Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann-Prentner und Mag. Korn, den Hofrat Dr. Stefula und die Hofrätin Mag. Wessely-Kristöfel als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. T*****, vertreten durch Schmid & Horn Rechtsanwälte GmbH in Graz, gegen die beklagte Partei P*****, vertreten durch PRUTSCH & Partner Rechtsanwälte in Graz, wegen 5.100 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Berufungsgericht vom 18. März 2020, GZ 6 R 268/19d-39, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Graz-Ost vom 27. September 2019, GZ 223 C 267/17m-35, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 501,91 EUR (darin 83,65 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung:
Die Beklagte beabsichtigte, vom klagenden Zahnarzt ihr Gebiss komplett sanieren zu lassen. Nach den von ihr unterfertigten drei Heilkostenplänen sollten ua sechs Implantate um 6.000 EUR und zwölf Zirkonoxyd-Kronen um 6.600 EUR gesetzt werden.
Am 18. 8. 2016 setzte der Kläger bei der Beklagten – medizinisch richtig und lege artis – sechs Implantate im Unterkiefer, extrahierte fünf Zähne im Oberkiefer, entfernte den Weisheitszahn im rechten Unterkiefer operativ und setzte im Oberkiefer anstelle der extrahierten Zähne eine Oberkiefer-Teilprothese mit Drahtklammern ein. Er verschrieb ihr ein Antibiotikum und vereinbarte mit ihr einen Kontrolltermin. Als schicksalshafte Folge der operativen Zahnentfernung entwickelte sich bei der Beklagten ein Mundbodenabszess. Als die Beklagte am 23. 8. 2016 erneut in der Ordination des Klägers vorstellig wurde, hatte sie eine Schwellung, Schmerzen und Schluckbeschwerden und konnte den Mund nicht öffnen. Nach einer Untersuchung überwies der Kläger sie zur Abklärung an einen (im selben Haus befindlichen) HNO-Arzt, der eine Lymphknotenentzündung diagnostizierte. Im Anschluss wurde der Kläger nicht weiter tätig, sondern vereinbarte mit der Beklagten lediglich einen Kontrolltermin für den übernächsten Tag. Da die Beklagte bereits seit fünf Tagen mit einem Antibiotikum therapiert wurde und am 23. 8. 2016 neben der vorhandenen Schwellung am Zungengrund auch über Schluckbeschwerden klagte, hätte der Kläger ihr aber trotz fehlenden Nachweises eines bereits vorhandenen Abszesses ein alternatives Antibiotikum verschreiben und sie eindringlich darauf hinweisen müssen, dass es aufgrund der Wirkungslosigkeit des Antibiotikums zu einer Verschlechterung ihres Zustands kommen könne und sie in diesem – umgehend behandlungsbedürftigen – Notfall sofort auf der Kieferchirurgie vorstellig werden müsse. In der Situation, in der sich die Beklagte befand, kann ein Abszess nämlich innerhalb von Stunden auftreten und zu einer Verschlechterung des Zustands mit Atembeschwerden bis hin zum Tod durch Ersticken führen.
Da die Beklagte am folgenden Tag das Gefühl hatte, zu ersticken, begab sie sich über ihren Hausarzt in Spitalsbehandlung, im Rahmen derer der Mundbodenabszess diagnostiziert und operativ von außen gespalten wurde.
Die Parteien hatten noch keinen weiteren Termin zur Anbringung der Kronen vereinbart. Um die Behandlung fertigzustellen, wären noch weitere sechs Termine im Ausmaß von insgesamt rund acht Stunden erforderlich gewesen.
Der Kläger begehrte von der Beklagten, gestützt auf die Bestimmung des § 1168 Abs 1 Satz 1 ABGB, das Honorar für das Einsetzen der zwölf Zirkonoxyd-Kronen von 6.600 EUR abzüglich einer Eigenersparnis von 1.500 EUR für den Zukauf von Kronen und Kleinmaterial, insgesamt daher die Zahlung von 5.100 EUR sA.
Die Vorinstanzen wiesen das Klagebegehren übereinstimmend ab. Das Berufungsgericht schloss sich angesichts des besonderen Vertrauensverhältnisses, das gerade im äußerst sensiblen Bereich zahnärztlicher Behandlungen zwischen dem Patienten und seinem Zahnarzt herrsche, der in der Lehre vertretenen Ansicht an, dass dann, wenn bei einer – wie hier – über einen längeren Zeitraum hindurch vorgesehenen Behandlung wichtige Gründe vorliegen würden, die dem Patienten die Fortsetzung der Behandlung unzumutbar machten, dieser zur außerordentlichen Kündigung berechtigt sei. Eine solche vorzeitige Kündigung löse keine Entgeltpflicht für die noch ausständigen Behandlungsschritte aus.
Die ordentliche Revision wurde vom Berufungsgericht für zulässig erklärt, weil der Oberste Gerichtshof – soweit für das Berufungsgericht überblickbar – zur Frage, ob ein Patient im Rahmen des (zahn-)ärztlichen Behandlungsvertrags, der eine Behandlung über einen längeren Zeitraum vorsehe, die Behandlung aus wichtigen Gründen vorzeitig abbrechen könne, ohne verpflichtet zu sein, das Entgelt für die noch ausständigen Behandlungsschritten zu bezahlen, noch nicht Stellung genommen habe.
Rechtliche Beurteilung
Die von der Beklagten beantwortete Revision des Klägers ist entgegen dem – nicht bindenden – Ausspruch des Berufungsgerichts mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig. Trotz Fehlens einer ausdrücklichen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu einer konkreten Fallgestaltung liegt dann keine erhebliche Rechtsfrage vor, wenn ein Streitfall trotz neuer Sachverhaltselemente bereits mit Hilfe vorhandener Leitlinien höchstgerichtlicher Rechtsprechung gelöst werden kann (RIS-Justiz RS0042656 [T48]). Ein solcher Fall liegt hier vor.
1.1 Der zahnärztliche Behandlungsvertrag ist ein gemischter Vertrag, der je nach vereinbarter Leistung Elemente des Werkvertrags und des freien Dienstvertrags enthält (RS0021338; RS0021759). Bei gemischten Verträgen ist für die Beurteilung jeder einzelnen Leistungspflicht die sachlich am meisten befriedigende Vorschrift heranzuziehen. Das ist nach der herrschenden Kombinationstheorie die Vorschrift jenes Vertragstyps, dem die jeweilige Pflicht entstammt (RS0013941 [T3]).
1.2 Der Behandlungsvertrag kann sowohl Ziel- als auch Dauerschuldverhältnis sein (Neumayr in GmundKomm Einleitung ABGB Rz 4; Pletzer, Vor- und nachvertragliche Pflichten beim Behandlungsvertrag, RdM 2014, 232 [233 ff]).
2.1 Unabhängig von der rechtlichen Einordnung bejaht die Lehre und Literatur, soweit sie zu dieser Frage ausdrücklich Stellung bezieht, die Möglichkeit der vorzeitigen Auflösung eines Behandlungsvertrags aus wichtigem Grund mit der Konsequenz, dass der Behandler keinen Entgeltanspruch für noch nicht erbrachte Leistungen hat (Jesser-Huß in Resch/Wallner, Medizinrecht3, III. Zivilrechtliche Fragen des Arzt-Patienten-Verhältnisses Rz 53; Pircher, Behandlungsabbruch durch den Patienten, RdM 2000, 50 [51]; Klete?ka-Pulker in Aigner/Klete?ka/Klete?ka-Pulker/Memmer, Medizinrecht, Kap I.1.15.2.1; Verbunkic, Der Ausgleichsanspruch des Behandlers für entfallene Behandlungsleistungen, ecolex 2020, 680 [681 f]).
2.2 Dies entspricht dem sowohl für Ziel- als auch für Dauerschuldverhältnisse allgemeingültigen Rechtsgrundsatz, dass ein wichtiger Grund, der die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses für einen der Vertragsteile unzumutbar erscheinen lässt, jederzeit zur sofortigen Vertragsaufhebung berechtigt (vgl RS0027780; RS0018286; RS0111147; RS0018377). Als wichtiger Grund kommt insbesondere auch der berechtigte Verlust des Vertrauens in die Person des Vertragspartners in Betracht (RS0027780 [T7]; RS0018286 [T8]).
2.3 Die Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Vertragsverhältnisses für einen der Vertragspartner kann nur nach einer umfassenden Sicht aller dafür und dagegen sprechenden Gegebenheiten des Einzelfalls beurteilt werden (RS0027780 [T41]). Die Frage, ob ein wichtiger Grund zur vorzeitigen Auflösung des Vertrags vorliegt, bildet daher regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO, es sei denn, dem Berufungsgericht wäre bei seiner Entscheidung eine krasse Fehlbeurteilung unterlaufen, die ausnahmsweise zur Wahrung der Rechtssicherheit einer Korrektur bedürfte (RS0111817 [T3]). Davon kann hier keine Rede sein.
3.1 Das Berufungsgericht vertrat die Auffassung, dass die bei der Beklagten als Folge der am 18. 8. 2016 vorgenommenen Behandlung aufgetretene schwerwiegende Komplikation, die eine operative Versorgung und einen mehrtägigen stationären Aufenthalt im Krankenhaus nach sich zog, für sich allein schon einen wichtigen Grund bilde, der es rechtfertige, eine weitere Behandlung abzulehnen, zumal dieser Heilungsverlauf gerade für eine Angstpatientin wie die Beklagte besonders einschneidend gewesen sein müsse.
Auf die – vom Kläger in Zweifel gezogene – Richtigkeit dieser Ansicht muss nicht weiter eingegangen werden, weil das Berufungsgericht zudem noch berücksichtigt hat, dass der Kläger nach den Feststellungen im Rahmen der Nachbehandlung insofern nicht lege artis vorging, als er der Beklagten am 23. 8. 2016 kein anderes Antibiotikum verschrieb und sie auch nicht darauf hinwies, dass sie im Falle einer weiteren Verschlechterung ihres Zustands sofort auf der Kieferchirurgie vorstellig werden müsse. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass dieses Verhalten geeignet sei, das Vertrauen eines Patienten in seinen Arzt zu erschüttern und eine weitere Behandlung durch diesen abzulehnen, ist jedenfalls nicht zu beanstanden. Der mit der Behandlung verbundene Eingriff in die körperliche Integrität des Patienten lässt die Fortsetzung des (naturgemäß eine ganz besondere Vertrauensbasis erfordernden) Behandlungsvertrags bei – potentiell lebensbedrohlichen – Kunst- und Aufklärungsfehlern des Arztes, mögen sie – wie hier – konkret auch nicht für einen Schaden des Patienten kausal geworden sein, unzumutbar erscheinen.
3.2 Daran vermag der Revisionswerber keine Bedenken zu wecken. Seine Behauptung, er habe keinen Behandlungsfehler zu verantworten, weil er die Beklagte an einen HNO-Facharzt überwiesen habe, entfernt sich vom festgestellten Sachverhalt, wonach ihm sehr wohl anzulasten ist, die Medikation der Beklagten nicht umgestellt und sie nicht über die drohende Notfallsituation aufgeklärt zu haben. Bereits das Berufungsgericht hat den Kläger darauf hingewiesen, dass die Frage, ob ein (ärztlicher) Kunstfehler vorliegt, Tatfrage ist (RS0026418). Dem Einwand des Klägers, das Erstgericht habe keine Feststellung getroffen, dass eine außerordentliche Kündigung ausgesprochen worden sei, schon gar nicht, dass ein wichtiger Grund geltend gemacht worden sei, ist das Neuerungsverbot entgegenzuhalten. Der Kläger hat in erster Instanz durchwegs nur den Standpunkt vertreten, die Beklagte sei ungerechtfertigt vom Vertrag zurückgetreten.
4. Die Vorinstanzen haben daher einen Honoraranspruch des Klägers für die wegen des Behandlungsabbruchs durch die Beklagte noch nicht von ihm erbrachten Leistungen schon deshalb vertretbar verneint. Die Frage nach einem Entgeltanspruch des behandelnden Arztes für den Fall, dass der Patient die Behandlung ohne wichtigen Grund abbricht (vgl dazu etwa Pircher, Behandlungsabbruch durch den Patienten, RdM 2000, 50 [51 ff]; oder zuletzt Verbunkic, Der Ausgleichsanspruch des Behandlers für entfallene Behandlungsleistungen, ecolex 2020, 680), stellt sich im vorliegenden Fall nicht und kann daher unbeantwortet bleiben.
5. Insgesamt gelingt es dem Kläger nicht, eine erhebliche Rechtsfrage aufzuzeigen, sodass die Revision als unzulässig zurückzuweisen war.
6. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Die Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision des Klägers in ihrer Revisionsbeantwortung hingewiesen (RS0035979 [T16]). Für die Revisionsbeantwortung gebührt allerdings nur der einfache Einheitssatz (§ 23 RATG).
Textnummer
E129902European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2020:0080OB00050.20S.0928.000Im RIS seit
01.12.2020Zuletzt aktualisiert am
14.01.2022