TE Bvwg Erkenntnis 2020/8/3 L501 2232355-1

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Veröffentlicht am 03.08.2020
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Entscheidungsdatum

03.08.2020

Norm

Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen §1
BBG §42
BBG §45
B-VG Art133 Abs4

Spruch

L501 2232355-1/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Irene ALTENDORFER als Vorsitzende und den Richter Mag. Hermann LEITNER sowie den fachkundigen Laienrichter Reg. Rat. Johann PHILIPP als Beisitzer über die Beschwerde von Herrn XXXX , SVNR. XXXX , gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice vom 19.02.2020, XXXX betreffend die Abweisung des Antrages auf Vornahme der Zusatzeintragung „Dem Inhaber des Passes ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar" in den Behindertenpass zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) stattgegeben.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang

Die beschwerdeführende Partei (in der Folge bP) beantragte mit am 12.02.2019 im Sozialministeriumservice (in der Folge belangte Behörde) eingelangten Schreiben die Vornahme der Zusatzeintragung „Dem Inhaber des Passes ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar" in den Behindertenpass.

In dem von der belangten Behörde eingeholten Sachverständigengutachten aus dem Bereich Allgemeinmedizin vom 26.07.2019 wird im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:

Folgende Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern, liegen vor: Koronare Herzerkrankung, Zustand nach Wirbelsäulenoperation, Harnblasen-Entleerungsstörung, Schlafapnoesyndrom, Bluthochdruck, Gelenksbeschwerden

Die im Hinblick auf die Auswirkungen der festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel gestellte Frage wurde wie folgt beantwortet: keine wesentliche Gehbehinderung, geringe Einschränkung Kniegelenke, Gehen ohne Hilfsmittel möglich, keine Gleichgewichtsstörung, bei der Untersuchung keine wesentlichen Herz- oder Luftbeschwerden (bei KHK) - 300 m gehen, Stufensteigen, anhalten an Haltegriffen, der sichere Transport sind möglich

Mit dem verfahrensgegenständlichen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Dem Inhaber des Passes ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar" in den Behindertenpass gemäß §§ 42 und 45 BBG ab. Neben der Zitierung der rechtlichen Grundlagen wurde festgehalten, dass gemäß dem durchgeführten Ermittlungsverfahren die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung nicht vorliegen.

In ihrer fristgerecht erhobenen Beschwerde bringt die bP unter Vorlage neuer Befunde mit näherer Begründung vor, körperlich nicht in der Lage zu sein, öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen.

In dem hierauf von der belangten Behörde im Hinblick auf die geplante Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung eingeholten Sachverständigengutachten aus dem Bereich der Inneren Medizin vom 25.06.2020 wird hinsichtlich der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wie folgt ausgeführt:

Auf Grund der Mobilitätsminderung aus Zusammenwirken der Verschlechterung der Herzleistung, Verschleißveränderungen der Wirbelsäule, der neurologischen Störung an den Beinen und immobilitätsbedingten Atrophie der Muskulatur ist es gegenüber Vorgutachten zu einer deutlichen Reduktion der Gehfähigkeit gekommen. Es muss dauernd ein Hilfsmittel verwendet werden. Weiters besteht Sturzgefahr bei Balancestörung. Aus diesem Grund ist das Ein- und Aussteigen behindert und ebenso der sichere Transport in einem öffentlichen Verkehrsmittel nicht möglich.

Stellungnahme zu gesundheitlichen Änderungen im Vergleich zum Vorgutachten:

Im Vergleich zum Vorgutachten ist es zu einer fachärztlich dokumentierten Verschlechterung der Herzleistung und Zunahme der Kurzatmigkeit gekommen. Weiters hat sich aus dem Zusammenwirken der übrigen chronischen Leiden eine Verschlechterung der Gehfähigkeit mit generalisierter Abnahme der Kraft ergeben. Nun ist der nahezu ständige Gebrauch einer Gehhilfe (Rollator)notwendig. Die Mobilität ist gegenüber Vorgutachten deutlich verschlechtert. Die Gehstrecke liegt deutlich unter 300 m in der Ebene

Da das Beschwerdevorentscheidungsverfahren nicht in der gesetzlich vorgeschriebenen Zeit erledigt werden konnte, wurde die Beschwerde samt Akt dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vorgelegt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.       Feststellungen:

Die bP ist österreichische Staatsangehörige, sie hat ihren Wohnsitz im Inland, und ist im Besitz eines Behindertenpasses.

Folgende Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern, liegen vor:

01

Koronare Herzkrankheit, Zustand nach Mehrfachstenting, erhöhter Druck im rechten Kreislauf, eingeschränkte Pumpfunktion. Entwässerungstherapie, Vorhofflimmern unter Dauerblutverdünnung.

02

Verschleißveränderungen der Wirbelsäule, Zustand nach LWS- und HWS-Operation 2014 wegen Wirbelkanalenge.

03

Entleerungsstörung Blase, Selbstkatheterismus

04

Obstruktives Schlafapnoe-Syndrom (OSAS), mit nächtlicher Beatmungstherapie gut eingestellt

05

Polyneuropathie/ Nervenstörung der Beine - distal symmetrische sensomotorische Polyneuropathie

06

Bluthochdruck, gut eingestellt

07

Gelenkbeschwerden, Hüfte- und Knie bei Abnützungsveränderungen, gute Beweglichkeit, Muskeldefizit.

Aufgrund der verminderten Herzleistung, den Verschleißveränderungen der Wirbelsäule, der neurologischen Störung an den Beinen sowie der immobilitätsbedingten Atrophie der Muskulatur liegt eine deutlich reduzierte Gehfähigkeit vor und ist die bP nicht in der Lage, kurze Wegstrecken von 300 bis 400 Meter aus eigener Kraft und ohne Pausen zurückzulegen. Es werden dauernd Gehbehelfe (Rollator) benötigt und besteht Sturzgefahr bei Balancestörung. Es liegt eine Gang- und Standunsicherheit vor, welche das sichere Stehen, die Sitzplatzsuche und notwendig werdende Fortbewegungen im öffentlichen Verkehrsmittel während der Fahrt gefährden. Übliche Niveauunterschiede (bis 30 cm) zum Ein- und Aussteigen in ein öffentliches Verkehrsmittel können nicht ausreichend sicher überwunden werden.

2. Beweiswürdigung:

Der Verfahrensgang ergibt sich zweifelsfrei aus dem zur gegenständlichen Rechtssache vorliegenden Verfahrensakt der belangten Behörde sowie des Gerichtsaktes.

Das seitens der belangten Behörde im Rahmen des Beschwerdevorentscheidungsverfahrens eingeholte ärztliche Sachverständigengutachten ist ausführlich begründet, schlüssig, nachvollziehbar und weist keine Widersprüche auf. Die getroffenen Einschätzungen basieren auf dem im Rahmen der klinischen Untersuchung erhobenen Befund; es werden Art und Ausmaß der Funktionseinschränkungen beschrieben sowie deren Auswirkungen auf die Benützung der öffentlichen Verkehrsmittel.

Da das Sachverständigengutachten auch mit den Erfahrungen des Lebens, der ärztlichen Wissenschaft und den Denkgesetzen nicht in Widerspruch steht, wird es in freier Beweiswürdigung der Entscheidung zu Grunde gelegt.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz – BVwGG) entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gemäß § 45 Abs. 3 BBG hat in Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen. Gegenständlich liegt somit Senatszuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I 2013/33 idF BGBl. I 2013/122, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

Zu A) Stattgabe der Beschwerde

Unter Behinderung im Sinne dieses Bundesgesetzes ist die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen zu verstehen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten. (§ 1 Abs. 2 BBG)

Der Behindertenpass hat den Vornamen sowie den Familien- oder Nachnamen, das Geburtsdatum, eine allfällige Versicherungsnummer und den festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen. (§ 42 Abs. 1 BBG) Der Behindertenpass ist unbefristet auszustellen, wenn keine Änderung in den Voraussetzungen zu erwarten ist (§ 42 Abs. 2 BBG).

Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen (§ 45 Abs. 1 BBG). Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu (§ 45 Abs. 2 BBG).

Der Bundesminister für Arbeit und Soziales ist ermächtigt, mit Verordnung die näheren Bestimmungen über den nach § 40 auszustellenden Behindertenpass und damit verbundene Berechtigungen festzusetzen (§ 47 BBG).

Auf Antrag des Menschen mit Behinderung ist jedenfalls einzutragen:

1.       die Art der Behinderung, etwa dass der Inhaber/die Inhaberin des Passes [...]

2.       die Feststellung, dass der Inhaber/die Inhaberin des Passes [...]

3.       die Feststellung, dass dem Inhaber/der Inhaberin des Passes die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar ist; die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist insbesondere dann nicht zumutbar, wenn das 36. Lebensmonat vollendet ist und

-        erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten oder

-        erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit oder

-        erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten, Funktionen oder

-        eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems oder

-        eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit nach § 1 Abs. 2 Z 1 lit. b oder d vorliegen.

(§ 1 Abs. 4 Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen auszugsweise)

Die Auswirkungen der bestehenden Funktionseinschränkungen bedingen gemäß ständiger Rechtsprechung die Unzumutbarkeit, zumal die Erreichung des mit der Benützung eines öffentlichen Verkehrsmittels angestrebten Ziels nicht gewährleistet ist.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG) hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage zur Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen stützen. Es handelt sich um eine einzelfallbezogene Beurteilung, welche im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde.

Schlagworte

Behindertenpass Sachverständigengutachten Unzumutbarkeit Zusatzeintragung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:L501.2232355.1.00

Im RIS seit

02.12.2020

Zuletzt aktualisiert am

02.12.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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