TE Bvwg Erkenntnis 2020/10/12 G314 2205555-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 12.10.2020
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Entscheidungsdatum

12.10.2020

Norm

BFA-VG §18 Abs3
B-VG Art133 Abs4
FPG §67 Abs1
FPG §67 Abs2

Spruch

G314 2205555-1/7E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag.a Katharina BAUMGARTNER über die Beschwerde des tschechischen Staatsangehörigen XXXX , geboren am XXXX , vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX .09.2018, Zl. XXXX , betreffend die Erlassung eines Aufenthaltsverbots A) beschlossen und B) zu Recht erkannt:

A)       Der Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, wird als unzulässig zurückgewiesen.

B)       Der Beschwerde wird teilweise Folge gegeben und der angefochtene Bescheid dahingehend abgeändert, dass es in Spruchpunkt I. zu lauten hat: „Gemäß § 67 Abs 1 und 2 FPG wird gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von vier Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen.“

C)       Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text


Entscheidungsgründe:

Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer (BF) wurde am XXXX .05.2018 verhaftet und anschließend in der Justizanstalt XXXX in Untersuchungshaft angehalten. Am XXXX wurde er vom Landesgericht XXXX zu einer zweijährigen, teilbedingten Freiheitsstrafe verurteilt.

Mit dem Schreiben des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 31.07.2018 wurde der BF aufgefordert, sich zur beabsichtigten Erlassung eines Aufenthaltsverbots zu äußern. Er erstattete eine entsprechende Stellungnahme.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wurde gegen den BF gemäß § 67 Abs 1 und 2 FPG ein siebenjähriges Aufenthaltsverbot erlassen (Spruchpunkt I.), gemäß § 70 Abs 3 FPG kein Durchsetzungsaufschub erteilt (Spruchpunkt II.) und einer Beschwerde die aufschiebende Wirkung gemäß § 18 Abs 3 BFA-VG aberkannt. Das Aufenthaltsverbot wurde im Wesentlichen mit seiner strafgerichtlichen Verurteilung wegen Suchtgifthandels, dem Fehlen familiärer Bindungen in Österreich und dem Umstand, dass er in Tschechien lebe und lediglich aus beruflichen Gründen in das Bundesgebiet eingereist sei, begründet.

Dagegen richtet sich die per Fax beim BFA eingebrachte Beschwerde des BF, von der nur zwei Seiten und die Beilagen (Vollmacht, Zahlungsbeleg und Schreiben der XXXX ) übermittelt wurden.

Das BFA legte die (unvollständige) Beschwerde und die Verfahrensakten dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) vor.

Der BF wurde am XXXX .09.2018 bedingt aus der Haft entlassen und nach Tschechien abgeschoben.

Das BVwG trug dem BF mit dem Mängelbehebungsauftrag vom 25.09.2020 auf, die Beschwerde vollständig vorzulegen und einen Nachweis für seine aktuell ausgeübte Erwerbstätigkeit anzuschließen.

Am 05.10.2020 wurde eine vollständige Ausfertigung der Beschwerde beim BVwG eingebracht und die geforderte Arbeitsbestätigung vorgelegt. Der BF beantragt, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen und Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids zu beheben, in eventu dahingehend abzuändern, dass die Dauer des Aufenthaltsverbots reduziert wird. Begründet wird dies zusammengefasst damit, dass er keine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstelle. Er bereue sein Fehlverhalten und sei zum ersten Mal strafgerichtlich verurteilt worden. Er sei seit 2015 als Produktionsmitarbeiter in Österreich beschäftigt, wobei er von seinem tschechischen Wohnort aus zu seinem Arbeitsort gependelt sei, und habe eine Wiedereinstellungszusage seines Arbeitgebers für die Zeit nach der Haft.

Das BFA legte die Beschwerde samt den Akten des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem Antrag vor, den angefochtenen Bescheid zu bestätigen.

Feststellungen:

Der am XXXX in der tschechischen Stadt XXXX geborene BF ist tschechischer Staatsangehöriger. Seine Muttersprache ist Tschechisch; er beherrscht aber auch die deutsche Sprache und hat eine Prüfung für das Sprachniveau B1 abgelegt.

Der BF besuchte in Tschechien die Schule und machte anschließend eine XXXX . Er hat einen Wohnsitz in der tschechischen Stadt XXXX . Er ist ledig und kinderlos. Seine Mutter lebt in Tschechien. Sein Vater und sein Großvater, zu denen er nur sporadisch Kontakt hat, leben in Österreich. 2008 war der BF erstmal kurzfristig (von XXXX bis XXXX ) in XXXX erwerbstätig. Ab ungefähr 2011 konsumierte er Cannabis.

Von August 2013 bis März 2015 und von September 2015 bis zu seiner Festnahme war der BF war im Bundesgebiet unselbständig erwerbstätig. Er pendelte täglich von seinem tschechischen Wohnort zu seinem Arbeitsplatz in Österreich. Eine Anmeldebescheinigung wurde ihm nicht ausgestellt. Im österreichischen Bundesgebiet bestand keine Wohnsitzmeldung.

Mit dem Urteil des Landesgerichts XXXX vom XXXX , XXXX , wurde der BF wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 zweiter und fünfter Fall, Abs 4 Z 3 SMG und des Vergehens nach § 50 Abs 1 Z 2 WaffG - ausgehend von einem Strafrahmen von einem bis zu fünfzehn Jahren Freiheitsstrafe - rechtskräftig zu einer zweijährigen Freiheitsstrafe verurteilt, wobei ein Strafteil von 18 Monaten bedingt (unter Bestimmung einer dreijährigen Probezeit) nachgesehen wurde. Der Verurteilung lag zugrunde, dass er von September 2013 bis Februar 2018 Suchtgift in einer das 25-fache der Grenzmenge übersteigenden Menge (19,3 kg Cannabiskraut mit ca. 5 % Delta-9-THC und ca. 10 % THCA) nach Österreich eingeführt bzw. zwei Abnehmern überlassen hatte. Außerdem besaß er bei seiner Verhaftung (zumindest fahrlässig) eine verbotene Waffe (Schlagring). Bei der Strafbemessung wurden der ordentliche Lebenswandel, das reumütige Teilgeständnis und der teilweise Versuch als mildernd gewertet. Erschwerend wirkten sich das Zusammentreffen von Verbrechen und Vergehen und der lange Tatzeitraum aus. Ein Betrag von EUR 5.800 wurde für verfallen erklärt. Es handelt sich um die erste und bislang einzige strafgerichtliche Verurteilung des BF.

Der BF verbüßte den unbedingten Strafteil in der Justizanstalt XXXX , wo er im gelockerten Vollzug angehalten wurde. Am XXXX .09.2018 wurde er unter Bestimmung einer dreijährigen Probezeit bedingt entlassen. Sein letzter Arbeitgeber wäre bereit gewesen wäre, ihn nach dem Strafvollzug wieder einzustellen.

Der BF ist gesund und arbeitsfähig. Er kehrte nach der Haftentlassung zunächst nach XXXX zurück. Seit Mai 2019 ist er in einem deutschen XXXX als Servicekraft erwerbstätig und hat einen Wohnsitz in der Gemeinde XXXX .

Beweiswürdigung:

Der Verfahrensgang ergibt sich widerspruchsfrei aus dem unbedenklichen Inhalt der vorgelegten Verwaltungsakten und des Gerichtsakts des BVwG.

Die Feststellungen basieren auf den aktenkundigen Urkunden, insbesondere dem Strafurteil, den Angaben des BF in seiner Stellungnahme an das BFA, den Abfragen im Zentralen Melderegister (ZMR), Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister (IZR) und im Strafregister sowie den Versicherungsdaten.

Eine Kopie des Personalausweises des BF, aus dem auch sein Geburtsort hervorgeht, liegt vor. Tschechischkenntnisse sind angesichts seiner Herkunft und der in Tschechien absolvierten Ausbildung plausibel, zumal seiner Beschuldigtenvernehmung vom 11.05.2018 eine Tschechischdolmetscherin beigezogen wurde. Das Zeugnis über die Deutschprüfung für das Sprachniveau B1 vom XXXX wurde vorgelegt; Deutschkenntnisse gehen auch aus den Angaben des BF bei der Beschuldigtenvernehmung hervor.

Der BF schilderte seine Ausbildung und seine Familienverhältnisse in seiner Stellungnahme schlüssig und nachvollziehbar. Die Zeiten seiner Erwerbstätigkeit im Inland gehen aus dem Versicherungsdatenauszug hervor. Aus dem ZMR ergeben sich (abgesehen von der Zeit der Anhaltung in der Justizanstalt XXXX ) keine Wohnsitzmeldungen des BF, was mit seiner Darstellung, er sei täglich von seinem Wohnort in Tschechien zu seinem Arbeitsplatz in Österreich gependelt, in Einklang steht.

Aus der Beschuldigtenvernehmung, der Vollzugsinformation und dem Beschluss über die bedingte Entlassung geht jeweils die Wohnanschrift des BF in XXXX hervor; dorthin ist auch die zuletzt vorgelegte Arbeitsbestätigung vom 02.10.2020 adressiert. Im IZR ist weder eine Anmeldebescheinigung noch ein darauf gerichteter Antrag dokumentiert. Der festgestellte Suchtgiftkonsum des BF ergibt sich aus der Beschuldigtenvernehmung vom 11.05.2018 („… Ich habe vor ca. sieben Jahren mit dem Cannabisrauchen angefangen …“).

Die Feststellungen zu den vom BF begangenen Straftaten, zu seiner Verurteilung und zu den Strafbemessungsgründen basieren auf dem Strafregister und dem Urteil des Landesgerichts XXXX . Es sind keine Hinweise auf weitere strafgerichtliche Verurteilungen des BF aktenkundig, zumal sein bisher ordentlicher Lebenswandel als Milderungsgrund berücksichtigt wurde. Die Feststellungen zum Strafvollzug werden anhand der Vollzugsinformation getroffen, die zur bedingten Entlassung ergeben sich aus dem Strafregister und dem Beschluss des Landesgerichts XXXX vom XXXX . Die Wiedereinstellungszusage des Arbeitgebers des BF wurde vorgelegt.

Es liegen keine Beweisergebnisse für signifikante Erkrankungen des BF oder Einschränkungen seiner Arbeitsfähigkeit vor. In seiner Stellungnahme bezeichnet er sich folgerichtig als gesund. Dies korrespondiert auch mit der aktuell ausgeübten Erwerbstätigkeit. Diese und der nunmehrige Wohnsitz des BF in Deutschland gehen aus den dem BVwG mit der Beschwerdeverbesserung übermittelten Unterlagen hervor.

Anhaltspunkte für eine über die Feststellungen hinausgehende Integration oder Anbindung des BF in Österreich sind nicht aktenkundig.

Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A):

Aufgrund der in § 18 Abs 5 BFA-VG angeordneten amtswegigen Prüfung der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung durch das BVwG ist der Antrag des BF, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, weder notwendig noch zulässig und daher zurückzuweisen.

Zu Spruchteil B):

Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids:

Gemäß § 67 Abs 1 FPG ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen den BF als EWR-Bürger (§ 2 Abs 4 Z 8 FPG) zulässig, wenn auf Grund seines persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet ist. Das Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können diese Maßnahmen nicht ohne weiteres begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen einen EWR-Bürger, der den Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatte, ist zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Gemäß § 67 Abs 2 FPG kann ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden. Bei einer besonders schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit kann das Aufenthaltsverbot gemäß § 67 Abs 3 FPG auch unbefristet erlassen werden, so z.B. bei einer rechtskräftigen Verurteilung zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren (§ 67 Abs 3 Z 1 FPG).

Bei der Erstellung der für jedes Aufenthaltsverbot zu treffenden Gefährdungsprognose ist das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die jeweils maßgebliche Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung oder Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Bei der nach § 67 Abs 1 FPG zu erstellenden Gefährdungsprognose geht schon aus dem Gesetzeswortlaut klar hervor, dass auf das "persönliche Verhalten" des Fremden abzustellen ist und strafgerichtliche Verurteilungen allein nicht ohne weiteres ein Aufenthaltsverbot begründen können (siehe VwGH 22.08.2019, Ra 2019/21/0091).

Bei der Festsetzung der Dauer des Aufenthaltsverbotes ist gemäß § 67 Abs 4 FPG auf alle für seine Erlassung maßgeblichen Umstände Bedacht zu nehmen, insbesondere auch auf die privaten und familiären Verhältnisse (VwGH 24.05.2016, Ra 2016/21/0075).

Hier hat sich der BF weder seit zehn Jahren im Bundesgebiet aufgehalten noch das unionsrechtliche Recht auf Daueraufenthalt erworben, weil er sich als Tagespendler aus Tschechien nicht kontinuierlich in Österreich aufhielt. Daher ist der Gefährdungsmaßstab des § 67 Abs 1 zweiter bis vierter Satz FPG („tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt“) anzuwenden.

Das persönliche Verhalten des BF stellt eine solche Gefahr dar, die Grundinteressen der Gesellschaft iSd Art 8 Abs 2 EMRK (an der Verteidigung der öffentlichen Ruhe und Ordnung, der Verhinderung von strafbaren Handlungen sowie zum Schutz der Gesundheit, der Moral und der Rechte und Freiheiten anderer) berührt. Aufgrund des grenzüberschreitenden Handels mit einer übergroßen Suchtgiftmenge über einen langen Zeitraum, den der BF zu verantworten hat, geht von ihm eine so schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit aus, dass ein Aufenthaltsverbot notwendig ist. Der von ihm verwirklichte Tatbestand des § 28a SMG erfasst besonders qualifizierte Formen der Suchtgiftkriminalität (siehe VwGH 30.08.2017, Ra 2017/18/0155). Der VwGH hat in Bezug auf Suchtgiftdelinquenz bereits wiederholt festgehalten, dass diese ein besonders verpöntes Fehlverhalten darstellt, bei dem erfahrungsgemäß eine hohe Wiederholungsgefahr gegeben ist und an dessen Verhinderung ein besonders großes öffentliches Interesse besteht (siehe VwGH 23.02.2016, Ra 2015/01/0249 sowie 01.04.2019, Ra 2018/19/0643). Aufgrund der gravierenden Delinquenz des BF und der daraus ableitbaren hohen Gefährdung der öffentlichen Sicherheit kann für ihn trotz der langjährigen Erwerbstätigkeit im Inland, der Bereitschaft seines Arbeitgebers, ihn nach der Haft wieder zu beschäftigen, und des Umstands, dass er aktuell wieder einer geregelten Beschäftigung nachgeht und offenbar in geordneten Verhältnissen lebt, keine positive Zukunftsprognose erstellt werden. Ein Gesinnungswandel eines Straftäters ist grundsätzlich daran zu messen, ob und wie lange er sich - nach dem Vollzug einer Haftstrafe - in Freiheit wohlverhalten hat (VwGH 19.12.2019, Ra 2019/21/0276). Hier handelte der BF mehrere Jahre lang bis zu seiner Verhaftung mit Suchtgift und war danach bis September 2018 in Haft. Die seither verstrichene Zeit reicht noch nicht aus, um einen Wegfall oder eine maßgebliche Minderung der von ihm ausgehende Gefahr annehmen zu können.

Der BF hat kein relevantes Familienleben in Österreich, zumal zu seinen im Bundesgebiet lebenden Angehörigen kaum Kontakt besteht. Er hält sich seit seiner Abschiebung im September 2018 nicht mehr im Inland auf, sondern ist mittlerweile in Deutschland berufstätig. Da er in Österreich mehrere Jahre lang gearbeitet und Deutschkenntnisse erworben hat, greift das Aufenthaltsverbot trotzdem in sein Privatleben ein. Daher ist eine einzelfallbezogene gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an der Aufenthaltsbeendigung mit seinen gegenläufigen privaten Interessen, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs 2 BFA-VG genannten Kriterien, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen. Diese Interessenabwägung ergibt hier, dass der mit dem Aufenthaltsverbot verbundene Eingriff in sein Privatleben verhältnismäßig ist. Aufgrund der Suchtgiftkriminalität besteht ein besonders großes öffentliches Interesse an der Aufenthaltsbeendigung. Der BF kann die Kontakte zu in Österreich lebenden Verwandten und Bekannten auch durch Telefonate, Briefe und elektronische Kommunikationsmittel (Internet, E-Mail, soziale Medien) sowie durch Besuche außerhalb Österreichs pflegen. Das Aufenthaltsverbot wurde somit dem Grunde nach zu Recht erlassen.

Da der BF zum ersten Mal strafgerichtlich verurteilt wurde, sich im Strafverfahren zum Teil geständig verantwortete, sodass der Strafrahmen bei weitem nicht ausgeschöpft wurde, und vorzeitig bedingt entlassen wurde, ist ein vierjähriges Aufenthaltsverbot ausreichend, um der von ihm ausgehenden Gefährdung der öffentlichen Ordnung wirksam zu begegnen. Dadurch wird auch der erhöhten spezialpräventiven Wirkung des Erstvollzugs Rechnung getragen. Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids ist daher (dem Eventualantrag in der Beschwerde entsprechend) in diesem Sinn abzuändern.

Zu den Spruchpunkten II. und III. des angefochtenen Bescheids:

Gemäß § 70 Abs 3 FPG ist EWR-Bürgern bei der Erlassung einer Ausweisung von Amts wegen ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat zu erteilen, es sei denn, die sofortige Ausreise wäre im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich. Gemäß § 18 Abs 3 BFA-VG kann die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde gegen ein Aufenthaltsverbot aberkannt werden, wenn deren sofortige Ausreise oder die sofortige Durchsetzbarkeit im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich ist.

Angesichts der grenzüberschreitenden Suchtgiftdelinquenz des BF, die er über einen langen Zeitraum bis zu seiner Festnahme fortsetzte, und des Umstands, dass er nie einen Wohnsitz im Inland begründete, ist dem BFA darin beizupflichten, dass seine sofortige Ausreise nach der Enthaftung im Interesse der öffentlichen Ordnung und Sicherheit erforderlich war. Weder die Nichterteilung eines Durchsetzungsaufschubes gemäß § 70 Abs 3 FPG noch die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 18 Abs 3 BFA-VG sind somit zu beanstanden. Es liegen auch keine Gründe für die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung durch das BVwG gemäß § 18 Abs 5 BFA-VG vor, zumal der BF auch während seiner Erwerbstätigkeit in Österreich täglich nach Tschechien zurückkehrte, sodass es ihm zumutbar war, den Verfahrensausgang außerhalb des Bundesgebiets abzuwarten. Die (in der Beschwerde nicht konkret beanstandeten) Spruchpunkte II. und III. des angefochtenen Bescheids sind daher nicht korrekturbedürftig.

Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung:

Da der relevante Sachverhalt aus der Aktenlage und dem Beschwerdevorbringen geklärt erscheint und auch bei einem positiven Eindruck vom BF bei einer mündlichen Verhandlung keine weitere Herabsetzung oder gar ein Entfall des Aufenthaltsverbots möglich wäre, unterbleibt die beantragte Beschwerdeverhandlung gemäß § 21 Abs 7 BFA-VG, zumal von deren Durchführung keine weitere Klärung der Angelegenheit zu erwarten ist.

Zu Spruchteil C):

Die einzelfallbezogene Erstellung einer Gefährdungsprognose, die Interessenabwägung gemäß § 9 BFA-VG und die Bemessung der Dauer eines Aufenthaltsverbots sind im Allgemeinen nicht revisibel (siehe VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0284, 01.03.2018, Ra 2018/19/0014 und 10.07.2019, Ra 2019/19/0186). Die Revision ist nicht zuzulassen, weil sich das BVwG im vorliegenden Einzelfall an der zitierten höchstgerichtlichen Rechtsprechung orientieren konnte und keine darüber hinausgehende grundsätzliche Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG zu lösen war.

Schlagworte

Aufenthaltsverbot aufschiebende Wirkung - Entfall EWR-Bürger geringfügiges Verschulden Geständnis Herabsetzung Interessenabwägung Milderungsgründe öffentliche Interessen Unionsrecht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:G314.2205555.1.00

Im RIS seit

03.12.2020

Zuletzt aktualisiert am

03.12.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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