Entscheidungsdatum
14.09.2020Norm
B-VG Art133 Abs4Spruch
W169 2225400-1/2E
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Barbara MAGELE als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Indien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 04.10.2019, Zl. 648810504-190132103, zu Recht erkannt:
A)
Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG ersatzlos behoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer, ein indischer Staatsangehöriger, heiratete am 30.03.2010 in Zypern eine rumänische Staatsangehörige.
2. Der Beschwerdeführer reiste mit seiner Frau in das Bundesgebiet ein und nahm am 13.11.2012 eine Meldung in Wien vor.
3. Am 02.04.2013 wurde der Beschwerdeführer wegen Lenken seines Fahrzeuges im durch Alkohol beeinträchtigten Zustand angehalten und in Folge von der Landespolizeidirektion XXXX zur Zl. XXXX gemäß § 5 Abs. 1 StVO mit einer Geldstrafe von EUR 1.200,- bestraft.
4. Am 18.11.2013 wurde dem Beschwerdeführer eine Aufenthaltskarte „Angehöriger eines EWR-Bürgers“ ausgestellt.
5. Im Jahr 2017 wurde dem Beschwerdeführer der Führerschein abgenommen.
6. Am 18.01.2019 wurde der Beschwerdeführer im Zuge einer Geisterfahrt auf der Autobahn angehalten und in Folge von der Landespolizeidirektion XXXX zur Zl. XXXX wegen Lenken eines Fahrzeuges im durch Alkohol beeinträchtigten Zustand sowie Lenken eines Fahrzeuges ohne gültige Lenkerberechtigung gemäß § 37 Abs. 1 iVm § 1 Abs. 3 FSG und § 46 Abs. 4 lit. a StVO mit einer Geldstrafe von EUR 605,- bestraft. Der Beschwerdeführer habe mit dem eigenen Mobiltelefon die Geisterfahrten in Dauer von einer Stunde und 36 Minuten aufgenommen. Auf dem Video seien zahlreiche Gefährdungen und Ausweichmanöver anderer Verkehrsteilnehmer gesichtet worden. Dass kein schwerer Unfall verursacht worden sei, sei nur den Reaktionen der anderen Verkehrsteilnehmer zu verdanken. Der Beschwerdeführer wurde deshalb von der Landespolizeidirektion XXXX wegen Gefährdung der körperlichen Sicherheit gemäß § 89 StGB angezeigt.
7. Der Beschwerdeführer wurde am 08.05.2019 durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl in Anwesenheit seiner Ehefrau als Vertrauensperson zur Prüfung der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gemäß § 67 FPG niederschriftlich einvernommen.
Dabei gab der Beschwerdeführer zunächst an, gesund zu sein und keine Medikamente zu nehmen. Er habe in Indien zwölf Jahre die Schule besucht und danach vier Jahre lang in Zypern Hotelmanagement studiert. Dort habe er im März 2010 seine Frau geheiratet und sodann rund anderthalb Jahre in Rumänien gelebt. Aufgrund der Arbeitslage sei er mit seiner Frau nach Österreich gekommen, wo sie sich seit Ende 2012 aufhalten würden. Er arbeite als Essenslieferant und verdiene rund EUR 1.200,- bis 1.400,- pro Monat. Er sei nicht Mitglied in einem Verein oder einer sonstigen Organisation, habe kein Deutschzertifikat und außer seiner Frau keine Angehörigen in Österreich. Er sei kinderlos. Der Beschwerdeführer sei 2014 und 2018 in Indien auf Urlaub gewesen. Dort würden noch seine Eltern, drei Schwestern und weitere Verwandtschaft leben. Seine Eltern besäßen ein Haus im Bundesstaat Punjab, wo er auch bei seinem letzten Heimaturlaub gewohnt habe.
Zu seiner Geisterfahrt am 18.01.2019 befragt, gab der Beschwerdeführer wie folgt an (F: Leiter der Amtshandlung, A: nunmehriger Beschwerdeführer):
„(…)
F: Was war das Motiv Ihrer absurden Geisterfahrt am 18.01.2019 und wie kam es dazu?
A: Ich war betrunken. Mein Navi hatte ein Problem und ich bin dem Navi gefolgt. Ich war sehr verwirrt und bin gefahren, wie mir das Navi die Richtung angezeigt hat.
F: Warum waren Sie betrunken?
A: Trinken ist kein Verbot. Es war ein Fehler, dass ich betrunken gefahren bin. Meine Frau war in dieser Zeit in Rumänien bei der Familie. Es tut mir Leid.
F: Warum sind Sie über 1 ½ Stunden als Geisterfahrer unterwegs gewesen und warum haben Sie ein Video davon gemacht?
A: Ich war betrunken, ich war verwirrt.
F: Ihre Angaben sind ein Widerspruch! Keiner fährt versehentlich als Geisterfahrer und macht davon ein Video! Wollen Sie das erklären?
A: Ich weiß nicht, warum ich das gemacht habe.
F: Warum sind Sie laut Bericht der LPD nicht im Besitz einer Lenkberechtigung? Haben Sie nie eine besessen oder wurde Ihnen die Lenkberechtigung vorübergehend entzogen?
A: Jetzt habe ich keinen Führerschein mehr. Mir wurde der Führerschein im Jahr 2017 abgenommen, weil ich betrunken gefahren bin.
F: Wie lange wurde Ihnen der Führerschein entzogen?
A: Für 2 Jahre.
F: Warum haben Sie in Österreich zum wiederholten Male das Vergehen des Fahrens unter Alkoholeinfluss begangen?
A: Es war ein Fehler. Ich musste dringend nach Hause fahren, deshalb entstand die Geisterfahrt.
F: Wie stellt sich Ihr Alkoholkonsum dar? Haben Sie ein Problem mit Alkohol?
A: Ich trinke nicht täglich. Ich trinke im Monat etwa 2-4 Mal. Ich trinke dann zuhause alleine. Ich habe kein Problem mit Alkohol. Ich habe auch einmal 2 Monate nichts getrunken.
F: Haben Sie bereits Maßnahmen (Therapie, Entzug, ...) hinsichtlich Alkohol gesetzt?
A: Nein. Ich habe ja kein Problem damit.
F: Warum sind Sie der Meinung, dass Sie sich zukünftig besser verhalten werden und kein ähnliches Fehlverhalten mehr setzen werden?
A: Ich werde so etwas nicht mehr machen. Ich will keinen Führerschein mehr haben und will gar nicht mehr Auto fahren. Nachgefragt gebe ich an, dass ich aufgrund der Fehler nicht mehr Auto fahren möchte.
(…)“
Die Ehefrau des Beschwerdeführers gab an, dass sie in Österreich als Kellnerin arbeite und monatlich rund EUR 1.000,- bis 1.400,- verdiene. In Rumänien habe sie in einer Anwaltskanzlei gearbeitet. Sie habe keine Angehörigen in Österreich. Aus ihrer Sicht bestünden keine Hindernisse einer gemeinsamen Rückkehr nach Rumänien, es sei dort nur schwerer, Arbeit zu finden.
8. Am 22.05.2019 legte der Beschwerdeführer ein Konvolut an Lohnzetteln sowie eine Kopie seiner Heiratsurkunde vor.
9. Mit Schreiben vom 25.06.2019 verständigte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Beschwerdeführer unter Beifügung von Berichten über die Lage im Herkunftsstaat von der beabsichtigten Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen ihn und gewährte ihm eine Frist von 14 Tagen zur Stellungnahme, von der er nicht Gebrauch machte.
10. Am 10.07.2019 wurde der indische Reisepass des Beschwerdeführers gemäß § 39 BFA-VG polizeilich sichergestellt.
11. Mit einem in gebrochenem Deutsch verfassten Schreiben vom 22.07.2019 bat der Beschwerdeführer das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl um Aufschub bis Jahresende, um ausstehende Schulden abzahlen zu können. Danach würden der Beschwerdeführer und seine Frau selbst freiwillig ausreisen.
12. Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurde gemäß § 67 Abs. 1 und 2 FPG gegen den Beschwerdeführer ein zweijähriges Aufenthaltsverbot erlassen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 70 Abs. 3 FPG wurde ihm ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat ab Durchsetzbarkeit der Entscheidung erteilt (Spruchpunkt II.).
Begründend führte die belangte Behörde aus, dass der Beschwerdeführer wiederholt wegen Trunkenheit am Steuer bestraft worden sei, zuletzt im Zuge einer Geisterfahrt und ohne Lenkberechtigung, und er aufgrund dieser wiederholten Verfehlungen eine schwerwiegende und erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstelle. Es bestehe aufgrund dieses wiederholten Verhaltens eine negative Gefährdungsprognose. Der Erlassung eines zweijährigen Aufenthaltsverbotes stehe sein Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens angesichts des Fehlverhaltens nicht entgegen, weshalb die öffentlichen Interessen an einer Aufenthaltsbeendigung überwiegen würden. Der Beschwerdeführer könne zudem auch in Rumänien mit seiner Ehefrau leben. Dem Beschwerdeführer könne aber zur Vorbereitung der Ausreise ein Durchsetzungsaufschub gewährt werden.
13. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde und führte aus, dass er keine tatsächliche, gegenwärtige, erhebliche Gefahr darstelle. Seine Geisterfahrt habe nicht eine Stunde 36 Minuten gedauert, sondern er habe nur jeweils kurz sein Fahrzeug gewendet, da sein Navigationsgerät ihn dazu aufgefordert habe. Er sei aber aus Eigenem in die Fahrtrichtung zurückgekehrt. Die Geisterfahrt des Beschwerdeführers sei durch eine Verkettung mehrerer Umstände entstanden und habe eine Ausnahmesituation dargestellt, da üblicherweise dem Beschwerdeführer seine Ehefrau als Fahrerin zur Verfügung stehe, diese aber zum fraglichen Zeitpunkt in Rumänien gewesen sei. Der Beschwerdeführer habe seinen Fehler erkannt und befinde sich nunmehr in Therapie. Der Beschwerdeführer sei strafgerichtlich unbescholten. Es sei niemand zu Schaden gekommen und der Beschwerdeführer habe sich seither nichts zu Schulden kommen lassen. Weiters stehe das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers einem Aufenthaltsverbot entgegen. Eine Rückkehr nach Rumänien sei aufgrund des dortigen Arbeitsmarktes nicht zumutbar. Schließlich sei in eventu die Dauer des Aufenthaltsverbotes zu hoch bemessen worden.
Der Beschwerde beigelegt wurde die Anmeldung des Beschwerdeführers zur Therapie bei der Suchthilfe Wien und ein Versicherungsdatenauszug der Ehefrau des Beschwerdeführers.
Beantragt wurde die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen (Sachverhalt):
Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Indien aus dem Bundesstaat Punjab. Seine Identität steht fest. Es beherrscht die Sprache Punjabi. Im Herkunftsstaat besuchte er 12 Jahre die Schule und studierte danach in Zypern vier Jahre lang Hotelmanagement. Seine Eltern und drei Schwestern sowie weitere Verwandtschaft leben in Indien. Die Eltern des Beschwerdeführers besitzen ein Haus im Bundesstaat Punjab. Er hat zuletzt im Jahr 2018 seine Eltern in Indien besucht und in deren Haus gewohnt. Der Beschwerdeführer ist kinderlos und gesund.
Der Beschwerdeführer hat am 30.03.2010 in Zypern eine rumänische Staatsangehörige geheiratet und sodann rund anderthalb Jahre mit ihr in Rumänien gelebt. Seit 13.11.2012 sind der Beschwerdeführer und seine Frau im gemeinsamen Haushalt in Österreich gemeldet. Dem Beschwerdeführer wurde am 18.11.2013 eine Aufenthaltskarte zur Dokumentation seines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts gemäß § 54 NAG ausgestellt.
Der Beschwerdeführer hat keine zertifizierten Deutschkenntnisse. Er ist nicht Mitglied in einem Verein oder einer sonstigen Organisation. Er hat freundschaftliche und bekanntschaftliche Anknüpfungspunkte gefunden. Der Beschwerdeführer ist im Bundesgebiet als Essenslieferant tätig und verdient dadurch ca. EUR 1.200,- bis EUR 1.400,- monatlich. Die Ehefrau des Beschwerdeführers arbeitet als Kellnerin und verdient dadurch ca. EUR 1.000,- bis EUR 1.400,- monatlich. Der Beschwerdeführer und seine Ehefrau haben keine Angehörigen in Österreich.
Der Beschwerdeführer wurde am 02.04.2013 wegen Lenken eines Fahrzeuges im durch Alkohol beeinträchtigten Zustand angehalten und in Folge von der Landespolizeidirektion XXXX zur Zl. XXXX gemäß § 5 Abs. 1 StVO mit einer Geldstrafe von EUR 1.200,- bestraft.
Im Jahr 2017 wurde dem Beschwerdeführer der Führerschein abgenommen.
Am 18.01.2019 wurde der Beschwerdeführer im Zuge einer Geisterfahrt auf der Autobahn angehalten und in Folge von der Landespolizeidirektion XXXX zur Zl. XXXX wegen Lenken eines Fahrzeuges im durch Alkohol beeinträchtigten Zustand sowie Lenken eines Fahrzeuges ohne gültige Lenkerberechtigung gemäß § 37 Abs. 1 iVm § 1 Abs. 3 FSG und § 46 Abs. 4 lit. a StVO mit einer Geldstrafe von EUR 605,- bestraft. Der Beschwerdeführer hat mit dem eigenen Mobiltelefon die Geisterfahrten in Dauer von einer Stunde und 36 Minuten aufgenommen. Auf dem Video sind zahlreiche Gefährdungen und Ausweichmanöver anderer Verkehrsteilnehmer gesichtet worden. Dass kein schwerer Unfall verursacht wurde, ist nur den Reaktionen der anderen Verkehrsteilnehmer zu verdanken.
Der Beschwerdeführer hat eine Therapie zur Bewältigung seines Alkoholproblems begonnen.
Der Beschwerdeführer ist strafgerichtlich unbescholten.
2. Beweiswürdigung:
Der entscheidungsrelevante Sachverhalt ergibt sich aus dem Verwaltungsakt des Beschwerdeführers, insbesondere aus der Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vom 08.05.2019, der Stellungnahme vom 22.05.2019, dem Beschwerdeschriftsatz vom 05.11.2019, dem Schreiben der Landespolizeidirektion XXXX vom 18.01.2019, den Straferkenntnissen der Landespolizeidirektion XXXX vom 29.04.2013 und vom 29.04.2019, dem sichergestellten Reisepass des Beschwerdeführers, einem AJ-WEB Auszug des Beschwerdeführers und seiner Ehefrau, sowie einer Abfrage des Zentralen Fremdenregisters, einem Strafregisterauszug und einem Melderegisterauszug.
3. Rechtliche Beurteilung:
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I 2013/33 i.d.F. BGBl. I 2013/122, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Eine derartige Regelung wird in den einschlägigen Normen (VwGVG, BFA-VG, AsylG) nicht getroffen und es liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.
Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.
Gemäß § 28 Absatz 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn
1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder
2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
Zum Spruchteil A)
3.1. Zur Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid:
§ 67 FPG idgF lautet:
„(1) Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige ist zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahmen begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Dasselbe gilt für Minderjährige, es sei denn, das Aufenthaltsverbot wäre zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.
(2) Ein Aufenthaltsverbot kann, vorbehaltlich des Abs. 3, für die Dauer von höchstens zehn Jahre erlassen werden.
(3) Ein Aufenthaltsverbot kann unbefristet erlassen werden, wenn insbesondere
1. der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren rechtskräftig verurteilt worden ist;
2. auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige einer kriminellen Organisation (§ 278a StGB) oder einer terroristischen Vereinigung (§ 278b StGB) angehört oder angehört hat, terroristische Straftaten begeht oder begangen hat (§ 278c StGB), Terrorismus finanziert oder finanziert hat (§ 278d StGB) oder eine Person für terroristische Zwecke ausbildet oder sich ausbilden lässt (§ 278e StGB);
3. auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige durch sein Verhalten, insbesondere durch die öffentliche Beteiligung an Gewalttätigkeiten, durch den öffentlichen Aufruf zur Gewalt oder durch hetzerische Aufforderungen oder Aufreizungen, die nationale Sicherheit gefährdet oder
4. der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt.
(4) Bei der Festsetzung der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbotes ist auf die für seine Erlassung maßgeblichen Umstände Bedacht zu nehmen. Die Frist des Aufenthaltsverbotes beginnt mit dem Ablauf des Tages der Ausreise.“
Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits mehrfach ausgesprochen, dass bei der Erstellung der für jedes Aufenthaltsverbot zu treffenden Gefährdungsprognose das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen ist, ob und im Hinblick auf welche Umstände die jeweils maßgebliche Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftat und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Bei der nach § 67 Abs. 1 FPG zu erstellenden Gefährdungsprognose geht schon aus dem Gesetzeswortlaut klar hervor, dass auf das „persönliche Verhalten“ des Fremden abzustellen ist und strafgerichtliche Verurteilungen allein nicht ohne weiteres ein Aufenthaltsverbot begründen können (vgl. etwa VwGH 26.06.2019, Ra 2019/21/0131). Für eine nachvollziehbare Gefährdungsprognose ist es nicht ausreichend, wenn lediglich das Gericht, die Urteilsdaten, die maßgeblichen Strafbestimmungen und die verhängte Strafe angeführt werden. Im Rahmen der zu treffenden Feststellungen kann es fallbezogen mitunter aber auch nicht ausreichend sein, die im Urteilstenor des Strafgerichts zum Ausdruck kommenden Tathandlungen wiederzugeben, sondern es sich als notwendig darstellen, darüber hinausgehende Feststellungen zu treffen, um die Gefährdungsprognose in einer dem Gesetz entsprechenden Weise vornehmen zu können (VwGH 01.03.2018, Ra 2018/19/0014).
Ein Gesinnungswandel eines Straftäters ist grundsätzlich daran zu messen, ob und wie lange er sich – nach dem Vollzug einer Haftstrafe – in Freiheit wohlverhalten hat (VwGH 20.12.2018, Ra 2018/21/0112).
§ 67 Abs. 1 FrPolG 2005 idF FrÄG 2011 enthält zwar nur zwei Stufen für die Gefährdungsprognose, nämlich einerseits (nach dem ersten und zweiten Satz) die Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, wobei eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche, ein Grundinteresse der Gesellschaft berührende Gefahr auf Grund eines persönlichen Verhaltens vorliegen muss, und andererseits (nach dem fünften Satz) die nachhaltige und maßgebliche Gefährdung der öffentlichen Sicherheit der Republik Österreich im Fall von EWR-Bürgern, Schweizer Bürgern und begünstigten Drittstaatsangehörigen mit mindestens zehnjährigem Aufenthalt im Bundesgebiet (bzw. im Fall von Minderjährigen). Es muss aber angenommen werden, dass hinsichtlich Personen, die das Daueraufenthaltsrecht erworben haben, nicht nur bei der Ausweisung, sondern (arg. a minori ad maius) auch bei der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes der in Art. 28 Abs. 2 der Unionsbürgerrichtlinie und § 66 Abs. 1 letzter Satzteil FrPolG 2005 idF FrÄG 2011 vorgesehene Maßstab - der im abgestuften System der Gefährdungsprognosen zwischen jenen nach dem ersten und dem fünften Satz des § 67 Abs. 1 FrPolG 2005 idF FrÄG 2011 angesiedelt ist - heranzuziehen ist. Dies gebietet im Anwendungsbereich der Unionsbürgerrichtlinie eine unionsrechtskonforme Interpretation, weil das Aufenthaltsverbot eine Ausweisungsentscheidung im Sinn der Richtlinie beinhaltet. Zum gleichen Ergebnis führt eine verfassungskonforme Interpretation, weil die Anwendung eines weniger strengen Maßstabes für Aufenthaltsverbote als für bloße Ausweisungen sachlich nicht zu rechtfertigen wäre (VwGH 13.12.2012, 2012/21/0181).
Hinsichtlich Personen, die das Daueraufenthaltsrecht erworben haben, ist (daher) nicht nur bei der Ausweisung, sondern auch bei der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes der in § 66 Abs. 1 letzter Satzteil FrPolG 2005 vorgesehene Gefährdungsmaßstab, der jenem in Art. 28 Abs. 2 der Freizügigkeitsrichtlinie entspricht, heranzuziehen (vgl. VwGH 13.12.2012, 2012/21/0181; VwGH 22.1.2014, 2013/21/0135; VwGH 3.7.2018, Ra 2018/21/0066). Dieser Maßstab liegt im abgestuften System der Gefährdungsprognosen über dem Gefährdungsmaßstab nach dem ersten und zweiten Satz des § 67 Abs. 1 FrPolG 2005. § 53a Abs. 1 NAG 2005 stellt in Bezug auf den Erwerb des Rechts auf Daueraufenthalt auf einen fünf Jahre rechtmäßigen und ununterbrochenen Aufenthalt im Bundesgebiet ab. Auf dieser Grundlage darf nur bei Vorliegen von Gründen iSd § 66 Abs. 1 letzter Satzteil FrPolG 2005 (schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit) ein Aufenthaltsverbot erlassen werden (VwGH 24.10.2019, Ra 2019/21/0205).
Gemäß § 54a Abs. 1 NAG erwerben Drittstaatsangehöriger, die Angehörige von unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgern sind und die in § 52 Abs. 1 Z 1 bis 3 leg. cit. genannten Voraussetzungen erfüllen, (ebenso) das Daueraufenthaltsrecht, wenn sie sich fünf Jahre ununterbrochen rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten haben.
Im gegenständlichen Fall ist der Beschwerdeführer mit einer rumänischen Staatsangehörigen verheiratet und damit begünstigter Drittstaatsangehöriger im Sinne des § 2 Abs. 4 Z 11 FPG. Er ist seit 13.11.2012 in Österreich gemeldet und ihm wurde am 18.11.2013 eine Aufenthaltskarte zur Dokumentation seines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts gemäß § 54 NAG ausgestellt. Der Beschwerdeführer befindet sich somit seit rund siebeneinhalb Jahren durchgängig und rechtmäßig in Österreich, wobei die kurzen Heimaturlaube des Beschwerdeführers dem nicht Abbruch tun. Gemäß § 54a Abs. 1 NAG hat er bereits vor Erlassung des angefochtenen Bescheides der belangten Behörde – und im Übrigen auch vor Erlassung des diesem im Wesentlichen zugrundeliegenden Straferkenntnisses der Landespolizeidirektion XXXX – ein Daueraufenthaltsrecht gemäß § 54a Abs. 1 NAG erworben.
Im Sinne der obzitierten höchstgerichtlichen Judikatur genügt es daher nicht, dass der Beschwerdeführer eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt, sondern es muss eine schwerwiegende Gefahr von ihm ausgehen. Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits zum – insoweit vergleichbaren – Einreiseverbot ausgesprochen, dass die Fälle des § 53 Abs. 2 Z 1 bis 9 FPG keine gravierende Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit konstituieren, wohingegen in jenen des § 53 Abs. 3 FPG – nämlich gerichtlich strafbare bzw. terroristische Handlungen – grundsätzlich von einer schwerwiegenden Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit auszugehen ist (vgl. VwGH 24.05.2018, Ra 2018/19/0125). Soweit somit insbesondere § 53 Abs. 2 Z 2 FPG normiert, dass grundsätzlich ein Einreiseverbot gegen eine Person, die wegen einer Verwaltungsübertretung mit einer Geldstrafe von mindestens EUR 1.000,- oder primärer Freiheitsstrafe rechtskräftig bestraft wurde, erlassen werden kann, ist darin im Sinne dieser Rechtsprechung noch keine schwerwiegende Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit zu sehen.
Umgelegt auf den vorliegenden Fall ist somit maßgeblich, dass aktuell gegen den Beschwerdeführer lediglich eine Verwaltungsstrafe von EUR 605,- verhängt wurde, die somit grundsätzlich nicht einmal die (hypothetische) Erlassung eines Einreiseverbotes im Sinne des § 53 Abs. 2 FPG rechtfertigen würde. Schon aus diesem Grund kann daher nicht davon ausgegangen werden, dass der Beschwerdeführer eine nicht nur erhebliche, sondern schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt. Dabei ist auch anzuführen, dass das von der belangten Behörde miteinbezogene Motiv der „Langeweile“ des Beschwerdeführers aus dem Akt nicht hervorgeht und daher lediglich Spekulation darstellt. Darüber hinaus ist der Beschwerdeführer strafgerichtlich unbescholten. Obgleich der Beschwerdeführer schon einmal im Jahr 2013 wegen eines auf der gleichen schädlichen Neigung beruhenden Verhaltens zu einer Geldstrafe von EUR 1.200,- verhalten wurde, und ihm im Jahr 2017 der Führerschein abgenommen wurde, ist zugunsten des Beschwerdeführers anzuführen, dass der Beschwerdeführer inzwischen – wie mit dem Beschwerdeschriftsatz belegt wurde – eine Therapie zur Bewältigung von Alkoholproblemen begonnen hat, sich somit einsichtig zeigt, zumal der Beschwerdeführer auch erklärt hat, zumindest vorerst nicht mehr ein Auto lenken zu wollen, und er sich seit Tatbegehung vor etwas mehr als eineinhalb Jahren wohlverhalten hat. Letztlich mag daher zwar die Ansicht, dass der Beschwerdeführer eine erhebliche (!) Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt, unter Umständen ein geringes Aufenthaltsverbot – wobei nach Ansicht des erkennenden Gerichts auch hier eine Dauer von zwei Jahren wohl überschießend ist – vertretbar erscheinen lassen, jedoch kann angesichts der zitierten Rechtsprechung der belangten Behörde nicht darin zugestimmt werden, dass der strafgerichtlich unbescholtene Beschwerdeführer darüber hinaus das strengere Maß der schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit erfüllt (vgl. dazu auch VwGH 24.10.2019, Ra 2019/21/0205, Rz 15f;16.07.2020, Ra 2020/21/0091).
Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes erweist sich demnach als rechtswidrig, weshalb der angefochtene Bescheid insoweit zu beheben war.
Da die Rechtmäßigkeit des weiteren Spruchpunktes II. voraussetzt, dass gegen den Beschwerdeführer zu Recht ein Aufenthaltsverbot erlassen wurde, war daher auch dieser zu beheben.
3.2. Unterbleiben der mündlichen Verhandlung:
Gemäß § 21 Abs 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.
Da bereits aus der Aktenlage feststand, dass der angefochtene Bescheid zu beheben ist, konnte gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 zweiter Fall VwGVG eine mündliche Verhandlung unterbleiben.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Zum Spruchteil B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Im vorliegenden Fall ist die ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung abhängt, sondern ausschließlich tatsachenlastig ist. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten des angefochtenen Bescheides wiedergegeben. Zur Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung ist die zur asylrechtlichen Ausweisung ergangene zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs übertragbar.
Schlagworte
Aufenthaltsverbot begünstigte Drittstaatsangehörige Ehe Gefährdungsprognose Geldstrafe VerwaltungsstrafeEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:W169.2225400.1.00Im RIS seit
03.12.2020Zuletzt aktualisiert am
03.12.2020