TE Bvwg Erkenntnis 2020/10/12 W150 2232595-2

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Veröffentlicht am 12.10.2020
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Entscheidungsdatum

12.10.2020

Norm

BFA-VG §22a Abs1 Z3
BFA-VG §22a Abs3
B-VG Art133 Abs4
FPG §76 Abs2 Z1
FPG §76 Abs3 Z1
FPG §76 Abs3 Z4
FPG §76 Abs3 Z9
VwG-AufwErsV §1 Z3
VwG-AufwErsV §1 Z4
VwGVG §35 Abs1

Spruch

W150 2232595-2/23E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. KLEIN als Einzelrichter über die Beschwerde von Herrn XXXX , geb. XXXX 1996, alias XXXX 1992, StA. Afghanistan, vertreten durch die Diakonie – Flüchtlingsdienst gemeinnützige GmbH, Steinergasse 3/12, 1170 Wien, FN 272779 x und die Volkshilfe Flüchtlings- und Migrant-Innenbetreuung GmbH, Stockhofstraße 40, 4020 Linz, FN 444937 w, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 15.07.2020, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 27.08.2020 und 28.08.2020 zu Recht:

A)

I. Die Beschwerde wird gemäß § 22a Abs. 1 Z 3 BFA-VG idgF, § 76 Abs. 2 Z 1 FPG idgF iVm § 76 Abs. 3 Z 1 und Z 9 FPG idgF als unbegründet abgewiesen.

II. Gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG idgF, § 76 Abs. 2 Z 1 FPG idgF iVm § 76 Abs. 3 Z 1, Z 4, Z 9 FPG idgF wird festgestellt, dass die Voraussetzungen für die Fortsetzung der Schubhaft vorliegen.

III. Gemäß § 35 Abs. 1 VwGVG idgF iVm § 1 Z 3 und Z 4 VwG-AufwErsV idgF, hat die beschwerdeführende Partei dem Bund Aufwendungen in Höhe von € 887,20 Euro binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

IV. Der Antrag der beschwerdeführenden Partei auf Kostenersatz wird gemäß § 35 Abs. 1 VwGVG idgF abgewiesen.

B)

Die Revision ist gem. Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1.       Der Beschwerdeführer (in der Folge auch: „BF“), ein afghanischer Staatsbürger reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen in das Bundesgebiet ein und stellte am 11.04.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2.       Mit Urteil des Bezirksgerichtes Graz-West vom 09.02.2017, 015 U116/2016i, wurde der BF wegen unerlaubten Umganges mit Suchtmitteln zu einer bedingten Freiheitsstrafe (Probezeit: 3 Jahre) in der Dauer von drei Monaten verurteilt. Die erkennende Richterin hielt es in der Urteilsausfertigung für erwiesen, dass der BF in Graz Volksgarten und anderen Orten vorschriftswidrig Suchtgift in einer die Grenzmenge des § 28b SMG nicht übersteigenden Menge mit dem Vorsatz besessen hat, es in der Folge durch gewinnbringende Verkäufe in Verkehr zu setzen […], wobei er die Tat nicht zum eigenen Gebrauch begangen hatte.

3.       Mit Urteil des Geschworenengerichtes beim Landesgericht für Strafsachen Graz vom 30.11.2017, 006 HV78/2017w, wurde der BF wegen der Verbrechen der absichtlich schweren Körperverletzung, teilweise in Form des Versuches nach den §§ 15, 87 Abs 1 StGB zu einer unbedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von sechs Jahren verurteilt. Die Geschworenen hielten in ihrem Wahrspruch dabei folgenden Sachverhalt für erwiesen, dass „[der BF] am 26. Dezember 2016 in Graz im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit […] als unmittelbarem Täter dem [D…], [B…] und [Y…] absichtlich eine schwere Körperverletzung zugefügt zu haben, wobei […] und […] dem [D…] jeweils derart wuchtige Stiche in den Bauchbereich versetzten, dass der Knorpel im Bereich des Rippenbogens brach und die Bauchhöhle eröffnet wurde (Stichverletzung am rechten Oberbauch mit Eröffnung der Bauchhöhle; Stichverletzung am linken Oberbauch, Durchtrennung des knorpeligen Anteils der 10. Rippe links und geringgradiger Blutung in die Bauchhöhle; Kopfprellung mit Prellmarke über dem Scheitel rechts; an sich schwere Körperverletzung), sowie zumindest einer der Täter [B…] mehrere Messerstiche in den Bereich des oberen Rückens und des rechten Ellbogens (Stichverletzung an der rechten Schulterrückseite über dem Schulterblatt 25 mm tief und 10 mm breit; Stichverletzung im Bereich des rechten Ellenbogengelenkes 3 cm tief; leichte Körperverletzung) und [Y…] einen Messerstich im Bereich des Rückens unter dem Schulterblatt (5-6 mm breite Stichverletzung am äußeren Rücken rechts unterhalb des Schulterblattes, 1,5 cm tief in Richtung Rückenmitte verlaufend; leichte Körperverletzung) versetzte.“

?        Weiters hielten es die Geschworenen für erwiesen, dass „[der BF] am 26. Oktober 2016 in Graz als unmittelbarer Täter [I…] eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB) absichtlich zuzufügen versucht [hat], indem sie ihm mehrere Faustschläge ins Gesicht versetzten und mit einem Holzstecken gegen das rechte Knie schlugen sowie […] den [I…] festhielt, während der BF ihm mit einer massiven Glasflasche (Vodka) wiederholt wuchtige Schläge auf den Kopf versetzte (welche eine Platzwunde am Kopf, eine Schnittwunde am

?        Zeigefinger und den Verdacht auf Nasenbeinbruch zur Folge hatte)“. Gegen dieses Urteil ergriff der BF Rechtsmittel der Berufung.

4.       Mit Bescheid vom 25.06.2018, Zl. XXXX , wies das BFA den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) als unbegründet ab. Zugleich erteilte sie dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.), erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.) und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig ist (Spruchpunkt V.). Das BFA stellte gem. § 55 Abs. 1a FPG fest, dass keine Frist für die freiwillige Ausreise besteht (Spruchpunkt VI.). Einer allfälligen Beschwerde erkannte das BFA gemäß § 18 Abs. 1 Z 2 die aufschiebende Wirkung ab (Spruchpunkt VII.). Ferner wurde gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VIII). Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 27.11.2018, Zl. W238 2202474-1, wurde die Beschwerde mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen als die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Enthaftung festgelegt wurde. Dieses Erkenntnis erwuchs am 27.11.2018 in Rechtskraft.

5.       Mit Urteil des Oberlandesgerichts Graz vom 08.08.2018, 8 Bs 199/18b, setzte dieses aufgrund der durch den BF erhobenen Berufung gegen das seinerzeitige Urteil des Geschworenengerichtes beim Landesgericht für Strafsachen Graz vom 30.11.2017, 006 HV78/2017w, setzte dieses die unbedingte Freiheitsstrafe des BF von sechs auf fünf Jahre herab. Begründend führte der erkennende Senat dazu aus, wie folgt:

?        „Bei der Strafbemessung innerhalb eines Strafrahmens von bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe (§ 87 Abs 1 StGB iVm § 19 Abs 1 JGG) zog das Erstgericht bei [dem BF] das Zusammentreffen von (richtig: vier) Verbrechen (I./ und IV./) und (mehrerer) - mit dem

?        Urteil des Bezirksgerichtes Graz-West vom 9.Februar 2017, 15 U 116/16i, abgeurteilten -

?        Vergehen, „die auf derselben schädlichen Neigung beruhende Vorstrafe“ sowie die Tatbegehung in Gemeinschaft als erschwerend ins Kalkül, als mildernd hingegen den teilweisen Versuch, die Tatbegehung (nach Vollendung des 18. aber) vor Vollendung des

?        21.Lebensjahres (§ 34 Abs 1 Z 1 StGB), eine gewisse Enthemmung durch Alkohol und bezog die, sich aus dem Urteil des Bezirksgerichts Graz-West, 15 U 116/16i, auf welches es nach § 31 StGB Bedacht zu nehmen hatte, ergebenden Milderungs- und Erschwerungsumstände ein.

?        Diese erstgerichtlichen Strafzumessungsgründe erweisen sich als korrekturbedürftig. Auch

?        bei diesem Angeklagten hat die vom Erstgericht in unrichtiger Weise vorgenommene Wertung mangelnder Schuldeinsicht als entscheidende Tatsache (US 29) bei der Strafzumessung zu entfallen. Während der Einsatz des Messers auch bei der Tatbegehung durch … [den BF] als besonderer Erschwerungsgrund (§ 33 Abs 2 Z 4 StGB) hinzutritt, hat die Annahme einer einschlägigen Vorstrafe als Erschwerungsgrund zu entfallen, da der Angeklagte die nunmehr abgeurteilten Taten jeweils vor dem Urteil des Bezirksgerichtes Graz-West vom 9. Februar 2017 begangen hat und die gegenständliche Sanktion als Zusatzstrafe zu dieser Verurteilung verhängt wurde. Demgemäß kommt dem Angeklagten … [BF] auch der Milderungsgrund eines bisher ordentlichen Lebenswandels zu Gute. Schuldsteigernd wirkt sich als Strafzumessungsaspekt nach § 32 Abs 2 StGB jedoch die Tatbegehung der nunmehr abgeurteilten Taten während bereits anhängigen Strafverfahrens 15 U 116/17i des Bezirksgerichtes Graz- West (BV am 3. Oktober 2016) aus. Soweit der Berufungswerber auf andere Strafverfahren, in denen wesentlich geringere Freiheitsstrafen verhängt wurden, Bezug nimmt, ist auf die diesbezüglichen Ausführungen zur Berufung des […] zu verweisen. Die vom Angeklagten für sich reklamierte untergeordnete Tatbegehung findet im Urteil keine Stütze, hat doch [der BF] mit seinem provokanten Verhalten den Streit ausgelöst und selbst ein Messer (gerade für eine solche Gelegenheit) mitgeführt und zum Einsatz gebracht. Eine besondere „Tatvorbereitung“ ist der Auffassung des Berufungswerbers zuwider nicht erforderlich, sondern würde eine solche allenfalls unter dem Aspekt des § 32 Abs 3 StGB erschwerend zu berücksichtigen sein. Trotz des bereits dargestellten hohen sozialen Störwertes einer von drei Personen gemeinschaftlich geführten Messerattacke gegen (unbewaffnete) Kontrahenten in einer öffentlichen Parkanlage, erweist sich auch das erstgerichtliche Strafmaß hinsichtlich … [BF] als deutlich überhöht und wie im Spruch ersichtlich reduktionsbedürftig.“

6.       Mit Urteil des Bezirksgerichtes Graz-Ost 217 U 236/2018w vom 06.12.2018, wurde der BF wegen Körperverletzung zu einer unbedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von drei Monaten verurteilt.

7.       Am 29.06.2020 stellte der BF aus dem Stande der Strafhaft einen neuerlichen Asylantrag (Folgeantrag).

8.       Mit verfahrensgegenständlichem Bescheid des BFA vom 15.07.2020 wurde über den BF gemäß § 76 Abs. 2 Z 1 FPG die Schubhaft zum Zwecke der Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme angeordnet und der Eintritt der Rechtsfolgen nach Entlassung des BF aus seiner derzeitigen Haft festgelegt.

?        Begründend führte das Bundesamt dabei aus:

C)       Feststellungen

Der Entscheidung liegen folgende Feststellungen zugrunde:

Zu Ihrer Person:

Sie sind nicht österreichischer Staatsbürger.

Sie sind afghanischer Staatsbürger. Sie wurden seitens der Botschaft identifiziert.

Sie befinden sich derzeit in der JA Graz Karlau in Haft. Ihre bedingte Entlassung ist für 27.07.2020 vorgesehen.

Sie haben einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt, wobei beabsichtigt ist den faktischen Abschiebeschutz aufzuheben und gegen Sie erneut eine aufenthaltsbeendende Maßnahme zu erlassen.

Sie sind gesund und arbeitsfähig.

Sie verfügen weder über einen aufrechten Wohnsitz, noch über eine Arbeitserlaubnis im Bundesgebiet.

Zu Ihrer rechtlichen Position in Österreich:

Es ist ein Asylfolgeantragsverfahren anhängig. Sie verfügen über kein Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet, da Sie straffällig wurden. Es ist beabsichtigt den faktischen Abschiebeschutz aufzuheben. Dies Wurde Ihnen mittels Verfahrensanordnung am 10.07.2020 mitgeteilt. Zuvor wurde gegen Sie mit Bescheid vom 25.06.2018, GZ: XXXX eine Rückkehrentscheidung iVm einem Einreiseverbot für die Dauer von 10 Jahren erlassen, da Sie mehrmals straffällig wurden.

Zu Ihrem bisherigen Verhalten:

Sie sind nach Österreich illegal eingereist.

Sie stellten mehrmals einen Antrag auf internationalen Schutz.

Sie missachteten die österreichische Rechtsordnung, indem Sie mehrmals straffällig wurden. Sie wurden unter anderem wegen unerlaubtem Umgang mit Suchtmittel, sowie schwerer Körperverletzung rechtskräftig verurteilt.

Den Großteil Ihres Aufenthaltes im Bundesgebiet verbrachten Sie in Justizanstalten.

Sie gehen keiner Erwerbstätigkeit nach. Es besteht keine begründete Aussicht, dass Sie eine Arbeitsstelle finden.

Obwohl eine gesetzliche Verpflichtung hiezu bestand, verweigerten Sie die Ausreise aus Österreich. Im bisherigen Verfahren verhielten Sie sich unkooperativ, indem Sie auch während der Strafhaft keinerlei Integrationsschritte bzw. keine Schritte betreffend die freiwillige Rückkehr gesetzt haben, obwohl Sie dazu nach Rechtskraft der Rückkehrentscheidung iVm Einreiseverbot verpflichtet waren. Sie sind auf keinen Fall rückkehrwillig. Stattdessen stellten Sie nach Erhalt des schriftlichen Parteiengehörs bezüglich der Verhängung einer Schubhaft einen Asylfolgeantrag, um einer Abschiebung zu entgehen. Im Zuge der Einvernahme gaben Sie nämlich an, einen Asylantrag zu stellen, da Sie von der beabsichtigten Abschiebung in Kenntnis sind und keinesfalls nach Afghanistan zurückkehren wollen.

Sie besitzen kein gültiges Reisedokument. Sie können Österreich aus eigenem Entschluss nicht legal verlassen.

Sie verfügen nicht über ausreichend Barmittel um Ihren Unterhalt zu finanzieren. Einer legalen Beschäftigung gehen Sie nicht nach.

Sie haben bis auf die Inhaftierung keinen ordentlichen Wohnsitz in Österreich.

Dem GVS Auszug vom 16.07.2020 zu Folge wurden Sie am 22.09.2016 abgemeldet, da Sie nicht mehr in die Betreuungsstelle zurückkehrten und sich unbekannten Aufenthaltes befanden. Sie verfügten erst am 04.11.2016 wieder einen aufrechten Wohnsitz und wurden kurze Zeit darauf am 28.12.2016 in die JA Graz Jakomini eingeliefert.

Sie sind in keinster Weise integriert. Sie verfügen über keinerlei familiäre, soziale oder berufliche Bindungen im Bundesgebiet.

Sie haben ein Verhalten gesetzt, dass die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet.

Zu Ihrem Privat- und Familienleben:

Sie sind in Österreich weder beruflich noch sozial verankert. Sie verfügen über keinerlei Familienangehörige im Bundesgebiet. Ihr Lebensmittelpunkt befindet sich in Afghanistan. Es konnten keine Integrationsmerkmale festgestellt werden.

D)       Beweiswürdigung

Die von der Behörde getroffenen Feststellungen resultieren aus dem Inhalt Ihres BFA-Aktes, Zl. 1111101609/200502275, sowie Ihrer Stellungnahme vom 30.06.2020.

E)       Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 76 Abs. 2 Z 1 FPG können Fremde, die einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt haben, festgenommen oder angehalten werden (Schubhaft), sofern dies notwendig ist, um das Verfahren über den Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme zu sichern; das gilt auch dann, wenn es der Erlassung einer neuerlichen Rückkehrentscheidung gemäß § 59 Abs. 5 FPG nicht bedarf. Für die Anordnung der Schubhaft muss Fluchtgefahr und Verhältnismäßigkeit vorliegen. Abgesehen von dem hier nicht relevanten Fall der Antragsstellung während einer Anhaltung aufgrund eines Festnahmeauftrags muss der Aufenthalt des Fremden eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit entsprechend der Kriterien des § 67 FPG darstellen.

Wird eine aufenthaltsbeendende Maßnahme durchsetzbar und erscheint die Überwachung der Ausreise des Fremden notwendig, so gilt gemäß § 76 Abs. 5 FPG die zur Sicherung des Verfahrens angeordnete Schubhaft ab diesem Zeitpunkt als zur Sicherung der Abschiebung verhängt.

Die Schubhaft ist mit Bescheid anzuordnen, dieser ist gem. § 57 AVG zu erlassen, es sei denn der Fremde befindet sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Schubhaftbescheide gem. § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

Die Schubhaft dient der Sicherung der angeführten Verfahren bzw. der Sicherung der Abschiebung. Zur Prüfung der Fluchtgefahr ist auf alle Umstände des konkreten Falles Bedacht zu nehmen, um die Befürchtung, es bestehe das Risiko des Untertauchens, als schlüssig anzusehen. Dabei kommt insbesondere auch dem bisherigen Verhalten des Fremden Bedeutung zu (VwGH 27.2.2007, 2006/21/0311). Von einer Anordnung der Schubhaft ist Abstand zu nehmen, wenn sie im Einzelfall nicht notwendig und verhältnismäßig ist. So ist eine verfassungsrechtlich gebotene Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der Sicherung des Verfahrens und der Schonung der persönlichen Freiheit des Betroffenen vorzunehmen (VfGH 24.6.2006, B362/06). In diesem Zusammenhang sind die Kriterien gem. § 76 Abs. 3 FPG zu beachten. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigten,

ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert;

1a.      ob der Fremde eine Verpflichtung gemäß § 46 Abs. 2 oder 2a verletzt hat, insbesondere, wenn ihm diese Verpflichtung mit Bescheid gemäß § 46 Abs. 2b auferlegt worden ist, er diesem Bescheid nicht Folge geleistet hat und deshalb gegen ihn Zwangsstrafen (§ 3 Abs. 3 BFA-VG) angeordnet worden sind;

ob der Fremde entgegen eines aufrechten Einreiseverbots, eines aufrechten Aufenthaltsverbots oder während einer aufrechten Anordnung zur Außerlandesbringung neuerlich in das Bundesgebiet eingereist ist;

ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat;

ob der faktische Abschiebeschutz bei einem Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005) aufgehoben wurde oder dieser dem Fremden nicht zukommt;

ob gegen den Fremden zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand, insbesondere, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Schubhaft befand oder aufgrund § 34 Abs. 3 Z 1 bis 3 BFA-VG angehalten wurde;

ob aufgrund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung oder der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass ein anderer Mitgliedstaat nach der Dublin-Verordnung zuständig ist, insbesondere sofern

der Fremde bereits mehrere Anträge auf internationalen Schutz in den Mitgliedstaaten gestellt hat oder der Fremde falsche Angaben hierüber gemacht hat,

der Fremde versucht hat, in einen dritten Mitgliedstaat weiterzureisen, oder

es aufgrund der Ergebnisse der Befragung, der Durchsuchung, der erkennungsdienstlichen Behandlung oder des bisherigen Verhaltens des Fremden wahrscheinlich ist, dass der Fremde die Weiterreise in einen dritten Mitgliedstaat beabsichtigt;

ob der Fremde seiner Verpflichtung aus dem gelinderen Mittel nicht nachkommt;

ob Auflagen, Mitwirkungspflichten, Gebietsbeschränkungen, Meldeverpflichtungen oder Anordnungen zur Unterkunftnahme gemäß §§ 52a, 56, 57 oder 71 FPG, § 38b SPG, § 13 Abs. 2 BFA-VG oder §§ 15a oder 15b AsylG verletzt wurden, insbesondere bei Vorliegen einer aktuell oder zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutzes durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme;

der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes.

Gemäß § 76 Abs. 2a FPG ist im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung insbesondere auch ein strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen, insbesondere ob unter Berücksichtigung der Schwere der Straftaten das öffentliche Interesse an der baldigen Durchsetzung einer Abschiebung den Schutz der persönlichen Freiheit überwiegt.

Entsprechend ihres bisherigen Verhaltens begründen folgende Kriterien in Ihrem Fall eine Fluchtgefahr:

Gegen Sie wurde bereits eine Rückkehrentscheidung iVm einem Einreiseverbot für die Dauer von 10 Jahren erlassen, welche mit 27.11.2018 in Rechtskraft der II. Instanz erwachsen ist. Sie waren daher zur Ausreise verpflichtet, haben jedoch während der Verbüßung Ihrer Haftstrafe keine Schritte zur freiwilligen Ausreise gesetzt. Sie gaben zwar in Ihrer Stellungnahme vom 29.06.2020 auf das ho. Parteiengehör betreffend die Verhängung der Schubhaft an, die Frist zur freiwilligen Ausreise nach Haftentlassung in Anspruch zu nehmen, widersprachen sich jedoch, da Sie in der niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA East West bezüglich Ihrer Asylfolgeantragsstellung am 26.06.2020 angaben, nicht nach Afghanistan ausreisen zu wollen. Sie sind somit nach wie vor keinesfalls ausreisewillig. Ebenso gaben Sie zwar in der Stellungnahme an, bei einem Freund Namens Harun Sayeed, wohnhaft in Herzogerstgasse 6 in Bruck an der Mur, Unterkunft zu nehmen, jedoch deuten aus der Besucherliste der JA Graz Karlau keinerlei Hinweise darauf hin, dass Sie sozial verankert sind, da Sie keinerlei Besuche von Bekannte, Familienmitglieder oder Freunde erhalten haben. Des Weiteren sind Sie im laufenden Asylverfahren nicht mehr in die Betreuungsstelle zurückgekehrt und wurden somit mit 22.09.2016 aus der GVS abgemeldet. Sie hielten sich 2 Monate unangemeldet im Bundesgebiet auf. Seitens der ho. Behörde besteht erhöhte Fluchtgefahr, da Sie nun über die beabsichtigten Maßnahmen in Kenntnis gesetzt wurden und Sie keinesfalls ausreisewillig sind. Es ist stark davon auszugehen, dass Sie sich dem Verfahren entziehen werden und somit zur Beendigung des laufenden Asylverfahrens mit Beabsichtigung einer erneuten Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen zu dessen Durchsetzung für die Behörden nicht mehr greifbar wären und erneut in die Illegalität abtauchen würden. Des Weiteren haben Sie ein Verhalten gesetzt, welches die öffentliche Ordnung und Sicherheit im Bundesgebiet gefährdet. So wurden Sie wie bereits erwähnt, aufgrund schwerer Körperverletzung, sowie nach dem Suchtmittelgesetz von inländischen Strafgerichten rechtskräftig verurteilt.

Daher ist die Entscheidung auch verhältnismäßig.

Die Sicherung des Verfahrens bzw. der Abschiebung ist erforderlich, da Sie sich aufgrund Ihres oben geschilderten Vorverhaltens als nicht vertrauenswürdig erwiesen haben. Es ist davon auszugehen, dass Sie auch hinkünftig nicht gewillt sein werden, die Rechtsvorschriften einzuhalten.

Aus Ihrer Wohn- und Familiensituation, aus Ihrer fehlenden sonstigen Verankerung in Österreich sowie aufgrund Ihres bisherigen Verhaltens kann geschlossen werden, dass bezüglich Ihrer Person ein beträchtliches Risiko des Untertauchens vorliegt.

Gemäß § 67 Abs. 1 FPG ist Voraussetzung, dass das persönliche Verhalten die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahmen begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig.

Bei der Prüfung der Fluchtgefahr ist auch ein massives strafrechtliches Verhalten des Fremden in Bezug auf Gewalt- und Vermögensdelikte in Verbindung mit der wegen seiner Mittellosigkeit naheliegenden Wiederholungsgefahr einzubeziehen (VwGH 25.03.2010, 2009/21/0276). Der VwGH hat auch ausgesprochen, dass eine erhebliche Deliquenz des Fremden das Gewicht des öffentlichen Interesses an der Effektivität einer baldigen Abschiebung maßgeblich vergrößern kann (VwGH 25.03.2010, 2009/21/0276).

Sie wurden straffällig und bereits mehrmals von inländischen Strafgerichten rechtskräftig verurteilt.

01) BG GRAZ-WEST 015 U 116/2016i vom 09.02.2017 RK 14.02.2017

§ 27 (1) Z 1 2. Fall SMG

Datum der (letzten) Tat 03.10.2016

Freiheitsstrafe 3 Monate, bedingt, Probezeit 3 Jahre

Junge(r) Erwachsene(r)

Vollzugsdatum 14.02.2017

zu BG GRAZ-WEST 015 U 116/2016i RK 14.02.2017

(Teil der) Freiheitsstrafe nachgesehen, endgültig

Vollzugsdatum 14.02.2017

BG GRAZ-WEST 015 U 116/2016i vom 20.02.2020

02) LG F.STRAFS.GRAZ 006 HV 78/2017w vom 30.11.2017 RK 08.08.2018

§ 15 StGB § 87 (1) StGB

Datum der (letzten) Tat 26.12.2016

Freiheitsstrafe 5 Jahre

Zusatzstrafe gemäß §§ 31 und 40 STGB unter Bedachtnahme auf BG GRAZ-WEST 015 U

116/2016i RK 14.02.2017

Junge(r) Erwachsene(r)

03) BG GRAZ-OST 217 U 236/2018w vom 06.12.2018 RK 11.12.2018

§ 83 (1) StGB

Datum der (letzten) Tat 28.08.2017

Freiheitsstrafe 3 Monate

Daher liegt in Ihrem Fall eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit iSd §§ 67 FPG und 76 Abs. 2 Z 1 FPG vor.

Einem geordneten Fremdenwesen kommt im Hinblick auf die öffentliche Ordnung und dem wirtschaftlichen Wohl des Staates ein hoher Stellenwert zu. Es besteht die Verpflichtung Österreichs, seinen europarechtlichen Vorgaben, als auch den Pflichten gegenüber seinen Staatsbürgern und anderen legal aufhältigen Personen nachzukommen.

Die Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Schubhaft und ihrer Notwendigkeit ergibt daher in Ihrem Fall, dass Ihr privates Interesse an der Schonung Ihrer persönlichen Freiheit dem Interesse des Staates am reibungslosen Funktionieren der öffentlichen Verwaltung hintanzustehen hat.

Dabei wurde auch berücksichtigt, dass die Schubhaft eine ultima - ratio – Maßnahme darstellt. Es ist daher zu prüfen, ob die Anordnung gelinderer Mittel gleichermaßen zur Zweckerreichung dienlich wäre. In Betracht käme dabei das gelindere Mittel gem. § 77 FPG mit den dafür vorgesehenen Aufenthalts- und Meldepflichten bzw. der Hinterlegung einer finanziellen Sicherheit. Dabei kommt die finanzielle Sicherheitsleistung aufgrund Ihrer finanziellen Situation schon von vornherein nicht in Betracht.

Doch auch was die Unterkunftsnahme in bestimmten Räumlichkeiten und die periodische Meldeverpflichtung betrifft, kann in Ihrem Fall damit nicht das Auslangen gefunden werden.

Dass eine wie bei dem Fremden vorliegende fehlende soziale Verankerung in Österreich bei der Prüfung der Notwendigkeit der Schubhaft in Betracht zu ziehen ist, entspricht der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 28.05.2008, 2007/21/0162).

Für die Bejahung eines Sicherungsbedarfs kommen daher insbesondere das Fehlen ausreichender familiärer, sozialer oder beruflicher Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet in Betracht, was die Befürchtung, es bestehe das Risiko des Untertauchens eines Fremden, rechtfertigen kann (vlg. Dazu VwGH 17.03.2009, 2007/21/0542). Im vorliegenden Fall verfügen Sie über keinerlei Integration in Österreich. Zudem ist bei Prüfung des Sicherungsbedarfs freilich auch das bisherige Verhalten in Betracht zu ziehen (vgl. VwGH 27.02.2007, 2006/24/0311; 28.06.2007, 2006/21/0091; 17.03.2009, 2007/21/0191), auf einen erhöhten Sicherungsbedarf hindeuten.

Der Verwaltungsgerichtshof hat zwar schon wiederholt judiziert, die Schubhaft können keinesfalls dazu dienen, den Fremden von der Begehung weiterer Straftaten in Österreich bis zur Außerlandesbringung abzuhalten (vgl. VwGH 07.02.2008, 2007/21/03446 uva), weil die Annahme, die Schubhaft sei aus Gründen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit geboten, nach dem Gesetz keinen tauglichen Schubhaftzweck darstellt (vgl. VwGH 22.05.2007, 2006/21/0052; 31.08.2006, 2006/21/0087). Daran ist festzuhalten. Der Verurteilung eines Fremden kann aber im Rahmen der bereits angesprochenen Verhältnismäßigkeitsprüfung insofern Bedeutung zukommen, als eine erhebliche Delinquenz des Fremden das Gewicht des öffentlichen Interesses an der Effektivität seiner Abschiebung – in Abhängigkeit von der Schwere der Straftaten – maßgeblich vergrößern kann (vgl. VwGH 17.03.2009, 2007/21/0542).

In Ihrem Fall ist eine Mehrzahl an Faktoren gegeben, die für sich alleine noch nicht den Schluss rechtfertigen, dass Sie sich dem Verfahren durch Untertauchen entziehen werden, die aber in der Gesamtschau sehr wohl einen Sicherungsbedarf ergeben: Aufgrund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens steht fest, dass Sie in Österreich keinen Wohnsitz haben, bis auf die Beschäftigung in der Strafhaft keiner legalen Beschäftigung in Österreich nachgehen und weder Verwandte noch Bekannte in Österreich haben. Auch sonst wurden von Ihrer Seite keine relevanten Anknüpfungspunkte mit Österreich namhaft gemacht bzw. wurden keine solchen entdeckt. Sie verfügen über sehr eingeschränkte Barmittel.

Aufgrund des festgestellten Sachverhaltes muss die Behörde durchaus annehmen, dass Sie sich dem Verfahren durch Untertauchen entziehen werden und somit ein dringender Sicherungsbedarf besteht.

Zur Anwendung eines gelinderen Mittels führt der Verwaltungsgerichtshof in seiner Entscheidung vom 02.08.2013 (VwGH 02.08.2013, 2013/21/0008) aus: „Je mehr das Erfordernis, die Effektivität der Abschiebung zu sichern, auf der Hand liegt, umso weniger bedarf es einer Begründung für die Nichtanwendung gelinderer Mittel. Das diesbezügliche Begründungserfordernis wird dagegen größer sein, wenn die Anordnung gelinderer Mittel naheliegt. Das wurde in der Judikatur des Verwaltungsgerichthofes insbesondere beim Vorliegen von gegen ein Untertauchen sprechenden Umständen, wie familiäre Bindungen oder Krankheit, angenommen (vgl. etwa das Erkenntnis vom 22. Mai 2007, Z. 2006/21/0052, und daran anknüpfend das Erkenntnis vom 29.April 2008, ZI. 2008/21/0085, siehe auch die Erkenntnisse vom 28.Februrar 2008, ZI 2007/21/0512, und ZI. 2007/21/0391) und wird weiters auch regelmäßig bei Bestehen eines festen Wohnsitzes oder ausreichender beruflicher Bindungen zu unterstellen sein.“ Im vorliegenden Fall ergeben sich aus dem Sachverhalt keinerlei Umstände, die eine Anordnung gelinderer Mittel nahelegen, da alle oben genannten Ansatzpunkte im konkreten Falle nicht gegeben sind und nicht behauptet wurden.

Aufgrund des aufgezeigten Sachverhalts, insbesondere des illegalen Aufenthaltes, nicht vorhandener finanzieller Mittel, der fehlenden Möglichkeit einer legalen Erwerbsausübung, die nicht vorhandene Möglichkeit der sozialen und wirtschaftlichen Integration, der fehlenden gesicherten Unterkunft und aufgrund des bisher gezeigten Verhaltens kam die Anwendung von gelinderen Mitteln im gegenständlichen Fall nicht in Betracht.

Die Schubhaftverhängung ist daher jedenfalls verhältnismäßig, gerechtfertigt und notwendig und entspricht den gesetzlichen Vorgaben des Fremdenpolizeigesetztes.

Wie oben ausführlich dargelegt, besteht in Ihrem Fall aufgrund Ihrer persönlichen Lebenssituation sowie aufgrund Ihres bisherigen Verhaltens ein beträchtliches Risiko des Untertauchens. Damit wäre jedoch der Zweck der Schubhaft, nämlich die Sicherung des Verfahrens bzw. der Abschiebung, vereitelt. Es liegt somit eine ultima – ratio – Situation vor, die die Anordnung der Schubhaftverhängung unabdingbar erfordert und eine Verfahrensführung, während derer Sie sich in Freiheit befinden, ausschließt.

Es ist weiters aufgrund Ihres Gesundheitszustandes davon auszugehen, dass auch die subjektiven Haftbedingungen, wie Ihre Haftfähigkeit, gegeben sind.

Nach Mitteilung der afghanischen Botschaft finden vorübergehend aufgrund der Pandemie keine Charter/Einzelrückführungen statt. Die freiwillige Rückkehr, in Ihrem Fall im Zuge der Schubhaft, ist jedoch nach wie vor jederzeit möglich.

Die Anordnung der Schubhaft ist auch in der aktuellen Situation im Zusammenhang mit dem Corona-Virus (COVID-19) als verhältnismäßig einzustufen. Entsprechend der medialen Berichterstattung werden zwar aktuell die Reisebewegungen weltweit und aus Österreich vermehrt eingeschränkt. Jedoch handelt es sich bei den derzeitigen Restriktionen um zeitlich begrenzte Maßnahmen. Dies bedeutet, dass im vorliegenden Fall eine Abschiebung zwar vorübergehend nicht möglich ist, jedoch in den kommenden Wochen möglich sein wird. Mit Blick auf die höchstzulässige Schubhaftdauer iSd § 80 FPG zeigt sich, dass die voraussichtliche Anhaltung in Schubhaft (in Hinblick auf einen realistischen Abschiebetermin) damit ohnehin deutlich länger andauert, als die Aufrechterhaltung der aktuellen Pandemie-Restriktionen gegenwärtig zu erwarten ist. Das Bundesamt für Fremdenswesen und Asyl wird, sobald die aktuellen Pandemiemaßnahmen zurückgenommen werden, die Abschiebung ehestmöglich realisieren.

Die Behörde gelangt daher zum Ergebnis, dass sowohl die gesetzlichen Formalerfordernisse vorliegen, als auch, dass die Schubhaft zum Zweck der Maßnahme in einem angemessenen Verhältnis steht und im Interesse des öffentlichen Wohls dringend erforderlich und geboten ist.“

9.       Im Anschluss an die Durchführung einer Einvernahme am 22.07.2020 durch das BFA wurde dem neuerlichen Antrag des BF auf internationalen Schutz vom 29.06.2020 gem. § 12a Abs. 2 AsylG 2005 der faktische Abschiebeschutz aberkannt. Aufgrund der dagegen erhobenen Beschwerde wurde durch das BVwG mit Beschluss vom 28.07.2020, W241 2202474-2, diese Aufhebung gemäß § 12a Abs. 2 und § 22 Abs. 10 AsylG 2005 in Verbindung mit § 22 BFA-VG für rechtmäßig und die Revision dagegen als nicht zulässig erklärt.

10.      Am 22.07.2020 wurde der BF aus der Strafhaft entlassen und in Schubhaft genommen.

11.      Am 21.08.2020 langte die verfahrensgegenständliche Beschwerde ein. Darin wurde im Wesentlichen vorgebracht, dass

-        Ein Begründungsmangel dahingehend vorliege, dass die belangte Behörde sich im Rahmen ihrer Prognoseentscheidung die Gefährdungsprognose nur auf die strafgerichtlichen Verurteilungen des BF stütze aber nicht zB auf Art und Schwere der zugrundeliegenden Straftaten und das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abstelle;

-        Es ginge unter Anlegung des Gefährdungsmaßstabes des § 67 FPG keine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit mehr vom BF aus, dies erweise sich aufgrund des Beschlusses des OLG Graz vom 10.06.2020, 8 Bs 191/20d, der die gute Führung des BF würdige sowie die Absolvierung einer Anti-Agressions-Therapie; ins Treffen geführt werde auch, dass der BF die Taten als junger Erwachsener begangen habe;

-        Dem BF wären Auflagen erteilt worden (Bewährungshilfe und sich alkoholischer Getränke zu enthalten) welchen er Folge leisten werde;

-        Zudem sei mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 27.11.2018, Zl. W238 2202474-1, eine Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Enthaftung festgelegt worden;

-        Fluchtgefahr bestehe nicht, der BF hätte wegen seiner Strafhaft gar keine Möglichkeit zur freiwilligen Ausreise gehabt, weiters habe er in Haft gearbeitet und sei daher nicht völlig mittellos;

-        Außerdem habe der BF noch Anspruch aus der Grundversorgung, da über den Folgeantrag noch nicht entscheiden worden sei;

-        Der faktische Abschiebeschutz sei bei Bescheiderlassung noch nicht aufgehoben gewesen;

-        Gegen die Fluchtgefahr spreche auch, dass der BF seine Anti-Agressions-Therapie fortsetzen wolle;

-        Auch die depressive Erkrankung des BF spreche dagegen;

-        Ein gelinderes Mittel wäre jedenfalls ausreichend gewesen;

-        Die Anhaltung des Beschwerdeführers jedenfalls rechtwidrig sei, da aufgrund der COVID 19-Pandemie die Abschiebung nach Afghanistan derzeit weder möglich noch zulässig sei.

Die Einvernahme des BF in einer mündlichen Verhandlung wurde beantragt, weiters die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Schubhaft ab Beginn, dass die Voraussetzungen für die weitere Anhaltung nicht vorliegen und der Zuspruch von Aufwandersatz im gesetzlichen Umfang.

Am 21.08.2020 langte der Verwaltungsakt beim Bundesverwaltungsgericht ein. In einer Stellungnahme legte das Bundesamt den bisherigen Gang des Verfahrens dar.

Am 27.08.2020 langte auf Anforderung des BVwG ein amtsärztliches Gutachten ein, welches den Gesundheitszustand des BF als „ausreichend guter Allgemeinzustand“ einstufte und ihm im vollen Umfang Verhandlungsfähigkeit und Haftfähigkeit bescheinigte.

Am 27.08.2020 und am 28.08.2020 wurde vor dem Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung unter Beiziehung eines Dolmetschers für die Sprache Dari durchgeführt. Diese gestaltete sich nach Rechtsbelehrung, Darlegung des Akteninhaltes und Bekanntgabe des BF, seine Beschwerde aufrecht zu halten, im Wesentlichen und soweit verfahrensrelevant, wie folgt:

„RI: Sind Sie physisch und psychisch in der Lage der Verhandlung zu folgen?

BF: Ja.

RI: Nehmen Sie regelmäßig Medikamente?

BF: Ich nehme zur Zeit Tabletten, um besser einschlafen zu können.

RI: Handelt es sich dabei um 50mg Trittico?

[…]

RI: Führen Sie Ihren Namen seit Ihrer Geburt?

BF: Ich trage diesen Namen seit meiner Geburt. Als ich nach Österreich gekommen bin, habe ich eine grüne Karte bekommen. Darauf hat man mein Geburtsdatum falsch geschrieben und bis zum heutigen Tag hat man auf allen Dokumenten mein Geburtsdatum falsch geschrieben. Man hat mir damals gesagt, wenn ich später die weiße Karte bekommen würde, würde man das korrigieren, aber das ist nicht passiert. Ich möchte auch sagen, dass ich damals meine Tazkira abgegeben habe.

RI: Sie sind am XXXX 1996 geboren, so ist es hier festgehalten. Das richtige Geburtsdatum ist aber der XXXX 1992, ist das richtig?

BF: Ja.

RI: Wo sind Sie geboren?

BF: In der Provinz XXXX , im Distrikt XXXX , im Dorf XXXX .

RI: Sind Sie in Ihrem Heimatland Afghanistan unter anderen Namen, Spitznamen, Kampfnamen, Rufnamen bekannt?

BF: Nein. Ich trage immer diesen Namen.

RI: Sind Sie in anderen Ländern dieser Erde, einschließlich Österreich, unter anderen Namen bzw. Identitäten in Erscheinung getreten?

BF: Nein.

RI: Haben Sie irgendwelche Dokumente (Ausweise, Bestätigungen, etc.) die ihre Person oder Familienangehörige betreffen, die noch nicht im Akt enthalten sind, die sie mir heute vorweisen wollen?

BF: Ich habe einige Dokumente gehabt, die ich damals beim BFA abgegeben habe. Ich habe nichts Neues. Es ging um zwei Sachen bei diesen Dokumenten. Einige davon gehörten zu der afghanischen Verteidigung, das waren Bestätigungen, weil ich damals in der afghanischen Verteidigung tätig war.

RI: Haben Sie mittlerweile Reisedokumente erlangt?

BF: Nein.

RI: Warum haben Sie sich bis dato nicht darum bemüht, ein Reisedokument von den afghanischen Behörden zu erlangen?

BF: Leider habe ich die meiste Zeit im Gefängnis verbracht. Es gab keine Möglichkeit, um mich darum zu kümmern.

RI: Sie sind durch die Diakonie und Volkshilfe vertreten, seit wann?

BF: Von Anfang an, das heißt, als ich die negative Antwort vom BFA erhalten habe, seit dieser Zeit werde ich von der Diakonie vertreten. Ich bedanke mich auch dafür.

RI: Gehören Sie einer Kirche oder Religionsgemeinschaft an? Wenn ja, welcher? Wenn nein, haben Sie ein religiöses Bekenntnis?

BF: Ich bin sunnitischer Moslem.

RI: Wie äußert sich ihre religiöse Überzeugung? Woran können Außenstehende erkennen, dass sie sunnitischer Moslem sind?

BF: Ehrlich gesagt, das spielt für mich keine Rolle, ob Außenstehende was von mir denken, ob ich Moslem bin oder ich einer anderen Glaubensrichtung angehöre. Zweitens sind wir alle Menschen. Natürlich, wenn mich jemand fragen würde, werde ich offen und ehrlich antworten, dass ich Moslem bin.

RI: Kann man das nicht in irgendeiner Weise erkennen an Ihnen, auch wenn man Sie nicht danach fragt?

BF: Wenn man mich darüber nicht fragen würde, würden es die anderen auch nicht wissen. Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll.

RI: Verrichten Sie die Pflichtgebete?

BF: Nicht regelmäßig. Von fünf Mal beten, verrichte ich einmal das Gebet, aber nicht regelmäßig.

RI: Warum glauben Sie, dass das anderen nicht optisch auffallen kann?

BF: Ich bin 100 prozentig Ihrer Meinung, natürlich, das Verrichten des Gebetes ist etwas Positives nichts Negative, aber wie gesagt, ich bete nicht regelmäßig.

RI: Halten Sie sonst die Gebote Ihres Glaubens ein, zB Fastengebote oder Speisegebote?

BF: Ja. Als ich nach Europa gegangen bin, habe ich die zwei ersten Jahre gefastet, nachher leider nicht mehr. Besonders im Gefängnis ist es sehr schwer zu fasten.

RI: Was sagt Ihr Glaube zur Ausübung von Gewalt anderen Menschen gegenüber?

BF: Das ist in meiner Religion alles überhaupt verboten. Man darf niemals das Recht eines anderen wegnehmen. Man darf niemals jemanden anderen ohne einen Grund angreifen usw.

RI: Welcher Volksgruppe gehören Sie an?

BF: Ich bin Tadschike.

RI: Haben Sie in der Provinz XXXX , im Distrikt XXXX , im Dorf XXXX bis zu Ihrer Ausreise gelebt?

BF: Ich habe mein ganzes Leben in diesem besagten Dorf verbracht, außer drei Jahren. In diesen Jahren, in denen ich in der afghanischen Verteidigung tätig war, habe ich in der Provinz Paktia verbracht.

RI: Haben Sie noch Verwandte (z.B. Eltern, Kinder, Geschwister, Ehegattin) in Ihrer Heimat Afghanistan?

BF: Ja, habe ich.

RI: Welche?

BF: Leider habe ich seit zwei Jahren keinen Kontakt mit meiner Familie. Ich weiß zwar, dass sie dort sind, aber ich weiß nicht, ob sie gesund sind und wie sie ihr Leben führen.

RI: Haben Sie noch Verwandte in Österreich oder anderen Ländern dieser Erde?

BF: Ich habe einen Cousin väterlicherseits in Deutschland. Das habe ich auch sehr spät mitbekommen. Am Anfang wusste ich das nicht.

RI: Sind Sie ledig, verheiratet, verwitwet, geschieden, in einer eingetragenen Partnerschaft oder in einer Lebensgemeinschaft?

BF: Ich bin ledig. Zurzeit bin ich ledig.

RI: Haben Sie Kinder?

BF: Nein.

RI: Welche Schul- bzw. Berufsausbildungen haben Sie?

BF: Ich bin 10 Jahre zur Schule gegangen und zwar in diesem besagten Dorf. Später bin ich zur afghanischen Verteidigung gegangen. Dort habe ich zwei Ausbildungen genossen, eine gehörte zu den Ingenieuren. Die andere war eine militärische Ausbildung bis zum Rang Bridman. Dafür habe ich auch die Bestätigungen beim BFA abgegeben oder bei Ihnen, ich weiß es nicht.

RI: Sind Sie vor Ihrer Flucht noch einem anderen Beruf nachgegangen?

BF: Als Jugendlicher habe ich zwei bis zweieinhalb Jahre auch als Automechaniker gearbeitet.

RI: Was genau befürchten Sie im Falle Ihrer Rückkehr nach Afghanistan?

BF: Mein Leben ist dort in Gefahr, weil ich ein Mensch bin. Ich habe einen Fehler gemacht, dafür habe ich auch im Gefängnis gesessen. Dieser Fehler ist auch deshalb passiert, weil ich betrunken war. Ich habe dafür gesessen, aber ich muss auch dazu sagen, ich habe davon auch gelernt, dass solche Sachen nichts bringen. Ich entschuldige mich dafür und ich kann nur bitten, dass man mir verzeiht. Mehr kann ich nicht tun. Ich kann eines versprechen, dass solche Fehler in der Zukunft von mir nicht passieren werden.

RI: Verstehe ich das richtig, Sie sind in Afghanistan wegen Trunkenheit im Gefängnis gesessen?

BF: Nein, ich meine in Österreich und das war das erste Mal in meinem Leben.

RI: Weswegen wurden Sie verurteilt?

BF: Es gab eine Gruppe von drei Afghanen und drei Tschetschenen. Wie gesagt war ich an diesem Tag sehr betrunken. Das war das erste Mal in meinem Leben, dass ich getrunken habe. Wir sind zu einem Park hingegangen, aber das Problem war nicht mein Problem, sondern das Problem gehörte den anderen Afghanen. Aber da ich mit ihnen zusammen war. Es gab dann eine Streiterei, aber natürlich ich fühle mich schuldig, weil ich auch dabei war mit diesen Menschen, aber ich habe dafür gesessen. Ich kann nicht mehr tun als mich noch einmal zu entschuldigen. Ich war neu hier, ich kannte die Sprache nicht. Das Gesetz kannte ich schon gar nicht. Mein Fehler war, dass ich falsche Freunde hatte zu diesem Zeitpunkt. Letztendlich habe auch davon gelernt. Ich kann eines versprechen, dass in der Zukunft solche Fehler ich nicht mehr werde haben. Ich habe auch drinnen eine Therapie gehabt. Ich habe im Laufe der Zeit einigermaßen die Sprache gelernt und ich kenne mich ein klein bisschen mit dem Gesetz aus.

RI (auf Deutsch): Ist es erlaubt in Österreich Drogen zu verkaufen?

BF (auf Deutsch): Nein.

RI: (auf Deutsch): Haben Sie in Österreich Drogen verkauft?

BF (auf Deutsch): Habe ich nicht, aber habe ich geraucht schon. Habe ich auch bekommen drei Monate bedingt und drei Jahre Bewährung bekommen. Seit diese ich habe alle aufgehört.

RI: Warum haben Sie mir das vorher nicht gesagt, dass Sie auch eine weitere Verurteilung haben wegen Drogenhandels?

BF: Ich entschuldige mich dafür, vielleicht habe ich die Frage nicht gut verstanden, aber ich weiß, dass Sie es haben. Ich entschuldige mich.

RI: Sie haben mir vorher gesagt, dass Sie das Suchtgift nur geraucht haben. In der Urteilsausfertigung hat es aber die erkennende Richterin für erwiesen gehalten, dass Sie im Volksgarten in Graz und anderen Orten dieses Suchtgift mit dem Vorsatz besessen haben, es in der Folge durch gewinnbringende Verkäufe in Verkehr zu setzen, wobei Sie die Tat nicht zum eigenen Gebrauch begangen haben.

BF: Nein, ich habe es nicht verkauft. Wie gesagt, da ich die deutsche Sprache damals nicht konnte, jedes Mal, wenn man das im Park gefunden hat, hat man so geschrieben, als ob dieses Rauschgift mir gehört hätte, aber man hat mich niemals beim Verkauf erwischt, ich habe nie verkauft. Im Gerichtssaal habe ich das auch an diesem Tag so gesagt, aber man hat mich ein paar Mal beim Kaufen des Haschisches oder Marihuanas erwischt, aber das war nicht Verkauf, sondern ich habe es selbst geraucht. Ich habe das auch an diesem Tag zugegeben und habe mich dafür entschuldigt, aber ich habe auch dazugesagt, dass ich das nur gekauft habe. Ab diesem Tag habe ich nie mehr dieses Rauschgift gesehen, geschweige denn gekauft oder es zu verkaufen.

RI: Das Gericht hat Ihnen diese Geschichte damals nicht geglaubt, sondern Sie deswegen verurteilt. Nachdem Sie dagegen keine Rechtsmittel ergriffen haben und das rechtskräftig geworden ist, ist das somit in Österreich die Wahrheit.

BF: Ich kann mich dafür nur noch einmal entschuldigen und versprechen, dass so etwas in Zukunft nicht mehr passieren wird. Ich muss noch einmal betonen, ich habe nie so etwas verkauft.

RI: Gibt es noch andere Straftaten, für die Sie sich entschuldigen möchten?

BF: Es gab ein Problem auch im Gefängnis drinnen. Wegen dieses Problems habe ich auch drei Monate Gefängnis dazu bekommen. Ich entschuldige mich dafür herzlich. Ich war neu im Gefängnis. Ich kannte niemanden. Es gab nicht einmal eine richtige Streiterei. Man hat sich gegenseitig ein wenig zurückgeschoben. Wegen dieser Schieberei habe ich drei Monate bekommen.

RI: Sie haben mir vorher gesagt: „Es gab dann eine Streiterei, aber natürlich ich fühle mich schuldig, weil ich auch dabei war mit diesen Menschen, aber ich habe dafür gesessen“. Wollen Sie mir dazu noch mehr erzählen?

BF: Ich kann dazu nur sagen, dass ich zum ersten Mal in meinem Leben an diesem Tag getrunken habe. Da ich betrunken war, habe ich vieles nicht mitbekommen. Die anderen waren auch betrunken, sie waren sehr laut. Die anderen waren nicht betrunken, nur ich war betrunken. Es gab dann wie gesagt diese Streiterei, aber mein Fehler war, dass ich zusammen mit diesen Menschen war. Aber für mich, alles was das Gericht damals geschrieben hat, ich habe es akzeptiert. Ich habe zwar dafür gesessen, aber ich sehe es jetzt als einen Gewinn, weil ich davon auch viel gelernt habe. Ich entschuldige mich noch einmal dafür.

RI: Bei mir brauchen Sie sich dafür nicht entschuldigen. Das wäre eher bei Ihren Opfern erforderlich gewesen. Ich lese es Ihnen gerne vor was damals passiert ist, wenn Sie sich nicht mehr daran erinnern können.

BF: Ich habe mich bei diesen Leuten auch im Gerichtssaal entschuldigt.

RI: Wissen Sie auch noch, was Sie da getan haben?

BF: Eigentlich hat diese Streiterei eine Vorgeschichte gehabt und zwar: ein Afghane aus dieser besagten Gruppe hat mit einem Tschetschenen aus dieser besagten Gruppe zwei Wochen davor gestritten. Diesen Afghanen kannte ich nicht. Natürlich einen davon kannte ich. Von drei Personen, einer war ich, einen kannte ich und einen kannte ich nicht. Plötzlich eines Tages nach dieser besagten Streiterei sind zwei Afghanen zu mir in meine Wohnung gekommen. Derjenige, den ich nicht kannte, war auch verletzt. (Der BF zeigt mit seiner linken Hand auf sein Gesicht auf die linke Wange: da war er verletzt). Er sagte, dass die Tschetschenen ihn zusammengeschlagen haben. Dann ist dieser verletzte Afghane mit dem anderen Afghanen irgendwo hingegangen und hat ein Messer gekauft. An diesem Tag, an dem es um Ihre Frage geht, war ich auch in diesem Park und noch einmal, hatte ich viel getrunken. Dann sind die zwei auch gekommen, dann sind wir alle zusammen gegangen. Die zwei sagten mir, dass wir drei in den Stadtpark gehen sollten. Ich war betrunken. Ich habe mich auf den Weg gemacht mit den zwei zusammen. Jener Afghane, der dieses Messer gekauft hat, hat wahrscheinlich unterwegs irgendwo ein Messer mir gegeben. Ich muss sagen, ich war zu betrunken, ich habe es nicht bemerkt. Ich erinnere mich daran, dass ich mich am Anfang geweigert habe, das Messer zu nehmen, aber ich glaube, dass ich es dann irgendwie bekommen habe. Dann sind wir alle in diesen besagten Park hingegangen. Aber dieser Afghane, der zwei Wochen zuvor verletzt worden ist, hat wahrscheinlich die anderen angegriffen. Da ich auch in diesem Park war und ich war betrunken und die Streiterei hat begonnen. Wir waren alle laut, aber die andere Person hat den anderen angegriffen. Der zweite Afghane ist zu mir gekommen und hat gesagt: „Gib mir das Messer“. Ich habe zuerst nicht verstanden, was er meint. Dann hat er das Messer von mir bekommen. Die anderen sind verletzt worden. Dann sind die Polizisten gekommen. Ich war auch dabei. Mich hat man auch mitgenommen.

RI: Das klingt jetzt alles relativ harmlos nach Streiterei und ein paar Verletzungen und Sie haben dabei kaum irgendwie mitgewirkt. Die Geschworenen haben das seinerzeit aber ganz anders gesehen. Ich lese Ihnen das jetzt vor.

RI: Die Geschworenen haben damals in ihrem Wahrspruch folgenden Sachverhalt für erwiesen gehalten, nämlich, dass Sie „am 26. Dezember 2016 in Graz im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit […] als unmittelbarem Täter dem [D…], [B…] und [Y…] absichtlich eine schwere Körperverletzung zugefügt zu haben, wobei […] und […] dem [D…] jeweils derart wuchtige Stiche in den Bauchbereich versetzten, dass der Knorpel im Bereich des Rippenbogens brach und die Bauchhöhle eröffnet wurde (Stichverletzung am rechten Oberbauch mit Eröffnung der Bauchhöhle; Stichverletzung am linken Oberbauch, Durchtrennung des knorpeligen Anteils der 10. Rippe links und geringgradiger Blutung in die Bauchhöhle; Kopfprellung mit Prellmarke über dem Scheitel rechts; an sich schwere Körperverletzung), sowie zumindest einer der Täter [B…] mehrere Messerstiche in den Bereich des oberen Rückens und des rechten Ellbogens (Stichverletzung an der rechten Schulterrückseite über dem Schulterblatt 25 mm tief und 10 mm breit; Stichverletzung im Bereich des rechten Ellenbogengelenkes 3 cm tief; leichte Körperverletzung) und [Y…] einen Messerstich im Bereich des Rückens unter dem Schulterblatt (5-6 mm breite Stichverletzung am äußeren Rücken rechts unterhalb des Schulterblattes, 1,5 cm tief in Richtung Rückenmitte verlaufend; leichte Körperverletzung) versetzte.“ An diesen Verletzungen haben Sie mitgewirkt. Woran Sie nicht bloß mitgewirkt haben, sondern was Sie direkt selbst getan haben das war, dass Sie bei diesem Ereignis dem „[I] eine schwere Körperverletzung absichtlich zuzufügen versucht [haben], indem Sie ihm mehrere Faustschläge ins Gesicht versetzten und mit einem Holzstecken gegen das rechte Knie schlugen sowie ein anderen diesen I festhielt, während [Sie] ihm mit einer massiven Glasflasche (Vodka) wiederholt wuchtige Schläge auf den Kopf versetzte (welche eine Platzwunde am Kopf, eine Schnittwunde am Zeigefinger und den Verdacht auf Nasenbeinbruch zur Folge hatte)“. Können Sie sich jetzt an diese Details erinnern?

BF: Ja, das stimmt ich war auch bei der Streiterei beteiligt, aber ich habe niemanden mit einer Flasche angegriffen. Die Person war im Gerichtssaal an diesem Tag und er hat mit seinem Fingerzeiger jenen gezeigt, der ihn angegriffen hat. Ich habe niemals ein Messer verwendet. Wie gesagt, mein großer Fehler war, dass ich an diesem Tag mit diesen Personen zusammen gewesen bin. Es stimmt, ich habe mit der Faust den anderen angegriffen, aber weder war ein Messer im Spiel noch eine Flasche. Der Verletzte hat selber im Gericht gesagt, dass ich ihn mit den Fäusten angegriffen habe, aber es war ein anderer, der ihn mit der Flasche angegriffen hat. Es war mein Fehler, dass ich zum ersten Mal in meinem Leben getrunken habe und ich war mit falschen Freunden zu diesem Zeitpunkt zusammen. Ich habe mich dort im Gerichtssaal entschuldigt und ich entschuldige mich heute noch einmal. Man hat für mich fünf Jahre geschrieben, ich habe es ohne Weiteres akzeptiert und ich habe davon auch was gelernt, dass ich in der Zukunft meine Freunde besser auswählen sollte.

RI: Auch das stimmt so nicht ganz, denn Sie haben damals sechs Jahre Haft bekommen, haben das nicht ohne Weiteres akzeptiert, sondern Berufung eingelegt und das OLG Graz hat dann das Strafmaß auf fünf Jahre herabgesetzt. Können Sie sich jetzt daran erinnern?

BF: Damit meine ich, als es auf fünf Jahre heruntergekommen ist, habe ich es akzeptiert. Ich habe wirklich gelernt davon. Ich habe vieles gelernt. Ich habe im Gefängnis eine Therapie gehabt. Ich habe dort auch zwei Jahre gearbeitet. In meinem Leben werde ich niemals solche Freunde auswählen. Sowas kommt nie mehr in der Zukunft von mir vor. Es war ein großer Fehler, ja.

Anmerkung: D führt aus, dass der BF seine eben gemachten Ausführungen nochmals wiederholt hat und zusätzlich den Satz hinzugefügt hat: Ich bin deswegen hierhin gekommen nach Österreich, um mein Leben zu retten, aber stattdessen habe ich falsche Freunde getroffen und ich kann mich nur dafür entschuldigen.

Die Verhandlung wird um 15:30 Uhr unterbrochen und um 15:45 Uhr fortgesetzt.

RI: Gibt es noch weitere Dinge, die Sie im Falle einer Rückkehr befürchten?

BF: Mein Leben ist in Afghanistan in Gefahr. Ich habe dort auch Feinde. Ich habe auch mit den Taliban ein Problem, weil ich zweieinhalb Jahre ca. in der afghanischen Verteidigung tätig gewesen bin. Die Taliban sozusagen kennen mich, weil ich ein Ingenieur für die Mienen gewesen bin, also Mineningenieur gewesen bin. Außerdem wo ich meine Aufgaben erledigt habe, das ist einer der gefährlichsten Orte in Afghanistan und sie haben ihre Tätigkeiten hauptsächlich nur auf Minen konzentriert, sie haben die Minen auf die Straßen gestellt bzw. vergraben. Vielleicht, Sie wissen es selbst, Paktia ist einer der gefährlichsten Orte in Afghanistan. Wie gesagt, ich habe dort zweieinhalb Jahre gearbeitet. Aus diesem Grund haben die Taliban sogar unser Haus angegriffen. Sie haben meinen Vater auch mitgenommen. Sie haben ihn auch vier Tage bei sich behalten. Sie haben sehr viel auf ihn eingeschlagen und ihn gefoltert. Als ich im Gefängnis gewesen bin, durch einen falschen Bericht hat man sogar einen Cousin von mir väterlicherseits getötet, die Taliban haben ihn getötet. Ich habe private Feinde auch dort. Es ging darum, dass ich eine Beziehung mit einer Tochter eines Mullahs gehabt habe, dieser Mullah hat XXXX geheißen. Während meiner Schulzeit habe ich mit diesem Mädchen immer Kontakt gehabt. Ca. zwei Jahre sozusagen sind wir zusammen gewesen. Wir haben uns geliebt. Als die Familie des Mädchens darauf gekommen ist, ihre Familie hatte dann vor mich zu töten, das ist kulturbedingt, weil die Familie wollte ihr Gesicht behalten. Eigentlich aus diesem Grund bin ich zur afghanischen Verteidigung ge

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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