TE Bvwg Erkenntnis 2020/10/15 W261 2116216-2

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Veröffentlicht am 15.10.2020
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Entscheidungsdatum

15.10.2020

Norm

B-VG Art133 Abs4
VOG §1
VOG §6a

Spruch

W261 2116216-2/14E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Karin GASTINGER, MAS als Vorsitzende und die Richterin Mag. Karin RETTENHABER-LAGLER sowie den fachkundigen Laienrichter Mag. Gerald SOMMERHUBER als Beisitzerin und als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , vertreten durch Mag. Barbara STEINER, Rechtsanwältin in 1070 Wien, gegen Spruchpunkt I des Bescheides des Sozialministeriumservice, Landesstelle Wien, vom 16.09.2019, betreffend die Abweisung des Antrages auf Pauschalentschädigung für Schmerzengeld nach dem Verbrechensopfergesetz (VOG) zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und der Beschwerdeführerin wird - unter Anrechnung allenfalls vom Täter erhaltener Schadenersatzleistungen - eine einmalige Geldleistung in Höhe von € 4.000,-- als Pauschalentschädigung für Schmerzengeld gewährt.

Die Durchführung obliegt dem Sozialministeriumservice.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I.       Verfahrensgang:

1. Die Beschwerdeführerin stellte am 19.07.2018 einen Antrag auf Gewährung von Hilfeleistungen für Opfer nach dem österreichischen Verbrechensopfergesetz (VOG) beim Sozialministeriumservice, Landesstelle Wien. Darin beantragte sie eine Pauschalentschädigung für Schmerzengeld, Heilfürsorge in Form von psychotherapeutischer Krankenbehandlung und Kostenübernahme für Krisenintervention.

Sie sei im November 2017 in Wien Opfer einer gefährlichen Drohung mit einer Gaspistole geworden. Sie sei in einem Lokal vom Täter mit einem Messer angegriffen worden, der Täter habe versucht, sie zu töten. Lediglich mit Hilfe eines anderen Gastes sei es ihr gelungen, zu entkommen.

Die Beschwerdeführerin schloss ihrem Antrag die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft und medizinische Befunde an, wonach sie unter anderem unter ängstlichen Depressionen und Panikattacken und einer posttraumatischen Belastungsreaktion leide.

2. Die belangte Behörde ersuchte mit Schreiben vom 04.09.2018 das Landesgericht für Strafsachen XXXX um Übermittlung des Hauptverhandlungsprotokolls und eine Kopie des Urteiles.

3. Diesem Ersuchen kam das Landesgericht für XXXX mit Schreiben vom 10.09.2018 nach und übermittelte das HV Protokoll vom 14.08.2018 und das noch nicht rechtskräftige Urteil vom selben Tag.

Demnach sei der Täter, XXXX , schuldig in XXXX die Beschwerdeführerin

./ Mitte November 2017 durch gefährliche Drohung mit dem Tod, nämlich durch Vorzeigen einer Gaspistole, zu einer Handlung, nämlich dazu, ihn zu begleiten, zu nötigen versucht;

./ am 30.11.2017 zu töten versucht (§ 15 StGB), indem er danach trachtete, ihr mit einem Klappmesser Messerstiche in den Oberkörper, das Gesicht und den Hals zu versetzen, wobei die Tat beim Versuch geblieben sei, weil der unbeteiligte XXXX von hinten das Handgelenk des XXXX erfasst habe und diesen festgehalten habe, sodass die Beschwerdeführerin in einen anderen Raum habe flüchten können.

Der Täter sei mit diesem (zu dem Zeitpunkt nicht rechtskräftigen) Urteil wegen des Verbrechens der schweren Nötigung nach §§ 15, 105 Abs.1, 106 Abs 1 Z 1 StGB und des Verbrechens des Mordes nach §§ 15, 75 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 18 (achtzehn) Jahren unter Anrechnung der Vorhaftzeiten verurteilt worden. Der Täter sei auch dazu verurteilt worden, der Privatbeteiligten, der Beschwerdeführerin, binnen 14 Tagen einen Betrag von 3.000,- Euro zu bezahlen. Gemäß § 366 Abs. 2 StPO sei die Beschwerdeführerin hinsichtlich ihres Mehrbegehrens auf den Zivilrechtsweg verwiesen worden.

In diesem Urteil werde festgestellt, dass das Opfer aufgrund der strafbaren Handlung des Täters an einer posttraumatischen Belastungsstörung leide, weshalb ein Zuspruch von 3.000,- Euro als Schmerzengeldersatz für mehrere Monate zumindest leichte (seelische) Schmerzen jedenfalls adäquat sei. Für das Mehrbegehren seien die erforderlichen Entscheidungsgrundlagen nicht vorhanden gewesen.

3. In einem Aktenvermerk vom 24.09.2018 hielt die belangte Behörde unter anderem fest, dass die Beschwerdeführerin früher mit dem Täter liiert gewesen sei, und dieser die Beschwerdeführerin am 27.09.2014 mit einem Messer bedroht und sie genötigt habe, seine Wünsche zu erfüllen, bevor es ihr gelungen sei, zu flüchten und die Polizei zu informieren. Am 29.09.2014 sei die Beschwerdeführerin vom Täter in dessen Wohnung erneut mit einem Messer bedroht, durch Schnitte verletzt und anschließend vergewaltigt worden.

Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen XXXX vom 16.04.2015, Zl. XXXX , sei der Täter u.a. wegen des Vergehens der Nötigung nach § 105 Abs. 1 StGB (Vorfall vom 27.09.2014) sowie des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs. 1 StGB (Vorfall vom 29.09.2014) für schuldig befunden und hierfür unter Anwendung des § 28 Abs. 1 StGB nach dem Strafsatz des § 201 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe im Ausmaß von 2 ½ Jahren verurteilt worden.

Das von der Beschwerdeführerin gestellte Ansuchen um Pauschalentschädigung für Schmerzengeld sei im Betrag von € 4.000,-, sowie die Übernahme der Kosten für eine psychotherapeutische Krankenbehandlung wegen der dadurch erlittenen posttraumatischen Belastungsstörung bewilligt worden. Es würden der Beschwerdeführerin seit 17.11.2014 die Kosten für ihre psychotherapeutische Krankenbehandlung erstattet werden.

4. Aus einem im Akt aufliegenden Schreiben der anwaltlichen Vertreterin der Beschwerdeführerin vom 06.12.2018 an den Verein Notruf Beratung für vergewaltigte Frauen und Mädchen ist zu entnehmen, dass am 05.12.2018 die Berufungsverhandlung im Strafverfahren gegen den Täter vor dem Oberlandesgericht XXXX stattgefunden habe, wobei das Urteil der I. Instanz bestätigt worden sei.

5. Mit Emailnachricht vom 10.12.2018 legte der Verein Notruf Beratung für vergewaltigte Frauen und Mädchen eine Reihe von aktuellen Befunden hinsichtlich des Gesundheitszustandes der Beschwerdeführerin vor. Nach diesen Befunden sei die Beschwerdeführerin nach den Vorfällen aus den Jahren 2014 und 2017, bei welchen sie Opfer sexueller, körperlicher und emotionale Gewalt geworden sei, schwer traumatisiert und sei ihr nicht möglich, wieder in den „normalen“ Alltag zurückzufinden. Sie leide unter Flashbacks, Panikattacken und Schlafstörungen mit Albträumen. Sie habe das Vertrauen zu den Menschen verloren und fühle sich bedroht und halte sich überwiegend zu Hause auf. Ohne Unterstützung durch ihre Familie sei sie nicht in der Lage, ihren Alltag zu bewältigen. Ihre Belastungsfähigkeit und Leistungsfähigkeit sei erheblich eingeschränkt. Sie sei laut dem Befund von XXXX vom 08.12.2018 aus fachärztlicher Sicht bis auf Weiteres nicht arbeitsfähig. Es werde daher um eine Krankschreibung vom mindestens vier Monaten ersucht. Danach bedürfe es einer neuerlichen Beurteilung der Arbeitsfähigkeit.

6. Die belangte Behörde ersuchte das Landesgericht für Strafsachen XXXX mit Schreiben vom 20.02.2019 um die Übermittlung des Starfaktes.

Diesem Ersuchen kam das Landesgericht für Strafsachen XXXX nach, die belangte Behörde fertigte Kopien des Starfaktes an und übermittelte diese wiederum mit Schreiben vom 08.03.2019 an das Landesgericht für Strafsachen XXXX .

7. Die belangte Behörde ersuchte mit Schreiben vom 18.03.2019 eine Amtssachverständige, eine Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie, um Erstellung eines Sachverständigengutachtens unter anderem zur Frage, welche (psychischen) Gesundheitsschädigungen bei der Beschwerdeführerin vorliegen würden, und welche dieser Gesundheitsschädigungen kausal auf die an der Beschwerdeführerin verübte Verbrechen aus dem Jahr 2017 zurückzuführen seien.

Die belangte Behörde schloss diesem Ersuchen Unterlagen aus dem Vorakt an. Daraus ist unter anderem ersichtlich, dass die belangte Behörde mit Bescheid vom 06.08.2015 der Beschwerdeführerin zwecks Aufarbeitung der durch den Vorfall vom 27.09.2014 erlittenen psychischen Schädigungen die Übernahme der Kosten für die psychotherapeutische Krankenbehandlung bewilligt habe.

8. Die beauftragte medizinische Amtssachverständige erstellte am 05.07.2019 ein medizinisches Sachverständigengutachten auf Grundlage einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin am 27.05.2019. Die medizinische Sachverständige kommt, der Fragestellung der belangten Behörde folgend, zum Ergebnis, dass bei der Beschwerdeführerin eine leichtgradige depressive Episode mit dysphorischer Stimmungslage und eine Persönlichkeitsakzentuierung mit historischen Zügen vorliege, wobei letztere nicht als psychiatrische Erkrankung anzusehen sei. Keines der festgestellten Leiden habe eine kausale Genese.

9. Die belangte Behörde übermittelte dieses medizinische Gutachten der Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 26.07.2019 im Rahmen des Parteiengehörs und räumte dieser die Möglichkeit zur Abgabe einer schriftlichen Stellungnahme von zwei Wochen nach Zustellung ein.

10. Aus einem Emailverkehr der belangten Behörde mit einer Vertreterin des Vereins Notruf Beratung für vergewaltigte Frauen und Mädchen vom 26.07.2020 ist zu entnehmen, dass die belangte Behörde der Vertreterin mitteilte, dass beabsichtigt sei, aufgrund des nervenfachärztlichen Gutachtens das beantragte Schmerzengeld wegen der Vorfälle Mitte November 2017 und vom 30.11.2017 nicht zu bewilligen. Die Krisenintervention für 10 Sitzungen könne bewilligt werden, die Bewilligung des Antrages auf Psychotherapie bleibe weiterhin aufrecht.

11. Die Beschwerdeführerin gab mit Eingabe vom 23.08.2019, nachdem ihr Antrag auf Fristerstreckung zur Abgabe einer Stellungnahme formlos von der belangten Behörde genehmigt worden war, eine schriftliche Stellungnahme zum vorgelegten medizinischen Sachverständigengutachten ab. Darin führte sie aus, dass die von der medizinischen Sachverständigen erstellten Diagnosen nicht im Einklang mit den von ihr vorgelegten medizinischen Befunden stehen würden. Es sei nicht nachvollziehbar, wie die medizinische Sachverständige zu diesen Diagnosen gelangt sei. Es seien bei der Untersuchung keinerlei psychometrische Instrumente verwendet worden. Die medizinische Sachverständige habe nicht berücksichtigt, dass die Beschwerdeführerin an einer posttraumatischen Belastungsstörung mit Angst und Depression gemischt sowie an einer Panikstörung leide, welche als schwere Körperverletzung zu werten sei. Diese Körperverletzung habe schwere Dauerfolgen nach sich gezogen, sie sei krankgeschrieben gewesen und sei jetzt, ca. eineinhalb Jahre nach dem Verbrechen, noch immer nicht arbeitsfähig. Die Sachverständige habe auch die bei der Untersuchung geäußerten Beschwerden nicht in die Diagnoseerstellung miteinbezogen. Dies gelte auch für ausführliche Beschreibung ihrer psychischen Zustände in den vorgelegten medizinischen Befunden. Es sei ihr nicht verständlich, weswegen die medizinische Sachverständige davon ausgehe, dass bei ihr kein psychiatrisches Krankheitsbild vorliege. Die von der Beschwerdeführerin angeführte Diskussion zum Thema posttraumatische Belastungsstörung (auch PTBS) werde auch in der aktuellen Fachliteratur laufend diskutiert. Demnach würden dort für die bei der Beschwerdeführerin vorliegenden Beschwerden unterschiedliche Definitionen verwendet werden. Wie auch immer dieses Krankheitsbild definiert werden würde, die Beschwerden würden bei ihr vorliegen und die Dauerfolgen seien auch die gleichen.

Sie sei seit dem Mordversuch in laufender ärztlicher Behandlung, sie sei bis heute nicht geheilt. Sie leide noch immer an den Folgen einer chronifizierten PTBS, sie sei noch immer auf die Einnahme von zahlreichen und hochdosierten Psychopharmaka angewiesen, leide auch stark an den Nebenwirkungen der Medikamente und sie sei noch immer nicht arbeitsfähig. Sie ersuche um eine nochmalige Prüfung und den Vergleich des Gutachtens mit den vorgelegten fachärztlichen Befunden.

Die Stellungnahme sei von einer namentlich genannten Vertreterin des Vereins Notruf Beratung für vergewaltigte Frauen und Mädchen im Auftrag der Beschwerdeführerin verfasst worden, da die Beschwerdeführerin jede Erinnerung an und jede Beschäftigung mit dem Mordversuch schwer belaste. Es werde daher gebeten, alle diesbezüglichen Anfragen in Hinkunft an diese Vertreterin zu richten.

12. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 16.09.2019 wies die belangte Behörde im Spruchpunkt I. den Antrag der Beschwerdeführerin vom 19.97.2018 auf Pauschalentschädigung für Schmerzengeld aufgrund der Schädigungen von Mitte November 2017 und vom 30.11.2017 gemäß § 1 Abs. 1 und § 6a des Verbrechensopfergesetzes ab.

Im Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides bewilligte die belangte Behörde die Kostenübernahme für die Krisenintervention für höchstens zehn Sitzungen entsprechend dem Antrag der Beschwerdeführerin vom 19.07.2018 gemäß § 1 Abs.1 und § 4a des Verbrechensopfergesetzes (VOG) für die Schädigung von Mitte November und vom 30.11.2017.

In der Begründung zu Spruchunkt I der angefochtenen Entscheidung führte die belangte Behörde aus, dass nach dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens davon auszugehen sei, dass die Beschwerdeführerin an akausalen Leiden leide, bzw. die diagnostizierte Persönlichkeitsakzentuierung keine Dimension eines Krankheitswertes erreichen würde. Das Gutachten der beigezogenen medizinischen Sachverständigen sei schlüssig und nachvollziehbar, es sei der Beschwerdeführerin mit ihrer Stellungnahme nicht gelungen, dieses auf gleicher fachlicher Ebene zu entkräften. Die Beschwerdeführerin sei bereits vor der Schädigung Mitte November und vom 30.11.2017 in Krankenstand gewesen. Sie seit 20.03.2018 – mit Unterbrechung vom 29.10.2018 bis 13.03.2019 und vom 16.05.2019 bis 04.07.2019 wegen Krankmeldung – bis laufend arbeitslos gemeldet und sie beziehe Notstandshilfe, wobei sie bei ihrem Ehemann sei 16.08.2019 als geringfügig Beschäftigte angemeldet sei. Im Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen sei ihr zwar Schmerzensgeld zugesprochen worden, jedoch habe das Gericht festgestellt, dass sie an einer posttraumatischen Belastungsstörung leide und habe den ihr zugesprochenen Betrag von Euro 3.000,-für ein Schmerzensgeld in 160 Tage leichte Schmerzen aufgegliedert.

Durch den Zuspruch des Schmerzengeldes könne das Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen nach § 6a VOG nicht abgeleitet werden, zumal auch in der Begründung leichte (seelische) Schmerzen angegeben worden seien.

13. Gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheides erhob die Beschwerdeführerin, bevollmächtigt vertreten durch Mag. Barbara STEINER, Rechtsanwältin in 1070 Wien, mit Eingabe vom 04.11.2019 rechtzeitig das Rechtsmittel der Beschwerde.

Darin führte die Beschwerdeführerin aus, dass das der Entscheidung zugrundeliegende Gutachten mangelhaft geblieben sei. Es sei nicht lege artis erstellt worden, insbesondere habe es die Sachverständige verabsäumt, psychometrische Instrumente oder psychologische Testverfahren einzusetzen. Die von der Beschwerdeführerin vorgelegten Befunde seien von der medizinischen Sachverständigen nicht berücksichtigt worden. Die von mehreren, voneinander unabhängigen Psychiatern und Psychotherapeut*innen erstellten Diagnosen würden aufzeigen, dass sich bei der Beschwerdeführerin ein massives Krankheitsbild manifestiert habe. Wenn im Bescheid angeführt sei, dass die Beschwerdeführerin bereits vor der Schädigung Mitte November 2017 im Krankenstand gewesen sei, so reiche das als Begründung nicht aus, warum ihr nunmehr keine Pauschalentschädigung zu gewähren sei. In einem derartigen Fall müsse klar differenziert und mit Hilfe von psychometrischen Instrumenten herausgefunden werden, welche Schäden durch die gegenständlichen Straftaten entstanden seien. Würde man der Begründung der belangten Behörde folgen, würde dies bedeuten, dass Opfer von mehreren schweren Straftaten nur einmal eine Pauschalentschädigung für Schmerzengeld erhalten würden. Dies widerspreche eindeutig dem Gleichheitsgrundsatz: Gleiches gleich und Ungleiches ungleich zu behandeln.

Es sei nicht nachvollziehbar, wie die medizinische Sachverständige zu der Feststellung der psychischen Gesundheitsschädigungen der Beschwerdeführerin gelangt sei, ebenso wenig sei nachvollziehbar, weswegen den Diagnosen laut den vorgelegten medizinischen Befunden nicht gefolgt werde. Ebenso sei nicht nachzuvollziehen, weswegen die Gutachterin jeglichen psychischen Zusammenhang zwischen der Fettleibigkeit der Beschwerdeführerin und der Straftat, bei welcher es sich um einen versuchten Mord gehandelt habe, außer Acht lasse. Daher sei das der Entscheidung zugrunde gelegte medizinische Sachverständigengutachten unvollständig, unschlüssig und nicht nachvollziehbar.

Zum Beweis hierfür legte die Beschwerdeführerin neuerlich die bereits im Akt aufliegenden medizinischen Befunde vor.

Der angefochtene Bescheid sei jedoch auch inhaltlich rechtswidrig. Die Rechtsansicht der belangten Behörde, wonach der Beschwerdeführerin aus dem Grund, weil ihr im Strafverfahren als Privatbeteiligte ein Schmerzengeldbetrag in der Höhe von Euro 3.000,- für 160 Tage leichte Schmerzen zugesprochen worden sei, keine Pauschalentschädigung für Schmerzengeld zustehe, sei völlig unrichtig. Vielmehr sei durch das Urteil des Strafgerichtes klargestellt worden, dass die Beschwerdeführerin durch die Straftaten an einer posttraumatischen Belastungsstörung leide, welche zum Zeitpunkt dieser Entscheidung, ca. neun Monate nach den relevanten Vorfällen, noch bestanden habe.

Die Beschwerdeführerin befinde sich auch ca. zwei Jahre nach diesen Straftaten noch in Behandlung. Ausgehend davon sei vom Bestehen einer schweren Körperverletzung auszugehen. Zudem sei die Beschwerdeführerin nach der Tat zumindest für drei Monate berufsunfähig gewesen.

Gemäß § 67 Abs. 2 StPO würden Opfer von Straftaten die Möglichkeit haben, sich als Privatbeteiligte dem Strafverfahren anzuschließen und so einen Schadenersatz geltend zu machen. Dieser müsse beziffert und begründet werden. Wenn, wie im gegenständlichen Fall, kein/e Sachverständige/r mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt werde, so sei es Aufgabe der Privatbeteiligtenvertreterin die Höhe konkret zu beziffern und den Betrag aufzuschlüsseln, was hier in Form von 160 Tagen leichte Schmerzen gemacht worden sei. Da es für psychische Schmerzen keine eigene Berechnungsmethode gebe, orientiere man sich an den Schmerztabellen für körperliche Schmerzen. Da die Bewertung von einer juristischen Vertreterin und nicht von einer/m Sachverständigen vorgenommen worden sei, könne dies keine Bindungswirkung entfalten. Insbesondere sei es dem/der Geschädigten nicht verwehrt, nur einen kleinen Teil des Schadens im Strafverfahren geltend zu machen, so er einen konkreten Sachverhaltsbezug herstelle.

Die Beschwerdeführerin beantragte, falls nicht alle zu Lasten der Beschwerdeführerin gehenden Rechtswidrigkeiten im angefochtenen Bescheid in der Beschwerde geltend gemacht worden seien, diese amtswegig aufzugreifen, bzw. allenfalls der Beschwerdeführerin einen Verbesserungsauftrag zu erteilen; den angefochtenen Bescheid – allenfalls nach Verfahrensergänzung (insbesondere Einholung eines Gutachtens) – abzuändern und der Beschwerdeführerin eine Pauschalentschädigung von Schmerzengeld aufgrund der Schädigung durch die Straftaten von Mitte November 2017 und vom 30.11.2017 zuzusprechen; den angefochtenen Bescheid ersatzlos zu beheben und zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an die Behörde 1. Instanz zurückzuverweisen.

14. Die belangte Behörde legte das Beschwerdeverfahren mit Schreiben vom 07.11.2019 dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor, wo dieses am 11.11.2019 einlangte.

15. Das Bundesverwaltungsgericht holte am 12.11.2019 einen Auszug aus dem AJ-Web ein. Das Bundesverwaltungsgericht schrieb für den 14.04.2020 eine mündliche Beschwerdeverhandlung aus, welche im März 2020 abberaumt werden musste, um die Ausbreitung des Coronavirus (COVID-19) durch gezielte Reduktion von Ansteckungsmöglichkeiten zu bremsen.

16. Das Bundesverwaltungsgericht beraumte in weiterer Folge für den 01.09.2020 eine mündliche Beschwerdeverhandlung an. Die Beschwerdeführerin stellte mit Eingabe vom 11.09.2020 einen Antrag auf Beigebung eines Dolmetschers für Rumänisch und legte aktuelle fachärztliche Befunde aus dem Jahr 2020 vor. Diesem Ersuchen entsprechend lud das Bundesverwaltungsgericht eine Dolmetscherin für die Sprache Rumänisch zur mündlichen Beschwerdeverhandlung.

17. Am 01.09.2020 fand eine mündliche Beschwerdeverhandlung statt, an welcher die Beschwerdeführerin samt ihrer Rechtsvertreterin und einer Vertrauensperson, eine Vertreterin der belangten Behörde, die medizinische Sachverständige und eine Dolmetscherin für die Sprache Rumänisch teilnahmen.

Im Zuge der Beschwerdeverhandlung wurde zu Beginn der wesentliche Sachverhalt außer Streit gestellt. Sodann erfolgte die Einvernahme der Beschwerdeführerin in ihrer Muttersprache Rumänisch. Dabei schilderte die Beschwerdeführerin ihre aktuellen Beschwerden. Sie sei im Jahr 2017 – vor den verfahrensgegenständlichen Verbrechen – gesundheitlich bereits auf dem Weg der Besserung gewesen, sie habe wieder angefangen, Sozialkontakte zu haben und sich auf das Leben zu freuen. Durch den Mordversuch im November 2017 sei sie psychisch tiefer gefallen, als dies im Jahr 2014 der Fall gewesen sei. Sie sei seit dem Jahr 2018 in psychotherapeutischer Behandlung, sie nehme jetzt viel mehr Medikamente, als sie es davor getan habe.

Die medizinische Sachverständige erläuterte, aufgrund welcher Kriterien sie beurteilt habe, ob die Beschwerdeführerin an einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) leide, oder nicht. Sie habe bei der Untersuchung der Beschwerdeführerin bei der psychiatrischen Untersuchung keine Symptome einer PTBS feststellen können. Befragt, ob sie eine Verschlechterung der Gesundheitssituation der Beschwerdeführerin seit dem Jahr 2017 habe feststellen können, führte die medizinische Sachverständige aus, dass sie die Beschwerdeführerin im Jahr 2014 nicht untersucht habe, daher auf die vorgelegten Dokumente angewiesen sei. Zum Zeitpunkt ihrer Untersuchung habe sie keine kausale Gesundheitsschädigung bei der Beschwerdeführerin feststellen können.

Die Rechtsvertreterin der Beschwerdeführerin führte umfassend aus, weswegen sie davon ausgehe, dass das vorliegende medizinische Gutachten der Sachverständigen unschlüssig und nicht nachvollziehbar sei. Sie beantragte die Einholung eines weiteren medizinischen Sachverständigengutachtens.

I. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die Beschwerdeführerin ist am XXXX in XXXX in Rumänien geboren. Sie ist österreichische Staatsbürgerin und hat ihren ständigen Wohnsitz im Inland. Die Muttersprache der Beschwerdeführerin ist Rumänisch.

Die Beschwerdeführerin war bereits im Jahr 2014 erstmals Opfer eines Verbrechens, begangen durch den selben Täter, Herrn XXXX , vormals XXXX . Beim Täter handelt es sich um einen ehemaligen Mitarbeiter des Ehemannes der Beschwerdeführerin. Die Beschwerdeführerin hatte zumindest in der Zeit von 2012 bis 2014 eine geschlechtliche Beziehung zum Täter.

Dieser wurde mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen vom 16.04.2015, Zl. XXXX , u. a. wegen des Vergehens der Nötigung nach § 105 Abs.1 StGB (Vorfall 27.09.2014), sowie des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs.1 StGB (Vorfall vom 29.09.2014) zu Lasten der Beschwerdeführerin für schuldig befunden und hierfür unter Anwendung des § 28 StGB nach dem Strafsatz des § 201 Abs.1 StGB zu einer Freiheitsstrafe im Ausmaß von 2 ½ Jahren verurteilt.

Über Antrag der Beschwerdeführerin wurden ihr, nachdem mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 07.04.2017, Zl. W132 2116216-1/4E, festgestellt worden war, dass der Anspruch dem Grunde nach besteht und kein Ausschlussgrund nach § 8 Abs. 1 Z 2 VOG vorliegt, vom Sozialministeriumservice Landesstelle XXXX mit Bescheid vom 06.08.2015 wegen dieser Straftaten eine Pauschalentschädigung für Schmerzengeld im Betrag von € 4.000,-, sowie die Übernahme der Kosten für eine psychotherapeutische Krankenbehandlung wegen der dadurch erlittenen posttraumatischen Belastungsstörung bewilligt. Seit 17.11.2014 werden der Beschwerdeführerin die Kosten für ihre psychotherapeutische Krankenbehandlung nach dem Verbrechensopfergesetz laufend erstattet.

Im Jahr 2017 kam es neuerlich zu weiteren Vorfällen. Herr XXXX hat in XXXX die Beschwerdeführerin

I./ Mitte November 2017 durch gefährliche Drohung mit dem Tod, nämlich durch Vorzeigen einer Gaspistole, zu einer Handlung, nämlich dazu, ihn zu begleiten, zu nötigen versucht;

II./ am 30. 11.2017 zu töten versucht, indem er danach trachtete, ihr mit einem Klappmesser Messerstiche in den Oberkörper, das Gesicht und den Hals zu versetzen, wobei die Tat beim Versuch blieb, weil der unbeteiligte XXXX von hinten das Handgelenk des XXXX erfasste und festhielt, sodass die Beschwerdeführerin in einen anderen Bereich des Raumes flüchten konnte.

Der Täter hat dadurch das Verbrechen der schweren Nötigung nach §§ 15, 105 Abs. 1, 106 Abs.1 Z 1 StGB und das Verbrechen des versuchten Mordes nach §§ 15, 75 StGB begangen. Der Täter wurde wegen dieser Straftaten rechtskräftig mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen XXXX als Geschworenengericht vom 14.08.2018, GZ XXXX und unter aktenkonformer Vorhaftanrechung sowie unter Anwendung des § 28 Abs. 1 StGB nach § 75 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 18 Jahren verurteilt. Gemäß § 369 Abs. 1 StPO wurde der Täter weiters dazu verhalten, der Privatbeteiligten XXXX 3.000,- Euro binnen 14 Tagen zu bezahlen und die Privatbeteiligte gemäß § 366 Abs. 2 StPO mit ihren darüberhinausgehenden privatrechtlichen Ansprüchen auf den Zivilrechtsweg verwiesen. Unter einem sah das Landesgericht für Strafsachen XXXX als Geschworenengericht gemäß § 53 Abs. 3 StGB iVm § 494 Abs. 1 Z 2 StPO vom Wiederruf der dem Täter mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen XXXX vom 11.04.2014, AZ XXXX , gewährten bedingten Strafnachsicht ab.

Dieses Urteil wurde mit Urteil des Oberlandesgerichtes XXXX vom 05.12.2018, Zl. XXXX bestätigt und ist daher in Rechtskraft erwachsen.

In diesem Berufsurteil stellt das Oberlandesgericht XXXX unter anderem fest, dass die Beschwerdeführerin bereits unter einer Vorerkrankung, nämlich einer ängstlichen Depression mit Panikattacken und einer posttraumatischen Belastungsreaktion aufgrund der Vergewaltigung durch den Täter am 29.09.2014 leidet. Laut den Feststellungen des Oberlandesgerichtes XXXX kam es durch den Vorfall zu einer wesentlichen Verschlechterung des bereits (ebenfalls durch den Täter) beeinträchtigten psychischen Gesundheitszustandes des Tatopfers durch die Tathandlungen aus dem Jahr 2017, weswegen ihr zu Recht vom Landesgericht für Strafsachen XXXX als Geschworenengericht ein Teilzuspruch für Schmerzengeld als Privatbeteiligte zugesprochen wurde.

Die Beschwerdeführerin beantragte am 19.07.2018 (einlangend) beim Sozialministeriumservice Pauschalentschädigung für Schmerzengeld, Heilfürsorge in Form einer psychotherapeutischen Krankenbehandlung und die Kostenübernahme der Krisenintervention.

Mit Spruchpunkt II des Bescheides des Sozialministeriumservice, Landesstelle Wien, vom 16.09.2019 bewilligte die belangte Behörde die Kostenübernahme für die Krisenintervention für höchstens zehn Sitzungen entsprechend dem Antrag der Beschwerdeführerin vom 19.07.2018 gemäß § 1 Abs.1 und § 4a des Verbrechensopfergesetzes (VOG) für die Schädigung von Mitte November und vom 30.11.2017. Dieser Spruchpunkt ist in Rechtskraft erwachsen.

Die Frequenzen der psychotherapeutischen Sitzungen, deren Kosten allesamt von der belangten Behörde als Heilfürsorge in Form einer psychotherapeutischen Krankenbehandlung nach dem Verbrechensopfergesetz (VOG) ersetzt wurden, waren in den letzten Jahren wie folgt:

2014:   3 Sitzungen (17.11. bis 15.12.2014)

2015:   7 Sitzungen (23.02.2015 bis 19.04.2015 und 08.09.2015 bis 21.09.2015)

2016:   1 Sitzung (23.05.2016)

2017:   4 Sitzungen (23.05.2017 bis 21.06.2017)

2018:   26 Sitzungen (10.01.2018 bis 13.03.2018, 25.04.2018 bis 21.06.2018, 30.05.2018 bis 13.06.2018, 05.07.2018 bis 21.08.2018, 02.10.2018 bis 16.10.2018)

2019:   4 Sitzungen (30.04.2019, 06.08.2019 bis 11.09.2019)

Die Kosten für die psychotherapeutischen Sitzungen für das Jahr 2020 wurden der Beschwerdeführerin bisher noch nicht ersetzt, weil hierfür die Genehmigung der Wiener Gebietskrankenkasse noch aussteht.

Die Beschwerdeführerin bezog seit dem Jahr 2014 in folgenden Zeiträumen Krankengeld:

11.01.2014 bis 22.01.2014

07.03.2014 bis 06.06.2014

26.07.2014 bis 23.04.2015

03.10.2015 bis 19.11.2015

12.05.2017 bis 19.03.2018

02.11.2018 bis 13.03.2019

16.05.2019 bis 04.07.2019

Die Beschwerdeführerin befand sich zum Zeitpunkt der Verbrechen von Mitte November 2017 und vom 30.11.2017 im Krankenstand.

Sie bezog ab 20.03.2018 bis 15.10.2018 Arbeitslosengeld, in weiterer Folge Notstandshilfe, Überbrückungshilfe, welche von Krankengeldbezug unterbrochen wurde. Seit 16.08.2019 laufend ist die Beschwerdeführerin als geringfügig beschäftigte Angestellte bei ihrem Ehemann tätig.

Der ohnehin bereits vor den Taten im Jahr 2017 angeschlagene psychische Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin hat sich mit der für das VOG erforderlichen Wahrscheinlichkeit durch die Tat vom Mitte November 2017 insbesondere durch die Tat vom 30.11.2017, den Mordversuch, maßgeblich verschlechtert, wobei diese Verschlechterung des Gesundheitszustandes als schwere Körperverletzung, welche länger als drei Monate andauerte, zu qualifizieren ist.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen zur Person der Beschwerdeführerin, der Verbrechen, deren Opfer sie wurde und die Angaben aus dem Strafakt stammen allesamt aus dem Beschwerdeakt und wurden anlässlich der mündlichen Beschwerdeverhandlung am 01.09.2020 außer Streit gestellt.

Die Feststellung, dass der Beschwerdeführerin seit 17.11.2014 laufend die psychotherapeutische Behandlungskosten als Heilfürsorge in Form einer psychotherapeutischen Krankenbehandlung erstattet werden, beruht auf die von der belangten Behörde anlässlich der Beschwerdeverhandlung am 01.09.2020 vorgelegte Aufstellung (vgl. Beilage ./3 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung). Dies gilt auch für die Feststellungen zur Frequenzen der Therapiesitzungen, welche die Beschwerdeführerin seit dem Jahr 2014 in Anspruch genommen hat.

Die Feststellungen zu den Zeiträumen, in welchen die Beschwerdeführerin Krankengeld, Arbeitslosengeld, Notstandsgeld und Überbrückungshilfe bezog, basieren auf dem vom BVwG eingeholten Auszug aus dem AJ-WEB vom 12.11.2019. Dies gilt auch für die Feststellung, dass die Beschwerdeführerin seit 16.08.2019 laufend bei ihrem Ehemann als geringfügig beschäftigte Angestellte tätig ist.

Gegenstand des Ermittlungsverfahrens war die Frage, ob bei der Beschwerdeführerin eine Verschlechterung ihres ohnehin durch die Verbrechen aus dem Jahr 2014 angeschlagenen Gesundheitszustandes durch die Verbrechen im November 2017 eingetreten ist, oder nicht.

Die belangte Behörde hat zur Beurteilung dieser Frage das Gutachten einer medizinischen Sachverständigen aus dem Fachbereich der Psychiatrie und Neurologie eingeholt.

Die Fragestellung für dieses Gutachten lautete, dass die medizinische Sachverständige beurteilen möge, unter welchen Gesundheitsschädigungen die Beschwerdeführerin leide, und ob ein Kausalzusammenhang mit den an ihr Mitte November und am 30.11.2017 verübten Verbrechen bestehe (vgl. AS 95ff, insbesondere AS 96).

Die belangte Behörde berücksichtigte nicht in ausreichendem Umfang bei der an die medizinische Sachverständige gerichtete Fragestellung, dass die Beschwerdeführerin bereits aufgrund der Straftaten, welche im Jahr 2014 an ihr verübt wurden, an Gesundheitsschädigungen leidet. Sie bezieht seit 17.11.2014 laufend Heilfürsorge in Form einer psychotherapeutischen Krankenbehandlung nach dem Verbrechensopfergesetz. Nachdem die Beschwerdeführerin nach wie vor die Voraussetzungen hierfür erfüllt, ist beweiswürdigend davon auszugehen, dass die Beschwerdeführerin grundsätzlich an Gesundheitsschädigungen leidet, welche in einem Zusammenhang mit einem an ihr verübten Verbrechen stehen.

Diese Heilfürsorge in Form einer psychotherapeutischen Krankenbehandlung beruht im Wesentlichen auf einem Gutachten einer medizinischen Sachverständigen vom 26.07.2017 (vgl. AS 85ff, insbesondere AS 88), wonach die Beschwerdeführerin an einer akut aufgetretenen posttraumatischen Belastungsstörung litt, welche sich zu einer mittelgradigen Depression mit Angst und somatischem Syndrom ausgebildet hat. Die medizinische Sachverständige führte in diesem Gutachten unter anderem aus, dass Dauerfolgen keine zwingende Folge des Verbrechens sind. Wenn eine zielführende nervenfachärztliche und psychotherapeutische Behandlung erfolgt, so war zum damaligen Zeitpunkt, das war ca. vier Monate vor den neuen Verbrechen im November 2017, damit zu rechnen, dass die Beschwerdeführerin das Verbrechen verarbeitet und sich zu distanzieren in der Lage sein wird.

Nunmehr steht zweifelsfrei fest, dass die Beschwerdeführerin am 30.11.2017 Opfer eines Mordversuches geworden war. Daher ist zu prüfen, ob es sich eine Verschlechterung ihres psychischen Gesundheitszustandes anhand der vorgelegten Unterlagen und der Aussagen der Beschwerdeführerin, aber auch der bei der belangten Behörde aufliegenden Aufzeichnungen objektivieren lässt, und wie lange diese Verschlechterung andauerte.

Das von der belangten Behörde hierzu eingeholte medizinische Sachverständigengutachten kann aufgrund des Vorliegens einer unklaren bzw. falschen Fragestellung an die Amtssachverständige nicht als Entscheidungsgrundlage zur Beurteilung, ob die Sachverhaltsvoraussetzungen für die Gewährung einer Pauschalentschädigung für Schmerzengeld bestehen, oder nicht, herangezogen werden. Es ist für das gegenständliche Verfahren nämlich unerheblich, ob die Beschwerdeführerin aktuell noch an einer mit den Verbrechen in Zusammenhang stehenden Gesundheitsschädigung leidet, ebenso ist es nicht von Relevanz, ob bei der Beschwerdeführerin die Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung diagnostizierbar sind, oder nicht.

Es geht im gegenständlichen Beschwerdeverfahren einzig und alleine darum, ob bei der Beschwerdeführerin als Folge des an ihr am 30.11.2017 verübten Mordversuches

-        eine länger als 24 Tage, bzw. länger als drei Monate dauernde Gesundheitsschädigung, oder

-        eine länger als 24 Tage, bzw. länger als drei Monate dauernde Berufsunfähigkeit, oder

-        eine an sich schwere Verletzung oder Gesundheitsschädigung,

als Ergebnis des Ermittlungsverfahrens objektiviert werden kann, oder nicht.

Die Beschwerdeführerin legte im gegenständlichen Verfahren diverse medizinische Befunde vor, und auch die Aussage der Beschwerdeführerin in der mündlichen Beschwerdeverhandlung am 01.09.2020 ist von Relevanz, welche belegen sollen, dass sich ihr Gesundheitszustand nach der Tat Ende November 2017 verschlechterte.

Es sind dies im Wesentlichen folgende Befunde bzw. Aussagen, welche als entscheidungsrelevant zu berücksichtigen sind:

Einerseits das von der belangten Behörde eingeholte und bereits oben zitierte nervenfachärztliche Gutachten nach dem Verbrechensopfergesetz vom 14.07.2017 (vgl. AS 85ff), aufgrund dessen der Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin vor den Verbrechen im November 2017 objektiviert ist. Demnach litt die Beschwerdeführerin zu diesem Zeitpunkt an einer mittelgradigen Depression mit Angst und einem somatischen Syndrom. Die Prognose war insofern gut, als die medizinische Sachverständige davon ausging, dass die Leiden nach ca. einem Jahr nach regelmäßiger medikamentöser und psychotherapeutischer Behandlung insoweit abgeklungen sein müssten, dass von einem der Gesundheit gleichzusetzenden Zustand ausgegangen werden kann.

Die Beschwerdeführerin bestätigte bei der mündlichen Beschwerdeverhandlung am 01.09.2020, dass sie sich im Jahr 2017 bereits auf dem Weg der Besserung befand, sie hatte nach Jahren wieder begonnen Sozialkontakte zu knüpfen, sie versuchte zu arbeiten. Sie versuchte und hat angefangen, sich auf das Leben zu freuen (vgl. NS der Beschwerdeverhandlung vom 01.09.2020, S 7).

Nun geschahen Mitte November und am 30.11.2017 die gegenständlichen weiteren Verbrechen, deren Opfer die Beschwerdeführerin wurde.

Laut der Begutachtung durch Mag. XXXX , Psychotherapeutin, vom 26.01.2018 (AS 5) war die Beschwerdeführerin seit 10.01.2018 bei ihr in psychotherapeutischer Behandlung. Die Psychotherapeutin diagnostizierte bedingt durch den ersten Vorfall im Jahr 2014 mit demselben Täter eine besondere psychische Vulnerabilität bei der Beschwerdeführerin. Durch die weiteren Angriffe auf Leib und Leben im November 2017 auf die Beschwerdeführerin traten folgende Symptome bei der Beschwerdeführerin auf:

Eine rasche Abfolge von paroxismal-erhöhtem Arousal und Angststarre, psychomotorische Anspannung, Tendenz zur sozialen Isolation und Soziophobie, Grübeln, Gedankenreisen, Schlafstörungen, massiver psychischer Druck, Akzentuierung der Persönlichkeitszüge und Ausgebranntsein. Im Vordergrund steht eine (Todes)Angst, welche eine persönliche Weiterentwicklung sowohl auf privater als auch auf beruflicher Ebene verunmöglichen.

Die Psychotherapeutin stellte einen dringenden Bedarf an weiterführender Psychotherapie, idealerweise stationär oder in einem psychiatrischen Reha-Zentrum, fest.

Aus dem fachärztlichen Befund von XXXX , Psychosoziales Zentrum, vom 09.08.2018 (vgl. AS 70), verfasst durch eine Fachärztin für Psychiatrie, litt die Beschwerdeführerin damals an einer posttraumatischen Belastungsstörung ICD-10: F43.1 und im Rahmen dessen an einer schweren depressiven Episode, ICD-10: F32.2 und an einer generalisierten Angststörung, ICD-1o: F41.1. Die Fachärztin für Psychiatrie bestätigte, dass die Beschwerdeführerin an den Folgen einer schweren Traumatisierung leidet, und bei ihr trotz intensiver medizinischer Behandlung ein hoher Leidensdruck besteht und die Patientin nicht belastbar ist.

Aus einem fachärztlichen Befund von XXXX , Psychosoziales Zentrum, vom 30.10.2018 (vgl. AS 68 ff), verfasst durch eine Fachärztin für Psychiatrie, ist zu entnehmen, dass die Beschwerdeführerin auch ein Jahr nach der Tat nach wie vor unter den traumatisierenden Ereignissen leidet. Sie leidet unter Flashbacks, Panikattacken und Schlafstörungen und Albträumen. Sie hat das Vertrauen in die Menschen verloren, fühlt sich bedroht und hält sich überwiegend zu Hause auf. Ohne Unterstützung durch die Angehörigen ist sie nicht in der Lage, ihren Alltag zu bewältigen. Ihre Belastbarkeit und Leistungsfähigkeit sind erheblich eingeschränkt. XXXX empfiehlt aufgrund der Schwere der Symptomatik und aufgrund des hohen Leidensdrucks der Patientin dringend eine zeitnahe Durchführung einer mehrwöchigen stationären psychiatrischen Behandlung.

Allein diese beiden medizinischen Befunde belegen, dass die Beschwerdeführerin länger als drei Monate nach der Tat nach wie vor an psychischen Gesundheitsschädigungen mit Krankheitswert litt, wobei sich diese im Vergleich zum Gesundheitszustand vor der Tat, wie dieser im nervenfachärztlichen Gutachten vom 14.07.2017 dokumentiert ist, maßgeblich verschlechtert hat.

Dies wird sehr eindrücklich auch durch die von der belangten Behörde vorgelegte Auflistung, aus welcher die Überweisungen der Kosten für Heilfürsorge in Form einer psychotherapeutischen Krankenbehandlung ersichtlich ist, belegt (vgl. Beilage ./3 der NS der Beschwerdeverhandlung am 01.09.2020).

Wie die Beschwerdeführerin selbst ausführt, ging es ihr im Jahr 2017 – vor den Verbrechen im November 2017 – schon viel besser, was auch dadurch belegt ist, dass sie im Jahr 2017 nur vier Sitzungen für Psychotherapie in Anspruch nehmen musste. Im Jahr 2018 nahm sie laut diesen Aufzeichnungen 26 Therapiestunden in Anspruch, das sind um 11 Sitzungen mehr, als sie insgesamt davor in den Jahren von 2014 bis 2017 in Anspruch genommen hatte. Allein dieser immens vermehrte Therapiebedarf ab Jänner 2018 zeigt auf, dass sich der psychische Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin nach den Verbrechen im November 2017 massiv verschlechterte. Nachdem diese Therapiesitzungen sich im Zeitraum von 10.01.2018 bis zum 16.10.2018 andauerten, und die nächsten Sitzungen erst wieder im April 2019 in Anspruch genommen wurden, kann davon ausgegangen werden, dass diese intensive Phase der Verschlechterung des Gesundheitszustandes der Beschwerdeführerin zumindest bis Oktober 2018 angedauert haben wird.

Stellt man diese objektivierbaren Tatsachen den Krankengeldbezügen der Beschwerdeführerin gegenüber, so ist festzustellen, dass sie zwar bereits zu der Zeit, als sie Opfer des Mordversuches wurde, im Krankenstand gewesen ist. Nach den Verbrechen Ende November 2017 bezog die Beschwerdeführerin bis 19.03.2018 Krankengeld, dh mehr als vier Monate nach den Verbrechen.

All dies spricht dafür, dass die Beschwerdeführerin nach den an ihr verübten Verbrechen im November 2017 zumindest für einen Zeitraum von mehr als drei Monaten an einer Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes mit Krankheitswert gelitten hat.

Es kann daher mit der für das VOG erforderlichen Wahrscheinlichkeit angenommen werden, dass die nunmehr beinahe drei Jahre zurückliegenden Tat bei der Beschwerdeführerin für mehr als drei Monate ein schweres psychisches Leiden mit Krankheitswert verursacht hat.

Im Hinblick darauf, dass der Sachverhalt geklärt ist, und das Gutachten der von der belangten Behörde beigezogenen Amtssachverständigen aufgrund der unklaren Fragestellung durch die belangte Behörde nicht verwertbar war, konnte eine weitere Gutachtenserörterung mit der Rechtsvertreterin der Beschwerdeführerin, wie dies bei der mündlichen Beschwerdeverhandlung am 01.09.2020 ursprünglich avisiert worden war, unterbleiben. Daher wurde von der Durchführung einer weiteren mündlichen Beschwerdeverhandlung Abstand genommen.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A)

Die gegenständlich maßgeblichen Bestimmungen des Verbrechensopfergesetzes lauten auszugsweise:

„Kreis der Anspruchsberechtigten

§ 1. (1) Anspruch auf Hilfe haben österreichische Staatsbürger, wenn mit Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, dass sie

1.       durch eine zum Entscheidungszeitpunkt mit einer mehr als sechsmonatigen Freiheitsstrafe bedrohten rechtswidrigen und vorsätzlichen Handlung eine Körperverletzung oder eine Gesundheitsschädigung erlitten haben oder

2.       durch eine an einer anderen Person begangene Handlung im Sinne der Z 1 nach Maßgabe der bürgerlich-rechtlichen Kriterien einen Schock mit psychischer Beeinträchtigung von Krankheitswert erlitten haben oder

3.       als Unbeteiligte im Zusammenhang mit einer Handlung im Sinne der Z 1 eine Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung erlitten haben, soweit nicht hieraus Ansprüche nach dem Amtshaftungsgesetz, BGBl. Nr. 20/1949, bestehen,

und ihnen dadurch Heilungskosten erwachsen sind oder ihre Erwerbsfähigkeit gemindert ist. Wird die österreichische Staatsbürgerschaft erst nach der Handlung im Sinne der Z 1 erworben, gebührt die Hilfe nur, sofern diese Handlung im Inland oder auf einem österreichischen Schiff oder Luftfahrzeug (Abs. 6 Z 1) begangen wurde.

(2) Hilfe ist auch dann zu leisten, wenn

1.       die mit Strafe bedrohte Handlung im Zustand der Zurechnungsunfähigkeit begangen worden ist oder der Täter in entschuldigendem Notstand gehandelt hat,

2.       die strafgerichtliche Verfolgung des Täters wegen seines Todes, wegen Verjährung oder aus einem anderen Grund unzulässig ist oder

3.       der Täter nicht bekannt ist oder wegen seiner Abwesenheit nicht verfolgt werden kann.

(3) Wegen einer Minderung der Erwerbsfähigkeit ist Hilfe nur zu leisten, wenn

1.       dieser Zustand voraussichtlich mindestens sechs Monate dauern wird oder

2.       durch die Handlung nach Abs. 1 eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs. 1 StGB, BGBl. Nr. 60/1974) bewirkt wird.

(4) Hatte die Handlung im Sinne des Abs. 1 den Tod eines Menschen zur Folge, dann ist den Hinterbliebenen, für deren Unterhalt der Getötete nach dem Gesetz zu sorgen hatte, Hilfe zu leisten, wenn sie österreichische Staatsbürger sind und ihnen durch den Tod der Unterhalt entgangen ist. Die Kostenübernahme gemäß § 4 Abs. 5 erfolgt unabhängig vom Vorliegen eines tatsächlichen Unterhaltsentganges.

(5) Kindern ist Hilfe gemäß Abs. 4 bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres zu leisten. Darüber hinaus ist ihnen auch dann Hilfe zu leisten, wenn sie

1.       wegen wissenschaftlicher oder sonstiger regelmäßiger Schul- oder Berufsausbildung sich noch nicht selbst erhalten können, bis zur ordnungsmäßigen Beendigung der Ausbildung, längstens jedoch bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres. Kindern, die eine im § 3 des Studienförderungsgesetzes 1992, BGBl. Nr. 305, genannte Einrichtung besuchen, gebührt die Hilfe nur dann, wenn sie ein ordentliches Studium ernsthaft und zielstrebig im Sinne des § 2 Abs. 1 lit. b des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967, BGBl. Nr. 376, in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. Nr. 311/1992, betreiben;

2.       infolge körperlicher oder geistiger Gebrechen dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, sofern das Gebrechen vor Vollendung des 18. Lebensjahres oder während des in Z 1 bezeichneten Zeitraumes eingetreten ist und solange dieser Zustand dauert.

(6) Hilfe ist Unionsbürgern sowie Staatsbürgern von Vertragsparteien des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum in gleicher Weise wie österreichischen Staatsbürgern zu leisten, wenn die Handlung nach Abs. 1

1.       im Inland oder auf einem österreichischen Schiff oder Luftfahrzeug, unabhängig davon, wo sich dieses befindet, begangen wurde oder

2.       im Ausland begangen wurde, die betroffenen Personen ihren rechtmäßigen gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich haben und die Handlung nach dessen Begründung begangen wurde.

(7) Hilfe ist ferner den nicht in den Abs. 1 und 6 genannten Personen zu leisten, wenn die Handlung nach Abs. 1 nach dem 30. Juni 2005 im Inland oder auf einem österreichischen Schiff oder Luftfahrzeug, unabhängig davon, wo sich dieses befindet, begangen wurde und sie sich zum Zeitpunkt der Handlung dort rechtmäßig aufgehalten haben. Wurde ein unrechtmäßiger Aufenthalt zum Tatzeitpunkt durch einen erlittenen Menschenhandel bewirkt, ist Personen Hilfe solange zu leisten, als sie dafür über ein Aufenthaltsrecht für besonderen Schutz verfügen oder im Anschluss daran weiterhin aufenthaltsberechtigt sind und sie sich gewöhnlich im Inland aufhalten.

(8) Einer Körperverletzung und einer Gesundheitsschädigung im Sinne des Abs. 1 stehen die Beschädigung eines am Körper getragenen Hilfsmittels, insbesondere einer Brille, von Kontaktlinsen oder von Zahnersatz gleich, wenn die zur Beschädigung führende Handlung nach Abs. 1 nach dem 30. Juni 2005 begangen wurde. Der Ersatz und die Reparatur richten sich nach § 5 Abs. 2.

Hilfeleistungen

§ 2. Als Hilfeleistungen sind vorgesehen:

10. Pauschalentschädigung für Schmerzengeld.

Pauschalentschädigung für Schmerzengeld

§ 6a (1) Hilfe nach § 2 Z 10 ist für eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs. 1 StGB) infolge einer Handlung im Sinne des § 1 Abs. 1 als einmalige Geldleistung im Betrag von 2 000 Euro zu leisten; sie beträgt 4 000 Euro, sofern die durch die schwere Körperverletzung verursachte Gesundheitsschädigung oder Berufsunfähigkeit länger als drei Monate andauert.

(2) Zieht die Handlung eine Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen (§ 85 StGB) nach sich, gebührt eine einmalige Geldleistung im Betrag von 8 000 Euro; sie beträgt 12 000 Euro, sofern wegen der Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen ein Pflegebedarf im Ausmaß von zumindest der Stufe 5 nach dem Bundespflegegeldgesetz (BPGG), BGBl. Nr. 110/1993, besteht.“

Die gegenständlich maßgeblichen Bestimmungen des Strafgesetzbuches (StGB) lauten – soweit im gegenständlichen Fall relevant - auszugsweise:

„Schwere Körperverletzung

§ 84 (1) Hat die Tat eine länger als vierundzwanzig Tage dauernde Gesundheitsschädigung oder Berufsunfähigkeit zur Folge oder ist die Verletzung oder Gesundheitsschädigung an sich schwer, so ist der Täter mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren zu bestrafen.

(2) Ebenso ist zu bestrafen, wer eine Körperverletzung (§ 83 Abs. 1 oder Abs. 2) an einem Beamten, Zeugen oder Sachverständigen während oder wegen der Vollziehung seiner Aufgaben oder der Erfüllung seiner Pflichten begeht.

(3) Ebenso ist der Täter zu bestrafen, wenn er mindestens drei selbstständige Taten (§ 83 Abs. 1 oder Abs. 2) ohne begreiflichen Anlass und unter Anwendung erheblicher Gewalt begangen hat.

(4) Mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren ist zu bestrafen, wer einen anderen am Körper verletzt oder an der Gesundheit schädigt und dadurch, wenn auch nur fahrlässig, eine schwere Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung (Abs. 1) des anderen herbeiführt.

(5) Ebenso ist zu bestrafen, wer eine Körperverletzung (§ 83 Abs. 1 oder Abs. 2) begeht

1. auf eine Weise, mit der Lebensgefahr verbunden ist,

2. mit mindestens zwei Personen in verabredeter Verbindung oder

3. unter Zufügung besonderer Qualen.

Die Beschwerdeführerin ist österreichische Staatsbürgerin.

Sie wurde Mitte November 2017 bzw. am 30.11.2017 Opfer des Verbrechens der versuchten schweren Nötigung und des versuchten Mordes.

Die Beschwerdeführerin erlitt durch die Tat eine wesentliche Verschlechterung ihres davor ohnehin angeschlagenen psychischen Gesundheitszustandes.

Gemäß § 1 Abs. 1 Z 2 VOG liegen die grundsätzlichen Voraussetzungen für Leistungen nach dem Verbrechensopfergesetz damit vor.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist für die Auslegung des Begriffes "wahrscheinlich" der allgemeine Sprachgebrauch maßgebend. Wahrscheinlichkeit ist gegeben, wenn nach der geltenden ärztlichen-wissenschaftlichen Lehrmeinung erheblich mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 19.03.2014, Zl. 2013/09/0181).

Die Beurteilung der Frage, ob die massive Verschlechterung des Gesundheitszustandes als schwere Körperverletzung im Sinne des § 84 StGB zu qualifizieren ist, welche mehr als drei Monate andauerte, ist eine Rechtsfrage.

Gesundheitsschädigung ist die Herbeiführung oder Verschlimmerung einer Krankheit, dabei kommen neben körperlichen auch geistig-seelische Leiden in Betracht. Vorausgesetzt ist aber in beiden Fällen, dass es sich dabei um Zustände handelt, die einen Krankheitswert in medizinischen Sinn haben (Knienapfel BT I § 83 Rz 15).

Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes ist jede nicht ganz unerhebliche Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Wohlbefindens einer Person als Gesundheitsschädigung anzusehen, wobei das Andauern dieses Zustandes nicht mit der Heilungsdauer identisch sein muss.

Wie auch schon das Oberlandesgericht XXXX in seinem Urteil vom 05.12.2018, Zl. XXXX zur Stattgabe des Privatbeteiligtenanspruches der Beschwerdeführerin im Strafverfahren gegen den Täter ausführte, stellen massive Einwirkungen in die psychische Sphäre insbesondere dann eine körperliche Verletzung iSd § 1325 AGBG dar, wenn sie mit körperlichen Symptomen einhergehen, die als Krankheit anzusehen sind. Eine derartige massive psychische Beeinträchtigung ist etwa dann anzunehmen, wenn aus ärztlicher Perspektive die Behandlung der psychischen Störung geboten ist. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn nicht damit gerechnet werden kann, dass die Folgen von selbst abklingen, oder wenn zu befürchten ist, dass ohne ärztliche Behandlung eine dauernde gesundheitliche Schädigung zurückbleibt (Spenling, WK StPO § 369 Rz 32). Auch das Oberlandesgericht XXXX bestätigte auf Basis der vorgelegten medizinischen Befunde, dass eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes der Beschwerdeführerin durch die an ihr verübten Verbrechen im November 2017 eingetreten ist.

Die Beschwerdeführerin litt festgestellter Maßen länger als drei Monate nach der Tat an einer krankheitswerten Verschlechterung ihres psychischen Gesundheitszustandes, weswegen die Voraussetzungen für die Gewährung der Pauschalentschädigung für Schmerzengeld in der Höhe von € 4.000,- gegeben sind. Hinweise darauf, dass es eine Köperverletzung mit schweren Dauerfolgen vorliegt, sind im Beschwerdeverfahren nicht hervorgekommen.

Zum anrechenbaren Schadensersatz ist auszuführen, dass schon aus den erläuternden Bemerkungen zum VOG hervorgeht, dass das VOG im Hinblick auf die Anspruchsberechtigung dem Schadensersatz nachgebildet sein soll:

„Die Pflicht zur Schadenswiedergutmachung an Opfern strafbarer Handlungen schlechthin, als nicht nur an Opfern von Verbrechen, trifft nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechtes den Schädiger. Das Motiv für die staatliche Hilfeleistung leigt demnach nicht im Mangel eines Anspruchs an Schadloshaltung, sondern in der Unmöglichkeit diesen Anspruch durzusetzen“ (40 d. Blg., GP XIII).

In den Erläuterungen zur VOG Novelle BGBl. Nr. 40/2009 wird ausgeführt, dass die Ergänzung des Leistungskataloges (Schmerzengeld) nach dem VOG eine weitere staatliche Vorleistung auf den Schadensersatzanspruch gegen den Täter darstellt (678 d. Blg., GP XXIII).

Der Gesetzgeber hat also nicht beabsichtigt, eine zum Schadensersatzanspruch gegen den Täter zusätzliche Leistung zu gewähren.

Entsprechend der schadenersatzrechtlichen Anbindung, dem Vorleistungscharakter und der daraus folgenden Subsidiarität der staatlichen Hilfeleistungen des VOG sind Schmerzengeldzahlungen des Täters auf den Pauschalbetrag anzurechnen.

Bereits vom Täter erhaltene Entschädigungen für Schmerzengeld sind sohin auf die allfällige Entschädigung nach § 6a VOG 1972 „anzurechnen“, weil das VOG 1972 keinen zusätzlichen Ansrpuch neben den Schadensersatzanspruch gegen den Täter schafft (VwGH vom 20.11.2012, 2011/11/0102).

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Zu Spruchteil B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.

Schlagworte

Gesundheitszustand Körperverletzung Psychotherapeut Schadenersatz Schmerzengeld VerbrechensopferG Wahrscheinlichkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W261.2116216.2.00

Im RIS seit

02.12.2020

Zuletzt aktualisiert am

02.12.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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