Entscheidungsdatum
08.09.2020Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
W253 2143285-1/17E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Jörg C. BINDER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung – Diakonie und Volkshilfe, Wattgasse 48/3. Stock, 1170 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.11.2016, Zl. 1093583505 – 151693279/BMI-BFA_STM_RD_TEAM_03, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 27.05.2019 zu Recht:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger und stellte am 04.11.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.
2. Im Zuge seiner Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am selben Tag gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen an, er stamme aus der Provinz Maydan Wardag (Maidan Wardak) und habe sechs Jahre die Grundschule besucht. Er sei ledig und habe zwei Schwestern und drei Brüder. Befragt zu seinen Fluchtgründen gab der Beschwerdeführer an, aufgrund der Taliban seine Heimat verlassen zu haben. Sein Vater sei eines Tages verschwunden und er habe gewusst, dass die Taliban etwas damit zu tun hätten. Sein Vater sei bis heute verschwunden und keiner habe mehr etwas von ihm gehört. Er sei selber immer von seinem Heimatort Kabul nach Maidan gereist, wo sich auf dem halben Weg ständig Taliban auf der Straße aufgehalten hätten. Er sei bereits einmal von den Taliban aufgehalten worden und er glaube, dass die Taliban ihn suchen und töten würden.
3. Aufgrund von Zweifeln an dem vom Beschwerdeführer angegebenen Geburtsjahr veranlasste das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl eine sachverständige Volljährigkeitsbegutachtung.
3.1. Aus dem Sachverständigengutachten vom 05.05.2016 ergab sich zum Untersuchungszeitpunkt ein wahrscheinliches Mindestalter von 16,78 Jahren. Eine Volljährigkeit des Beschwerdeführers konnte zu diesem Zeitpunkt nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit festgestellt werden.
4. Im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 25.10.2016 führte der Beschwerdeführer zusammengefasst aus, dass er aus der Provinz Maidan Wardak, aus dem Ort XXXX , aus der Gemeinde XXXX stamme. Vor drei Jahren sei er mit seiner Mutter, aufgrund der Sicherheitslage in Maidan Wardak nach Kabul gezogen. Zwei seiner Brüder würden in Australien leben. Die übrige Familie befinde sich in XXXX (Kabul). Befragt nach seinen Flucht- und Asylgründen, gab der Beschwerdeführer an, dass er von den Taliban verfolgt worden sei. Sein Vater und einer seiner beiden Brüder seien ebenfalls von den Taliban bedroht worden. Sein Vater sei aufgrund seiner Tätigkeit als Wahlhelfer von den Taliban verfolgt worden. Der Vater sei vor ungefähr 13 Jahren plötzlich verschwunden. Anschließend habe sein Bruder ebenfalls Afghanistan verlassen müssen, da dessen Leben auch, aufgrund der Tätigkeit des Vaters in der Regierung, in Gefahr gewesen sei. Seine beiden anderen Brüder hätten in den weiteren Jahren ebenfalls Afghanistan verlassen müssen. Seine Mutter habe daraufhin entschieden, den Beschwerdeführer nach Europa zu schicken. Er selber habe jedoch noch nie direkten Kontakt mit den Taliban gehabt. Seine Mutter habe ihm gesagt, dass er von den Taliban bedroht werde.
Auf den Vorhalt, dass es nach dem Erkenntnisstand der Behörde keine Taliban in Kabul gebe, gab der Beschwerdeführer an, dass er selbe wisse, dass es keine Taliban in Kabul gebe. Jedoch hätten die Taliban überall Spione.
Auf die Frage, ob dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan Verfolgung, unmenschliche Behandlung oder die Todesstrafe drohen würde, führte er aus, dass er ausschließlich von den Taliban bedroht werde. Von der afghanischen Regierung oder einer sonstigen bestimmten Gruppe werde er nicht verfolgt.
Zu seinen Bindungen in Österreich befragt, gab er an, dass er einen Deutschkurs (A1) absolviert habe. Sonst mache er nichts.
5. In einer Stellungnahme vom 28.10.2016 führte der Beschwerdeführer aus, dass er aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Familie seines Vaters, welche eine soziale Gruppe iSd GFK darstellt, von einer realen Verfolgungsgefahr ausgehe. Dies wurde in der Stellungnahme durch ein Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes und verschiedenen Länderberichten und Anfragebeantwortungen zur Sicherheitslage in Afghanistan und zum Einflussbereich der Taliban und dem Fehlen einer innerstaatlichen Fluchtalternative untermauert.
6. Mit dem im Spruch bezeichneten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG 2005 wurde der Antrag auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ihm wurde kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Weiters wurde ausgesprochen, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.).
Der Begründung des gegenständlichen Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl ist im Wesentlichen zu entnehmen, dass die belangte Behörde die vom Beschwerdeführer vorgebrachte individuelle Bedrohung als nicht glaubwürdig erachtet hat. Er stehe zudem an der Schwelle der Volljährigkeit und verfüge über ein familiäres Netzwerk in Afghanistan.
7. Mit am 16.12.2016 datierten und am 20.12.2016 beim Bundesverwaltungsgericht eingelangtem Schreiben erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde gegen den gegenständlichen Bescheid in vollem Umfang und machte die Verletzung von Verfahrensvorschriften sowie die Rechtswidrigkeit des Inhalts geltend. Der Beschwerdeführer führte im Wesentlich aus, dass entgegen den Ausführungen der belangten Behörde sehr wohl eine wohlbegründete Furcht iSd Genfer Flüchtlingskonvention vorliege, welche letztlich auch fluchtauslösend gewesen sei. In weiterer Folge rügte der Beschwerdeführer, dass die belangte Behörde die Anforderungen gemäß § 39 Abs. 2 AVG im Zuge ihrer Ermittlungen und im Hinblick auf seine Minderjährigkeit nicht eingehalten habe, weshalb das Verfahren mit Mangelhaftigkeit behaftet sei. Entgegen der Ansicht der belangten Behörde sei ihm Asyl zu gewähren, zumal er als nun ältester Sohn der Familie ins Blickfeld der Taliban geraten sei und dies auch glaubhaft vorgebracht habe. Schließlich sei die Beweiswürdigung der belangten Behörde äußerst mangelhaft, nicht nachvollziehbar und lasse eine hinreichende Auseinandersetzung mit seinem Fall und insbesondere mit den Länderberichten vermissen.
8. Die Beschwerde und der Bezug habende Verwaltungsakt langten am 28.12.2016 beim Bundesverwaltungsgericht ein.
9. Am 27.05.2019 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung im Beisein des Beschwerdeführers, seines Rechtsberaters und einer Dolmetscherin für die Sprache Dari statt, in welcher der Beschwerdeführer ausführlich zu seinen Fluchtgründen befragt und ihm Gelegenheit gegeben wurde, diese umfassend darzulegen. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung legte der Beschwerdeführer ein Konvolut an Kursbestätigungen, Schulbesuchsbestätigungen und ein A2 Deutschprüfungs-Zertifikat sowie ein Foto einer Leiche als Bescheinigungsmittel vor.
Befragt zu seinen Fluchtgründen, führte der Beschwerdeführer aus, dass er Afghanistan verlassen habe, weil er und seine Familie von den Taliban bedroht worden seien. Die Verfolgung der Taliban habe zu einem Zeitpunkt begonnen, als sein Vater für eine Kampagne des Parlaments gearbeitet habe. Die Taliban hätten den Vater aufgefordert mit dieser Arbeit aufzuhören, was dieser jedoch ignoriert habe. Der Vater sei anschließend für eine längere Zeit verschollen gewesen, jedoch letzten Sommer in XXXX wieder aufgetaucht. Danach habe sich sein Vater auf den Weg nach Kabul gemacht. Er habe die Stadt jedoch nicht erreicht. Am übernächsten Tag sei sein Leichnam zur Familie gebracht worden. Seine Mutter habe ihm erzählt, dass die Taliban den Vater aufgehalten und getötet hätten. Nachdem sein Vater damals verschwunden gewesen war, sei die ganze Familie in Gefahr geraten. Er selber sei den Taliban einmal entkommen. Er sei dabei von den Taliban gezielt gesucht worden. Hätten ihn die Taliban an jenem Tag gefunden, hätten sie ihn ebenfalls umgebracht. Er gehe auch davon aus, dass sein Onkel mit den Taliban zusammenarbeite und dieser für den Tod seines Vaters verantwortlich sei.
In Österreich habe er keine Verwandte. Er mache gerade einen Pflichtschulabschluss für die Hauptschule beim BFI und werde diesen im Oktober 2019 abschließen.
10. Mit Schreiben vom 30.09.2019 übermittelte der Beschwerdeführer das Zeugnis über die Pflichtschulabschlussprüfung vom 23.09.2019 an das Bundesverwaltungsgericht.
11. Am 14.08.2020 wurde dem Beschwerdeführer und der belangten Behörde das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan vom 13.11.2019 mit zuletzt eingefügter Kurzinformation vom 21.07.2020, die UNHCR-Richtlinien von August 2018 sowie der EASO Bericht Guidance Afghanistan von Juni 2019 übermittelt und ihnen eine Frist zur allfälligen Stellungnahme von zwei Wochen eingeräumt.
12. Mit Stellungnahme vom 28.08.2020 machte der Beschwerdeführer Ausführungen zu den übermittelten Länderberichten. Dabei führte er im Wesentlichen aus, dass aus den vorliegenden Berichten zu entnehmen sei, dass die Sicherheitslage in der Provinz Wardak sowie in Kabul so schlecht sei, dass eine Rückkehr unzulässig sei. Es werde zwar nicht verkannt, dass aus dem EASO „Country Guidance Afghanistan“ von Juni 2019 hervorgehe, dass der Personengruppe „single able-bodled man“ grundsätzlich eine innerstaatliche Fluchtalternative zugemutet werden könne, jedoch sei eine Einzelfallprüfung unerlässlich. Aufgrund der aktuellen und akuten Verschlechterungen der sozioökonomischen Faktoren in den letzten Wochen sei derzeit im Hinblick auf den Beschwerdeführer von keiner zumutbaren innerstaatlichen Fluchtalternative auszugehen. Zudem sei aufgrund der rezenten Verschlechterung im Zusammenhang der derzeitigen COVID-19 Pandemie davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer keine legale Beschäftigungsmöglichkeit, keine Unterkunft oder Zugang zu Nahrung sowie Trinkwasser finden könne. Insgesamt sei aufgrund der aktuellen Länderberichte nicht davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer als alleinstehender Mann in den großen Städten und ohne familiären Netzwerk sowie ohne finanzielle Mittel oder höhere Berufserfahrung auf absehbarer Zeit eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative vorfinden würde.
Beantragt wurde zudem die Einholung eines Gutachtens der Sachverständigen Frederike Stahlmann zu der Beurteilung der Situation der RückerhrerInnen, der wirtschaftlichen und sozioökonomischen Situation sowie der Versorgungslage unter Berücksichtigung der Ausbreitung des SARS-CoV-2-Erregers in Afghanistan.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zum Verfahrensgang:
Der Beschwerdeführer stellte am 04.11.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Mit dem im Spruch bezeichneten Bescheid wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 wurde der Antrag auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ihm wurde kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 55 AsylG 2005 erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Weiters wurde ausgesprochen, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.). Dagegen erhob der Beschwerdeführer mit eingelangtem Schreiben vom 20.12.2016 fristgerecht Beschwerde, woraufhin am 27.05.2019 vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung im Beisein des Beschwerdeführers, seines Vertreters und einer Dolmetscherin für die Sprache Dari stattfand, in welcher der Beschwerdeführer ausführlich zu seinen Fluchtgründen sowie seinem Leben in Österreich bzw. seinen Integrationsbemühungen befragt und ihm Gelegenheit gegeben wurde, diese umfassend darzulegen.
1.2. Zum Beschwerdeführer:
Der mittlerweile volljährige Beschwerdeführer führt den führt den im Spruch angeführten Namen und ist afghanischer Staatsangehöriger. Er gehört der Volksgruppe der Hazara an, ist schiitischer Moslem und seine Muttersprache ist Dari. Der Beschwerdeführer ist ledig und hat keine Sorgepflichten. Der Beschwerdeführer ist gesund.
Der Beschwerdeführer stammt aus der Provinz Maidan Wardak, aus dem Distrikt XXXX , aus dem Dorf XXXX . Der Beschwerdeführer verfügt über eine ca. sechsjährige Schulausbildung in Afghanistan. Der Beschwerdeführer hat ca. zwei bis drei Monate Arbeitserfahrung in einem Lebensmittelgeschäft in Kabul gesammelt.
Seine Familie besteht aus seiner Mutter und seinen zwei Schwestern, welche nach wie vor in Afghanistan (Kabul) aufhältig sind. Des Weiteren hat er drei Brüder, welche in Australien bzw. in Europa leben. Sein Vater ist bereits verstorben, wobei nicht festgestellt werden konnte, ob dieser von den Taliban umgebracht worden ist. Des Weiteren verfügt er über mehrere Onkel und Tanten, welche in Afghanistan leben. Er hat zudem weitere Onkel, die im Ausland leben. Die Familie des Beschwerdeführers besitzt in Afghanistan mehrere landwirtschaftliche Grundstücke, von deren Bewirtschaftung die Familie dort lebt. Der Beschwerdeführer steht in Kontakt mit seiner Familie in Afghanistan.
Der Beschwerdeführer ist nach den afghanischen Gepflogenheiten und der afghanischen Kultur sozialisiert.
Festgestellt wird, dass die aktuell vorherrschende COVID-19-Pandemie kein Rückkehrhindernis darstellt. Mit Stand 02.09.2020 scheinen in Afghanistan 38.196 Fälle und 1.406 Todesfälle auf. Die Feststellungen zu den derzeitigen Informationen betreffend COVID-19 sind amtsbekannt und der weltweiten Gesamtberichterstattung zu entnehmen. Die Feststellungen hinsichtlich der Anzahl der erkrankten und verstorbenen Personen in Afghanistan stammen von der John Hopkins University & Medicine (https://coronavirus.jhu.edu/region/afghanistan, abgerufen am 02.09.2020). Der Beschwerdeführer ist körperlich gesund und gehört mit Blick auf sein junges Alter und das Fehlen einschlägiger physischer (chronischer) Vorerkrankungen keiner spezifischen Risikogruppe betreffend COVID-19 an. Es besteht keine hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr in den Iran eine COVID-19-Erkrankung mit schwerwiegendem oder tödlichem Verlauf bzw. mit dem Bedarf einer intensivmedizinischen Behandlung bzw. einer Behandlung in einem Krankenhaus erleiden würde.
Der Beschwerdeführer spricht ein wenig Deutsch und hat in Österreich eine Pflichtschule besucht und absolviert. Er geht in Österreich keiner Beschäftigung nach und bezieht Leistungen aus der Grundversorgung.
Er ist kein Mitglied in einem Verein. Es konnten keine substanziellen Anknüpfungspunkte im Bereich des Privatlebens (wie z.B. intensive Freundschaften, Beziehungen, Lebensgemeinschaften, Kinder) festgestellt werden.
Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.
1.3. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:
Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer in Afghanistan einer individuellen konkreten Verfolgung oder Bedrohung ausgesetzt war. Ebenso wenig kann festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer von den Taliban bedroht worden ist oder durch seine Flucht eine oppositionelle Haltung gegenüber den Taliban hat erkennen lassen. Weiters kann eine Verfolgung des Beschwerdeführers durch die Taliban oder staatliche Institutionen in Afghanistan nicht festgestellt werden.
Ebenso kann nicht festgestellt werden, dass konkret der Beschwerdeführer als Angehöriger der Volksgruppe der Hazara sowie schiitischer Moslem bzw. dass jeder Angehöriger der Volksgruppe der Hazara sowie schiitischer Moslem in Afghanistan psychischer und/oder physischer Gewalt ausgesetzt wäre.
1.4. Zu einer möglichen Rückkehr des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat:
Dem Beschwerdeführer würde bei einer Überstellung nach Afghanistan in die Provinz Maidan Wardak ein reales Risiko einer Verletzung der Art. 2 oder 3 EMRK drohen.
Ausgehend von seinem Alter, seiner Arbeitsfähigkeit, seinem Bildungsstand, seinem Gesundheitszustand sowie den Möglichkeiten, die er durch die Unterstützung seiner in Kabul befindlichen Familie hat, ist das erkennende Gericht jedoch der Auffassung, dass der Beschwerdeführer im Stande ist, in Afghanistan, insbesondere in der Großstadt Kabul, einer Beschäftigung nachzugehen und sich dadurch auch eine Existenz in Afghanistan aufbauen kann. Er ist jedenfalls - Arbeitswilligkeit vorausgesetzt - in der Lage für sich selbst auch in Afghanistan eine Situation zu gestalten, die ihm ein menschengerechtes Überleben dort gewährleistet, ohne in eine existenzbedrohende Situation zu gelangen, zumal er auch mit einer finanziellen Unterstützung durch in Afghanistan, Europa und Australien befindlichen Familienmitglieder, Freunde oder Bekannte, bzw. insbesondere durch seine Mutter, die auch über Immobilienbesitz verfügt, rechnen kann.
Es kann davon ausgegangen werden, dass er mit den geographischen Örtlichkeiten der Hauptstadt Kabul bestens vertraut ist und auch weiß, wo es strategisch besonders gefährliche Gegenden gibt, die hinsichtlich terroristischer Anschläge von besonderer Relevanz sind, da dortige Anschläge zu besonderer medialer Aufmerksamkeit führen. Aufgrund dieser besonderen Ortskenntnisse kann vom Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Kabul erwartet werden, dass er solche Orte weitgehend meidet. Er hat zuletzt in Kabul in einem Lebensmittelgeschäft gearbeitet.
Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Fall einer Rückführung in den Herkunftsstaat überall in Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit dem realen Risiko einer ernsthaften Bedrohung infolge willkürlicher Gewalt bzw. der Gefährdung seines Lebens, Folter oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wäre.
Kabul verfügt auch über einen international erreichbaren Flughafen, sodass die Anreise nach Kabul auch weitgehend gefahrfrei erfolgen kann. Allenfalls stünden nach Angaben der dem Bundesverwaltungsgericht zugänglichen Länderinformationen zu Afghanistan auch andere friedlichere Regionen, wie z.B. Herat oder Mazar-e Sharif in Afghanistan als innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung.
Die Voraussetzungen für einen Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK oder für eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz liegen beim Beschwerdeführer nicht vor. Ein Überwiegen der persönlichen Interessen des Beschwerdeführers an einem Verbleib in Österreich besteht ebenfalls nicht.
1.5. Zur Situation im Herkunftsstaat:
Das Bundesverwaltungsgericht trifft aufgrund der im Beschwerdeverfahren eingebrachten aktuellen Erkenntnisquellen folgende entscheidungsrelevante Feststellungen:
Die Länderfeststellungen zur Lage in Afghanistan basieren auf nachstehenden Quellen:
1. Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan in der Fassung der Gesamtaktualisierung vom 13.11.2019 mit Stand 21.07.2020 (LIB),
2. UNHCR Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018 (UNHCR),
3. EASO Country Guidance: Afghanistan vom Juni 2019 (EASO)
1.5.1. Allgemeine Sicherheitslage
Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind. Auf einer Fläche von ca. 632.000 Quadratkilometern leben ca. 32 Millionen Menschen (LIB, Kapitel 2). Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt insgesamt volatil und weist starke regionale Unterschiede auf. Provinzen und Distrikten mit aktiven Kampfhandlungen stehen anderen gegenüber, in denen die Lage trotz punktueller Sicherheitsvorfälle vergleichsweise stabil ist. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, Transitrouten, Provinzhauptstädte und den Großteil der Distriktzentren (LIB, Kapitel 2). Die Hauptlast einer unsicheren Sicherheitslage in der jeweiligen Region trägt die Zivilbevölkerung (UNHCR, Kapitel II. B).
Drei Ministerien verantworten die Sicherheit in Afghanistan: Das afghanische Innenministerium (Afghanistan’s Ministry of Interior - MoI), das Verteidigungsministerium (Ministry of Defense - MoD) und der afghanische Geheimdienst (NDS). Das Innenministerium ist primär für die interne Ordnung zuständig, dazu zählt auch die ANP (Afghan National Police) und die ALP (Afghan Local Police). Die ANA untersteht dem Verteidigungsministerium und ist für die externe Sicherheit zuständig, ihre primäre Aufgabe ist jedoch die Bekämpfung der Aufständischen innerhalb Afghanistans. Das National Directorate of Security (NDS) fungiert als Geheimdienst und ist auch für die Untersuchung von Kriminalfällen zuständig, welche die nationale Sicherheit betreffen. Die Ermittlungsabteilung des NDS betreibt ein Untersuchungsgefängnis in Kabul (LIB, Kapitel 4).
In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv, welche eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabilität in Afghanistan darstellen. Eine Bedrohung für Zivilisten geht insbesondere von Kampfhandlungen zwischen den Konfliktparteien sowie improvisierten Sprengkörpern, Selbstmordanschlägen und Angriffen auf staatliche Einrichtungen und gegen Gläubige und Kultstätten bzw. religiöse Minderheiten aus (LIB, Kapitel 2).
1.5.1.1. Aktuelle Entwicklungen
Die afghanischen Regierungskräfte und die Amerikaner können die Taliban, die über rund 60 000 Mann verfügen, nicht besiegen. Auch die Islamisten sind nicht stark genug, um die Regierungstruppen zu überrennen, obwohl sie rund die Hälfte des Landes kontrollieren oder dort zumindest präsent sind. In Afghanistan herrscht fast zwei Jahrzehnte nach dem Sturz des Taliban-Regimes durch die USA eine Pattsituation (LIB Kapitel 1).
Dieser Konflikt in Afghanistan kann nur durch Verhandlungen zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban gelöst werden kann. Die afghanische Regierung führte zum ersten Mal persönliche Gespräche mit den Taliban, inhaltlich wurde über den Austausch tausender Gefangener verhandelt; bis dahin hatten die beiden Seiten sich nur per Videokonferenz unterhalten. Ein erster Schritt Richtung inner-afghanischer Verhandlungen, welcher Teil eines zwischen Taliban und US-Amerikanern unterzeichneten Abkommens ist. Die Gespräche fanden vor dem Hintergrund anhaltender Gewalt im Land statt (LIB, Kapitel 2).
Das lang erwartete Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten und den Taliban wurde Ende Februar 2020 unterzeichnet – die afghanische Regierung war an dem Abkommen weder beteiligt, noch unterzeichnete sie dieses. Das Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten und den Taliban enthält das Versprechen der US-Amerikaner, ihre noch rund 13.000 Armeeangehörigen in Afghanistan innerhalb von 14 Monaten abzuziehen. Auch die verbliebenen nichtamerikanischen NATO-Truppen (Stand Ende 2019: rund 6.700 Mann) sollen abgezogen werden (LIB, Kapitel 1).
Die Verhandlungen mit den Taliban stocken auch aufgrund des innerpolitischen Disputes zwischen Ashraf Ghani und Abdullah Abdullah, die beide die Präsidentschaft für sich beanspruchten. Die Taliban haben seit dem unterzeichneten Abkommen im Februar mehr als 4.500 Angriffe verübt. Die von dieser Gewalt am stärksten betroffenen Provinzen sind auch jene Provinzen, die am stärksten von COVID-19-Fällen betroffen sind. In den innerafghanischen Gesprächen wird es um die künftige Staatsordnung, eine Machtteilung und die Integration der Aufständischen gehen (LIB, Kapitel 1).
1.5.2. Allgemeine Wirtschaftslage
Afghanistan ist nach wie vor eines der ärmsten Länder der Welt und stark von internationalen Hilfsgeldern abhängig. Dabei bleibt das Gefälle zwischen urbanen Zentren und ländlichen Gebieten Afghanistans eklatant. Lebensgrundlage für rund 80% der Bevölkerung ist die Landwirtschaft (LIB, Kapitel 20).
Der Zugang zum Arbeitsmarkt ist angespannt und die Arbeitslosigkeit ist hoch. Persönliche Kontakte, Empfehlungen sowie ein Netzwerk sind wichtig um einen Job zu finden. Arbeitgeber bewerten persönliche Beziehungen und Netzwerke höher als formelle Qualifikationen. Fähigkeiten, die sich Rückkehrer im Ausland angeeignet haben, können eine wichtige Rolle bei der Arbeitsplatzsuche spielen. Der afghanische Arbeitsmarkt ist durch eine starke Dominanz des Agrarsektors, eine Unterrepräsentation von Frauen und relativ wenigen Möglichkeiten für junge Menschen gekennzeichnet. Ebenso korreliert ein Mangel an Bildung mit Armut, wobei ein niedriges Bildungsniveau und Analphabetismus immer noch weit verbreitet sind. In Afghanistan existiert keine finanzielle oder sonstige Unterstützung bei Arbeitslosigkeit (LIB, Kapitel 20).
Der durchschnittliche Lohn beträgt in etwa 300 Afghani (ca. USD 4,3) für Hilfsarbeiter, während gelernte Kräfte bis zu 1.000 Afghani (ca. USD 14,5) pro Tag verdienen können (EASO Netzwerke, Kapitel 4.1).
In den Jahren 2016-2017 lebten 54,5% der Bevölkerung unterhalb der nationalen Armutsgrenze. Immer mehr Menschen greifen auf negative Bewältigungsmechanismen wie Kleinkriminalität, Kinderehen, Kinderarbeit und Betteln zurück, von denen insbesondere Binnenvertriebene betroffen sind. Der Zugang zu einer produktiven oder entgeltlichen Beschäftigung ist begrenzt, 80% der Beschäftigung gelten als anfällig und unsicher in Form von Selbst- oder Eigenbeschäftigung, Tagarbeit oder unbezahlter Arbeit. Der saisonale Effekt ist erheblich. Die Arbeitslosenquote ist in den Frühlings- und Sommermonaten relativ niedrig (rund 20%), während sie im Winter 32,5% erreichen kann (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).
Aufgrund der COVID-19 Maßnahmen der afghanischen Regierung sorgen sich zehntausende Tagelöhner in Kabul und Herat um ihre Existenz. UNICEF zufolge, arbeiten allein in Kabul mindestens 60.000 Kinder, um das Familieneinkommen zu ersetzen. Offiziellen Schätzungen zufolge können z.B. in Herat-Stadt 150.000 Tagelöhner aufgrund des Lockdowns nicht arbeiten und haben somit kein Einkommen. Weil es in Herat an Ressourcen mangelt, um Hunderttausende zu ernähren, nimmt die Bevölkerung die Bedrohung durch das Virus nicht ernst. Zwar hat die Bevölkerung anfangs großzügig gespendet, aber auch diese Spenden werden weniger, nachdem die langfristigen wirtschaftlichen Auswirkungen auf Unternehmen sichtbar werden (LIB, Landesspezifische Anmerkungen COVID-19).
In Afghanistan gibt es neben der Zentralbank auch mehrere kommerzielle Banken. Es ist mittlerweile auch relativ einfach, in Afghanistan ein Bankkonto zu eröffnen. Geld kann auch über das Hawala System (Form des Geldtausches) transferiert werden. Dieses System funktioniert schnell, zuverlässig und günstig. Spezielle Dokumente sind nicht notwendig und der Geldtransfer ist weltweit möglich und wird von verschiedenen Bevölkerungsschichten verwendet (LIB, Kapitel 20).
Im Zeitraum von 2016 bis 2017 waren 44,6% der afghanischen Bevölkerung sehr stark bis mäßig von Lebensmittelunsicherheit betroffen. In allen Wohnbevölkerungsgruppen war seit 2011 ein Anstieg festzustellen, wobei der höchste Anstieg in den ländlichen Gebieten zu verzeichnen war (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).
Afghanistans jährliche Wachstumsrate der städtischen Bevölkerung gehört zu den höchsten der Welt. Kabul war das Zentrum des Wachstums, und der Rest der städtischen Bevölkerung konzentriert sich hauptsächlich auf vier andere Stadtregionen: Herat, Mazar-e Sharif, Kandahar und Jalalabad. Die große Mehrheit (72%, basierend auf ALCS-Zahlen für 2016-2017) der afghanischen Stadtbevölkerung lebt in Slums oder in ungenügenden Wohnungen. 86% der städtischen Häuser in Afghanistan können (gemäß der Definition von UN-Habitat) als Slums eingestuft werden. Der Zugang zu angemessenem Wohnraum stellt für die Mehrheit der Afghanen in den Städten eine große Herausforderung dar (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).
In den Städten besteht grundsätzlich die Möglichkeit sicheren Wohnraum zu mieten. Darüber hinaus bieten die Städte die Möglichkeit von „Teehäusern“, die mit 30 Afghani (das sind ca. € 0,35) bis 100 Afghani (das sind ca. € 1,20) pro Nacht relativ günstig sind. „Teehäuser“ werden von Reisenden, Tagesarbeitern, Straßenhändlern, jungen Menschen, alleinstehenden Männern und anderen Personen, die in der Gegend keine ständige Unterkunft haben, als vorübergehende Unterkunft genutzt (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V). Man muss niemanden kennen, um eingelassen zu werden (EASO Netzwerke, Kapital 4.2.).
Der Zugang zu sauberem Trinkwasser sowie angemessenen sanitären Einrichtungen hat sich in den letzten Jahren erheblich verbessert. Der Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen, wie Wasserversorgung und Abwasserentsorgung, war in den Städten im Allgemeinen besser als auf dem Land. Der Zugang zu Trinkwasser ist für viele Afghanen jedoch nach wie vor ein Problem, und die sanitären Einrichtungen sind weiterhin schlecht (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).
1.5.3. Medizinische Versorgung
Das afghanische Gesundheitsministerium gab an, dass 60 % der Menschen im April 2018 Zugang zu Gesundheitsdiensten hatten, wobei der Zugang als eine Stunde Fußweg zur nächsten Klinik definiert wurde. Trotz der Tatsache, dass die Gesundheitsversorgung laut afghanischer Verfassung kostenlos sein sollte, müssen die Menschen in vielen öffentlichen Einrichtungen für Medikamente, Arzthonorare, Labortests und stationäre Versorgung bezahlen. Hohe Behandlungskosten sind der Hauptgrund, weswegen die Behandlung vermieden wird (EASO, Kapitel Common Analysis: Afghanistan, V).
90% der medizinischen Versorgung in Afghanistan werden nicht direkt vom Staat zur Verfügung gestellt, sondern von nationalen und internationalen NGOs, die über ein Vertragssystem beauftragt werden. Über dieses Vertragssystem wird sowohl primäre, als auch sekundäre und tertiäre medizinische Versorgung zur Verfügung gestellt. Allerdings mangelt es an Investitionen in medizinische Infrastruktur. Der Bauzustand vieler Kliniken ist schlecht. Während in den Städten ein ausreichendes Netz von Krankenhäusern und Kliniken besteht, ist es in den ländlichen Gebieten für viele Afghanen schwierig, eine Klinik oder ein Krankenhaus zu erreichen (LIB, Kapitel 21).
Psychische Krankheiten wie posttraumatische Belastungsstörung, Depression und Angstzustände – die oft durch den Krieg hervorgerufen wurden – sind in Afghanistan weit verbreitet, es gibt aber nur geringe Kapazitäten zur Behandlung dieser Erkrankungen. Spezifische Medikamente sind grundsätzlich verfügbar (LIB, Kapitel 21.1).
Jahrzehntelange Konflikte in Afghanistan machen das Land anfällig für den Ausbruch von Krankheiten: nach wie vor ist Polio dort endemisch (als eines von drei Ländern weltweit) außerdem ist das Gesundheitssystem fragil. Beispielsweise mangelt es an adäquaten Medikamenten für Patient/innen, die an COVID-19 erkrankt sind. Jedoch sind die wenigen Medikamente, die hierfür zur Verfügung stehen, kostenfrei. Der landesweite Mangel an COVID-19-Testkits sowie an Isolations- und Behandlungseinrichtungen verdeutlichen diese Herausforderung. Landesweit stehen 10.400 Krankenhausbetten und 300 Beatmungsgeräte zur Verfügung. 300 weitere Beatmungsgeräte plant die afghanische Regierung zu besorgen. Weiters mangelt es an geschultem Personal, um diese medizinischen Geräte in Afghanistan zu bedienen und zu warten. Engpässe bestehen bei den PPE (personal protective equipment), persönlichen Schutzausrüstungen für medizinisches Personal; außerdem wird mehr fachliches Personal benötigt, um Patient/innen auf den Intensivstationen zu betreuen (LIB, Landesspezifische Anmerkungen COVID-19).
Im Mai 2020 gab es in allen 34 Provinzen Afghanistans Menschen, welche positiv auf COVID-19 getestet wurden (ECOI Herat und Masar-e Sharif).
1.5.4. Allgemeine Menschenrechtslage
Im Bereich der Menschenrechte hat Afghanistan unter schwierigen Umständen Fortschritte gemacht. Inzwischen ist eine selbstbewusste neue Generation von Afghaninnen und Afghanen herangewachsen, die sich politisch, kulturell und sozial engagiert und der Zivilgesellschaft eine stärkere Stimme verleiht. Diese Fortschritte erreichen aber nach wie vor nicht alle Landesteile und sind außerhalb der Städte auch gegen willkürliche Entscheidungen von Amtsträgern und Richtern sowie Einflussnahme örtlicher Machteliten nur schwer durchzusetzen. Die afghanische Regierung ist nicht in der Lage, die durch die afghanische Verfassung und einschlägige völkerrechtliche Verträge garantierten Menschenrechte vollumfänglich umzusetzen und zu gewährleisten (LIB, Kapitel 10).
Menschenrechtsverletzungen an der Zivilbevölkerung finden nach wie vor in allen Teilen des Landes und unabhängig davon statt, wer die betroffenen Gebiete tatsächlich kontrolliert (UNHCR, Kapitel II. C. 1).
Die Fähigkeit der Regierung, Menschenrechte zu schützen, wird durch die Unsicherheit und zahlreiche Angriffe durch regierungsfeindliche Kräfte untergraben. Insbesondere ländliche und instabile Gebiete leiden unter einem allgemein schwachen förmlichen Justizsystem, das unfähig ist, Zivil- und Strafverfahren effektiv und zuverlässig zu entscheiden (UNHCR, Kapitel II. C. 2).
1.5.5. Bewegungsfreiheit und Meldewesen
Das Gesetz garantiert interne Bewegungsfreiheit, Auslandsreisen, Emigration und Rückkehr. Afghanen dürfen sich formell im Land frei bewegen und niederlassen (LIB, Kapitel 19).
Afghanistan hat kein zentrales Bevölkerungsregister, keine Datenbanken mit Adress- oder Telefonnummerneinträgen und auch keine Melde- oder Registrierungspflicht. Die Gemeinschafts- bzw. Bezirksältesten führen kein Personenstandsregister, die Regierung registriert jedoch Rückkehrer. Durch die hohe soziale Kontrolle ist gerade im ländlichen Raum keine, aber auch in den Städten kaum Anonymität zu erwarten (LIB, Kapitel 18.1).
1.5.6. Regierungsfeindliche Gruppierungen
In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv – insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan (LIB, Kapitel 2).
Taliban:
Die Mehrheit der Taliban sind immer noch Paschtunen, obwohl es eine wachsende Minderheit an Tadschiken, Usbeken, Belutschen und sogar mehreren hundert Hazara (einschließlich Schiiten) gibt. In einigen nördlichen Gebieten bestehen die Taliban bereits überwiegend aus Nicht-Paschtunen, da sie innerhalb der lokalen Bevölkerung rekrutieren (LIB, Kapitel 2).
Die Gesamtstärke der Taliban betrug im Jahr 2017 über 200.000 Personen, darunter ca. 150.000 Kämpfer, davon rund 60.000 Vollzeitkämpfer mobiler Einheiten und der Rest ist Teil der lokalen Milizen. Die Taliban betreiben Trainingslager in Afghanistan (LIB, Kapitel 2).
Die Taliban sind keine monolithische Organisation; nur allzu oft werden die Taliban als eine homogene Einheit angesehen, während diese aber eine lose Zusammenballung lokaler Stammesführer, unabhängiger Warlords sowie abgekoppelter und abgeschotteter Zellen sind (LIB, Kapitel 2).
Zwischen 01.12.2018 und 31.05.2019 haben die Talibanaufständischen mehr Angriffe ausgeführt, als in der Vergangenheit üblich, trotzdem war die Gesamtzahl effektiver feindlicher Angriffe stark rückläufig. Diese Angriffe hatten hauptsächlich militärische Außenposten und Kontrollpunkte sowie andere schlecht verteidigte ANDSF-Posten zum Ziel – die Taliban beschränken ihre Angriffe weitgehend auf Regierungsziele und afghanische und internationale Sicherheitskräfte (LIB, Kapitel 2).
Ein Talibansprecher verlautbarte, dass die Taliban den Konflikt pausieren könnten, um Gesundheitsbehörden zu erlauben, in einem von ihnen kontrollierten Gebiet zu arbeiten, wenn COVID-19 dort ausbrechen sollte. Die Taliban setzen Aktivitäten, um das Bewusstsein der Bevölkerung um COVID-19 in den von diesen kontrollierten Landesteilen zu stärken. Sie verteilen Schutzhandschuhe, Masken und Broschüren, führen COVID-19 Tests durch und bieten sichere Wege zu Hilfsorganisationen an (LIB, Landesspezifische Anmerkungen COVID-19).
Der Umgang der Taliban mit der jetzigen Ausnahmesituation wirft ein Schlaglicht auf den Modus Operandi der Truppe. Um sich die Afghanen in den von ihnen kontrollierten Gebieten gewogen zu halten, setzen die Taliban auf Volksnähe. Durch die Präsenz vor Ort machten die Islamisten das Manko wett, dass sie kein Geld hätten, um COVID-19 medizinisch viel entgegenzusetzen: Die Taliban können Prävention betreiben, behandeln können sie Erkrankte nicht (LIB, Landesspezifische Anmerkungen COVID-19).
Die Taliban haben eine Vielzahl von Personen ins Visier genommen, die sich ihrer Meinung nach "fehlverhalten", unter anderem Angehörige der afghanischen Sicherheitskräfte jeden Ranges, oder Regierungsbeamte und Mitarbeiter westlicher und anderer „feindlicher“ Regierungen, Kollaborateure oder Auftragnehmer der afghanischen Regierung oder des ausländischen Militärs, oder Dolmetscher, die für feindliche Länder arbeiten. Die Taliban bieten diesen Personen grundsätzlich die Möglichkeit an, Reue und den Willen zur Wiedergutmachung zu zeigen. Die Chance zu bereuen, ist ein wesentlicher Aspekt der Einschüchterungstaktik der Taliban und dahinter steht hauptsächlich der folgende Gedanke: das Funktionieren der Kabuler Regierung ohne übermäßiges Blutvergießen zu unterminieren und Personen durch Kooperationen an die Taliban zu binden. Diese Personen können einer „Verurteilung“ durch die Taliban entgehen, indem sie ihre vermeintlich „feindseligen“ Tätigkeiten nach einer Verwarnung einstellen. (Landinfo 1, Kapitel 4)
Haqani-Netzwerk:
Das seit 2012 bestehende Haqqani-Netzwerk ist eine teilautonome Organisation, Bestandteil der afghanischen Taliban und Verbündeter von al-Qaida. Als gefährlichster Arm der Taliban, hat das Haqqani-Netzwerk seit Jahren Angriffe in den städtischen Bereichen ausgeführt und ist für einige der tödlichsten Angriffe in Afghanistan verantwortlich (LIB, Kapitel 2).
1.5.7. Provinzen und Städte
1.5.7.1. Herkunftsprovinz Maidan Wardak:
Die Provinz Wardak (auch Maidan Wardak) liegt im zentralen Teil Afghanistans. Sie besteht aus Tadschiken, Paschtunen und Hazara. Die Provinz hat 648.866 Einwohner (LIB, Kapitel 2.33).
Die Sicherheitslage in der Provinz Maidan Wardak hat sich in den letzten Monaten verschlechtert. Aufständische der Taliban sind in gewissen Distrikten aktiv und führen terroristische Aktivitäten aus. In der Provinz kommt es regelmäßig zu Sicherheitsoperationen. Bei diesen werden manchmal Aufständische getötet oder Gefangene der Taliban befreit. Die Taliban griffen Kontrollpunkte der Sicherheitskräfte an und es kam zu Gefechten mit den Regierungstruppen. Bei manchen sicherheitsrelevanten Vorfällen kamen auch Zivilisten zu Schaden. Im Jahr 2019 gab es 184 zivile Opfer (108 Tote und 76 Verletzte) in der Provinz Wardak. Dies entspricht einem Rückgang von 18% gegenüber 2018. Die Hauptursachen für die Opfer waren Kämpfe am Boden, gefolgt von Luftangriffen und Suchoperationen (LIB, Kapitel 2.33).
In der Provinz (Maidan) Wardak kommt es zu willkürlicher Gewalt, jedoch nicht auf hohem Niveau. Dementsprechend ist ein höheres Maß an individuellen Risikofaktoren erforderlich, um wesentliche Gründe für die Annahme aufzuzeigen, dass ein in dieses Gebiet zurückgekehrter Zivilist einem realen ernsthaften Risiko ausgesetzt wäre, Schaden im Sinne von Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie zu nehmen (EASO, Kapitel Guidance note: Afghanistan, III.3).
1.5.7.2. Kabul:
Die Provinz Kabul liegt im Zentrum Afghanistans. Kabul-Stadt ist die Hauptstadt Afghanistans und auch ein Distrikt in der Provinz Kabul. Die Stadt Kabul ist die bevölkerungsreichste Stadt Afghanistans, sie hat 5.029.850 Einwohner. Kabul ist Zielort für verschiedene ethnische, sprachliche und religiöse Gruppen, und jede von ihnen hat sich an bestimmten Orten angesiedelt (LIB, Kapitel 3.1). Die Stadt Kabul ist über Hauptstraßen mit den anderen Provinzen des Landes verbunden und verfügt über einen internationalen Flughafen (LIB Kapitel 2.1 und Kapitel 2.35).
Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul. Nichtsdestotrotz, führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, im gesamten Jahr 2018, als auch in den ersten fünf Monaten 2019, insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele durch, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen. Im Jahr 2019 gab es 1.563 zivile Opfer (261 Tote und 1.302 Verletzte) in der Provinz Kabul. Dies entspricht einem Rückgang von 16% gegenüber 2018. Die Hauptursache für die Opfer waren Selbstmordangriffe, gefolgt von improvisierten Sprengkörpern (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordattentate) und gezielten Tötungen (LIB, Kapitel 2.1).
Kabul zählt zu jenen Provinzen, in denen es zu willkürlicher Gewalt kommt, jedoch nicht auf hohem Niveau. Dementsprechend ist ein höheres Maß an individuellen Risikofaktoren erforderlich, um wesentliche Gründe für die Annahme aufzuzeigen, dass ein in dieses Gebiet zurückgekehrter Zivilist einem realen ernsthaften Risiko ausgesetzt wäre, Schaden im Sinne von Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie zu nehmen (EASO, Kapitel Guidance note: Afghanistan, III.3).
In Kabul leben 70.000 bis 80.000 Binnenvertriebene (LIB, Kapitel 2.1).
Afghanistans jährliche Wachstumsrate der städtischen Bevölkerung gehört zu den höchsten der Welt. Kabul war in den letzten Jahren das Zentrum dieses Wachstums. Schätzungsweise 70% der Bevölkerung Kabuls lebt in informellen Siedlungen (Slums), welche den meisten Einwohnern der Stadt preiswerte Wohnmöglichkeiten bieten. (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).
Kabul ist das wichtigste Handels- und Beschäftigungszentrum Afghanistans und hat ein größeres Einzugsgebiet in den Provinzen Parwan, Logar und Wardak. Es gibt eine dynamischere Wirtschaft mit einem geringeren Anteil an Arbeitssuchenden, Selbständigen und Familienarbeitern. Menschen aus kleinen Dörfern pendeln täglich oder wöchentlich nach Kabul, um landwirtschaftliche Produkte zu handeln oder als Wachen, Hausangestellte oder Lohnarbeiter zu arbeiten. Die besten (Arbeits-)Möglichkeiten für Junge existieren in Kabul. Trotz der niedrigeren Erwerbsquoten ist der Frauenanteil in hoch qualifizierten Berufen in Kabul (49,6 %) am größten (LIB, Kapitel 20).
Die Gehälter in Kabul sind in der Regel höher als in anderen Provinzen (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).
Das Hunger-Frühwarnsystem (FEWS) stufte Kabul im Dezember 2018 als „gestresst“ ein, was bedeutet, dass Haushalte nur einen gerade noch angemessenen Lebensmittelverbrauch aufweisen und nicht in der Lage seien sich wesentliche, nicht nahrungsbezogenen Güter zu leisten, ohne irreversible Bewältigungsstrategien anzuwenden (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).
Schätzungen zufolge haben 32% der Bevölkerung Kabuls Zugang zu fließendem Wasser, und nur 10% der Einwohner erhalten Trinkwasser. Diejenigen, die es sich leisten können, bohren ihre eigenen Brunnen. Viele arme Einwohner von Kabul sind auf öffentliche Zapfstellen angewiesen, die oft weit von ihren Häusern entfernt sind. Der Großteil der gemeinsamen Wasserstellen und Brunnen in der Hauptstadt ist durch häusliches und industrielles Abwasser verseucht, das in den Kabul-Fluss eingeleitet wird, was ernste gesundheitliche Bedenken aufwirft. Fast die Hälfte der Bevölkerung in Kabul verfügt über sanitäre Grundversorgung (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).
In der Stadt Kabul besteht Zugang zu öffentlichen und privaten Gesundheitsdiensten. Nach verschiedenen Quellen gibt es in Kabul ein oder zwei öffentliche psychiatrische Kliniken (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).
1.5.8. Situation für Rückkehrer/innen
Im Zeitraum vom 01.01.2019 bis 04.01.2020 kehrten insgesamt 504.977 Personen aus dem Iran und Pakistan nach Afghanistan zurück: 485.096 aus dem Iran und 19.881 aus Pakistan. Seit 01.01.2020 sind 279.738 undokumentierter Afghan/innen aus dem Iran nach Afghanistan zurückgekehrt. Im Jahr 2018 kamen 775.000 aus dem Iran und 46.000 aus Pakistan zurück (LIB, Kapitel 22).
Soziale, ethnische und familiäre Netzwerke sind für einen Rückkehrer unentbehrlich. Der Großteil der nach Afghanistan zurückkehrenden Personen verfügt über ein familiäres Netzwerk, auf das in der Regel zurückgegriffen wird. Wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage, den ohnehin großen Familienverbänden und individuellen Faktoren ist diese Unterstützung jedoch meistens nur temporär und nicht immer gesichert. Neben der Familie als zentrale Stütze der afghanischen Gesellschaft, kommen noch weitere wichtige Netzwerke zum Tragen, wie z.B. der Stamm, der Clan und die lokale Gemeinschaft. Diese basieren auf Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Religion oder anderen beruflichen Netzwerken sowie politische Netzwerke usw. Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. Ein Mangel an Netzwerken stellt eine der größten Herausforderungen für Rückkehrer dar. Die Rolle sozialer Netzwerke – der Familie, der Freunde und der Bekannten – ist für junge Rückkehrer besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Sollten diese Netzwerke im Einzelfall schwach ausgeprägt sein, kann die Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan in Anspruch genommen werden (LIB, Kapitel 22).
Rückkehrer aus dem Iran und aus Pakistan, die oft über Jahrzehnte in den Nachbarländern gelebt haben und zum Teil dort geboren wurden, sind in der Regel als solche erkennbar. Offensichtlich sind sprachliche Barrieren, von denen vor allem Rückkehrer aus dem Iran betroffen sind, weil sie Farsi (die iranische Landessprache) oder Dari (die afghanische Landessprache) mit iranischem Akzent sprechen. Es gibt jedoch nicht viele Fälle von Diskriminierung afghanischer Rückkehrer aus dem Iran und Pakistan aufgrund ihres Status als Rückkehrer. Fast ein Viertel der afghanischen Bevölkerung besteht aus Rückkehrern. Diskriminierung beruht in Afghanistan großteils auf ethnischen und religiösen Faktoren sowie auf dem Konflikt (LIB, Kapitel 22).
Rückkehrer aus Europa oder dem westlichen Ausland werden von der afghanischen Gesellschaft häufig misstrauisch wahrgenommen. Es sind jedoch keine Fälle bekannt, in denen Rückkehrer nachweislich aufgrund ihres Aufenthalts in Europa Opfer von Gewalttaten wurden. Wenn ein Rückkehrer mit im Ausland erlangten Fähigkeiten und Kenntnissen zurückkommt, stehen ihm mehr Arbeitsmöglichkeiten zur Verfügung als den übrigen Afghanen, was bei der hohen Arbeitslosigkeit zu Spannungen innerhalb der Gemeinschaft führen kann (LIB, Kapitel 22).
Der Mangel an Arbeitsplätzen stellt für den Großteil der Rückkehrer die größte Schwierigkeit dar. Der Zugang zum Arbeitsmarkt hängt maßgeblich von lokalen Netzwerken ab. Die afghanische Regierung kooperiert mit UNHCR, IOM und anderen humanitären Organisationen, um IDPs, Flüchtlingen, rückkehrenden Flüchtlingen und anderen betroffenen Personen Schutz und Unterstützung zu bieten. Für Afghanen, die im Iran geboren oder aufgewachsen sind und keine Familie in Afghanistan haben, ist die Situation problematisch (LIB, Kapitel 22).
Viele Rückkehrer leben in informellen Siedlungen, selbstgebauten Unterkünften oder gemieteten Wohnungen. Die meisten Rückkehrer im Osten des Landes leben in überbelegten Unterkünften und sind von fehlenden Möglichkeiten zum Bestreiten des Lebensunterhaltes betroffen (LIB, Kapitel 22).
Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, können verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen. Rückkehrer erhalten Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (z.B. IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGOs) (LIB, Kapitel 22).
Unter Rückkehrhilfe wird in Österreich Beratung und – bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen auf Antrag - Unterstützung in Form von Organisation und Übernahme der Reise- und Dokumentenkosten sowie ein finanzieller Beitrag verstanden.
Die Höhe der finanziellen Starthilfe bemisst sich grundsätzlich nach einem „2-Phasen Modell“:
- 500 EUR für Asylwerber im laufenden Verfahren I. Instanz,
- 250 EUR nach abgeschlossenem negativen Asylverfahren I. Instanz bzw. Fremde (BMI Rückkehrhilfe).
Zudem kann bei Erfüllung der Kriterien eine zusätzliche Reintegrationsunterstützung (Geld- und Sachleistung) vor Ort erfolgen. Das Projektziel dieses Reintegrationsprojektes mit dem Namen RESTART II mit IOM Österreich ist es, die freiwillige Rückkehr und Reintegration der Projektteilnehmer sowie der mit ihnen gemeinsam zurückgekehrten Familienmitglieder zu erleichtern. Rückkehrer sollen mithilfe der gewährten individuellen Unterstützung befähigt werden, sich erfolgreich in ihrem Herkunftsland einzugliedern. Die Reintegrationsleistung betragen 500 EUR Bargeldleistung und 2.800 EUR Sachleistung (BMI Rückkehrhilfe).
Erfolgt keine freiwillige Rückkehr, wird bei Zwangsrückführungen, sofern keine eigenen Mittel vorhanden sind, ein Zehrgeld in der Höhe von 50 EUR gewährt. Dieser Betrag kann im Fall von besonderen Bedürfnissen erhöht werden (BMI Rückkehrhilfe).
Für Rückkehrer leisten UNHCR und IOM in der ersten Zeit in Afghanistan Unterstützung. Bei der Anschlussunterstützung ist die Transition von humanitärer Hilfe hin zu Entwicklungszusammenarbeit nicht immer lückenlos. Es gibt keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrer. Der Großteil der (freiwilligen bzw. zwangsweisen) Rückkehrer aus Europa kehrt direkt zu ihren Familien oder in ihre Gemeinschaften zurück. Es befinden sich viele Rückkehrer in Gebieten, die für Hilfsorganisationen aufgrund der Sicherheitslage nicht erreichbar sind (LIB, Kapitel 22).
IOM Österreich unterstützt auch derzeit Rückkehrer/innen im Rahmen der freiwilligen Rückkehr. Aufgrund des stark reduzierten Flugbetriebs ist die Rückkehr seit April 2020 nur in sehr wenige Länder tatsächlich möglich. Neben der Reiseorganisation bietet IOM Österreich dabei, wie bekannt, Unterstützung bei der Ausreise am Flughafen Wien Schwechat an (LIB, Landesspezifische Anmerkungen COVID-19).
IOM Österreich bietet derzeit, aufgrund der COVID-19-Lage, folgende Aktivitäten an:
- Qualitätssicherung in der Rückkehrberatung (Erarbeitung von Leitfäden und Trainings)
- Unterstützung bei der freiwilligen Rückkehr und Reintegration im Rahmen der vorhandenen Möglichkeiten (Virtuelle Beratung, Austausch mit Rückkehrberatungseinrichtungen und Behörden, Monitoring der Reisemöglichkeiten) (LIB, Landesspezifische Anmerkungen COVID-19).
Das Projekt RESTART III – Unterstützung des österreichischen Rückkehrsystems und der Reintegration freiwilliger Rückkehrer/innen in Afghanistan“ wird bereits umgesetzt. Derzeit arbeiten die österreichischen IOM-Mitarbeiter/innen vorwiegend an der ersten Komponente (Unterstützung des österreichischen Rückkehrsystems) und erarbeiten Leitfäden und Trainingsinhalte. Die Unterstützung der freiwilligen Rückkehr nach Afghanistan ist derzeit aufgrund fehlender Flugverbindungen nicht möglich. IOM beobachtet die Situation und steht diesbezüglich in engem Austausch mit den zuständigen Rückkehrberatungseinrichtungen und den österreichischen Behörden (LIB, Landesspezifische Anmerkungen COVID-19).
Informationen von IOM Kabul zufolge, sind IOM-Rückkehrprojekte mit Stand 13.5.2020 auch weiterhin in Afghanistan operativ (LIB, Landesspezifische Anmerkungen COVID-19).
Die „Reception Assistance“ umfasst sofortige Unterstützung oder Hilfe bei der Ankunft am Flughafen: IOM trifft die freiwilligen Rückkehrer vor der Einwanderungslinie bzw. im internationalen Bereich des Flughafens, begleitet sie zum Einwanderungsschalter und unterstützt bei den Formalitäten, der Gepäckabholung, der Zollabfertigung, usw. Darüber hinaus arrangiert IOM den Weitertransport zum Endziel der Rückkehrer innerhalb des Herkunftslandes und bietet auch grundlegende medizinische Unterstützung am Flughafen an. 1.279 Rückkehrer erhielten Unterstützung bei der Weiterreise in ihre Heimatprovinz. Für die Provinzen, die über einen Flughafen und Flugverbindungen verfügen, werden Flüge zur Verfügung gestellt. Der Rückkehrer erhält ein Flugticket und Unterstützung bezüglich des Flughafen-Transfers. Der Transport nach Herat findet in der Regel auf dem Luftweg statt (LIB, Kapitel 22).
Familien in Afghanistan halten in der Regel Kontakt zu ihrem nach Europa ausgewanderten Familienmitglied und wissen genau Bescheid, wo sich dieses aufhält und wie es ihm in Europa ergeht. Dieser Faktor wird in Asylinterviews meist heruntergespielt und viele Migranten, vor allem Minderjährige, sind instruiert zu behaupten, sie hätten keine lebenden Verwandten mehr oder jeglichen Kontakt zu diesen verloren (LIB, Kapitel 22).
2. Beweiswürdigung:
Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch die Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht sowie durch Einsichtnahme in den Akt des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben des Beschwerdeführers in der Erstbefragung und vorm Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, im bekämpften Bescheid und im Beschwerdeschriftsatz, der vom Beschwerdeführer eingebrachten Stellungnahmen, die vorgelegten Urkunden sowie in den diesem Erkenntnis zugrunde gelegten Auszug aus dem Länderinformationsblatt vom 13.11.2019, letzte Kurzinformation eingefügt am 21.07.2020, die EASO Country Guidance zu Afghanistan vom Juni 2019 (EASO) und den UNHCR-Richtlinien vom 30.08.2018. Der Beweiswürdigung liegen folgende maßgebende Erwägungen zu Grunde:
2.1. Zum Verfahrensgang:
Der oben angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unbedenklichen und unzweifelhaften Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl und des Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.
2.2. Zum Beschwerdeführer:
Die Feststellungen zur Staats- und Volksgruppenangehörigkeit des Beschwerdeführers gründen sich auf dessen diesbezüglichen glaubhaften Angaben. Der erkennende Richter hat keine Veranlassung, an diesen – im gesamten Verfahren gleich gebliebenen – Aussagen des Beschwerdeführers zu zweifeln.
Dass der Beschwerdeführer schiitischer Moslem ist, ergibt sich aus seiner diesbezüglichen unbedenklichen Angabe in der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl sowie im Beschwerdeverfahren.
Die Feststellungen zur Identität des Beschwerdeführers ergeben sich aus seinen Angaben vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl sowie im Beschwerdeverfahren. Dass der Beschwerdeführer mittlerweile volljährig ist, ergibt sich aus dem im Verfahren erstellten Sachverständigengutachten, dem seitens des Beschwerdeführers nicht entgegengetreten wurde, sowie aus dem persönlichen Eindruck des erkennenden Richters im Rahmen der mündlichen Verhandlung. Soweit daher in der gegenständlichen Rechtssache Feststellungen zur Identität des Beschwerdeführers (Name, Geburtsdatum) getroffen wurden, gelten diese ausschließlich zur Identifizierung der Person des Beschwerdeführers im Asylverfahren.
Die Feststellung, dass die Muttersprache des Beschwerdeführers Dari ist, ergibt sich aus dessen diesbezüglichen unbedenklichen und gleichbleibenden Angaben während des verwaltungsbehördlichen Verfahrens als auch des Beschwerdeverfahrens.
Dass der Beschwerdeführer gesund und erwerbsfähig ist, ergibt sich aus seinen diesbezüglichen gleichbleibenden und glaubhaften Angaben.
Dass der Beschwerdeführer in Afghanistan geboren und aufgewachsen ist, ergibt sich ebenfalls aus seinen eigenen unbedenklichen Angaben. Die Feststellungen zu seiner Kernfamilie in Afghanistan gründen auf den diesbezüglichen glaubwürdigen Angaben des Beschwerdeführers.
Die Feststellung zur Sozialisierung des Beschwerdeführers nach den afghanischen Gepflogenheiten, ergibt sich daraus, dass er in Afghanistan mit seiner afghanischen Familie aufgewachsen ist, er ist dort zur Schule gegangen und dort erste Arbeitserfahrungen gesammelt hat.
Dass der Beschwerdeführer die Grundschule besucht hat, ergibt sich aus seinen diesbezüglichen gleichbleibenden und glaubhaften Angaben.
Die Angaben hinsichtlich seiner beruflichen Erfahrungen in Afghanistan gründen sich auf den diesbezüglichen glaubhaften Aussagen des Beschwerdeführers. Der erkennende Richter sieht keinen Grund, weshalb der Beschwerdeführer hier unwahre Angaben machen sollte. Gleiches gilt für die Angaben des Beschwerdeführers hinsichtlich seiner Deutschkenntnisse. Die Feststellungen hierzu ergeben sich auch aus der persönlichen Wahrnehmung des erkennenden Richters in der mündlichen Verhandlung, in welcher der Beschwerdeführer einige Fragen des Richters auf Deutsch beantworten konnte (S. 13 des Verhandlungsprotokolls) sowie aus den vorgelegten Dokumenten über den Besuch von Deutschkursen bzw. die Absolvierung von diesbezüglichen Prüfungen. Der mittlerweile absolvierte Pflichtschulabschluss untermauert seine Deutschkenntnisse.
Dass der Beschwerdeführer Kontakt zu seiner Familie in Afghanistan hat, ergibt sich aus dessen unbedenklicher Aussage im Zuge der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (AS 117; S. 3) und in der mündlichen Verhandlung, wonach er seine Familie telefonisch kontaktieren würde (S. 14 des Verhandlungsprotokolls). Die Angaben zu seinen Hobbies ergeben sich ebenfalls aus der unbedenklichen Aussage des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung.
Dass der Beschwerdeführer über keine maßgeblichen privaten Kontakte in Österreich verfügt, stützt sich auf den Angaben des Beschwerdeführers in der öffentlichen mündlichen Verhandlung (S. 14 des Verhandlungsprotokolls).
Dass der Beschwerdeführer einen Pflichtschulabschluss in Österreich hat, ergibt sich aus dem vorgelegten Zeugnis der XXXX .
Die Unbescholtenheit des Beschwerdeführers