Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann-Prentner und Mag. Korn, den Hofrat Dr. Stefula und die Hofrätin Mag. Wessely-Kristöfel als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ing. J*****, vertreten durch Mag. Martin Baumgartner, Rechtsanwalt in Fürstenfeld, gegen die beklagte Partei W*****, vertreten durch Mag. Franz Doppelhofer, Rechtsanwalt in Graz, wegen Räumung, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Berufungsgericht vom 7. Juli 2020, GZ 5 R 30/20y-52, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
1. Gemäß § 502 Abs 5 Z 2 ZPO gelten dessen Abs 2 und 3 nicht für die unter § 49 Abs 2 Z 5 JN fallenden Streitigkeiten, wenn dabei – wie hier – über eine Kündigung, über eine Räumung oder über das Bestehen oder Nichtbestehen des Vertrags entschieden wird. Der fälschlicherweise gestellte Antrag des Beklagten auf Abänderung des Ausspruchs über die Unzulässigkeit der Revision, verbunden mit der ordentlichen Revision, war daher in eine außerordentliche Revision nach § 505 Abs 4 ZPO umzudeuten (RIS-Justiz RS0123405).
2.1 Ein erheblich nachteiliger Gebrauch vom Bestandgegenstand im Sinn des § 1118 erster Fall ABGB liegt vor, wenn durch eine wiederholte, länger währende vertragswidrige Benützung des Bestandobjekts oder durch Unterlassung notwendiger Vorkehrungen durch den Bestandnehmer eine erhebliche Verletzung der Substanz des Bestandgegenstands erfolgte oder auch nur droht oder wichtige wirtschaftliche oder sonstige Interessen des Bestandgebers verletzt werden (RS0102020; RS0020981; RS0020940; RS0070348 ua). Der Bestandnehmer muss sich also so verhalten haben, dass er nicht mehr vertrauenswürdig ist (RS0020867).
Ob ein erheblich nachteiliger Gebrauch anzunehmen ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab (RS0021018; RS0068103). Eine vom Obersten Gerichtshof aus Gründen der Rechtssicherheit aufzugreifende Fehlbeurteilung zeigt der Beklagte ausgehend von den Feststellungen nicht auf.
2.2 Die Vorinstanzen lasteten dem Beklagten – einem ausgebildeten Landwirt und Gärtner – an, es unterlassen zu haben, die auf der ihm vom Kläger zur landwirtschaftlichen Nutzung verpachteten Liegenschaft befindlichen und mitverpachteten Obstbäume vor Beweidung durch seine Schweine zu schützen. Auch lasteten sie ihm an, ihm bekannte und auch mögliche und zumutbare Schnitte an den Bäumen, um Beschädigungen durch erhöhte Gewichtslasten und Starkwindereignisse vorzubeugen, nicht vorzunehmen, obgleich er sich vertraglich zur ordnungsgemäßen Pflege der Bäume verpflichtet und der Kläger mit ihm auch vorab die Notwendigkeit der Auszäunung der Bäume besprochen hatte. Dadurch wurden – wie festgestellt – mehr als 10 % des Gesamtbestands (von 96 Bäumen) nachhaltig beschädigt und ein Schaden von insgesamt 3.585 EUR (bei einem jährlichen Pachtzins von 4.000 EUR) verursacht. Darüber hinaus erblickten die Vorinstanzen in dem Umstand, dass der Beklagte das Abrinnen von Gülle von einem – von ihm zweckwidrig auch zur Ablagerung von Flüssigkeiten verwendeten – Festmistplatz auf die mitverpachtete Wiese nicht verhinderte, ein die Vertrauensunwürdigkeit begründendes vertragswidriges Verhalten.
2.3 Der Beklagte wendet dagegen ein, dass für eine erfolgreiche Klagsführung erforderlich gewesen wäre, die Ertragskraft des beschädigten Teils des Obstbaumbestands sowie der betroffenen Wiese in Relation zur Ertragskraft der gesamten Landwirtschaft zu stellen und dann deren Wesentlichkeit zu beurteilen. Nur wenn der Obstbaumbestand einen wichtigen Teil der Landwirtschaft bilde und ein großer Teil der Bäume massiv geschädigt worden sei bzw die Wiese einen wesentlichen Teil der Ertragskraft der Landwirtschaft darstelle, handle es sich beim Verhalten des Beklagten um einen erheblich nachteiligen Gebrauch des Pachtgegenstands. Das unbeabsichtigte Ableiten von Gülle habe überdies zu keiner Beeinträchtigung des Trinkwassers geführt.
2.4 Der vom Beklagten für seine Ansicht ins Treffen geführten Entscheidung 1 Ob 398/49 lag allerdings ein anderer Sachverhalt als hier zugrunde: Dort wurde dem Pächter zum Vorwurf gemacht, er habe das (im Pachtvertrag vereinbarte) Nachpflanzen von alten ausgedienten Obstbäumen unterlassen und einen Teil des Pachtgegenstands – eine Kälberhalt – verwachsen lassen. Nur in diesem Zusammenhang erachtete der Oberste Gerichtshof es für maßgeblich, welche Bedeutung der Obstbaumbestand für die klägerische Wirtschaft hatte und wie viele Obstbäume nicht durch Nachpflanzen ersetzt wurden bzw wie bedeutend die Kälberhalt für den Verpächter war. Daraus kann jedoch entgegen der Meinung des Revisionswerbers nicht abgeleitet werden, dass für den Auflösungsgrund des erheblich nachteiligen Gebrauchs der bereits eingetretene Schaden im Verhältnis zum (Ertrags-)Wert des Bestandgegenstands bedeutend sein müsse.
Der Beklagte übersieht, dass nach ständiger Rechtsprechung drohende Substanzschädigung (3 Ob 164/02t; 3 Ob 268/02m mwN) ebenso reicht wie die Gefahr künftiger Verletzung wichtiger oder sonstige wirtschaftliche Interessen (7 Ob 321/99b). Es ist also gar nicht notwendig, dass der Schaden schon eingetreten ist. Nur eine gänzlich ungewisse in der Zukunft liegende Möglichkeit kann nicht als wichtiger Auflösungsgrund gewertet werden (4 Ob 2135/96s; 10 Ob 270/99z).
2.5 Davon kann hier keine Rede sein, weil der Beklagte nach den Feststellungen von Beginn des Pachtverhältnisses im Jahr 2016 an jegliche Schnittmaßnahmen bei den Obstbäumen sowie deren Abernten ebenso unterließ wie deren Auszäunung und die Ableitung des Schweinedungs und damit den gesamten Baumbestand gefährdete. Die Einschätzung des Berufungsgerichts, dass das unkontrollierte Ablaufenlassen von Gülle, mit der auch Kolibakterien freigesetzt werden, auf eine Liegenschaft, auf der sich auch ein Brunnen zur Wasserversorgung befindet, wichtige wirtschaftliche und sonstige Interessen des Bestandgebers verletzt bzw gefährdet, selbst wenn eine gesundheitsschädliche Verseuchung des Trinkwassers (noch) nicht festgestellt werden konnte, ist gleichfalls nicht zu beanstanden.
3. Der Beklagte hat in erster Instanz nicht vorgebracht, der Kläger habe mit Hinblick auf eine Vereinbarung zwischen den Streitteilen, dass der Beklagte etwaige Schäden an den bestehenden Obstkulturen am Ende des Pachtverhältnisses zu beheben habe, auf die Geltendmachung von Ansprüchen aus der Beschädigung der Bäume während laufender Vertragszeit verzichtet. Mit diesem Einwand verstößt er daher gegen das Neuerungsverbot.
4. Mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO war die außerordentliche Revision des Beklagten zurückzuweisen.
Textnummer
E129930European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2020:0080OB00084.20S.1023.000Im RIS seit
02.12.2020Zuletzt aktualisiert am
08.03.2021