TE Bvwg Erkenntnis 2020/10/5 W187 2191278-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 05.10.2020
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

05.10.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §52
FPG §55
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W187 2191278-1/18E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Hubert REISNER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung – Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am XXXX XXXX :

A)

Die Beschwerde wird gemäß § 28 Abs 2 VwGVG iVm §§ 3 Abs 1, 8 Abs 1 und § 10 Abs 1 Z 3 und § 57 AsylG 2005, iVm § 9 BFA-VG, §§ 52 und 55 FPG als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

1. Der zum damaligen Zeitpunkt minderjährige Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste unter Umgehung der Einreisebestimmungen schlepperunterstützt in das österreichische Bundesgebiet ein, wo er am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz stellte.

2. Im Rahmen seiner Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am XXXX wurde der Beschwerdeführer im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari zu seiner Identität, seiner Reiseroute und seinen Fluchtgründen einvernommen. Hier gab er an, ledig zu sein und keine Kinder zu haben. Der Beschwerdeführer sei am XXXX in Afghanistan geboren, Angehöriger der Volksgruppe der Tadschiken und Moslem. Seine Eltern und seine Schwestern seien nach wie vor in seinem Heimatland in der Provinz Kapisa aufhältig. Sein älterer Bruder lebe seit zwei Jahren in Österreich als Asylwerber. Als Beweggrund für seine Ausreise gab der Beschwerdeführer an, die Taliban hätten ihn holen und in das Kriegsgebiet schicken wollen. Der Beschwerdeführer habe jedoch nicht mit den Taliban kämpfen wollen. Zudem habe er Angst vor dem IS. Einmal sei der Beschwerdeführer auch von seinem Onkel geschlagen und am Kopf verletzt worden. Dieser Onkel habe ihn auch einmal mitnehmen wollen, wohin könne der Beschwerdeführer jedoch nicht sagen. Ein anderer Onkel habe dem Beschwerdeführer geholfen, aus Afghanistan zu fliehen. Der Beschwerdeführer habe Angst vor seinem Onkel väterlicherseits.

3. Mit Schreiben vom XXXX beantragte der Beschwerdeführer durch seine Rechtsvertretung die zeugenschaftliche Einvernahme seines Bruders zum Beweis seiner Minderjährigkeit.

4. Aufgrund von Zweifeln an der Minderjährigkeit des Beschwerdeführers ordnete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ein Handwurzelröntgen zur Bestimmung des Knochenalters an, dem sich der Beschwerdeführer am XXXX unterzog. Dieses Röntgen ergab, dass beim Beschwerdeführer sowohl am distalen Radius als auch an der distalen Ulna eine zarte Epiphysenfuge (Wachstumsfuge) erkennbar ist.

5. Am XXXX langte eine Verständigung von einer Amtshandlung gegen einen Fremden der Landespolizeidirektion XXXX vom XXXX bei der belangten Behörde ein. Dieser Meldung ist zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer am XXXX wegen des Verdachts auf Diebstahl nach § 127 StGB angezeigt wurde.

6. Am XXXX wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Beisein seiner gesetzlichen Vertretung, einer Dolmetscherin für die Sprache Dari und einer Vertrauensperson niederschriftlich zu seinem Antrag auf internationalen Schutz einvernommen. Hier gab der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen befragt im Wesentlichen zusammengefasst an, er habe Probleme mit seinem Onkel väterlicherseits, einem Kommandanten der Taliban. Dieser habe vom Beschwerdeführer und seinem älteren Bruder verlangt, mit ihm zusammenzuarbeiten. Der Beschwerdeführer und seine Familie seien jedoch dagegen gewesen. Nach der Flucht seines älteren Bruders habe der Onkel väterlicherseits seine Bemühungen auf den Beschwerdeführer konzentriert. Eines nachts sei der Onkel väterlicherseits mit bewaffneten Männern zu ihrem Haus gekommen, um den Beschwerdeführer mitzunehmen. Er habe den Beschwerdeführer sogar mit einer Waffe auf den Kopf geschlagen, wodurch er verletzt worden sei. Daraufhin habe sein Vater beschlossen, nach Pakistan zu flüchten. Der Beschwerdeführer habe sich ungefähr eineinhalb Jahre mit seiner Familie in Pakistan aufgehalten. Aufgrund ihrer schlechten finanziellen Lage in Pakistan habe der Vater schließlich beschlossen, nach Afghanistan zurückzukehren. Der Onkel väterlicherseits habe von ihrer Rückkehr erfahren und die Familie in der Nacht mit bewaffneten Männern aufgesucht. Der Onkel väterlicherseits habe den Beschwerdeführer mitnehmen wollen und mit seinen Eltern diskutiert. Die Mutter des Beschwerdeführers habe den Onkel angefleht, den Beschwerdeführer noch eine Nacht zu Hause zu lassen, damit sie noch Zeit mit ihm verbringen könne. Damit sei der Onkel väterlicherseits einverstanden gewesen. Er habe angekündigt, in der nächsten Nacht wiederzukommen, um den Beschwerdeführer abzuholen. Solle er nicht da sein, werde er ihn finden und umbringen. Als der Onkel väterlicherseits gegangen war, habe der Vater des Beschwerdeführers mit seinem Onkel mütterlicherseits Kontakt aufgenommen und ihn gebeten, den Beschwerdeführer sofort aus dem Land zu bringen. Der Beschwerdeführer habe Afghanistan schließlich verlassen.

7. Am XXXX langte eine Stellungnahme der gesetzlichen Vertretung des Beschwerdeführers zu den Länderberichten bei der belangten Behörde ein.

8. Die Landespolizeidirektion XXXX übermittelte dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am XXXX einen Abschluss-Bericht betreffend den Beschwerdeführer, aus dem ersichtlich ist, dass der Beschwerdeführer verdächtigt wird, einen Ladendiebstahl in einem Bekleidungsgeschäft begangen zu haben.

9. Mit dem gegenständlich angefochtenen Bescheid vom XXXX wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz sodann sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs 1 AsylG 2005 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde unter Spruchpunkt VI. gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt.

Für ein allfälliges Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht wurde dem Beschwerdeführer amtswegig ein Rechtsberater zur Seite gestellt.

10. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer, vertreten durch seine gesetzliche Vertretung, die Volkshilfe Oberösterreich Flüchtlings- und MigrantInnen-Betreuung GmbH, mit Schreiben vom XXXX fristgerecht vollumfängliche Beschwerde wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit, unrichtiger rechtlicher Beurteilung und Mangelhaftigkeit des Verfahrens aufgrund fehlerhafter bzw. unzureichender Ermittlungen und mangelhafter Beweiswürdigung.

11. Die Beschwerde und der dazugehörige Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Entscheidung vorgelegt.

12. Am XXXX langte eine Berichterstattung der Landespolizeidirektion XXXX Stadtpolizeikommando XXXX beim Bundesverwaltungsgericht ein. Dieser ist zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer des Widerstandes gegen die Staatsgewalt am XXXX beschuldigt wird. Weiter wurde dem Bundesverwaltungsgericht eine Strafverfügung der Landespolizeidirektion XXXX vom XXXX , XXXX , übermittelt, mit welcher über den Beschwerdeführer wegen einer am XXXX begangenen Verwaltungsstraftat gemäß § 81 Abs 1 SPG eine Geldstrafe von € 150 (Ersatzfreiheitsstrafe vier Tage, vier Stunden) verhängt wurde.

13. Die belangte Behörde teilte dem Beschwerdeführer mit Verfahrensanordnung vom XXXX den Verlust seines Aufenthaltsrechts im Bundesgebiet wegen Anklageerhebung durch die Staatsanwaltschaft wegen einer gerichtlich strafbaren Handlung, die nur vorsätzlich begangen werden kann, mit.

14. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl übermittelte dem Bundesverwaltungsgericht am XXXX den Protokollsvermerk und die gekürzte Urteilsausfertigung des Landesgerichtes XXXX vom XXXX , XXXX Diesem ist zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer am XXXX wegen des Vergehens des versuchten Widerstandes gegen die Staatsgewalt nach §§ 15 Abs 1, 269 Abs 1 3. Fall StGB unter Anwendung von § 5 Z 4 JGG nach dem ersten Strafsatz des § 269 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von zwei Monaten verurteilt wurde. Gemäß § 43 Abs. 1 StGB wurde der Vollzug der Freiheitsstrafe unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen. Die erlittene Vorhaft vom XXXX bis XXXX wurde gemäß § 38 Abs 1 Z 1 StGB auf die verhängte Freiheitsstrafe angerechnet. Bei der Strafzumessung wurden die bisherige Unbescholtenheit des Beschwerdeführers, sein junges Alter (unter 21 Jahre), die Tatsache, dass er sich bei der Tat selbst verletzte sowie dass es beim Versuch blieb, mildernd gewertet. Hingegen wurde er von der Anklage, er habe Körperverletzungen an Beamten während oder wegen der Vollziehung ihrer Aufgaben oder der Erfüllung seiner Pflichten begangen und hierdurch das Vergehen der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 2 StGB begangen, gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.

15. Am XXXX langte eine Vollmachtbekanntgabe der ARGE Rechtsberatung – Diakonie und Volkshilfe beim Bundesverwaltungsgericht ein.

16. Mit Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , XXXX , sprach die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer habe gemäß § 13 Abs 2 Z 1 AsylG 2005 sein Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet ab dem XXXX verloren. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom XXXX , mit der Maßgabe, dass der Beschwerdeführer sein Recht zum Aufenthalt ab dem XXXX verloren hat, rechtskräftig abgewiesen.

17. Am XXXX langte beim Bundesverwaltungsgericht ein Konvolut polizeilicher Unterlagen der Landespolizeidirektion XXXX Stadtpolizeikommando XXXX – darunter ein Amtsvermerk vom XXXX ein Abschluss-Bericht vom XXXX , ein Amtsvermerk/Ersteinschreiten vom XXXX und ein Abschluss-Bericht vom XXXX – ein. Diesen Unterlagen ist zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer gemeinsam mit Mittätern des Raufhandels und der Körperverletzung am XXXX beschuldigt wird.

18. Am XXXX langte die Verständigung der Behörde von der Anklageerhebung der Staatsanwaltschaft XXXX vom XXXX ein, wonach gegen den Beschwerdeführer wegen § 91 StGB und § 83 StGB Anklage erhoben wurde.

19. Mit Ladung vom XXXX beraumte das Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung für den XXXX an, übermittelte den Parteien einschlägige Länderinformationen zu Afghanistan und gab ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme.

20. Die belangte Behörde teilte mit Schreiben vom XXXX mit, dass die Teilnahme eines informierten Vertreters an der mündlichen Beschwerdeverhandlung aus dienstlichen und personellen Gründen nicht möglich sei und beantragte die Abweisung der Beschwerde sowie die Übersendung des aufgenommenen Verhandlungsprotokolls.

21. Am XXXX langte das Hauptverhandlungsprotokoll vom XXXX des Bezirksgerichtes XXXX , beim erkennenden Gericht ein. Diesem ist zu entnehmen, dass das Strafverfahren gegen den Beschwerdeführer wegen des Vorwurfs des Raufhandels nach § 91 Abs 2 StGB gemäß § 199 StPO iVm § 204 Abs 1 StPO rechtskräftig eingestellt wurde.

22. Am XXXX fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, im Zuge derer der Beschwerdeführer im Beisein seiner ausgewiesenen Rechtsvertreterin und einer Dolmetscherin für die Sprache Dari vom erkennenden Richter zu seinem Antrag auf internationalen Schutz und seinen Beschwerdegründen einvernommen wurde. Die belangte Behörde blieb der mündlichen Verhandlung fern.

Die Verhandlungsschrift lautet auszugsweise:

„[…]

Richter: Verstehen Sie die Dolmetscherin gut?

Beschwerdeführer: Ja.

Richter: Sind Sie psychisch und physisch in der Lage, der heute stattfindenden mündlichen Verhandlung zu folgen? Liegen Gründe vor, die Sie daran hindern?

Beschwerdeführer: Ja.

Richter: Nehmen Sie regelmäßig Medikamente, befinden Sie sich in medizinischer Behandlung?

Beschwerdeführer: Nein.

[…]

Richter: Können Sie sich an Ihre Aussage vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl erinnern? Waren diese richtig, vollständig und wahrheitsgetreu?

Beschwerdeführer: Ja.

Richter: Geben Sie Ihr Geburtsdatum an. Wo sind Sie auf die Welt gekommen?

Beschwerdeführer: XXXX im Distrikt XXXX in der Provinz Kapisa, im Dorf XXXX

Richter: Welche Sprachen sprechen Sie? Können Sie diese lesen und schreiben?

Beschwerdeführer: Ich kann Dari und Paschtu sprechen, aber ich kann weder Dari noch Paschtu lesen und schreiben. Mittlerweile habe ich gelernt, etwas Dari lesen und schreiben zu können. Ich kann nur die beiden Sprachen, ich kann auch Deutsch.

Richter: Geben Sie Ihre Volksgruppe, Religion und Ihren Familienstand an.

Beschwerdeführer: Ich bin ledig, ich bin Moslem Sunnit, ich bin Afghane und ich bin Tadschike. Meine Mutter ist Paschtunin, mein Vater Tadschike.

Richter: Haben Sie Kinder?

Beschwerdeführer: Ich habe keine Kinder.

Richter: Können Sie bitte soweit wie möglich chronologisch angeben, wann und wo Sie sich in Afghanistan aufgehalten haben.

Beschwerdeführer: Ich wurde in XXXX in Afghanistan geboren. Zwei Jahre lang habe ich mit meiner Familie in Pakistan gelebt. Von Pakistan sind wir dann nach Afghanistan zurückgekehrt. Wir haben dann in XXXX weitergelebt. Dort war ich bis zu meiner Ausreise aufhältig.

Richter: Wie haben Sie in Afghanistan gewohnt?

Beschwerdeführer: Mein Vater hat von meinem Großvater ein Haus geerbt. In diesem Haus haben wir gelebt.

Richter: Was haben Sie in Afghanistan gemacht, gearbeitet, gelernt oder etwas Anderes?

Beschwerdeführer: Ich habe in Afghanistan nichts gemacht, ich war immer zu Hause.

Richter: Welche Schulbildung haben Sie erhalten?

Beschwerdeführer: In Afghanistan habe ich keine Schule besucht, in Österreich schon.

Richter: Wo und wie leben Ihre Verwandten?

Beschwerdeführer: Ich weiß nicht, wo die Familie zurzeit lebt. Als ich damals noch dort war, hat meine Familie in XXXX gelebt und mein Vater war Landwirt.

Richter: Haben Sie Kontakt zu Ihrer Familie (Vater, Mutter, Bruder, Schwester, Onkel)?

Beschwerdeführer: Zuletzt hatte ich vor vier Monaten Kontakt zu meiner Familie. Sie haben noch in XXXX gelebt.

Richter: Haben Sie in Afghanistan Verwandte oder sonstige wichtige Kontaktpersonen und wie heißen sie? Wo leben sie? Haben Sie zu ihnen Kontakt?

Beschwerdeführer: Einen Onkel väterlicherseits gab es in Afghanistan. Mit diesem Onkel hatten wir Probleme. Ich habe auch einen Onkel mütterlicherseits, aber mit beiden Onkel hatten wir keinen Kontakt.

[…]

Richter: Wollen Ihre Eltern und Geschwister auch nach Österreich kommen?

Beschwerdeführer: Das weiß ich nicht, darüber haben wir bis jetzt nicht miteinander gesprochen.

Richter: Wie ist Ihr Leben derzeit in Österreich? Was machen Sie in Österreich?

Beschwerdeführer (Auf Deutsch): Ich betreibe Sport (auf Dari:) und bin auf der Suche nach einer Arbeit.

Richter: Haben Sie Freunde in Österreich?

Beschwerdeführer: Ja. Ich habe sehr viele Freunde, ich habe österreichische Freunde und auch Freunde aus anderen Ländern.

Richter: Sind Sie Mitglied in einem Verein?

Beschwerdeführer: Ich war in einem Fußballverein in XXXX . Ich habe auch am Hafen trainiert, ich habe ringen trainiert. In „ XXXX “ betreibe ich auch Sport, das ist ein Fitnesscenter.

Richter: Hatten Sie Probleme mit der Polizei oder einem Gericht?

Beschwerdeführer: XXXX und XXXX hatte ich Probleme mit der Polizei. Ich hatte eine Auseinandersetzung mit der Polizei. Ich war mit meinem Freunden unterwegs, die haben einen Diebstahl begangen und ich war mit ihnen dabei.

Richter: Was war bei dem Vorfall am XXXX in der Filiale von XXXX in XXXX ?

Beschwerdeführer: Ja, das ist der Vorfall, den ich angesprochen habe.

Richter: Was war bei dem Vorfall am XXXX , in XXXX (Widerstand gegen die Staatsgewalt, Urteil des Landesgerichts XXXX )?

Beschwerdeführer: Das ist richtig, das war in diesem Monat, da hatte ich eine Auseinandersetzung mit der Polizei. Die Polizei war wegen einem Bewohner des Asylheims in der Asylunterkunft. Der Asylwerber hatte Rauschgift eingenommen, ich glaube, dass es Rauschgift war. Die Polizei wurde vom Heimleiter verständigt. Sie wollte die Person mitnehmen, ich habe dieser Person die Schuhe vorgelegt, damit er seine Schuhe anziehen kann, die Polizei sagte mir, dass ich das nicht machen darf und von hier weggehen soll. Ich sagte aber der Polizei, dass ich in diesem wohne und mich hier überall hier aufhalten kann. Darauf hat die Polizei mich beschimpft, ich habe zurückgeschimpft, dann wollte mich die Polizei festnehmen und mitnehmen. Ich habe mich gewehrt, ich wollte nicht, dass die Polizei mich festnimmt. Dann hat mich die Polizei mitgenommen, auf die XXXX , ich war dann eine Nacht in Haft. Nach einem Tag Haft wurde ich dann freigelassen, ich habe dann eine Gerichtsverhandlung gehabt. Ich habe dann eine bedingte Haftstrafe bekommen.

Richter: Was war bei dem Vorfall am XXXX , in XXXX ? Was war bei dem Vorfall am XXXX , in XXXX ?

Beschwerdeführer: Einmal hatte ich auch eine Auseinandersetzung mit einigen Burschen. Dann ist die Polizei gekommen, wir wurden auf die Polizeistation mitgenommen, dafür gab es auch eine Gerichtsverhandlung. Beim Gericht wurden wir alle freigesprochen, wir hatten auch nichts verbrochen, um dafür bestraft zu werden.

Richter: Sind Sie jemals persönlich bedroht oder angegriffen worden in Afghanistan?

Beschwerdeführer: Ja, einige Male.

Richter: Wodurch sind Sie in Afghanistan bedroht?

Beschwerdeführer: Mein Onkel vs. (väterlicherseits) sagte mir, dass ich für ihn arbeiten muss. Ich wollte das nicht, auch meine Familie war damit nicht einverstanden, dass ich für meinen Onkel arbeite. Nachdem ich oft bedroht wurde, hat meine Familie den Entschluss gefasst, mich zu meinem anwesenden Bruder zu schicken.

Richter: Bitte schildern Sie den Grund, der zu Ihrer Ausreise oder Flucht aus Afghanistan geführt hat.

Beschwerdeführer: Mein Hauptproblem war, dass mein Onkel väterlicherseits ein Kommandant der Taliban war. Onkel väterlicherseits wollte, dass ich für ihn arbeite. Mein Onkel väterlicherseits wollte mich entweder nach Pakistan oder in den Iran schicken, damit ich dort etwas lerne. Ich wollte nicht dorthin gehen, auch meine Familie wollte das nicht. Sowohl meine Familie als auch ich, wollten nicht, dass ich schlechte Sachen mache oder mit der Politik etwas zu tun habe. Eines Tages ist mein Onkel väterlicherseits zu meiner Familie gekommen, er hat meine Familie bedroht. Er sagte meiner Familie, dass er mich nun mitnehmen wird. Es war Nacht, als er mit einigen bewaffneten Personen zu uns ins Haus gekommen ist. Diese Personen haben meine Eltern geschlagen und verletzten auch mich. Als sie gesehen haben, dass ich verletzt bin, wollte sie mich dann nicht mehr mitnehmen. Ich war dann im Krankenhaus aufhältig. Nach dem Aufenthalt im Krankenhaus, hat die Familie den Entschluss gefasst, nach Pakistan zu flüchten. In Pakistan lebten wir unter schlechten Lebensbedingungen, wir haben dort illegal gelebt. Ich habe in einer Schneiderei gearbeitet. Dann hat mein Vater den Entschluss gefasst, nach Afghanistan zurückzugehen, er meinte, dass mein Onkel väterlicherseits uns nun in Ruhe lassen wird. In Pakistan war es sehr schwierig für uns, wir lebten ohne Dokument. Wenn die Polizei uns erwischt hätte, hätte man uns sofort zurück nach Afghanistan geschickt oder verprügelt. Wir sind dann nach Afghanistan zurückgekehrt. Einige Zeit später hat auch mein Onkel väterlicherseits wieder erfahren, dass wir wieder in Afghanistan sind. Mein Onkel sagte zu meinem Vater, dass nun der eine Sohn nicht mehr da ist, aber mich wird er mitnehmen. Mein Vater wurde unter Druck gesetzt und belästigt, deswegen war er gezwungen, dem Onkel zu sagen, dass er mich mitnehmen kann. Mein Vater hat mit ihm vereinbart, dass ich zwei bis drei Tage bei der Familie bleiben könnte und dann mit ihm gehen würde. Während dieser Zeit hat dann mein Vater den Entschluss gefasst, mich zu meinem Bruder nach Österreich zu schicken.

Richter: Wie sind Sie nach Österreich gekommen?

Beschwerdeführer: Es war Nacht, als mein Onkel mütterlicherseits mit einer weiteren Person gekommen ist, er hat mich mitgenommen. Mit diesem Fahrzeug wurde ich bis in den Iran gebracht. Danach wurde ich mit einem anderen Fahrzeug bis in die Türkei gebracht. Einen langen Fußmarsch musste ich auch zurücklegen. Von der Türkei bin ich dann mit einem Schlauchboot nach Griechenland gefahren. Gemeinsam mit 40 weiteren Personen wurde ich mit einem Bus zu einem mir unbekannten Ort gebracht. Die Fahrten fanden immer in der Nacht statt. Ein Schlepper brachte mich dann direkt nach Österreich, er hat mir auch eine SIM-Karte gegeben. Er meinte, dass ich meine Familie anrufen kann. An der Ausstiegsstelle habe ich eine Stunde gewartet, dann ist die Polizei gekommen und hat ich dann mitgenommen.

Richter: Wie haben Sie die Reise bezahlt?

Beschwerdeführer: Das Haus, welches mein Vater geerbt hat, hat er entweder verpachtet oder verkauft, genau weiß ich es nicht. Das müsste mein Bruder genauer wissen. Aus dem Erlös hat mein Vater mich dann nach Österreich geschickt.

Richter: Schildern Sie bitte nochmals die Gründe Ihrer Beschwerde!

Beschwerdeführer: In XXXX bin ich nicht sicher. Das Leben in Afghanistan war für mich sehr gefährlich, in jeder Provinz und überall könnte mein Onkel mich finden. Aus diesem Grund bin ich nach Österreich gekommen.

Richter: Was würde passieren, wenn Sie jetzt nach Afghanistan zurückkehren müssten?

Beschwerdeführer: Entweder wird mich mein Onkel väterlicherseits töten oder mich zu sich nehmen.

Richter an RV: Haben Sie noch Fragen an den BF?

Rechtsvertreterin: Wie stellen Sie sich die Zukunft in Österreich vor?

Beschwerdeführer: Wenn ich einen positiven Bescheid bekommen sollte und ich hier bleiben darf, dann möchte ich etwas lernen. Ich möchte die Schule abschließen, Deutschkurse besuchen. Ich möchte als Schneider arbeiten, in diesem Beruf habe ich Erfahrung. Ich möchte den Führerschein machen und mir so ein Leben wie mein Bruder aufbauen. Ich möchte in einem österreichischen Verein spielen.

Richter: Sie sind jetzt seit fünf Jahren in Österreich. Sie hätten die Möglichkeit gehabt, auch jetzt schon, Deutschkurse zu besuchen oder möglicher Weise andere Ausbildungen zu machen. Warum haben Sie diese Möglichkeiten nicht ergriffen?

Beschwerdeführer: Darf ich auf Deutsch antworten?

Richter: Ja.

Beschwerdeführer (auf Deutsch): Wenn ich Fußballverein haben sie gesagt, dass ich keine Geburtsurkunde habe und nicht mitspielen darf. Deutschkurs war so, muss ich selber zahlen. Im Monat bekomme ich 180 Euro und die Prüfung muss ich auch bezahlen. Ich habe die Schule besucht. Lehre konnte ich keine beginnen, weil ich eine „weiße Karte“ habe. Ich habe vor zwei Wochen beim AMS einen Antrag wegen eines Bescheids gestellt, den sie negativ entschieden haben. Ich darf nicht arbeiten.

[…]

Richter: Haben Sie die Dolmetscherin gut verstanden?

Beschwerdeführer: Ja.“

Die Rechtvertretung des Beschwerdeführers legte in der mündlichen Beschwerdeverhandlung Nachweise für dessen Integration in Österreich vor. Diese Unterlagen wurden zum Akt genommen. Der in der mündlichen Beschwerdeverhandlung anwesende Bruder des Beschwerdeführers, XXXX , geboren am XXXX , gab an, man werde dem Beschwerdeführer im Fall seiner Rückkehr nach Afghanistan vorhalten, ein „westlicher Spion“ zu sein. Der Onkel sei weiterhin Anführer der Taliban.

23. Am XXXX langte eine Stellungnahme des Beschwerdeführers, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung – Diakonie und Volkshilfe, zur COVID-19-Situation in Afghanistan beim Bundesverwaltungsgericht ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen

Beweis wurde erhoben durch Einsicht in den dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Verwaltungsakt des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl und den Verfahrensakt des Bundesverwaltungsgerichts betreffend den Beschwerdeführer und seinen Bruder XXXX ( XXXX ), insbesondere durch Einsicht in die vorgelegten Dokumente und Integrationsunterlagen, sowie durch Durchführung einer mündlichen Verhandlung und durch Einsichtnahme in die ins Verfahren eingeführten Länderberichte.

1. Feststellungen

1.1 Zur Person des Beschwerdeführers und seinem Leben in Afghanistan

Der Beschwerdeführer trägt den im Spruch angeführten Namen, ist im Entscheidungszeitpunkt volljährig und Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan. Er gehört der Volksgruppe der Tadschiken an und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam. Seine Muttersprache ist Dari. Er verfügt in dieser Sprache nur über rudimentäre Lese- und Schreibkenntnisse. Weiter spricht der Beschwerdeführer Paschtu und Deutsch auf Niveau A2 des gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen. Der Beschwerdeführer ist ledig und hat keine Kinder.

Der Beschwerdeführer wurde im Dorf XXXX im Distrikt XXXX in der afghanischen Provinz Kapisa geboren und wuchs dort im afghanischen Familienverband im familieneigenen Haus gemeinsam mit seinen Eltern, vier Schwestern und einem Bruder auf. Der Vater des Beschwerdeführers sorgte in Afghanistan für den Unterhalt der Familie und arbeitete in der familieneigenen Landwirtschaft. Der Beschwerdeführer besuchte in Afghanistan keine Schule und war nicht erwerbstätig.

Im Jahr XXXX verließ der ältere Bruder des Beschwerdeführers, XXXX , Afghanistan, um Richtung Europa zu reisen. Anschließend reiste der Beschwerdeführer gemeinsam mit seinen Eltern und seinen Schwestern nach Pakistan, wo sie eineinhalb bis zwei Jahre illegal aufhältig waren. In Pakistan lernte der Beschwerdeführer das Schneidern und nähte Vorhänge, um zum Unterhalt der Familie beizutragen.

Da die finanzielle Lage der Familie in Pakistan schlecht war, entschied der Vater des Beschwerdeführers im Jahr XXXX nach Afghanistan ins Heimatdorf zurückzukehren. Der Beschwerdeführer war anschließend bis zu seiner Ausreise Richtung Europa im XXXX im Heimatdorf aufhältig.

Die Eltern und Schwestern des Beschwerdeführers leben nach wie vor im Heimatdorf im Distrikt XXXX Die Familie des Beschwerdeführers lebt dort von der familieneigenen Landwirtschaft. Weiter sind ein Onkel väterlicherseits und ein Onkel mütterlicherseits des Beschwerdeführers im Heimatdorf aufhältig. Sonstige (allenfalls entfernte) Verwandte des Beschwerdeführers leben nicht in Afghanistan. Der Beschwerdeführer steht in rudimentärem Kontakt mit seiner Familie in Afghanistan. Der ältere Bruder des Beschwerdeführers, XXXX , geboren am XXXX , lebt in Österreich und ist asylberechtigt.

1.2 Zum Leben des Beschwerdeführers in Österreich

Der Beschwerdeführer reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am XXXX gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Er hält sich seit seiner Einreise durchgehend im Bundesgebiet auf. Der Beschwerdeführer hatte nie ein nicht auf das Asylverfahren gegründetes Aufenthaltsrecht in Österreich. Mit XXXX hat der Beschwerdeführer sein Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet gemäß § 13 Abs 2 Z 1 AsylG 2005 verloren (BVwG XXXX ).

Der Beschwerdeführer bezieht Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung und ist nicht erwerbstätig. Er nahm seit seiner Einreise an mehreren Basisbildungs-, Deutsch- und Integrationskursen, darunter an Deutschkursen im Rahmen eines Projektes der Stadt XXXX für arbeitslose Jugendliche, einem Energie-Basisworkshop zum Thema Mülltrennung und einem Basisbildungskurs des XXXX , teil. Weiter besuchte der Beschwerdeführer nach seiner Einreise im Schuljahr XXXX von XXXX bis XXXX als außerordentlicher Schüler die offene Sprachklasse der Neuen Mittelschule XXXX , wobei der Schwerpunkt des Unterrichts im Erlernen der deutschen Sprache lag. Anschließend besuchte der Beschwerdeführer ab XXXX die Übergangsklasse an der Polytechnischen Schule in XXXX Im Zeitraum von XXXX bis XXXX nahm der Beschwerdeführer am Jugendcoaching der XXXX teil. Im XXXX hat der Beschwerdeführer erfolgreich eine Prüfung zu seinen Deutschkenntnissen auf Niveau A2 des gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen abgelegt. Im XXXX arbeitete der Beschwerdeführer gemeinnützig zwölf Stunden als freiwilliger Mitarbeiter im Küchendienst der XXXX . Zuletzt bemühte sich der Beschwerdeführer im XXXX um die Erlangung einer Erwerbstätigkeit als gastgewerbliche Hilfskraft, erhielt jedoch keine Beschäftigungsbewilligung durch das AMS. In der Vergangenheit war der Beschwerdeführer Mitglied im Fußballverein XXXX wo er regemäßig trainierte. Derzeit ist der Beschwerdeführer kein Mitglied in einem Verein, hat jedoch in Österreich soziale Kontakte – auch zu österreichischen Staatsbürgern – geknüpft. In seiner Freizeit besucht der Beschwerdeführer gerne ein Fitnessstudio und treibt Sport. Zukünftig würde der Beschwerdeführer gerne die Schule abschließen, als Schneider arbeiten und den Führerschein machen.

In Österreich lebt der ältere Bruder des Beschwerdeführers, XXXX , geboren am XXXX , als Asylberechtigter in XXXX . Zwischen dem (volljährigen) Beschwerdeführer und seinem volljährigen Bruder besteht kein finanzielles Abhängigkeitsverhältnis. Der Beschwerdeführer bezieht Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung und ist daher nicht auf die finanzielle Unterstützung seines Bruders angewiesen. Zwischen dem Beschwerdeführer und seinem Bruder besteht keine besonders intensive Bindung, die über das übliche Verhältnis zwischen volljährigen Brüdern hinausgehen würde. Auch eine sonstige (gegenseitige) Abhängigkeit des Beschwerdeführers von seinem Bruder liegt nicht vor. Es sind im Verfahren keine besonderen Umstände hervorgekommen, wonach der Beschwerdeführer auf die Unterstützung bzw Hilfe seines Bruders in Österreich angewiesen wäre.

Abgesehen von seinem Bruder leben in Österreich keine weiteren Verwandten oder sonstige enge Bezugspersonen des Beschwerdeführers. Es besteht weder eine Lebensgemeinschaft des Beschwerdeführers in Österreich, noch gibt es in Österreich geborene Kinder des Beschwerdeführers.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafrechtlich bescholten und wurde mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom XXXX zur Zahl XXXX wegen des Vergehens des versuchten Widerstandes gegen die Staatsgewalt nach §§ 15 Abs 1, 269 Abs 1 dritter Fall StGB unter Anwendung von § 5 Z 4 JGG nach dem ersten Strafsatz des § 269 Abs 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von zwei Monaten verurteilt. Konkret hat der Beschwerdeführer am XXXX in XXXX zwei Polizeibeamte mit Gewalt an einer Amtshandlung, nämlich seiner Festnahme, zu hindern versucht, indem er lautstark herumschrie, woraufhin er in sein Zimmer eskortiert wurde, wo aufgrund des immer aggressiver werdenden Verhaltens die Festnahme ausgesprochen wurde, wobei er mit den Händen gegen die Beamten schlug und mit den Füßen zutrat. Gemäß § 43 Abs 1 StGB wurde der Vollzug der Freiheitsstrafe unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen. Die in diesem Verfahren erlittene Vorhaft vom XXXX XXXX bis XXXX wurde gemäß § 38 Abs 1 Z 1 StGB auf die verhängte Freiheitsstrafe angerechnet. Weiter wurde gemäß §§ 50 und 52 StGB Bewährungshilfe angeordnet. Bei der Strafzumessung wurden die bisherige Unbescholtenheit des Beschwerdeführers, sein Alter unter 21 Jahren, die Tatsache, dass sich der Beschwerdeführer selbst verletzt hat, sowie die Tatsache, dass es beim Versuch blieb, als mildernd gewertet. Erschwerende Umstände lagen im Fall des Beschwerdeführers nicht vor. Dieses Urteil ist seit XXXX rechtskräftig. Am XXXX hob das Landesgericht XXXX die angeordnete Bewährungshilfe auf.

Der Beschwerdeführer ist im Wesentlichen gesund und arbeitsfähig.

1.3 Zu seinen Fluchtgründen und der Rückkehr nach Afghanistan

Der Beschwerdeführer stellte am XXXX gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz und begründete diesen in weiterer Folge mit Verfolgung durch die Taliban und seinen Onkel väterlicherseits wegen unterstellter (oppositioneller) Gesinnung und seiner Eigenschaft als junger wehrfähiger Mann, mit Verfolgung als Rückkehrer aus dem westlichen Ausland sowie mit der allgemeinen Sicherheitslage.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer in Afghanistan aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Überzeugung persönlich bedroht oder verfolgt wurde oder eine Verfolgung im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan zu befürchten hätte.

Der Onkel väterlicherseits ist kein Kommandant der Taliban, sondern allenfalls ein einfaches Mitglied der Gruppierung, dem keine besonders bedeutsame Rolle innerhalb der Taliban zukommt. Weder der Onkel väterlicherseits noch die Taliban drohten dem Beschwerdeführer mit Zwangsrekrutierung oder gar dem Tod, sollte er sich weigern, sich den Taliban anzuschließen. Auch wurde der Beschwerdeführer weder von seinem Onkel väterlicherseits noch durch die Taliban geschlagen. Insbesondere wollten weder der Onkel väterlicherseits noch die Taliban den Beschwerdeführer zwangsweise mitnehmen. Dem Beschwerdeführer drohen im Fall seiner Rückkehr nach Afghanistan weder Übergriffe, Zwangsrekrutierung, noch Verfolgung durch die Taliban oder seinen Onkel väterlicherseits etwa aufgrund unterstellter politischer Gesinnung, seiner Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Familie oder aufgrund seiner Eigenschaft als junger wehrfähiger Mann.

Dem Beschwerdeführer drohen als Rückkehrer aus dem westlichen Ausland im Fall seiner Rückkehr nach Afghanistan keine Übergriffe durch Privatpersonen, staatliche Stellen oder sonstige Akteure.

Afghanistan ist von einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt zwischen der afghanischen Regierung und Aufständischen betroffen. Die Betroffenheit von Kampfhandlungen sowie deren Auswirkungen für die Zivilbevölkerung sind regional unterschiedlich.

Die Heimatprovinz des Beschwerdeführers (Kapisa) zählt zu relativ volatilen Provinzen Afghanistans. Die Provinz hat strategische Bedeutung, da es für Aufständische einfach ist, die Provinzhauptstadt von Kapisa und die benachbarten Provinzen zu erreichen. Die Taliban sind in entlegeneren Distrikten der Provinz aktiv und versuchen oft, terroristische Aktivitäten gegen die Regierung oder Sicherheitskräfte durchzuführen. Regierungstruppen führen regelmäßig Operationen in Kapisa – darunter auch Luftangriffe – durch. Immer wieder kommt es zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen den Taliban und afghanischen Sicherheitskräften.

Im Fall einer Rückkehr des Beschwerdeführers in seine Herkunftsprovinz Kapisa droht ihm die Gefahr, im Zuge von Kampfhandlungen zwischen regierungsfeindlichen Gruppierungen und Streitkräften der Regierung oder durch Übergriffe von regierungsfeindlichen Gruppierungen gegen die Zivilbevölkerung zu Tode zu kommen oder misshandelt oder verletzt zu werden.

Die Hauptstadt Kabul ist von innerstaatlichen Konflikten und stark von öffentlichkeitswirksamen Angriffen der Taliban und anderer militanter Gruppierungen betroffen. Es werden Anschläge auf hochrangige Ziele ausgeführt, um die Aufmerksamkeit der Medien zu erlangen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen. Die afghanische Regierung führt regelmäßig Sicherheitsoperationen in und um die Hauptstadt Kabul durch.

Im Fall einer Niederlassung in Kabul droht dem Beschwerdeführer die Gefahr, im Zuge von Kampfhandlungen oder durch Angriffe Aufständischer zu Tode zu kommen oder misshandelt oder verletzt zu werden.

Die Provinz Balkh gehört zu den stabilsten und ruhigsten Provinzen Afghanistans mit im Vergleich zu anderen Provinzen geringen Aktivitäten von Aufständischen. In den letzten Monaten versuchten Aufständische der Taliban die nördliche Provinz Balkh aus benachbarten Regionen zu infiltrieren. Drei Schlüsseldistrikte, Zari, Sholagara und Chahar Kant, zählen zu jenen Distrikten, die in den letzten Monaten von Sicherheitsbedrohungen betroffen waren. Die Provinzhauptstadt Mazar-e Sharif ist davon jedoch nicht betroffen. Mazar-e Sharif-e Sharif gilt als Import-/Exportdrehkreuz sowie als regionales Handelszentrum. Die Stadt steht unter Regierungskontrolle und verfügt über einen internationalen Flughaben, über den sie sicher erreicht werden kann.

Für den Fall einer Niederlassung des Beschwerdeführers in der Stadt Mazar-e Sharif kann nicht festgestellt werden, dass diesem die Gefahr droht, im Zuge von Kampfhandlungen oder durch Angriffe Aufständischer zu Tode zu kommen oder misshandelt oder verletzt zu werden.

Die Provinz Balkh war von einer Dürre betroffen. Ernährungssicherheit, Zugang zu Wohnmöglichkeiten, Wasser und medizinische Versorgung sind in Mazar-e Sharif grundsätzlich gegeben. Wegen der derzeit bestehenden Pandemie durch das Corona-Virus ist der Zugang zu einer medizinischen Versorgung in Mazar-e Sharif zwar vorhanden, jedoch beschränkt. In der Provinz Balkh gibt es ein Krankenhaus, welches COVID-19 Patienten behandelt und über 200 Betten verfügt. Die Arbeitslosigkeit im Herkunftsstaat ist hoch und Armut verbreitet. Aufgrund kurzfristiger Lockdowns kann auch die Möglichkeit, sich durch eigene Arbeit seinen Lebensunterhalt zu verdienen, zeitlich begrenzt eingeschränkt sein. Derzeit sind die Dienstzeiten im privaten und öffentlichen Sektor auf sechs Stunden pro Tag beschränkt und die Beschäftigten werden in zwei ungerade und gerade Tagesschichten eingeteilt. In den Städten ist die Zahl der aktiven Fälle von COVID-19 zurückgegangen. Die afghanische Regierung ist im Rahmen des Dastarkhan-e-Milli-Programms bemüht, Haushalte zu unterstützen, die sich in wirtschaftlicher Not befinden. Auf der Grundlage des Programms will die Regierung in der ersten Phase 86 Millionen Dollar und dann in der zweiten Phase 158 Millionen Dollar bereitstellen, um Menschen im ganzen Land mit Nahrungsmitteln zu versorgen.

Im Fall einer Rückführung des – gesunden und volljährigen – Beschwerdeführers nach Mazar-e Sharif ist davon auszugehen, dass er sich – wenn auch nach anfänglichen Schwierigkeiten – eine Lebensgrundlage wird aufbauen und die Grundbedürfnisse seiner menschlichen Existenz wie Nahrung, Kleidung und Unterkunft wird decken können. Der Beschwerdeführer wird im Fall seiner Niederlassung in Mazar-e Sharif ein mit anderen dort lebenden Afghanen vergleichbares Leben ohne unbillige Härten führen können. Der Beschwerdeführer ist ein junger Mann von XXXX Jahren, der an keinen schwerwiegenden Erkrankungen leidet und (hinsichtlich COVID-19) nicht unter die Risikogruppen der älteren Personen und der Personen mit Vorerkrankungen fällt. Er ist mit den kulturellen Gepflogenheiten seines Herkunftslandes vertraut und verfügt über zweijährige Arbeitserfahrung als Schneider. Zudem spricht er eine Sprache des Herkunftsstaates (Dari) muttersprachlich und verfügt über sehr gute Kenntnisse in der Sprache Paschtu. Der Beschwerdeführer verbrachte den Großteil seines Lebens in Afghanistan und wurde im afghanischen Familienverband sozialisiert. Der Beschwerdeführer hat keine Sorgepflichten. Der Aufbau einer Existenzgrundlage in der Stadt Mazar-e Sharif ist ihm, wenn auch nach anfänglichen Schwierigkeiten, möglich.

Es gibt in Afghanistan unterschiedliche Unterstützungsprogramme für Rückkehrer von Seiten der Regierung, von NGOs und durch internationale Organisationen, die der Beschwerdeführer in Anspruch nehmen könnte. IOM bietet in Afghanistan Unterstützung bei der Reintegration an.

1.4 Zur Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers

Es werden folgende entscheidungsrelevante Feststellungen zum Herkunftsstaat der Beschwerdeführer getroffen:

1.4.1 Staatendokumentation (Stand 21.7.2020, außer wenn anders angegeben)

1.4.1.1 Länderspezifische Anmerkungen COVID-19

1.4.1.1.1 Stand 21.7.2020

Aktueller Stand der COVID-19 Krise in Afghanistan

Berichten zufolge, haben sich in Afghanistan mehr als 35.000 Menschen mit COVID-19 angesteckt (WHO 20.7.2020; vgl. JHU 20.7.2020, OCHA 16.7.2020), mehr als 1.280 sind daran gestorben. Aufgrund der begrenzten Ressourcen des öffentlichen Gesundheitswesens und der begrenzten Testkapazitäten sowie des Fehlens eines nationalen Sterberegisters werden bestätigte Fälle von und Todesfälle durch COVID-19 in Afghanistan wahrscheinlich insgesamt zu wenig gemeldet (OCHA 16.7.2020; vgl. DS 19.7.2020). 10 Prozent der insgesamt bestätigten COVID-19-Fälle entfallen auf das Gesundheitspersonal. Kabul ist hinsichtlich der bestätigten Fälle nach wie vor der am stärksten betroffene Teil des Landes, gefolgt von den Provinzen Herat, Balkh, Nangarhar und Kandahar (OCHA 15.7.2020). Beamte in der Provinz Herat sagten, dass der Strom afghanischer Flüchtlinge, die aus dem Iran zurückkehren, und die Nachlässigkeit der Menschen, die Gesundheitsrichtlinien zu befolgen, die Möglichkeit einer neuen Welle des Virus erhöht haben, und dass diese in einigen Gebieten bereits begonnen hätte (TN 14.7.2020). Am 18.7.2020 wurde mit 60 neuen COVID-19 Fällen der niedrigste tägliche Anstieg seit drei Monaten verzeichnet – wobei an diesem Tag landesweit nur 194 Tests durchgeführt wurden (AnA 18.7.2020).

Krankenhäuser und Kliniken berichten weiterhin über Probleme bei der Aufrechterhaltung oder Erweiterung der Kapazität ihrer Einrichtungen zur Behandlung von Patienten mit COVID-19. Diese Herausforderungen stehen im Zusammenhang mit der Bereitstellung von persönlicher Schutzausrüstung (PSA), Testkits und medizinischem Material sowie mit der begrenzten Anzahl geschulter Mitarbeiter – noch verschärft durch die Zahl des erkrankten Gesundheitspersonals. Es besteht nach wie vor ein dringender Bedarf an mehr Laborequipment sowie an der Stärkung der personellen Kapazitäten und der operativen Unterstützung (OCHA 16.7.2020, vgl. BBC-News 30.6.2020).

Maßnahmen der afghanischen Regierung und internationale Hilfe

Die landesweiten Sperrmaßnahmen der Regierung Afghanistans bleiben in Kraft. Universitäten und Schulen bleiben weiterhin geschlossen (OCHA 8.7.2020; vgl. RA KBL 16.7.2020). Die Regierung Afghanistans gab am 6.6.2020 bekannt, dass sie die landesweite Abriegelung um drei weitere Monate verlängern und neue Gesundheitsrichtlinien für die Bürger herausgeben werde. Darüber hinaus hat die Regierung die Schließung von Schulen um weitere drei Monate bis Ende August verlängert (OCHA 8.7.2020).

Berichten zufolge werden die Vorgaben der Regierung nicht befolgt, und die Durchsetzung war nachsichtig (OCHA 16.7.2020, vgl. TN 12.7.2020). Die Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des Virus unterscheiden sich weiterhin von Provinz zu Provinz, in denen die lokalen Behörden über die Umsetzung der Maßnahmen entscheiden. Zwar behindern die Sperrmaßnahmen der Provinzen weiterhin periodisch die Bewegung der humanitären Helfer, doch hat sich die Situation in den letzten Wochen deutlich verbessert, und es wurden weniger Behinderungen gemeldet (OCHA 15.7.2020).

Einwohner Kabuls und eine Reihe von Ärzten stellten am 18.7.2020 die Art und Weise in Frage, wie das afghanische Gesundheitsministerium (MoPH) mit der Ausbreitung der COVID-19-Pandemie im Land umgegangen ist, und sagten, das Gesundheitsministerium habe es trotz massiver internationaler Gelder versäumt, richtig auf die Pandemie zu reagieren (TN 18.7.2020). Es gibt Berichte wonach die Bürger angeben, dass sie ihr Vertrauen in öffentliche Krankenhäuser verloren haben und niemand mehr in öffentliche Krankenhäuser geht, um Tests oder Behandlungen durchzuführen (TN 12.7.2020).

Beamte des afghanischen Gesundheitsministeriums erklärten, dass die Zahl der aktiven Fälle von COVID-19 in den Städten zurückgegangen ist, die Pandemie in den Dörfern und in den abgelegenen Regionen des Landes jedoch zunimmt. Der Gesundheitsminister gab an, dass 500 Beatmungsgeräte aus Deutschland angekauft wurden und 106 davon in den Provinzen verteilt werden würden (TN 18.7.2020).

Am Samstag den 18.7.2020 kündete die afghanische Regierung den Start des Dastarkhan-e-Milli-Programms als Teil ihrer Bemühungen an, Haushalten inmitten der COVID-19-Pandemie zu helfen, die sich in wirtschaftlicher Not befinden. Auf der Grundlage des Programms will die Regierung in der ersten Phase 86 Millionen Dollar und dann in der zweiten Phase 158 Millionen Dollar bereitstellen, um Menschen im ganzen Land mit Nahrungsmitteln zu versorgen. Die erste Phase soll über 1,7 Millionen Familien in 13.000 Dörfern in 34 Provinzen des Landes abdecken (TN 18.7.2020; vgl. Mangalorean 19.7.2020).

Die Weltbank genehmigte am 15.7.2020 einen Zuschuss in Höhe von 200 Millionen US-Dollar, um Afghanistan dabei zu unterstützen, die Auswirkungen von COVID-19 zu mildern und gefährdeten Menschen und Unternehmen Hilfe zu leisten (WB 10.7.2020; vgl. AN 10.7.2020).

Auszugsweise Lage in den Provinzen Afghanistans

Dieselben Maßnahmen – nämlich Einschränkungen und Begrenzungen der täglichen Aktivitäten, des Geschäftslebens und des gesellschaftlichen Lebens – werden in allen folgend angeführten Provinzen durchgeführt. Die Regierung hat eine Reihe verbindlicher gesundheitlicher und sozialer Distanzierungsmaßnahmen eingeführt, wie z.B. das obligatorische Tragen von Gesichtsmasken an öffentlichen Orten, das Einhalten eines Sicherheitsabstandes von zwei Metern in der Öffentlichkeit und ein Verbot von Versammlungen mit mehr als zehn Personen. Öffentliche und touristische Plätze, Parks, Sportanlagen, Schulen, Universitäten und Bildungseinrichtungen sind geschlossen; die Dienstzeiten im privaten und öffentlichen Sektor sind auf 6 Stunden pro Tag beschränkt und die Beschäftigten werden in zwei ungerade und gerade Tagesschichten eingeteilt (RA KBL 16.7.2020; vgl. OCHA 8.7.2020).

Die meisten Hotels, Teehäuser und ähnliche Orte sind aufgrund der COVID-19 Maßnahmen geschlossen, es sei denn, sie wurden geheim und unbemerkt von staatlichen Stellen geöffnet (RA KBL 16.7.2020; vgl. OCHA 8.7.2020).

In der Provinz Kabul gibt es zwei öffentliche Krankenhäuser die COVID-19 Patienten behandeln mit 200 bzw. 100 Betten. Aufgrund der hohen Anzahl von COVID-19-Fällen im Land und der unzureichenden Kapazität der öffentlichen Krankenhäuser hat die Regierung kürzlich auch privaten Krankenhäusern die Behandlung von COVID-19-Patienten gestattet. Kabul sieht sich aufgrund von Regen- und Schneemangel, einer boomenden Bevölkerung und verschwenderischem Wasserverbrauch mit Wasserknappheit konfrontiert. Außerdem leben immer noch rund 12 Prozent der Menschen in Kabul unter der Armutsgrenze, was bedeutet, dass oftmals ein erschwerter Zugang zu Wasser besteht (RA KBL 16.7.2020; WHO o.D).

In der Provinz Balkh gibt es ein Krankenhaus, welches COVID-19 Patienten behandelt und über 200 Betten verfügt. Es gibt Berichte, dass die Bewohner einiger Distrikte der Provinz mit Wasserknappheit zu kämpfen hatten. Darüber hinaus hatten die Menschen in einigen Distrikten Schwierigkeiten mit dem Zugang zu ausreichender Nahrung, insbesondere im Zuge der COVID-19-Pandemie (RA KBL 16.7.2020).

In der Provinz Herat gibt es zwei Krankenhäuser die COVID-19 Patienten behandeln. Ein staatliches öffentliches Krankenhaus mit 100 Betten, das vor kurzem speziell für COVID-19-Patienten gebaut wurde (RA KBL 16.7.2020; vgl. TN 19.3.2020) und ein Krankenhaus mit 300 Betten, das von einem örtlichen Geschäftsmann in einem umgebauten Hotel zur Behandlung von COVID-19-Patienten eingerichtet wurde (RA KBL 16.7.2020; vgl. TN 4.5.2020). Es gibt Berichte, dass 47,6 Prozent der Menschen in Herat unter der Armutsgrenze leben, was bedeutet, dass oft ein erschwerter Zugang zu sauberem Trinkwasser und Nahrung haben, insbesondere im Zuge der Quarantäne aufgrund von COVID-19, durch die die meisten Tagelöhner arbeitslos blieben (RA KBL 16.7.2020; vgl. UNICEF 19.4.2020).

In der Provinz Daikundi gibt es ein Krankenhaus für COVID-19-Patienten mit 50 Betten. Es gibt jedoch keine Auswertungsmöglichkeiten für COVID-19-Tests – es werden Proben entnommen und zur Laboruntersuchung nach Kabul gebracht. Es dauert Tage, bis ihre Ergebnisse von Kabul nach Daikundi gebracht werden. Es gibt Berichte, dass 90 Prozent der Menschen in Daikundi unter der Armutsgrenze leben und dass etwa 60 Prozent der Menschen in der Provinz stark von Ernährungsunsicherheit betroffen sind (RA KBL 16.7.2020).

In der Provinz Samangan gibt es ebenso ein Krankenhaus für COVID-19-Patienten mit 50 Betten. Wie auch in der Provinz Daikundi müssen Proben nach Kabul zur Testung geschickt werden. Eine unzureichende Wasserversorgung ist eine der größten Herausforderungen für die Bevölkerung. Nur 20 Prozent der Haushalte haben Zugang zu sauberem Trinkwasser (RA KBL 16.7.2020).

Wirtschaftliche Lage in Afghanistan

Verschiedene COVID-19-Modelle zeigen, dass der Höhepunkt des COVID-19-Ausbruchs in Afghanistan zwischen Ende Juli und Anfang August erwartet wird, was schwerwiegende Auswirkungen auf die Wirtschaft Afghanistans und das Wohlergehen der Bevölkerung haben wird (OCHA 16.7.2020). Es herrscht weiterhin Besorgnis seitens humanitärer Helfer, über die Auswirkungen ausgedehnter Sperrmaßnahmen auf die am stärksten gefährdeten Menschen – insbesondere auf Menschen mit Behinderungen und Familien – die auf Gelegenheitsarbeit angewiesen sind und denen alternative Einkommensquellen fehlen (OCHA 15.7.2020). Der Marktbeobachtung des World Food Programme (WFP) zufolge ist der durchschnittliche Weizenmehlpreis zwischen dem 14. März und dem 15. Juli um 12 Prozent gestiegen, während die Kosten für Hülsenfrüchte, Zucker, Speiseöl und Reis (minderwertige Qualität) im gleichen Zeitraum um 20 – 31 Prozent gestiegen sind (WFP 15.7.2020, OCHA 15.7.2020). Einem Bericht der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der UNO (FAO) und des Ministeriums für Landwirtschaft, Bewässerung und Viehzucht (MAIL) zufolge sind über 20 Prozent der befragten Bauern nicht in der Lage, ihre nächste Ernte anzubauen, wobei der fehlende Zugang zu landwirtschaftlichen Betriebsmitteln und die COVID-19-Beschränkungen als Schlüsselfaktoren genannt werden. Darüber hinaus sind die meisten Weizen-, Obst-, Gemüse- und Milchverarbeitungsbetriebe derzeit nur teilweise oder gar nicht ausgelastet, wobei die COVID-19-Beschränkungen als ein Hauptgrund für die Reduzierung der Betriebe genannt werden. Die große Mehrheit der Händler berichtete von gestiegenen Preisen für Weizen, frische Lebensmittel, Schafe/Ziegen, Rinder und Transport im Vergleich zur gleichen Zeit des Vorjahres. Frischwarenhändler auf Provinz- und nationaler Ebene sahen sich im Vergleich zu Händlern auf Distriktebene mit mehr Einschränkungen konfrontiert, während die große Mehrheit der Händler laut dem Bericht von teilweisen Marktschließungen aufgrund von COVID-19 berichtete (FAO 16.4.2020; vgl. OCHA 16.7.2020; vgl. WB 10.7.2020).

Am 19.7.2020 erfolgte die erste Lieferung afghanischer Waren in zwei Lastwagen nach Indien, nachdem Pakistan die Wiederaufnahme afghanischer Exporte nach Indien angekündigt hatte um den Transithandel zu erleichtern. Am 12.7.2020 öffnete Pakistan auch die Grenzübergänge Angor Ada und Dand-e-Patan in den Provinzen Paktia und Paktika für afghanische Waren, fast zwei Wochen nachdem es die Grenzübergänge Spin Boldak, Torkham und Ghulam Khan geöffnet hatte (TN 20.7.2020).

Einreise und Bewegungsfreiheit

Die Türkei hat, nachdem internationale Flüge ab 11.6.2020 wieder nach und nach aufgenommen wurden, am 19.7.2020 wegen der COVID-19-Pandemie Flüge in den Iran und nach Afghanistan bis auf weiteres ausgesetzt, wie das Ministerium für Verkehr und Infrastruktur mitteilte (TN 20.7.2020; vgl. AnA 19.7.2020, DS 19.7.2020).

Bestimmte öffentliche Verkehrsmittel wie Busse, die mehr als vier Passagiere befördern, dürfen nicht verkehren. Obwohl sich die Regierung nicht dazu geäußert hat, die Reisebeschränkungen für die Bürger aufzuheben, um die Ausbreitung von COVID-19 zu verhindern, hat sich der Verkehr in den Städten wieder normalisiert, und Restaurants und Parks sind wieder geöffnet (TN 12.7.2020).

1.4.1.1.2 Stand 29.6.2020

Berichten zufolge, haben sich mehr als 30.000 Menschen in Afghanistan mit COVID-19 angesteckt (WP 25.5.2020; vgl. JHU 26.6.2020), mehr als 670 sind daran gestorben. Dem Gesundheitsministerium zufolge, liegen die tatsächlichen Zahlen viel höher; auch bestünde dem Ministerium zufolge die Möglichkeit, dass in den kommenden Monaten landesweit bis zu 26 Millionen Menschen mit dem Virus infiziert werden könnten, womit die Zahl der Todesopfer 100.000 übersteigen könnte. Die COVID-19 Testraten sind extrem niedrig in Afghanistan: weniger als 0,2% der Bevölkerung – rund 64.900 Menschen von geschätzten 37,6 Millionen Einwohnern – wurden bis jetzt auf COVID-19 getestet (WP 25.6.2020).

In vier der 34 Provinzen Afghanistans – Nangahar, Ghazni, Logar und Kunduz – hat sich unter den Sicherheitskräften COVID-19 ausgebreitet. In manchen Einheiten wird eine Infektionsrate von 60-90% vermutet. Dadurch steht weniger Personal bei Operationen und/oder zur Aufnahme des Dienstes auf Außenposten zur Verfügung (WP 25.6.2020).

In Afghanistan sind landesweit derzeit Mobilität, soziale und geschäftliche Aktivitäten sowie Regierungsdienste eingeschränkt. In den größeren Städten wie z.B. Kabul, Kandahar, Mazar-e Sharif, Jalalabad, Parwan usw. wird auf diese Maßnahmen stärker geachtet und dementsprechend kontrolliert. Verboten sind zudem auch Großveranstaltungen – Regierungsveranstaltungen, Hochzeitsfeiern, Sportveranstaltungen – bei denen mehr als zehn Personen zusammenkommen würden (RA KBL 19.6.2020). In der Öffentlichkeit ist die Bevölkerung verpflichtet einen Nasen-Mund-Schutz zu tragen (AJ 8.6.2020).

Wirksame Maßnahmen der Regierung zur Bekämpfung von COVID-19 scheinen derzeit auf keiner Ebene möglich zu sein: der afghanischen Regierung zufolge, lebt 52% der Bevölkerung in Armut, während 45% in Ernährungsunsicherheit lebt (AF 24.6.2020). Dem Lockdown Folge zu leisten, „social distancing“ zu betreiben und zuhause zu bleiben ist daher für viele keine Option, da viele Afghan/innen arbeiten müssen, um ihre Familien versorgen zu können (AJ 8.6.2020).

Gesellschaftliche Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19 Auswirkungen

In Kabul, hat sich aus der COVID-19-Krise heraus ein „Solidaritätsprogramm“ entwickelt, welches später in anderen Provinzen repliziert wurde. Eine afghanische Tageszeitung rief Hausbesitzer dazu auf, jenen ihrer Mieter/innen, die Miete zu reduzieren oder zu erlassen, die aufgrund der Ausgangsbeschränkungen nicht arbeiten konnten. Viele Hausbesitzer folgten dem Aufruf (AF 24.6.2020).

Bei der Spendenaktion „Kocha Ba Kocha“ kamen junge Freiwillige zusammen, um auf die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie zu reagieren, indem sie Spenden für bedürftige Familien sammelten und ihnen kostenlos Nahrungsmittel zur Verfügung stellten. In einem weiteren Fall startete eine Privatbank eine Spendenkampagne, durch die 10.000 Haushalte in Kabul und andere Provinzen monatlich mit Lebensmitteln versorgt wurden. Außerdem initiierte die afghanische Regierung das sogenannte „kostenlose Brot“-Programm; bei dem bedürftige Familien – ausgewählt durch Gemeindeälteste – rund einen Monat lang mit kostenlosem Brot versorgt werden (AF 24.6.2020). In dem mehrphasigen Projekt, erhält täglich jede Person innerhalb einer Familie zwei Stück des traditionellen Brots, von einer Bäckerei in der Nähe ihres Wohnortes (TN 15.6.2020). Die Regierung kündigte kürzlich an, das Programm um einen weiteren Monat zu verlängern (AF 24.6.2020; vgl. TN 15.6.2020). Beispielsweise beklagten sich bedürftige Familien in der Provinz Jawzjan über Korruption im Rahmen dieses Projektes (TN 20.5.2020).

Weitere Maßnahmen der afghanischen Regierung

Schulen und Universitäten sind nach aktuellem Stand bis September 2020 geschlossen (AJ 8.6.2020; vgl. RA KBL 19.6.2020). Über Fernlernprogramme, via Internet, Radio und Fernsehen soll der traditionelle Unterricht im Klassenzimmer vorerst weiterhin ersetzen werden (AJ 8.6.2020). Fernlehre funktioniert jedoch nur bei wenigen Studierenden. Zum einen können sich viele Familien weder Internet noch die dafür benötigten Geräte leisten und zum Anderem schränkt eine hohe Analphabetenzahl unter den Eltern in Afghanistan diese dabei ein, ihren Kindern beim Lernen behilflich sein zu können (HRW 18.6.2020).

Die großen Reisebeschränkungen wurden mittlerweile aufgehoben; die Bevölkerung kann nun in alle Provinzen reisen (RA KBL 19.6.2020). Afghanistan hat mit 24.6.2020 den internationalen Flugverkehr mit einem Turkish Airlines-Flug von Kabul nach Istanbul wieder aufgenommen; wobei der Flugplan aufgrund von Restriktionen auf vier Flüge pro Woche beschränkt wird (AnA 24.6.2020). Emirates, eine staatliche Fluglinie der Vereinigten Arabischen Emirate, hat mit 25.6.2020 Flüge zwischen Afghanistan und Dubai wieder aufgenommen (AnA 24.6.2020; vgl. GN 9.6.2020). Zwei afghanische Fluggesellschaften Ariana Airlines und der lokale private Betreiber Kam Air haben ebenso Flüge ins Ausland wieder aufgenommen (AnA 24.6.2020). Bei Reisen mit dem Flugzeug sind grundlegende COVID-19-Schutzmaßnahmen erforderlich (RA KBL 19.6.2020). Wird hingegen die Reise mit dem Auto angetreten, so sind keine weiteren Maßnahmen erforderlich. Zwischen den Städten Afghanistans verkehren Busse. Grundlegende Schutzmaßnahmen nach COVID-19 werden von der Regierung zwar empfohlen – manchmal werden diese nicht vollständig umgesetzt (RA KBL 19.6.2020).

Seit 1.1.2020 beträgt die Anzahl zurückgekehrter Personen aus dem Iran und Pakistan: 339.742; 337.871 Personen aus dem Iran (247.082 spontane Rückkehrer/innen und 90.789 wurden abgeschoben) und 1.871 Personen aus Pakistan (1.805 spontane Rückkehrer/innen und 66 Personen wurden abgeschoben) (UNHCR 20.6.2020).

Situation in der Grenzregion und Rückkehr aus Pakistan

Die Grenze zu Pakistan war fast drei Monate lang aufgrund der COVID-19-Pandemie gesperrt. Mit 22.6.2020 erhielt Pakistan an drei Grenzübergängen erste Exporte aus Afghanistan: frisches Obst und Gemüse wurde über die Grenzübergänge Torkham, Chaman und Ghulam Khan nach Pakistan exportiert. Im Hinblick auf COVID-19 wurden Standardarbeitsanweisungen (SOPs – standard operating procedures) für den grenzüberschreitenden Handel angewandt (XI 23.6.2020). Der bilaterale Handel soll an sechs Tagen der Woche betrieben werden, während an Samstagen diese Grenzübergänge für Fußgänger reserviert sind (XI 23.6.2020; vgl. UNHCR 20.6.2020); in der Praxis wurde der Fußgängerverkehr jedoch häufiger zugelassen (UNHCR 20.6.2020).

Pakistanischen Behörden zufolge waren die zwei Grenzübergänge Torkham und Chaman auf Ansuchen Afghanistans und aus humanitären Gründen

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten