Entscheidungsdatum
27.08.2020Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W164 2163835-3/27E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Rotraut LEITNER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch ARGE Rechtsberatung, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, vom 27.07.2019, Zl. 1098462905/181059326, zu Recht erkannt:
A)
I. Die Beschwerde wird, soweit sie sich gegen Spruchpunkt I. und II. des angefochtenen Bescheides richtet, als unbegründet abgewiesen.
II. Soweit sich die Beschwerde gegen die Spruchpunkte III., IV., V., VI. und VII. richtet, wird ihr Folge gegeben und in Abänderung des angefochtenen Bescheides festgestellt:
II.1. Gemäß § 9 Abs. 2 und 3 BFA-VG ist eine Rückkehrentscheidung gegen XXXX auf Dauer unzulässig.
II.2. XXXX wird gemäß § 55 Abs. 1 und Abs 2 iVm § 58 Abs. 2 AsylG 2005 der Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung" für die Dauer von zwölf Monaten erteilt.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF), ein Staatsangehöriger von Afghanistan, stellte am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz.
Diesen Antrag hat das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) mit Bescheid vom 19.06.2017, Zl. 1098462905/151957063, hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gem. § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005, BGBl Nr. 100/2005 (AsylG) idgF abgewiesen. Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Afghanistan abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem BF gemäß § 57 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz BGBl I Nr. 87/2012 (BFA-VG) idgF wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl Nr. 100/2005 (FPG) idgF erlassen. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung des BF gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei.
Der BF erhob gegen diesen Bescheid fristgerecht Beschwerde.
Das Bundesverwaltungsgericht wies diese Beschwerde mit Erkenntnis W187 2163835-1/14E vom 17.07.2018 gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1 und 10 Abs. 1 Z 3 und § 57 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG, §§ 52 und 55 FPG als unbegründet ab.
Am 31.10.2018 wurde über den BF die Schubhaft verhängt.
Am 06.11.2018 stellte der BF aus dem Stande der Schubhaft einen Folgeantrag auf internationalen Schutz und brachte zur Begründung vor, seine ehemals genannten Fluchtgründe seien vollinhaltlich aufrecht. Jedoch habe er auch neue Fluchtgründe: Der BF habe vorgehabt, am 30.10.2018 die Mutter seiner am XXXX .2018 geborenen Tochter am Standesamt in XXXX zu heiraten. Die Eheschließung sei jedoch abgelehnt worden, da der BF einen negativen Asylbescheid habe. Seine Lebensgefährtin habe er Ende 2017 kennen gelernt und er habe sie traditionell geheiratet. Die Ehe gelte in Österreich nicht. Der BF möchte bei seiner Lebensgefährtin und seiner Tochter in Österreich leben.
Mit mündlich verkündetem Bescheid vom 12.11.2018, Zl. 1098462905/181059326, sprach das BFA die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes gegen den BF aus.
Das Bundesverwaltungsgericht hat mit Beschluss vom 15.11.2018, W204 2163835-2/3E, festgestellt, dass diese Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes gem. § 12a Abs. 2 und 22 Abs. 10 AsylG iVm §22 BFA-VG rechtmäßig sei. Diese Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts wurde rechtskräftig.
Am 12.12.2018 wurde der BF nach Afghanistan abgeschoben.
Mit Bescheid vom 27.07.2019, Zl. 1098462905/181059326 wies das BFA den genannten Folgeantrag vom 06.11.2018 hinsichtlich des Status des Asylberechtigten und hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 68 Abs. 1 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz (AVG) wegen entschiedener Sache zurück (Spruchpunkte I. und II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem BF gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung des BF gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1a FPG bestehe keine Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt VI.). Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG wurde gegen den BF ein auf die Dauer von 6 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VII.)
Zur Begründung wurde ausgeführt, der BF habe sich im gegenständlichen Verfahren auf Fluchtgründe berufen, die bereits im Erstverfahren vorgebracht und als unglaubwürdig erachtet wurden. Der BF habe keine neuen Fluchtgründe vorgebracht. Er sei jung, gesund, arbeitsfähig und für niemanden sorgepflichtig. Er habe zwar Familienbezug im österreichischen Bundesgebiet, sei in Österreich jedoch mehrmals strafrechtlich verurteilt worden. Den überwiegenden Teil seines Lebens habe der BF in Afghanistan verbracht. In Österreich habe er sich während seines dreijährigen Aufenthaltes nicht integriert. Er spreche nicht Deutsch. Die Beziehung zu seiner Lebensgefährtin sei er zu einem Zeitpunkt eingegangen, als ihm bereits bewusst gewesen sein hätte müssen, dass sein weiterer Aufenthalt in Österreich nicht gesichert sei. Der BF verfüge über keine sonstige Aufenthaltsberechtigung. Als junger, gesunder Mann könne er in Afghanistan, Kabul, Arbeit finden und den notwendigen Lebensunterhalt verdienen. Der BF habe gemäß seinen Angaben den Beruf des Schneiders gelernt. Er sei arbeitsfähig und könne in Afghanistan als Schneider arbeiten bzw. eine Hilfsarbeit annehmen. Dem BF drohe im Fall der Rückkehr keine unmenschliche Behandlung. Aus seinen nunmehrigen Vorbringen ergebe sich kein neuer Sachverhalt. In Österreich sei der BF nicht selbsterhaltungsfähig. Er sei während seines Aufenthalts in Österreich auf die Unterstützung der Behörden angewiesen gewesen, sei mehrmals straffällig geworden und habe keine Schritte gesetzt, sich zu integrieren. Ein weiterer Verbleib des BF in Österreich würde eine große Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung bedeuten. Der BF habe bisher das österreichische Sozialsystem ausgenützt und würde dieses bei einem Verbleib in Österreich weiterhin ausnützen. Der BF habe keinen Respekt vor fremdem Eigentum. Auch eine rechtskräftige Verurteilung habe ihn nicht zum Umdenken bewogen, da er weiterhin strafbare Handlungen gesetzt habe. Die maßgebliche Lage im Herkunftsland habe sich seit dem rechtskräftigen Abschluss des Erstverfahrens nicht verändert.
Rechtlich stehe die Rechtskraft des Erstverfahrens einer neuerlichen inhaltlichen Entscheidung entgegen (Spruchpunkte I. und II.). Es liege kein Fall des § 57 AsylG vor (Spruchpunkt III.). Die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung sei höher zu bewerten, als das Familienleben des BF. Dieser sei illegal ins Bundesgebiet eingereist und mehrfach straffällig geworden. Er habe die österreichischen Grenzen massiv missachtet. Eine positive Zukunftsprognose sei aufgrund seines bisherigen Verhaltens nicht möglich. Der BF habe während seines Aufenthalts in Österreich nicht Deutsch gelernt und habe keine gemeinnützigen Arbeiten verrichtet. Er sei zu keinem Zeitpunkt seines Aufenthalts in Österreich selbsterhaltungsfähig gewesen und darüber hinaus mehrmals straffällig geworden. Der BF habe ferner zu keinem Zeitpunkt mit seiner Tochter an einer gemeinsamen Meldeadresse gelebt. Somit habe zu keinem Zeitpunkt ein gemeinsames Familienleben bestanden (Spruchpunkt IV.). Es sei eine Rückkehrentscheidung auszusprechen gewesen und es sei festzustellen gewesen, dass die Ausweisung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkte V. und VI.). Das verhängte Einreiseverbot (Spruchpunkt VII) sei damit zu begründen, dass ein unbegründeter und missbräuchlicher Asylantrag vorliege und der BF strafrechtlich verurteilt sei. Der BF stelle eine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit dar. Er sei nicht gewillt, die Gesetze der Republik Österreich zu achten.
Dieser Entscheidung war eine Zeugeneinvernahme der Lebensgefährtin des BF, Frau XXXX (im Folgenden: mitbeteiligte Partei = MB) vom 28.02.2019 vorangegangen. Diese hatte angegeben, sie befinde sich seit drei Jahren in Österreich. Vor ihrer Schwangerschaft habe sie für etwa zwei Monate einen Deutschkurs besucht. Sie habe nun ein kleines Kind und sei nicht erwerbstätig. Sie habe mit ihrer älteren Tochter (diese habe einen anderen Vater als den BF) den Asylstatus erhalten. Für die jüngere Tochter sei ein Asylverfahren anhängig. Der Vater der älteren Tochter - die MB nannte seinen Namen – habe sie im Iran misshandelt. Schließlich sei er (Anm.: vom Iran aus) nach Afghanistan abgeschoben worden. Sein Aufenthalt sei ihr nicht bekannt. Den BF kennengelernt habe die MB zu einer Zeit, als beide noch kein Interview hatten. Die MB habe täglich mit dem BF telefonisch Kontakt. Die MB hatte ihr Handy vorgelegt, auf dem seitens der befragenden Person eine Liste von mit dem BF getätigten Videoanrufen und SMS festgestellt wurde. Die MB könne lesen und schreiben. Sie sei im Iran acht Jahre in die Schule gegangen und habe dann den Beruf der Schneiderin gelernt. Sie plane, in Österreich als Schneiderin zu arbeiten. Für die zweite Tochter obsorgeberechtigt sei die MB allein.
Der BF erhob gegen den genannten Bescheid des BFA vom 27.07.2019 durch seine Rechtsvertretung fristgerecht Beschwerde. Der BF brachte vor, seine alten Fluchtgründe aufrecht zu halten und Vater der am XXXX .2018 in Österreich geborenen XXXX zu sein. Die Geburtsurkunde wurde vorgelegt.
Seine Familienangehörigen und die Angehörigen der Mädchen (Onkeln) - der BF hatte diesbezüglich im vorangegangenen Verfahren, welches mit Erkenntnis W187 2163835-1/14E rechtskräftig abgeschlossen wurde, Aussagen darüber gemacht, dass er sich zweimal durch sein Verhalten gegenüber einer Cousine den Zorn eines Onkel zugezogen hatte - würden ihn im Fall seiner Rückkehr nach Afghanistan töten. Zudem habe sich die Lage in Afghanistan verschlechtert. Das BFA wäre zur amtswegigen Ermittlung des Sachverhalts verpflichtet gewesen. Das BFA habe der angefochtenen Entscheidung veraltete Länderberichte zu Grunde gelegt. Zufolge der aktuellen Richtlinie des UNHCR vom 30.08.2018 wäre eine IFA in Kabul derzeit ausgeschlossen. Es würden aktuell kaum Städte vor Angriffen und Attentaten durch Antiregierungsgruppen, die zivile Opfer fordern, verschont. Laut UNHCR seien gerade Zivilisten im Rahmen ihrer alltäglichen, jobbezogenen und sozialen Aktivitäten im urbanen Raum solcher Gewalt ausgesetzt. Zu berücksichtigen sei die extrem hohe Anzahl an Binnenvertriebenen sowie die Rekorddürre u.a. in Herat und Balkh. Die Sicherheits- und Versorgungslage habe sich sowohl in Kabul als auch in Herat massiv verschlechtert. Der Sachverhalt habe sich maßgeblich geändert. Es liege eine nicht entschiedene Sache vor.
Laut Entscheidung des EGMR vom 28.3.2013 – 2964/12 I.K. gegen Österreich habe sich die österreichische Behörde auch ohne Änderung des Sachverhalts mit einer Verletzung des Art. 3 EMRK auseinanderzusetzen. Art. 3 EMRK durchbreche insoweit den Grundsatz von res iudicata. Der BF habe im Übrigen nicht das Handwerk der Schneiderei erlernt und habe solches nie behauptet.
Es sei ein schützenswertes Familienleben des BF in Österreich gegeben. Auch seine dauerhaft in Österreich lebenden Tochter sei aufgrund der Trennung von ihrem Vater von einem Eingriff in ihr schützenswertes Familienleben betroffen. Dem Kind könne der unsichere Aufenthalt seines Vaters nicht angelastet werden. Das Familienleben zwischen dem BF und seiner Tochter könne nur in Österreich aufrechterhalten werden, da die Mutter und deren erste Tochter aus einer früheren Beziehung asylberechtigt seien. Bezüglich der Tochter des BF sei ein Asylverfahren anhängig. Die Auswirkungen auf das Kindeswohl hätten als vorrangiger Gesichtspunkt einbezogen werden müssen (Art. 24 Abs. 2 und 3 GRC; Art. 1 und Art. 2 Abs. 1 B-VG über die Rechte von Kindern; § 138 ABGB; EGMR Nunec gegen Norwegen, Appl 555/09 vom 28.6.2011; EGMR Rahimi gegen Griechenland, Nr. 8687/08, 5.4.2011, VfGH 11.3.2015, E1884/2014). Die Abschiebung des BF stelle einen unverhältnismäßigen Eingriff in das schützenswerte Privat- und Familienleben nach Art. 8 EMRK dar.
Die belangte Behörde habe mit der Rückkehrentscheidung ein 6-jähriges Einreiseverbot nach § 53 Abs. 2 iVm Abs. 3 Z 1 FPG gegen den BF erlassen und begründend auf seine missbräuchlich erfolgte Asylantragsstellung und strafrechtliche Verurteilungen verwiesen. Sie hätte jedoch das Gesamtverhalten des BF in Betracht zu ziehen gehabt. Es komme nicht auf die bloße Tatsache der Bestrafungen an, sondern auf das zugrundeliegende Fehlverhalten. Es hätte eine Gefährlichkeitsprognose vorgenommen und diese nachvollziehbar begründet werden müssen. Es sei kein Parteiengehör gewährt worden.
Der BF beantragte die Abhaltung einer mündlichen Verhandlung, weiters die gänzliche Behebung des angefochtenen Bescheides und Zurückverweisung hinsichtlich der §§ 3 und 8 AsylG, sowie die Behebung des angefochtenen Bescheides hinsichtlich des Einreiseverbots, in eventu die Behebung des angefochtenen Bescheides hinsichtlich der Spruchpunkte IV. bis VII. und Erklärung der Rückkehrentscheidung auf Dauer für unzulässig, sowie Erteilung eines Aufenthaltstitels gem. § 55 AsylG, in eventu, das auf 6 Jahre befristete Einreiseverbot auf eine angemessene Dauer herabzusetzen, in eventu, den angefochtenen Bescheid im angefochtenen Umfang ersatzlos zu beheben und zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das BFA zurückzuverweisen.
Das Bundesverwaltungsgericht hat dieser Beschwerde mit Beschluss vom 28.08.2019, W164 2163835/6Z aufschiebende Wirkung zuerkannt.
Am 23.01.2020 wurde beim Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung abgehalten, anlässlich deren die MB im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari befragt wurde. Bei der mündlichen Verhandlung waren auch ein Vertreter der ARGE Rechtsberatung sowie eine Vertreterin des BFA anwesend.
Die MB gab an, dass sie mit dem BF ab 17.3.2017 gemeinsam in XXXX gewohnt habe. Vorgelegt wurde eine Meldebestätigung der Gemeinde XXXX vom 16.04.2018, aus der hervorgeht, dass seit 17.3.2017 der BF und die MB gemeinsam an der Adresse XXXX gemeldet seien. Kennengelernt habe die MB den BF im Jahr 2016. Etwa ein Monat später, am XXXX .2016 hätten sie beide traditionell geheiratet habe. Vorgelegt wurde die Heiratsurkunde mit beglaubigter Übersetzung aus dem Persischen. Unmittelbar nach der Heirat sei es noch nicht möglich gewesen, zusammen zu wohnen. Die MB sei damals selbst noch nicht asylberechtigt gewesen. In dieser Zeit habe der BF sie oft besucht, habe aber nicht bleiben dürfen. Der BF habe einen Antrag gestellt, dass er zur MB ziehen könne. Ab 17.03.2017 hätten sie beide gemeinsam an der genannten Adresse gelebt, einer Wohnung, die ihnen die Caritas für ein paar Monate zur Verfügung gestellt habe. Für die Zeit danach – dies sei kurz vor der Geburt der gemeinsamen Tochter gewesen - hätten sie beide wieder mit Hilfe der Caritas die Wohnung in der XXXX straße bekommen. Die MB habe den Vertrag unterschrieben und sich noch am selben Tag polizeilich gemeldet. Da kurz darauf die gemeinsame Tochter zur Welt kam, habe der BF seine polizeiliche Meldung hinter die vielen anderen notwendigen Verrichtungen hinangestellt und erst später durchgeführt. Tatsächlich hätten sie jedoch die ganze Zeit über zusammengelebt. Der BF habe sich auch sehr um die ältere Tochter der MB gekümmert. Ihm sei stets wichtig gewesen, dass man sich gut um Kinder kümmert. BF habe auch im Haushalt mitgeholfen. Nachdem der BF abgeschoben wurde, sei er nicht in Afghanistan geblieben sondern umgehend in den Iran gereist. Die MB habe den BF gemeinsam mit ihren Kindern im August 2019 im Iran besucht. Die MB legte ihren Pass mit entsprechenden Visa vor. Auf Nachfrage, weshalb sie für ihre zweite Tochter allein obsorgeberechtigt sei und keine gemeinsame Obsorge beantragt wurde, gab sie an, dass man ihr im Spital empfohlen habe, die alleinige Obsorge zu übernehmen, da der BF keinen Asylbescheid gehabt habe. Bezüglich des Nachnamens des gemeinsamen Kindes habe der BF angeregt, dass das Kind den gleichen Namen tragen solle wie seine ältere Schwester, um den beiden Kindern ein Zusammengehörigkeitsgefühl zu geben. Am 30.10.2018 habe der BF einen Termin beim BFA gehabt. Sie seien gemeinsam hingegangen in Begleitung eines Mannes, der sich ihnen als Rechtsvertreter angeboten hatte (der nunmehrige BFV merkte an, dass dieser Mann kein Vertreter der ARGE Rechtsberatung sei) und hätten erwartet, nun erneut befragt zu werden und, dass nun auch der BF Asyl bekommen würde. Der BF sei hineingerufen worden. Die MB habe draußen gewartet. Nach etwa einer Stunden sei auch sie aufgerufen worden, sei aber nicht zum BF gelassen worden. Etwa 10 Minuten später habe ihr jener Mann, der sie dorthin begleitet hatte, mitgeteilt, dass der BF abgeschoben wurde. Erst am darauffolgenden Nachmittag habe sie ihn in der Schubhaft besuchen können.
Gefragt nach den Alkoholproblemen des BF gab die MB an, dass diese auf seine seelischen Probleme zurückzuführen gewesen wären. Es habe aber auch Zeiten gegeben, in denen der BF keinen Alkohol getrunken habe.
Aktuell telefoniere die MB täglich mit dem BF oder habe Kontakt via XXXX . Der Dolmetscher nahm Einsicht in den XXXX -Verlauf und bestätigte, dass die MB viele Nachrichten mit dem BF ausgetauscht habe.
Der Rechtsvertreter des BF brachte vor, die Sicherheitslage in Afghanistan habe sich seit dem Datum der ersten Entscheidung des BVwG vom 17.07.2018 massiv verschlechtert. UNHCR habe im August 2018, also im Zeitraum zwischen erster Entscheidung und Neuantragstellung, neue Richtlinien zur Sicherheitslage in Afghanistan herausgebracht, welchen zu entnehmen sei, dass gerade Personen wie der BF, die im Iran aufgewachsen sind, im Fall einer Rückkehr besonderer Gefährdung unterliegen würden. Aufgrund dieser Dokumente sei dann zahlreichen Personen subsidiärer Schutz gewährt worden.
III. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der Beschwerdeführer führt den Namen XXXX , ist am XXXX geboren und afghanischer Staatsangehöriger. Er stellte am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz.Der Beschwerdeführer wurde im Iran geboren und ist im Alter von ca. 22 Jahren nach Herat, Afghanistan übersiedelt, wo er etwa zwei Jahre bei Verwandten gelebt hat. Im Iran hat er auf Baustellen gearbeitet, in Afghanistan bei einer Elektrofirma sowie bei XXXX . Der BF gehört der Volksgruppe der Tadschiken an und ist schiitischer Moslem. Der Beschwerdeführer spricht Farsi und Dari und kann lesen und schreiben. Er ist in einem afghanischen Familienverband aufgewachsen. Ende 2015 reiste der Beschwerdeführer nach Europa.
Der Beschwerdeführer lernte die MB Ende 2016 kennen. Am XXXX .2016 heirateten die beiden in Österreich nach islamischen Recht. Diese Form der Eheschließung wird in Österreich nach dem IPR-Gesetz nicht anerkannt. Die MB gilt als Lebensgefährtin des BF. BF und MB lebten ab 17.03.2017 in einer gemeinsamen Wohnung, gemeinsam auch mit der älteren Tochter der MB. Am XXXX .2018 wurde die gemeinsame Tochter XXXX geboren. Der BF beteiligte sich an den Arbeiten im gemeinsamen Haushalt und an der Kinderbetreuung.
Der MB, ihrer Schwester und ihrer älteren Tochter wurde vom Bundesverwaltungsgericht Asyl zuerkannt (W258 2181492-1/6Z, W258 2181799-1/8Z, W258 2181497-1/6Z vom 30.04.2018). Auch der am XXXX .2018 geborenen Tochter wurde mittlerweile der Asylstatus zuerkannt.
Der Antrag des BF auf internationalen Schutz vom XXXX wurde durch das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 17.07.2018, GZ W187 2163835-1/14E, sowohl hinsichtlich des Status des Asylberechtigten als auch des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen. Es wurde die Ausweisung des BF nach Afghanistan verfügt. Die damals vorgebrachten Verfolgungsbehauptungen des BF wurden als nicht glaubhaft beurteilt und es wurde auf Grundlage von Feststellungen über die Lage im Herkunftsstaat die zumutbare Möglichkeit einer Rückkehr des Beschwerdeführers nach Afghanistan festgestellt.
Am 30.10.2018 gingen BF und MB gemeinsam in die Regionaldirektion Steiermark des BFA. Die MB wartete draußen und es wurde ihr in weiterer Folge mitgeteilt, dass der BF in Schubhaft genommen worden sei. Am Nachmittag dieses Tages sowie an den nachfolgenden Tagen besuchte die MB den BF in der Schubhaft. Mit Bescheid des BFA vom 12.11.2018, Zl. 1098462905/181059326 wurde der faktischen Abschiebeschutzes des BF aufgehoben. Das Bundesverwaltungsgericht bestätigte die Rechtmäßigkeit dieses Bescheids durch Beschluss vom 15.11.2018, W204 2163835-2/3E. Am 12.12.2018 wurde der BF nach Afghanistan abgeschoben. Mit Bescheid vom 27.07.2019, Zl. 1098462905/181059326, wies das BFA den neuerlichen Antrag des BF auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache zurück und erließ eine Rückkehrentscheidung. Gegen diesen Bescheid erhob der BF durch seine Rechtsvertretung fristgerecht Beschwerde, der das Bundesverwaltungsgericht mit Beschluss vom 28.08.2019, W164 2163835/6Z, aufschiebende Wirkung zuerkannte.
Der BF befindet sich derzeit im Iran. Das Paar hält telefonisch und via XXXX Kontakt. Die MB besuchte den BF von 04.08.2019 bis 24.08.2019 gemeinsam mit ihren beiden Töchtern im Iran.
Der BF ist gesund und arbeitsfähig. Er ist bislang keiner legalen Beschäftigung in Österreich nachgegangen. Der BF weist in Österreich folgende rechtskräftige strafgerichtliche Verurteilungen auf:
1) LG f. Strafsachen XXXX vom 13.12.2016 RK 19.12.2016 wegen §§ 107 Abs. 1 StGB, 125 StGB, Datum der Tat 26.09.2016, Freiheitsstrafe drei Monate, bedingt. Die Strafsache betraf die Vergehen der 1) gefährlicher Drohung und 2) Sachbeschädigung. Mildernd wurde gewertet: ein Teilgeständnis und die Provokation durch den Bedrohten. Als erschwerend wurde gewertet: das Zusammentreffen von zwei Vergehen. Der weitere im Urteil genannte Erschwerungsgrund einer einschlägigen Vorverurteilung wurde, wie eine Nachfrage beim genannten Gericht ergab, versehentlich angeführt. Der BF wurde vor dem 13.12.2016 nicht verurteilt. Die Straftat gefährliche Drohung hat innerhalb des Bahnhofsmilieus stattgefunden. Die Sachbeschädigung betraf eine Holzstütze eines Baumes. Es wurde jeweils Alkoholisierung festgestellt.
2) BG XXXX vom 25.04.2017 RK 29.04.2017 wegen §§ 15 StGB und 127 StGB, Freiheitsstrafe drei Monate, bedingt, Probezeit drei Jahre. Es ging um das Vergehen des zweimaligen versuchten Diebstahls von alkoholischen Getränken im Supermarkt. Mildernd wurde gewertet: umfassendes reumütiges Geständnis, der Umstand, dass es beim Versuch geblieben ist; erschwerend wurde gewertet, dass die Tathandlungen während der Probezeit erfolgten und dass zwei Tathandlungen vorliegen.
3) BG XXXX vom 25.10.2017 RK 31.10.2017 wegen §§ 15 StGB und 127 StGB, Datum der Tat 30.06.2017, Freiheitsstrafe vier Monate, bedingt, Probezeit drei Jahre, Anordnung der Bewährungshilfe. Es ging erneut um das Vergehen des versuchten Diebstahls eines alkoholischen Getränks im Supermarkt. Mildernd wurde gewertet: umfassendes reumütiges Geständnis, der Umstand, dass es beim Versuch geblieben ist; erschwerend wurde gewertet, zwei einschlägige Vorstrafen, rascher Rückfall, offene Probezeit.
Zur allgemeinen Lage in Afghanistan:
Quelle: UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation in der Gesamtaktualisierung vom 13.11.2019 mit Stand vom 18.05.2020, EASO Leitlinien zu Afghanistan vom Juni 2019:
Afghanistan ist weiterhin von einem nicht internationalen bewaffneten Konflikt betroffen, bei dem die afghanischen nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (ANDSF), unterstützt von den internationalen Streitkräften, mehreren regierungsfeindlichen Kräften (AGEs) gegenüberstehen.
Dem UN-Generalsekretär zufolge steht Afghanistan weiterhin vor immensen sicherheitsbezogenen, politischen und wirtschaftlichen Herausforderungen. Die Sicherheitslage soll sich insgesamt weiter verschlechtert und zu einer sogenannten „erodierenden Pattsituation“ geführt haben. Berichten zufolge haben sich die ANDSF grundsätzlich als fähig erwiesen, die Provinzhauptstädte und die wichtigsten städtischen Zentren zu verteidigen, im ländlichen Raum hingegen mussten sie beträchtliche Gebiete den Taliban überlassen.
Von dem Konflikt sind weiterhin alle Landesteile betroffen. Seit dem Beschluss der Regierung, Bevölkerungszentren und strategische ländliche Gebiete zu verteidigen, haben sich die Kämpfe zwischen regierungsfeindlichen Kräften (AGEs) und der afghanischen Regierung intensiviert. Es wird berichtet, dass regierungsfeindliche Kräfte immer öfter bewusst auf Zivilisten gerichtete Anschläge durchführen, vor allem durch Selbstmordanschläge mit improvisierten Sprengkörpern (IEDs) und komplexe Angriffe. Regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) setzen ihre groß angelegten Angriffe in Kabul und anderen Städten fort und festigen ihre Kontrolle über ländliche Gebiete. Es wurden Bedenken hinsichtlich der Fähigkeit und Effektivität der afghanischen nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (ANDSF) geäußert, die Sicherheit und Stabilität in ganz Afghanistan zu gewährleisten.
Trotz der ausdrücklichen Verpflichtung der afghanischen Regierung, ihre nationalen und internationalen Menschenrechtsverpflichtungen einzuhalten, ist der durch sie geleistete Schutz der Menschenrechte weiterhin inkonsistent. Große Teile der Bevölkerung einschließlich Frauen, Kindern, ethnischer Minderheiten, Häftlingen und anderer Gruppen sind Berichten zufolge weiterhin zahlreichen Menschenrechtsverletzungen durch unterschiedliche Akteure ausgesetzt.
Menschenrechtsverletzungen an der Zivilbevölkerung finden laut Berichten in allen Teilen des Landes und unabhängig davon statt, wer die betreffenden Gebiete tatsächlich kontrolliert. In von der Regierung kontrollierten Gebieten kommt es Berichten zufolge regelmäßig zu Menschenrechtsverletzungen durch den Staat und seine Vertreter. In Gebieten, die (teilweise) von regierungsnahen bewaffneten Gruppen kontrolliert werden, begehen diese Berichten zufolge straflos Menschenrechtsverletzungen. Ähnlich sind in von regierungsfeindlichen Gruppen kontrollierten Gebieten Menschenrechtsverletzungen, darunter durch die Etablierung paralleler Justizstrukturen, weit verbreitet. Zusätzlich begehen sowohl staatliche wie auch nicht-staatliche Akteure Berichten zufolge außerhalb der von ihnen jeweils kontrollierten Gebiete Menschenrechtsverletzungen. Aus Berichten geht hervor, dass besonders schwere Menschenrechtsverletzungen insbesondere in umkämpften Gebieten weit verbreitet sind.
Sogar dort, wo der rechtliche Rahmen den Schutz der Menschenrechte vorsieht, bleibt die Umsetzung der nach nationalem und internationalem Recht bestehenden Verpflichtung Afghanistans diese Rechte zu fördern und zu schützen, in der Praxis oftmals eine Herausforderung. Die Regierungsführung Afghanistans und die Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit werden als besonders schwach wahrgenommen.
Beobachter berichten von einem hohen Maß an Korruption, von Herausforderungen für effektive Regierungsgewalt und einem Klima der Straflosigkeit als Faktoren, die die Rechtsstaatlichkeit schwächen und die Fähigkeit des Staates untergraben, Schutz vor Menschenrechtsverletzungen zu bieten. Berichten zufolge werden in Fällen von Menschenrechtsverletzungen die Täter selten zur Rechenschaft gezogen und für die Verbesserung der Übergangsjustiz besteht wenig oder keine politische Unterstützung.
Gemäß der Verfassung darf niemand ohne ordentliches Gerichtsverfahren festgenommen oder inhaftiert werden. Die Verfassung enthält außerdem ein absolutes Verbot des Einsatzes von Folter. Der Einsatz von Folter stellt nach dem Strafgesetzbuch eine Straftat dar, während die harte Bestrafung von Kindern durch das Jugendgesetz untersagt ist. Darüber hinaus verabschiedete das Oberhaus der Nationalversammlung im Januar 2018 den konsolidierten Wortlaut eines neuen Anti-Folter-Gesetzes.
Trotz dieser Rechtsgarantien bestehen Bedenken hinsichtlich des Einsatzes von Folter und grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung gegenüber Häftlingen, insbesondere von im Zusammenhang mit dem Konflikt verhafteten Personen, denen Unterstützung von regierungsfeindlichen Kräften zur Last gelegt wird und die in Gefängnissen des Inlandsgeheimdienstes (NDS), der afghanischen nationalen Polizei (ANP) (einschließlich der afghanischen nationalen Grenzpolizei ANBP), der afghanischen nationalen Streitkräfte (ANA) und der afghanischen lokalen Polizei (ALP) inhaftiert sind. UNAMA berichtete 2017, dass in vom Inlandsgeheimdienst (NDS) betriebenen Gefängnissen in fünf Provinzen „systematisch oder regelmäßig und weitverbreitet“ gefoltert wird und dass „ausreichend glaubhaften und verlässlichen Berichten zufolge in 17 anderen Provinz- oder staatlichen Einrichtungen des Inlandsgeheimdienstes gefoltert wird“. UNAMA dokumentierte außerdem „systematische Folterung und Misshandlung” in Haftanstalten der afghanischen nationalen Polizei (ANP) oder der afghanischen nationalen Grenzpolizei (ANBP) in den Provinzen Kandahar und Nangarhar sowie „Berichte über Verstöße in 20 anderen Provinzen, wobei die Behandlung von Häftlingen durch die ANP in den Provinzen Farah und Herat” besondere Sorge bereitet. Unter den Inhaftierten, bei denen die Anwendung von Folter festgestellt wurde, befanden sich auch Kinder.
UNHCR ist der Auffassung, dass Personen, die einem oder mehreren der folgenden Risikoprofile entsprechen, abhängig von den jeweiligen Umständen des Falles möglicherweise internationalen Schutz benötigen:
(1) Personen, die tatsächlich oder vermeintlich mit der Regierung oder mit der internationalen Gemeinschaft, einschließlich der internationalen Streitkräfte, verbunden sind oder diese tatsächlich oder vermeintlich unterstützen;
(2) Journalisten und in der Medienbranche tätige Personen;
(3) Männer im wehrfähigen Alter und Kinder im Zusammenhang mit der Einberufung von Minderjährigen und der Zwangsrekrutierung;
(4) Zivilisten, die der Unterstützung regierungsfeindlicher Kräfte verdächtigt werden;
(5) Angehörige religiöser Minderheiten und Personen, bei denen vermutet wird, dass sie gegen die Scharia verstoßen haben;
(6) Personen, bei denen vermutet wird, dass sie gegen islamische Grundsätze, Normen und Werte gemäß der Auslegung regierungsfeindlicher Kräfte verstoßen haben;
(7) Frauen mit bestimmten Profilen oder unter spezifischen Umständen;
(8) Frauen und Männer, die angeblich gegen gesellschaftliche Normen verstoßen haben;
(9) Personen mit Behinderungen, insbesondere geistigen Beeinträchtigungen, und Personen, die unter psychischen Erkrankungen leiden;
(10) Kinder mit bestimmten Profilen oder unter spezifischen Umständen;
(11) Überlebende von Menschenhandel oder Zwangsarbeit und Personen, die entsprechend gefährdet sind;
(12) Personen mit unterschiedlicher sexueller Orientierung und/oder Geschlechtsidentität;
(13) Angehörige gewisser Volksgruppen, insbesondere ethnischer Minderheiten;
(14) An Blutfehden beteiligte Personen, und
(15) Geschäftsleute und andere wohlhabende Personen (sowie deren Familienangehörige).
Kriterien für Subsidiären Schutz:
Afghanische Staatsangehörige, die internationalen Schutz in Mitgliedstaaten der Europäischen Union suchen und nicht Flüchtlinge im Sinne der GFK sind, können die Kriterien für subsidiären Schutz erfüllen, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass sie in Afghanistan der tatsächlichen Gefahr eines ernsthaften Schadens ausgesetzt wären, also der Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe, Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung durch den Staat oder seine Vertreter oder durch regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) ausgesetzt wären.
Im Kontext des bewaffneten Konflikts in Afghanistan gehören zu den relevanten Faktoren für die Einschätzung der Bedrohung des Lebens aufgrund willkürlicher Gewalt in einem bestimmten Teil des Landes die Anzahl der Zivilopfer und der Sicherheitsvorfälle sowie die Existenz schwerwiegender Verletzungen humanitären Völkerrechts, die Bedrohungen des Lebens oder der körperlichen Unversehrtheit darstellen. Solche Erwägungen sind jedoch nicht auf unmittelbare Auswirkungen von Gewalt beschränkt, sondern umfassen auch langfristige, indirektere Folgen von Gewalt einschließlich der Auswirkungen des Konflikts auf die Menschenrechtslage und das Ausmaß, in dem die Fähigkeit des Staates, Menschenrechte zu schützen, durch den Konflikt eingeschränkt wird. Im Kontext des Konflikts in Afghanistan gehören zu den relevanten Faktoren in dieser Hinsicht (i) die Kontrolle über die Zivilbevölkerung durch regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) einschließlich der Etablierung paralleler Justizstrukturen und der Verhängung ungesetzlicher Strafen sowie der Bedrohung und Einschüchterung der Zivilbevölkerung, Einschränkung der Bewegungsfreiheit und Einsatz von Erpressung und illegalen Steuern (ii) Zwangsrekrutierung (iii) Auswirkung von Gewalt und Unsicherheit auf die humanitäre Situation in Form von Ernährungsunsicherheit, Armut, Vernichtung von Lebensgrundlagen und Verlust von Eigentum (iv) ein hohes Maß an organisierter Kriminalität und die Möglichkeit von lokalen Machthabern („Strongmen“), Kriegsfürsten („Warlords“) und korrupten Staatsbediensteten, straflos tätig zu sein (v) systematische Beschränkung des Zugangs zu Bildung und zu grundlegender Gesundheitsversorgung infolge von Unsicherheit und (vi) systematische Beschränkung der Teilhabe am öffentlichen Leben, insbesondere für Frauen.
Im Lichte der verfügbaren Informationen über schwerwiegende und weit verbreitete Menschenrechtsverletzungen durch regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) in den von ihnen kontrollierten Gebieten sowie der Unfähigkeit des Staates, für Schutz vor derartigen Verletzungen in diesen Gebieten zu sorgen, ist UNHCR der Ansicht, dass eine interne Schutzalternative in Gebieten des Landes, die sich unter der tatsächlichen Kontrolle regierungsfeindlicher Kräfte (AGEs) befinden, nicht gegeben ist, es sei denn in Ausnahmefällen, in denen Antragstellende über zuvor hergestellte Verbindungen zur Führung der regierungsfeindlichen Kräfte (AGEs) im vorgeschlagenen Neuansiedlungsgebiet verfügen. UNHCR ist der Auffassung, dass eine interne Schutzalternative auch in den von aktiven Kampfhandlungen zwischen regierungsnahen und regierungsfeindlichen Kräften oder zwischen verschiedenen regierungsfeindlichen Kräften betroffenen Gebieten nicht gegeben ist.
Ob eine Flucht- oder Neuansiedlungsalternative „zumutbar” ist, muss im jeweiligen Einzelfall unter Berücksichtigung der persönlichen Umstände der Antragstellenden beurteilt werden; maßgebliche Faktoren sind dabei Alter, Geschlecht, Gesundheitszustand, Behinderungen, die familiäre Situation und Verwandtschaftsverhältnisse sowie der jeweilige Bildungs- und Berufshintergrund.
Ein als Flucht- oder Neuansiedlungsalternative vorgeschlagenes Gebiet wäre nur zumutbar, wenn der Antragsteller dort in Sicherheit leben kann, frei von Gefahr und Risiko für Leib und Leben. Diese Bedingungen müssen auf Dauer gewährleistet und dürfen nicht nur scheinbar oder unberechenbar sein. Diesbezüglich muss die Instabilität des ständigen Schwankungen unterworfenen bewaffneten Konflikts in Afghanistan berücksichtigt werden. Die in Abschnitt II.B dieser Richtlinien enthaltenen Informationen sowie verlässliche und aktuelle Informationen über die Sicherheitslage im vorgeschlagenen Neuansiedlungsgebiet sind wichtige Elemente bei der Beurteilung der Zumutbarkeit einer vorgeschlagenen Flucht- oder Neuansiedlungsalternative.
Inwiefern Antragsteller auf Unterstützung durch Familiennetzwerke im vorgeschlagenen Neuansiedlungsgebiet zurückgreifen können, muss auch im Lichte der berichteten Stigmatisierung und Diskriminierung von Personen, die nach einem Aufenthalt im Ausland nach Afghanistan zurückkehren, geprüft werden. Vor diesem Hintergrund ist UNHCR der Auffassung, dass eine vorgeschlagene interne Schutzalternative nur dann zumutbar ist, wenn die Person Zugang zu (i) Unterkunft, (ii) grundlegender Versorgung wie sanitäre Infrastruktur, Gesundheitsversorgung und Bildung und (iii) Lebensgrundlagen hat oder über erwiesene und nachhaltige Unterstützung verfügt, die einen angemessenen Lebensstandard ermöglicht. UNHCR ist ferner der Auffassung, dass eine interne Schutzalternative nur dann als zumutbar angesehen werden kann, wenn die Person im voraussichtlichen Neuansiedlungsgebiet Zugang zu einem Unterstützungsnetzwerk durch Mitglieder ihrer (erweiterten) Familie oder durch Mitglieder ihrer größeren ethnischen Gemeinschaft hat und man sich vergewissert hat, dass diese willens und in der Lage sind, den Antragsteller tatsächlich zu unterstützen. Die einzige Ausnahme von diesem Erfordernis der externen Unterstützung stellen nach Auffassung von UNHCR alleinstehende, leistungsfähige Männer und verheiratete Paare im erwerbsfähigen Alter ohne die oben beschriebenen besonderen Gefährdungsfaktoren dar. Diese Personen können unter bestimmten Umständen ohne Unterstützung von Familie und Gemeinschaft in städtischen und halbstädtischen Gebieten leben, die die notwendige Infrastruktur sowie Lebensgrundlagen zur Sicherung der Grundversorgung bieten und die unter der tatsächlichen Kontrolle des Staates stehen.
Bei der Beurteilung der Zumutbarkeit einer Flucht- oder Neuansiedlungsalternative für Kinder sind die besonderen Umstände sowie die rechtlichen Verpflichtungen des Staates aus der Kinderrechtskonvention zu berücksichtigen – vor allem die Verpflichtung zu gewährleisten, dass das Kindeswohl bei allen Maßnahmen, die Kinder betreffen, als vorrangiger Gesichtspunkt beachtet wird, und der Meinung des Kindes entsprechend seinem Alter und seiner Reife angemessen Bedeutung beigemessen wird. Entscheidungsträger müssen gebührend berücksichtigen, dass etwas, das für Erwachsene lediglich lästig ist, für ein Kind unter Umständen eine unzumutbare Härte darstellen kann. Diesen Überlegungen kommt zusätzliche Bedeutung zu, wenn es sich um unbegleitete und von ihren Eltern getrennte Kinder handelt. Im Fall unbegleiteter und von ihren Eltern getrennter Kinder aus Afghanistan ist UNHCR der Ansicht, dass – über die Unterstützung des Kindes durch seine (erweiterte) Familie oder größere ethnische Gemeinschaft im voraussichtlichen Neuansiedlungsgebiet hinaus – bei der Beurteilung der Verfügbarkeit einer Flucht- oder Neuansiedlungsalternative für das Kind das Kindeswohl gemäß Artikel 3 (1) der Kinderrechtskonvention vorrangig zu berücksichtigen ist. Für die Rückkehr unbegleiteter und von ihren Eltern getrennter Kinder nach Afghanistan gelten ferner die Mindestgarantien, die in dem Aide-mémoire: Special Measures Applying to the Return of Unaccompanied and Separated Children to Afghanistan von 2010 aufgeführt sind.
Wird eine interne Schutzalternative in einer bestimmten Stadt im Zuge eines Asylverfahrens in Erwägung gezogen, müssen alle allgemeinen und persönlichen Umstände, die im Hinblick auf Relevanz und Zumutbarkeit dieser Stadt als vorgeschlagenem Neuansiedlungsort für den betreffenden Antragsteller maßgeblich sind,soweit wie möglich festgestellt und gebührend berücksichtigt werden.
Zur Feststellung der Relevanz muss der Entscheidungsträger beurteilen, ob die betreffende Stadt für den Antragsteller praktisch und sicher erreichbar ist. Dazu muss die Verfügbarkeit von Lufttransport zum nächstgelegenen Flugplatz und die Sicherheit einer Weiterreise auf der Straße zum endgültigen Bestimmungsort oder alternativ die Sicherheit des Transports auf der Straße vom internationalen Flugplatz Kabul zum endgültigen Bestimmungsort geprüft werden.
UNHCR macht darauf aufmerksam, dass nur wenige Städte von Angriffen regierungsfeindlicher Kräfte, die gezielt gegen Zivilisten vorgehen, verschont bleiben. UNHCR stellt fest, dass gerade Zivilisten, die in städtischen Gebieten ihren tagtäglichen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Aktivitäten nachgehen, Gefahr laufen, Opfer dieser Gewalt zu werden. Zu solchen Aktivitäten zählen etwa der Weg zur Arbeit und zurück, die Fahrt in Krankenhäuser und Kliniken, der Weg zur Schule; den Lebensunterhalt betreffende Aktivitäten, die auf den Straßen der Stadt stattfinden, wie Straßenverkäufe; sowie der Weg zum Markt, in die Moschee oder an andere Orte, an denen viele Menschen zusammentreffen.
Zur Wirtschafts- und Versorgungslage ist festzuhalten, dass Afghanistan weiterhin ein Land mit hoher Armutsrate und Arbeitslosigkeit ist. Seit 2002 hat Afghanistan mit Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft wichtige Fortschritte beim Wiederaufbau seiner Wirtschaft erzielt. Nichtsdestotrotz bleiben bedeutende Herausforderungen bestehen, da das Land weiterhin von Konflikten betroffen, arm und von Hilfeleistungen abhängig ist. Während auf nationaler Ebene die Armutsrate in den letzten Jahren etwas gesunken ist, stieg sie in Nordostafghanistan in sehr hohem Maße. Im Norden und im Westen des Landes konnte sie hingegen reduziert werden. Angesichts des langsamen Wachstums, sicherheitsbedingter Versorgungsunterbrechungen und schwacher landwirtschaftlicher Leistungen, nimmt die Armut auch im Jahr 2018 weiterhin zu.
In den Jahren 2016-2017 wuchs die Arbeitslosenrate, die im Zeitraum 2013-2014 bei 22,6% gelegen hatte, um 1%. Die Arbeitslosigkeit betrifft hauptsächlich gering qualifizierte bildungsferne Personen, diese sind auch am meisten armutsgefährdet.
Laut der Erhebung über die Lebensbedingungen in Afghanistan 2016-2017 leben 72,4 Prozent der städtischen Bevölkerung Afghanistans in Slums, informellen Siedlungen oder unter unzulänglichen Wohnverhältnissen.
Humanitäre und Entwicklungsakteure haben Bedenken hinsichtlich der begrenzten Aufnahmekapazität Kabuls zum Ausdruck gebracht. Seit dem Fall des früheren Taliban-Regimes 2001 hat die Region Kabul City den größten Bevölkerungszuwachs in Afghanistan erlebt. Offiziellen Bevölkerungsschätzungen zufolge hatte die Region Kabul City Anfang 2016 5 Millionen Einwohner, 60 Prozent davon in der Stadt Kabul. Durch die großen Zahl der Rückkehrer aus Iran und Pakistan nach Afghanistan stieg die Bevölkerungszahl rapide weiter an (siehe Abschnitt II.F).
Das International Growth Centre vermerkte im Januar 2018: „Kabul hat in den letzten drei Jahrzehnten eine rasante Urbanisierung erfahren. Das Bevölkerungswachstum in der Stadt übersteigt die Fähigkeit der Stadt, die nötige Infrastruktur sowie die erforderlichen Versorgungsdienste und Arbeitsplätze für die Bewohner bereitzustellen, wodurch ausgedehnte informelle Siedlungen entstehen, in denen geschätzte 70 Prozent der Stadtbewohner leben.”
Vor dem Hintergrund der allgemeinen Sorge angesichts der zunehmenden Armut in Afghanistan stellte die Asia Foundation in ihrer Erhebung über die afghanische Bevölkerung aus dem Jahr 2017 fest, dass eine Verschlechterung der Finanzlage in der Region Zentralafghanistan/Kabul mit 43,9 Prozent am stärksten wahrnehmbar war. Im Januar 2017 wurde berichtet, dass 55 Prozent der Haushalte in den informellen Siedlungen Kabuls mit ungesicherter Nahrungsmittelversorgung konfrontiert waren. In seinem Überblick von 2018 über den Bedarf an humanitärer Hilfe reiht das Amt der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA) Kabul unter den 10 (von insgesamt 34) Provinzen ein, „die am stärksten vom Konflikt betroffen sind“. In dem Überblick heißt es weiter, dass „der Bedarf in großen Ballungszentren am größten ist, einschließlich Kabuls und der Stadt Jalalabad, wo sowohl Binnenvertriebene als auch Heimkehrer zusammenkamen auf der Suche nach Erwerbsmöglichkeiten und einer Existenzgrundlage sowie nach Zugang zu grundlegenden und lebenswichtigen Versorgungsdiensten. Der Bedarf an humanitärer Hilfe in diesen beiden Provinzen macht 42 Prozent des gesamten Bedarfs an humanitärer Hilfe aufgrund von Binnenvertreibung und grenzüberschreitenden Zustroms aus.”
UNHCR ist der Auffassung, dass angesichts der gegenwärtigen Sicherheits-, Menschenrechts- und humanitären Lage in Kabul eine interne Schutzalternative in der Stadt grundsätzlich nicht verfügbar ist.
Herat wird als eine der relativ friedlichen Provinzen gewertet, dennoch sind Aufständische in einigen Distrikten der Provinz, wie Shindand, Kushk, Chisht-i-Sharif und Gulran, aktiv (AN 18.2.2018; vgl. UNODC 12.2017, Khaama Press 25.10.2017, AJ 25.6.2017). Des Weiteren wurde Ende Oktober 2017 verlautbart, dass die Provinz Herat zu den relativ ruhigen Provinzen im Westen des Landes zählt, wenngleich sich in den abgelegenen Distrikten die Situation in den letzten Jahren aufgrund der Taliban verschlechtert hat (Khaama Press 25.10.2017).
Bei der Provinz Balkh, mit deren Hauptstadt Mazar- e Sharif, handelt es sich laut EASO um einen jener Landesteile, wo willkürliche Gewalt ein derart niedriges Ausmaß erreicht, dass für Zivilisten im Allgemeinen keine reelle Gefahr besteht, von willkürlicher Gewalt im Sinne von Art 15 (c) der Qualifizierungsrichtlinie persönlich betroffen zu sein.
Die Provinz Balkh ist nach wie vor eine der stabilsten Provinzen Afghanistans, sie zählt zu den relativ ruhigen Provinzen in Nordafghanistan. Balkh hat im Vergleich zu anderen Regionen weniger Aktivitäten von Aufständischen zu verzeichnen. Manchmal kommt es zu Zusammenstößen zwischen Aufständischen und den afghanischen Sicherheitskräften, oder auch zu Angriffen auf Einrichtungen der Sicherheitskräfte. Im Zeitraum 01.01.2017 - 30.4.2018 wurden in der Provinz 93 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert.
Im gesamten Jahr 2017 wurden 129 zivile Opfer (52 getötete Zivilisten und 77 Verletzte) registriert. Hauptursache waren IEDs, gefolgt von Bodenoffensiven und Blindgänger/Landminen. Dies bedeutet einen Rückgang von 68% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016. Zusammenstöße zwischen Aufständischen und Sicherheitskräften finden statt. Regierungsfeindliche Gruppierungen versuchen ihren Aufstand in der Provinz Balkh voranzutreiben.
Die Stadt Mazar- e Sharif ist über den internationalen Flughafen sicher erreichbar. Der Flughafen von Mazar-e Sharif (MRZ) liegt 9 km östlich der Stadt im Bezirk Marmul. Die Befahrung der Straßen von diesem Flughafen bis zur Stadt Mazar-e Sharif ist zur Tageszeit im Allgemeinen sicher.
In Mazar- e Sharif besteht laut EASO grundsätzlich die Möglichkeit, sicheren Wohnraum zu mieten. Als Alternative dazu stehen Unterkünfte in "Teehäusern" zur Verfügung. Generell besteht in Mazar- e Sharif laut EASO, trotz der im Umland herrschenden Dürre, keine Lebensmittelknappheit. In Mazar- e Sharif haben die meisten Leute laut EASO Zugang zu erschlossenen Wasserquellen sowie auch zu Sanitäreinrichtungen.
2. . Beweiswürdigung:
Beweis wurde aufgenommen durch Einsicht in den Akt der belangten Behörde und des Bundesverwaltungsgerichts, durch Einsichtnahme in das österreichische Strafregister und in die Bezug habenden Strafakten sowie durch Abhaltung der mündlichen Verhandlung vom 23.01.2020. Die dort gemachten Angaben der MB erscheinen widerspruchsfrei und unbedenklich. Sie waren der hier vorzunehmenden Beurteilung zugrunde zu legen. Das gleiche gilt für die von der MB vorgelegten Dokumente und die von ihr zugelassene Einsichtnahme in ihre Korrespondenz per XXXX am Mobiltelefon. Die Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat, beruhen auf den aktuell maßgeblichen Quellen, wie unter Pnkt 2. „Feststellungen“ genannt.
Soweit der BF mit dem verfahrensgegenständlichen Folgeantrag vorgebracht hat, dass er die MB Ende 2017 kennen gelernt und nach islamischem Ritus geheiratet habe, ist ihm bei der Angabe „Ende 2017“ offenbar ein Irrtum unterlaufen, da die Hochzeit gemäß den von der BF vorgelegten Dokument bereits am XXXX .2016 erfolgte und der gemeinsame Haushalt gemäß der unter Punkt I. Verfahrensgang bereits näher genannten Bestätigung der Gemeinde XXXX bereits ab 17.3.2017 begründet wurde. Die die Angaben der MB waren diesbezüglich klar und schlüssig. Sie waren den Feststellungen zugrunde zu legen. Glaubwürdig und unbedenklich erscheinen weiters die Angaben der MB darüber, dass sich der BF von Beginn der Lebensgemeinschaft an bemüht war, ein guter Familienvater zu sein, und sich um das ältere Kind der MB gekümmert hat, weiters dass der BF auch nach der Geburt der gemeinsamen Tochter bis zu seiner Schubhaft an der damals neuen Adresse mit der Familie zusammengelebt hat und seine polizeiliche Ummeldung angesichts der Ausnahmesituation unmittelbar nach der Geburt seiner Tochter erst am 29.10.2018, also verspätet vorgenommen hat. Glaubhaft und nachvollziehbar erscheinen schließlich die Angaben der MB, wonach der BF immer dann zum Alkohol griff, wenn ihn seine Sorgen überforderten, dass er jedoch andererseits ein sehr fürsorglicher Partner und Vater war.
3. Rechtliche Beurteilung:
Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Zu A)
Zu Spruchpunkt I.:
Im vorliegenden Fall war zu prüfen, ob die belangte Behörde den Antrag des BF auf internationalen Schutz vom 06.11.2018 zu Recht gem. § 68 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen hat.
Gemäß § 68 Abs. 1 AVG sind Anbringen von Beteiligten, die außer den Fällen der §§ 69 und 71 die Abänderung eines der Berufung nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren, wenn die Behörde nicht den Anlass zu einer Verfügung gemäß den Abs. 2 bis 4 findet, wegen entschiedener Sache zurückzuweisen.
Identität der Sache liegt vor, wenn sich der für die Entscheidung maßgebende Sachverhalt, welcher dem formell rechtskräftigen Vorbescheid zu Grunde lag, nicht geändert hat. Es ist in primär rechtlicher (nicht etwa rein technische oder mathematischer) Betrachtungsweise Weise festzustellen, ob in den entscheidungsrelevanten Fakten eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Die Identität der Sache ist im Vergleich mit dem im Vorbescheid angenommenen Sachverhalt im Lichte der darauf angewendeten Rechtsvorschriften zu beurteilen. Die Behörde hat sich damit auseinanderzusetzen, ob sich an diesem Sachverhalt oder an der Rechtslage im Zeitpunkt ihrer Entscheidung über den neuen Antrag eine wesentliche Änderung ergeben hat.
Nur ein zeitlich, örtlich oder sachlich differentes Geschehen kann als anderer Sachverhalt angesehen werden, nicht auch die neue Beurteilung eines bereits einer Entscheidung zu Grunde gelegten, im Vorverfahren bewerteten Sachverhaltes.
Wesentlich ist eine Änderung des Sachverhaltes nur dann, wenn sie (für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen) den Schluss zulässt, dass nunmehr bei Bedachtnahme auf die damals als maßgebend erachteten Erwägungen eine andere Beurteilung jener Umstände, die der angefochtenen Entscheidung zugrunde lagen, nicht von vornherein als ausgeschlossen gelten kann, sodass die Erlassung eines inhaltlich anderslautenden Bescheides zumindest möglich ist.
Die Behörde hat eine Prognose zu erstellen, ob die geänderten Umstände geeignet sein könnten, zu einer neuen rechtlichen Beurteilung zu führen.
Die sachliche Richtigkeit der früheren rechtskräftig gewordenen Entscheidung ist nicht (nochmals) zu ergründen. Identität der Sache liegt daher auch dann vor, wenn die (formell rechtskräftige) Vorentscheidung aufgrund eines mangelhaften Ermittlungsverfahrens getroffen wurde. Die Wesentlichkeit einer Sachverhaltsänderung ist nach der Wertung zu beurteilen, die das geänderte Sachverhaltselement in der seinerzeitigen rechtskräftigen Entscheidung erfahren hat. Eine Modifizierung der Sachlage, die nur für die rechtliche Beurteilung der Hauptsache unerhebliche Nebenumstände betrifft, kann an der Identität der Sache nichts ändern. Die behauptete Sachverhaltsänderung muss zumindest einen glaubhaften Kern aufweisen, dem Relevanz für das Verfahren zukommt und an den die Prognose anknüpfen kann, dass eine andere Beurteilung des Antrages und ein anderes Verfahrensergebnis nicht von vornherein ausgeschlossen erscheinen. Insoweit hat sich die Behörde bereits bei der Prüfung der Frage, ob der neuerliche Antrag zulässig sei oder wegen entschiedener Sache zurückgewiesen werden müsse, mit der Glaubwürdigkeit des neuen Vorbringens betreffend die Änderung des Sachverhaltes „beweiswürdigend“ auseinanderzusetzen (vgl. Hengstschläger-Leeb, AVG, vierter Teilband, Manz 2009, RZ 23 bis 28 zu § 68).
Wird die seinerzeitige Verfolgungsbehauptung aufrechterhalten und bezieht sich der Asylwerber auf sie, so liegt nicht ein wesentlich geänderter Sachverhalt vor, sondern es wird der Sachverhalt bekräftigt (bzw. sein „Fortbestehen und Weiterwirken“ behauptet; vgl. VwGH 20.03.2003, 99/20/0480), über den bereits rechtskräftig abgesprochen worden ist. Mit einem solchen Asylantrag wird daher im Ergebnis die erneute sachliche Behandlung einer bereits rechtskräftig entschiedenen Sache bezweckt (vgl. VwGH 07.06.2000, 99/01/0321).
Im vorliegenden Fall bringt der BF bezüglich der ihn treffenden asylrelevanten Verfolgungsgefahr im Wesentlichen vor, seine alten Fluchtgründe aufrecht zu halten. Dazu ist festzuhalten, dass den Vorbringen des BF diesbezüglich bereits mit der rechtskräftigen Vorentscheidung vom 17.07.2018 keine asylrelevante Verfolgung des BF festgestellt wurde. Der BF behauptet keinen neuen Sachverhalt im Sinne der dargelegten Judikatur, sondern macht lediglich denselben Fluchtgrund unter Bekräftigung des im ersten Verfahren angeführten Sachverhalts geltend. Der BF behauptet bloß ein „Fortbestehen und Weiterwirken“ (vgl. VwGH 20.03.2003, 99/20/0480) des schon im ersten Asylverfahren erstatteten Vorbringens und beabsichtigt im Ergebnis die erneute sachliche Behandlung des mit Erkenntnis vom 17.07.2018 bereits rechtskräftig entschiedenen Antrages auf internationalen Schutz (vgl. VwGH 07.06.2000, 99/01/0321). Aus der Fortführung dieses Vorbringens war somit im hier gegenständlichen (zweiten) Verfahren nichts zu gewinnen.
Ein auf das AsylG 2005 gestützter Antrag auf internationalen Schutz ist nicht bloß auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, sondern hilfsweise – für den Fall der Nichtzuerkennung dieses Status – auch auf die Gewährung von subsidiärem Schutz gerichtet. Dies wirkt sich ebenso bei der Prüfung eines Folgeantrages nach dem AsylG 2005 aus: Asylbehörden sind verpflichtet, Sachverhaltsänderungen nicht nur in Bezug auf den Asylstatus, sondern auch auf den subsidiären Schutzstatus zu prüfen (vgl. VfGH 29.06.2011, U 1533/10; VwGH 19.02.2009, 2008/01/0344 mwN).
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes setzt die Beurteilung eines drohenden Verstoßes gegen Art. 2 oder 3 EMRK eine Einzelfallprüfung voraus, in deren Rahmen konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zu der Frage zu treffen sind, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr („real risk“) insbesondere einer gegen Art. 2 oder 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht. Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat (vgl. etwa VwGH 08.09.2016, Ra 2016/20/0053, mwN).
Herrscht im Herkunftsstaat eines Asylwerbers eine prekäre allgemeine Sicherheitslage, in der die Bevölkerung durch Akte willkürlicher Gewalt betroffen ist, so liegen stichhaltige Gründe für die Annahme eines realen Risikos bzw. für die ernsthafte Bedrohung von Leben oder Unversehrtheit eines Asylwerbers bei Rückführung in diesen Staat dann vor, wenn diese Gewalt ein solches Ausmaß erreicht hat, dass es nicht bloß möglich, sondern geradezu wahrscheinlich erscheint, dass auch der betreffende Asylwerber tatsächlich Opfer eines solchen Gewaltaktes sein wird. Davon kann in einer Situation allgemeiner Gewalt nur in sehr extremen Fällen ausgegangen werden, wenn schon die bloße Anwesenheit einer Person in der betroffenen Region Derartiges erwarten lässt. Davon abgesehen können nur besondere in der persönlichen Situation der oder des Betroffenen begründete Umstände (Gefährdungsmomente) dazu führen, dass gerade bei ihr oder ihm ein – im Vergleich zur Bevölkerung des Herkunftsstaats im Allgemeinen – höheres Risiko besteht, einer dem Art. 2 oder 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein bzw. eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit befürchten zu müssen (vgl. VwGH 21.02.2017, Ra 2016/18/0137, mwN insbesondere zur Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Europäischen Gerichtshofes).
Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Eine solche Situation ist nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen (vgl. VwGH 19.06.2017, Ra 2017/19/0095). Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK ist nicht ausreichend. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen (vgl. VwGH 25.05.2016, Ra 2016/19/0036, mwN; 08.09.2016, Ra 2016/20/006).
Für den hier in Rede stehenden Herkunftsstaat Afghanistan hat der Verwaltungsgerichtshof mehrfach auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte hingewiesen, wonach die allgemeine Situation in Afghanistan nicht so gelagert ist, dass schon alleine die Rückkehr eines Antragstellers dorthin eine ernsthafte Bedrohung für die durch Art. 3 EMRK geschützten Rechte bedeuten würde (vgl. dazu VwGH 23.02.2016, Ra 2015/01/0134, 18.03.2016, Ra 2015/01/0255, 13.09.2016, Ra 2016/01/0096, jeweils mit zahlreichen Hinweisen auf die seit 2013 bestehende Rechtsprechung des Europäischen Gerichtsho