TE Bvwg Erkenntnis 2020/9/17 W104 2180041-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 17.09.2020
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Entscheidungsdatum

17.09.2020

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §54 Abs1 Z1
AsylG 2005 §55 Abs1
AsylG 2005 §58 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9 Abs2
BFA-VG §9 Abs3
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs2
VwGVG §28 Abs5

Spruch

W104 2180041-1/13E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Christian BAUMGARTNER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. am XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch RA Mag. Julian A. Motamedi, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion XXXX , Außenstellte XXXX vom 20.10.2017, Zl. 1070618110-150556375, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 23.7.2020 zu Recht:

A)

I.       Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides wird gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

II.     Die Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides wird gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 8 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

III.    Der Beschwerde gegen Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides wird gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG stattgegeben und festgestellt, dass gemäß § 9 Abs. 2 und 3 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist.

IV.       XXXX wird gemäß § 54 Abs. 1 Z 1, § 58 Abs. 2 iVm § 55 Abs. 1 AsylG 2005 der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung plus“ erteilt.

V.       Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheides wird ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I.       Verfahrensgang

Der Beschwerdeführer reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen in die Republik Österreich ein und stellte am 25.5.2015 erstmals im Bundesgebiet einen Antrag auf internationalen Schutz.

Im Rahmen seiner Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 27.5.2015 gab der Beschwerdeführer an, er sei am XXXX in der afghanischen Provinz Maidan Wardak im Distrikt XXXX geboren, afghanischer Staatsangehöriger, Angehöriger der Volksgruppe der Hazara und hänge der schiitischen Glaubensrichtung des Islams an. Er sei verheiratet und habe keine Kinder. Seine Mutter sei bereits verstorben, sein Vater, ein Bruder, drei Schwestern und seine Ehefrau seien nach wie vor im Heimatdorf in Afghanistan wohnhaft. Zum Fluchtgrund führte der Beschwerdeführer aus, er habe zuletzt als Journalist bei einem afghanischen Radiosender gearbeitet. Nebenbei habe er Gedichte geschrieben und mehrere Bücher auf Dari veröffentlicht. In seinem letzten Buch habe der Beschwerdeführer die Taliban kritisiert. Daraufhin sei er am 12.3.2015 – vermutlich wegen seines Buches – von den Taliban in einem Bus angehalten und aus dem Bus geholt worden. Anschließend hätten ihn die Taliban geschlagen, ehe er durch die örtliche Polizei („Arbaki“) befreit worden sei. Der Beschwerdeführer sei daraufhin nach Kabul gereist und habe Afghanistan am 15.3.2015 verlassen.

In seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 3.10.2016 korrigierte der Beschwerdeführer sein Geburtsdatum zunächst auf den XXXX . Aufgrund der in Afghanistan erlittenen Verletzungen befinde sich der Beschwerdeführer derzeit in Österreich in Physiotherapie. Er nehme jedoch keine Medikamente ein. Zu seinen Fluchtgründen führte der Beschwerdeführer im Wesentlichen zusammengefasst aus, er habe drei Bücher geschrieben. Sein letztes Buch habe er im August 2014 veröffentlicht. Es sei in einer Auflage von 1000 Stück erschienen, wobei die meisten Bücher verschenkt worden seien. Den Druck habe ein Kurs namens „ XXXX “ finanziert. Aufgrund seiner Tätigkeit als Dichter sei der Beschwerdeführer von mehreren Fernsehsendern zu Interviews eingeladen worden. Dort habe er über seine beiden vorherigen Bücher gesprochen und Gedichte aus seinem neuen Buch vorgetragen. Zuletzt habe der Fernsehsender „ XXXX “ den Beschwerdeführer im März 2015 zu einem Interview eingeladen. Der Beschwerdeführer habe in seinen Fernsehinterviews zwar das Wort „Taliban“ nicht ausgesprochen, jeder Zuschauer habe jedoch gewusst, wen der Beschwerdeführer kritisiere. Am Tag nach diesem Interview habe der Beschwerdeführer nach Hause fahren wollen. Ein Busfahrer habe ihn jedoch gewarnt, dass er von den Taliban gesucht werde. Aus diesem Grund sei der Beschwerdeführer erst eine Woche später am 12.3.2015 heimwärts gefahren. Der Bus, in welchem sich der Beschwerdeführer befunden habe, sei jedoch von zwei maskierten Männern aufgehalten worden. Der Beschwerdeführer sei von den diesen Männern aus dem Bus geholt und geschlagen worden. Es seien dann noch zwei weitere Männer hinzugekommen und sie hätten zu viert auf den Beschwerdeführer eingeschlagen. Dabei sei ihm von den Männern vorgeworfen worden, gegen ihre Person Gedichte zu schreiben. Der Beschwerdeführer sei wie die Amerikaner oder Engländer. Nach einem Schlag auf den Kopf sei der Beschwerdeführer beinahe bewusstlos gewesen. Auf einmal habe er bemerkt, dass die Personen begonnen hätten, mit jemand anderem zu streiten. Es habe sich um Polizisten gehandelt, die die Taliban schließlich verjagt hätten. Die Polizisten hätten den Beschwerdeführer zu einer Apotheke gebracht, wo er verbunden worden sei. Anschließend hätten sie ihm geraten, wieder nach Kabul zu fahren, weil er dort sicherer sei. Der Beschwerdeführer sei unmittelbar nach dem Vorfall zurück nach Kabul gefahren und habe sich zur Flucht entschlossen. Drei Tage nach dem Vorfall habe er Afghanistan verlassen.

Am 20.10.2016 übergab der Beschwerdeführer dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ein Konvolut an Dokumenten und Unterlagen.

Mit Schreiben vom 1.8.2017 forderte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Beschwerdeführer auf, binnen zwei Wochen bekanntzugeben, ob sich an seiner persönlichen (privaten) Situation in Österreich bzw. allenfalls an seinem Gesundheitszustand seit seiner letzten Einvernahme am 3.1.2016 gravierende Veränderungen ergeben haben. Weiter wurde ihm Gelegenheit gegeben, zu den übermittelten Länderberichten Stellung zu nehmen.

Am 18.8.2017 langte eine Stellungnahme des Beschwerdeführers bei der belangten Behörde ein, in der dieser darauf verweist, er sei als Journalist einer asylrelevanten Verfolgungsgefahr durch die Taliban ausgesetzt. Weiter übermittelte der Beschwerdeführer ein Konvolut an Integrationsunterlagen.

Mit Schreiben vom 20.9.2017 ersuchte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Landespolizeidirektion XXXX um Überprüfung des vorgelegten afghanischen Führerscheins des Beschwerdeführers auf dessen Echtheit.

Die Landespolizeidirektion XXXX teilte mit Schreiben vom 4.10.2017 zum Untersuchungsbegehren mit, dass es sich beim zur Untersuchung vorgelegten Führerschein um ein Originaldokument handle. Es seien weder Abänderungen in den Ausfüllschriften noch eine Auswechslung des Lichtbildes festgestellt worden.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 20.10.2017, zugestellt am 25.10.2017, wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt II.), erteilte dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG, erließ gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG und stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt IV.). Begründend führte die belangte Behörde aus, es sei glaubhaft, dass dem Beschwerdeführer in seiner Heimatprovinz Maidan Wardak eine Gefährdung durch die Taliban drohe. Allerdings stehe Kabul unter der Kontrolle der Regierung. Der Beschwerdeführer könne dort vergleichsweise sicher leben. Aus den Schilderungen des Beschwerdeführers gehe nicht hervor, dass die Taliban den Beschwerdeführer in Kabul aufgesucht hätten. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl gehe daher nicht davon aus, dass der Beschwerdeführer einer gezielten Verfolgung durch die Taliban innerhalb der Stadt Kabul unterliege. Eine asylrelevante Verfolgung des Beschwerdeführers liege daher in Kabul nicht vor. Es würden auch keine Gründe vorliegen, welche zur Gewährung von subsidiärem Schutz führen könnten. Im Fall seiner Rückkehr nach Afghanistan sei davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer in Kabul Fuß fassen und sich selbst versorgen könne.

Dagegen richtet sich die am 23.11.2017 bei der belangten Behörde eingelangte vollumfängliche Beschwerde wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit, unrichtiger rechtlicher Beurteilung und Mangelhaftigkeit des Verfahrens aufgrund fehlerhafter bzw. unzureichender Ermittlungen und mangelhafter Beweiswürdigung. Darin wird im Wesentlichen das Vorbringen des Beschwerdeführers zu seinen Fluchtgründen wiederholt und vorgebracht, die belangte Behörde sei ihren Ermittlungspflichten nicht in ausreichendem Maße nachgekommen und habe das Verfahren dadurch mit schwerwiegenden Mängeln belastet. Sie habe es insbesondere unterlassen, den maßgeblichen Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln und festzustellen. Weiter werden mit vorliegender Beschwerde Länderberichte zur allgemeinen Sicherheitslage in Afghanistan, insbesondere Kabul, sowie zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers eingebracht. Eine innerstaatliche Fluchtalternative bestehe für den Beschwerdeführer nicht, da er aufgrund seiner Taliban-kritischen Teste und seiner Tätigkeit als Journalist in ganz Afghanistan Verfolgung durch die Taliban zu befürchten habe. Dem Beschwerdeführer sei daher Asyl zu gewähren.

Die Beschwerde und der Bezug habende Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Entscheidung vorgelegt. In einem verzichtete die belangte Behörde auf die Durchführung und Teilnahme an einer mündlichen Beschwerdeverhandlung und beantragte die Abweisung der Beschwerde.

Am 21.2.2019 übermittelte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dem Bundesverwaltungsgericht ein Ersuchen des Magistrats der Landeshauptstadt XXXX , Bau- und Bezirksverwaltung um Bekanntgabe, ob sich der Beschwerdeführer legal in Österreich aufhält, samt Antwortschreiben der belangten Behörde. Dem Schreiben des Magistrats der Landeshauptstadt XXXX , Bau- und Bezirksverwaltung ist zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer das Gewerbe der Güterbeförderung mit KFZ bis zu einem höchst zulässigen Gesamtgewischt von 3.500 kg angemeldet hat.

Das Bundesverwaltungsgericht beraumte mit Schreiben vom 16.6.2020 eine mündliche Beschwerdeverhandlung für den 23.7.2019 (gemeint: 23.7.2020) an, brachte Länderberichte in das Verfahren ein und gab dem Beschwerdeführer sowie der belangten Behörde Gelegenheit zur Stellungnahme.

Die belangte Behörde teilte mit Schreiben vom 17.7.2020 mit, dass die Teilnahme eines informierten Vertreters an der mündlichen Beschwerdeverhandlung aus dienstlichen und personellen Gründen nicht möglich sei. Es werde die Abweisung der gegenständlichen Beschwerde und die Übersendung des aufgenommenen Verhandlungsprotokolls beantragt.

Am 20.7.2020 langte eine Vollmachtbekanntgabe von Mag. Julian A. Motamedi, Rechtsanwalt, beim erkennenden Gericht ein. In einem wurde ein Konvolut an Integrationsunterlagen betreffend den Beschwerdeführer übermittelt.

Am 23.7.2020 legte die bisherige Rechtsvertretung des Beschwerdeführers, die ARGE Rechtsberatung – Diakonie und Volkshilfe, die am 15.11.2017 erteilte Vollmacht zurück.

Das Bundesverwaltungsgericht führte zur Ermittlung des entscheidungswesentlichen Sachverhalts am 23.7.2020 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der der Beschwerdeführer, sein bevollmächtigter Rechtsvertreter und eine Dolmetscherin für die Sprache Dari teilnahmen. Die belangte Behörde blieb der mündlichen Verhandlung fern.

In der mündlichen Verhandlung wurde der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen befragt und hielt sein Vorbringen einer Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat durch die Taliban wegen zumindest unterstellter oppositioneller Gesinnung aufgrund seiner Tätigkeit als Journalist und Dichter aufrecht. Die Rechtsvertretung des Beschwerdeführers legte in der mündlichen Beschwerdeverhandlung drei Unterstützungsschreiben und eine Beschäftigungszusage einer Pizzeria vor, welche zum Akt genommen wurden.

Der Beschwerdeführer legte im Lauf des Verfahrens folgende Dokumente vor:

?        Afghanischer Führerschein (Nr. XXXX );

?        Drei Gedichtbücher (verfasst in der Sprache Dari);

?        Englisch-Zertifikat des XXXX vom 19.1.2007;

?        Zertifikat des XXXX in Kabul über Besuch des Kurses „Basic & Advanced Journalism Course“ im Zeitraum 2.12.2007 bis 13.12.2007;

?        Bestätigung des afghanischen Bildungsministeriums über Abschluss der 12. Klasse der XXXX im Jahr 2009 samt Schulzeugnis;

?        Arbeitszeugnis der XXXX betreffend die Tätigkeit als Sachbearbeiter im Zeitraum April 2013 bis Februar 2014;

?        Anerkennungszertifikat des afghanischen Radiosenders „ XXXX “ vom 23.2.2015 für hervorragende Leistungen und nachhaltige Beiträge als Radiomoderator im Zeitraum 1.5.2014 bis 28.2.2015;

?        Diverse Lichtbilder betreffend die Tätigkeit des Beschwerdeführers als Radiomoderator;

?        Konvolut diverser Deutschkurs-Besuchsbestätigungen;

?        ÖSD Zertifikat A1 „gut bestanden“ vom 19.7.2016;

?        ÖSD Zertifikat A2 „bestanden“ vom 27.9.2016;

?        Zeugnis des ÖIF zur Integrationsprüfung auf Sprachniveau B1 „bestanden“ vom 26.6.2020;

?        Bestätigung des Vereins XXXX und der Stadtbibliothek XXXX über Teilnahme am Lesewettbewerb im Wissensturm in XXXX am 26.9.2015;

?        Bescheinigung des Österreichischen Roten Kreuzes über Teilnahme am Erste-Hilfe-Grundkurs vom 6.4.2016;

?        Bestätigung von „ XXXX “ über Teilnahme am Theater- und Multimediaworkshop „ XXXX “ (undatiert);

?        Urkunde des XXXX über Teilnahme am Integrationsturnier Morgendämmerung (undatiert);

?        Bestätigung der Österreichischen Hochschüler_innenschaft (ÖH) XXXX vom 18.8.2015 über ehrenamtliche Tätigkeit in den Deutschkursen als Übersetzer Farsi-Englisch;

?        Bestätigung der ÖH XXXX vom 12.10.2015 über ehrenamtliche Tätigkeit in den Deutschkursen als Assistent in der Farsi-Gruppe sei Juli 2015;

?        Bestätigung des Österreichischen Roten Kreuzes vom 28.1.2016 über freiwillige Mitarbeit bei der Flüchtlingsbetreuung im Oktober 2015;

?        Bestätigung des Österreichischen Roten Kreuzes über freiwillige Mitarbeit bei der Flüchtlingsbetreuung im März 2016 (undatiert);

?        Bestätigung des Österreichischen Roten Kreuzes vom 6.4.2016 über freiwillige Mitarbeit bei der Flüchtlingsbetreuung im April 2016;

?        Nachweis über Freiwilligentätigkeit des XXXX vom 13.9.2016 betreffend Unterstützung für „ZusammenHelfen in XXXX – Hilfe für geflüchtete Menschen“ im Zeitraum 7.9.2016 bis 12.9.2016;

?        Bestätigungsschreiben der „ XXXX “ vom 30.9.2016 über ehrenamtliche Mitarbeit ab Mai 2016;

?        Bestätigungsschreiben der XXXX vom 25.7.2017 über Teilnahme des Beschwerdeführers am Projekt „ XXXX “ im Zeitraum 30.6.2017 bis 9.7.2017;

?        Bestätigungsschreiben der XXXX (Radio XXXX ) über Tätigkeit des Beschwerdeführers als Moderator und Sendungsgestalter (undatiert);

?        Bestätigungsschreiben der XXXX (Radio XXXX ) vom 8.8.2017 über Tätigkeit des Beschwerdeführers als ehrenamtlicher Mitarbeiter seit Jänner 2017 sowie über Teilnahme an diversen Projekten in den Jahren 2015 und 2016;

?        Dank- und Anerkennungsurkunde des Bürgermeisters der Landeshauptstadt XXXX vom 8.4.2019 betreffend ehrenamtliche Mitarbeit des Beschwerdeführers in den XXXX Pflegeeinrichtungen;

?        Bestätigungsschreiben der XXXX vom 7.7.2020 über freiwillige Mitarbeit des Beschwerdeführers seit 2015;

?        Bestätigungsschreiben der XXXX (Radio XXXX ) vom 8.7.2020 über ehrenamtliche Mitarbeit des Beschwerdeführers seit Juli 2015;

?        Bestätigungsschreiben der XXXX vom 14.7.2020 über freiwillige Mitarbeit des Beschwerdeführers seit August 2018;

?        Auszug aus dem Gewerbeinformationssystem Austria, Stichtag 4.3.2019;

?        Vereinbarung zwischen dem Beschwerdeführer als Unternehmer und der XXXX über Durchführung von Warenlieferungen vom 1.4.2020;

?        Bestätigung der Wirtschaftskammer XXXX über aufrechte Gewerbeberechtigung (Güterbeförderungsgewerbe, Kleintransportgewerbe) vom 3.6.2020;

?        Rechnungen betreffend Mai 2020 für Zustellleistungen, ausgestellt vom Beschwerdeführer an XXXX ;

?        Rechnungen für April, Mai und Juni 2020 für Zustellleistungen, ausgestellt vom Beschwerdeführer an XXXX ;

?        Schreiben der XXXX über beabsichtigte Beschäftigung des Beschwerdeführers vom 15.7.2020;

?        Spielerliste der „ XXXX Fußball-Mannschaft“, Manager: XXXX (undatiert);

?        Diverse Empfehlungs- und Unterstützungsschreiben;

?        Konvolut an medizinischen Unterlagen betreffend den Beschwerdeführer.

II.      Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.       Beweisaufnahme:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch:

?        Einsicht in den dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Verwaltungsakt des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl;

?        Einvernahme des Beschwerdeführers im Rahmen der öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht;

?        Einsichtnahme in folgende vom Bundesverwaltungsgericht eingebrachte Berichte:

-        Länderinformationsblatt Afghanistan der Staatendokumentation, Stand 13.11.2019, letzte Information eingefügt am 18.5.2020;

-        European Asylum Support Office (EASO): Country Guidance: Afghanistan, June 2019; https://www.easo.europa.eu/sites/default/files/Country_Guidance_Afghanistan_2019.pdf

-        European Asylum Support Office (EASO): Country of Origin Information Report: Afghanistan, Individuals targeted by armed actors in the conflict, December 2017; https://www.easo.europa.eu/information-analysis/country-origin-information/country-reports

-        European Asylum Support Office (EASO): Bericht Afghanistan Netzwerke (Übersetzung durch Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Staatendokumentation), Stand Jänner 2018;

https://www.easo.europa.eu/information-analysis/country-origin-information/country-reports

-        Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland: Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan, 31.5.2018;

-        Ecoi.net – European Country of Origin Information Network: Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Fähigkeit der Taliban, Personen (insbesondere Dolmetscher, die für die US-Armee gearbeitet haben) in ganz Afghanistan aufzuspüren und zu verfolgen (Methoden; Netzwerke), 15.2.2013;

-        Landinfo, Informationszentrum für Herkunftsländer: Afghanistan: Der Nachrichtendienst der Taliban und die Einschüchterungskampagne (Arbeitsübersetzung durch Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Staaten-dokumentation), 23.8.2017; https://landinfo.no/asset/3590/1/3590_1.pdf

?        Einsichtnahme in folgende Berichte und Informationen zur aktuell maßgeblichen Situation in Afghanistan aufgrund der COVID-19-Epidemie:

-        Länderinformationsblatt Afghanistan der Staatendokumentation, Stand 13.11.2019, letzte Information eingefügt am 18.5.2020;

-        Kurzinformation der Staatendokumentation zu COVID-19 Afghanistan, Stand 29.6.2020;

-        Briefing Notes des deutschen Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 8.6.2020, Afghanistan;

?        Einsichtnahme in die vom Beschwerdeführer vorgelegten Dokumente und Berichte.

2.       Feststellungen:

2.1.    Zur Person und den Lebensumständen des Beschwerdeführers

Der Beschwerdeführer trägt den im Spruch angeführten Namen und wurde am XXXX im Dorf XXXX im Distrikt XXXX in der afghanischen Provinz Maidan Wardak geboren. Er ist Staatsbürger der Islamischen Republik Afghanistan, Angehöriger der Volksgruppe der Hazara und bekennt sich zur schiitischen Glaubensrichtung des Islam. Die Muttersprache des Beschwerdeführers ist Dari, in der er über Lese- und Schreibkenntnisse verfügt. Weiter spricht der Beschwerdeführer Farsi, etwas Paschtu, Englisch und bereits gut Deutsch. Er ist verheiratet und kinderlos.

Der Beschwerdeführer wuchs in seinem Heimatdorf im afghanischen Familienverband mit seinen Eltern, einem Bruder und drei Schwestern im familieneigenen Haus auf. Im Dezember 2014 heiratete der Beschwerdeführer seine nunmehrige Ehefrau XXXX traditionell vor einem Mullah. Nach der Hochzeit zog seine Gattin zum Beschwerdeführer in dessen Elternhaus.

Der Beschwerdeführer besuchte in seinem Heimatdistrikt bis zur achten Klasse die Schule und anschließend vier Jahre das XXXX in Kabul, das er im Jahr 2009 mit Matura abschloss.

Nach seinem Schulabschluss arbeitete der Beschwerdeführer ungefähr vier Jahre als Englischlehrer in einem privaten Kurs sowie beim Fernsehsender „ XXXX “ in Kabul und begann parallel zu seiner Tätigkeit als Lehrer ein Fernstudium im Bereich Wirtschaft, das er jedoch nicht abschloss. Anschließend war der Beschwerdeführer sechs Monate in einer Apotheke tätig, ehe er ab April 2013 für die Baufirma „ XXXX “ als Sachbearbeiter im Büro arbeitete. Mit Februar 2014 beendete der Beschwerdeführer seine Tätigkeit für die Baufirma und arbeitete von Mai 2014 bis Februar 2015 als Moderator bzw. Journalist beim afghanischen Radiosender „ XXXX “. Dort moderierte der Beschwerdeführer eine Sport- und Unterhaltungssendung sowie eine Sendung, in der er über verschiedene Länder berichtete. Weiter war er für das Abspielen der Musik zuständig. Nebenbei war der Beschwerdeführer freiberuflich als Dichter tätig und veröffentliche seinen ersten Gedichtband „ XXXX “ im Jahr 2010. Sein zweiter Gedichtband „ XXXX “ erschien im Jahr 2013 und der dritte Band „ XXXX “ im Jahr 2014.

Aufgrund seiner beruflichen Tätigkeit in Kabul wohnte der Beschwerdeführer zuletzt bis zu seiner Ausreise werktags in einem Zimmer im Stadtteil XXXX in Kabul. Am Wochenende reiste der Beschwerdeführer in sein Heimatdorf, wo er mit seiner Gattin in seinem Elternhaus lebte.

Die Mutter des Beschwerdeführers verstarb ungefähr im Jahr 2008 an Krebs, sein Vater verstarb im Jahr 2016 an einer Krankheit. Der Bruder des Beschwerdeführers lebt nach wie vor im Heimatdorf im Elternhaus. Die Ehegattin des Beschwerdeführers wohnt bei seinem Bruder, der sich um sie kümmert und sie versorgt. Die drei Schwestern des Beschwerdeführers sind zwischenzeitlich verheiratet und leben im Heimatdistrikt. Im Heimatdistrikt leben zudem ein Onkel väterlicherseits und zwei Tanten väterlicherseits des Beschwerdeführers. Weitere – allenfalls entfernte – Verwandte des Beschwerdeführers leben nicht in Afghanistan. Der Beschwerdeführer steht in regelmäßigem Kontakt mit seiner Gattin und seinem Bruder.

Der Beschwerdeführer leidet an keiner lebensbedrohlichen Krankheit und ist arbeitsfähig. Zwar wurde beim Beschwerdeführer im Jahr 2016 eine chronische Hepatitis-B-Infektion diagnostiziert; er bedarf jedoch keiner medizinischen und medikamentösen Behandlung. Derzeit ist der Beschwerdeführer beschwerdefrei.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

Der Beschwerdeführer stellte am 25.5.2015 seinen Antrag auf internationalen Schutz im Bundesgebiet und hält sich seither durchgehend in Österreich auf. Er ist erwerbstätig, bezieht keine Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung und lebt seit Mai 2020 in einer privaten Mietwohnung in XXXX in XXXX .

Der Beschwerdeführer hat seit seiner Einreise an mehreren Deutsch- und Integrations- bzw. Basisbildungskursen teilgenommen. Dabei zeigte er besonderes Interesse und Engagement beim Erlernen der deutschen Sprache und nahm bereits kurz nach seiner Einreise im September 2015 an einem Lesewettbewerb im Wissensturm in XXXX teil. Im April 2016 absolvierte der Beschwerdeführer einen Erste-Hilfe-Grundkurs des Roten Kreuzes und besuchte ab Mai 2016 das wöchentliche Sprachcafé der „ XXXX “. Bereits im Juli 2016 legte der Beschwerdeführer eine Prüfung zu seinen Deutschkenntnissen auf Niveau A1 des gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen ab und erwarb ein ÖSD-Sprachzertifikat A1 mit der Bewertung „gut bestanden“. Wenige Monate später trat der Beschwerdeführer im September 2016 zur Deutschprüfung auf Niveau A2 des gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen an, die er ebenfalls erfolgreich bestand. Zuletzt absolvierte der Beschwerdeführer am 26.6.2020 die Integrationsprüfung des ÖIF auf Sprachniveau B1 bestehend aus Inhalten zur Sprachkompetenz auf Niveau B1 des gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen und zu Werte- und Orientierungswissen. Der Beschwerdeführer spricht bereits gut Deutsch und ist in der Lage, Gespräche auf Deutsch zu führen.

Seit seiner Einreise zeigte der Beschwerdeführer besonderes ehrenamtliches Engagement und arbeitete freiwillig bei einer Vielzahl von Organisationen und Vereinen: Im Jahr 2015 war der Beschwerdeführer ab Juli 2015 in den von der ÖH XXXX veranstalteten Deutschkursen als Assistent in der Farsi-Gruppe tätig, wo er hauptsächlich die Aufgabe eines Übersetzers Farsi-Englisch übernahm. Die ÖH XXXX bezeichnet den Beschwerdeführer als große Hilfe sowie als essentielles Mitglied ihres Projektes. Zusätzlich unterstützte der Beschwerdeführer das Österreichische Rote Kreuz ab Oktober 2015 mehrere Monate lang bei der Flüchtlingsbetreuung und engagiert sich seit Mai 2016 in der „ XXXX “, wo er unter anderem Begegnungsnachmittage organisiert und an Kulturprojekten teilnimmt. Im September 2016 war der Beschwerdeführer im Rahmen des durch den Verein XXXX ehrenamtlich im Ausstellungsgelände der XXXX 2016 für das Projekt „ZusammenHelfen in XXXX – Hilfe für geflüchtete Menschen“ tätig. Zu seinen Aufgaben zählte unter anderem die Mithilfe beim Ausstellungsaufbau sowie bei der Zubereitung der Speisen für die Veranstaltung. Dabei fiel der Beschwerdeführer insbesondere durch seinen ständigen Kontakt und Austausch mit österreichischen Staatsbürgern sowie durch seine Hilfsbereitschaft und sein Verantwortungsbewusstsein auf. Von August 2018 bis März 2020 engagierte sich der Beschwerdeführer zudem für die XXXX und besuchte regelmäßig Bewohner der Seniorenheime, sprach mit ihnen oder ging mit ihnen spazieren. Dabei zeigte der Beschwerdeführer große Freude und Empathie, konnte seine Sprachkenntnisse einsetzen und pflegte einen sehr guten sozialen Umgang mit den Bewohnern und dem Personal. Für sein Engagement in den XXXX Seniorenzentren erhielt der Beschwerdeführer eine Dank- und Anerkennungsurkunde des Bürgermeisters der Landeshauptstadt XXXX .

Aktuell ist der Beschwerdeführer seit Juli 2015 durchgehend ehrenamtlich bei der XXXX (Radio XXXX ) tätig, wo er unter anderem als Moderator und Sendungsgestalter mitwirkt. Er arbeitete ehrenamtlich am Projekt „ XXXX “ mit, im Rahmen dessen auch minderjährigen unbegleiteten Flüchtlingen die Möglichkeit gegeben wird, selbst das Mikrofon in die Hand zu nehmen. Der Beschwerdeführer absolvierte zudem eine „Train-the-Trainer-Ausbildung“ im Radiojournalismus und wirkt aktiv am Projekt „ XXXX “ mit. Weiter beteiligt er sich regelmäßig an Treffen ehrenamtlicher JournalistInnen. Die XXXX schätzt besonders die Eigeninitiative sowie die Team- und Kommunikationsfähigkeit des Beschwerdeführers und beschreibt ihn als engagierten, freundlichen und aktiven Menschen. Weiter ist er ebenfalls seit 2015 für die XXXX ehrenamtlich im Team der übergreifenden Redaktion „ XXXX “ für den nichtkommerziellen Fernsehsender „ XXXX “ als Sendungsmacher tätig und gestaltet diverse Produktionen aktiv als Redakteur, Moderator und Kameramann mit. Dabei bewährte sich der Beschwerdeführer insbesondere bei sieben Live-Sendungen vom Kirchplatz in XXXX beim „ XXXX “ und fiel durch seinen freundlichen und respektvollen Umgang und sein Engagement auf.

Neben seinem sozialen Engagement ist der Beschwerdeführer um seine wirtschaftliche Selbsterhaltungsfähigkeit bemüht. Im Februar 2019 meldete der Beschwerdeführer ein Gewerbe beim Magistrat der Landeshauptstadt XXXX , Bau- und Bezirksverwaltung an. Mit Wirksamkeitsdatum 21.2.2019 wurde dem Beschwerdeführer die Gewerbeberechtigung für das freie Gewerbe der „Güterbeförderung mit Kraftfahrzeugen oder Kraftfahrzeugen mit Anhängern, deren höchst zulässiges Gesamtgewicht insgesamt 3.500 kg nicht übersteigt“ (Fachgruppenzuordnung: Güterbeförderungsgewerbe; Berufszweig: Kleintransportgewerbe – mit unbeschränkter KFZ-Anzahl) erteilt. Diese Gewerbeberechtigung ist nach wie vor aufrecht. Seit April 2020 ist der Beschwerdeführer als selbständiger Zusteller für zwei Pizzerien im Raum Linz tätig und liefert für diese Pizzen aus. Mit dem unprotokollierten Einzelunternehmen „ XXXX , hat der Beschwerdeführer eine schriftliche Vereinbarung über die Durchführung von Warenlieferungen geschlossen. Der Beschwerdeführer ist wirtschaftlich selbsterhaltungsfähig. Zudem wurde dem Beschwerdeführer von seinem Geschäftspartner XXXX “ eine Anstellung als Zusteller nach Erlangung eines Aufenthaltstitels in Aussicht gestellt.

In seiner Freizeit zeigt sich der Beschwerdeführer sehr um seine Integration bemüht und an Sport und Kultur interessiert. Nach seiner Ankunft in Österreich organisierte der Beschwerdeführer eine Fußballmannschaft und war dort bis 2019 als Trainer tätig. Weiter nahm er am Integrationsturnier Morgendämmerung des XXXX teil und besuchte einen Theater- und Multimediaworkshop von „ XXXX “. Der Beschwerdeführer verfügt im Bundesstaat über zahlreiche soziale Kontakte, hat viele österreichische Freunde und ist bereits sehr gut in die österreichische Gesellschaft integriert. Seine Freunde beschreiben ihn als sehr freundlich, fleißig, offen und an der österreichischen Gesellschaft und Lebensweise interessiert.

Unter Berücksichtigung der Persönlichkeitskonstellation des Beschwerdeführers, dessen Lebens- und Ausbildungsverlaufs seit seiner Einreise und seinen Zukunftsperspektiven ist von einer positiven Prognose auszugehen.

In Österreich leben keine Verwandten oder sonstige wichtige Bezugspersonen des Beschwerdeführers. Es besteht weder eine Lebensgemeinschaft des Beschwerdeführers in Österreich noch gibt es in Österreich geborene Kinder des Beschwerdeführers.

2.2.    Zu den Fluchtgründen und der Rückkehrsituation des Beschwerdeführers

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer in Afghanistan aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Überzeugung persönlich bedroht oder verfolgt wurde oder eine Verfolgung im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan zu befürchten hätte.

Der Beschwerdeführer arbeitete in Afghanistan von Mai 2014 bis Februar 2015 als Moderator bzw. Journalist beim afghanischen Radiosender „ XXXX “. Dort moderierte der Beschwerdeführer eine Sport- und Unterhaltungssendung sowie eine Sendung, in der er über verschiedene Länder berichtete. Weiter war er für das Abspielen der Musik zuständig. Nebenbei war der Beschwerdeführer freiberuflich als Dichter tätig und veröffentliche seinen ersten Gedichtband „ XXXX “ im Jahr 2010. Sein zweiter Gedichtband „ XXXX “ erschien im Jahr 2013 und der dritte Band „ XXXX “ im Jahr 2014. Der letzte Band erschien in einer Auflage von lediglich 1000 Stück.

Der Beschwerdeführer war jedoch weder als Moderator bzw. Journalist noch als Dichter politisch tätig. Seinen Gedichten ist zwar Kritik am Terrorismus an sich zu entnehmen; allerdings werden die Taliban oder sonstige Akteure nicht namentlich genannt bzw. kritisiert. Der Beschwerdeführer trat nicht öffentlich gegen die Taliban auf. Er wurde nicht von den Taliban angehalten und geschlagen. Insbesondere haben die Taliban kein derart großes Interesse an der Person des Beschwerdeführers, dass sie in einer Großstadt wie etwa Mazar-e Sharif oder Herat nach ihm suchen würden. Im Fall seiner Rückkehr nach Afghanistan ist der Beschwerdeführer keinen Übergriffen bzw. Verfolgung durch die Taliban bis hin zu seiner Tötung etwa aufgrund unterstellter politischer (oppositioneller) Gesinnung ausgesetzt.

Der Beschwerdeführer ist auch keiner Verfolgung in Afghanistan aufgrund der Nichteinhaltung religiöser Vorschriften ausgesetzt. Der Beschwerdeführer übt derzeit keine religiösen Riten, wie Beten oder den Besuch einer Moschee aus. Es kann jedoch nicht festgestellt werden, dass er sich in einer für die Außenwelt erkennbaren Weise vom islamischen Glauben losgelöst hat. Dem Beschwerdeführer droht aufgrund der Tatsache, dass er keine religiösen Riten (Fasten, Beten, Besuch der Moschee) ausübt, in Afghanistan bei einer Ansiedelung in einer Großstadt keine physische oder psychische Gewalt.

Dem Beschwerdeführer droht im Fall seiner Rückkehr in den Herkunftsstaat auch keine Verfolgung oder Übergriffe wegen seiner Volksgruppen- oder Religionszugehörigkeit.

Ebenso wenig drohen dem Beschwerdeführer als Rückkehrer aus dem westlichen Ausland im Fall seiner Rückkehr nach Afghanistan Übergriffe durch Privatpersonen, staatliche Stellen oder sonstige Akteure.

Afghanistan ist von einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt zwischen der afghanischen Regierung und Aufständischen betroffen. Die Betroffenheit von Kampfhandlungen sowie deren Auswirkungen für die Zivilbevölkerung sind regional unterschiedlich.

Die Heimatprovinz des Beschwerdeführers (Maidan Wardak) zählt zu den volatilen Provinzen Afghanistans. Die Sicherheitslage in der Provinz hat sich in den letzten Monaten verschlechtert. Aufständische sind in gewissen Distrikten aktiv und führen terroristische Aktivitäten aus. Es kommt regelmäßig zu Sicherheitsoperationen in der Provinz und die Taliban greifen Kontrollpunkte der Sicherheitskräfte an.

Im Fall einer Rückkehr des Beschwerdeführers in seine Herkunftsprovinz Maidan Wardak droht ihm die Gefahr, im Zuge von Kampfhandlungen zwischen regierungsfeindlichen Gruppierungen und Streitkräften der Regierung oder durch Übergriffe von regierungsfeindlichen Gruppierungen gegen die Zivilbevölkerung zu Tode zu kommen oder misshandelt oder verletzt zu werden.

Die Hauptstadt Kabul ist von innerstaatlichen Konflikten und insbesondere stark von öffentlichkeitswirksamen Angriffen der Taliban und anderer militanter Gruppierungen betroffen. Kabul verzeichnet eine hohe Anzahl ziviler Opfer. Die afghanische Regierung führt regelmäßig Sicherheitsoperationen in der Hauptstadt durch.

Im Fall einer Niederlassung in Kabul droht dem Beschwerdeführer die Gefahr, im Zuge von Kampfhandlungen oder durch Angriffe Aufständischer zu Tode zu kommen oder misshandelt oder verletzt zu werden.

Die Provinzen Balkh und Herat gehören zu den friedlichsten Provinzen Afghanistans und sind vom Konflikt relativ wenig betroffen. Insbesondere Balkh gehört zu den stabilsten und ruhigsten Provinzen Afghanistans mit im Vergleich zu anderen Provinzen geringen Aktivitäten von Aufständischen. In den letzten Monaten versuchten Aufständische der Taliban die nördliche Provinz Balkh aus benachbarten Regionen zu infiltrieren. Drei Schlüsseldistrikte, Zari, Sholagara und Chahar Kant, zählen zu jenen Distrikten, die in den letzten Monaten von Sicherheitsbedrohungen betroffen waren. Die Provinzhauptstadt Mazar-e Sharif ist davon jedoch nicht betroffen. Die Provinz Herat ist eine relativ entwickelte Provinz im Westen Afghanistans. Aufständische sind in einigen abgelegenen Distrikten aktiv. Die Hauptstadt der Provinz – Herat (Stadt) – ist davon wenig betroffen und gilt trotz Anstiegs der Kriminalität nach wie vor als sehr sicher. Sowohl Mazar-e Sharif in Balkh als auch Herat (Stadt) stehen unter Regierungskontrolle. Beide Städte verfügen über einen internationalen Flughafen, über den sie sicher erreicht werden können.

Für den Fall einer Niederlassung des Beschwerdeführers in den Städten Mazar-e Sharif oder Herat kann nicht festgestellt werden, dass diesem die Gefahr droht, im Zuge von Kampfhandlungen oder durch Angriffe Aufständischer zu Tode zu kommen oder misshandelt oder verletzt zu werden.

Die Provinzen Balkh und Herat waren von einer Dürre betroffen. Ernährungssicherheit, Zugang zu Wohnmöglichkeiten, Wasser und medizinische Versorgung sind in Mazar-e Sharif und Herat (Stadt) grundsätzlich gegeben. Aufgrund der derzeit bestehenden Pandemie durch das Corona-Virus ist der Zugang zu einer medizinischen Versorgung in Mazar-e Sharif und Herat (Stadt) zwar vorhanden, jedoch beschränkt. In der Provinz Balkh gibt es ein Krankenhaus, welches COVID-19 Patienten behandelt und über 200 Betten verfügt. Die Arbeitslosigkeit im Herkunftsstaat ist hoch und Armut verbreitet. Aufgrund kurzfristiger Lockdowns kann auch die Möglichkeit, sich durch eigene Arbeit seinen Lebensunterhalt zu verdienen, zeitlich begrenzt eingeschränkt sein. Derzeit sind die Dienstzeiten im privaten und öffentlichen Sektor auf sechs Stunden pro Tag beschränkt und die Beschäftigten werden in zwei ungerade und gerade Tagesschichten eingeteilt. In den Städten ist die Zahl der aktiven Fälle von COVID-19 zurückgegangen. Die afghanische Regierung ist im Rahmen des Dastarkhan-e-Milli-Programms bemüht, Haushalte zu unterstützen, die sich in wirtschaftlicher Not befinden. Auf der Grundlage des Programms will die Regierung in der ersten Phase 86 Millionen Dollar und dann in der zweiten Phase 158 Millionen Dollar bereitstellen, um Menschen im ganzen Land mit Nahrungsmitteln zu versorgen.

Im Fall einer Rückführung des – arbeitsfähigen und volljährigen – Beschwerdeführers nach Mazar-e Sharif oder Herat (Stadt) ist davon auszugehen, dass er sich – wenn auch nach anfänglichen Schwierigkeiten – eine Lebensgrundlage wir aufbauen und die Grundbedürfnisse seiner menschlichen Existenz wie Nahrung, Kleidung und Unterkunft wird decken können. Der Beschwerdeführer wird im Fall seiner Niederlassung in Mazar-e Sharif oder Herat (Stadt) ein mit anderen dort lebenden Afghanen vergleichbares Leben ohne unbillige Härten führen können. Der Beschwerdeführer ist ein junger Mann von XXXX Jahren, der an keinen schwerwiegenden Erkrankungen leidet und (hinsichtlich COVID-19) nicht unter die Risikogruppen der älteren Personen und der Personen mit bestimmten Vorerkrankungen wie Diabetes, Herzkrankheiten oder Bluthochdruck fällt. Er ist mit den kulturellen Gepflogenheiten seines Herkunftslandes vertraut, verfügt über eine zwölfjährige Schulausbildung sowie ein begonnenes Wirtschaftsstudium und weist mehrjährige Berufserfahrung als Englisch-Lehrer, Sachbearbeiter, Dichter und Moderator auf. Zudem spricht er nicht nur eine Sprache des Herkunftsstaates (Dari) muttersprachlich, sondern verfügt auch über Grundkenntnisse in Paschtu. Er verbrachte sein gesamtes Leben bis zu seiner Ausreise im Frühjahr 2015 in Afghanistan und wurde dort im afghanischen Familienverband sozialisiert. Die Ehefrau des Beschwerdeführers wird von seinem Bruder versorgt. Darüber hinaus hat der Beschwerdeführer keine Sorgepflichten. Der Aufbau einer Existenzgrundlage in den Großstädten Mazar-e Sharif oder Herat (Stadt) ist ihm, wenn auch nach anfänglichen Schwierigkeiten, möglich.

Es gibt in Afghanistan unterschiedliche Unterstützungsprogramme für Rückkehrer von Seiten der Regierung, von NGOs und durch internationale Organisationen, die der Beschwerdeführer in Anspruch nehmen könnte. IOM bietet in Afghanistan Unterstützung bei der Reintegration an.

2.3.    Zur Lage im Herkunftsstaat

2.3.1.  Staatendokumentation (Stand 18.5.2020, außer wenn anders angegeben):

Politische Lage

Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind (AA 15.4.2019). Auf einer Fläche von ca. 632.000 Quadratkilometern (CIA 24.5.2019) leben ca. 32 Millionen Menschen (CSO 2019).

Im Jahr 2004 wurde die neue Verfassung angenommen (BFA 7.2016; vgl. Casolino 2011), die vorsieht, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürgerinnen und Bürger Afghanistans, Mann wie Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA 3.2014; vgl. Casolino 2011, MPI 27.1.2004).

Die Verfassung der islamischen Republik Afghanistan sieht vor, dass der Präsident der Republik direkt vom Volk gewählt wird und sein Mandat fünf Jahre beträgt (Casolino 2011). Implizit schreibt die Verfassung dem Präsidenten auch die Führung der Exekutive zu (AAN 13.2.2015) und die Provinzvorsteher, sowie andere wichtige Verwaltungsbeamte, werden direkt vom Präsidenten ernannt und sind diesem rechenschaftspflichtig. Viele werden aufgrund persönlicher Beziehungen ausgewählt (EC 18.5.2019).

Die ursprünglich für den 20. April 2019 vorgesehene Präsidentschaftswahl wurde mehrfach verschoben, da die Wahlbehörden auf eine landesweite Wahl so kurz nach der Parlamentswahl im Oktober 2018 nicht vorbereitet waren. Der Oberste Gerichtshof Afghanistans konnte die Herausforderungen für die Wahlkommission nachvollziehen und verlängerte die Amtszeit von Präsident Ashraf Ghani bis zu der auf den 28.9.2019 verschobenen Präsidentschaftswahl (DZ 21.4.2019). Die unabhängige afghanische Wahlkommission (Afghanistan’s Independent Election Commission) hat mehr als vier Monate nach der Präsidentschaftswahl in Afghanistan Mohammed Ashraf Ghani zum Sieger erklärt (DW 18.2.2020). Der amtierende Präsident erhielt 50,64% der Stimmen, wie die Kommission verlautbarte (DW 18.2.2020; vgl. REU 25.2.2020; UNGASC 17.3.2020). Da Ghani im ersten Durchgang die Präsidentschaftswahl bereits gewonnen hat, ist keine Stichwahl mehr notwendig (DW 18.2.2020). CEO bzw. Regierungsgeschäftsführer Abdullah Abdullah, kam den Resultaten zufolge auf 39,52% (DW 18.2.2020; vgl. REU 25.2.2020). Die Präsidentenwahl hatte am 28. September stattgefunden. Nach monatelangem, erbittertem Streit um die Richtigkeit von Hunderttausenden von Stimmen waren nur noch 1,8 Millionen Wahlzettel berücksichtigt worden. Hingegen lag die Zahl der registrierten Wähler bei 9,6 Millionen. Afghanistan hat eine geschätzte Bevölkerung von 35 Millionen Einwohnern (DW 18.2.2020).

Wochenlang stritten der amtierende Präsident Ashraf Ghani und sein ehemaliger Regierungsgeschäftsführer Abdullah Abdullah um die Macht in Kabul und darum wer die Präsidentschaftswahl im vergangenen September gewonnen hatte. Abdullah Abdullah beschuldigte die Wahlbehörden, Ghani begünstigt zu haben, und anerkannte das Resultat nicht (NZZ 20.4.2020). Am 9.3.2020 ließen sich sowohl Ghani als auch Abdullah als Präsident vereidigen (NZZ 20.4.2020; vgl. TN 16.4.2020). Nach monatelanger politischer Krise (DP 17.5.2020; vgl. TN 11.5.2020), einigten sich der afghanische Präsident Ashraf Ghani und Abdullah Abdullah auf eine Machtteilung: Abdullah wird die Friedensgespräche mit den Taliban leiten und Mitglieder seines Wahlkampfteams werden ins Regierungskabinett aufgenommen (DP 17.5.2020; vgl. BBC 17.5.2020; DW 17.5.2020).

Präsidentschafts- und Parlamentswahlen

Die afghanische Nationalversammlung ist die höchste legislative Institution des Landes und agiert im Namen des gesamten afghanischen Volkes (Casolino 2011). Sie besteht aus zwei Kammern: dem Unterhaus oder Volksvertretung (Wolesi Jirga) mit 250 Abgeordneten (für 5 Jahre gewählt), sowie dem Oberhaus oder Ältestenrat (Meschrano Jirga) mit 102 Abgeordneten (AA 15.4.2019).

Das Oberhaus setzt sich laut Verfassung zu je einem Drittel aus Vertretern der Provinz- und Distrikträte zusammen. Das letzte Drittel der Senatoren wird durch den Präsidenten bestimmt (AA 15.4.2019). Die Hälfte der vom Präsidenten entsandten Senatoren müssen Frauen sein. Weiters vergibt der Präsident zwei Sitze für die nomadischen Kutschi und zwei weitere an behinderte Personen. Auch ist de facto ein Sitz für einen Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft reserviert (USDOS 13.3.2019).

Die Sitze im Unterhaus verteilen sich proportional zur Bevölkerungszahl auf die 34 Provinzen. Verfassungsgemäß sind für Frauen 68 Sitze, für die Minderheit der Kutschi zehn Sitze und für Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft ein Sitz reserviert (AAN 22.1.2017; vgl. USDOS 13.3.2019, Casolino 2011).

Die Rolle des Parlaments bleibt begrenzt. Ob das neue Parlament, das sich nach den Wahlen vom Oktober 2018 erst mit erheblicher Verzögerung im April 2019 konstituierte, eine andere Rolle einnehmen kann, muss sich zunächst noch erweisen. Zwar beweisen die Abgeordneten mit kritischen Anhörungen und Abänderungen von Gesetzentwürfen in teils wichtigen Punkten, dass das Parlament grundsätzlich funktionsfähig ist, doch nutzt das Parlament auch seine verfassungsmäßigen Rechte, um die Arbeit der Regierung destruktiv zu behindern, Personalvorschläge der Regierung z.T. über längere Zeiträume zu blockieren und sich Zugeständnisse wohl auch durch finanzielle Zuwendungen an einzelne Abgeordnete abkaufen zu lassen. Insbesondere das Unterhaus hat sich dadurch sowohl die Regierung der Nationalen Einheit als auch die Zivilgesellschaft zum Gegner gemacht. Generell leidet die Legislative unter einem kaum entwickelten Parteiensystem und mangelnder Rechenschaft der Parlamentarier gegenüber ihren Wählern (AA 2.9.2019).

Die Präsidentschaftswahlen und Parlamentswahlen finden gemäß Verfassung alle fünf Jahre statt (USIP 11.2013). Mit dreijähriger Verzögerung fanden zuletzt am 20. und 21. Oktober 2018 – mit Ausnahme der Provinz Ghazni – Parlamentswahlen statt (AA 15.4.2019; vgl. USDOS 13.3.2019). Die letzten Präsidentschaftswahlen fanden am 28. September 2019 statt (RFE/RL 20.10.2019).

Bei den Wahlen zur Nationalversammlung am 20. und 21.10.2018 gaben etwa vier Millionen der registrierten 8,8 Millionen Wahlberechtigten ihre Stimme ab. Die Wahl war durch Unregelmäßigkeiten geprägt, darunter Betrug bei der Wählerregistrierung und Stimmabgabe, Einschüchterung der Wähler, und einige Wahllokale mussten wegen Bedrohungen durch örtliche Machthaber schließen. Die Taliban und andere Gruppierungen behinderten die Stimmabgabe durch Drohungen und Belästigungen (USDOS 13.3.2019).

Wegen Vorwürfen des Betruges und des Missmanagements erklärte Anfang Dezember 2018 die afghanische Wahlbeschwerdekommission (ECC) alle in der Provinz Kabul abgegebenen Stimmen für ungültig (RFE/RL 6.12.2018). Die beiden Wahlkommissionen einigten sich in Folge auf eine neue Methode zur Zählung der abgegebenen Stimmen (TN 12.12.2018). Die Provinzergebnisse von Kabul wurden schließlich am 14.5.2019, fast sieben Monate nach dem Wahltag, veröffentlicht. In einer Ansprache bezeichnete Präsident Ghani die Wahl als „Katastrophe“ und die beiden Wahlkommissionen als „ineffizient“ (AAN 17.5.2019).

Politische Parteien

Die afghanische Verfassung erlaubt die Gründung politischer Parteien, solange deren Programm nicht im Widerspruch zu den Prinzipien des Islam steht (USDOS 29.5.2018). Um den Parteien einen allgemeinen und nationalen Charakter zu verleihen, verbietet die Verfassung jeglichen Zusammenschluss in politischen Organisationen, der aufgrund von ethnischer, sprachlicher (Casolino 2011; vgl. MPI 27.1.2004) oder konfessioneller Zugehörigkeit erfolgt (Casolino 2011; vgl. MPI 27.1.2004; USDOS 29.5.2018). Auch darf keine rechtmäßig zustande gekommene Partei oder Organisation ohne rechtliche Begründung und ohne richterlichen Beschluss aufgelöst werden (MPI 27.1.2004).

Das kaum entwickelte afghanische Parteiensystem weist mit über 70 registrierten Parteien eine starke Zersplitterung auf (AA 2.9.2019). Die politischen Parteien haben ihren Platz im politischen System Afghanistans noch nicht etablieren können (DOA 17.3.2019). Die meisten dieser Gruppierungen erscheinen mehr als Machtvehikel ihrer Führungsfiguren denn als politisch-programmatisch gefestigte Parteien (AA 2.9.2019; vgl. AAN 6.5.2018, DOA 17.3.2019). Ethnische Zugehörigkeit, persönliche Beziehungen und ad hoc geformte Koalitionen spielen traditionell eine größere Rolle als politische Organisationen (AA 2.9.2019).

Das derzeitige Wahlsystem ist personenbezogen, die Parteien können keine Kandidatenlisten erstellen, es sind keine Sitze für die Parteien reserviert und es ist den Parteien untersagt, Fraktionen im Parlament zu gründen. Der Parteivorsitz wird nicht durch parteiinterne Abläufe bestimmt, sondern wird eher wie ein partimoniales Erbgut gesehen, das von einer Generation an die nächste, vom Vater zum Sohn, übergeben wird. Die Menschen vertrauen den Parteien nicht und junge, gebildete Leute sind nicht gewillt, solchen Parteien beizutreten (DOA 17.3.2019).

Friedens- und Versöhnungsprozess

Die afghanischen Regierungskräfte und die Amerikaner können die Taliban, die über rund 60 000 Mann verfügen, nicht besiegen. Auch die Islamisten sind nicht stark genug, um die Regierungstruppen zu überrennen, obwohl sie rund die Hälfte des Landes kontrollieren oder dort zumindest präsent sind. In Afghanistan herrscht fast zwei Jahrzehnte nach dem Sturz des Taliban-Regimes durch die USA eine Pattsituation (NZZ 20.4.2020). Das lang erwartete Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten und den Taliban wurde Ende Februar 2020 unterzeichnet (AJ 7.5.2020; vgl. NPR 6.5.2020) – die afghanische Regierung war an dem Abkommen weder beteiligt, noch unterzeichnete sie dieses. Diesem Abkommen zufolge hätten noch vor den für 10.03.2020 angesetzten inneren Friedensgesprächen, von den Taliban bis zu 1.000 Gefangene und von der Regierung 5.000 gefangene Taliban freigelassen werden sollen. Zum einen, verzögern die Unstimmigkeiten zwischen den Taliban und der afghanischen Regierung über Umfang und Umsetzungstempo des Austauschs, die Gespräche (AJ 7.5.2020) [ Anm.: 800 Taliban-Gefangene entließ die afghanische Regierung, während die Taliban 100 der vereinbarten 1.000 Sicherheitskräfte frei ließen – (NPR 6.5.2020)], Andererseits stocken die Verhandlungen auch aufgrund des innerpolitischen Disputes zwischen Ashraf Ghani und Abdullah Abdullah, die beide die Präsidentschaft für sich beanspruchten. Die Taliban haben seit dem unterzeichneten Abkommen im Februar mehr als 4.500 Angriffe verübt. Die von dieser Gewalt am stärksten betroffenen Provinzen sind auch jene Provinzen, die am stärksten von COVID-19-Fällen betroffen sind (AJ 7.5.2020). In den innerafghanischen Gesprächen wird es um die künftige Staatsordnung, eine Machtteilung und die Integration der Aufständischen gehen (NZZ 20.4.2020).

Das Abkommen mit den US-Amerikanern

Das Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten und den Taliban enthält das Versprechen der US-Amerikaner, ihre noch rund 13.000 Armeeangehörigen in Afghanistan innerhalb von 14 Monaten abzuziehen. Auch die verbliebenen nichtamerikanischen NATO-Truppen (Stand Ende 2019: rund 6.700 Mann) sollen abgezogen werden. In den ersten 135 Tagen nach der Unterzeichnung werden die US-Amerikaner ihre Truppen in Afghanistan auf 8.600 Mann reduzieren. Der Abzug der ausländischen Truppenangehörigen, von denen die meisten Beratungs- und Ausbildungsfunktionen wahrnehmen, ist abhängig davon, ob die Taliban ihren Teil der Abmachung einhalten. Sie haben im Abkommen zugesichert, terroristischen Gruppierungen wie etwa al-Qaida keine Zuflucht zu gewähren. Die Taliban verpflichteten sich weiter, innerhalb von zehn Tagen nach Unterzeichnung, Gespräche mit einer afghanischen Delegation aufzunehmen (NZZ 20.4.2020; vgl. USDOS 29.2.2020).

Quellen siehe Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Kap. 1.

Allgemeine Sicherheitslage

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil (UNGASC 17.3.2019). Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die wichtigsten Bevölkerungszentren und Transitrouten sowie Provinzhauptstädte und die meisten Distriktzentren. Nichtsdestotrotz, hat die afghanische Regierung wichtige Transitrouten verloren (USDOD 12.2019).

Der Konflikt in Afghanistan befindet sich nach wie vor in einer "strategischen Pattsituation", die nur durch Verhandlungen zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban gelöst werden kann (SIGAR 30.1.2020). Die afghanische Regierung führte zum ersten Mal persönliche Gespräche mit den Taliban, inhaltlich wurde über den Austausch tausender Gefangener verhandelt; bis dahin hatten die beiden Seiten sich nur per Videokonferenz unterhalten (BBC 1.4.2020). Ein erster Schritt Richtung inner-afghanischer Verhandlungen, welcher Teil eines zwischen Taliban und US-Amerikanern unterzeichneten Abkommens ist (TD 2.4.2020). Die Gespräche fanden vor dem Hintergrund anhaltender Gewalt im Land statt (BBC 1.4.2020).

Für den Berichtszeitraum 8.11.2019-6.2.2020 verzeichnete die UNAMA 4.907 sicherheitsrelevante Vorfälle – ähnlich dem Vorjahreswert. Die Sicherheitslage blieb nach wie vor volatil. Die höchste Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle wurden in der südlichen Region, gefolgt von den nördlichen und östlichen Regionen, registriert, die alle samt 68% der Zwischenfälle ausmachten. Die aktivsten Konfliktregionen waren in den Provinzen Kandahar, Helmand, Nangarhar und Balkh zu finden. Entsprechend saisonaler Trends, gingen die Kämpfe in den Wintermonaten – Ende 2019 und Anfang 2020 – zurück (UNGASC 17.3.2020).

Die Sicherheitslage im Jahr 2019

Die geographische Verteilung aufständischer Aktivitäten innerhalb Afghanistans blieb, im Vergleich der beiden Jahre 2018 und 2019, weitgehend konstant. Im Jahr 2019 fanden auch weiterhin im Süden und Westen Afghanistans weiterhin schwere Kampfhandlungen statt; feindliche Aktivitäten nahmen zu und breiteten sich in größeren Gebieten des Nordens und Ostens aus. Der Resolute Support (RS) Mision (seit 2015 die Unterstützungsmission der NATO in Afghanistan) zufolge, waren für das Jahr 2019 29.083 feindlich-initiierte Angriffe landesweit zu verzeichnen. Im Gegensatz waren es im Jahr 2018 27.417 (SIGAR 30.1.2020). Mit einer hohen Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen – speziell in den südlichen, nördlichen und östlichen Regionen – blieb die Sicherheitslage vorerst volatil, bevor ein Zeitraum der Reduzierung der Gewalt registriert werden konnte. Die UNAMA (Hilfsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan) registrierte für das gesamte Jahr 2019 10.392 zivile Opfer, was einem Rückgang von 5% gegenüber 2018 entspricht (UNGASC 17.3.2020).

Seit Ende des Jahres 2019 haben Angriffe durch regierungsfeindliche Elemente erheblich zugenommen. Im September 2019 fanden die afghanischen Präsidentschaftswahlen statt, in diesem Monat wurde auch die höchste Anzahl feindlicher Angriffe eines einzelnen Monats seit Juni 2012 und die höchste Anzahl effektiver feindlicher Angriffe seit Beginn der Aufzeichnung der RS-Mission im Januar 2010 registriert. Dieses Ausmaß an Gewalt setzte sich auch nach den Präsidentschaftswahlen fort, denn im Oktober 2019 wurde die zweithöchste Anzahl feindlicher Angriffe in einem Monat seit Juli 2013 dokumentiert. Betrachtet man jedoch das Jahr 2019 in dessen Gesamtheit, so waren scheinbar feindliche Angriffe, seit Anfang des Jahres, im Zuge der laufenden Friedensgespräche zurückgegangen. Nichtsdestotrotz führte ein turbulentes letztes Halbjahr zu verstärkten Angriffen feindlicher Elemente von insgesamt 6% und effektiver Angriffe von 4% im Jahr 2019 im Vergleich zu den bereits hohen Werten des Jahres 2018 (SIGAR 30.1.2020).

Zivile Opfer

Für das Jahr 2019 registrierte die Hilfsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UNAMA) als Folge des bewaffneten Konflikts 10.392 zivile Opfer (3.403 Tote und 6.989 Verletzte), was einen Rückgang um 5% gegenüber dem Vorjahr, aber auch die niedrigste Anzahl an zivilen Opfern seit dem Jahr 2013 bedeutet. Nachdem die Anzahl der durch ISKP verursachten zivilen Opfer zurückgegangen war, konnte ein Rückgang aller zivilen Opfer registriert werden, wenngleich die Anzahl ziviler Opfer speziell durch Taliban und internationale Streitkräfte zugenommen hatte. Im Laufe des Jahres 2019 war das Gewaltniveau erheblichen Schwankungen unterworfen, was auf Erfolge und Misserfolge im Rahmen der Friedensverhandlungen zwischen Taliban und den US-Amerikanern zurückzuführen war. In der ersten Jahreshälfte 2019 kam es zu intensiven Luftangriffen durch die internationalen Streitkräfte und Suchaktionen der afghanischen Streitkräfte – insbesondere der Spezialkräfte des afghanischen Geheimdienstes NDS (National Directorate of Security Special Forces) (UNAMA 2.2020).

Aufgrund der Suchaktionen der afghanischen Streitkräfte, gab es zur Jahresmitte mehr zivile Opfer durch regierungsfreundliche Truppen als durch regierungsfeindliche Truppen. Das dritte Quartal des Jahres 2019 registrierte die höchste Anzahl an zivilen Opfern seit 2009, was hauptsächlich auf verstärkte Anzahl von Angriffen durch Selbstmordattentäter und IEDs (improvisierte Sprengsätze) der regierungsfeindlichen Seite – insbesondere der Taliban – sowie auf Gewalt in Zusammenhang mit den Präsidentschaftswahlen zurückzuführen ist. Das vierte Quartal 2019 verzeichnete, im Vergleich zum Jahr 2018, eine geringere Anzahl an zivilen Opfern; wenngleich sich deren Anzahl durch Luftangriffe, Suchoperationen und IEDs seit dem Jahr 2015 auf einem Rekordniveau befand (UNAMA 2.2020).

Die RS-Mission sammelt ebenfalls Informationen zu zivilen Opfern in Afghanistan, die sich gegenüber der Datensammlung der UNAMA unterscheiden, da die RS-Mission Zug

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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