TE Bvwg Beschluss 2020/9/17 G313 2130058-2

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Veröffentlicht am 17.09.2020
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Entscheidungsdatum

17.09.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §57
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch

G313 2130058-2/3E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag Birgit WALDNER-BEDITS als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Bosnien und Herzegowina, vertreten durch Rae Mag. Bischof, Mag. Lepschi, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 21.03.2018, Zl. XXXX , beschlossen:

A)       Der Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid wird Folge gegeben, dieser behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B)       Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Begründung:

I. Verfahrensgang:

1. Mit dem oben im Spruch angeführten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) wurde der Antrag des Beschwerdeführers (im Folgenden: BF) auf internationalen Schutz vom 07.09.2017 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt I.), der Antrag des BF auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat des BF Bosnien und Herzegowina abgewiesen (Spruchpunkt II.), dem BF ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt, gemäß § 10 Abs. 1 Z. 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG erlassen, festgestellt, dass die Abschiebung des BF nach Bosnien und Herzegowina zulässig ist (Spruchpunkt III.) und ausgesprochen, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 2 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise des BF 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt (Spruchpunkt IV.).

2. Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht Beschwerde erhoben.

3. Am 26.04.2018 langte die gegenständliche Beschwerde samt dazugehörigem Verwaltungsakt beim Bundesverwaltungsgericht (im Folgenden: BVwG) ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der BF ist Staatsangehöriger von Bosnien und Herzegowina.

1.2. Er ist HIV-positiv.

1.3. Am 07.09.2017 stellte der BF den verfahrensgegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

Nach seiner Erstbefragung am 07.09.2017 brachte der BF in seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA am 14.11.2017 zu seinen Fluchtgründen vor, er sei HIV positiv, könne deswegen in seinem Heimatland nicht entsprechende medizinische Behandlung erhalten und würde bei einer Rückkehr sicher wegen seiner (homo-)sexuellen Ausrichtung diskriminiert werden und keine Medikamente bekommen.

1.4. Mit gegenständlich angefochtenem Bescheid wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz vom 07.09.2017 sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen und gegen den BF eine Rückkehrentscheidung erlassen und die Zulässigkeit der Abschiebung des BF festgestellt.

Beweiswürdigend wurde schlussfolgernd und auszugsweise Folgendes festgehalten:

„(…) Es wird konstatiert, dass Ihre medizinische Versorgung gewährleistet ist.

In der Erstbefragung vom 07.09.2017 haben Sie in Bezug auf den Fluchtgrund hinzugefügt, dass Sie seit 2010 in einer eingetragenen Partnerschaft leben. Da Sie mittlerweile von Ihrem Partner getrennt leben, haben Sie diesen Fluchtgrund in der Einvernahme vom 14.11.2017 nicht wiederholt. Sie gaben mögliche Diskriminierung auf Grund Ihrer sexuellen Orientierung an. Das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Bosnien und Herzegowina besagt, dass im April 2016 der Ministerrat seinen Aktionsplan gegen Diskriminierung und im Juli 2016 verabschiedete das Parlament Änderungen des Antidiskriminierungsgesetzes, wobei das Gesetz nun auch die sexuelle Orientierung einer Person als Diskriminierungstatbestand kennt. Es ist Ihnen möglich auf rechtsstaatlichem Wege gegen etwaige Diskriminierungen und menschenverachtende Haltungen vorzugehen. (…).“

1.5. Im Hinblick auf die gesundheitliche Beeinträchtigung des BF wird aus dem Akteninhalt Folgendes wiedergegeben:

Die belangte Behörde hat bereits (in einem vorherigen Verfahren) im Jahr 2015 bei der Staatendokumentation angefragt, ob es für die HIV-Infektion des BF in Bosnien, seinem Herkunftsland, Behandlungsmöglichkeiten gibt. Mit Schreiben der Staatendokumentation an das BFA von Februar 2018 wurde mitgeteilt, dass bezüglich der Krankheit des BF bereits im Dezember 2015 eine Anfrage des BFA beantwortet wurde. Laut Rechercheergebnis 2015 sei die HIV-Behandlung in Bosnien und Herzegowina möglich und kostenlos gewesen. Der Hauptunterschied zu damaliger Anfrage sei ein neues Medikament. Es wurde darauf hingewiesen, dass eine Packung des dem BF verschriebenen neuen Medikaments namens Genvoya EUR 3.440,06 kostet. (AS 99f)

Der BF brachte in seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA am 14.11.2017 vor:

„Ich kann in Bosnien die Medikamente nicht bekommen und auch nicht auf Kontrolle gehen. Der Grund ist meine HIV-Infektion. Wie ich mich angesteckt habe, war ich im AKH. Dort habe ich an einer Studie zur Erforschung eines neuen Aids-Medikaments teilgenommen. Im Gegenzug wurde mir garantiert, dass ich dieses Medikament lebenslang kostenlos beziehen kann. Dieses Medikament ist sehr teuer. Es kostet EUR 2.995,- im Monat. Dieses Medikament würde ich in Bosnien niemals bekommen.“

Dieses Medikament heiße Genvoya. (AS 73).

In der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 8. März 2018 wurde festgehalten, dass das Medikament Genvoya in Bosnien nicht erhältlich ist, laut Bericht einer Vertrauensärztin vom 05.03.2018 deshalb, weil ein Bestandteil des gefragten Medikaments noch immer nicht in die Liste der essentiellen Arzneimittel der Entität Föderation von Bosnien und Herzegowina aufgenommen wurde. Ein zum Medikament Genvoya gleichwertiges Medikament mit dem Namen Stribild soll zukünftig in die Liste der essentiellen Arzneimittel aufgenommen werden. (AS 101f).

Dem BF wurde zwar gegen Ende seiner niederschriftlichen Einvernahme vom 14.11.2017 die Möglichkeit eingeräumt, in die Länderfeststellungen des BFA zu Bosnien und Herzegowina Einsicht und binnen 14 Tage Stellung dazu zu nehmen, die Anfragebeantwortung vom 8. März 2018 jedoch nicht zur Stellungnahme vorgehalten.

2. Beweiswürdigung:

Der oben unter I. angeführte Verfahrensgang und die unter II. getroffenen Feststellungen beruhen auf dem diesbezüglich glaubhaften Akteninhalt.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A):

3.1. Zuständigkeit und anzuwendendes Recht:

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 des BFA-Verfahrensgesetzes (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 idgF, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Entscheidungen (Bescheide) des BFA.

Da sich die gegenständliche – zulässige und rechtzeitige – Beschwerde gegen einen Bescheid des BFA richtet, ist das Bundesverwaltungsgericht für die Entscheidung zuständig.

Gemäß § 6 des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes (BVwGG), BGBl. I Nr. 10/2013, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Da in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen ist, obliegt in der gegenständlichen Rechtssache die Entscheidung dem nach der jeweils geltenden Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuständigen Einzelrichter.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I Nr 33/2013 idgF, geregelt. Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung (BAO), BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes (AgrVG), BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 (DVG), BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

3.1.1. Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art 130 Abs. 1 Z 1 B-VG (Anmerkung: sog. Bescheidbeschwerden) dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht (Z 1) oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist (Z 2).

Gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 leg cit. nicht vorliegen, im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1
B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

Das Modell der Aufhebung des Bescheids und Zurückverweisung des Angelegenheit an die Behörde folgt konzeptionell jenem des § 66 Abs. 2 AVG (vgl. Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren (2013) § 28 VwGVG Anm11). Gemäß dieser Bestimmung kann die Berufungsbehörde, sofern der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint, den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde zurückverweisen. Wie oben ausgeführt, ist aufgrund von § 17 VwGVG die subsidiäre Anwendung von § 66 Abs. 2 AVG durch die Verwaltungsgerichte ausgeschlossen.

Im Gegensatz zu § 66 Abs. 2 AVG setzt § 28 Abs. 3 VwGVG die Notwendigkeit der Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung nicht mehr voraus.

Der VwGH hat mit Erkenntnis vom 26.06.2014, Zl. Ro 2014/03/0063 (Waffenverbot), in Bezug auf die grundsätzliche Sachentscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte nach § 28 VwGVG und die Möglichkeit der Zurückverweisung ausgesprochen, dass angesichts des in § 28 VwGVG insgesamt verankerten Systems die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte darstellt. So kommt eine Aufhebung des Bescheides nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist. Von der Möglichkeit der Zurückverweisung kann nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden. Das Verwaltungsgericht hat nachvollziehbar zu begründen, wenn es eine meritorische Entscheidungszuständigkeit nicht als gegeben annimmt, etwa weil es das Vorliegen der Voraussetzungen der Z 1 und Z 2 des § 28 Abs. 2 VwGVG verneint bzw. wenn es von der Möglichkeit des § 28 Abs. 3 erster Satz VwGVG nicht Gebraucht macht.

Gemäß § 60 AVG sind in der Begründung eines Bescheides die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen. Die Begründung eines Bescheides bedeutet die Bekanntgabe der Erwägungen, aus denen die Behörde zur Überzeugung gelangt ist, dass ein bestimmter Sachverhalt vorliegt und dass damit der Tatbestand einer bestimmten Rechtsnorm verwirklicht ist. Die Begründung eines Bescheides hat Klarheit über die tatsächlichen Annahmen der Behörde und ihre rechtlichen Erwägungen zu schaffen. In sachverhaltsmäßiger Hinsicht hat sie daher alle jene Feststellungen in konkretisierter Form zu enthalten, die zur Subsumierung dieses Sachverhaltes unter die von der Behörde herangezogene Norm erforderlich sind. Denn nur so ist es möglich, den Bescheid auf seine Rechtsrichtigkeit zu überprüfen (VwGH 23.11.1993, Zl. 93/04/0156; 13.10.1991, Zl. 90/09/0186; 28.07.1994, Zl. 90/07/0029).

3.2. Der BF brachte in seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA am 14.11.2017 zu seinen Fluchtgründen vor, er sei HIV-positiv und könne in seinem Heimatland keine entsprechenden Medikamente erhalten.

Befragt, was ihn bei einer Rückkehr konkret erwarten würde, brachte der BF vor:

„Ich würde sicher wegen meiner sexuellen Ausrichtung diskriminiert und keine Medikamente bekommen. Ich bin vermutlich der einzige in meiner Stadt mit HIV. In dieser Stadt kennt jeder jeden und derartige Informationen verbreiten sich ganz schnell.“ (AS 73)

Im angefochtenen Bescheid wurde beweiswürdigend festgehalten:

„(…) Es wird konstatiert, dass Ihre medizinische Versorgung gewährleistet ist.

In der Erstbefragung vom 07.09.2017 haben Sie in Bezug auf den Fluchtgrund hinzugefügt, dass Sie seit 2010 in einer eingetragenen Partnerschaft leben. Da Sie mittlerweile von Ihrem Partner getrennt leben, haben Sie diesen Fluchtgrund in der Einvernahme vom 14.11.2017 nicht wiederholt. Sie gaben mögliche Diskriminierung auf Grund Ihrer sexuellen Orientierung an.

Das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Bosnien und Herzegowina besagt, dass im April 2016 der Ministerrat seinen Aktionsplan gegen Diskriminierung und im Juli 2016 verabschiedete das Parlament Änderungen des Antidiskriminierungsgesetzes, wobei das Gesetz nun auch die sexuelle Orientierung einer Person als Diskriminierungstatbestand kennt. Es ist Ihnen möglich auf rechtsstaatlichem Wege gegen etwaige Diskriminierungen und menschenverachtende Haltungen vorzugehen. (…).“

Bezüglich der Feststellung, dass nach Änderungen des Antidiskriminierungsgesetzes im Juli 2016 in diesem Gesetz auch die sexuelle Orientierung einer Person als Diskriminierungstatbestand verankert ist, stützte sich die belangte Behörde auf einen Länderbericht von Amnesty International (AI) vom 22.02.2017. Die in den Länderfeststellungen festgehaltene weitergehende Information von AI, dass in der Definition des Straftatbestandes „Hassverbrechen“ im novellierten bosnischen Strafgesetzbuch zwar eine Vielzahl von strafbaren Gründen für Hassverbrechen genannt werden, die vorgesehenen Strafen für Anstiftung zu Hass, Hassreden und Gewalt sich jedoch auf nationalistische, ethnische und religiöse Motive beschränken und Hassreden gegen andere marginalisierte Gruppen unberücksichtigt lassen, fehlt in den beweiswürdigenden Ausführungen der Behörde jedoch.

Unter den Länderfeststellungen im angefochtenen Bescheid findet sich ein aktuellerer Bericht von Human Rights Watch (HRW) von Jänner 2018, in dem festgehalten ist, dass sich Mitglieder von Lesben-, Schwulen-, Bisexuellen- und Transgender-Gemeinschaften (LGBT) Hassreden und Bedrohungen ausgesetzt sehen.

Eine nähere Auseinandersetzung mit der am 14.11.2017 vor dem BFA angeführten Rückkehrbefürchtung des BF, er würde sicher wegen seiner sexuellen Ausrichtung diskriminiert werden und keine Medikamente bekommen, sei er vermutlich der einzige in seiner Stadt mit HIV, kenne in dieser Stadt jeder jeden und würden sich derartige Informationen ganz schnell verbreiten, vor dem Hintergrund aktueller Länderberichte zur Lage homosexuell orientierter Personen im Herkunftsstaat des BF ist unterblieben.

Hinzuweisen ist darauf, dass die Diskriminierung, die der BF vor dem BFA angibt zu befürchten, in einem der in der GFK genannten Gründe, und zwar in der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe wurzelt. Dass die „Eigenschaft“, homosexuell zu sein, die Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe iSd GFK begründet, ist allgemein anerkannt (vgl. zB Z Alexander Aleinikoff; Protected characteristics and social perceptions: an analysis oft he meaning of „memebership of a particular social group“, in: Feller/Türk/Nicholson [Hg.], Refugee Protection in International Law. UHCR´s Global Consultations on International Protection [2003] 263 [272, 282f., 286, 288, 298, 299, 304]; Feßl/Holzschuster, AsylG 2005, Kommentar [2006] 106, 109, Putzer, Asylrecht2. Leitfaden zum Asylgesetz 2005 [2011] Rz 91f.; VfGH 18.9.2014, E910/2014; EuGH 7.11.2013, X, Y und Z, C-199/12 bis C-201/12).

Im angefochtenen Bescheid wurde festgehalten, dass es dem BF auf rechtsstaatlichem Wege möglich ist, gegen etwaige Diskriminierungen und menschenverachtende Haltungen vorzugehen, ohne davor vor dem Hintergrund entsprechender aktueller Länderberichte ermittelt bzw. festgestellt zu haben, wie sich der BF bei einer Rückkehr in den „sicheren Herkunftsstaat“ Bosnien und Herzegowina gegen die von ihm befürchtete Diskriminierung aufgrund seiner sexuellen Ausrichtung konkret wehren bzw. er davor staatlich geschützt werden kann.

Eine diesbezüglich hinreichende Begründung im angefochtenen Bescheid liegt daher nicht vor.

Mit Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz vom 07.09.2017 auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen.

Begründend dafür wurde in der Beweiswürdigung ausgeführt, in Bosnien sei die medizinische Versorgung des BF gewährleistet. Laut Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 09.03.2018 sei das dem BF verschriebene Medikament Genvoya in Bosnien noch nicht erhältlich. Es werde jedoch ein gleichwertiges Medikament mit dem Namen Stribild in die Liste der essentiellen Arzneimittel aufgenommen werden. HIV-Infizierte und an Aids erkrankte Patienten könnten auf Kosten des Staates behandelt werden und seien dabei von der Patientenbeteiligung befreit. Dieser Umstand werde auch direkt durch das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Bosnien und Herzegowina bestätigt. Medikamente aus dem Ausland könnten über ein Distributionsnetzwerk der Privatapotheken bezogen werden, jedoch bleibe die Bezahlung der importierten Medikamente ein Problem.

Aus diesen Ausführungen im angefochtenen Bescheid geht nicht hervor, mit welchem Medikament der BF bei einer Rückkehr behandelt werden kann, ist demnach doch das Medikament namens Genvoya, das der BF laut seinen Angaben vor dem BFA am 14.11.2017 infolge einer Teilnahme an einer Studie zur Erforschung eines neuen Aids-Medikaments namens Genvoya lebenslang kostenlos beziehen könne, in Bosnien ebenso wenig erhältlich wie das gleichwertige Medikament namens Stribild, welches erst in die Liste der essentiellen Arzneimittel aufgenommen werden soll.

Die belangte Behörde hielt nach Angabe, das Medikament Genvoya und das gleichwertige Alternativmedikament seien in Bosnien nicht erhältlich, fest, die medizinische Versorgung des BF sei gewährleistet, ohne mit Länderberichten hinreichend begründet untermauern können zu haben, inwiefern es für den BF in Bosnien eine medizinische bzw. medikamentöse Behandlungsmöglichkeit gibt.

In einem vorgelegten Arztbericht eines Krankenhauses von März 2017 steht etwa, der BF unterziehe sich wegen seiner HIV-Infektion regelmäßigen Kontrollen. Die aktuelle Therapie (Genvoya) werde von ihm regelmäßig und verlässlich eingenommen, sodass die Viruslast auf ein minimales Niveau reduziert werden habe können. Die gegenwärtig zum Einsatz gelangten Substanzen seien teilweise in seinem Heimatland nicht garantiert erhältlich. Eine engmaschige regelmäßige Kontrolle sei derzeit unbedingt notwendig und werde vom BF derzeit auch eingehalten. (AS 45f)

Aus dem Akteninhalt bzw. dem glaubhaften Vorbringen des BF in der niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA am 14.11.2017 geht jedenfalls nicht hervor, dass die HIV-Infektion des BF nur mit dem teuren Medikament Genvoya behandelt werden kann, sondern vielmehr nur, dass dem BF wegen seiner Teilnahme an einer Studie zur Erforschung des neuen Aids-Medikaments ein lebenslanger Bezug dieses teuren Medikaments – sozusagen als Abgeltung für das vom BF durch die Teilnahme an der Studie eingegangene gesundheitliche Risiko – zugesichert wurde. Durch die Angabe im Arztbericht von März 2017, die gegenwärtig zum Einsatz gelangten Substanzen seien teilweise im Heimatland nicht garantiert erhältlich, ist zudem nur gesagt, dass bestimmte zum Einsatz gelangte, nicht bestimmte vom BF unbedingt benötigte, Substanzen im Heimatland des BF nicht garantiert erhältlich seien. Für notwendig gehalten wurde (nur) eine engmaschige regelmäßige Kontrolle.

Die belangte Behörde ist der Empfehlung seitens der Staatendokumentation, der BF solle von einem anderen Arzt begutachtet werden, um günstigere Medikamente als das Medikament Genvoya verschrieben zu bekommen, jedenfalls nicht gefolgt, und davon ausgegangen, der BF habe das Medikament verschrieben bekommen und benötige ausschließlich dieses und kein anderes.

Weitergehende Ermittlungen unter Einholung eines ärztlichen Sachverständigengutachtens dazu, ob der an HIV infizierte BF in seiner aktuellen gesundheitlichen Situation mit einem anderen als dem teuren Medikament Genvoya behandelt werden kann, fehlen, wären jedoch notwendig, um vor dem Hintergrund aktueller Länderberichte hinreichend begründet eine medizinische bzw. medikamentöse Behandlungsmöglichkeit für den BF in Bosnien feststellen oder eine solche ausschließen zu können.

Die belangte Behörde wird sich des Weiteren vor dem Hintergrund aktueller Länderberichte näher damit auseinanderzusetzen haben, wie es für den BF, der sich seit dem Jahr 2004 in Österreich aufhält, bei einer Rückkehr nach Bosnien versicherungsmäßig aussieht und wie die medizinische Versorgung des BF in Bosnien finanziert werden kann, und damit, ob und inwiefern in seiner konkreten individuellen familiären, privaten Rückkehrsituation sein Lebensunterhalt in Bosnien gesichert ist.

Die belangte Behörde hielt in der Rechtlichen Beurteilung zu Spruchpunkt II. fest:

„(…) Aus der allgemeinen Lage im Herkunftsland allein ergibt sich eine solche Gefährdung nicht. Auch besteht kein Hinweis auf das Vorliegen „außergewöhnlicher Umstände“ (lebensbedrohende Erkrankung oder dergleichen), die eine Abschiebung im Sinne von Art. 3 EMRK und § 50 FPG unzulässig machen könnte.

Auch ergibt sich aus den ha. Feststellungen zur allgemeinen Lage in Bosnien und Herzegowina kein Hinweis, dass im gesamten Staatsgebiet von Bosnien und Herzegowina eine extreme Gefahrenlage mit besonders exzessiver und unkontrollierter Gewaltanwendung gegenüber der Zivilbevölkerung, oder eine unmenschliche Behandlung bewirkende humanitäre Situation im gesamten Staatsgebiet vorliegt.

Im Übrigen ist die (medizinische und ökonomische) Versorgung in Bosnien und Herzegowina grundsätzlich gewährleistet. Dass Sie im Falle der Abschiebung in eine aussichtslose Situation geraten würden, ist nicht feststellbar.

Es ist Ihnen zuzumuten, sich mit Hilfe des bosnischen Staates und der familiären Unterstützung zukünftig in Bosnien und Herzegowina den Lebensunterhalt zu sichern.“

Die Begründung, warum für den BF kein Abschiebungshindernis bestehe, blieb allgemeingehalten. Die belangte Behörde hat sich nicht näher mit der individuellen Rückkehrsituation des BF vor dem Hintergrund aktueller Länderberichte auseinandergesetzt.

Aufgrund fehlender Ermittlungen und Feststellungen dazu, ob und wie der an HIV infizierte BF in seinem Herkunftsstaat medizinisch bzw. medikamentös versorgt und, ob und wie sein Lebensunterhalt gesichert werden kann, liegt keine hinreichende Begründung für die Abweisung des Antrags auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten vor.

Dass die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das BVwG selbst im Interesse der Raschheit gelegen wäre, hat sich nicht ergeben, zumal nichts darauf hindeutet, dass die erforderliche Feststellung durch das BVwG selbst, verglichen mit der Feststellung durch die belangte Behörde nach Zurückverweisung der Angelegenheit, mit einer wesentlichen Zeitersparnis und Verkürzung der Verfahrensdauer verbunden wäre.

Schließlich liegt auch kein Anhaltspunkt dahingehend vor, dass die Feststellung durch das BVwG selbst im Vergleich zur Feststellung durch die Verwaltungsbehörde mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden wäre.

Spruchpunkte I. und II. samt den daran anschließenden Spruchpunkten III. und IV. des angefochtenen Bescheides waren daher zu beheben und die Angelegenheit an die belangte Behörde zur Verfahrensergänzung zurückzuverweisen.

4. Entfall einer mündlichen Verhandlung

Da gemäß § 24 Abs. 2 Z. 1 VwGVG bereits aufgrund der Aktenlage feststand, dass der angefochtene Bescheid mit Spruchpunkten I. und II. samt den daran anschließenden Spruchpunkten zu beheben ist, konnte von einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden.

Zu Spruchteil B): Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzlichen Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

aktuelle Länderfeststellungen Behebung der Entscheidung Ermittlungspflicht Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung Rückkehrsituation

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:G313.2130058.2.00

Im RIS seit

03.12.2020

Zuletzt aktualisiert am

03.12.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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