Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Univ.-Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer-Zeni-Rennhofer und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei T***** Gesellschaft mbH, *****, vertreten durch die Imre & Schaffer Rechtsanwälte OG, Gleisdorf, gegen die beklagte Partei *****Universität *****, vertreten durch die Pacher & Partner Rechtsanwälte GmbH & Co KG, Graz, wegen 14.450,80 EUR sA sowie Räumung, über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Berufungsgericht vom 26. Mai 2020, GZ 5 R 47/20y-15, mit das Teilurteil des Bezirksgerichts Graz-Ost vom 16. Dezember 2019, GZ 220 C 116/19m-11, aufgehoben wurde, beschlossen und zu Recht erkannt:
Spruch
Dem Rekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und in der Sache dahin zu Recht erkannt, dass das Teilurteil wie folgt lautet:
„Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei 14.450,80 EUR samt 4 % Zinsen aus 7.225,40 EUR seit Klageeinbringung sowie aus 7.225,40 EUR seit 17. 10. 2019 zu zahlen, wird abgewiesen.“
Die Entscheidung über die Kosten des gesamten Verfahrens bleibt dem Erstgericht vorbehalten.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Beklagte mietete zwischen 1975 und 2012 mehrere Räumlichkeiten in einem nunmehr der Klägerin gehörenden Haus an, die sie für ihren universitären Betrieb nutzt. Die Mietverträge enthalten jeweils die Bestimmung, dass die beklagte Partei den Mietzins zuzüglich der „gesetzlichen“ oder „anfallenden“ Umsatzsteuer zu entrichten hat. Die Klägerin erwarb das Haus 2018 und trat auf Vermieterseite in die bestehenden Mietverträge mit der Beklagten ein. Die vormaligen Vermieter hatten zur Umsatzsteuerpflicht „optiert“ und der Beklagten Umsatzsteuer vorgeschrieben, die von ihr auch bezahlt wurde. Seit Jänner 2019 schreibt die Klägerin der Beklagten neben dem Nettomietzins und den Betriebskosten für jedes Mietobjekt auch einen „Pauschalausgleich“ in Höhe der bisherigen Umsatzsteuer vor. Mangels Zahlung der Beklagten sind rechnerisch bis Oktober 2019 vorgeschriebene „pauschale Ausgleichsbeträge“ in Höhe von 14.450,80 EUR offen.
Die Klägerin begehrt Zahlung dieses Betrags sowie – gestützt auf dessen Nichtzahlung – Räumung der Mietobjekte. Ihr Eintritt in die Mietverträge auf Vermieterseite sei steuerlich als neuer Vertragsabschluss zu werten, wodurch es zur Anwendung des § 6 Abs 2 UStG in der Fassung des 1. Stabilitätsgesetz 2012 gekommen sei. Demnach könne der Vermieter nicht mehr auf die Umsatzsteuerbefreiung nach § 6 Abs 1 Z 16 UStG verzichten (also nicht mehr zur Umsatzsteuerpflicht „optieren“), wenn der Mieter das Mietobjekt nicht nahezu ausschließlich für Umsätze verwendet, die einen Vorsteuerabzug nicht ausschließen. Dies sei bei der Beklagten der Fall, weshalb ihr der Mietzins ab 1. 1. 2019 nicht als Nettomietzins zuzüglich Umsatzsteuer, sondern als „Gesamtmiete“ bestehend aus Nettomietzins und einem auf § 30 UStG gestützten „Pauschalausgleich“ in Höhe der ursprünglichen Umsatzsteuer vorgeschrieben worden sei. Diese Bestimmung sehe den Ausgleich der einer Vertragspartei durch eine Änderung des UStG entstandenen Mehr- oder Minderbelastung durch die andere Vertragspartei vor. Da die Beklagte die ihr vorgeschriebenen „Ausgleichsbeträge“ trotz Nachfristsetzung nicht bezahlt habe, habe die Klägerin die Mietverhältnisse nach § 1118 ABGB aufgelöst, sodass die Beklagte zur Räumung verpflichtet sei.
Die Beklagte wandte ein, dass die Vorschreibung des „Pauschalausgleichs“ rechtsgrundlos erfolge. Die Klägerin habe bei Erwerb des Hauses gewusst, dass die Beklagte nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt sei. Sie habe die durch das 1. Stabilitätsgesetz 2012 geänderte umsatzsteuerrechtliche Situation (Wegfall der Möglichkeit, zur Umsatzsteuerpflicht zu optieren) bewusst in Kauf genommen. Da ausdrücklich ein „Nettomietzins zuzüglich Umsatzsteuer“ vereinbart worden sei, führe der Entfall der Umsatzsteuerpflicht dazu, dass die Klägerin von der Beklagten weder Umsatzsteuer noch den begehrten „Pauschalausgleich“ fordern könne. Auch eine Ermittlung des hypothetischen Parteiwillens ergebe, dass die zur wirtschaftlichen, sparsamen und zweckmäßigen Gebarung verpflichtete Beklagte mit der Verpflichtung zur Leistung solcher „Ausgleichsbeträge“ nicht einverstanden gewesen wäre.
Das Erstgericht gab dem Zahlungsbegehren mit Teilurteil statt. Es ging von einer grundsätzlichen Anwendbarkeit des § 30 UStG auf die dem Vollanwendungsbereich des MRG unterliegenden Mietobjekte aus. Nach dieser Bestimmung stehe der Klägerin ein Anspruch auf Ausgleich jener Nachteile zu, die ihr durch den (durch die Novellierung des § 6 Abs 2 UStG durch das 1. Stabilitätsgesetz 2012 bewirkten) Entfall der Möglichkeit, hinsichtlich der Vermietung von Räumlichkeiten an die Beklagte zur Umsatzsteuerpflicht zu optieren, entstehen. Dieser Anspruch sei auch nicht gemäß § 30 Abs 1 Satz 2 UStG ausgeschlossen, weil die Parteien weder ausdrücklich noch schlüssig „etwas anderes“ vereinbart haben und sie (im Sinn dieser Bestimmung) „auch bei Kenntnis der Änderung kein anderes Entgelt vereinbart hätten“ (dass letzteres der Fall gewesen wäre, konnte das Erstgericht nicht feststellen). Der angemessene Ausgleich nach § 30 UStG bestehe in Höhe der „zuvor“ (also vor Erwerb des Hauses durch die Klägerin) von der Beklagten bezahlten Umsatzsteuer. Die Klägerin habe der Beklagten daher zu Recht „Pauschalausgleichsbeträge“ in dieser Höhe vorgeschrieben.
Das Berufungsgericht hob dieses Teilurteil zur Erweiterung der Sachverhaltsgrundlage auf. Es ging – ebenso wie das Erstgericht – davon aus, dass § 30 UStG auch im Vollanwendungsbereich des MRG anwendbar sei. Der hier zu beurteilende Verlust einer umsatzsteuerrechtlichen Optionsmöglichkeit falle unter die genannte Bestimmung. Es komme dadurch bei der Klägerin zu einer gesetzlich erzwungenen – durch ihren Eintritt als Vermieterin in die bestehenden Mietverträge ausgelösten – Steuerfreiheit ihrer Umsätze und daher zu einem Verlust der Vorsteuerabzugsmöglichkeit. Ob die Parteien bei Kenntnis der Änderung des § 6 Abs 2 UStG durch das 1. Stabilitätsgesetz 2012 ein anderes Entgelt vereinbart hätten, sei aber nicht anhand des (wohl gemeint: im Zuge einer ergänzenden Vertragsauslegung zu ermittelnden) hypothetischen Parteiwillens zu beantworten, sondern stelle eine „Tatfrage“ dar, bei der nicht im Rahmen der rechtlichen Beurteilung zu erforschen sei, welche Regelung redliche Parteien für den ungeregelten Fall getroffen hätten. Es sei vielmehr zu prüfen, ob die Parteien bei Kenntnis der Änderungen des UStG (tatsächlich) ein anderes Entgelt vereinbart hätten. Der Beklagten obliege der Nachweis, dass auch für diesen Fall kein höherer als der ursprüngliche Nettomietzins vereinbart worden wäre.
Um die Parteien mit dieser Rechtsansicht nicht zu überraschen und ihnen Gelegenheit zu entsprechendem Vorbringen zu geben, hob das Berufungsgericht die erstinstanzliche Entscheidung auf. Sollte sich im fortgesetzten Verfahren ergeben, dass ein Anspruch nach § 30 UStG dem Grunde nach zustehe, wäre zu berücksichtigen, „dass durch den vollen Ausgleich der umsatzsteuerlichen Minderbelastung der Mieterin im Ergebnis eine Mehrbelastung der Mieterin eintreten könnte, die aus der fehlenden Möglichkeit der Entlastung der laufenden Aufwendungen um die Vorsteuerbeträge im Sinn des § 15 Abs 2 MRG entsteht“.
Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof sei zulässig, weil zur Frage, ob bei Wegfall der Möglichkeit des Vermieters, für eine Umsatzsteuerpflicht zu optieren, § 30 UStG auch im Vollanwendungsbereich des MRG anwendbar sei, keine höchstgerichtliche Rechtsprechung bestehe. Außerdem sei das Berufungsgericht von der vom Obersten Gerichtshof vertretenen Rechtsansicht abgewichen, wonach neben einer ausdrücklichen oder schlüssigen Vereinbarung auch ein (gemeint: im Rahmen der rechtlichen Beurteilung zu ermittelnder) hypothetischer Parteiwille einen Ausgleichsanspruch nach dieser Bestimmung ausschließt.
Der dagegen erhobene Rekurs der Klägerin ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig. Er ist im Ergebnis auch berechtigt, weil Entscheidungsreife im Sinn des § 519 Abs 2 letzter Satz ZPO vorliegt, die allerdings zur Abweisung des Zahlungsbegehrens führt (vgl RIS-Justiz RS0043853; RS0043939).
Rechtliche Beurteilung
1.1. Gemäß § 6 Abs 1 Z 16 UStG ist die Vermietung und Verpachtung von Grundstücken grundsätzlich – ausgenommen insbesondere zu Wohnzwecken – umsatzsteuerfrei. Gemäß § 6 Abs 2 UStG in der Fassung vor dem 1. Stabilitätsgesetz 2012 (BGBl 2012/22) konnte der Unternehmer einen aus einer solchen Vermietung erzielten Umsatz jedoch als steuerpflichtig behandeln. Durch das 1. Stabilitätsgesetz 2012 wurde diese Optionsmöglichkeit dahin eingeschränkt, dass sie nur mehr dann ausgeübt werden kann, wenn der Leistungsempfänger (also der Mieter) das Mietobjekt nahezu ausschließlich für Umsätze verwendet, die den Vorsteuerabzug nicht ausschließen. Die Optionsmöglichkeit entfällt somit insbesondere dann, wenn das Mietobjekt für unecht steuerfreie Umsätze oder im nicht unternehmerischen Bereich einer Körperschaft öffentlichen Rechts verwendet wird. Die durch das 1. Stabilitätsgesetz 2012 geschaffene Rechtslage ist gemäß § 28 Abs 38 UStG auf Mietverhältnisse anzuwenden, die nach dem 31. August 2012 begonnen haben; der dort genannte Zeitpunkt des Baubeginns ist nur in Fällen der Errichtung des Gebäudes durch den (aktuellen) Vermieter selbst von Bedeutung (vgl auch UStRL 2000 Rz 899c aE). Nach Ansicht der Finanzverwaltung begründet ein Wechsel auf Mieter- oder Vermieterseite für Umsatzsteuerzwecke ein neues Miet- bzw Pachtverhältnis (vgl UStRL 2000 Rz 899c; Kanduth-Kristen/Tschiderer in Berger/Bürgler/Kanduth-Kristen/Wakounig, UStG-ON3.00 § 6 UStG Rz 502; Ruppe/Achatz, Umsatzsteuergesetz5 [2018] § 6 UStG Rz 412/18 und Rz 412/21).
1.2. Gemäß § 30 Abs 1 UStG kann dann, wenn eine Leistung, die nach dem in
§ 28 Abs 1 erster Satz UStG genannten Zeitpunkt (1. 1. 1995) erbracht wird, auf einem Vertrag, der vor dem im
§ 28 Abs 1 erster Satz UStG genannten Zeitpunkt geschlossen worden ist, beruht, der einen Vertragsteil von dem anderen einen angemessenen Ausgleich der umsatzsteuerlichen Mehr- oder Minderbelastung verlangen, falls nach dem UStG ein anderer Steuersatz anzuwenden ist oder der Umsatz steuerpflichtig, steuerfrei oder nicht steuerbar wird. Dies gilt nach § 30 Abs 1 Satz 2 UStG dann nicht, wenn die Parteien ausdrücklich oder schlüssig etwas anderes vereinbart haben oder sie auch bei Kenntnis der Änderungen kein anderes Entgelt vereinbart hätten. Gemäß § 30 Abs 2 UStG ist dessen Abs 1 auch bei einer Änderung des UStG anzuwenden.
2. Beide Vorinstanzen haben die Anwendbarkeit des § 30 UStG auf den vorliegenden Fall von (unstrittig) im Vollanwendungsbereich des MRG gelegenen Mietobjekten bejaht. Ob diese (von der Beklagten nicht geteilte) Rechtsansicht zutrifft, muss schon deshalb nicht geprüft werden, weil – wie zu zeigen sein wird – der Klägerin ohnehin kein Anspruch nach dieser Bestimmung zustünde.
3.1. § 30 UStG ist eine zivilrechtliche Vorschrift, bei deren Auslegung dem Obersten Gerichtshof Leitfunktion zukommt (5 Ob 261/00v). Sie dient der Anpassung langfristiger Verträge an Änderungen des Umsatzsteuerrechts. Die Bestimmung ist – wie sich aus ihrem Wortlaut ergibt – dispositiv und greift nur dann ein, wenn die Parteien für eine bestimmte umsatzsteuerrechtliche Änderung keine andere Vorsorge getroffen haben. Haben sie diese hingegen mitbedacht und vertraglich geregelt, ist § 30 UStG nach seinem Abs 1 Satz 2 nicht anzuwenden. In diesem Fall gilt vielmehr die vertragliche Regelung (vgl Ruppe/Achatz aaO § 30 UStG Rz 2). Während der erste Halbsatz des § 30 Abs 1 Satz 2 UStG darauf abstellt, was die Parteien ausdrücklich oder schlüssig vereinbart haben, ist nach dem zweiten Halbsatz zu prüfen, was die Parteien bei Kenntnis der umsatzsteuerlichen Änderung vereinbart hätten. Der Oberste Gerichtshof führte dazu in seiner Entscheidung 6 Ob 160/01z aus, dass dem Ausgleichsanspruch nach § 30 UStG neben einer ausdrücklichen oder schlüssigen Vereinbarung auch der hypothetische Parteiwille entgegenstehen könne.
3.2. Aufgrund des dispositiven Charakters des Ausgleichsanspruchs nach § 30 UStG ist primär der zwischen den Parteien geschlossene Vertrag auszulegen und zu prüfen, ob dieser eine Regelung für die zu beurteilende Änderung der (Umsatz-)Besteuerung der zu erbringenden (Sach-)Leistung enthält. Hier könnte die ausdrückliche Vereinbarung eines Nettomietzinses (also eines zuzüglich der „gesetzlichen“ oder „anfallenden“ Umsatzsteuer zu zahlenden Mietzinses) darauf hindeuten, dass der Entfall der Umsatzsteuerpflicht von der beklagten Mieterin nicht ausgeglichen werden soll (vgl Rattinger in Melhardt/Tumpel, UStG-Kommentar² [2015] § 30 Rz 7, wonach im Fall einer solchen „Nettovereinbarung“ für die Anwendung des § 30 UStG kein Raum bleibt; in diesem Sinn auch Berger/Tschiderer in Berger/Bürgler/Kanduth-Kristen/Wakounig, UStG-ON3.00 § 30 UStG Rz 1; zu eng wohl das Verständnis des LGZ Wien in 41 R 193/98f = wobl 2000/70 [mit Anmerkungen von Arnold und Würth]; zum Ausschluss eines Ausgleichsanspruchs im Fall einer „Nettopreisvereinbarung“ zur vergleichbaren Bestimmung des § 29 Abs 1 des deutschen UStG vgl etwa auch Heuermann in Sölch/Ringleb, UStG [2018] § 29 UStG Rn 21 mwN sowie Kahsnitz, Zivilrechtliche Anpassungsansprüche im Zusammenhang mit der Änderung von Umsatzsteuersätzen, DStR 2020, 1861 [1864]). Ein verlässlicher Schluss darauf, dass die Parteien im Fall einer Gesetzesänderung den in § 30 UStG vorgesehenen Ausgleichsanspruch ausschließen wollten, lässt sich daraus aber wohl noch nicht ziehen. Dass die Parteien über die genannten „Mietzinsklauseln“ hinaus eine konkrete Regelung für den Fall des Wegfalls der Umsatzsteuerpflicht getroffen hätten, behauptete die Beklagte nicht.
4.1. Nach den Gesetzesmaterialien (1715 Blg 18. GP 71) dient § 30 UStG der Anpassung „langfristiger Verträge“ an Steuersatz- bzw Steuerbefreiungsänderungen. Die genannte Bestimmung will eine faire und ausgewogene Vertragssituation herstellen, wenn gesetzliche Änderungen eintreten, mit denen die Parteien bei Vertragsabschluss nicht gerechnet haben und die einen Vertragspartner wirtschaftlich benachteiligen oder den anderen besser stellen, als ursprünglich angenommen. Ein solcher Schutz der Vertragsparteien ist – wie sich aus Abs 1 Satz 1 leg cit klar ergibt – nur dann erforderlich, wenn zwar der Vertrag vor Inkrafttreten der umsatzsteuerrechtlichen Änderung geschlossen wurde, daraus geschuldete Leistungen hingegen (auch) nach diesem Zeitpunkt erbracht werden, weil nur in diesem Fall die Gefahr besteht, dass es zu für die Parteien überraschenden Eingriffen in die von ihnen getroffene Preisvereinbarung – und zu damit verbundenen Mehr- oder Minderbelastungen – kommt, die bei Vertragsabschluss nicht mitbedacht werden konnten.
4.2. Ein solches „Überraschungsmoment“, vor dem § 30 UStG die Parteien „langfristiger“ Verträge schützen soll, lag beim Eintritt der Klägerin auf Vermieterseite in die bestehenden Mietverträge mit der Beklagten aber gerade nicht vor. Die Änderung des § 6 Abs 2 UStG durch das 1. Stabilitätsgesetz 2012 dahin, dass der Vermieter nicht mehr auf die Umsatzsteuerbefreiung nach § 6 Abs 1 Z 16 UStG verzichten kann, wenn der Mieter das Mietobjekt nicht nahezu ausschließlich für Umsätze verwendet, die einen Vorsteuerabzug nicht ausschließen, stand bereits seit 2012 in Geltung, wohingegen die Klägerin erst 2018 durch den Erwerb des Hauses auf Vermieterseite in die bestehenden Mietverträge mit der Beklagten eintrat. Unter der Prämisse, dass mit diesem Vertragseintritt umsatzsteuerrechtlich ein neues Vertragsverhältnis begann (worauf die Klägerin ihren Ausgleichsanspruch stützt), stand dieses also von vornherein unter Umsatzsteuerfreiheit, weil die Klägerin – da die Beklagte die Mietobjekte (unstrittig) nicht nahezu ausschließlich für Umsätze verwendet, die einen Vorsteuerabzug nicht ausschließen – nicht zur Steuerpflicht optieren konnte. Diese umsatzsteuerrechtliche Vorgabe war für die Klägerin keinesfalls überraschend, vielmehr konnte sie sich – als sie das Haus erwarb, wodurch es zivilrechtlich zum Eintritt in die Mietverträge und steuerrechtlich zum Beginn neuer Mietverhältnisse kam – auf die bestehende Rechtslage einstellen und wirtschaftlich abwägen, ob sie die Investition dennoch vornehmen will. Von einer umsatzsteuerlichen Mehrbelastung der Klägerin durch eine Änderung des UStG im Sinn des § 30 Abs 2 UStG kann daher keine Rede sein, vielmehr beruhen die Konsequenzen aus der Änderung des § 6 Abs 2 UStG durch das 1. Stabilitätsgesetz 2012, deren „Ausgleich“ die Klägerin begehrt, allein auf ihrem Kaufentschluss. Einen Ersatzanspruch nach § 30 UStG, der voraussetzt, dass sich die Parteien nicht auf eine künftige Änderung des UStG einstellen konnten, kann sie daher nicht berechtigt geltend machen.
5. Im Ergebnis ist damit das auf § 30 UStG gestützte Zahlungsbegehren abzuweisen.
6. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.
Textnummer
E129896European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2020:0010OB00165.20A.1020.000Im RIS seit
01.12.2020Zuletzt aktualisiert am
17.01.2022