TE Bvwg Erkenntnis 2020/9/25 W150 2197669-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 25.09.2020
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Entscheidungsdatum

25.09.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §2 Abs1 Z13
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

W150 2197669-1/6E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. KLEIN als Einzelrichter über die Beschwerde von Herrn XXXX , geb. XXXX 1994, StA. Afghanistan, vertreten durch Herrn RA Dr. Benno WAGENEDER, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX .2018, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 24.08.2020 zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird in sämtlichen Punkten als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (in der Folge auch: „BF“), reiste spätestens am 03.01.2016 (Datum der Antragstellung) illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

Am nächsten Tag fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung des BF statt. Dabei gab dieser zu seiner Person u.a. an, Dari als Muttersprache zu sprechen, Staatsangehöriger Afghanistans, Angehöriger der Volksgruppe der Hazara, Moslem, ledig, Bauhilfsabeiter ohne Schulbildung sowie Analphabet zu sein. Zu seinen Fluchtgründen befragt gab er an: „Wir sind Hazaras und haben darüber hinaus der Regierung beim Wiederaufbau geholfen. Die Taliban wollen unsere Rasse als auch unsere Tätigkeit nicht. Deswegen bin ich oft von diesen schikaniert, kontrolliert und mehrmals verprügelt wurde.“ Als Rückkehrbefürchtung gab er an: „In Afghanistan lebe ich in ständiger Angst um mein Leben.“ Auf die ausdrückliche Frage nach konkreten Hinweisen, denen zufolge ihm bei Rückkehr unmenschliche Behandlung, unmenschliche Strafe oder die Todesstrafe drohten oder er im Falle seiner Rückkehr in seinen Heimatstaat mit irgendwelchen Sanktionen zu rechnen habe, gab er an: „Nein.“

2. Am 03.04.2018 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge auch: „BFA“ oder „belangte Behörde“) niederschriftlich einvernommen.

Dabei gab er zunächst an, körperlich und geistig in der Lage zu sein, der Einvernahme zu folgen, gesund zu sein, keine Drogen oder Drogenersatzstoffe zu nehmen, den Dolmetscher gut zu verstehen, weiters, dass er anlässlich seiner Ersteinvernahme Wahrheit gesagt hätte. Es sei aber nicht [rück]übersetzt worden. Er habe das Alter der Eltern nicht genau gewusst, nur das der Mutter, er hätte sie etwas älter angegeben.

Er legte zahlreiche Unterlagen vor, nämlich:

- ÖSD-Zertifikat Deutsch A1 bestanden vom 07.06.2017.

- ÖSD-Zertifikat Deutsch A1 nicht bestanden vom 13.03.2017.

- ÖSD-Zertifikat Deutsch A2 nicht bestanden vom 13.11.2017.

- Referenzschreiben von Frau G XXXX , undatiert.

- Integrationsleistungen von Herrn XXXX , ausgestellt von Frau R XXXX , vom

30.04.2018.

- Referenzschreiben von Herrn K XXXX vom 03.04.2018.

- Stellungnahme von Frau H XXXX vom 30.03.2018.

- Referenzschreiben von Frau und Herrn M XXXX vom 30.03.2018.

- Referenzschreiben von Frau M XXXX , undatiert.

- Referenzschreiben von Frau H XXXX vom 01.04.2018.

- Teilnahme am Werte und Orientierungskurs vom 22.12.2017.

- Bestätigung von der XXXX über die ehrenamtliche Tätigkeit des AW vom

30.03.2018.

- Bestätigung der Gemeinde A XXXX über gemeinnützige Tätigkeiten in der Gemeinde

vom 15 03.2018.

- Anmeldebestätigung für den Kurs Basisbildung Oberösterreich vom 26.02.2018.

- Teilnahme für den Kurs Basisbildung Oberösterreich vom 30.03.2018.

- Teilnahme für die Veranstaltung Deutschkurs Alphabetisierung des XXXX vom

26.087.2016

- Besuchsbestätigung am Deutschkurs für Asylwerber A1 in A XXXX vom 20.02.2017.

- Besuchsbestätigung am Deutschkurs für Asylwerber A1 Teil 1 vom 20.04.2017.

- Besuchsbestätigung am Deutschkurs für Asylwerber A1 Teil 2 vom 19.12.2016.

- Besuchsbestätigung am Deutschkurs für Asylwerber A2 Teil 1 vom 06.10.2017.

- Besuchsbestätigung am Deutschkurs für Asylwerber A2 Teil 2 vom 30.10.2017.

- Information des XXXX über die Prüfung A2 am 24.03.2018.

- Lebenslauf von Herrn XXXX vom 17.12.2016.

- Bewerbung um eine Arbeitsstelle, undatiert.

- Teilnahmebestätigung vom XXXX für den Kurs „Fit in die Lehre“

vom 17.12.2016.

- Ladung des Bezirksgerichtes XXXX zur Zeugeneinvernahme am 08.05.2017 zum

Nachteil des Asylwerbers XXXX T XXXX .

Die Befragung gestaltete sich wie folgt:

„LA: Wann und wo wurden Sie geboren?

VP: In XXXX . Wann weiß ich nicht. Ich bin Analphabet.

LA: Wo sind Sie aufgewachsen?

VP: XXXX bis zur Ausreise.

LA: Wann war die Ausreise?

VP: Ich weiß es nicht.

LA: Haben oder hatten Sie irgendwelche Dokumente zum Nachweis Ihrer Identität? Also z.B.

einen Reisepass, Tazkira, etc.

VP: Nein, habe ich nicht. Die meisten haben dort keine.

LA: Woher wissen Sie Ihr Geburtsdatum und können Sie diese durch Dokumente belegen?

VP: Meine Mutter sagte zu mir, dass ich entweder 22 oder 23 Jahre alt bin. Die Schwestern

wissen das auch nur ungefähr.

LA: Wie ist Ihr Familienstand?

VP: Ledig.

LA: Haben Sie Kinder, oder für andere Personen die Obsorge übernommen?

VP: Nein.

LA: Wo haben Sie sich seitdem aufgehalten?

VP: In Griechenland glaube ich ca. 1 Woche. In der Türkei ca. 10 Tage.

LA: Sind Sie direkt aus Afghanistan nach Europa geflohen?

VP: Ja.

LA: Warum nach Europa?

VP: Weil ich dort Probleme hatte.

LA: Warum sind Sie nach Europa gegangen?

VP: Wohin sollte ich sonst gehen? Es wurde uns gesagt, dass es Menschenrechte hier gibt

und die Europäer lieben Menschen.

LA: Nun überprüfen wir die Angaben zu Ihren Familienangehörigen:

LA: Können Sie in lesen und schreiben in Dari?

VP: Nein, nur ein wenig.

LA: Sind Sie in die Schule gegangen?

VP: Ca. 2 Monate.

LA: Warum so kurz?

VP: Einmal als ich mit Freunden in die Schule ging, wurde ein Freund von einer Rakete

getroffen. Dann durfte ich von meiner Mutter aus nicht mehr in die Schule gehen.

LA: Wie alt waren Sie damals?

VP: Ca. 7 Jahre alt.

LA: Welche Schule war das?

VP: Lycee.. ich weiß nicht. Die Schule war in XXXX .

LA: Gibt es die Schule noch?

VP: Ja, die gibt es noch. Ich war später älter und ich wurde dann nicht mehr aufgenommen

in der Schule. Ich habe dann auch nichts mehr unternommen.

LA: Ging dann keiner mehr in die Schule aus Ihrem Gebiet?

VP: Doch, viele gehen dort in die Schule. Die Schule heißt XXXX .

LA: Wo war die Schule?

VP: In unserem Heimatort.

LA: Gibt es die Schule noch?

VP: Ja.

Übertrag, sowie Vervollständigung der Daten mittels nachfragen:

Vater: XXXX , verstorben ca. vor 10 Jahren.

Mutter: XXXX ca. 65 oder 66 Jahre alt.

Brüder: Keine

Schwestern: XXXX , ca. 30 Jahre und verheiratet, lebt in XXXX . Mit Ehemann und zwei

Kindern.

XXXX ca. 23 Jahre und verheiratet. Sie lebt in XXXX

Cousin: XXXX lebt in Österreich.

LA: Leben Sie hier gemeinsam?

VP: Ja.

LA: Wann hatten Sie das letzte Mal Kontakt zu Ihren Familienangehörigen in Afghanistan?

VP: Vor ein paar Tagen mittels Telefon. Ich habe direkt gesprochen mit Ihnen.

LA: Wie geht es der Familie?

VP: Es geht Ihnen gut.

LA: Wer sorgt für Ihre Mutter?

VP: Mein Onkel mütterlicherseits und der Schwager von XXXX unterstützen meine Mutter.

LA: Wo lebt denn der Onkel mütterlicherseits?

VP: Auch in XXXX .

LA: Was arbeitet der Onkel mütterlicherseits?

VP: Er hat XXXX

LA: Wie oft haben Sie durchschnittlich im Monat Kontakt mit Ihren Familienangehörigen?

VP: Ca. 1 Mal im Monat.

LA: Gibt es sonst Verwandte in Österreich oder in Europa?

VP: Nein.

LA: Sind Sie in Afghanistan einer Arbeit nachgegangen? Wenn ja, welcher?

VP: Ich habe an der Baustelle als Bauarbeiter gearbeitet. Mein Vater war auch Bauarbeiter.

LA: Wie lange haben Sie als Bauarbeiter gearbeitet?

VP: Ab dem 13. oder 14. Lebensjahr habe ich als Bauarbeiter gearbeitet. Als ich nicht mehr

in die Schule ging, lernte ich Teppichknüpfen.

LA: Welcher Beschäftigung gehen Ihre Familienangehörigen nach?

VP:

Onkel: XXXX

Mutter: Nein, sie ist Hausfrau und arbeitet als Schneiderin zuhause.

Schwestern: Ja, Schneiderinnen.

Schwager in Herat: Er handelt mit XXXX

LA. Ist der Schwager damit erfolgreich?

VP: Ja, es geht Ihm gut. Er heißt XXXX . Weiter weiß ich nicht.

Nach den allgemeinen Fragen zu Ihren persönlichen Umständen werde ich Sie nun jetzt zu

Ihrem Fluchtgrund befragen:

LA: Was waren alle Ihre genauen zeitlich, aktuellen und konkreten Gründe, dass Sie Ihren

Herkunftsstaat verlassen mussten und auch nicht zurück können. Bitte schildern Sie nun die

Fluchtgründe im Detail.

VP: Beginn der freien Erzählung:

Ich hatte dort Sicherheitsprobleme. Die Taliban haben die Schiiten und die Hazarer

angehalten, da wir Schiiten und Hazarer waren. Die Taliban haben manchmal die Hazarer

angehalten oder es wurden Hazarer geschlagen und entführt. Ich habe Angst gehabt.

Eines Tages wollte ich meine kranke Mutter nach XXXX bringen zum Untersuchen. Da

wurden wir auf dem Weg nach XXXX von den Taliban angehalten.

Meine Mutter weinte und betete, dass mich die Taliban wieder freilassen.

Die Taliban wollten mich festhalten bis meine Mutter wieder zurückkommt. Die Mutter weinte

und ich wurde wieder freigelassen. Dann sind wir wieder zurück nach Hause. Ich kann mich

nicht genau erinnern wann das war, vor ca. 4 Jahren.

Wir mussten auch ein paarmal für Bauprojekte arbeiten. Das waren kleine Brücken und

Mauern. Die Projekte wurden von ausländischen Instituten geleitet, deshalb wurden wir von

den Taliban bedroht. Wir sollten für diese Projekte nicht arbeiten.

Wir wurden belästigt.

Wir sagten, dass wir nur normale Mitarbeiter sind und können sonst nichts machen. Sie

haben uns auch geschlagen.

Das Leben war dort schwer und die Lage war so wie ich erzählt habe. Weil wir Hazarer

waren, war es für uns auch schwer. Die Taliban sagten, dass die Hazarer ungläubige sind.

Daesh sind auch gegen die Hazarer. Wenn die Daesh die Hazarer erwischen dann Köpfen

sie die Hazarer.

Sie sind sehr grausam, die Taliban schlachten Kinder und ältere Menschen. Es wurden

Leute aus unserem Gebiet entführt und dann geschlachtet.

LA: Welche Projekte haben Sie gebaut und wo und wann waren die Übergriffe der Taliban?

VP: Wir haben kleine Brücken gebaut und wir wurden von den Instituten unterstützt. Ich

wurde vor ca. 4 Monaten vor meiner Ausreise von den Taliban angehalten. Wir sollten nicht

mehr für diese Projekte arbeiten. Sie haben uns immer belästigt. Als ich angehalten wurde

sagte ich zu den Taliban, dass ich nicht mehr für diese Projekte arbeite.

LA: Warum sollte die Taliban die eigene Infrastruktur bekämpfen? Straßen und Brücken?

VP: Das weiß ich nicht. Es wurden mehrere Brücken durch die Taliban zerstört.

LA: Wer waren die Auftraggeber der Projekte?

VP: Ein Institut. Auch ein Auftraggeber. Welche wussten wir nicht.

LA: Woher wissen Sie dann dass die Auftraggeber Ausländer waren?

VP: Ich weiß es nicht ob das Ausländer waren oder nicht. Ob das staatlich war weiß ich auch

nicht.

LA: Welche Aufgabe hatten Sie dort?

VP: Ich war Bauarbeiter.

LA: Wo lebten Sie nach dem Bedrohung vier Monate vor der Ausreise?

VP: Zuhause in meinem Gebiet.

LA: Haben Sie die Polizei oder die lokalen Sicherheitskräfte aufgesucht?

VP: Die Polizisten unterstützen uns nicht. Die Polizisten mussten immer im Konvoi fahren.

Einzelne kommen nicht durch. Die Taliban haben keine Stützpunkte und sind irgendwo

versteckt.

LA: Wo war die Bedrohung vier Monate vor Ihrer Ausreise?

VP: In XXXX auf dem Weg nach XXXX zu meiner Schwester.

LA: Sind Sie nach XXXX gefahren?

VP: Ja.

LA: Wie lange blieben Sie in XXXX ?

VP: Eine Woche.

LA: Dann sind Sie wohin?

VP: Dann bin ich zurückgefahren. Ich hatte Angst auf dem Weg nach Hause. Ich habe die

Fahrer gefragt, ob die Wege noch ok sind. Sie sagten, dass alles Ok ist und ich bin wieder

nach Hause.

LA: Wie lange blieben Sie dann noch Zuhause?

VP: Weiß ich nicht genau.

LA: Wie verlief Ihre Ausreise von Ihrem Wohnort XXXX bis zu Grenze Afghanistan/Iran?

VP: Von XXXX mit einem PKW/ Schlepper nach XXXX . Dann von XXXX nach

Nimroz mit dem Bus. Von Nimroz mit dem Schlepper in den Iran.

LA: Was hat Ihr Cousin gearbeitet?

VP: Der hat auch im Baubereich gearbeitet.

LA: Gab es Probleme in XXXX bei Ihrer Schwester?

VP: Nein.

LA: Warum sind Sie nicht nach XXXX gezogen zu Ihrem Schwager und Ihrer Schwester?

VP: Das ist ein Problem in ganz Afghanistan. Wenn sie uns erwischen dann ist es klar und

sei werden und als ungläubige bezeichnen und wir werden geköpft.

LA: Welche Ethnie hat Ihr Schwager in XXXX und Ihre Schwester?

VP: Alle Hazarer. Es wurden auch Moscheen von den Anschlägen getroffen. Sie haben auch

Moscheen angegriffen.

LA: Warum ist nicht die ganze Familie ausgereist?

VP: Geht nicht. Das ist ein illegaler Weg und meine Mutter kann das nicht. Die Grenze zu

überqueren ist sehr schwer.

LA: Warum ist Ihr Schwager nicht ausgereist? Und Ihre zwei Schwestern?

VP: Das weiß ich nicht. Wenn sie ausreisen können, werden sie auch ausreisen.

LA: Waren Sie seitdem (Ausreise) jemals wieder in Afghanistan?

VP: Nein.

LA: Wurden Sie jemals vom Iran oder der Türkei nach Afghanistan abgeschoben?

VP: Nein.

LA: Sie haben im Jahr 1393 (=2015) Afghanistan verlassen. Das ist über ca. 2-3 Jahre her.

Welche aktuellen Befürchtungen haben Sie in Bezug auf eine mögliche Rückkehr nach

Afghanistan?

VP: Ich habe Angst. Ich habe Angst vor der Lage dort. Es wurden manche vom Iran

abgeschoben und auf dem Weg entführt.

LA: Sie müssen ja nicht nach XXXX gehen. Sie können sich auch in einem anderen

Landesteil in Afghanistan (Kabul, Herat) niederlassen. Afghanistan ist 1,8fach so groß wie

Deutschland!

VP: Hazarer sind überall von den Taliban bedroht. Wir sind nirgends sicher, weder in Kabul,

noch in Herat oder in Mazar. Hazarer werden überall bedroht. Mazar ist auch die Lage

schlecht für die Hazarer. Dort werden überall Menschen, Kinder und älterer Menschen

geköpft. In XXXX wurden auch Moscheen angegriffen. Mein Schwager kann nicht einmal

eine Moschee besuchen aus Angst.

LA: Wie haben Sie Ihre Ausreise finanziert?

VP: Ich habe gearbeitet und gespart.

LA: Wie viel hat die Ausreise gekostet?

VP: ca. 10.000 US Dollar. Der Schlepper hat 10.000 US Dollar bis nach Europa verlangt.

Vorhalt und Frage:

LA: Es gibt mehrere Gebiete, wo Hazarer in Frieden leben. Selbst der Vizepräsident ist

Hazarer. Es gibt in Kabul eigene Hazarer Stadtteile. Warum sind Sie nicht mit der Summe

von 10.000 US Dollar in ein sichereres Gebiet in Afghanistan gezogen?

VP: Das ist nicht wie in Europa. Da muss man jemanden kennen um arbeiten zu können und

sich niederlassen kann. Das ist nicht so leicht wie in Österreich, dass man übersiedelt. Als

ein Kind und eine Frau in unserem Dorf geköpft wurden haben wir auch in unserem Dorf

demonstriert. Der Vizepräsident hat uns als Verbrecher beschimpft.

LA: Wann war das und wer waren die Opfer?

VP: Ich weiß nicht genau wann das war.

LA: Sie haben demonstriert und wissen nicht wann das war?

VP: Ich glaube das war Ende 2016 oder Ende 2015.

LA: Wer waren die geköpften Opfer?

VP: Ein neunjähriges Mädchen, eine ältere Frau und ein Mann.

LA: Wo war das?

VP: Ca. 10 km von unserem Heimatdorf entfernt.

LA: Warum wurden diese Personen geköpft?

VP: Weil Sie Hazarer waren. Sie waren sehr grausam. Sie haben auch ein unschuldiges

Mädchen geköpft.

LA: Wie haben Sie demonstriert und wann?

VP: Ich habe selber nicht teilgenommen. Meine Mutter hat es mir nicht erlaubt.

LA: Warum sollten die Taliban nach 3 Jahren noch Interesse an Ihnen haben wenn Sie zum

Beispiel sich in XXXX oder XXXX niederlassen?

VP: 2016 und 2017 passierten zahlreiche Anschläge. Es gibt manche Gebiete, da können

selbst die Medien nicht darüber berichten, wie die Taliban grausam sind.

LA: Es geht um Ihre Person. Warum sind gerade Sie von Interesse. Haben Sie eine

besondere Stellung in der Gesellschaft?

VP: Ich bin auch Hazarer, deswegen habe ich Angst. Wenn sie Hazarer erwischen dann

entscheiden die Taliban ob diese umgebracht wird.

LA: Brauchen Sie eine Pause, oder können wir weitermachen?

VP: Ich habe kein Problem.

Anmerkung: Die Vertrauensperson geht kurz auf die Toilette.

LA: Was haben Sie spezielle Fähigkeiten? Können Sie etwas besonders gut?

VP: Ich bin ein Bauarbeiter. Bodenleger und Fliesenleger.

Vertrauensperson ist wieder anwesend.

LA: Sind Sie im Zuge der Kurse einer Arbeitstätigkeit in Österreich nachgegangen?

VP: Ja. (AW legte entsprechende Unterlagen vor)

Es folgen noch ein paar Fragen um die Einvernahme abzurunden:

LA: Sind Sie bereits einer Beschäftigung im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten wie z.B.

Saisonarbeit oder gemeinnützige Tätigkeit in Österreich nachgegangen?

VP: Ja. (Siehe Unterlagen)

LA: Sind Sie Mitglied in Vereinen oder Organisationen in Österreich?

VP: Nein. Ich wollte Fußballmitglied werden aber ich konnte nicht, da ich den Deutschkurs

besuchen musste.

LA: Hatten Sie in Österreich jemals Probleme mit Behörden, Polizei, Gericht, oder anderen

Institutionen?

VP: Nein. Niemals.

LA: Sind Sie politisch aktiv, gehören Sie irgendeiner politischen Organisation oder Partei an?

VP: Nein.

LA: Welcher Volksgruppe gehören Sie an?

VP: Hazara.

LA: Gab es in Afghanistan eine konkrete, gezielte Verfolgung Ihrer Person alleine aufgrund

Ihrer Volksgruppenzugehörigkeit als Hazara?

VP: Nein.

LA: Welcher Religion gehören Sie an?

VP: Moslem, nachgefragt Schiit.

LA: Gab es in Afghanistan jemals eine Verfolgung Ihrer Person aufgrund Ihrer

Religionszugehörigkeit als schiitischer Muslim?

VP: Verfolgung nein. Aber eine allgemeine Verfolgung gibt es. Daesh sucht nur die Schiiten.

LA: Haben, oder hatten Sie jemals irgendwelche Schwierigkeiten/Probleme mit afghanischen

Behörden, Polizei oder Gerichten?

VP: Nein.

LA: Haben oder hatten Sie jemals irgendwelche Schwierigkeiten/Probleme, außer dem

bereits genannten, mit privaten Personen, Personengruppen, Banden oder kriminellen

Organisationen?

VP: Nein.

LA: Leiden oder litten Sie, an irgendwelchen gesundheitlichen Problemen, gibt es

bestehende Krankheiten oder benötigen Sie aktuell bestimmte medizinische Betreuung oder

Medikamente?

VP: Ich verwende Medikamente wegen schmerzen im Rippenbereich. Der Arzt hat gesagt,

dass die Rippen verlegt sind.

LA: Welche Medikamente verwenden Sie?

VP: Weiß ich nicht.

LA: Gibt es Diagnosen über die Krankheit?

VP: Habe ich nicht mitgenommen.

[…]“

Auf die angebotene Aushändigung der landeskundlichen Feststellungen verzichtete er, erklärte, alles gesagt zu haben, die Möglichkeit gehabt zu haben alle seine Fluchtgründe darzulegen und den Dolmetscher immer gut verstanden zu haben und unterfertigte nach Belehrung und Rückübersetzung.

3. Mit Bescheid vom 26.04.2018, Zl. 1100760403 - 160007668/BMI-BFA_SBG_AST_01, wies die Erstinstanz den Antrag des Beschwerdeführers bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) ab. Gemäß § 57 AsylG wurde Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt III.) und gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.), wobei gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt wurde, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.) Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.).

Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass der BF in seinem Herkunftsstaat als Bauarbeiter gearbeitet habe und so seinen eigenen Lebensunterhalt sichergestellt habe. Es liege keine Erkrankung vor, die ein Rückkehrhindernis darstellen würde. Der BF sei weder aus Gründen der ethnischen Zugehörigkeit, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe, noch der politischen Gesinnung in seiner Heimat von staatlicher Seite verfolgt wurden, noch dass eine solche zum Entscheidungszeitpunkt zu befürchten wäre. Eine aktuelle, mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohende Verfolgung seiner Person in Afghanistan habe nicht festgestellt werden können. Es stünde ihm weiters eine innerstaatliche Fluchtalternative offen. Auch sonst hätten sich im Verwaltungsverfahren keine begründeten Hinweise auf eine Flüchtlingseigenschaft ergeben.

Eine Rückkehr in seine Heimatprovinz sei derzeit nicht zumutbar, es stehe aber eine innerstaatliche Fluchtalternative mit Kabul offen. Eine reale Gefahr sei für den Fall der Rückkehr zwar vorgebracht worden, habe aber im Ermittlungsverfahren nicht ausgemittelt werden können. Der BF könne in seiner Muttersprache lesen und sei bereits vor seiner Ausreise langjährig einer Erwerbstätigkeit als Bauarbeiter nachgegangen, sei bis zu seiner Ausreise in der Lage gewesen, seinen eigenen Lebensunterhalt sicherzustellen und ferner seine eigene Familie zu unterstützen. Es seien keine Gründe hervorgetreten, warum dem BF eine neuerliche Aufnahme seiner Arbeit als Bauarbeiter, nunmehr in Kabul, unmöglich sein sollte. Er habe Kontakt zu seinen Familienangehörigen im Herkunftsstaat. Seine Familie könne ihn anfänglich finanziell unterstützen. Er sei gesundheitlich nicht eingeschränkt, jung und im erwerbsfähigem Alter. Er erhalte bei seiner Rückkehr Unterstützung in Form einer finanziellen Rückkehrhilfe. Das BFA sah daher im Rückkehrfalle keine Gefahr dafür, dass der BF in eine aussichtslose Lage geraten könnte.

Der BF lebe in Österreich zusammen mit seinem Bruder. Ein besonderes Abhängigkeitsverhältnis zu diesem habe aber nicht festgestellt werden können. Insgesamt stelle daher die Rückkehrentscheidung keinen Eingriff in das Familienleben dar. Ein schützenswertes Privatleben in Österreich sei nicht entstanden.

4. Gegen diesen Bescheid erhob der BF über seinen rechtsfreundlichen Vertreter fristgerecht in vollem Umfang Beschwerde, beantragte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung und der Beschwerde Folge zu geben und brachte dabei im Wesentlichen vor, es habe unpräzise Übersetzungen (zB „Maktabe“ statt „Maktaba“ oder die Verwendung des Begriffes „Instituten“) bei der Einvernahme gegeben, das Protokoll wäre mangelhaft zB seien im Protokoll die „Hazara“ fälschlich als „Hazarer“ bezeichnet worden, unlogische Fragen bzw. Fragen mehrmals gestellt worden und einige Antworten des BF wären unlogisch, der Verhandlungsleiter habe sich nicht in das Bürgerkriegsland hineinversetzt, sondern habe logisch [Anmerkung: sic!] argumentiert und gefragt. Auch sei nicht detailliert nachgefragt worden bei einer Anhaltung und Belästigung durch Taliban. Hinsichtlich der Beurteilung der Umstände einer Rückkehr sei mangelhaft ermittelt und gemutmaßt worden. Auch sei der Sachverhalt unrichtig festgestellt worden und und die Beweise unrichtig gewürdigt worden, so gestehe die belangte Behörde selbst ein, dass ein typischer rückkehrender Flüchtling riskiere, in die Armut abzurutschen. Der BF sei als Angehöriger der Hazara im Gegensatz zur Ansicht der belangten Behörde schutzbedürftiger als die übrige Bevölkerung, da er Schiit, Hazara und fast Analphabet sei. Als Rückkehrer werde dem BF Misstrauen entgegenschlagen. Insgesamt sei der Aufenthalt in Kabul dem BF nicht zumutbar.

5. Am 24.08.2020 fand eine öffentliche mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht (in der Folge auch: „BVwG“) statt. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung wurden die Fluchtgründe, die maßgebliche Lage in Afghanistan, das Privat- und Familienleben des Rechtsmittelwerbers und seine Integrationsschritte erörtert.

Grundsätzlich gesund, wenn auch gestresst, sei er uneingeschränkt verhandlungsfähig, nehme nicht regelmäßig Medikamente.

Seine vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl getätigten Angaben entsprächen allesamt der Wahrheit aber er habe einen Dolmetscher gehabt, der seine Aufgabe nicht sehr gut habe erledigen können. Der aktuell anwesende Dolmetscher sei auf jeden Fall besser.

Zwischenzeitlich sei seine Mutter im November 2018 bei einer kriegerischen Auseinandersetzung getötet worden. Seine zwei verheirateten Schwestern lebten in seinem Heimatdistrikt Jaghori. Im späteren Verlauf der Befragung dementierte der BF, dies je gesagt zu haben, die eine Schwester aus Herat lebe mit ihrem Mann jetzt im Iran, die andere mit ihrem Mann irgendwo in Afghanistan.

Auf Vorhalt, dass sein Schwager wirtschaftlich gut gestellt sei, gab der BF an, dass das der Dolmetsch falsch übersetzt hätte, sein Schwager hätte nur ein sehr kleines Auto und würde jeden Tag in der Früh zum Hauptbazar fahren und dort Waren kaufen und dann diese Waren wo anders hin in der Stadt verkaufen. Warum er dies bis dato, vor allem nicht in seiner verfahrensgegenständlichen Beschwerde gerügt hätte, konnte der BF nicht beantworten.

Zu seiner beruflichen Tätigkeit und Ausbildung gab der BF an, dass er in Afghanistan den Beruf Maurer gelernt habe. Er sei sowohl Geselle als auch Meister im Baubereich, sein Vater sei auch ein guter Meister gewesen. Er habe in Afghanistan auch gelernt, Teppiche zu knüpfen. Er sei auch in diesem Bereich ein Meister und könne Teppiche knüpfen. Er sei auch ein sehr guter Fliesenleger. Ich könne sehr gut Fliesen und Steine verlegen. In die Schule sei er in Afghanistan nur sehr kurz gegangen (2 Monate). Hier in Österreich habe er lesen und Schreiben gelernt, Deutsch bis A2 aber bei B1 die Prüfung nicht geschafft. Paschtu könne er nicht lesen und schreiben aber Farsi habe er etwas Lesen und Schreiben gelernt.

Bruder hätte er keinen. In Österreich würde sein Cousin mit ihm zusammenwohnen. Andere Familienangehörige außerhalb Afghanistans habe er keine. Er sei ledig und kinderlos, weder in Lebensgemeinschaft noch Partnerschaft. Bei Vereinen sei er nicht Mitglied. In seiner Freizeit spiele er mit Freunden und Kollegen am Fußballplatz Fußball und Volleyball, dazu nannte er Namen von Afghanen und Iranern.

Zu seinen Fluchtgründen gab der BF u.a. an, dass er – zumeist in seinem Heimatdistrikt – öfters von Taliban angehalten worden sei, da er am Bau von Brücken gearbeitet hätte. Andere Fluchtgründe habe er nicht gehabt. Die Taliban hätten jedes Mal bloß gefragt, ob wir für den Staat arbeiteten und gedroht, dass es ein nächstes Mal nicht geben werde. Diese hätten Farsi mit ihnen gesprochen, seien vermummt und nicht wiedererkennbar gewesen aber sie seien seiner Meinung nach immer andere gewesen. Die letzte Bedrohung sei ca. zwei Monate vor seiner Ausreise erfolgt, als er mit seiner Mutter nach Kabul unterwegs gewesen sei. Diese habe geweint und ihn so aus den Händen der Taliban befreit. Nachgefragt sagte er, dass ihm bei den Bedrohungen nie etwas passiert sei, das letzte Mal, weil seine Mutter sich um ihn bemüht habe. Das vorletzte Mal sei er auf dem Weg zur Arbeit bedroht worden. In XXXX sei er vor dem vorletzten Mal angehalten und bedroht worden. Eigentlich sei er bei XXXX zwei Mal aufgehalten und bedroht worden, da er ja auch mit der Mutter unterwegs dort in XXXX gewesen sei. Auf den Vorhalt hin, dass er widersprüchlich zu seinen jetzigen Angaben vor dem BFA ausgesagt habe, er sei auf dem Weg zu seiner Schwester in XXXX gewesen, erwiderte er, dass er erst nach der Fahrt mit seiner Mutter alleine zu seiner Schwester gefahren sei. Die letzte Bedrohung habe aber während der Fahrt mit seiner Mutter nach Kabul stattgefunden. Seine Mutter wäre der Meinung gewesen, dass er seine Heimat verlassen müsse. Dies habe er aber nicht gleich getan, sondern erst zwei Monate danach, das habe am Schlepper gelegen.

Der BF legte im Rahmen der mündlichen Verhandlung noch folgende Dokumente und Schriftstücke vor:

- ein Empfehlungsschreiben von „Treffpunkt Andorf“ nicht unterfertigt, undatiert;

- eine Bestätigung des BFI Oberösterreich über die Teilnahme am Lehrgang Basisbildung Oberösterreich vom 30.05.2018;

- Bedingte Einstellungszusage einer Baugesellschaft für den Fall der positiven Erledigung des „Aufenthaltsbescheides“ vom 17.08.2020

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der BF ist afghanischer Staatsangehöriger und Angehöriger der Volksgruppe der Hazara, seine Identität steht nicht fest. Er ist volljährig. Der im Spruch angeführte Namen sowie das Geburtsdatum stellen eine Verfahrensidentität dar. Seine Muttersprache ist Farsi. Er ist dem schiitischen Islam zugehörig, ledig und kinderlos. Er lebt weder in einer Lebensgemeinschaft noch eingetragenen Partnerschaft.

Der BF beherrscht Deutsch in Wort und Schrift zumindest auf A1 Niveau. Mangels ausreichender Schulbildung in Afghanistan beherrscht der BF seine Muttersprache nur ein bisschen in Schrift. Er ist in Afghanistan sowohl als Maurer als auch als ausgebildet worden und bezeichnet sich selbst als Meister in beidem.

Der BF verfügt im Heimatland über familiäre Anknüpfungspunkte zumindest in Form seiner zwei Schwestern. Uneingeschränkt gesund und arbeitsfähig, sind keine Hinweise auf lebensbedrohende oder schwerwiegende Krankheiten des Asylwerbers im Verfahren hervorgetreten und wurden solche auch nicht behauptet.

1.2. Zum Leben des Beschwerdeführers in Österreich

Der Rechtsmittelwerber ist unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich eingereist und hält sich zumindest seit dem 03.01.2016 durchgehend in Österreich auf. Obwohl der BF offiziell das Sprach-Niveau A2 erreicht haben soll, verfügt der Genannte bloß über einfache Kenntnisse der deutschen Sprache, die ihm die Kommunikation über Dinge des täglichen Lebens rudimentär ermöglichen.

Im österreichischen Bundesgebiet verfügt der Asylwerber über keinerlei Kernfamilienmitglieder; das einzige Familienmitglied ist ein Cousin, mit dem er zusammenwohnt.

Seine Zeit in Österreich verbringt der Genannte vorwiegend mit sportlichen Aktivitäten mit Freunden die aus Afghanistan und dem Iran stammen.

Zum Entscheidungszeitpunkt erweist sich der Rechtsmittelwerber als unbescholten.

1.3. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers

Das vom Asylwerber ins Treffen geführte Verfolgungsvorbringen, er sei wegen seiner Tätigkeit für eine Baufirma von Taliban bedroht worden, wird aus nachfolgend im Detail ausgeführten Gründen ausdrücklich als nicht zutreffend festgestellt.

1.4. Zu einer möglichen Rückkehr des Antragstellers in den Herkunftsstaat

Bei einer Rückkehr nach Afghanistan kann der Rechtsmittelwerber grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft, befriedigen. Es kann nicht festgestellt werden, dass er in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation geraten könnte. Im Falle einer Verbringung des Genannten in seinen Herkunftsstaat droht diesem daher kein reales Risiko einer Verletzung der Art. 2 oder 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK).

1.5. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan

(Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 13.11.2019, letzte Information 21.07.2020 - Anm.: die Quellenangaben finden sich in den Länderberichten selbst):

Politische Lage

Letzte Änderung: 18.5.2020

Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind (AA 15.4.2019). Auf einer Fläche von ca. 632.000 Quadratkilometern (CIA 24.5.2019) leben ca. 32 Millionen Menschen (CSO 2019).

Im Jahr 2004 wurde die neue Verfassung angenommen (BFA 7.2016; vgl. Casolino 2011), die vorsieht, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürgerinnen und Bürger Afghanistans, Mann wie Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA 3.2014; vgl. Casolino 2011, MPI 27.1.2004).

Die Verfassung der islamischen Republik Afghanistan sieht vor, dass der Präsident der Republik direkt vom Volk gewählt wird und sein Mandat fünf Jahre beträgt (Casolino 2011). Implizit schreibt die Verfassung dem Präsidenten auch die Führung der Exekutive zu (AAN 13.2.2015) und die Provinzvorsteher, sowie andere wichtige Verwaltungsbeamte, werden direkt vom Präsidenten ernannt und sind diesem rechenschaftspflichtig. Viele werden aufgrund persönlicher Beziehungen ausgewählt (EC 18.5.2019).

Die ursprünglich für den 20. April 2019 vorgesehene Präsidentschaftswahl wurde mehrfach verschoben, da die Wahlbehörden auf eine landesweite Wahl so kurz nach der Parlamentswahl im Oktober 2018 nicht vorbereitet waren. Der Oberste Gerichtshof Afghanistans konnte die Herausforderungen für die Wahlkommission nachvollziehen und verlängerte die Amtszeit von Präsident Ashraf Ghani bis zu der auf den 28.9.2019 verschobenen Präsidentschaftswahl (DZ 21.4.2019). Die unabhängige afghanische Wahlkommission (Afghanistan’s Independent Election Commission) hat mehr als vier Monate nach der Präsidentschaftswahl in Afghanistan Mohammed Ashraf Ghani zum Sieger erklärt (DW 18.2.2020). Der amtierende Präsident erhielt 50,64% der Stimmen, wie die Kommission verlautbarte (DW 18.2.2020; vgl. REU 25.2.2020; UNGASC 17.3.2020). Da Ghani im ersten Durchgang die Präsidentschaftswahl bereits gewonnen hat, ist keine Stichwahl mehr notwendig (DW 18.2.2020). CEO bzw. Regierungsgeschäftsführer Abdullah Abdullah, kam den Resultaten zufolge auf 39,52% (DW 18.2.2020; vgl. REU 25.2.2020). Die Präsidentenwahl hatte am 28. September stattgefunden. Nach monatelangem, erbittertem Streit um die Richtigkeit von Hunderttausenden von Stimmen waren nur noch 1,8 Millionen Wahlzettel berücksichtigt worden. Hingegen lag die Zahl der registrierten Wähler bei 9,6 Millionen. Afghanistan hat eine geschätzte Bevölkerung von 35 Millionen Einwohnern (DW 18.2.2020).

Wochenlang stritten der amtierende Präsident Ashraf Ghani und sein ehemaliger Regierungsgeschäftsführer Abdullah Abdullah um die Macht in Kabul und darum wer die Präsidentschaftswahl im vergangenen September gewonnen hatte. Abdullah Abdullah beschuldigte die Wahlbehörden, Ghani begünstigt zu haben, und anerkannte das Resultat nicht (NZZ 20.4.2020). Am 9.3.2020 ließen sich sowohl Ghani als auch Abdullah als Präsident vereidigen (NZZ 20.4.2020; vgl. TN 16.4.2020). Nach monatelanger politischer Krise (DP 17.5.2020; vgl. TN 11.5.2020), einigten sich der afghanische Präsident Ashraf Ghani und Abdullah Abdullah auf eine Machtteilung: Abdullah wird die Friedensgespräche mit den Taliban leiten und Mitglieder seines Wahlkampfteams werden ins Regierungskabinett aufgenommen (DP 17.5.2020; vgl. BBC 17.5.2020; DW 17.5.2020).

Anm.: Weitere Details zur Machtteilungsvereinbarung sind zum Zeitpunkt der Aktualisierung noch nicht bekannt (Stand: 18.5.2020) und werden zu einem späteren Zeitpunkt bekannt gegeben (BBC 17.5.2020).

Präsidentschafts- und Parlamentswahlen

Die afghanische Nationalversammlung ist die höchste legislative Institution des Landes und agiert im Namen des gesamten afghanischen Volkes (Casolino 2011). Sie besteht aus zwei Kammern: dem Unterhaus oder Volksvertretung (Wolesi Jirga) mit 250 Abgeordneten (für 5 Jahre gewählt), sowie dem Oberhaus oder Ältestenrat (Meschrano Jirga) mit 102 Abgeordneten (AA 15.4.2019).

Das Oberhaus setzt sich laut Verfassung zu je einem Drittel aus Vertretern der Provinz- und Distrikträte zusammen. Das letzte Drittel der Senatoren wird durch den Präsidenten bestimmt (AA 15.4.2019). Die Hälfte der vom Präsidenten entsandten Senatoren müssen Frauen sein. Weiters vergibt der Präsident zwei Sitze für die nomadischen Kutschi und zwei weitere an behinderte Personen. Auch ist de facto ein Sitz für einen Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft reserviert (USDOS 13.3.2019).

Die Sitze im Unterhaus verteilen sich proportional zur Bevölkerungszahl auf die 34 Provinzen. Verfassungsgemäß sind für Frauen 68 Sitze, für die Minderheit der Kutschi zehn Sitze und für Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft ein Sitz reserviert (AAN 22.1.2017; vgl. USDOS 13.3.2019, Casolino 2011).

Die Rolle des Parlaments bleibt begrenzt. Ob das neue Parlament, das sich nach den Wahlen vom Oktober 2018 erst mit erheblicher Verzögerung im April 2019 konstituierte, eine andere Rolle einnehmen kann, muss sich zunächst noch erweisen. Zwar beweisen die Abgeordneten mit kritischen Anhörungen und Abänderungen von Gesetzentwürfen in teils wichtigen Punkten, dass das Parlament grundsätzlich funktionsfähig ist, doch nutzt das Parlament auch seine verfassungsmäßigen Rechte, um die Arbeit der Regierung destruktiv zu behindern, Personalvorschläge der Regierung z.T. über längere Zeiträume zu blockieren und sich Zugeständnisse wohl auch durch finanzielle Zuwendungen an einzelne Abgeordnete abkaufen zu lassen. Insbesondere das Unterhaus hat sich dadurch sowohl die Regierung der Nationalen Einheit als auch die Zivilgesellschaft zum Gegner gemacht. Generell leidet die Legislative unter einem kaum entwickelten Parteiensystem und mangelnder Rechenschaft der Parlamentarier gegenüber ihren Wählern (AA 2.9.2019).

Die Präsidentschaftswahlen und Parlamentswahlen finden gemäß Verfassung alle fünf Jahre statt (USIP 11.2013). Mit dreijähriger Verzögerung fanden zuletzt am 20. und 21. Oktober 2018 – mit Ausnahme der Provinz Ghazni – Parlamentswahlen statt (AA 15.4.2019; vgl. USDOS 13.3.2019). Die letzten Präsidentschaftswahlen fanden am 28. September 2019 statt (RFE/RL 20.10.2019).

Bei den Wahlen zur Nationalversammlung am 20. und 21.10.2018 gaben etwa vier Millionen der registrierten 8,8 Millionen Wahlberechtigten ihre Stimme ab. Die Wahl war durch Unregelmäßigkeiten geprägt, darunter Betrug bei der Wählerregistrierung und Stimmabgabe, Einschüchterung der Wähler, und einige Wahllokale mussten wegen Bedrohungen durch örtliche Machthaber schließen. Die Taliban und andere Gruppierungen behinderten die Stimmabgabe durch Drohungen und Belästigungen (USDOS 13.3.2019).

Wegen Vorwürfen des Betruges und des Missmanagements erklärte Anfang Dezember 2018 die afghanische Wahlbeschwerdekommission (ECC) alle in der Provinz Kabul abgegebenen Stimmen für ungültig (RFE/RL 6.12.2018). Die beiden Wahlkommissionen einigten sich in Folge auf eine neue Methode zur Zählung der abgegebenen Stimmen (TN 12.12.2018). Die Provinzergebnisse von Kabul wurden schließlich am 14.5.2019, fast sieben Monate nach dem Wahltag, veröffentlicht. In einer Ansprache bezeichnete Präsident Ghani die Wahl als „Katastrophe“ und die beiden Wahlkommissionen als „ineffizient“ (AAN 17.5.2019).

Politische Parteien

Die afghanische Verfassung erlaubt die Gründung politischer Parteien, solange deren Programm nicht im Widerspruch zu den Prinzipien des Islam steht (USDOS 29.5.2018). Um den Parteien einen allgemeinen und nationalen Charakter zu verleihen, verbietet die Verfassung jeglichen Zusammenschluss in politischen Organisationen, der aufgrund von ethnischer, sprachlicher (Casolino 2011; vgl. MPI 27.1.2004) oder konfessioneller Zugehörigkeit erfolgt (Casolino 2011; vgl. MPI 27.1.2004; USDOS 29.5.2018). Auch darf keine rechtmäßig zustande gekommene Partei oder Organisation ohne rechtliche Begründung und ohne richterlichen Beschluss aufgelöst werden (MPI 27.1.2004).

Das kaum entwickelte afghanische Parteiensystem weist mit über 70 registrierten Parteien eine starke Zersplitterung auf (AA 2.9.2019). Die politischen Parteien haben ihren Platz im politischen System Afghanistans noch nicht etablieren können (DOA 17.3.2019). Die meisten dieser Gruppierungen erscheinen mehr als Machtvehikel ihrer Führungsfiguren denn als politisch-programmatisch gefestigte Parteien (AA 2.9.2019; vgl. AAN 6.5.2018, DOA 17.3.2019). Ethnische Zugehörigkeit, persönliche Beziehungen und ad hoc geformte Koalitionen spielen traditionell eine größere Rolle als politische Organisationen (AA 2.9.2019).

Das derzeitige Wahlsystem ist personenbezogen, die Parteien können keine Kandidatenlisten erstellen, es sind keine Sitze für die Parteien reserviert und es ist den Parteien untersagt, Fraktionen im Parlament zu gründen. Der Parteivorsitz wird nicht durch parteiinterne Abläufe bestimmt, sondern wird eher wie ein partimoniales Erbgut gesehen, das von einer Generation an die nächste, vom Vater zum Sohn, übergeben wird. Die Menschen vertrauen den Parteien nicht und junge, gebildete Leute sind nicht gewillt, solchen Parteien beizutreten (DOA 17.3.2019).

Friedens- und Versöhnungsprozess

Die afghanischen Regierungskräfte und die Amerikaner können die Taliban, die über rund 60 000 Mann verfügen, nicht besiegen. Auch die Islamisten sind nicht stark genug, um die Regierungstruppen zu überrennen, obwohl sie rund die Hälfte des Landes kontrollieren oder dort zumindest präsent sind. In Afghanistan herrscht fast zwei Jahrzehnte nach dem Sturz des Taliban-Regimes durch die USA eine Pattsituation (NZZ 20.4.2020). Das lang erwartete Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten und den Taliban wurde Ende Februar 2020 unterzeichnet (AJ 7.5.2020; vgl. NPR 6.5.2020) – die afghanische Regierung war an dem Abkommen weder beteiligt, noch unterzeichnete sie dieses. Diesem Abkommen zufolge hätten noch vor den für 10.03.2020 angesetzten inneren Friedensgesprächen, von den Taliban bis zu 1.000 Gefangene und von der Regierung 5.000 gefangene Taliban freigelassen werden sollen. Zum einen, verzögern die Unstimmigkeiten zwischen den Taliban und der afghanischen Regierung über Umfang und Umsetzungstempo des Austauschs, die Gespräche (AJ 7.5.2020) [ Anm.: 800 Taliban-Gefangene entließ die afghanische Regierung, während die Taliban 100 der vereinbarten 1.000 Sicherheitskräfte frei ließen – (NPR 6.5.2020)], Andererseits stocken die Verhandlungen auch aufgrund des innerpolitischen Disputes zwischen Ashraf Ghani und Abdullah Abdullah, die beide die Präsidentschaft für sich beanspruchten. Die Taliban haben seit dem unterzeichneten Abkommen im Februar mehr als 4.500 Angriffe verübt. Die von dieser Gewalt am stärksten betroffenen Provinzen sind auch jene Provinzen, die am stärksten von COVID-19-Fällen betroffen sind (AJ 7.5.2020). In den innerafghanischen Gesprächen wird es um die künftige Staatsordnung, eine Machtteilung und die Integration der Aufständischen gehen (NZZ 20.4.2020).

Das Abkommen mit den US-Amerikanern

Das Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten und den Taliban enthält das Versprechen der US-Amerikaner, ihre noch rund 13.000 Armeeangehörigen in Afghanistan innerhalb von 14 Monaten abzuziehen. Auch die verbliebenen nichtamerikanischen NATO-Truppen (Stand Ende 2019: rund 6.700 Mann) sollen abgezogen werden. In den ersten 135 Tagen nach der Unterzeichnung werden die US-Amerikaner ihre Truppen in Afghanistan auf 8.600 Mann reduzieren. Der Abzug der ausländischen Truppenangehörigen, von denen die meisten Beratungs- und Ausbildungsfunktionen wahrnehmen, ist abhängig davon, ob die Taliban ihren Teil der Abmachung einhalten. Sie haben im Abkommen zugesichert, terroristischen Gruppierungen wie etwa al-Qaida keine Zuflucht zu gewähren. Die Taliban verpflichteten sich weiter, innerhalb von zehn Tagen nach Unterzeichnung, Gespräche mit einer afghanischen Delegation aufzunehmen (NZZ 20.4.2020; vgl. USDOS 29.2.2020).

Sicherheitslage

Letzte Änderung: 22.4.2020

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil (UNGASC 17.3.2019). Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die wichtigsten Bevölkerungszentren und Transitrouten sowie Provinzhauptstädte und die meisten Distriktzentren. Nichtsdestotrotz, hat die afghanische Regierung wichtige Transitrouten verloren (USDOD 12.2019).

Der Konflikt in Afghanistan befindet sich nach wie vor in einer "strategischen Pattsituation", die nur durch Verhandlungen zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban gelöst werden kann (SIGAR 30.1.2020). Die afghanische Regierung führte zum ersten Mal persönliche Gespräche mit den Taliban, inhaltlich wurde über den Austausch tausender Gefangener verhandelt; bis dahin hatten die beiden Seiten sich nur per Videokonferenz unterhalten (BBC 1.4.2020). Ein erster Schritt Richtung inner-afghanischer Verhandlungen, welcher Teil eines zwischen Taliban und USAmerikanern unterzeichneten Abkommens ist (TD 2.4.2020). Die Gespräche fanden vor dem Hintergrund anhaltender Gewalt im Land statt (BBC 1.4.2020).

Für den Berichtszeitraum 8.11.2019-6.2.2020 verzeichnete die UNAMA 4.907 sicherheitsrelevante Vorfälle – ähnlich dem Vorjahreswert. Die Sicherheitslage blieb nach wie vor volatil. Die höchste Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle wurden in der südlichen Region, gefolgt von den nördlichen und östlichen Regionen, registriert, die alle samt 68% der Zwischenfälle ausmachten. Die aktivsten Konfliktregionen waren in den Provinzen Kandahar, Helmand, Nangarhar und Balkh zu finden. Entsprechend saisonaler Trends, gingen die Kämpfe in den Wintermonaten – Ende 2019 und Anfang 2020 – zurück (UNGASC 17.3.2020).

Die Sicherheitslage im Jahr 2019

Die geographische Verteilung aufständischer Aktivitäten innerhalb Afghanistans blieb, im Vergleich der beiden Jahre 2018 und 2019, weitgehend konstant. Im Jahr 2019 fanden auch weiterhin im Süden und Westen Afghanistans weiterhin schwere Kampfhandlungen statt; feindliche Aktivitäten nahmen zu und breiteten sich in größeren Gebieten des Nordens und Ostens aus. Der Resolute Support (RS) Mision (seit 2015 die Unterstützungsmission der NATO in Afghanistan) zufolge, waren für das Jahr 2019 29.083 feindlich-initiierte Angriffe landesweit zu verzeichnen. Im Gegensatz waren es im Jahr 2018 27.417 (SIGAR 30.1.2020). Mit einer hohen Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen – speziell in den südlichen, nördlichen und östlichen Regionen – blieb die Sicherheitslage vorerst volatil, bevor ein Zeitraum der Reduzierung der Gewalt registriert werden konnte. Die UNAMA (Hilfsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan) registrierte für das gesamte Jahr 2019 10.392 zivile Opfer, was einem Rückgang von 5% gegenüber 2018 entspricht (UNGASC 17.3.2020).

Seit Ende des Jahres 2019 haben Angriffe durch regierungsfeindliche Elemente erheblich zugenommen. Im September 2019 fanden die afghanischen Präsidentschaftswahlen statt, in diesem Monat wurde auch die höchste Anzahl feindlicher Angriffe eines einzelnen Monats seit Juni 2012 und die höchste Anzahl effektiver feindlicher Angriffe seit Beginn der Aufzeichnung der RS-Mission im Januar 2010 registriert. Dieses Ausmaß an Gewalt setzte sich auch nach den Präsidentschaftswahlen fort, denn im Oktober 2019 wurde die zweithöchste Anzahl feindlicher Angriffe in einem Monat seit Juli 2013 dokumentiert. Betrachtet man jedoch das Jahr 2019 in dessen Gesamtheit, so waren scheinbar feindliche Angriffe, seit Anfang des Jahres, im Zuge der laufenden Friedensgespräche zurückgegangen. Nichtsdestotrotz führte ein turbulentes letztes Halbjahr zu verstärkten Angriffen feindlicher Elemente von insgesamt 6% und effektiver Angriffe von 4% im Jahr 2019 im Vergleich zu den bereits hohen Werten des Jahres 2018 (SIGAR 30.1.2020).

Zivile Opfer

Für das Jahr 2019 registrierte die Hilfsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UNAMA) als Folge des bewaffneten Konflikts 10.392 zivile Opfer (3.403 Tote und 6.989 Verletzte), was einen Rückgang um 5% gegenüber dem Vorjahr, aber auch die niedrigste Anzahl an zivilen Opfern seit dem Jahr 2013 bedeutet. Nachdem die Anzahl der durch ISKP verursachten zivilen Opfer zurückgegangen war, konnte ein Rückgang aller zivilen Opfer registriert werden, wenngleich die Anzahl ziviler Opfer speziell durch Taliban und internationale Streitkräfte zugenommen hatte. Im Laufe des Jahres 2019 war das Gewaltniveau erheblichen Schwankungen unterworfen, was auf Erfolge und Misserfolge im Rahmen der Friedensverhandlungen zwischen Taliban und den US-Amerikanern zurückzuführen war. In der ersten Jahreshälfte 2019 kam es zu intensiven Luftangriffen durch die internationalen Streitkräfte und Suchaktionen der afghanischen Streitkräfte – insbesondere der Spezialkräfte des afghanischen Geheimdienstes NDS (National Directorate of Security Special Forces) (UNAMA 2.2020).

Aufgrund der Suchaktionen der afghanischen Streitkräfte, gab es zur Jahresmitte mehr zivile Opfer durch regierungsfreundliche Truppen als durch regierungsfeindliche Truppen. Das dritte Quartal des Jahres 2019 registrierte die höchste Anzahl an zivilen Opfern seit 2009, was hauptsächlich auf verstärkte Anzahl von Angriffen durch Selbstmordattentäter und IEDs (improvisierte Sprengsätze) der regierungsfeindlichen Seite – insbesondere der Taliban – sowie auf Gewalt in Zusammenhang mit den Präsidentschaftswahlen zurückzuführen ist. Das vierte Quartal 2019 verzeichnete, im Vergleich zum Jahr 2018, eine geringere Anzahl an zivilen Opfern; wenngleich sich deren Anzahl durch Luftangriffe, Suchoperationen und IEDs seit dem Jahr 2015 auf einem Rekordniveau befand (UNAMA 2.2020).

(UNAMA 2.2020)

Die RS-Mission sammelt ebenfalls Informationen zu zivilen Opfern in Afghanistan, die sich gegenüber der Datensammlung der UNAMA unterscheiden, da die RS-Mission Zugang zu einem breiteren Spektrum an forensischen Daten und Quellen hat. Der RS-Mission zufolge, ist im Jahr 2019 die Anzahl ziviler Opfer in den meisten Provinzen (19 von 34) im Vergleich zum Jahr 2018 gestiegen; auch haben sich die Schwerpunkte verschoben. So verzeichneten die Provinzen Kabul und Nangarhar weiterhin die höchste Anzahl ziviler Opfer. Im letzten Quartal schrieb die RS-Mission 91% ziviler Opfer regierungsfeindlichen Kräften zu (29% wurden den Taliban zugeschrieben, 11% ISKP, 4% dem Haqqani-Netzwerk und 47% unbekannten Aufständischen). 4% wurden regierungsnahen/-freundlichen Kräften zugeschrieben (3% der ANDSF und 1% den Koalitionskräften), während 5% anderen oder unbekannten Kräften zugeschrieben wurden. Diese Prozentsätze entsprechen in etwa den RS-Opferzahlen für Anfang 2019. Als Hauptursache für zivile Opfer waren weiterhin improvisierte Sprengsätze (43%), gefolgt von direkten (25%) und indirekten Beschüssen (5%) verantwortlich – dies war auch schon zu Beginn des Jahres 2019 der Fall (SIGAR 30.1.2020).

High-Profile Angriffe (HPAs)

Sowohl in den ersten fünf Monaten 2019, als auch im letzten Halbjahr 2019 führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele aus, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen (USDOD 12.2019; vgl. USDOD 6.2019). Das Haqqani-Netzwerk führte von September bis zum Ende des Berichtszeitraums keine HPA in der Hauptstadtregion durch. Die Gesamtzahl der öffentlichkeitswirksamen Angriffe ist sowohl in Kabul als auch im ganzen Land in den letzten anderthalb Jahren stetig zurückgegangen (USDOD 12.2019). Zwischen 1.6.2019 und 31.10.2019 fanden 19 HPAs in Kabul statt (Vorjahreswert: 17) (USDOD 12.2019), landesweit betrug die Zahl 88 (USDOD 12.2019).

Öffentlichkeitswirksame Angriffe durch regierungsfeindliche Elemente setzten sich im Berichtszeitraum (8.11.2019-6.2.2020) fort: 8 Selbstmordanschläge wurden verzeichnet; im Berichtszeitraum davor (9.8.-7.11.2019) wurden 31 und im Vergleichszeitraum des Vorjahres 12 Selbstmordanschläge verzeichnet. Der Großteil der Anschläge richtetet sich gegen die ANDSF (afghani

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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