TE OGH 2020/8/27 19Ob1/20s

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Veröffentlicht am 27.08.2020
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Der Oberste Gerichtshof hat durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Höllwerth als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Weixelbraun-Mohr sowie die Anwaltsrichter Dr. Buresch und Dr. Klaar als weitere Richter in der Eintragungssache der ***** J***** S*****, pA RA Dr. E***** A*****, über deren Berufung gegen den Bescheid des Ausschusses der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer (Plenum) vom 13. November 2019, AZ 169/19, nach öffentlicher mündlicher Verhandlung folgenden

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung:

Die 1972 geborene Berufungswerberin war von 1. Dezember 2006 bis 31. Dezember 2007 als Rechtspraktikantin bei Gericht tätig und wurde am 6. Oktober 2015 in die Liste der Oberösterreichischen Rechtsanwaltsanwärter eingetragen.

Von 1. Jänner 2008 bis 31. Oktober 2018 war die Berufungswerberin in verschiedenen Funktionen an der Johannes Kepler Universität in Linz (folgend kurz „JKU“) tätig, seit 2011 als Leiterin des Büros des Arbeitskreises für Gleichbehandlungen (im Folgenden kurz „AKG“). Im Zeitraum von 1. Oktober 2015 bis 31. Dezember 2016 betrug das Beschäftigungsausmaß an der JKU 20 Wochenstunden, von 1. Jänner 2017 bis 31. Dezember 2018 25 Wochenstunden. Die Arbeitszeit wurde auf zwei lange und einen kurzen, ab 1. Jänner 2017 auf drei lange Tage in einem Gleitzeitrahmen von jeweils 06:00 bis 18:00 Uhr aufgeteilt. Die jährlichen Beitragsgrundlagen, die der SVA gemeldet wurden, betrugen im Jahr 2016 25.434,42 EUR, 2017 31.897,29 EUR und 2018 30.863,14 EUR.

Seit 6. Oktober 2015 ist die Berufungswerberin als Rechtsanwaltsanwärterin bei RA Dr. E***** A***** (im Folgenden kurz „Ausbildungsanwältin“) beschäftigt. In den Verwendungserklärungen vom 8. Mai 2017 und 20. November 2017 hat die Ausbildungsanwältin folgendes angegeben: „Ich gebe in Kenntnis meiner disziplinären Verantwortung für den Fall der Unrichtigkeit die Erklärung ab, dass Dr. J***** S***** seit 6. Oktober 2015 laufend in meiner Kanzlei als Rechtsanwaltsanwärterin in der gesetzlich vorgeschriebenen Weise tätig ist und während dieser Zeit – in ihrer Normalarbeitszeit, nicht jedoch in ihrer Freizeit – meiner Kanzlei voll und ausschließlich zur Verfügung stand.“

Als Rechtsanwaltsanwärterin hat die Berufungswerberin von 6. Oktober 2015 bis 31. Dezember 2018 1.600 EUR brutto verdient, von 1. Jänner 2019 bis zumindest 1. April 2019 1.900 EUR brutto. Die jährlichen Beitragsgrundlagen, die der SVA gemeldet wurden, betrugen für die Jahre 2016 und 2017 jeweils 22.400 EUR, 2018 hingegen 26.081,36 EUR.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies der Ausschuss der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer (Plenum, folgend kurz „Ausschuss“) den Antrag der Berufungswerberin vom 8. Mai 2019 auf Eintragung in die Liste der Oberösterreichischen Rechtsanwälte gemäß § 5 Abs 1 iVm § 1 Abs 2 lit d RAO als unbegründet ab. Er stellte aufgrund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens – über den eingangs wiedergegebenen Sachverhalt hinaus – fest:

„Nicht festgestellt werden kann, ob (die Berufungswerberin) im Zeitraum vom 06. 10. 2015 bis 31. 10. 2018 im Durchschnitt 40 Stunden pro Woche als Rechtsanwaltsanwärterin tätig war.“

Beweiswürdigend führte der Ausschuss aus, es sei nach den Ergebnissen des Beweisverfahrens nicht glaubwürdig, dass eine Rechtsanwaltsanwärterin, die zwei bzw später sogar drei „lange“ Tage im Rahmen eines Dienstverhältnisses an der JKU tätig sei, hauptberuflich als Rechtsanwaltsanwärterin ohne Beeinträchtigung durch diese andere Tätigkeit tätig gewesen sein solle. Rechtlich führe dies zum Ergebnis, dass der Nachweis des Erfordernisses einer hauptberuflichen Tätigkeit bei einem Rechtsanwalt im Sinn einer wöchentlichen Normalarbeitszeit von 40 Stunden in der Dauer von zumindest drei Jahren nicht erbracht und der Eintragungsantrag daher abzuweisen gewesen sei.

Rechtliche Beurteilung

Gegen diesen Bescheid richtet sich die rechtzeitige Berufung der Eintragungswerberin wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens, unrichtiger Sachverhaltsfeststellung infolge unrichtiger Beweiswürdigung und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung im Sinn des Eintragungsantrags.

Die Berufung ist nicht berechtigt.

1. Als Verfahrensfehler macht die Berufungswerberin die Nichterledigung ihres Antrags vom 6. Mai 2019 auf Anrechnung von Ersatzzeiten (Doktorratsstudium, Assistentinnen-Tätigkeit) geltend. Gegenstand des beim Obersten Gerichtshof anhängigen Berufungsverfahrens ist aber nur die Bekämpfung des Bescheids des Ausschusses vom 13. November 2019 (Abweisung des Eintragungsgesuchs vom 8. Mai 2019). Zu dem nach Ansicht der Berufungswerberin am 6. Mai 2019 gestellten Antrag auf Anrechnung von Ersatzzeiten hat die Abteilung II des Ausschusses mit Bescheid vom 22. Jänner 2020 gemäß § 38 AVG die Aussetzung des Verfahrens bis zur rechtskräftigen Entscheidung über das Eintragungsgesuch beschlossen. Gegen diesen Bescheid erhob die Berufungswerberin gemäß § 26 Abs 5 RAO Vorstellung an den Ausschuss mit dem Antrag, diesen Bescheid ersatzlos aufzuheben und „meinen Antrag auf Anrechnung gem. § 2 RAO mit dem gesamten Akt dem OGH zur Berufung vom 12. 12. 19 vorzulegen“. Nach der Aktenlage hat der Ausschuss (Plenum) über diese Vorstellung nicht entschieden (vgl dazu auch Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO10 § 30 RAO Rz 12) und es liegt insoweit auch kein Rechtsmittel vor, weshalb dieser Antrag vom Obersten Gerichtshof nicht zu beurteilen ist.

2. Mit den weiteren Ausführungen zur Mangelhaftigkeit des Verfahrens sowie zur Tatsachen- und Beweisrüge strebt die Berufungswerberin im Ergebnis und zusammengefasst die Feststellung an, dass sie im fraglichen Zeitraum von 6. Oktober 2015 bis 31. Oktober 2018 zumindest 40 Stunden pro Woche als Rechtsanwaltsanwärterin und an der JKU in einer Nebentätigkeit im Durchschnitt 20 (bis 31. Dezember 2016) bzw 25 (ab 1. Jänner 2017 bis 31. Oktober 2018) Wochenstunden bei im Wesentlichen freier Zeiteinteilung tätig gewesen sei. Unter dem Berufungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung macht die Berufungswerberin im Wesentlichen geltend, dass die vom Ausschuss im Ergebnis geforderte Verteilung der Arbeitszeit überwiegend innerhalb der Kanzleiöffnungszeiten weder von der RAO noch vom Arbeitszeitgesetz (AZG) gefordert werde. Ihre Nebentätigkeit an der JKU beeinträchtige ihre hauptberufliche Tätigkeit als Rechtsanwaltsanwärterin nicht. Nach dem Zweck des § 2 Abs 2 RAO komme es nicht auf die Anwesenheit, sondern auf die Verfügbarkeit und die Überprüfbarkeit für den rechtsanwaltlichen Beruf an. Gerade Flexibilität, „Hands on“-Mentalität und enorme Belastbarkeit seien ganz wesentliche Facetten der freiberuflichen Tätigkeit. Die modernen technischen Kommunikationsmöglichkeiten würden keine ständige körperliche Anwesenheit in der Kanzlei erfordern, was auch der Oberste Gerichtshof [richtig: die OBDK] in seiner (ihrer) Entscheidung vom 1. August 2006, Bkv 4/05, anerkannt habe. Dazu hat der Oberste Gerichtshof erwogen:

3. Die Berufungswerberin ist zunächst insofern im Recht, als sich aus den von ihr vorgelegten Arbeitszeitaufzeichnungen keine starren Arbeitszeiten an der JKU ergeben. Zwar zeigen diese Arbeitszeitaufzeichnungen, dass die Berufungswerberin zunächst vor allem am Donnerstag und am Freitag ihren „langen Tag“ an der JKU hatte; dies ist jedoch keineswegs durchgängig. Es gibt Wochen, in welchen sich diese „langen Tage“ auf andere Wochentage verteilten. Ebenso gibt es Wochen, in welchen die Berufungswerberin mehr oder weniger als zwei Tage an der JKU verbrachte. Von Ausnahmen abgesehen war die Berufungswerberin an jenen Tagen, an welchen sie an der JKU arbeitete, in den späten Nachmittags- und Abendstunden (in der Regel bis 21:00 Uhr, manchmal auch länger) in der Kanzlei ihrer Ausbildungsanwältin tätig. Folgt man diesen Arbeitsaufzeichnungen, hat die Berufungswerberin ihre Arbeitszeit bei beiden Dienstgebern tatsächlich sehr flexibel gestaltet und (von Urlaubszeiten und Krankenständen abgesehen) insgesamt monatlich zwischen 240 und 275 Stunden gearbeitet. Damit ist für sie jedoch im Ergebnis nichts gewonnen. Auffallend ist nämlich, dass sie – selbst nach ihren eigenen Berufungsausführungen – in der Kanzlei ihrer Ausbildungsanwältin die wöchentliche Arbeitszeit von 40 Stunden in der Regel nur durch Dienste zu Tagesrandzeiten und an Samstagnachmittagen (die in der Regel ebenfalls bis etwa 21:00 Uhr, in Einzelfällen bis 23:00 Uhr verzeichnet wurden) erreichte und praktisch durchwegs nur an 2 Wochentagen während der üblichen Kanzleistunden in der Kanzlei ihrer Ausbildungsanwältin anwesend war.

4.1. Die in diesem Verfahren relevante Regelung des § 2 RAO, wonach „die praktische Verwendung bei einem Rechtsanwalt (...) nur anrechenbar (ist), soweit diese Tätigkeit hauptberuflich und ohne Beeinträchtigung durch eine andere Berufstätigkeit ausgeübt wird“, wurde dort durch das RAPG, BGBl 1985/556, aufgrund eines Initiativantrags eingefügt. Wenngleich deshalb dazu die bei einer Regierungsvorlage üblichen Erläuterungen fehlen, so kann der Zweck dieser Regelung wohl nur in der Erreichung des Ausbildungsziels und dabei vor allem in der Verhinderung einer „Scheinpraxis“ gesehen werden, bei der der Rechtsanwaltsanwärter einen anderen Hauptberuf ausübt und nur „nebenbei“ bei einem Rechtsanwalt tätig ist. Das Merkmal der „Hauptberuflichkeit“ sollte im Besonderen nach den tatsächlichen Gegebenheiten zu beurteilen sein. Nicht ausgeschlossen sollte eine „andere berufliche Tätigkeit“ sein, wie etwa die Abhaltung von Rechtskursen oder schriftstellerische Tätigkeit, sofern durch diese Nebentätigkeit die praktische Verwendung beim Rechtsanwalt nicht beeinträchtigt wird (vgl Tades, Bemerkungen zum Rechtsanwaltsprüfungsgesetz, AnwBl 1985, 623).

4.2. Schon vor dem Inkrafttreten des RAPG hat die OBDK judiziert, dass eine volle Tätigkeit eines Rechtsanwaltsanwärters dann angenommen werden kann, wenn die anderweitige Tätigkeit zeitmäßig so gering ist, dass die ordnungsgemäße Ausbildung des Rechtsanwaltsanwärters durch einen Rechtsanwalt nicht gefährdet wird. Eine Lehrtätigkeit im Ausmaß von sechs Wochenstunden an einer Universität stellte kein Hindernis für eine solche Ausbildung dar (Bkv 3/75).

Der Oberste Gerichtshof führte in seinem (in einem Verfahren über die Zulassung zur Rechtsanwaltsprüfung ergangenen) Beschluss vom 12. Februar 1987, 7 Ob 519/87, aus, dass „eine anrechenbare Praxis demnach voraussetzt, dass sich der Rechtsanwaltsanwärter seiner Vorbereitung auf den angestrebten Rechtsanwaltsberuf unter Aufsicht seines Chefs voll und ganz widmet, während der üblichen Beschäftigungszeit auch wirklich zur Verfügung steht und sich nur dem Anwärterberuf zuwendet. Eine volle Tätigkeit eines Rechtsanwaltsanwärters kann nur dann angenommen werden, wenn die anderweitige Arbeit zeitgemäß so gering ist, dass die ordnungsgemäße Ausbildung des Rechtsanwaltsanwärters durch einen Rechtsanwalt nicht gefährdet ist“ (vgl auch RS0071722). Durch die Betrauung mit Lehrveranstaltungen an einer Universität im Ausmaß von ein bis zwei Wochenstunden sah der Oberste Gerichtshof die ordnungsgemäße Ausbildung nicht als gefährdet an, wohl aber durch eine Tätigkeit als Berufsschullehrer im Ausmaß von zunächst 22 und schließlich 20 Wochenstunden.

Zum selben Ergebnis kam die OBDK in dem gegen den damaligen Ausbildungsanwalt wegen Verletzung des § 21b RAO eingeleiteten Disziplinarverfahren (Bkd 1/87 AnwBl 1990, 137).

5. Der VfGH hat schon wiederholt ausgesprochen, dass verfassungsrechtliche Bedenken weder gegen die in § 2 Abs 2 RAO normierte Voraussetzung der hauptberuflichen Tätigkeit eines Rechtsanwaltsanwärters für die Anrechenbarkeit der praktischen Verwendung bei einem Rechtsanwalt, noch gegen die korrespondierende Verpflichtung des ausbildenden Rechtsanwalts zur hauptberuflichen Beschäftigung des Rechtsanwaltsanwärters in § 21b RAO bestehen (VfSlg 12.337/1990, 12.670/1991, 12.700/1991, 13.560/1993, 14.873/1997, 17.980/2005). So hat der VfGH etwa in seinem Erkenntnis vom 21. Juni 1997, B 29/97, VfSlg 14.873, judiziert, dass die hauptberufliche Tätigkeit insbesondere deshalb erforderlich erscheint, weil dadurch gewährleistet ist, dass der Rechtsanwaltsanwärter umfassend mit allen Facetten des Berufsbildes des Rechtsanwalts vertraut gemacht werden kann. Darüber hinaus wird dem ausbildenden Rechtsanwalt durch den mit der hauptberuflichen Beschäftigung des Rechtsanwaltsanwärters verbundenen intensiven persönlichen Kontakt die Möglichkeit eingeräumt, sich umfassend Kenntnis von den einzelnen Fähigkeiten des Rechtsanwaltsanwärters zu verschaffen und die Ausbildung entsprechend zu gestalten.

Auch in dem von der Berufungswerberin zu ihren Gunsten ins Treffen geführten Erkenntnis vom 7. März 1991, B 1111/90, VfSlg 12.670, ist der VfGH von dieser Judikaturlinie nicht abgegangen. Der damalige Beschwerdeführer war ein Rechtsanwaltsanwärter, der jeweils nach seiner nachgewiesenen täglichen Arbeitszeit in einer Rechtsanwaltskanzlei (von insgesamt 40 Wochenstunden) weitere 20 Wochenstunden als Vertragsassistent an einem Institut für Handels- und Wertpapierrecht tätig war. Zunächst hielt der VfGH fest, dass der Gesetzgeber ein Beschäftigungsausmaß von 20 Wochenstunden keinesfalls als Nebenbeschäftigung oder Nebentätigkeit ansieht, sondern als eine Haupttätigkeit. Eine solche Tätigkeit ist als zweiter Hauptberuf zu qualifizieren. Wie der VfGH ausführte, ist eine Tätigkeit, die einen hauptberuflich beschäftigten Rechtsanwaltsanwärter verpflichtet, an jedem Wochentag nach einem vorangegangenen achtstündigen Arbeitstag zusätzlich von 18:00 bis 20:00 Uhr zu arbeiten, weiters an jedem Freitag ab 14:00 Uhr und zusätzlich sechs bis sieben Stunden an jedem Wochenende eine solche andere Tätigkeit, die die Ausübung der hauptberuflichen Tätigkeit (als Rechtsanwaltsanwärter) zu beeinträchtigen im Stande ist und tatsächlich beeinträchtigt. Der VfGH trug lediglich dem Einwand des damaligen Beschwerdeführers Rechnung, dass Überschreitungen der Normalarbeitszeit auch bei der hauptberuflichen Verwendung bei einem Rechtsanwalt nicht selten vorkommen und konsequenterweise auch in diesen Fällen die Anrechnung der hauptberuflichen Verwendung bei einem Rechtsanwalt versagt werden müsse, was aber denkunmöglich, gesetzlos und willkürlich sei. Schließlich folgerte der VfGH aus dem Umstand, dass eine Assistententätigkeit gemäß § 2 Abs 1 RAO grundsätzlich einer Anrechnung zugänglich sei, dass diese zusätzlich ausgeübte Tätigkeit die praktische Verwendung beim Rechtsanwalt nicht nur nicht beeinträchtige, sondern dieser förderlich und der Erreichung eines optimalen Ausbildungsstandes dienlich sei. Ein damit in tatsächlicher Hinsicht vergleichbarer Fall liegt hier aber nicht vor:

6. Dem Vorbringen der Berufungswerberin, beim AKG handle es sich „quasi um ein Amt“, ist entgegenzuhalten, dass der AKG gemäß § 42 Universitätsgesetz 2002 im Wesentlichen bloß beratende und unterstützende Aufgaben hat, dies verbunden mit Informationsrechten und dem Recht, bei angenommenen Diskriminierungen die Schiedskommission anzurufen (§ 42 Abs 7 und Abs 8 Universitätsgesetz 2002). Entsprechend der bisherigen Judikatur von OBDK und Oberstem Gerichtshof (vgl die Judikaturbeispiele in Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO10 § 2 RAO Rz 10 ff; zuletzt etwa 19 Ob 4/16a mwH) ist daher die AKG keine Verwaltungsbehörde gemäß § 2 Abs 1 RAO (auch nicht im weitesten Sinne). Eine Tätigkeit als Büroleiterin des AKG, mag sie auch juristische Teilaspekte umfassen, ist daher nicht in wesentlichen Bereichen der Ausübung der Rechtsanwaltschaft dienlich und auch nicht mit der Tätigkeit eines Hochschulassistenten vergleichbar.

7.1. Aufgrund des Volksbegehrens für ein Bundesgesetz betreffend die schrittweise Einführung der 40-Stunden-Woche wurde im Jahr 1969 das Arbeitszeitgesetz (AZG) beschlossen. Die Verkürzung der Wochenarbeitszeit wurde für notwendig erachtet, um für die im Zuge der technischen Entwicklung gesteigerten Anforderungen an die Arbeitskraft einen Ausgleich durch erhöhte Freizeit zu schaffen. Ein weiterer Grund war, dass die modernen Arbeitsmethoden zu einer erhöhten psychischen Arbeitsbelastung führen, die durch verlängerte Erholungsmöglichkeiten der Dienstnehmer ausgeglichen werden muss und dass sich mit zunehmender Arbeitszeit die Zahl der Erkrankungen sowie der Arbeitsunfälle häuft und ein merkbarer Leistungsabfall eintritt (1327 BlgNR 11. GP – Volksbegehren). Ähnliche Überlegungen waren für die Einführung des Arbeitsruhegesetzes (ARG) im Jahr 1983 ausschlaggebend (ErläutRV 1289 BlgNR 15. GP 12 ff).

7.2. Nach § 3 Abs 1 AZG darf die tägliche Normalarbeitszeit 8 Stunden, die wöchentliche Normalarbeitszeit 40 Stunden nicht überschreiten, soweit im AZG nichts anderes bestimmt wird. Ausnahmen gibt es für bestimmte Verkaufsstellen oder dann, wenn dies der entsprechende Kollektivvertrag zulässt (§ 4 Abs 1 und Abs 4 AZG). Bei gleitender Arbeitszeit darf die tägliche Normalarbeitszeit 10 Stunden nicht überschreiten. Die wöchentliche Normalarbeitszeit darf innerhalb der Gleitzeitperiode die wöchentliche Normalarbeitszeit im Durchschnitt nur insoweit überschreiten, als Übertragungsmöglichkeiten von Zeitguthaben vorgesehen sind (§ 4b Abs 4 AZG).

Im hier maßgeblichen Zeitraum durfte – abgesehen von nichtzutreffenden Ausnahmen – die Tagesarbeitszeit 10 Stunden und die Wochenarbeitszeit 50 Stunden nicht überschreiten (§ 9 Abs 1 AZG). Selbst wenn nach den Bestimmungen des AZG eine Wochenarbeitszeit von mehr als 48 Stunden zulässig ist, darf die durchschnittliche Wochenarbeitszeit innerhalb eines Durchrechnungszeitraums von 17 Wochen 48 Stunden nicht überschreiten (§ 9 Abs 4 AZG).

Werden Arbeitnehmer von mehreren Arbeitgebern beschäftigt, so dürfen die einzelnen Beschäftigungen zusammen die gesetzliche Höchstgrenze der Arbeitszeit nicht überschreiten (§ 2 Abs 2 AZG). Wird die zusätzliche Höchstgrenze überschritten, führt dies nach herrschender Meinung zur Teilnichtigkeit des Arbeitsvertrags (Auer-Mayer, AZG [2019] § 2 Rz 46; Schrank, Arbeitszeit-Kommentar § 2 Rz 71). Im Regelfall wird Teilnichtigkeit bei jenem Arbeitsverhältnis eintreten, durch welche die höchstzulässige Arbeitszeit überschritten wird (9 ObA 75/95; Klein in Gasteiger, Arbeitszeitgesetz § 2 Rz 15).

Nach § 3 Abs 2 Arbeitsruhegesetz (ARG) hat die Wochenendruhe für alle Arbeitnehmer (abgesehen von hier nicht zutreffenden Ausnahmen) spätestens Samstag um 13:00 Uhr zu beginnen.

Dass diese Bestimmungen bei den von der Berufungswerberin verzeichneten Stunden nicht eingehalten wurden, liegt auf der Hand und folgt auch aus ihren eigenen Aufzeichnungen und Ausführungen: So zeigen etwa beispielsweise die Aufzeichnungen für den Monat Jänner 2017 eine tägliche Arbeitszeit (insgesamt bei beiden Arbeitgebern) an den Wochentagen Montag bis Freitag von in der Regel 11 Stunden (nur an einigen wenigen Tagen wurde eine geringere Stundenanzahl, mindestens jedoch 8,5 Stunden verzeichnet) und eine Wochenarbeitszeit von mindestens 60,5 Stunden und höchstens 66 Stunden. Die Wochenendruhe gemäß § 3 Abs 2 ARG wurde an keinem der Samstage eingehalten, es wurden Samstagsdienste von 13:30 bis 22:00 Uhr, von 11:00 bis 21:00 Uhr, von 13:00 bis 23:00 Uhr und von 09:00 Uhr bis 21:00 Uhr aufgezeichnet. In diesem Monat verbrachte die Berufungswerberin in der Regel pro Woche während der Kanzleiöffnungszeiten nur je zwei volle Tage in der Kanzlei (in der letzten vollen Jännerwoche sogar nur einen Tag).

8.1. Im vorliegenden Fall ist entscheidend, ob die „andere berufliche Tätigkeit“ der Berufungswerberin beim AKG an der JKU geeignet war, ihre praktische Verwendung bei ihrer Ausbildungsanwältin zu beeinträchtigen. Nach ihren Arbeitszeitaufzeichnungen will sie ihre Dienstzeiten in der Kanzlei ihrer Ausbildungsanwältin überwiegend außerhalb der Kanzleiöffnungszeiten und in der Regel erst nach ihrer Tätigkeit bei der JKU geleistet haben. Die Anzahl von 40 in der Kanzlei verbrachten Wochenstunden ergibt sich nur unter Verletzung der Bestimmungen des AZG und des ARG durch Arbeitsstunden außerhalb der täglichen und wöchentlichen Normalarbeitszeit an Abenden und an Wochenenden. Dem Vorbringen der Berufungswerberin liegt somit im Wesentlichen die umgekehrte Konstellation zugrunde als jener, die im Erkenntnis des VfGH vom 7. März 1991, B 1111/90, VfSlg 12.670, zu beurteilen war.

8.2. Zwar ist Adressat der Strafbestimmungen des AZG der Arbeitgeber und nicht der Arbeitnehmer (9 ObA 75/95), doch liegt es angesichts der massiven Verletzungen von Arbeitszeit- und Arbeitsruhebestimmungen auf der Hand, dass die zeitliche und arbeitsmäßige Zusatzbelastung der Berufungswerberin geeignet war, sich negativ auf ihre Arbeitsleistung als Rechtsanwaltsanwärterin auszuwirken. Bei derart übermäßig langen Arbeitszeiten kommt es erfahrungsgemäß zu einem Leistungsabfall, insbesondere zu Einschränkungen der Konzentrationsfähigkeit und der Genauigkeit. Dies ist mit dem Ausbildungszweck unvereinbar. Die andere, durchaus im zeitlichen Umfang einer hauptberuflichen Tätigkeit ausgeübte Beschäftigung der Berufungswerberin an der JKU war daher geeignet, ihre praktische Verwendung bei ihrer Ausbildungsanwältin zu beeinträchtigen.

8.3. Besonders wesentlich ist allerdings der Umstand, dass die Berufungswerberin weitgehend nur an 2 Wochentagen während der üblichen Kanzleistunden in der Kanzlei ihrer Ausbildungsanwältin tätig war. Nach Ansicht des erkennenden Senats ist – ungeachtet der modernen Kommunikationsmittel – auch weiterhin am Erfordernis festzuhalten, dass zur Gewährleistung einer effizienten Ausbildung und Überwachung des Rechtsanwaltsanwärters die erforderliche Ausbildungszeit im Wesentlichen während der üblichen Kanzleiöffnungszeiten mit entsprechend intensivem persönlichen Kontakt mit dem Ausbildungsanwalt und eingebunden in den alltäglichen Kanzleibetrieb absolviert wird. In diesem Sinn fordert auch die von der Berufungswerberin zitierte Entscheidung der OBDK Bkv 4/05 eine laufende Anleitung und Beaufsichtigung durch den ausbildungsverantwortlichen Rechtsanwalt, wobei dies auch durch fortgesetzt engem telekommunikativen Kontakt mit dem Ausbildungsverantwortlichen erfolgen kann. Dass ein solcher enger Kontakt außerhalb der Kanzleizeiten stattfand, wurde von der Berufungswerberin aber vor dem Ausschuss nicht einmal konkret behauptet, nicht nachgewiesen und ist bei der gegebenen Sachlage auch nicht zu erwarten. Dahingehende Behauptungen der Berufungswerberin in ihrem, im Berufungsverfahren erstatteten vorbereitenden Schriftsatz sind durch die nur eingeschränkte Neuerungserlaubnis nicht gedeckt (vgl 19 Ob 3/19h).

8.4. Das Vorbringen der Berufungswerberin und die von ihr vorgelegten Arbeitszeitaufzeichnungen sind daher – selbst ausgehend von ihrer Richtigkeit – nicht geeignet, als Nachweis für eine als Kernzeit (praktische Verwendung) anrechenbare Tätigkeit im Sinne des § 2 Abs 1 und 2 RAO zu dienen. Auf die – zusammengefasst – in der Tatsachen- und Beweisrüge relevierten Frage, ob die Berufungswerberin zu diesen Zeiten für ihre Ausbildungsanwältin auch tatsächlich Leistungen erbracht hat oder ob es sich dabei nur um „Scheinaufzeichnungen“ handelt, muss daher nicht eingegangen werden. Den von der Berufungswerberin dazu im Rechtsmittelverfahren erstatteten Neuerungen steht wiederum die insoweit nur eingeschränkte Neuerungserlaubnis entgegen (vgl dazu wiederum 19 Ob 3/19h).

9. Zusammenfassendes Ergebnis:

9.1. Gegenstand dieser Entscheidung ist nur der bekämpfte Bescheid des Ausschusses vom 13. November 2019. Die Frage der Ersatzzeiten, zu denen kein Bescheid vorliegt, ist ebenso wenig zu beurteilen wie die Frage, ob die Berufungswerberin inzwischen die Eintragungsvoraussetzungen erfüllt.

9.2. In der Sache ist dem Ausschuss im Ergebnis dahin Recht zu geben, dass außerhalb der üblichen Kanzleizeiten, namentlich zu Abend- und Nachtzeiten sowie an Wochenenden (in Abwesenheit der Ausbildungsanwältin) die erforderliche Überwachung und Ausbildung der Berufungswerberin zur Rechtsanwältin nicht gewährleistet erscheint. Zum einen ist gerade der laufende persönliche Austausch von Wissen und praktischen Erfahrungen mit dem Ausbildungsanwalt unter dessen Anleitung und Kontrolle wesentlich, ist doch die praktische Verwendung bei einem Rechtsanwalt kein „Fern- bzw Selbststudium“, das man an Tagesrandzeiten und an Wochenenden ableisten kann. Zum anderen würde ein Abgehen von diesem Erfordernis jeglichen Manipulationsmöglichkeiten, insbesondere den von der Intention des RAPG verpönten „Scheinpraxiszeiten“, Tür und Tor öffnen. Daraus folgt, dass die praktische Verwendung bei einem Rechtsanwalt, die nach § 2 Abs 1 RAO nur anrechenbar ist, „soweit diese Tätigkeit hauptberuflich und ohne Beeinträchtigung durch eine andere berufliche Tätigkeit ausgeübt wird“, nicht dadurch erreicht werden kann, dass diese Verwendung – überwiegend – außerhalb üblicher Kanzleizeiten, ansonsten zu Tagesrandzeiten und an Samstagen neben einer anderen, 20 bzw 25 Wochenstunden umfassenden beruflichen Tätigkeit absolviert wird.

9.3. Der Berufung war daher der Erfolg zu versagen.

Textnummer

E129909

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2020:0190OB00001.20S.0827.000

Im RIS seit

01.12.2020

Zuletzt aktualisiert am

17.06.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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