habe nicht den Eindruck, dass der Beschwerdeführer „gezielt lügen“ wolle, vielmehr habe sie den Eindruck, dass der Beschwerdeführer in längeren Gesprächen Schwierigkeiten habe einem „Faden zu folgen“. Der Beschwerdeführer habe die Möglichkeit gehabt in einer Firma in Mödling zu „schnuppern“, er habe bemerkt, dass es in dieser Schlosserei so gut wie keine deutschsprachigen Kollegen gegeben habe und dem Beschwerdeführer sei der Kontakt mit Deutschsprachigen sehr wichtig, deswegen habe er diese Stelle nicht angenommen. Der Beschwerdeführer sei sehr fleißig, er sei oft „verlegt“ worden und habe sich „nirgendswo verfestigen“ können. Der Beschwerdeführer habe den Wunsch nach physischer Arbeit geäußert, für ihn sei es wichtig, etwas Praxisbezogenes zu lernen, er würde gerne als KFZ-Mechaniker eine Lehrstelle finden.
7. Datiert mit 29.09.2019 wurde durch Universitätsprofessor Dr. med. XXXX , Facharzt für Psychiatrie und Neurologie und Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin sowie Allgemein beeideter und gerichtlich zertifizierter Sachverständiger, nach einer persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers und Befunderhebung am 11.09.2019 ein Psychiatrisch-neurologisches Gutachten erstellt.
Zu den einzelnen, durch das Bundesverwaltungsgericht gestellten, Fragen wurde wie folgt ausgeführt:
1. Liegt beim Beschwerdeführer eine krankheitswertige, psychische Störung oder eine posttraumatische Belastungsstörung vor? Wenn ja, welche?
Es fand sich beim Beschwerdeführer ein im Wesentlichen unauffälliger psychopathologischer Querschnittsbefund. Es fand sich bei einem in allen Qualitäten orientierten Untersuchten ein kohärenter und zielführender Sprach- und Gedankengang ohne inhaltliche und formale Auffälligkeiten. Es fand sich entsprechende Kritikfähigkeit und Überblicksgewinnung und ein entsprechender Realitätsbezug. Es haben sich entsprechende Gedächtnisleistungen gefunden, wobei der Beschwerdeführer Vergesslichkeit betreffend Lernens deutscher Lehrinhalte angegeben habe, aber bei der Untersuchung bei der Erhebung anamnestischer Angaben keine Störung der Gedächtnisfunktionen festgestellt wurde. Es fand sich eine entsprechende Konzentrationsfähigkeit und auch entsprechende Aufmerksamkeitsleistungen. Es fand sich eine normothyme Stimmungslage, entsprechende Affektäußerungen, entsprechende Antriebsleistungen und es ist ein ungestörtes Schlafverhalten angeführt worden. Es fand sich auch aufgrund der Anamnese und des Verlaufs derzeit kein Hinweis auf das Vorliegen einer psychischen Erkrankung bzw. krankeitswertigen psychischen Störung. Es hat sich auch kein Hinweis aus das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung gefunden. Die Angaben zu einer Vergesslichkeit bezüglich deutscher Lerninhalte könnte als Lernschwäche im Hinblick auf das Erlernen einer neuen Sprache interpretiert werden.
2. Ist diese behandelbar? Wenn ja, in welcher Form? Bitte um Bekanntgabe der notwendigen Medikamente.
Es ist derzeit keine psychiatrische bzw. nervenärztliche Behandlung medizinisch indiziert. Betreffend der möglichen Lernschwäche wäre eine pädagogisch-psychologische Betreuung im Sinne eines Lerntrainings als Möglichkeit empfehlenswert.
3. Falls eine psychische Erkrankung vorliege, wie lange ist eine Behandlung erforderlich.
Entfällt.
4. Ist eine allfällige psychische Störung auf die Erlebnisse im Zusammenhang mit der Flucht zu sehen oder hat diese schon im Herkunftsstaat bestanden?
Entfällt.
5. Besteht bei dem Beschwerdeführer eine beschränkte Wiedergabefähigkeit bzw. ist er grundsätzlich in der Lage das Erlebte wiederzugeben?
Es ist beim Beschwerdeführer keine psychiatrische Erkrankung bzw. krankheitswertige psychische Störung in einem Ausmaß fassbar, die die Wiedergabefähigkeit beeinträchtigen würde bzw. Gedächtnisleistungen beeinträchtigen würde. Er ist grundsätzlich in der Lage Erlebtes wiederzugeben.
6. Besteht beim Beschwerdeführer eine beschränkte Wahrnehmungsfähigkeit?
Es ist keine psychische Störung beim Beschwerdeführer fassbar, die die Wahrnehmungsfähigkeit beschränken würde.
7. Besteht bei dem Beschwerdeführer eine beschränkte Erinnerungsfähigkeit bzw. Gedächtnisleistung?
Es ist beim Beschwerdeführer keine psychische Erkrankung fassbar, die eine beschränkte Erinnerungsfähigkeit beinhalten würde bzw. die eine Störung der Gedächtnisleistung beinhalten würde. Es wird zwar vom Beschwerdeführer eine Vergesslichkeit, aber nur spezifisch des Neuerlernens deutscher Vokabel angeführt. Es ergab die Untersuchung aber keine psychische Störung, die die sonstige Erinnerungsfähigkeit bzw. die Gedächtnisleistungen beeinträchtigen würde.
8. Ist der Beschwerdeführer grundsätzlich zeitlich, örtlich, situativ zur Person derart orientiert, dass er in der Lage ist, schlüssige und widerspruchsfreie Angabe zu tätigen?
Der Beschwerdeführer ist zeitlich, örtlich und situativ und zur Person orientiert und es ist keine psychische Störung fassbar, die ihn außer Lage setzen würde, schlüssige und widerspruchsfreie Angaben zu tötigen.
9. Wenn nein, wie wirkt sich dies auf das Verfahren aus und hat sich dies auf die bisherigen Vernehmungen ausgewirkt? Bei welchen Fragestellungen kann eine schlüssige und widerspruchsfreie Angabe erwartet werden?
Es finden sich nach Durchsicht der bisherigen Vernehmungsprotokolle keine Hinweise auf das Vorliegen einer psychischen Störung, die bei den bisherigen Vernehmungen die Einvernahmefähigkeit beeinträchtigt hätte.
10. Ist der Beschwerdeführer in der Lage, an einer neuerlichen Beschwerdeverhandlung teilzunehmen bzw. ist er einvernahmefähig?
Es ist keine psychische Erkrankung bzw. krankheitswertige Störung beim Beschwerdeführer fassbar, die ihn außer Lage setzen würde, an einer neuerlichen Beschwerdeverhandlung teilzunehmen. Es ist keine psychische Störung bzw. geistige Behinderung fassbar, die die Einvernahmefähigkeit beeinträchtigen würde.
11. Leider der Beschwerdeführer an einer psychischen Erkrankung bzw. Störung, die ihn daran hindert, Bedeutung und Tragweite des Verfahrens über internationalen Schutz und der prozessualen Vorgänge, die sich dabei ereignen, zu erkennen, zu verstehen und sich – durch aktive Verfahrenshandlungen oder Unterlassungen – den Anforderungen eines derartigen Verfahrens entsprechend zu verhalten?
Es ist eine [gemeint wohl: keine] psychische Erkrankung ein einem Ausmaß fassbar, die den Beschwerdeführer daran hindern würde die Bedeutung des Verfahrens über internationalen Schutz und die prozessualen Vorgänge zu erkennen. Er zeigt sich auch darüber entsprechend informiert und ist auch rechtsfreundlich vertreten.
12. Ist der Beschwerdeführer aufgrund einer psychischen Krankheit bzw. Störung in der Lage, alle oder einzelne seiner Angelegenheiten ohne die Gefahr eines Nachteils für sich selbst zu erledigen?
Es ist keine psychische Erkrankung oder geistige Behinderung beim Beschwerdeführer fassbar, die ihn daran hindern würde, seine Angelegenheiten ohne Gefahr eines Nachteils für sich selbst zu erledigen.
13. Wirkt sich die Krankheit des Beschwerdeführers auf seine Arbeitsfähigkeit aus? Wenn ja, wie stark ist diese Einschränkung?
Es ist keine psychische Erkrankung bzw. krankheitswertige psychische Störung beim Beschwerdeführer fassbar, die seine Arbeitsfähigkeit beeinträchtigen würde. Es ist der Beschwerdeführer entsprechend seinem Ausbildungsniveau aus psychiatrischer Sicht als arbeitsfähig zu bezeichnen.
14. Ist davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer zukünftig aufgrund seiner Erkrankung Schwierigkeiten bei der Arbeit bzw. der Hausarbeit haben wird?
Es ist beim Beschwerdeführer derzeit keine psychische Erkrankung bzw. krankheitswertige psychische Störung fassbar, die Schwierigkeiten bei der Arbeit bzw. bei der Hausarbeit bedingen würden.
8. Am 06.11.2019 wurde dem Beschwerdeführer das psychiatrisch-neurologische Gutachten übermittelt und ihm die Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme gegeben. Diesbezüglich gab der Beschwerdeführer keine Stellungnahme ab.
9. Am 27.11.2019 wurde seitens des Beschwerdeführers Unterlagen seine Integration betreffend übermittelt.
10. Mit Schreiben vom 03.07.2020 wurde der Beschwerdeführer seitens des erkennenden Gerichtes zu diversen Fragen um Stellungnahme ersucht.
11. Am 16.07.2020 übermittelte der Beschwerdeführer eine Stellungnahme aus der hervorgeht, dass es keine neuen Ereignisse in Afghanistan gebe, die eine weitere Verfolgung darstellen könnten. Der Beschwerdeführer habe am 10.12.2019 die B1 Prüfung beim ÖIF bestanden und bereits im Jahr 2017 einen B2-Kurs besucht. Er gehe derzeit keiner Erwerbstätigkeit nach, habe sich allerdings bei zahlreichen Unternehmen beworben. Dazu und auch die Deutschkurse betreffend legte der Beschwerdeführer diverse Unterlagen vor sowie weitere Schriftstücke betreffend ein freiwilliges Engagement bei der Caritas, „PatInnen für alle“, „Der gute Laden“ und den Kinderfreunden. Weiters habe der Beschwerdeführer einen Lehrgang für Konfliktvermittlung bei der Caritas absolviert und Freizeitaktivitäten besucht (dazu wurden diverse Lichtbilder vorgelegt).
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zum Verfahrensgang:
Der Beschwerdeführer stellte am 19.08.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Mit dem im Spruch bezeichneten Bescheid wies das BFA den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vollinhaltlich ab und es wurde ihm kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt. Es wurde eine Rückkehrentscheidung gegen den Beschwerdeführer erlasen und es wurde festgestellt, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. Die Frist für eine freiwillige Ausreise wurde mit zwei Wochen festgesetzt. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde, woraufhin vor dem Bundesverwaltungsgericht am 17.06.2019 eine öffentliche mündliche Verhandlung durchgeführt wurde, in welcher der Beschwerdeführer ausführlich zu seinen Fluchtgründen befragt und ihm Gelegenheit gegeben wurde, diese umfassend darzulegen.
1.2. Zum Beschwerdeführer:
Der volljährige Beschwerdeführer führt den im Spruch angeführten Namen und ist zum dort angegebenen Datum geboren. Er ist afghanischer Staatsangehöriger und gehört der Volksgruppe der Paschtunen an. Er ist sunnitischer Moslem. Seine Muttersprache ist Paschtu. Der Beschwerdeführer ist ledig und hat keine Kinder.
Der Beschwerdeführer hat zuletzt in der Provinz Parwan, in der Gemeinde XXXX , in der Stadt XXXX gemeinsam mit seinen Eltern und seinen Geschwistern gelebt. Zwischenzeitlich lebte der Beschwerdeführer mit einem Onkel mütterlicherseits für ein Jahr in Kabul, kehrte aber wieder nach XXXX zurück und trat von dort – nach einem ca. einjährigen Aufenthalt - die Flucht nach Österreich an. Der Beschwerdeführer hat acht Jahre lang die Schule besucht. In Österreich besuchte der Beschwerdeführer zwei Jahre lang eine HTL.
Die Kernfamilie des Beschwerdeführers befindet sich noch in Afghanistan. Es besteht kein Kontakt zu den Eltern und den Geschwistern, der Beschwerdeführer hat jedoch Kontakt zu einem Freund in Kabul.
Der Beschwerdeführer ist nach der afghanischen Kultur sozialisiert und ist mit den afghanischen Gepflogenheiten vertraut.
Der Beschwerdeführer ist gesund.
Der Beschwerdeführer beherrscht die deutsche Sprache zumindest auf B1 Niveau.
Der Beschwerdeführer verfügt in Österreich über keine familiären Anknüpfungspunkte.
Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.
Der Beschwerdeführer bemüht sich in Österreich darum einen Arbeitsplatz zu finden und hat sich mehrfach und fortlaufend ehrenamtlich bei diversen Vereinigungen engagiert.
1.3. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:
1.3.1. Der Beschwerdeführer hatte in Afghanistan keine Probleme mit staatlichen Institutionen
1.3.2. Bei einer Rückkehr in seine Heimatprovinz Parwan bzw. nach XXXX droht dem Beschwerdeführer aktuell kein individueller konkreter ein Eingriff in seine körperliche Integrität durch Mitglieder der Taliban. Auch eine Bedrohung durch den Onkel väterlicherseits betreffend droht dem Beschwerdeführer aktuell keine Bedrohung bzw. Verfolgung.
1.3.3. Der Beschwerdeführer übt derzeit keine religiösen Riten, wie den Besuch einer Moschee, aus. Dem Beschwerdeführer droht aufgrund der Tatsache, dass er keine religiösen Riten (Beten, Besuch der Moschee) ausübt, in Afghanistan bei einer Ansiedelung in einer Großstadt keine physische oder psychische Gewalt.
Der Beschwerdeführer hat keine Verhaltensweisen verinnerlicht, die bei einer Rückkehr nach Afghanistan als Glaubensabfall gewertet werden würde.
Dem Beschwerdeführer droht in Afghanistan aufgrund eines auch nur unterstellten Abfalles vom islamischen Glauben keine Gefahr von physischer oder psychischer Gewalt.
1.3.4. Dem Beschwerdeführer droht keine mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit anzunehmende Verfolgung in Afghanistan aufgrund seiner Volksgruppen- bzw. Religionszugehörigkeit.
1.4. Zu einer möglichen Rückkehr des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat:
Der Beschwerdeführer ist im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan (in die Städte Mazar-e Sharif oder Herat) nicht in Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.
Es ist dem Beschwerdeführer möglich, nach anfänglichen Schwierigkeiten nach einer Ansiedlung in der Stadt Herat/Mazar-e Sharif Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können.
Der Beschwerdeführer hat keinen Kontakt zu seiner Kernfamilie, aber zu einem Freund, der in Kabul lebt und es kann davon ausgegangen werden, dass, auch wenn kein Kontakt zu seiner Familie besteht, diese bzw. sein Freund in Kabul, den Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Afghanistan anfänglich unterstützen kann. Auch wenn dies nicht der Fall sein sollte, handelt es sich beim Beschwerdeführer um einen jungen, gesunden Mann, welcher sich – allenfalls anfänglich durch Hilfsarbeiten – einen Lebensunterhalt in Afghanistan sichern kann.
Außergewöhnliche Gründe, die eine Rückkehr des Beschwerdeführers nach Mazar-e Sharif oder Herat ausschließen könnten, können nicht festgestellt werden. Er kann dort seine Existenz – zumindest anfänglich – mit Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten sichern. Es kann nicht festgestellt werden, dass er nicht in der Lage ist in Herat oder Mazar-e Sharif eine einfache Unterkunft zu finden. Herat und Mazar-e Sharif sind über die dortigen Flughäfen sicher zu erreichen.
Bei der Heimatprovinz des Beschwerdeführers, Parwan, handelt es sich um eine relativ friedliche Provinz in Afghanistan, wodurch dem Beschwerdeführer eine Rückkehr in diese auch möglich und zumutbar wäre.
1.5. Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat
Die Länderfeststellungen zur Lage in Afghanistan basieren auf nachstehenden Quellen:
Die Länderfeststellungen zur Lage in Afghanistan basieren auf nachstehenden Quellen:
1. Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan in der Fassung der Gesamtaktualisierung vom 13.11.2019 mit Stand 18.05.2020 (LIB),
2. UNHCR Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018 (UNHCR),
3. EASO Country Guidance: Afghanistan vom Juni 2019 (EASO)
4. ecoi.net Themendossier zu Afghanistan: „Sicherheitslage und die soziökonomische Lage in Herat und in Masar-e Scharif“ vom 26.05.2020 (ECOI Herat und Masar-e Sharif)
5. ACCORD Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Lokale Sicherheits- und Versorgungslage in der Stadt Masar-e Sharif und Umgebung; Besonderheiten aufgrund der Corona-Pandemie vom 30.04.2020 (ACCORD Masar-e Sharif)
6. ACCORD Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Lokale Sicherheits- und Versorgungslage in der Stadt Herat; Besonderheiten aufgrund der Corona-Pandemie vom 23.04.2020 (ACCORD Herat)
Allgemeine Sicherheitslage
Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind. Auf einer Fläche von ca. 632.000 Quadratkilometern leben ca. 32 Millionen Menschen (LIB, Kapitel 2).
Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt insgesamt volatil und weist starke regionale Unterschiede auf. Provinzen und Distrikten mit aktiven Kampfhandlungen stehen anderen gegenüber, in denen die Lage trotz punktueller Sicherheitsvorfälle vergleichsweise stabil ist. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, Transitrouten, Provinzhauptstädte und den Großteil der Distriktzentren (LIB, Kapitel 2). Die Hauptlast einer unsicheren Sicherheitslage in der jeweiligen Region trägt die Zivilbevölkerung (UNHCR, Kapitel II. B).
Drei Ministerien verantworten die Sicherheit in Afghanistan: Das afghanische Innenministerium (Afghanistan’s Ministry of Interior - MoI), das Verteidigungsministerium (Ministry of Defense - MoD) und der afghanische Geheimdienst (NDS). Das Innenministerium ist primär für die interne Ordnung zuständig, dazu zählt auch die ANP (Afghan National Police) und die ALP (Afghan Local Police). Die ANA untersteht dem Verteidigungsministerium und ist für die externe Sicherheit zuständig, ihre primäre Aufgabe ist jedoch die Bekämpfung der Aufständischen innerhalb Afghanistans. Das National Directorate of Security (NDS) fungiert als Geheimdienst und ist auch für die Untersuchung von Kriminalfällen zuständig, welche die nationale Sicherheit betreffen. Die Ermittlungsabteilung des NDS betreibt ein Untersuchungsgefängnis in Kabul (LIB, Kapitel 4).
In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv, welche eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabilität in Afghanistan darstellen. Eine Bedrohung für Zivilisten geht insbesondere von Kampfhandlungen zwischen den Konfliktparteien sowie improvisierten Sprengkörpern, Selbstmordanschlägen und Angriffen auf staatliche Einrichtungen und gegen Gläubige und Kultstätten bzw. religiöse Minderheiten aus (LIB, Kapitel 2).
Aktuelle Entwicklungen
Die afghanischen Regierungskräfte und die Amerikaner können die Taliban, die über rund 60 000 Mann verfügen, nicht besiegen. Auch die Islamisten sind nicht stark genug, um die Regierungstruppen zu überrennen, obwohl sie rund die Hälfte des Landes kontrollieren oder dort zumindest präsent sind. In Afghanistan herrscht fast zwei Jahrzehnte nach dem Sturz des Taliban-Regimes durch die USA eine Pattsituation (LIB Kapitel 1).
Dieser Konflikt in Afghanistan kann nur durch Verhandlungen zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban gelöst werden kann. Die afghanische Regierung führte zum ersten Mal persönliche Gespräche mit den Taliban, inhaltlich wurde über den Austausch tausender Gefangener verhandelt; bis dahin hatten die beiden Seiten sich nur per Videokonferenz unterhalten. Ein erster Schritt Richtung inner-afghanischer Verhandlungen, welcher Teil eines zwischen Taliban und US-Amerikanern unterzeichneten Abkommens ist. Die Gespräche fanden vor dem Hintergrund anhaltender Gewalt im Land statt (LIB, Kapitel 2).
Das lang erwartete Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten und den Taliban wurde Ende Februar 2020 unterzeichnet – die afghanische Regierung war an dem Abkommen weder beteiligt, noch unterzeichnete sie dieses. Das Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten und den Taliban enthält das Versprechen der US-Amerikaner, ihre noch rund 13.000 Armeeangehörigen in Afghanistan innerhalb von 14 Monaten abzuziehen. Auch die verbliebenen nichtamerikanischen NATO-Truppen (Stand Ende 2019: rund 6.700 Mann) sollen abgezogen werden (LIB, Kapitel 1).
Die Verhandlungen mit den Taliban stocken auch aufgrund des innerpolitischen Disputes zwischen Ashraf Ghani und Abdullah Abdullah, die beide die Präsidentschaft für sich beanspruchten. Die Taliban haben seit dem unterzeichneten Abkommen im Februar mehr als 4.500 Angriffe verübt. Die von dieser Gewalt am stärksten betroffenen Provinzen sind auch jene Provinzen, die am stärksten von COVID-19-Fällen betroffen sind. In den innerafghanischen Gesprächen wird es um die künftige Staatsordnung, eine Machtteilung und die Integration der Aufständischen gehen (LIB, Kapitel 1).
Allgemeine Wirtschaftslage
Afghanistan ist nach wie vor eines der ärmsten Länder der Welt und stark von internationalen Hilfsgeldern abhängig. Dabei bleibt das Gefälle zwischen urbanen Zentren und ländlichen Gebieten Afghanistans eklatant. Lebensgrundlage für rund 80% der Bevölkerung ist die Landwirtschaft (LIB, Kapitel 20).
Der Zugang zum Arbeitsmarkt ist angespannt und die Arbeitslosigkeit ist hoch. Persönliche Kontakte, Empfehlungen sowie ein Netzwerk sind wichtig um einen Job zu finden. Arbeitgeber bewerten persönliche Beziehungen und Netzwerke höher als formelle Qualifikationen. Fähigkeiten, die sich Rückkehrer im Ausland angeeignet haben, können eine wichtige Rolle bei der Arbeitsplatzsuche spielen. Der afghanische Arbeitsmarkt ist durch eine starke Dominanz des Agrarsektors, eine Unterrepräsentation von Frauen und relativ wenigen Möglichkeiten für junge Menschen gekennzeichnet. Ebenso korreliert ein Mangel an Bildung mit Armut, wobei ein niedriges Bildungsniveau und Analphabetismus immer noch weit verbreitet sind. In Afghanistan existiert keine finanzielle oder sonstige Unterstützung bei Arbeitslosigkeit (LIB, Kapitel 20).
Der durchschnittliche Lohn beträgt in etwa 300 Afghani (ca. USD 4,3) für Hilfsarbeiter, während gelernte Kräfte bis zu 1.000 Afghani (ca. USD 14,5) pro Tag verdienen können (EASO Netzwerke, Kapitel 4.1).
In den Jahren 2016-2017 lebten 54,5% der Bevölkerung unterhalb der nationalen Armutsgrenze. Immer mehr Menschen greifen auf negative Bewältigungsmechanismen wie Kleinkriminalität, Kinderehen, Kinderarbeit und Betteln zurück, von denen insbesondere Binnenvertriebene betroffen sind. Der Zugang zu einer produktiven oder entgeltlichen Beschäftigung ist begrenzt, 80% der Beschäftigung gelten als anfällig und unsicher in Form von Selbst- oder Eigenbeschäftigung, Tagarbeit oder unbezahlter Arbeit. Der saisonale Effekt ist erheblich. Die Arbeitslosenquote ist in den Frühlings- und Sommermonaten relativ niedrig (rund 20%), während sie im Winter 32,5% erreichen kann (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).
Aufgrund der COVID-19 Maßnahmen der afghanischen Regierung sorgen sich zehntausende Tagelöhner in Kabul und Herat um ihre Existenz. UNICEF zufolge, arbeiten allein in Kabul mindestens 60.000 Kinder, um das Familieneinkommen zu ersetzen. Offiziellen Schätzungen zufolge können z.B. in Herat-Stadt 150.000 Tagelöhner aufgrund des Lockdowns nicht arbeiten und haben somit kein Einkommen. Weil es in Herat an Ressourcen mangelt, um Hunderttausende zu ernähren, nimmt die Bevölkerung die Bedrohung durch das Virus nicht ernst. Zwar hat die Bevölkerung anfangs großzügig gespendet, aber auch diese Spenden werden weniger, nachdem die langfristigen wirtschaftlichen Auswirkungen auf Unternehmen sichtbar werden (LIB, Landesspezifische Anmerkungen COVID-19).
In Afghanistan gibt es neben der Zentralbank auch mehrere kommerzielle Banken. Es ist mittlerweile auch relativ einfach, in Afghanistan ein Bankkonto zu eröffnen. Geld kann auch über das Hawala System (Form des Geldtausches) transferiert werden. Dieses System funktioniert schnell, zuverlässig und günstig. Spezielle Dokumente sind nicht notwendig und der Geldtransfer ist weltweit möglich und wird von verschiedenen Bevölkerungsschichten verwendet (LIB, Kapitel 20).
Im Zeitraum von 2016 bis 2017 waren 44,6% der afghanischen Bevölkerung sehr stark bis mäßig von Lebensmittelunsicherheit betroffen. In allen Wohnbevölkerungsgruppen war seit 2011 ein Anstieg festzustellen, wobei der höchste Anstieg in den ländlichen Gebieten zu verzeichnen war (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).
Afghanistans jährliche Wachstumsrate der städtischen Bevölkerung gehört zu den höchsten der Welt. Kabul war das Zentrum des Wachstums, und der Rest der städtischen Bevölkerung konzentriert sich hauptsächlich auf vier andere Stadtregionen: Herat, Mazar-e Sharif, Kandahar und Jalalabad. Die große Mehrheit (72%, basierend auf ALCS-Zahlen für 2016-2017) der afghanischen Stadtbevölkerung lebt in Slums oder in ungenügenden Wohnungen. 86% der städtischen Häuser in Afghanistan können (gemäß der Definition von UN-Habitat) als Slums eingestuft werden. Der Zugang zu angemessenem Wohnraum stellt für die Mehrheit der Afghanen in den Städten eine große Herausforderung dar (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).
In den Städten besteht grundsätzlich die Möglichkeit sicheren Wohnraum zu mieten. Darüber hinaus bieten die Städte die Möglichkeit von „Teehäusern“, die mit 30 Afghani (das sind ca. € 0,35) bis 100 Afghani (das sind ca. € 1,20) pro Nacht relativ günstig sind. „Teehäuser“ werden von Reisenden, Tagesarbeitern, Straßenhändlern, jungen Menschen, alleinstehenden Männern und anderen Personen, die in der Gegend keine ständige Unterkunft haben, als vorübergehende Unterkunft genutzt (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V). Man muss niemanden kennen, um eingelassen zu werden (EASO Netzwerke, Kapital 4.2.).
Der Zugang zu sauberem Trinkwasser sowie angemessenen sanitären Einrichtungen hat sich in den letzten Jahren erheblich verbessert. Der Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen, wie Wasserversorgung und Abwasserentsorgung, war in den Städten im Allgemeinen besser als auf dem Land. Der Zugang zu Trinkwasser ist für viele Afghanen jedoch nach wie vor ein Problem, und die sanitären Einrichtungen sind weiterhin schlecht (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).
Allgemeine Menschenrechtslage
Im Bereich der Menschenrechte hat Afghanistan unter schwierigen Umständen Fortschritte gemacht. Inzwischen ist eine selbstbewusste neue Generation von Afghaninnen und Afghanen herangewachsen, die sich politisch, kulturell und sozial engagiert und der Zivilgesellschaft eine stärkere Stimme verleiht. Diese Fortschritte erreichen aber nach wie vor nicht alle Landesteile und sind außerhalb der Städte auch gegen willkürliche Entscheidungen von Amtsträgern und Richtern sowie Einflussnahme örtlicher Machteliten nur schwer durchzusetzen. Die afghanische Regierung ist nicht in der Lage, die durch die afghanische Verfassung und einschlägige völkerrechtliche Verträge garantierten Menschenrechte vollumfänglich umzusetzen und zu gewährleisten (LIB, Kapitel 10).
Menschenrechtsverletzungen an der Zivilbevölkerung finden nach wie vor in allen Teilen des Landes und unabhängig davon statt, wer die betroffenen Gebiete tatsächlich kontrolliert (UNHCR, Kapitel II. C. 1).
Die Fähigkeit der Regierung, Menschenrechte zu schützen, wird durch die Unsicherheit und zahlreiche Angriffe durch regierungsfeindliche Kräfte untergraben. Insbesondere ländliche und instabile Gebiete leiden unter einem allgemein schwachen förmlichen Justizsystem, das unfähig ist, Zivil- und Strafverfahren effektiv und zuverlässig zu entscheiden (UNHCR, Kapitel II. C. 2).
Bewegungsfreiheit und Meldewesen
Das Gesetz garantiert interne Bewegungsfreiheit, Auslandsreisen, Emigration und Rückkehr. Afghanen dürfen sich formell im Land frei bewegen und niederlassen (LIB, Kapitel 19).
Afghanistan hat kein zentrales Bevölkerungsregister, keine Datenbanken mit Adress- oder Telefonnummerneinträgen und auch keine Melde- oder Registrierungspflicht. Die Gemeinschafts- bzw. Bezirksältesten führen kein Personenstandsregister, die Regierung registriert jedoch Rückkehrer. Durch die hohe soziale Kontrolle ist gerade im ländlichen Raum keine, aber auch in den Städten kaum Anonymität zu erwarten (LIB, Kapitel 18.1).
Regierungsfeindliche Gruppierungen
In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv – insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan (LIB, Kapitel 2).
Taliban:
Die Mehrheit der Taliban sind immer noch Paschtunen, obwohl es eine wachsende Minderheit an Tadschiken, Usbeken, Belutschen und sogar mehreren hundert Hazara (einschließlich Schiiten) gibt. In einigen nördlichen Gebieten bestehen die Taliban bereits überwiegend aus Nicht-Paschtunen, da sie innerhalb der lokalen Bevölkerung rekrutieren (LIB, Kapitel 2).
Die Gesamtstärke der Taliban betrug im Jahr 2017 über 200.000 Personen, darunter ca. 150.000 Kämpfer, davon rund 60.000 Vollzeitkämpfer mobiler Einheiten und der Rest ist Teil der lokalen Milizen. Die Taliban betreiben Trainingslager in Afghanistan (LIB, Kapitel 2).
Die Taliban sind keine monolithische Organisation; nur allzu oft werden die Taliban als eine homogene Einheit angesehen, während diese aber eine lose Zusammenballung lokaler Stammesführer, unabhängiger Warlords sowie abgekoppelter und abgeschotteter Zellen sind (LIB, Kapitel 2).
Zwischen 01.12.2018 und 31.05.2019 haben die Talibanaufständischen mehr Angriffe ausgeführt, als in der Vergangenheit üblich, trotzdem war die Gesamtzahl effektiver feindlicher Angriffe stark rückläufig. Diese Angriffe hatten hauptsächlich militärische Außenposten und Kontrollpunkte sowie andere schlecht verteidigte ANDSF-Posten zum Ziel – die Taliban beschränken ihre Angriffe weitgehend auf Regierungsziele und afghanische und internationale Sicherheitskräfte (LIB, Kapitel 2).
Ein Talibansprecher verlautbarte, dass die Taliban den Konflikt pausieren könnten, um Gesundheitsbehörden zu erlauben, in einem von ihnen kontrollierten Gebiet zu arbeiten, wenn COVID-19 dort ausbrechen sollte. Die Taliban setzen Aktivitäten, um das Bewusstsein der Bevölkerung um COVID-19 in den von diesen kontrollierten Landesteilen zu stärken. Sie verteilen Schutzhandschuhe, Masken und Broschüren, führen COVID-19 Tests durch und bieten sichere Wege zu Hilfsorganisationen an (LIB, Landesspezifische Anmerkungen COVID-19).
Der Umgang der Taliban mit der jetzigen Ausnahmesituation wirft ein Schlaglicht auf den Modus Operandi der Truppe. Um sich die Afghanen in den von ihnen kontrollierten Gebieten gewogen zu halten, setzen die Taliban auf Volksnähe. Durch die Präsenz vor Ort machten die Islamisten das Manko wett, dass sie kein Geld hätten, um COVID-19 medizinisch viel entgegenzusetzen: Die Taliban können Prävention betreiben, behandeln können sie Erkrankte nicht (LIB, Landesspezifische Anmerkungen COVID-19).
Die Taliban haben eine Vielzahl von Personen ins Visier genommen, die sich ihrer Meinung nach "fehlverhalten", unter anderem Angehörige der afghanischen Sicherheitskräfte jeden Ranges, oder Regierungsbeamte und Mitarbeiter westlicher und anderer „feindlicher“ Regierungen, Kollaborateure oder Auftragnehmer der afghanischen Regierung oder des ausländischen Militärs, oder Dolmetscher, die für feindliche Länder arbeiten. Die Taliban bieten diesen Personen grundsätzlich die Möglichkeit an, Reue und den Willen zur Wiedergutmachung zu zeigen. Die Chance zu bereuen, ist ein wesentlicher Aspekt der Einschüchterungstaktik der Taliban und dahinter steht hauptsächlich der folgende Gedanke: das Funktionieren der Kabuler Regierung ohne übermäßiges Blutvergießen zu unterminieren und Personen durch Kooperationen an die Taliban zu binden. Diese Personen können einer „Verurteilung“ durch die Taliban entgehen, indem sie ihre vermeintlich „feindseligen“ Tätigkeiten nach einer Verwarnung einstellen. (Landinfo 1, Kapitel 4)
Haqani-Netzwerk:
Das seit 2012 bestehende Haqqani-Netzwerk ist eine teilautonome Organisation, Bestandteil der afghanischen Taliban und Verbündeter von al-Qaida. Als gefährlichster Arm der Taliban, hat das Haqqani-Netzwerk seit Jahren Angriffe in den städtischen Bereichen ausgeführt und ist für einige der tödlichsten Angriffe in Afghanistan verantwortlich (LIB, Kapitel 2).
Provinzen und Städte
Herkunftsprovinz Parwan:
Parwan liegt im zentralen Teil Afghanistans. Die Bevölkerung besteht hauptsächlich aus Paschtunen, Tadschiken, Usbeken, Qizilbash, Kuchi und Hazara. Die Provinz hat 724.561 Einwohner (LIB, Kapitel 2.28).
Die Provinz Parwan zählt zu den relativ friedlichen Provinzen Afghanistans, in deren abgelegenen Distrikten Aufständische oftmals den Versuch unternehmen, terroristische Aktivitäten auszuführen. In manchen Distrikten der Provinz hat sich die Sicherheitslage in den vergangenen Jahren Verschlechtert. Im August 2018 Taliban-Aufständische in den Distrikten Koh-e-Safi, Sayyid Khel, Shinwari, Siyahgird und Surkhi Parsa aktiv. Von dort aus planten sie Angriffe auf die Provinzhauptstadt Charikar und die Luftwaffenbasis Bagram (größte NATO-Militärbasis in Afghanistan). In der Provinz werden Sicherheitsoperationen durch die afghanischen Sicherheitskräfte ausgeführt. Bei manchen dieser Operationen wurden auch Zivilisten getötet. Auch kommt es immer wieder zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen Aufständischen und afghanischen Streitkräften. Außerdem greifen Aufständische der Taliban, manchmal auch gemeinsam mit Al-Qaida, in regelmäßigen Abständen das Bagram Airfield an. Im Jahr 2019 gab es 246 zivile Opfer (65 Tote und 181 Verletzte) in der Provinz Parwan. Dies entspricht einer Steigerung von 500% gegenüber 2018. Die Hauptursachen für die Opfer waren Selbstmordangriffe, gefolgt von Kämpfen am Boden und Suchoperationen (LIB, Kapitel 2.28).
In der Provinz Parwan findet willkürliche Gewalt auf einem niedrigen Niveau statt. Im Allgemeinen besteht kein reales Risiko, dass ein Zivilist aufgrund willkürlicher Gewalt im Sinne von Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie persönlich betroffen wird. Es müssen jedoch immer individuelle Risikoelemente berücksichtigt werden (EASO, Kapitel Guidance note: Afghanistan, III.3).
Immer wieder kommt es auf den Straßen der Provinz Parwan zu sicherheitsrelevanten Vorfällen wie z.B. Entführungen oder Verhaftungen durch die Taliban, aber auch durch nicht identifizierte Militante (LIB, Kapitel 3.27). Weitere Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung sind die Sperrung der Autobahn zwischen der Provinz Parwan und der Provinz Bamyan aufgrund von Zusammenstößen zwischen den Taliban und den afghanischen Sicherheitskräften (EASO, Kapitel Common Analysis, III.)
Mazar-e Sharif/ Herat Stadt
Mazar-e Sharif ist die Provinzhauptstadt von Balkh, einer ethnisch vielfältigen Provinz, welche von Paschtunen, Usbeken, Hazara, Tadschiken, Turkmenen, Aimaq, Belutschen, Arabern und sunnitischen Hazara (Kawshi) bewohnt wird. Sie hat 469.247 Einwohner und steht unter Kontrolle der afghanischen Regierung (LIB, Kapitel 2.5).
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