TE Bvwg Erkenntnis 2020/10/6 W124 2142306-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 06.10.2020
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Entscheidungsdatum

06.10.2020

Norm

AsylG 2005 §3
B-VG Art133 Abs4

Spruch

W124 2142306-1/18E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Felseisen als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am XXXX und am XXXX zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird gemäß § 3 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (in der Folge: BF) reiste als unbegleiteter Minderjähriger unrechtmäßig in das Bundesgebiet ein und stellte am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Am XXXX gab er im Zuge seiner niederschriftlichen Erstbefragung vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes zu seiner Person an, er sei afghanischer Staatsangehöriger, gehöre der Volksgruppe der Hazara sowie der schiitischen Glaubensrichtung des Islams an, sei im Iran geboren und sei noch nie in Afghanistan gewesen. Zu seinen Fluchtgründen führte er aus, er habe im Iran keine Perspektive gehabt und sei geflüchtet, um sich Bildung anzueignen und ein besseres Leben aufzubauen.

3. Da das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: Bundesamt) Zweifel an den Angaben des Beschwerdeführers zu seinem Alter hatte, wurde eine Untersuchung zur Bestimmung des Knochenalters durch „Röntgen am Ring“ veranlasst.

Dem Untersuchungsbericht vom XXXX ist zu entnehmen, dass beim BF im Untersuchungszeitpunkt sämtliche Epiphysenfugen an den Phalangen und den Metacarpalia geschlossen waren. Die Epiphysenfuge an der Ulna war knöchern durchbaut, am Radius kortikal noch nicht vollständig knöchern durchbaut. Die Untersuchung hat ergeben, dass im Untersuchungszeitpunkt das finale Stadium „Schmeling 3, GP 30“ vorlag.

4. Am XXXX erfolgte die niederschriftliche Einvernahme des BF vor dem Bundesamt in Anwesenheit der Vertreter des BF sowie einer Vertrauensperson. Im Zuge seiner Einvernahme brachte der BF ein Konvolut an Integrationsunterlagen in Vorlage.

Eingangs gab der BF an, es gehe ihm gut und er sei in der Lage, Angaben im Asylverfahren zu machen. In der Folge bestätigte er die im Zuge der Erstbefragung angeführten Personaldaten und gab weiter zu seiner Person an, dass er der Volksgruppe der Hazara angehöre und sich zur schiitischen Glaubensrichtung des Islams bekenne. Er habe vier Jahre lang unregelmäßig die Schule besucht, habe keinen Beruf erlernt und sei insgesamt zwei Jahre als Bauarbeiter tätig gewesen. Seine Familie stamme aus der Provinz Wardak, Distrikt XXXX . Seine Eltern und Geschwister würden jedoch in Teheran, Iran, leben.

Zu den Gründen für das Verlassen des Herkunftsstaates gab er zu Protokoll, seine Eltern hätten Afghanistan wegen des russischen Krieges verlassen. Sein Vater sei damals Soldat gewesen, mehr wisse er nicht. Im Fall der Rückkehr nach Afghanistan werde er aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara sowie zur schiitischen Glaubensgemeinschaft von den Taliban und/oder der IS-Miliz getötet. Persönlich sei er noch nie in Afghanistan gewesen.

Den Iran habe er verlassen, da er dort keine Zukunft gehabt habe. Er sei dort einmal von der Polizei geschlagen worden. Die Polizei habe ihn anhalten wollen, da er keine legalen Aufenthaltspapiere gehabt habe. Er sei dann geflüchtet und die Polizei habe ihn erwischt. Man habe ihm sein rechtes Handgelenk gebrochen, woraufhin er einen Gips tragen habe müssen. Der BF sei inhaftiert worden. Nachdem sein Vater einen bestimmten Geldbetrag bezahlt habe, habe man ihn wieder freigelassen.

5. Mit Schriftsatz vom XXXX bezog der BF im Wege seiner Vertretung Stellung zur allgemeinen Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan. Zusammengefasst wurde ausgeführt, dass die von der Behörde herangezogenen Länderberichte betreffend die Diskriminierung und Verfolgung der Volksgruppe der Hazara widersprüchlich seien und teilweise unzulässige Quellenangaben enthalten würden. In der Folge wurden verschiedene Berichte auszugsweise zitiert. Aus diesen Berichten gehe hervor, dass Hazara in Afghanistan nach wie vor asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt seien. Anschließend wurde die allgemeine Sicherheitslage in Afghanistan erörtert. Zur Situation von Quasi-Waisen wurde ausgeführt, dass Kinder in Waisenhäusern mental, physisch und sexuell misshandelt würden. Sie hätten nicht immer Zugang zu fließendem Wasser, Heizung, Sanitäranlagen, Gesundheitsversorgung, Freizeiteinrichtung und Bildung. In einem Waisenhaus könne der BF sohin keine menschenwürdigen Lebensbedingungen vorfinden. Zudem sei er nicht in der Lage, sich in Afghanistan eigenständig eine Existenz aufzubauen. Aufgrund seiner Minderjährigkeit sowie aufgrund des Umstandes, dass der BF über keine Kontakte in Afghanistan verfüge, laufe er zudem Gefahr, als Lustjunge missbraucht zu werden oder in Ermangelung von Alternativen drogenabhängig zu werden. Straßenkinder würden überdies erheblichen Gefahren, wie etwa schwersten Formen der Zwangsarbeit, ausgesetzt sein.

Rechtlich wurde erörtert, dass verlassene Kinder, Waisenkinder und Straßenkinder als „soziale Gruppe“ im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention zu qualifizieren seien, zumal diese einem erhöhten Risiko von sexuellem Missbrauch, Ausbeutung oder Rekrutierung ausgesetzt seien. Diese Einschätzung finde sich in den UNHCR-Richtlinien wieder und entspreche auch der ständigen nationalen und internationalen Rechtsprechung. Fallspezifisch sei davon auszugehen, dass dem BF als alleinstehendes Kind und aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Ethnie der Hazara sowie zur Minderheitenreligion des schiitischen Islams in Afghanistan Diskriminierungen ausgesetzt sein werde, die in ihrer Gesamtheit als asylrelevante Verfolgung zu qualifizieren seien.

Ergänzend wurde festgehalten, dass der BF im Herkunftsstaat aufgrund der schlechten Sicherheits- und Versorgungslage sowie aufgrund seines Alters und fehlender sozialer und familiärer Anknüpfungspunkte real Gefahr liefe, in seinen nach Art. 2 EMRK und Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte verletzt zu werden. Abschließend wurde auf die positive Integration des BF hingewiesen.

6. Mit Bescheid vom XXXX , XXXX , wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz betreffend die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) abgewiesen. Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 wurde ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt (Spruchpunkt II.) und gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum XXXX erteilt (Spruchpunkt III.).

7. Fristgerecht wurde vom BF im Wege seiner Vertretung am XXXX gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheides Beschwerde wegen Mangelhaftigkeit des Ermittlungsverfahrens, unrichtiger Sachverhaltsfeststellungen und mangelhafter Beweiswürdigung erhoben. Begründend wurde zunächst festgehalten, die Behörde habe es verabsäumt, aktuelle und vollständige Länderfeststellungen zur Situation der Hazara zu treffen. In diesem Zusammenhang wurde auf die Ausführungen in den UNHCR-Richtlinien betreffend die Situation der Hazara sowie auf eine Anfragebeantwortung von ACCORD vom 24.02.2016 verwiesen. In der Folge wurden weitere Berichte zur Situation der Hazara in Afghanistan auszugsweise wiedergegeben. Schließlich wurde moniert, die Behörde habe es verabsäumt, Feststellungen zur Situation von Personen, die aus benachbarten Ländern, wie Iran oder Pakistan, nach Afghanistan zurückkehren, zu treffen. In diesem Zusammenhang wurde auf eine Anfragebeantwortung von ACCORD vom 12.06.2015 betreffend das Verhalten der Taliban gegenüber Hazara, die aus dem Iran zurückkehren, verwiesen. Aus der darin auszugsweise zitierten E-Mail-Auskunft von XXXX vom XXXX gehe unter anderem hervor, dass Hazara, die Zeit im Iran verbracht hätten, aufgrund ihres veränderten Akzents und ihrer Kleidung hervorstechen würden. Sie könnten mit beträchtlichen Herausforderungen bei der Wiederansiedlung und Reintegration in Afghanistan konfrontiert sein. Es sei wahrscheinlich, dass sie einen Akzent sowie einen städtischen bzw. iranischen Lebensstil entwickelt hätten und nur wenig über die sich schnell verändernden sozialen und sicherheitsrelevanten Dynamiken in Afghanistan wissen würden. Dies könne sie einer großen öffentlichen Aufmerksamkeit und Kontrolle aussetzen, was zu beträchtlichen Herausforderungen in Gebieten, die einem iranischen Einfluss feindlich gegenüberstünden, führen könne. In der in der Beschwerde zitierten E-Mail – Auskunft von XXXX vom XXXX wird ferner auf einen Vorfall Bezug genommen, bei welchem 31 Hazara in Zabul entführt worden seien, als sie sich auf dem Rückweg aus dem Iran befunden hätten. Konkret wurde dazu ausgeführt, es sei nicht bekannt, ob das Motiv für die Tat die Annahme gewesen sei, die Entführten hätten Geld, oder ob die Tat aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit zu den Hazara oder etwa aus politischen Gründen stattgefunden habe.

In der Beschwerde wurde ferner festgehalten, die Behörde sei den vom BF in Bezug auf Afghanistan genannten Verfolgungsgründen nicht näher nachgegangen, sondern habe sich mit der Situation im Iran auseinandergesetzt. Zudem habe sie die Stellungnahme vom XXXX nicht berücksichtigt, sondern habe nur pauschal ausgeführt, dass diese Stellungnahme die von der Behörde getroffenen Länderfeststellungen nicht entkräften habe können. Es sei nicht nachvollziehbar, weshalb die Behörde die darin angeführten Quellen als weniger glaubwürdig erachte. Zudem werde bereits in dieser Stellungnahme auf die Asylrelevanz des Vorbringens des BF hingewiesen. Es sei zu erwarten, dass der BF im Fall der Rückkehr aufgrund der Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara sowie zur schiitischen Glaubensgemeinschaft Verfolgung vonseiten der Taliban sowie des IS ausgesetzt sein werde. Er könne weder Schutz vom afghanischen Staat erhalten, noch könne er in einem anderen Landesteil in Sicherheit leben und eine Existenz aufbauen.

8. Die Beschwerdevorlage langte am XXXX beim Bundesverwaltungsgericht ein.

9. Mit Ladung vom XXXX wurden dem Beschwerdeführer Länderberichte zur Situation in Afghanistan zur Stellungnahme binnen 10 Tagen übermittelt.

10. Am XXXX fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Beschwerdeverhandlung unter Beiziehung einer Dolmetscherin für die Sprache Dari statt. Das Bundesamt verzichtete mit Schreiben vom XXXX auf die Teilnahme an der Verhandlung.

Die Verhandlung nahm im Wesentlichen folgenden Verlauf:

[…]

BF: Momentan geht es mir gut.

R: Nehmen Sie irgendwelche Medikamente?

BF: Ich bin Migräne erkrankt. Ich habe früher Mexalen eingenommen und eine Tablette schickt mir meine Mutter aus dem Iran. Meistens nehme ich diese ein.

[…]

R: Wo sind Sie denn geboren? Bitte geben Sie genau Ihren Geburtsort an.

BF: Ich bin in Teheran geboren.

[…]

R: Geben Sie an, wo Sie von Ihrer Geburt an bis zu Ihrer Ausreise aus dem Iran gelebt haben.

BF: Ich kann mich nicht mehr genau erinnern. Das, was ich mich erinnern kann, ist Teheran, XXXX .

R: Wo waren Sie außer in XXXX von Ihrer Geburt bis zur Ausreise aus dem Iran?

BF: Ich habe nirgendwo anders gelebt. Ich habe ständig in XXXX gelebt.

R: Woher stammt Ihre Familie?

BF: Sie stammen aus Afghanistan, aus XXXX .

R: Wo genau?

BF: Genau weiß ich das nicht. Ich habe das damals auf einen Zettel geschrieben und meinem damaligen Referenten gegeben. Aber ich weiß es jetzt nicht mehr. Soweit ich mich jetzt erinnern kann, war es in XXXX , das war der Stamm. XXXX war, glaube ich, das Dorf.

R: In welchem Distrikt liegt XXXX ?

BF: Ich habe dort gelebt und ich weiß es nicht.

R: Haben Sie mit Ihren Eltern darüber gesprochen, woher Sie stammen? Hat es Sie interessiert, woher Sie genau kommen?

BF: Ich habe nicht viel gefragt.

R: Wie viele Geschwister hat Ihr Vater?

BF: Ich glaube, dass er 4 oder 5 Brüder hat. Er hat keine Schwestern.

R: Was heißt, Sie glauben vier oder fünf?

BF: Weil ich vier davon selbst gesehen habe. Einen von denen habe ich noch nicht gesehen. Ich glaube, dass der Eine, den ich noch nicht gesehen habe, in Australien lebt.

[…]

R: Wie geht es Ihren Familienangehörigen?

BF: Meine Mutter war etwas krank, aber jetzt geht es ihr besser. Vor kurzem war ich im Iran. Ich half ihr wegen des Krankenhausaufenthaltes weiter. Als es ihr besserging, kehrte ich dann zurück.

R: Was heißt „vor kurzem waren Sie im Iran“? Wann war das?

BF: Am 13. März bin ich in den Iran gereist. Am 13. April kehrte ich zurück.

R: Warum sind Sie in den Iran zurückgekehrt?

BF: Weil meine Mutter krank war. Ich habe gedacht, dass ich sie wahrscheinlich nicht mehr sehe.

R: An was ist Ihre Mutter erkrankt gewesen?

BF: Meine Mutter hat, so wie ich, Migräne. Sie kann auch nicht wirklich gut sehen.

R: Seit wann?

BF: Seit ein oder zwei Jahren hat sie Migräne. Ihr Gesundheitszustand hat sich verschlechtert.

R: Wie viele Geschwister haben Sie?

BF: Ich habe eine Schwester und einen Bruder. Sie sind jünger als ich.

R: Wie heißt der Bruder und die Schwester? Wie alt sind sie?

BF: Mein Bruder heißt XXXX . Er ist 18 Jahre alt. Meine Schwester heißt XXXX . Sie ist 15 Jahre alt.

R: Was arbeitet Ihr Bruder?

BF: In einer Wäscherei.

R: Was macht er da genau?

BF: Er wäscht dort die Wäsche und färbt.

R: Was ist mit Ihrem Vater?

BF: Mein Vater arbeitet auch dort gemeinsam mit meinem Bruder. Eigentlich hilft mein Bruder meinem Vater.

R: Woher stammt Ihre Mutter?

BF: Sie stammt auch aus XXXX .

R: Woher genau?

BF: Auch aus XXXX . Sie stammt aus einem anderen Dorf, ich glaube es heißt XXXX .

R: Seit wann ist Ihr Vater im Iran?

BF: Das weiß ich nicht. Ich habe ihn auch nie gefragt.

R: Seit wann ist Ihre Mutter im Iran?

BF: Wenn ich es nicht von meinem Vater weiß, dann weiß ich es auch von meiner Mutter nicht.

R: Waren Ihr Vater bzw. Ihre Mutter in der Zeit, in der sie im Iran gelebt haben, zwischenzeitig in Afghanistan?

BF: Nein.

R: Wissen Sie, warum Ihr Vater von Afghanistan in den Iran gegangen ist?

BF: Mein Vater war ein Soldat. Damals, glaube ich, als der „Russenkrieg“ in Afghanistan herrschte, glaube ich, fühlte er sich nicht mehr sicher. Aus diesem Grund ging er in den Iran.

R: Wissen Sie, warum Ihre Mutter von Afghanistan in den Iran gegangen ist?

BF: Nein.

R: Haben Sie mit Ihrer Mutter jemals darüber gesprochen, was ihr Beweggrund war, dass sie Afghanistan verlassen hat?

BF: Nein. Ich habe sie nicht gefragt. Meine Mutter hatte niemanden dort.

R: Was heißt, Ihre Mutter hatte niemanden dort?

BF: Weil ich noch nie Verwandte meiner Mutter gesehen habe. Als sie dann geheiratet hat, hatte sie nur meinen Vater.

R: Wo hat Ihr Vater in Afghanistan gelebt (Wohnung, Haus)?

BF: Ich weiß es nicht.

R: Wo hat Ihre Mutter gelebt? Wo war Ihre Mutter untergebracht?

BF: Ich habe keine Information darüber. Ich weiß es nicht.

R: Hat Ihr Vater irgendwelche Grundstücke oder dergleichen in Afghanistan gehabt?

BF: Das weiß ich nicht. Ich habe ihn nicht gefragt.

R: Haben Sie mit Ihren Eltern jemals darüber gesprochen, wie die Gegebenheiten für Ihre Eltern in Afghanistan waren und unter welchen Umständen sie dort gelebt haben?

BF: Ich war im Iran so beschäftigt mit der Arbeit und dem Leben im Iran, dass ich diese Fragen meinen Eltern nicht gestellt habe.

R: Wie lange haben Sie im Iran gelebt?

BF: Ich bin dort aufgewachsen und geboren, ca. 15/16 Jahre. Dann bin ich nach Österreich gereist.

R: In welchem Jahr haben Sie den Iran verlassen?

BF: XXXX .

R: Hat es einen Grund gegeben, warum Sie den Iran verlassen haben?

BF: Ja. Ich hatte dort keine Aufenthalts- und keine Arbeitsgenehmigung. Ich war gezwungen, ständig mit dem Auto zur Arbeit zu fahren und mit dem Auto zurück von der Arbeit zu fahren. Ich durfte mich nicht auf der Straße bewegen.

R: Haben Ihre Eltern bzw. Ihre Geschwister eine Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigung?

BF: Ja. Im Moment schon. Sie haben das erst später nach der Neuregelung bekommen.

R: Wann?

BF: In den letzten paar Jahren, ich war nicht mehr dort.

R: Warum sind Ihre Eltern bzw. Geschwister nicht gleichzeitig mit Ihnen ausgereist, wenn sie über keine Aufenthalts- und keine Arbeitsgenehmigung verfügt haben, wie Sie?

BF: Weil es finanziell nicht möglich war. Wir hatten das Geld nicht.

R: Als was haben Sie gearbeitet?

BF: Meistens habe ich als Installateur auf Baustellen gearbeitet.

R: Haben Sie diesen Beruf erlernt und wie lange haben Sie diesen Beruf erlernt?

BF: Diese Arbeit habe ich nicht alleine durchgeführt. Ich war als Installateur-Gehilfe tätig in diesem Bereich. 2 Jahre habe ich in diesem Bereich gearbeitet. Aber ich habe nicht nur diese Arbeit gemacht. Ich kann mich nicht erinnern, was ich genau gemacht habe. Auch in der Fabrik, Wäscherei, dort wo mein Bruder und mein Vater gearbeitet haben und auch in einer Schneiderei.

R: Warum ist seinerzeit aus dem Iran nicht Ihr Vater ausgereist und sind Sie nicht im Iran verblieben?

BF: Mein Vater hatte die Verantwortung für meine Geschwister und für meine Mutter.

R: Schicken Sie Geld in den Iran?

BF: Nein.

R: Waren Sie während Ihres Aufenthaltes im Iran zwischenzeitig auch einmal in Afghanistan?

BF: Nein.

R: Was würden Sie hypothetisch befürchten, wenn Sie nach Afghanistan zurück müssten?

BF: Ich möchte gar nicht nach Afghanistan. Ich bin bereit überall hinzugehen, aber nicht nach Afghanistan.

R wiederholt die Frage.

BF: Wir sind Hazara. Afghanistan ist ein sehr schlechter Ort für Hazara. Früher gab es nur die Taliban. Jetzt gibt es noch die andere Gruppierung namens IS. Wenn die Taliban- oder IS-Mitglieder die Hazara in die Finger bekommen, enthaupten sie sie. Ich bin nicht lebensmüde, um dorthin zu kehren.

R: Haben Sie an den BF Fragen?

BFV: Haben Sie im Iran Erfahrungen mit der Polizei gehabt?

BF: Viermal habe ich Erfahrungen mit der Polizei gemacht.

R: Wann waren diese viermal Erfahrungen, in welchem Zeitraum?

BF: In den letzten zwei Jahren, wo ich mich im Iran aufgehalten habe. Das letzte Mal, als die Polizei mich aufhielt und ich mit der Polizei diskutierte und ihnen davonlaufen wollte, hat die Polizei mich mit einem langen Stock auf den Handknöchel geschlagen und mir dadurch die Knochen gebrochen. 4-6 Monate war meine Hand im Gips. Einmal hatte ich es eingipsen lassen. Das hat dann nicht funktioniert. Dann wurde es erneut eingegipst.

R: Was war der seinerzeitige Auslöser, dass Sie den Iran verlassen haben?

BF: Aus dem Grund des letzten Vorfalles und auch aus diesem Grund, dass Afghanen im Iran nichts bedeuten und keine Rechte haben. Im Iran geht man mit Afghanen wie mit Tieren um.

BFV: Kennen Sie jemanden in Afghanistan, Familie, Freunde?

BF: Nein.

BFV: Wenn Sie sich Ihr aktuelles Erscheinungsbild vor Augen halten, mit der Lebensweise in Afghanistan, welches Sie möglicherweise von Bekannten oder Freunden wissen, vergleichen, könnten Sie sich vorstellen, in Afghanistan weiter so zu leben?

BF: So wie ich jetzt lebe und bin und so wie mein Erscheinungsbild jetzt ist, nein. In Afghanistan färben die Burschen die Haare nicht. Ich mag das sehr und ich mache es. Ich trage Ohrstecker. In Afghanistan ist das nicht möglich.

BFV: Wie halten Sie es mit der Religion? Was hat Religion für eine Bedeutung für Sie?

BF: Ich habe keine Religion. Ich mag Religion nicht. Das Einzige was für mich zählt, ist die Menschlichkeit.

R: Welcher Religion gehören Sie an?

BF: Ich hatte keine Religion, meine Eltern sind Schiiten. Ich hatte mit dieser Religion von Anfang an, „nichts am Hut“.

R: Was heißt von Anfang an?

BF: Die Religion sagt, dass man ab dem 14 Lebensjahr fasten und beten soll. Ich habe weder gefastet, noch gebetet. Ich habe mich an keine Regeln der Religion gehalten. Ich habe stets das gemacht, was ich wollte. Ich habe bis jetzt noch nie gebetet. Ich habe mich tätowiert. Ich trug Ohrringe bzw. Ohrstecker bzw. färbte meine Haare. Das alles war nicht im Einklang mit der Religion dort.

R: Welcher Religion?

BF: Eigentlich gar keine.

R: Sie haben gesagt, ich habe mich an keine Regeln der Religion gehalten. Welche Religion meinen Sie?

BF: Die der Schiiten.

R: Wo steht das, das das nicht im Einklang mit der Religion ist?

BF: Das steht im Koran.

R: Wo im Koran?

BF: Diesen habe ich noch nie gelesen. Ich bin wegen der Tätowierung an meiner Hand von der Polizei zweimal geschlagen worden.

R: Wie hält es denn Ihre Familie mit der Religion?

BF: Meine Familie ist religiös.

R: Wie hat Ihr Vater reagiert hinsichtlich Ihrer Einstellung?

BF: Am Anfang war er damit nicht einverstanden, mit meiner Einstellung, jetzt versteht er sich mit mir.

R: Was heißt am Anfang war er damit nicht einverstanden? Zu welcher Zeit?

BF: Bis ca. zum 14/15. Lebensjahr war er mit meiner Einstellung nicht einverstanden.

R: Warum ist er jetzt damit einverstanden?

BF: Weil wir momentan zusammen nicht leben.

R: Sie haben gesagt, Sie sind wieder in den Iran zurückgereist.

BF: Sie haben mitbekommen, dass ich selbständig bin, aber trotzdem meine Eltern respektiere. Aus diesem Grund haben sie sich nicht mit religiösen Sachen mit mir auseinandergesetzt.

R: Sind Ihre Eltern religiös und Schiiten?

BF: Ja.

R: Möchten Sie eine Stellungnahme abgeben?

BFV: Wie sämtliche einschlägige Länderberichte belegen, handelt es sich bei der Herkunftsprovinz der Eltern des BF (Maidan Wardak), um eine der gefährlichsten Provinzen Afghanistans (siehe z.B. LIB, zuletzt aktualisiert am 26.03.2019, S 244). In weiteren aktuellen Berichten wird insbesondere XXXX ausdrücklich erwähnt (siehe EASO-Country Guidance-Note, S 91), sowie BFA-Staatendokumentation: Anfragebeantwortung Afghanistan vom 27.12.2018, Provinz Maidan Wardak/Distrikt Jalrez, S 15).

Zudem ist sämtlichen Länderberichten zu entnehmen, dass auch die allgemeine Sicherheitslage in ganz Afghanistan weiterhin äußerst volatil bleibt.

Der BF war noch nie in Afghanistan und verfügt über keinerlei familiäre und soziale Anknüpfungspunkte. Im Falle einer theoretischen Außerlandesbringung nach Afghanistan würde er mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit als „verwestlichter“ Rückkehrer wahrgenommen werden und dadurch ein in den aktualisierten Richtlinien von UNHCR zum Schutzbedarf afghanischer Asylsuchender vom August 2018 erwähntes Risikoprofil (S 52f, 55) erfüllen: Der BF ist tätowiert, trägt gefärbte Haare und Ohrringe. Er ist westlich gekleidet. Auch sein iranischer Akzent macht ihn als eine Person erkennbar, die noch nie in Afghanistan gelebt hat. Zudem führt der BF ein unreligiöses Leben, das er nicht erst in Österreich begonnen hat, sondern das schon im Iran angelegt war. Dass eine gefestigte a-religiöse Überzeugung in Afghanistan als Apostasie gelten würde, und a-religiöse Afghanen in ihrem Herkunftsland mit Gewalt durch staatliche Stellen, sowie durch Privatpersonen rechnen müssten, wurde zuletzt auch vom BVwG bestätigt (BVwG vom 17.07.2018, W265 2173684-1).

R: Festgestellt wird vom Gericht, dass der BF ein normales Hemd trägt und eine normale Hose.

[…]

11. Mit Verfahrensanordnung vom XXXX wurden dem BF Berichte zur allgemeinen Situation in Afghanistan sowie eine ACCORD-Anfragebeantwortung vom 02.05.2017 betreffend Apostasie in Afghanistan und eine Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 16.03.2018 zu Tattoo-Studios in Kabul zur Stellungnahme binnen 10 Tagen übermittelt.

12. Mit Stellungnahme vom XXXX brachte der BF im Wege seiner Vertretung zusammengefasst vor, dass der Vater des BF vor vier Monaten verstorben sei und seine sonstigen Angehörigen nach wie vor im Iran leben würden. In der Folge wurde zu den Auswirkungen der Covid-19-Pandemie auf die Lebensbedingungen in Afghanistan sowie zur allgemeinen Sicherheits- und Versorgungslage in den Städten Mazar-e Sharif und Herat Stellung bezogen. Ferner wurde auf die prekäre Situation von Rückkehrenden hingewiesen. Abschließend wurde gefolgert, dass das BVwG in mehreren rezenten Erkenntnissen aufgrund der aktuellen Situation hinsichtlich der Covid-19-Pandemie Beschwerden gegen die Aberkennung von subsidiärem Schutz stattgegeben sowie subsidiären Schutz zuerkannt habe. Hinsichtlich der weiteren Berichte werde auf die Beschwerde sowie die Stellungnahme und das Vorbringen in der Verhandlung verwiesen.

13. Mit Ladung vom XXXX wurde dem BF das aktuelle Länderinformationsblatt Afghanistan mit letzter Kurzinformation vom 21.07.2020 zur Stellungnahme binnen 10 Tagen übermittelt.

14. Am XXXX fand eine weitere mündliche Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht unter Beiziehung einer Dolmetscherin für die Sprache Dari sowie in Anwesenheit der Vertretung des BF statt. Das Bundesamt verzichtete mit Schreiben vom XXXX auf die Teilnahme an der Beschwerdeverhandlung.

Die Verhandlung nahm im Wesentlichen folgenden Verlauf:

[…]

BF: Ich habe grundsätzlich Migräne. Ich führe immer Schmerztabletten bei mir, aber heute geht es mir gut und kann der VH folgen.

[…]

R: Bleiben Sie bei den Angaben, die Sie beim BFA, bei der Polizei und bisher auch beim BVwG angegeben haben. Entsprechen diese der Wahrheit?

BF: Ja.

[…]

R: Sie haben bei der letzten VH am XXXX gesagt, Sie hätten einen Bruder. Wie alt ist Ihr Bruder?

BF: Jetzt ist er 19 Jahre alt.

R: Wann ist er geboren?

BF: Das Geburtsdatum kenne ich nicht. Voriges Jahr war er 18.

R: Wann ist er 19 geworden?

BF: Ca. Ende des Jahres. Jetzt müsste er 19 geworden sein. Soweit ich weiß, müsste er jetzt 19 sein, genau weiß ich es nicht.

R: Warum ist Ihr Bruder seinerzeit nicht mit Ihnen mitgereist?

BF: Er ist jünger als ich gewesen. Er leidet ebenfalls an Migräne und ich war auch nicht sonderlich erwachsen. Es war für mich auch schwer die Verantwortung für ihn zu übernehmen. Abgesehen davon konnten wir uns das finanziell nicht leisten.

R: Wie geht es Ihren Eltern?

BF: Mein Vater lebt nicht mehr. Meiner Mutter geht es nicht gut. Es geht von Tag zu Tag schlechter.

R: Wann ist Ihr Vater gestorben?

BF: Vor ca. 9 oder 10 Monaten.

R: An welcher Krankheit oder welchem Ereignis?

BF: Mein Vater war am Anfang etwas verkühlt. Dann hat er schwer Luft bekommen und kam ins Krankenhaus. Man hat dort festgestellt, dass seine Lungen nicht mehr gut funktionieren würden. Er bekam Sauerstoff und starb im Krankenhaus.

R: Wie geht es Ihren Geschwistern?

BF: Meiner Schwester geht es gesundheitlich gut. Sie ist zu Hause bei meiner Mutter. Wie gesagt, mein Bruder leidet an Migräne und hat auch Rückenschmerzen. Er kann nicht immer arbeiten. Manchmal geht er arbeiten und manchmal schafft er es nicht.

R: Wann hatten Sie das letzte Mal mit Ihren Familienangehörigen Kontakt?

BF: Gestern. Ich rede mit ihnen täglich.

R: Was war der Inhalt des Gespräches?

BF: Über alles. Es gibt keine bestimmten Themen. Seitdem mein Vater verstorben ist, fühlt sich meine Mutter sehr alleine und ruft mich täglich an. Wir sprechen über alles.

R: Was war das Thema bzw. der Inhalt des gestrigen Gespräches?

BF: Es war ein ganz normales Gespräch. Sie hat gesagt, ich soll auf mich aufpassen und wegen Corona die Masken tragen. Nichts Besonderes.

R: Sie haben mir beim letzten Mal erklärt und gesagt, dass Ihr Vater in einer Wäscherei gearbeitet hat, hat Ihr Vater im Iran eine Aufenthaltsgenehmigung gehabt?

BF: Früher hatten sie nichts, aber wie ich damals gesagt habe, in den letzten drei Jahren, die ich in Österreich gelebt habe, haben sie eine bekommen. Sie haben die Strafen von früher bezahlt und diese Genehmigung bekommen.

R: Wieso haben sie vor drei Jahren eine Genehmigung bekommen?

BF: Mein Vater hatte sich das finanziell nicht leisten können. Er hat Geld benötigt.

R: Wie ist er dann zu mehr Geld bekommen, dass er sich das leisten hat können?
BF: Mein Bruder hat dann auch gearbeitet. So haben sie das gespart.

R: Wieso konnten Sie sich vorher nichts ersparen, als Sie auch noch dort waren und gearbeitet haben?

BF: Damals im Iran habe ich auch gearbeitet. Ich habe nicht so viel gearbeitet, dass wir sparen konnten. Wir konnten mit dem Einkommen, dass wir damals hatten den Lebensunterhalt erhalten. Ich bin mit dem Auto zur Arbeit gefahren und wieder nach Hause. Ich habe mich nicht auf den Straßen aufhalten können. Ich habe mich mit der Arbeit, die ich damals verrichtet habe zufriedengegeben, obwohl ich wenig verdient habe, weil ich keine andere Wahl hatte.

R: Hat Ihr Bruder dann mehr als Sie gearbeitet, dass so viel Geld zur Seite gelegt werden konnte?

BF: Sein Lohn wurde bei der Arbeit erhöht. Mein Bruder und mein Vater haben gemeinsam gearbeitet. Wenn sie mehr Überstunden gemacht haben, haben sie auch mehr verdient. So hatten sie sparen können. Abgesehen davon, waren nur vier Personen. Ich war nicht mehr dort.

R: Haben Sie in der Wäscherei gearbeitet?

BF: Eine Zeitlang.

R: In derselben Wäscherei wie Ihr Vater und Ihr Bruder?

BF: Ja.

R: Verfügt Ihr Bruder über eine Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigung?

BF: Mein Bruder hat eine Aufenthaltsgenehmigung aber keine Arbeitsgenehmigung. Mein Bruder hat mehr oder weniger, wo mein Vater aktiv war, ausgeholfen. Seitdem mein Vater verstorben ist, arbeitet er dort fix. Er kann nicht so viel arbeiten, weil er nicht ganz gesund ist. Er kann z.B. 2-3 kg nicht heben.

R: Arbeitet Ihre Mutter?

BF: Nein.

R: Sie haben mir beim letzten Mal gesagt, dass Sie wieder im Iran gewesen sind, als Sie schon in Österreich gewesen sind. Wann war das? Wann sind Sie in den Iran gereist?

BF: Am XXXX in den Iran gereist. Nachgefragt welchen Jahres gibt der BF an: Ich glaube das war im Jahr XXXX . Am XXXX . Bin ich eingereist und am XXXX wieder ausgereist. Nachgefragt, welchen Jahres der BF ausgereist ist gibt dieser an, es nicht genau zu wissen. Er vermutet XXXX .

R: Sind Sie danach nochmal im Iran gewesen?

BF: Nein.

R: Mit welchem Reisedokument sind Sie im Iran eingereist?

BF: Ich bin zum BFA gegangen und habe einen Antrag gestellt und habe einen Reisepass ausgestellt bekommen.


R: Mit welchem Reisedokument sind Sie in den Iran gereist?

BF: Ich habe es mit.

BF zeigt einen neuen Pass vor.

R: Wo ist der alte?

BF: Der war abgelaufen und den habe ich dann abgegeben.

R: Bringen Sie mir bitte innerhalb einer Woche die Kopie des alten Reisepasses.

R: Haben Sie für die seinerzeitige Einreise im Jahr XXXX ein Visum benötigt für den Iran?

BF: Ja.

R: Wie lange wurde Ihnen dieser ausgestellt?

BF: Ich glaube es war für drei Monate ausgestellt. Ich war aber nur einen Monat im Iran.

R: Haben Sie über einen Aufenthaltstitel im Iran verfügt?

BF: Nein.

R: Warum war es für Sie nicht möglich, aber für Ihre übrigen Familienmitglieder schon?

BF: Ich war in Österreich als sie diese bekommen haben.

R: Warum war es für Sie nicht möglich, einen Aufenthaltstitel zu bekommen?

BF: Damals hatten wir diese Möglichkeiten ja nicht gehabt.

R: Was war der eigentliche Anlass, dass Sie den Iran verlassen haben?

BF: Mein Verhalten, mein Aussehen, mein Stil mich zu kleiden war dort nicht im Iran akzeptabel und ich habe mich dort wie im Gefängnis gefühlt. Abgesehen davon habe ich dort keine Rechte als Afghane. Ich dürfte nicht einmal mit meinem Namen eine SIM Karte fürs Handy kaufen. Der Iran geht mit den Afghanen wie mit Tieren um. Wenn ich die Möglichkeit hätte ein normales Leben zu führen, wäre ich nie ausgereist.

R: Warum sind Sie denn dann wieder in ein solches Land, wie Sie es mir beschrieben haben wieder eingereist, wenn es für Sie so ein schreckliches Land ist?

BF: Es ist richtig. Ich bin in den Iran gereist, weil es meiner Mutter sehr schlecht ging und ich hatte Angst sie zu verlieren. Ich wollte sie ein letztes Mal sehen. Sie war damals im Krankenhaus.

R: Hätten Sie zu diesem Zeitpunkt, da die finanzielle Lage Ihrer Familie besser war, das mit einem Aufenthaltstitel im Iran regeln können?

BF: Wenn ich eine Aufenthaltsgenehmigung bekommen hätte, wäre ich nicht ausgereist.

R: Sie waren dann wieder im Iran. Frage wird wiederholt.

BF: Das weiß ich nicht, darüber habe ich mich nicht informiert. Ich war nur dort um meine Mutter zu sehen.

R: Hat es bei der Einreise im Iran Probleme gegeben?

BF: Ja.

R: Welcher Art?

BF: Ja ich bin bei dieser Reise in den Iran von XXXX nach Teheran gereist, um meine Freunde zu besuchen. Auf dem Weg dorthin bin ich der Polizei aufgefallen, weil meine Haare gefärbt waren und ich hatte sie gestylt und hatte auch Ohrringe. Die Polizisten riefen mit dem Satz „Komm her Afghane“. Ich bin stehen geblieben und bin dann zu ihnen gegangen und zeigte ihnen meinen österreichischen Reisepass. Nachdem sie meinen Reisepass gesehen haben, behandelten sie mich wie einen anderen Menschen. Ich habe vergessen, dass ich Afghane bin. Sie haben mir sogar respektvoll den Weg gezeigt, nur, weil ich einen anderen Pass hatte.

R: Hatten Sie sonst noch während Ihres Aufenthaltes Probleme?

BF: Nein, abgesehen davon, dass ich kurz aufgehalten worden bin.

R: Wie bestreiten Sie derzeit Ihren Lebensunterhalt?

BF: Ich arbeite bei einer Firma, dort läuft es so, dass man einmal drei Monate arbeitet und dann noch einmal drei Monate. Ich bin derzeit bei der zweiten dreimonatigen Frist. In einem Monat sind die drei Monate zu Ende. Dann habe ich die sechs Monate und dann beginnen wieder diese drei Monate.

R: Wie heißt diese Firma?

BF: XXXX .

R: Was stellt diese her?

BF: Es ist eine Metallfirma. Schienen für Schränke usw. werden dort hergestellt.

[…]

R: Wurden in Ihrer Familie religiöse Feste zelebriert?

BF: Ja, klar, ich nicht.

R: Waren Sie bei diesen Festen miteingebunden?

BF: Meine Familie hat diese Feste wo anders gefeiert. Ich war immer zu Hause.

R an RV: Haben Sie Fragen?

RV: Nein danke.

R an RV: Wollen Sie eine Stellungnahme abgeben?

RV: Ich möchte auf den bereits eingegangenen Stellungnahmen verweisen, insofern den gestellten Antrag aufrechterhalten.

[…]

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des BF

1.1.1. Der nunmehr volljährige BF ist afghanischer Staatsangehöriger und gehört der Volksgruppe der Hazara an. Seine Erstsprache ist Dari. Am XXXX stellte er nach unrechtmäßiger Einreise in das österreichische Bundesgebiet einen Antrag auf internationalen Schutz. Mit Bescheid vom XXXX wurde dem BF der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt.

Die Eltern des BF stammen aus der afghanischen Provinz Wardak und haben den Herkunftsstaat zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt vor der Geburt des BF verlassen. Der BF weist kein Naheverhältnis zu einer afghanischen Provinz auf. Er ist in Teheran geboren und hat bis zu seiner Ausreise im Jahr XXXX gemeinsam mit seiner Familie im Iran gewohnt. Er ist sohin im afghanischen Familienverband sozialisiert worden und ist mit den afghanischen Traditionen und Gepflogenheiten vertraut.

Der Vater des BF ist bereits verstorben. Seine Mutter und seine Geschwister leben nach wie vor in Teheran. In Afghanistan verfügt er über keine familiären oder sonstigen sozialen Anknüpfungspunkte.

In Österreich ist der BF unbescholten.

1.1.2. Der BF ist als schiitischer Muslim geboren und sozialisiert worden. Er ist nach wie vor schiitischer Muslim, hält sich jedoch nicht an sämtliche religiöse Vorschriften, wie beispielsweise regelmäßiges Beten und Fasten.

Die reale Gefahr einer Verfolgung aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara und/oder seines schiitischen Glaubensbekenntnisses besteht für den BF nicht.

Der BF trägt gefärbte Haare, Ohrringe sowie eine Tätowierung. Sein äußeres Erscheinungsbild ist nicht auf eine verinnerlichte Weltanschauung zurückzuführen. Er hat ebenso wenig glaubhaft gemacht, dass er im Iran oder in Österreich eine Lebensführung oder Haltung verinnerlicht hat, die den sozialen und kulturellen Gepflogenheiten Afghanistans in einem solchen Ausmaß zuwiderläuft, sodass für ihn im Fall seiner (hypothetischen) Rückkehr nach Afghanistan das reale Risiko einer Verfolgung besteht.

Es nicht wahrscheinlich, dass dem BF bloß aufgrund seines Aufenthalts in Europa und/oder im Iran der Abfall vom Glauben oder eine feindliche politische Gesinnung unterstellt wird. Im Übrigen besteht für den BF kein reales Risiko, im Fall seiner (hypothetischen) Rückkehr zwangsrekrutiert zu werden.

Es kann sohin insgesamt nicht festgestellt werden, dass der BF aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität oder der Zugehörigkeit zu einer Volksgruppe oder zu einer sozialen Gruppe von staatlicher Seite oder von privaten Dritten verfolgt wird.

1.2. Zur allgemeinen politischen und menschenrechtlichen Situation in Afghanistan wird Folgendes festgestellt:

1.2.1. Auszüge aus dem Länderinformationsblatt Afghanistan mit letzter Kurzinformation vom 21.07.2020

Sicherheitslage

[…]

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil (UNGASC 17.3.2019). Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die wichtigsten Bevölkerungszentren und Transitrouten sowie Provinzhauptstädte und die meisten Distriktzentren. Nichtsdestotrotz, hat die afghanische Regierung wichtige Transitrouten verloren (USDOD 12.2019).

Der Konflikt in Afghanistan befindet sich nach wie vor in einer "strategischen Pattsituation", die nur durch Verhandlungen zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban gelöst werden kann (SIGAR 30.1.2020). Die afghanische Regierung führte zum ersten Mal persönliche Gespräche mit den Taliban, inhaltlich wurde über den Austausch tausender Gefangener verhandelt; bis dahin hatten die beiden Seiten sich nur per Videokonferenz unterhalten (BBC 1.4.2020). Ein erster Schritt Richtung inner-afghanischer Verhandlungen, welcher Teil eines zwischen Taliban und US-Amerikanern unterzeichneten Abkommens ist (TD 2.4.2020). Die Gespräche fanden vor dem Hintergrund anhaltender Gewalt im Land statt (BBC 1.4.2020).

Für den Berichtszeitraum 8.11.2019-6.2.2020 verzeichnete die UNAMA 4.907 sicherheitsrelevante Vorfälle – ähnlich dem Vorjahreswert. Die Sicherheitslage blieb nach wie vor volatil. Die höchste Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle wurden in der südlichen Region, gefolgt von den nördlichen und östlichen Regionen, registriert, die alle samt 68% der Zwischenfälle ausmachten. Die aktivsten Konfliktregionen waren in den Provinzen Kandahar, Helmand, Nangarhar und Balkh zu finden. Entsprechend saisonaler Trends, gingen die Kämpfe in den Wintermonaten – Ende 2019 und Anfang 2020 – zurück (UNGASC 17.3.2020).

Die Sicherheitslage im Jahr 2019

Die geographische Verteilung aufständischer Aktivitäten innerhalb Afghanistans blieb, im Vergleich der beiden Jahre 2018 und 2019, weitgehend konstant. Im Jahr 2019 fanden auch weiterhin im Süden und Westen Afghanistans weiterhin schwere Kampfhandlungen statt; feindliche Aktivitäten nahmen zu und breiteten sich in größeren Gebieten des Nordens und Ostens aus. Der Resolute Support (RS) Mision (seit 2015 die Unterstützungsmission der NATO in Afghanistan) zufolge, waren für das Jahr 2019 29.083 feindlich-initiierte Angriffe landesweit zu verzeichnen. Im Gegensatz waren es im Jahr 2018 27.417 (SIGAR 30.1.2020). Mit einer hohen Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen – speziell in den südlichen, nördlichen und östlichen Regionen – blieb die Sicherheitslage vorerst volatil, bevor ein Zeitraum der Reduzierung der Gewalt registriert werden konnte. Die UNAMA (Hilfsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan) registrierte für das gesamte Jahr 2019 10.392 zivile Opfer, was einem Rückgang von 5% gegenüber 2018 entspricht (UNGASC 17.3.2020).

Seit Ende des Jahres 2019 haben Angriffe durch regierungsfeindliche Elemente erheblich zugenommen. Im September 2019 fanden die afghanischen Präsidentschaftswahlen statt, in diesem Monat wurde auch die höchste Anzahl feindlicher Angriffe eines einzelnen Monats seit Juni 2012 und die höchste Anzahl effektiver feindlicher Angriffe seit Beginn der Aufzeichnung der RS-Mission im Januar 2010 registriert. Dieses Ausmaß an Gewalt setzte sich auch nach den Präsidentschaftswahlen fort, denn im Oktober 2019 wurde die zweithöchste Anzahl feindlicher Angriffe in einem Monat seit Juli 2013 dokumentiert. Betrachtet man jedoch das Jahr 2019 in dessen Gesamtheit, so waren scheinbar feindliche Angriffe, seit Anfang des Jahres, im Zuge der laufenden Friedensgespräche zurückgegangen. Nichtsdestotrotz führte ein turbulentes letztes Halbjahr zu verstärkten Angriffen feindlicher Elemente von insgesamt 6% und effektiver Angriffe von 4% im Jahr 2019 im Vergleich zu den bereits hohen Werten des Jahres 2018 (SIGAR 30.1.2020).

Zivile Opfer

Für das Jahr 2019 registrierte die Hilfsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UNAMA) als Folge des bewaffneten Konflikts 10.392 zivile Opfer (3.403 Tote und 6.989 Verletzte), was einen Rückgang um 5% gegenüber dem Vorjahr, aber auch die niedrigste Anzahl an zivilen Opfern seit dem Jahr 2013 bedeutet. Nachdem die Anzahl der durch ISKP verursachten zivilen Opfer zurückgegangen war, konnte ein Rückgang aller zivilen Opfer registriert werden, wenngleich die Anzahl ziviler Opfer speziell durch Taliban und internationale Streitkräfte zugenommen hatte. Im Laufe des Jahres 2019 war das Gewaltniveau erheblichen Schwankungen unterworfen, was auf Erfolge und Misserfolge im Rahmen der Friedensverhandlungen zwischen Taliban und den US-Amerikanern zurückzuführen war. In der ersten Jahreshälfte 2019 kam es zu intensiven Luftangriffen durch die internationalen Streitkräfte und Suchaktionen der afghanischen Streitkräfte – insbesondere der Spezialkräfte des afghanischen Geheimdienstes NDS (National Directorate of Security Special Forces) (UNAMA 2.2020).

Aufgrund der Suchaktionen der afghanischen Streitkräfte, gab es zur Jahresmitte mehr zivile Opfer durch regierungsfreundliche Truppen als durch regierungsfeindliche Truppen. Das dritte Quartal des Jahres 2019 registrierte die höchste Anzahl an zivilen Opfern seit 2009, was hauptsächlich auf verstärkte Anzahl von Angriffen durch Selbstmordattentäter und IEDs (improvisierte Sprengsätze) der regierungsfeindlichen Seite – insbesondere der Taliban – sowie auf Gewalt in Zusammenhang mit den Präsidentschaftswahlen zurückzuführen ist. Das vierte Quartal 2019 verzeichnete, im Vergleich zum Jahr 2018, eine geringere Anzahl an zivilen Opfern; wenngleich sich deren Anzahl durch Luftangriffe, Suchoperationen und IEDs seit dem Jahr 2015 auf einem Rekordniveau befand (UNAMA 2.2020).

[…]

Die RS-Mission sammelt ebenfalls Informationen zu zivilen Opfern in Afghanistan, die sich gegenüber der Datensammlung der UNAMA unterscheiden, da die RS-Mission Zugang zu einem breiteren Spektrum an forensischen Daten und Quellen hat. Der RS-Mission zufolge, ist im Jahr 2019 die Anzahl ziviler Opfer in den meisten Provinzen (19 von 34) im Vergleich zum Jahr 2018 gestiegen; auch haben sich die Schwerpunkte verschoben. So verzeichneten die Provinzen Kabul und Nangarhar weiterhin die höchste Anzahl ziviler Opfer. Im letzten Quartal schrieb die RS-Mission 91% ziviler Opfer regierungsfeindlichen Kräften zu (29% wurden den Taliban zugeschrieben, 11% ISKP, 4% dem Haqqani-Netzwerk und 47% unbekannten Aufständischen). 4% wurden regierungsnahen/-freundlichen Kräften zugeschrieben (3% der ANDSF und 1% den Koalitionskräften), während 5% anderen oder unbekannten Kräften zugeschrieben wurden. Diese Prozentsätze entsprechen in etwa den RS-Opferzahlen für Anfang 2019. Als Hauptursache für zivile Opfer waren weiterhin improvisierte Sprengsätze (43%), gefolgt von direkten (25%) und indirekten Beschüssen (5%) verantwortlich – dies war auch schon zu Beginn des Jahres 2019 der Fall (SIGAR 30.1.2020).

High-Profile Angriffe (HPAs)

Sowohl in den ersten fünf Monaten 2019, als auch im letzten Halbjahr 2019 führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele aus, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen (USDOD 12.2019; vgl. USDOD 6.2019). Das Haqqani-Netzwerk führte von September bis zum Ende des Berichtszeitraums keine HPA in der Hauptstadtregion durch. Die Gesamtzahl der öffentlichkeitswirksamen Angriffe ist sowohl in Kabul als auch im ganzen Land in den letzten anderthalb Jahren stetig zurückgegangen (USDOD 12.2019). Zwischen 1.6.2019 und 31.10.2019 fanden 19 HPAs in Kabul statt (Vorjahreswert: 17) (USDOD 12.2019), landesweit betrug die Zahl 88 (USDOD 12.2019).

Öffentlichkeitswirksame Angriffe durch regierungsfeindliche Elemente setzten sich im Berichtszeitraum (8.11.2019-6.2.2020) fort: 8 Selbstmordanschläge wurden verzeichnet; im Berichtszeitraum davor (9.8.-7.11.2019) wurden 31 und im Vergleichszeitraum des Vorjahres 12 Selbstmordanschläge verzeichnet. Der Großteil der Anschläge richtetet sich gegen die ANDSF (afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte) und die internationalen Streitkräfte; dazu zählte ein komplexer Angriff der Taliban auf den Militärflughafen Bagram im Dezember 2019. Im Februar 2020 kam es in Provinz Nangarhar zu einem sogenannten „green-on-blue-attack“: der Angreifer trug die Uniform der afghanischen Nationalarmee und eröffnete das Feuer auf internationale Streitkräfte, dabei wurden zwei US-Soldaten und ein Soldat der afghanischen Nationalarmee getötet. Zu einem weiteren Selbstmordanschlag auf eine Militärakademie kam es ebenso im Februar in der Stadt Kabul; bei diesem Angriff wurden mindestens 6 Personen getötet und mehr als 10 verwundet (UNGASC 17.3.2020). Dieser Großangriff beendete mehrere Monate relativer Ruhe in der afghanischen Hauptstadt (DS 11.2.2020; vgl. UNGASC 17.3.2020).

Die Taliban setzten außerdem improvisierte Sprengkörper in Selbstmordfahrzeugen gegen Einrichtungen der ANDSF in den Provinzen Kandahar, Helmand und Balkh ein (UNGASC 17.3.2020).

Anschläge gegen Gläubige und Kultstätten, religiöse Minderheiten

Nach Unterzeichnung des Abkommens zwischen den USA und den Taliban war es bereits Anfang März 2020 zu einem ersten großen Angriff des ISKP gekommen (BBC 6.3.2020; vgl. AJ 6.3.2020). Der ISKP hatte sich an den Verhandlungen nicht beteiligt (BBC 6.3.2020) und bekannte sich zu dem Angriff auf eine Gedenkfeier eines schiitischen Führers; Schätzungen zufolge wurden dabei mindestens 32 Menschen getötet und 60 Personen verletzt (BBC 6.3.2020; vgl. AJ 6.3.2020).

Am 25.3.2020 kam es zu einem tödlichen Angriff des ISKP auf eine Gebetsstätte der Sikh (Dharamshala) in Kabul. Dabei starben 25 Menschen, 8 weitere wurden verletzt (NYT 26.3.2020; vgl. TN 26.3.2020; BBC 25.3.2020). Regierungsnahe Quellen in Afghanistan machen das Haqqani-Netzwerk für diesen Angriff verantwortlich, sie werten dies als Vergeltung für die Gewalt an Muslimen in Indien (AJ 27.3.2020; vgl. TTI 26.3.2020). Die Taliban distanzierten sich von dem Angriff (NYT 26.3.2020). Am Tag nach dem Angriff auf die Gebetsstätte, detonierte eine magnetische Bombe beim Krematorium der Sikh, als die Trauerfeierlichkeiten für die getöteten Sikh-Mitglieder im Gange waren. Mindestens eine Person wurde dabei verletzt (TTI 26.3.2020; vgl. NYT 26.3.2020).

Regierungsfeindliche Gruppierungen

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv – insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan (USDOD 12.2019; vgl. CRS 12.2.2019) und stellt nicht nur für die beiden Länder eine Sicherheitsherausforderung dar, sondern eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabilität (USDOD 12.2019):

Taliban

Der derzeitige Taliban-Führer ist nach wie vor Haibatullah Akhundzada (REU 17.8.2019; vgl. FA 3.1.2018) – Stellvertreter sind Mullah Mohammad Yaqub – Sohn des ehemaligen Taliban-Führers Mullah Omar – und Serajuddin Haqqani (CTC 1.2018; vgl. TN 26.5.2016) Sohn des Führers des Haqqani-Netzwerkes (TN 13.1.2017). Die Taliban bezeichnen sich selbst als das Islamische Emirat Afghanistan (VOJ o.D.). Die Regierungsstruktur und das militärische Kommando sind in der Layha, einem Verhaltenskodex der Taliban definiert (AAN 4.7.2011), welche zuletzt 2010 veröffentlicht wurde (AAN 6.12.2018). Die Taliban sind keine monolithische Organisation (NZZ 20.4.2020); nur allzu oft werden die Taliban als eine homogene Einheit angesehen, während diese aber eine lose Zusammenballung lokaler Stammesführer, unabhängiger Warlords sowie abgekoppelter und abgeschotteter Zellen sind (BR 5.3.2020).

Ein Bericht über die Rekrutierungspraxis der Taliban teilt die Taliban-Kämpfer in zwei Kategorien: professionelle Vollzeitkämpfer, die oft in den Madrassen rekrutiert werden, und Teilzeit-Kämpfer vor Ort, die gegenüber einem lokalen Kommandanten loyal und in die lokale Gesellschaft eingebettet sind (LI 29.6.2017). Die Gesamtstärke der Taliban wurde von einem Experten im Jahr 2017 auf über 200.000 geschätzt, darunter angeblich 150.000 Kämpfer (rund 60.000 Vollzeitkämpfer mobiler Einheiten, der Rest sein Teil der lokalen Milizen). Der Experte schätzte jedoch, dass die Zahl der Vollzeitkämpfer, die gleichzeitig in Afghanistan aktiv sind, selten 40.000 übersteigt (LI 23.8.2017). Im Jänner 2018 schätzte ein Beamter des US-Verteidigungsministeriums die Gesamtstärke der Taliban in Afghanistan auf 60.000 (NBC 30.1.2018). Laut dem oben genannten Experten werden die Kämpfe hauptsächlich von den Vollzeitkämpfern der mobilen Einheiten ausgetragen (LI 23.8.2017; vgl. AAN 3.1.2017; AAN 17.3.2017).

Die Taliban betreiben Trainingslager in Afghanistan. Seit Ende 2014 wurden 20 davon öffentlich zur Schau gestellt. Das Khalid bin Walid-Camp soll12 Ableger, in acht Provinzen betreibt (Helmand, Kandahar, Ghazni, Ghor, Saripul, Faryab, Farah und Maidan Wardak). 300 Militärtrainer und Gelehrte sind dort tätig und es soll möglich sein, in diesem Camp bis zu 2.000 Rekruten auf einmal auszubilden (LWJ 14.8.2019).

Die Mehrheit der Taliban sind immer noch Paschtunen, obwohl es eine wachsende Minderheit an Tadschiken, Usbeken, Belutschen und sogar mehreren hundert Hazara (einschließlich Schiiten) gibt (LI 23.8.2017). In einigen nördlichen Gebieten sollen die Taliban bereits überwiegend Nicht-Paschtunen sein, da sie innerhalb der lokalen Bevölkerung rekrutieren (LI 23.8.2017).

Haqqani-Netzwerk

Das seit 2012 bestehende Haqqani-Netzwerk ist eine teilautonome Organisation, Bestandteil der afghanischen Taliban und Verbündeter von al-Qaida (CRS 12.2.2019). Benannt nach dessen Begründer, Jalaluddin Haqqani (AAN 1.7.2010; vgl. USDOS 19.9.2018; vgl. CRS 12.2.2019), einem führenden Mitglied des antisowjetischen Jihad (1979-1989) und einer wichtigen Taliban-Figur; sein Tod wurde von den Taliban im September 2018 verlautbart. Der derzeitige Leiter ist dessen Sohn Serajuddin Haqqani, der seit 2015, als stellvertretender Leiter galt (CTC 1.2018).

Als gefährlichster Arm der Taliban, hat das Haqqani-Netzwerk, seit Jahren Angriffe in den städtischen Bereichen ausgeführt (NYT 20.8.2019) und wird für einige der tödlichsten Angriffe in Afghanistan verantwortlich gemacht (CRS 12.2.2019).

Islamischer Sta

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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