Entscheidungsdatum
23.10.2020Norm
BFA-VG §18 Abs2 Z1Spruch
G313 2235825-1/3Z
TEILERKENNTNIS
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Birgit WALDNER-BEDITS als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX, geb. XXXX, StA. Bosnien und Herzegowina, vertreten durch Gottgeisl & Leinsmer Rechtsanwälte OG, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 03.09.2020, Zl. XXXX, zu Recht erkannt:
A)
I. Der Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, wird als unzulässig zurückgewiesen.
II. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt V. des angefochtenen Bescheids wird Folge gegeben und dieser Spruchpunkt ersatzlos behoben. Gemäß § 18 Abs. 5 BFA-VG wird der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuerkannt.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA oder belangte Behörde) vom 03.09.2020 wurde gemäß § 52 Abs. 4 .FPG iVm § 9 BFA-VG gegen den Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt I.), gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des BF gemäß § 46 FPG nach Bosnien und Herzegowina zulässig ist (Spruchpunkt II.), gemäß § 53 Abs. 1 iVm § Abs. 2 Z. 2 FPG gegen den BF ein auf die Dauer von drei Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt III.), ausgesprochen, dass gemäß § 55 Abs. 4 FPG eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht gewährt wird (Spruchpunkt IV.) und einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung gemäß § 18 Abs. 2 Z. 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt V.).
2. Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht Beschwerde erhoben. Es wurde unter anderem beantragt, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.
3. Am 09.10.2020 langte beim Bundesverwaltungsgericht (im Folgenden: BVwG) die gegenständliche Beschwerde samt dazugehörigem Verwaltungsakt ein.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Im angefochtenen Bescheid wurde die Rückkehrentscheidung im Wesentlichen auf ein gegen den BF erlassenen Straferkenntnisses gestützt, wonach der BF am 19.10.2019 ein Fahrzeug in einem Alkohol beeinträchtigten Zustand gelenkt habe, und kein schützenswertes Privat- und Familienleben des BF in Österreich festgestellt.
Mit Spruchpunkt V. des angefochtenen Bescheides wurde einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung gemäß § 18 Abs. 2 Z. 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt.
1.2. In der Beschwerde wurde unter anderem Folgendes vorgebracht:
„(…)
Bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit einer Entscheidung ist gesamtes Umfeld und Lebenslauf der von der Entscheidung betroffenen Person zu berücksichtigen und gegen die Entscheidung abzuwägen.
Hätte die belangte Behörde die Ermittlungs- und Manuduktionspflicht nicht verletzt, würde der Beschwerdeführer weitere Beweise vorlegen können, aus welchen zu entnehmen ist, dass die bereits erlassene Entscheidung nicht verhältnismäßig ist.
Der Beschwerdeführer ist bei (…) GmbH berufstätig und würde seinen Arbeitsplatz verlieren, wenn er das Bundesgebiet verlassen müsste.
Die Entscheidung der Behörde würde auch dazu führen, dass der Beschwerdeführer sein ganzes Leben, welches er seit 12.07.2016 im Bundesgebiet aufgebaut hat, wegen dieser einmaligen Verfehlung aufgeben müsste. Sohin hat die belangte Behörde durch Nichtberücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes gegen Artikel 8 EMRK verstoßen. (…).“ (AS 148f)
2. Beweiswürdigung:
Die oben getroffenen Feststellungen beruhen auf dem diesbezüglichen Akteninhalt.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu Spruchteil A): Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung
3.1. Die gegenständliche Beschwerde richte sich unter anderem gegen Spruchpunkt V. des angefochtenen Bescheides, womit einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung gemäß § 18 Abs. 2 Z. 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt wurde.
Seitens des BVwG ist darüber gemäß § 18 Abs. 5 BFA-VG mittels eines (Teil-) Erkenntnisses zu entscheiden.
3.2. Gemäß § 18 Abs. 2 Z. 1 BFA-VG ist die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde gegen eine Rückkehrentscheidung vom Bundesamt abzuerkennen, wenn die sofortige Ausreise des Drittstaatsangehörigen im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich ist.
§ 18 Abs. 5 und 6 BFA-VG lauten wie folgt:
„§ 18. (…)
(5) Das Bundesverwaltungsgericht hat der Beschwerde, der die aufschiebende Wirkung vom Bundesamt aberkannt wurde, binnen einer Woche ab Vorlage der Beschwerde von Amts wegen die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, wenn anzunehmen ist, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK, Art. 8 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. In der Beschwerde gegen den in der Hauptsache ergangenen Bescheid sind die Gründe, auf die sich die Behauptung des Vorliegens einer realen Gefahr oder einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit gemäß Satz 1 stützt, genau zu bezeichnen. § 38 VwGG gilt.
(6) Ein Ablauf der Frist nach Abs. 5 steht der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung nicht entgegen.“
Der mit „Schutz des Privat- und Familienlebens“ betitelte § 9 BFA-VG lautet:
„§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.
(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:
1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,
2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,
3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,
4. der Grad der Integration,
5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,
6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,
7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,
8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,
9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.
(…) .“
Das mit „Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens“ betitelte Art. 8 EMRK lautet wie folgt:
„Artikel 8 – Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens
(1) Jedermann hat Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs.
(2) Der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts ist nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.“
Die Entscheidung über die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung ist nicht als Entscheidung in der Sache selbst zu werten; vielmehr handelt es sich dabei um eine der Sachentscheidung vorgelagerte (einstweilige Verfügung, die nicht geeignet ist, den Ausgang des Verfahrens vorwegzunehmen. Es ist in diesem Zusammenhang daher lediglich darauf abzustellen, ob es – im Sinne einer Grobprüfung – von vornherein ausgeschlossen erscheint, dass die Angaben des BF als „vertretbare Behauptungen“ zu qualifizieren sind, die in den Schutzbereich der hier relevanten Bestimmungen der EMRK reichen.
3.3. Zu Spruchpunkt A) I.:
Mit der Beschwerde wurde unter anderem beantragt, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.
Aufgrund der in § 18 Abs. 5 BFA-VG angeordneten amtswegigen Prüfung der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung durch das BVwG ist der Antrag des BF, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, weder notwendig noch zulässig und daher zurückzuweisen.
3.4. Zu Spruchpunkt A) II.:
Mit Spruchpunkt V. des angefochtenen Bescheides wurde einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung gemäß § 18 Abs. 2 Z. 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt.
Unter den Feststellungen in dem im Spruch angeführten Bescheid wurde zum Privat- und Familienleben Folgendes festgehalten:
„Familiäre Bindungen in Österreich konnten keine festgestellt werden. Laut Ermittlungserfahrung der MA 35 sind Sie geschieden. Es konnte kein schützenswertes Privatleben festgestellt werden. Es ist keine tiefer greifende Integration in Österreich erkennbar.“ (AS 104).
Es wurde im angefochtenen Bescheid kein schützenswertes Privat- und Familienleben festgestellt.
In der Beschwerde gegen den im Spruch angeführten Bescheid wurde unter anderem Folgendes vorgebracht:
„(…)
Bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit einer Entscheidung ist gesamtes Umfeld und Lebenslauf der von der Entscheidung betroffenen Person zu berücksichtigen und gegen die Entscheidung abzuwägen.
Hätte die belangte Behörde die Ermittlungs- und Manuduktionspflicht nicht verletzt, würde der Beschwerdeführer weitere Beweise vorlegen können, aus welchen zu entnehmen ist, dass die bereits erlassene Entscheidung nicht verhältnismäßig ist.
Der Beschwerdeführer ist bei (…) GmbH berufstätig und würde seinen Arbeitsplatz verlieren, wenn er das Bundesgebiet verlassen müsste.
Die Entscheidung der Behörde würde auch dazu führen, dass der Beschwerdeführer sein ganzes Leben, welches er seit 12.07.2016 im Bundesgebiet aufgebaut hat, wegen dieser einmaligen Verfehlung aufgeben müsste. Sohin hat die belangte Behörde durch Nichtberücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes gegen Artikel 8 EMRK verstoßen. (…).“ (AS 148f)
Mit diesem Beschwerdevorbringen machte der BF ein reales Risiko der Verletzung von Art. 8 EMRK geltend. Bei einer Grobprüfung dieses Vorbringens kann nicht von vornherein ausgeschlossen werden, dass es dabei um „vertretbare Behauptungen“ handelt. Im vorliegenden Fall kann somit eine Entscheidung über die dem BVwG vorliegende Beschwerde erst nach weiteren Ermittlungen getroffen werden.
Es war daher der gegenständlichen Beschwerde gemäß § 18 Abs. 5 BFA-VG die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.
3.5. Zu Spruchteil B): Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzlichen Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
aufschiebende WirkungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:G313.2235825.1.00Im RIS seit
03.12.2020Zuletzt aktualisiert am
03.12.2020