TE OGH 2020/10/21 9Ob32/20a

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 21.10.2020
beobachten
merken

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsrekursgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Fichtenau, Hon.-Prof. Dr. Dehn, Dr. Hargassner und Mag. Korn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. H*****, vertreten durch Dr. Farhad Paya, Rechtsanwalt in Klagenfurt, gegen die beklagte Partei F*****, vertreten durch Mag. Paolo Caneppele, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wegen Feststellung, über den Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Klagenfurt als Rekursgericht vom 21. Februar 2020, GZ 1 R 180/19v-31, mit dem dem Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Bezirksgerichts Klagenfurt vom 24. Oktober 2019, GZ 25 C 526/19m-27, nicht Folge gegeben wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung:

Der Beklagte war mit der Mutter des Klägers verheiratet. Mit Beschluss des Bezirksgerichts Klagenfurt vom 13. 5. 2009 wurde diese Ehe gemäß § 55a EheG einvernehmlich geschieden. Die Mutter des Klägers war zu diesem Zeitpunkt besachwaltert. Bei Abschluss des der einvernehmlichen Scheidung zugrunde liegenden Scheidungsfolgenvergleichs war sie durch den Sachwalter vertreten. In diesem Vergleich wurde unter anderem festgehalten, dass eine Wohnung in Venedig auf den Beklagten übertragen werden soll. Die Mutter des Klägers starb am 27. 6. 2012. Der Nachlass wurde mit Beschluss des Bezirksgerichts Klagenfurt vom 4. 6. 2013 dem Kläger zur Gänze eingeantwortet.

Der Kläger begehrt die Feststellung, dass der am 13. 5. 2009 abgeschlossene Scheidungsfolgenvergleich rechtsunwirksam ist und dass ihm als Universalrechtsnachfolger nach seiner Mutter „das Eigentumsrecht in eventu der Verschaffungsanspruch auf das Recht des Eigentums“ an der Wohnung in Venedig zustehe. Die Scheidung und der Scheidungsfolgenvergleich stellten eine Ausübung eines höchstpersönlichen Rechts dar, das die natürliche Einsichts- und Urteilsfähigkeit des Ehegatten erfordere. Dieses Einverständnis könne weder durch den Sachwalter noch durch das Pflegschaftsgericht ersetzt werden. Der Scheidungsfolgenvergleich sei daher rechtsunwirksam. Sowohl das Verlassenschaftsverfahren nach seiner Mutter als auch das Scheidungsverfahren seien vom Erstgericht durchgeführt worden, weshalb dessen internationale Zuständigkeit gegeben sei.

Der Beklagte erhob vor Streitanlassung die Einrede der mangelnden internationalen Zuständigkeit. Die Zuständigkeit richte sich nach dem allgemeinen Gerichtsstand des Beklagten nach Art 4 ff EuGVVO.

Das Erstgericht wies die Klage wegen fehlender internationaler Zuständigkeit zurück. Ansprüche, die aus einer anlässlich der Auflösung der Ehe getroffenen Vereinbarung resultierten, seien dem ehelichen Güterstand zuzuordnen. Für derartige Verfahren gelte die Verordnung 2016/1103 des Rates vom 24. 6. 2016 zur Durchführung einer verstärkten Zusammenarbeit im Bereich der Zuständigkeit, des anzuwendenden Rechts und der Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Fragen des ehelichen Güterstands (Europäische Ehegüterverordnung – EuEheGüVO). Keiner der dort festgelegten Zuständigkeitstatbestände sei erfüllt, weshalb keine internationale Zuständigkeit bestehe.

Dem Rekurs des Klägers gegen diese Entscheidung gab das Rekursgericht nicht Folge. Es teilte die Auffassung des Erstgerichts, dass aus einer anlässlich der Auflösung der Ehe getroffenen Vereinbarung abgeleitete Ansprüche solche aus dem ehelichen Güterstand darstellten, weshalb die Anwendung der EuGVVO ausgeschlossen sei. Die EuEheGüVO erstrecke sich auf alle zivilrechtlichen Aspekte der ehelichen Güterstände. Sie erfasse Verfahren, an denen beide Ehegatten oder wie im vorliegenden Fall deren Rechtsnachfolger beteiligt seien. Die internationale Zuständigkeit der Mitgliedstaaten sei in dieser Verordnung abschließend geregelt. Sowohl das Verlassenschaftsverfahren nach der Mutter des Klägers als auch das Scheidungsverfahren seien rechtskräftig beendet. Der Kläger könne daher keine Zuständigkeit aus Art 4 oder 5 EuEheGüVO ableiten. Die internationale Zuständigkeit richte sich daher nach Art 6 EuEheGüVO. Keiner der dort angeführten Tatbestände sei aber erfüllt. Dass sich der Beklagte auf ein vorangehendes Scheidungsverfahren eingelassen habe, sei in diesem Zusammenhang irrelevant.

Der ordentliche Revisionsrekurs wurde vom Rekursgericht zugelassen, da höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage fehle, ob eine Klage auf Unwirksamkeit eines Scheidungsvergleichs nach rechtskräftiger Beendigung des Scheidungsverfahrens auf den Annexgerichtsstand des Art 5 EuEheGüVO gestützt werden könne.

Gegen diesen Beschluss richtet sich der Revisionsrekurs des Klägers mit dem Antrag, die Beschlüsse der Vorinstanzen ersatzlos zu beheben und dem Erstgericht, in eventu dem Rekursgericht die neuerliche Entscheidung unter Abstandnahme vom herangezogenen Zurückweisungsgrund aufzutragen.

Der Beklagte beteiligte sich nicht am Revisionsrekursverfahren.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig, aber nicht berechtigt.

1. Der Kläger begehrt mit seiner Klage die Feststellung der Unwirksamkeit eines Scheidungsfolgenvergleichs und daraus resultierende Ansprüche. Richtig haben die Vorinstanzen eine internationale Zuständigkeit nach der EuEheGüVO geprüft.

2. Nach Art 69 Abs 1 EuEheGüVO ist diese Verordnung vorbehaltlich der hier nicht relevanten Abs 2 und 3 dieser Bestimmung auf Verfahren, öffentliche Urkunden und gerichtliche Vergleiche anzuwenden, die am 29. 1. 2019 oder danach eingeleitet, förmlich errichtet oder eingetragen bzw gebilligt oder geschlossen worden sind. Der verfahrenseinleitende Antrag des Klägers, die Klage, langte am 9. 5. 2019, sohin nach dem in der Verordnung genannten Zeitpunkt bei Gericht ein.

3. Nach Art 1 Abs 1 EuEheGüVO findet sie auf die „ehelichen Güterstände“ Anwendung. Dieser Begriff wird in Art 3 Abs 1 lit a EuEheGüVO definiert als sämtliche vermögensrechtlichen Regelungen, die zwischen den Ehegatten und in ihren Beziehungen zu Dritten aufgrund der Ehe oder der Auflösung der Ehe gelten. Gemäß Erwägungsgrund 18 EuEheGüVO soll sich der Anwendungsbereich der Verordnung „auf alle zivilrechtlichen Aspekte der ehelichen Güterstände erstrecken und sowohl die Verwaltung des Vermögens der Ehegatten im Alltag betreffen als auch die güterrechtliche Auseinandersetzung, insbesondere infolge der Trennung des Paares oder des Todes eines Ehegatten. Für die Zwecke dieser Verordnung soll der Begriff ehelicher Güterstand autonom ausgelegt werden. (…) Dieser Begriff schließt nicht nur vermögensrechtliche Regelungen ein, die bestimmte einzelstaatliche Rechtsordnungen speziell und ausschließlich für die Ehe vorsehen, sondern auch sämtliche vermögensrechtlichen Verhältnisse, die zwischen den Ehegatten und in ihren Beziehungen gegenüber Dritten direkt infolge der Ehe oder der Auflösung des Eheverhältnisses gelten.“

Diese Definition entspricht der Judikatur des EuGH zum Ausnahmetatbestand des Art 1 Abs 2a EuGVVO und seiner Vorläuferbestimmungen Art 1 Z 1 EuGVÜ bzw LGVÜ (vgl 7 Ob 267/03w mwN; EuGH 31. 3. 1982, Rs 25/81, C.H.W. gegen G.J.H., ECLI:EU:C:1982:116, Rn 6 ua). Diesbezüglich hat auch der Oberste Gerichtshof bereits darauf verwiesen, dass die aus einer anlässlich der Auflösung der Ehe getroffenen Vereinbarung abgeleiteten Ansprüche solche aus dem ehelichen Güterstand entspringende Ansprüche darstellen (RS0112504). Dies muss daher umso mehr für eine Klage auf Feststellung der Unwirksamkeit des gesamten Scheidungsvergleichs gelten.

4. Ob dies auch dann gilt, wovon der Revisionsrekurs ausgeht, wenn sich ein Dritter als Universalrechtsnachfolger eines Ehegatten auf die Unwirksamkeit dieses Vergleichs beruft, kann dahingestellt bleiben, da sich auch unter Zugrundelegung dieser Rechtsauffassung aus der EuEheGüVO keine Zuständigkeit der österreichischen Gerichte ableiten lässt.

5. Der Kläger beruft sich zur Begründung der internationalen Zuständigkeit österreichischer Gerichte auf Art 5 EuEheGüVO. Dieser sieht – soweit für dieses Verfahren relevant – vor, dass wenn ein Gericht eines Mitgliedstaats zur Entscheidung über eine Ehescheidung nach der Verordnung (EG) Nr 2201/2003 angerufen wird, die Gerichte dieses Staats auch für Fragen des ehelichen Güterstands in Verbindung mit diesem Antrag zuständig sind.

Durch diese Annexzuständigkeit soll eine enge Verbindung zwischen dem Eheverfahren und dem die güterrechtlichen Angelegenheiten betreffenden Verfahren (Güterrechtsverfahren) gewährleistet werden. Dies führt zu einer Konzentration der Verfahren in einem Staat und soll der Rechtssicherheit dienen (Weber in Gitschthaler, Internationales Familienrecht [2019] Art 5 EuEheGüVO Rz 2). Erwägungsgrund 32 der Verordnung erläutert dazu: „Um der zunehmenden Mobilität von Paaren während ihres Ehelebens Rechnung zu tragen und eine geordnete Rechtspflege zu erleichtern, sollten die Zuständigkeitsvorschriften in dieser Verordnung den Bürgern die Möglichkeit geben, miteinander zusammenhängende Verfahren vor den Gerichten desselben Mitgliedstaats verhandeln zu lassen. Hierzu sollte mit dieser Verordnung angestrebt werden, die Zuständigkeit für den ehelichen Güterstand in dem Mitgliedstaat zu bündeln, dessen Gerichte berufen sind, über die Rechtsnachfolge von Todes wegen nach einem Ehegatten gemäß Verordnung (EU) Nr 650/2012 oder die Ehescheidung, die Trennung ohne Auflösung des Ehebands oder die Ungültigerklärung einer Ehe gemäß der Verordnung (EG) Nr 2201/2003 des Rates zu befinden.

Die Annexzuständigkeit nach Art 5 EuEheGüVO setzt daher voraus, dass die Gerichte eines Mitgliedstaats nach der Brüssel IIa-VO angerufen wurden. Die EuEheGüVO regelt nicht, zu welchem Zeitpunkt die Annexzuständigkeit endet. Es entspricht aber der herrschenden Lehre, dass die Annexzuständigkeit entsprechend Art 12 Abs 2 lit a und c Brüssel IIa-VO endet, wenn das Eheverfahren rechtskräftig beendet wurde oder aus einem anderen Grund – etwa einer Klagsrückziehung – beendet worden ist (Weber in Gitschthaler, Internationales Familienrecht [2019] Art 5 EuEheGüVO, Rz 14; Garber in Mayr, Handbuch des europäischen Zivilverfahrensrecht [2017] 5.89; Simotta, Die internationale Zuständigkeit nach EuEheGüVO/EuPartGüVO, ZvglRWiss 2017, 59).

6. Gegen diese Rechtsauffassung wendet sich der Revisionsrekurs auch nicht, vielmehr wird darauf verwiesen, dass die Mutter des Klägers nicht rechtskräftig geschieden sei, weil die Vertretung durch den Sachwalter im Verfahren gemäß § 55a EheG absolut nichtig sei und keine Rechtswirkung habe entfalten können.

Dabei übersieht der Kläger aber, dass selbst wenn seine Mutter keinen Ehescheidungswillen bilden konnte und deshalb die Möglichkeit einer einvernehmlichen Scheidung gemäß § 55a EheG grundsätzlich unzulässig gewesen wäre, davon die Frage zu unterscheiden ist, ob der dessen ungeachtet erlassene Beschluss über die Ehescheidung durch Zustellung an den Sachwalter rechtskräftig werden konnte. Zu dieser Problematik hat der Oberste Gerichtshof bereits in der Entscheidung 1 Ob 208/18x ausführlich Stellung genommen und kam zu dem Ergebnis, dass durch Zustellung des Scheidungsbeschlusses an den (insoweit allein passiv vertretungsbefugten) Sachwalter allfällige Rechtsmittelfristen zu laufen beginnen und die Entscheidung mangels Erhebung von Rechtsmitteln rechtskräftig wird. Ausgehend von diesen Überlegungen, denen sich auch der erkennende Senat anschließt, ist von einer rechtskräftigen Scheidung der Mutter des Klägers seit 2009 auszugehen. Dazu kommt, wie der Kläger letztlich selbst erkennt, dass auch ein allfällig noch anhängiges Scheidungsverfahren jedenfalls mit dem Ableben der Mutter des Klägers (27. 6. 2012) beendet worden wäre. Eine Beschlussfassung nach § 460 Z 8 ZPO wäre nur deklarativ.

7. Zum Zeitpunkt der Einbringung der Klage in diesem Verfahren (9. 5. 2019) war daher kein Scheidungsverfahren mehr anhängig, von dem eine Annexzuständigkeit abgeleitet hätte werden können.

Soweit der Kläger meint, dass die Erledigung in der Hauptsache nicht die absolut nichtige Vereinbarung heilen könne, vermischt er die Frage nach der internationalen Zuständigkeit mit der inhaltlichen Beurteilung der Wirksamkeit des Vergleichs.

Der Kläger kann sich daher nicht auf die Annexzuständigkeit des Art 5 EuEheGüVO berufen.

8. Auch Art 4 EuEheGüVO regelt eine Annexzuständigkeit, die ein anhängiges Verlassenschaftsverfahren voraussetzt. Soweit der Kläger sich im Revisionsrekurs auf § 183 Abs 1 AußStrG beruft, wurde im Verfahren bisher weder das Vorliegen der Voraussetzungen (nachträgliches Bekanntwerden von Vermögenswerten), noch die Anhängigkeit eines entsprechenden Verfahrens behauptet.

9. Eine Zuständigkeit aufgrund der EuEheGüVO könnte sich daher nur aus Art 6 („Zuständigkeit zu anderen Fällen“) ergeben. Das Vorliegen der Voraussetzungen für eine internationale Zuständigkeit österreichischer Gerichte nach dieser Bestimmung wird aber auch vom Kläger nicht behauptet und ist nach dem Akteninhalt auch nicht anzunehmen.

10. Einen anderen Tatbestand, aus dem die internationale Zuständigkeit abgeleitet werden kann, macht der Kläger nicht geltend. Auf die im Revisionsrekurs behandelte Frage der Wirksamkeit der Scheidungsvereinbarung ist, wie bereits ausgeführt, bei der Prüfung der internationalen Zuständigkeit nicht näher einzugehen.

11. Zu Recht haben daher die Vorinstanzen die internationale Zuständigkeit verneint. Dem Revisionsrekurs des Klägers war nicht Folge zu geben.

Textnummer

E129936

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2020:0090OB00032.20A.1021.000

Im RIS seit

02.12.2020

Zuletzt aktualisiert am

14.07.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten