TE Bvwg Erkenntnis 2020/9/18 G314 2204988-1

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Veröffentlicht am 18.09.2020
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Entscheidungsdatum

18.09.2020

Norm

BFA-VG §18 Abs3
B-VG Art133 Abs4
FPG §67 Abs1
FPG §67 Abs2
FPG §70 Abs3
VwGVG §8a

Spruch

G314 2204988-1/7E

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag.a Katharina BAUMGARTNER über die Beschwerde des polnischen Staatsangehörigen XXXX , geboren am XXXX , vertreten durch die ARGE Rechtsberatung (Diakonie Flüchtlingsdienst gemeinnützige GmbH und Volkshilfe Flüchtlings- und MigrantInnenbetreuung GmbH), gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX .08.2018, Zl. XXXX , betreffend die Erlassung eines Aufenthaltsverbots beschlossen (A) und zu Recht erkannt (B):

A)       1. Dem Beschwerdeführer wird gemäß § 8a VwGVG die Verfahrenshilfe im Umfang der Befreiung von der Eingabegebühr bewilligt.

2. Der Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, wird als unzulässig zurückgewiesen.

B)       Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

C)       Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer (BF) wurde mit dem rechtskräftigen Urteil des Landesgerichts XXXX vom XXXX , zu einer zweijährigen Freiheitsstrafe verurteilt. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) leitete aus diesem Grund im Juli 2018 ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme ein und forderte den BF mit Schreiben vom 16.07.2018 auf, sich zur deshalb beabsichtigten Erlassung eines Aufenthaltsverbots zu äußern. Er kam dieser Aufforderung nicht nach.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wurde gegen den BF gemäß § 67 Abs 1 und 2 FPG ein achtjähriges Aufenthaltsverbot erlassen (Spruchpunkt I.), gemäß § 70 Abs 3 FPG kein Durchsetzungsaufschub erteilt (Spruchpunkt II.) und einer Beschwerde die aufschiebende Wirkung gemäß § 18 Abs 3 BFA-VG aberkannt (Spruchpunkt III.). Das Aufenthaltsverbot wurde im Wesentlichen mit der strafgerichtlichen Verurteilung begründet. Die vom BF gesetzten Handlungen seien unter § 67 Abs 1 und Abs 2 FPG zu subsumieren. Sein Verhalten und die wiederholte Delinquenz würden eine gegenwärtige, tatsächliche und erhebliche Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft darstellen.

Dagegen richtet sich die Beschwerde mit den Anträgen auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung und auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung, mit der der BF die Behebung des angefochtenen Bescheids, in eventu die Verkürzung des Aufenthaltsverbotes, anstrebt und hilfsweise auch einen Aufhebungs- und Rückverweisungsantrag stellt. Zusätzlich wird (unter Vorlage eines Vermögensbekenntnisses) die Gewährung der Verfahrenshilfe im Umfang der Gebührenbefreiung für die Eingabegebühr beantragt. Begründet wird die Beschwerde zusammengefasst damit, dass das Ermittlungsverfahren mangelhaft und die Entscheidung unzureichend begründet worden sei. Der Bescheid sei ohne vorhergehende Einvernahme des BF erlassen worden. Da er ausschließlich Polnisch spreche, habe er sein Recht auf Parteiengehör nicht ausüben können, weil er das Schreiben des BFA nicht verstanden habe. Die Beweiswürdigung des angefochtenen Bescheids sei nicht nachvollziehbar, zumal die Milderungsgründe und die Reue des BF, der sehr gläubig sei und sich schäme, dass er in einer Kirche Geld gestohlen habe, nicht berücksichtigt worden seien. Es sei keine Wiederholungsgefahr anzunehmen, weil der BF seine Tat, die er selbst nicht verstehe, bereue und nur einen geringen Schaden angerichtet habe. Das BFA habe die Dauer des Aufenthaltsverbots nicht begründet; ein achtjähriges Aufenthaltsverbot sei jedenfalls unverhältnismäßig.

Der BF wurde am XXXX .05.2019 unter Setzung einer dreijährigen Probezeit bedingt aus dem Strafvollzug entlassen und in Schubhaft genommen. Nach der Ausstellung eines Heimreisezertifikats wurde er am XXXX .06.2019 in seinen Herkunftsstaat abgeschoben.

Das BFA legte die Beschwerde samt den Akten des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) vor. Das Landesgericht Feldkirch übermittelte dem BVwG in der Folge auftragsgemäß Informationen zur Vorstrafenbelastung des BF.

Feststellungen:

Der BF ist polnischer Staatsangehöriger und kam am XXXX in der polnischen Stadt XXXX zur Welt. Seine Muttersprache ist Polnisch (Strafurteil AS 27).

Der BF besitzt einen im August 2017 ausgestellten und bis August 2018 gültigen, temporären polnischen Reisepass (Reispasskopie AS 7). Für die Ausreise aus dem Bundesgebiet wurde für ihn in Juni 2019 ein Ersatzreisedokument (Heimreisezertifikat) ausgestellt. Ihm wurde in Österreich nie eine Anmeldebescheinigung ausgestellt (Auszug Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister); er war im Bundesgebiet nie sozialversichert (Versicherungsdatenauszug AS 71).

Der BF ist mittellos; er ist nicht verheiratet und hat keine Sorgepflichten, zumal seine Kinder schon erwachsen sind (Vermögensbekenntnis AS 121 und 124).

Der BF weist (neben der österreichischen Verurteilung) zahlreiche strafgerichtliche Verurteilungen in Deutschland, Belgien und der Schweiz auf und verbüßte ab 2009 wiederholt mehrmonatige Freiheitsstrafen.

In Deutschland wurden gegen ihn ab 1999 mehrfach Geldstrafen wegen Vermögensdelikten und Verstößen gegen das Ausländerrecht (z.B. unerlaubte Einreise oder unerlaubter Aufenthalt) verhängt. 2008 wurde der BF erstmals zu einer (zunächst bedingt nachgesehenen) viermonatigen Freiheitsstrafe wegen Diebstahls verurteilt, die nach dem Widerruf der bedingten Nachsicht 2010 vollstreckt wurde. Im Februar 2009 erfolgte die Verurteilung zu einer sechsmonatigen Freiheitsstrafe wegen Diebstahls. Im August 2009 wurde wegen Diebstahls eine fünfmonatige Freiheitsstrafe verhängt, im September 2009 eine weitere, viermonatige Freiheitsstrafe. Im August 2010 folgte eine zweimonatige Freiheitsstrafe wegen Diebstahls. Im Jänner 2011 wurde der BF wegen Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe von 35 Tagen verurteilt; im Juli 2011 folgten eine Freiheitsstrafe von fünf Monaten und sieben Tagen wegen Körperverletzung sowie eine Freiheitsstrafe von fünf Monaten wegen Diebstahls. Im März 2012 wurde der BF wegen Diebstahls zu einer sechsmonatigen Freiheitsstrafe verurteilt. Wegen weiterer Diebstähle folgte im November 2013 eine Verurteilung zu einer viermonatigen und im Oktober 2014 zu einer achtmonatigen Freiheitsstrafe.

In Belgien wurde der BF im Dezember 2009 wegen Einbruchsdiebstahls zu einer sechsmonatigen Freiheitstrafe verurteilt.

In der Schweiz wurde der BF ab 2012 wiederholt (wegen Hausfriedensbruchs, Diebstahls, Sachbeschädigung sowie rechtswidriger Einreise und rechtswidrigen Aufenthalts) zu Geldstrafen verurteilt. Zwischen 2014 und 2018 wurden wegen rechtswidriger Einreise, rechtswidrigen Aufenthalts und geringfügigen Diebstahls mehrmals Freiheitsstrafen von bis zu 120 Tagen ausgesprochen, wobei 2017 eine bedingte Entlassung widerrufen werden musste (ECRIS-Auszüge, Auszug aus dem Schweizerischen Strafregister in OZ 4; Strafregisterauszug).

Am XXXX .05.2018 wurde der BF in XXXX festgenommen und in der Folge in der Justizanstalt XXXX in Untersuchungshaft angehalten. Mit dem seit XXXX rechtskräftigen Urteil des Landesgerichts XXXX vom XXXX , wurde er wegen des Verbrechens des gewerbsmäßig schweren Diebstahls nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 2 und 130 Abs 2 erster Fall StGB zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Dieser Verurteilung liegt zugrunde, dass er in der Religionsausübung dienenden Räumen (nämlich in einer Pfarrkirche) am XXXX .01.2018, am XXXX .01.2018 und am XXXX .05.2018 gewerbsmäßig mit einer Leimrute Bargeld in unbekannter Höhe (jedenfalls unter EUR 5.000) aus Opferstöcken gestohlen hatte. Ausgehend von einem Strafrahmen von bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe nach § 130 Abs 2 StGB wurden bei der Strafbemessung sein Geständnis, der geringe Wert des Diebesguts und die Sicherstellung der am XXXX .05.2018 erbeuteten EUR 12 als mildernd gewürdigt; erschwerend die „unzähligen“ einschlägigen Vorstrafen und das Vorliegen der Rückfallsvoraussetzungen (Strafurteil AS 27 ff). Es handelt sich um seine bislang einzige strafgerichtliche Verurteilung in Österreich, wo er vor seinen Straftaten nicht in Erscheinung getreten war (Strafregister).

Der BF verbüßte die Freiheitsstrafe bis zu seiner bedingten Entlassung in der Justizanstalt XXXX . Danach wurde er bis zu seiner Abschiebung im Anhaltezentrum XXXX in Schubhaft angehalten (ZMR-Auszug, Strafregister).

Beweiswürdigung:

Der Verfahrensgang ergibt sich widerspruchsfrei aus dem unbedenklichen Inhalt der vorgelegten Verwaltungsakten und des Gerichtsakts des BVwG.

Die Feststellungen basieren jeweils auf den in den Klammerzitaten angegebenen Beweismitteln, wobei sich die angegebenen Aktenseiten (AS) auf die Nummerierung der Verwaltungsakten beziehen. Die Feststellungen beruhen vorwiegend auf den Informationen aufgrund von Abfragen im Zentralen Melderegister (ZMR), Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister (IZR) sowie Strafregister und Sozialversicherungsdaten.

Name und Geburtsdatum, Staatsangehörigkeit und Geburtsort des BF ergeben sich aus den Angaben zu seiner Person im Strafurteil sowie aus dem temporären polnischen Reisepass, dessen Datenblatt dem BVwG in Kopie vorliegt. Kenntnisse der polnischen Sprache sind aufgrund seiner Herkunft naheliegend und gehen auch aus der Beschwerde und dem Vermögensbekenntnis hervor.

Der BF ist laut Strafurteil ledig, laut ZMR-Auszug geschieden, jedenfalls aber nicht aufrecht verheiratet. Im Vermögensbekenntnis gab er glaubhaft an, keine Sorgepflichten zu haben, weil seine Kinder schon erwachsen seien.

Mangels anderslautender aktenkundiger Informationen ist davon auszugehen, dass beim BF keine relevanten gesundheitlichen Probleme bestehen. Seine prekären finanziellen Verhältnisse stehen mit der im Strafurteil (AS 27) genannten Beschäftigungslosigkeit im Einklang sowie mit seiner Angabe im Vermögensbekenntnis, wonach er über keinerlei Rücklagen, Bankkonten oder Barvermögen verfügt (AS 121).

Die Feststellungen zu den vom BF begangenen Straftaten, zu seinen Verurteilungen und zu den Strafbemessungsgründen sowie zum Vollzug der Freiheitstrafen basieren auf dem Urteil des Landesgerichts XXXX , dem Strafregister sowie den Auszügen aus dem Schweizerischen Strafregister und dem Europäischen Strafregister-Informationssystem (ECRIS). Es sind keine Hinweise auf weitere strafgerichtliche Verurteilungen des BF aktenkundig. Seine Anhaltung in der Justizanstalt XXXX und im Anhaltezentrum XXXX geht aus dem ZMR hervor, die bedingte Entlassung aus dem Strafregister, die Ausstellung eines Heimreisezertifikats und die Abschiebung aus dem IZR.

Es sind keine Hinweise auf Bindungen des BF zu Österreich aktenkundig; insbesondere werden solche auch in der Beschwerde nicht konkret vorgebracht.

Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A) 1.:

Gemäß § 8a Abs 1 VwGVG ist einer Partei Verfahrenshilfe zu bewilligen, soweit dies auf Grund des Art 6 Abs 1 EMRK oder des Art 47 GRC geboten ist, die Partei außerstande ist, die Kosten der Führung des Verfahrens ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts zu bestreiten, und die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht als offenbar mutwillig oder aussichtslos erscheint. Voraussetzungen und Wirkungen der Bewilligung der Verfahrenshilfe sind gemäß § 8a Abs 2 VwGVG nach den Vorschriften der ZPO zu beurteilen.

Da sich aus dem vorgelegten aktuellen Vermögensbekenntnis im Einklang mit dem übrigen Akteninhalt ergibt, dass der BF über keinerlei finanzielle Mittel verfügt, beeinträchtigt sogar die geringe Eingabegebühr seinen notwendigen Unterhalt, sodass ihm die Verfahrenshilfe antragsgemäß zu bewilligen ist.

Zu Spruchteil A) 2.:

Aufgrund der in § 18 Abs 5 BFA-VG angeordneten amtswegigen Prüfung der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung durch das BVwG ist der Antrag des BF, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, weder notwendig noch zulässig und daher zurückzuweisen.

Zu Spruchteil B):

Zur in der Beschwerde behaupteten Verletzung des Parteiengehörs ist festzuhalten, dass allein der Umstand, dass die Behörde den BF nicht persönlich einvernommen hat, das Parteiengehör nicht verletzt, wenn sie dem Recht auf Parteiengehör auf andere geeignete Weise entspricht. Aufgrund der Verständigung vom Ergebnis einer Beweisaufnahme hatte der BF Gelegenheit, im Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme Stellung zu nehmen. Eine Übersetzung dieser Verständigung ist nicht vorgesehen, zumal es dem BF auch während des Strafvollzugs (etwa über den Sozialen Dienst der Justizanstalt) zumutbar ist, sich über den Inhalt des Schreibens zu informieren und dieses zu beantworten. Letztlich ist auch aufgrund der ihm im Rahmen des Beschwerdeverfahrens gebotenen Möglichkeit, sich zum Inhalt des angefochtenen Bescheides zu äußern, von einer Sanierung einer allfälligen Verletzung des Parteiengehörs auszugehen, zumal der angefochtene Bescheid die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens vollständig wiedergibt (vgl. VwGH 10.09.2015, Ra 2015/09/0056).

Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids:

Gemäß § 67 Abs 1 FPG ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen den BF als EWR-Bürger im Sinne des § 2 Abs 4 Z 8 FPG zulässig, wenn auf Grund seines persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet ist. Das Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können diese Maßnahmen nicht ohne weiteres begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen einen EWR-Bürger, der den Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatte, ist zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Gemäß § 67 Abs 2 FPG kann ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden. Bei einer besonders schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit kann das Aufenthaltsverbot gemäß § 67 Abs 3 FPG auch unbefristet erlassen werden, so z.B. bei einer rechtskräftigen Verurteilung zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren (§ 67 Abs 3 Z 1 FPG).

Bei der Erstellung der für jedes Aufenthaltsverbot zu treffenden Gefährdungsprognose ist das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die jeweils maßgebliche Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung oder Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Bei der nach § 67 Abs 1 FPG zu erstellenden Gefährdungsprognose geht schon aus dem Gesetzeswortlaut klar hervor, dass auf das "persönliche Verhalten" des Fremden abzustellen ist und strafgerichtliche Verurteilungen allein nicht ohne weiteres ein Aufenthaltsverbot begründen können (siehe VwGH 22.08.2019, Ra 2019/21/0091).

Bei der Festsetzung der Dauer des Aufenthaltsverbotes ist gemäß § 67 Abs 4 FPG auf alle für seine Erlassung maßgeblichen Umstände Bedacht zu nehmen, insbesondere auch auf die privaten und familiären Verhältnisse (VwGH 24.05.2016, Ra 2016/21/0075).

Hier hat sich der BF weder seit zehn Jahren im Bundesgebiet aufgehalten noch das unionsrechtliche Recht auf Daueraufenthalt erworben (das einen fünfjährigen rechtmäßigen und kontinuierlichen Aufenthalt voraussetzt, siehe § 53 a NAG). Daher ist der Gefährdungsmaßstab des § 67 Abs 1 zweiter bis vierter Satz FPG („tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt“) anzuwenden.

Das persönliche Verhalten des BF stellt eine solche Gefahr dar, die Grundinteressen der Gesellschaft iSd Art 8 Abs 2 EMRK (an der Verteidigung der öffentlichen Ruhe und Ordnung, der Verhinderung von strafbaren Handlungen sowie zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer und der Moral) berührt. Der BF hat durch die in Österreich abgeurteilten Opferstockdiebstähle zwar nur eine geringe Beute erzielt, trotzdem liegt aufgrund der Begehung in einer Kirche mit speziell präparierten Utensilien in gewerbsmäßiger Absicht ein erheblicher Handlungs- und Gesinnungsunwert vor, der konsequent auch zur Verurteilung zu einer empfindlichen, zur Gänze unbedingt ausgesprochenen Freiheitsstrafe wegen eines Verbrechens führte. Die Wiederholungsgefahr ist nicht nur aufgrund der mehrfachen Angriffe und der Mittellosigkeit des BF, sondern insbesondere auch wegen seiner gravierenden einschlägigen Vorstrafenbelastung groß.

Die Vielzahl strafgerichtlicher Verurteilungen in mehreren europäischen Ländern (vorwiegend wegen Diebstahlsdelikten) und die Wirkungslosigkeit sämtlicher Sanktionen führen dazu, dass für den BF keine positive Zukunftsprognose erstellt werden kann und weiterhin von einer maßgeblichen Gefährdung gesellschaftlicher Grundinteressen ausgegangen werden muss. Die vorgebrachte Reue und sein Ansinnen, in Zukunft nicht mehr straffällig werden zu wollen, stehen in Diskrepanz zu raschen Rückfällen in der Vergangenheit, sodass sich daraus keine maßgebliche Minderung der sich aus dem strafbaren Verhalten des BF ergebenden Gefährdung ableiten lässt, zumal der Gesinnungswandel eines Straftäters grundsätzlich daran zu messen ist, ob und wie lange er sich – nach dem Vollzug einer Haftstrafe – in Freiheit wohlverhalten hat (siehe VwGH 26.01.2017, Ra 2016/21/0233).

Der BF hat kein Familienleben in Österreich und ging hier nie einer legalen Erwerbstätigkeit nach. Allfällige, während seines (vorwiegend auf die Anhaltung in einer Justizanstalt und einem Anhaltezentrum beschränkten) Aufenthalts geknüpfte Sozialkontakte begründen ein vergleichsweise geringes persönliches Interesse an einem Verbleib im Bundesgebiet. Eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an der Aufenthaltsbeendigung mit seinen gegenläufigen privaten Interessen, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs 2 BFA-VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs 3 BFA-VG ergebenden Wertungen in Form einer Gesamtbetrachtung ergibt, dass der mit dem Aufenthaltsverbot verbundene Eingriff in sein Privatleben verhältnismäßig ist, zumal ob seiner Herkunft Anknüpfungen iSd § 9 Abs 2 Z 5 BFA-VG zu Polen bestehen, wo er auch sprachkundig ist.

Das Aufenthaltsverbot wurde somit dem Grunde nach zu Recht erlassen. Aufgrund der über viele Jahre ungeachtet aller Sanktionen fortgesetzten (Eigentums-) Delinquenz des BF und des Rückfalls trotz des wiederholten Vollzugs von Freiheitsstrafen ist auch die achtjährige Dauer nicht zu beanstanden. Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids ist daher rechtskonform.

Zu den Spruchpunkten II. und III. des angefochtenen Bescheids:

Gemäß § 70 Abs 3 FPG ist EWR-Bürgern bei der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes von Amts wegen ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat zu erteilen, es sei denn, die sofortige Ausreise wäre im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich. Gemäß § 18 Abs 3 BFA-VG kann die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde gegen ein Aufenthaltsverbot aberkannt werden, wenn deren sofortige Ausreise oder die sofortige Durchsetzbarkeit im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich ist. Gemäß § 18 Abs 5 BFA-VG hat das BVwG einer Beschwerde, der die aufschiebende Wirkung vom BFA aberkannt wurde, diese binnen einer Woche ab Vorlage der Beschwerde von Amts wegen zuzuerkennen, wenn anzunehmen ist, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2 EMRK, Art 3 EMRK, Art 8 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde, wobei in der Beschwerde die Gründe, auf die sich die Behauptung des Vorliegens einer realen Gefahr oder einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit stützt, genau zu bezeichnen sind.

Aufgrund der gewerbsmäßigen Vermögensdelinquenz des BF, der Wirkungslosigkeit früherer Sanktionen und der mit der massiven Vorstrafenbelastung verbundenen beträchtlichen Wiederholungsgefahr ist dem BFA darin beizupflichten, dass seine sofortige Ausreise im Interesse der öffentlichen Ordnung und Sicherheit erforderlich war. Weder die Nichterteilung eines Durchsetzungsaufschubes gemäß § 70 Abs 3 FPG noch die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 18 Abs 3 BFA-VG sind somit zu beanstanden, sodass die Beschwerde in Bezug auf die Spruchpunkte II. und III. des angefochtenen Bescheids unbegründet ist.

Da der relevante Sachverhalt aus der Aktenlage und dem Beschwerdevorbringen geklärt werden konnte und auch bei einem positiven Eindruck vom BF bei einer mündlichen Verhandlung keine Herabsetzung oder gar ein Entfall des Aufenthaltsverbots möglich wäre, unterbleibt die beantragte Beschwerdeverhandlung gemäß § 21 Abs 7 BFA-VG, zumal von deren Durchführung keine weitere Klärung der Angelegenheit zu erwarten ist.

Zu Spruchteil C):

Die einzelfallbezogene Erstellung einer Gefährdungsprognose, die Interessenabwägung gemäß § 9 BFA-VG und die Bemessung der Dauer eines Aufenthaltsverbots sind im Allgemeinen nicht revisibel (siehe VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0284, 01.03.2018, Ra 2018/19/0014 und 10.07.2019, Ra 2019/19/0186). Die Revision ist nicht zuzulassen, weil sich das BVwG im vorliegenden Einzelfall an der zitierten höchstgerichtlichen Rechtsprechung orientieren konnte und keine darüber hinausgehende grundsätzliche Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG zu lösen war.

Schlagworte

Aufenthaltsverbot aufschiebende Wirkung - Entfall Eingabengebühr Interessenabwägung öffentliche Interessen Verfahrenshilfe

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:G314.2204988.1.00

Im RIS seit

03.12.2020

Zuletzt aktualisiert am

03.12.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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