Entscheidungsdatum
05.11.2020Index
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
B-VG Art. 20 Abs4Text
Das Verwaltungsgericht Wien hat durch seinen Richter Mag. Pühringer über die Beschwerde des Dr. A. B. vom 30. September 2020 betreffend Erteilung einer Auskunft gemäß Art. 20 Abs. 4 B-VG durch den Österreichischen Rundfunk den
BESCHLUSS
gefasst:
I. Die Beschwerde wird als unzulässig zurückgewiesen.
II. Gegen diesen Beschluss ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig.
Begründung
I. Verfahrensgang und festgestellter Sachverhalt
1. Der Beschwerdeführer begehrte mit Schreiben vom 29. August 2020 vom Österreichischen Rundfunk (ab hier: ORF) die Auskunft über die verwendete "Informationsgrundlage" in Zusammenhang mit der Berichterstattung des ORF über einen bestimmten Polizeieinsatz. In weiterer Folge verlangte der Beschwerdeführer, dass über sein Auskunftsbegehren bescheidmäßig abgesprochen werde.
2. Mit Schreiben des ORF vom 21. September 2020 wurde der Beschwerdeführer darüber informiert, dass diese Auskunft nicht erteilt werde.
3. Mit dem vorliegenden ausdrücklich als "Bescheidbeschwerde" bezeichneten Schriftsatz vom 30. September 2020 wendet sich der Beschwerdeführer gegen dieses vom Beschwerdeführer als "Entscheidung des ORF-Generaldirektors" bezeichnete Schreiben des ORF vom 21. September 2020. Dieser Schriftsatz wurde offenbar per E-Mail bei einem Mitarbeiter des ORF eingebracht, ist aber ausdrücklich das das "Landesverwaltungsgericht Wien" adressiert und nennt den "Generaldirektor des Österr. Rundfunk-ORF" als "Belangte Behörde". Der Schriftsatz enthält weiters den Betreff "Nichterteilung einer Auskunft gem. Art 20 Abs 4 B-VG iVm AuskunftspflichtG".
4. Ein Mitarbeiter des ORF richtete am 5. Oktober 2020 ein Schreiben an den Beschwerdeführer, in welchem dem Beschwerdeführer – zusammengefasst - mitgeteilt wurde, dass der ORF mangels Behördenqualität keine Bescheide erlassen könne und die Beschwerde daher nicht dem Gericht übermittelt werde.
5. Mit Schreiben vom 12. Oktober 2020 legte der Beschwerdeführer seine Beschwerde vom 30. September 2020 dem Verwaltungsgericht Wien vor, weil der ORF die Beschwerde nicht vorlege. Er ersuche das Gericht, den ORF aufzufordern, die Beschwerde dem Gericht vorzulegen.
6. Diese Feststellungen ergeben sich aus den vom Beschwerdeführer mit der Beschwerde vorgelegten Unterlagen; an den Angaben des Beschwerdeführers in seinen Schriftsätzen hegt das Verwaltungsgericht Wien keinen Zweifel. Von der Einholung weiterer allenfalls beim ORF vorrätiger Unterlagen zu der Angelegenheit konnte abgesehen werden, weil sich der entscheidungserhebliche Sachverhalt bereits aus dem vorliegenden vom Beschwerdeführer vorgelegten Schriftverkehr ersehen lässt.
II. Rechtliche Beurteilung
1. Die vorliegende Beschwerdeangelegenheit betrifft ein Auskunftsbegehren des Beschwerdeführers iSd Art. 20 Abs. 4 B-VG an den ORF.
Gemäß Art. 20 B-VG haben alle mit Aufgaben der Bundes-, Landes- und Gemeindeverwaltung betrauten Organe sowie die Organe anderer Körperschaften des öffentlichen Rechts über Angelegenheiten ihres Wirkungsbereiches Auskünfte zu erteilen, soweit eine gesetzliche Verschwiegenheitspflicht dem nicht entgegensteht; berufliche Vertretungen sind nur gegenüber den ihnen jeweils Zugehörigen auskunftspflichtig und dies insoweit, als dadurch die ordnungsgemäße Erfüllung ihrer gesetzlichen Aufgaben nicht verhindert wird. Die näheren Regelungen sind hinsichtlich der Organe des Bundes sowie der durch die Bundesgesetzgebung zu regelnden Selbstverwaltung in Gesetzgebung und Vollziehung Bundessache, hinsichtlich der Organe der Länder und Gemeinden sowie der durch die Landesgesetzgebung zu regelnden Selbstverwaltung in der Grundsatzgesetzgebung Bundessache, in der Ausführungsgesetzgebung und in der Vollziehung Landessache.
2. Im Beschwerdefall ist zunächst zu klären, ob der ORF von der Auskunftspflicht des Art. 20 Abs. B-VG erfasst wird:
Art. 20 Abs. 4 B-VG verpflichtet "alle mit Aufgaben der Bundes-, Landes- und Gemeindeverwaltung betraute Organe" zur Auskunftserteilung. Art. 20 Abs. 4 B-VG knüpft mit dieser Wendung in Satz 1 aber nicht an einen organisatorischen, sondern einen funktionellen Organbegriff an. Damit werden nicht nur Organe, die organisatorisch den Gebietskörperschaften zuzurechnen sind und Verwaltungsaufgaben besorgen, zur Auskunftserteilung verpflichtet, sondern auch solche, die ohne organisatorisch in die Verwaltungsorganisation eingegliedert zu sein, mit der Besorgung von Verwaltungsaufgaben betraut sind, zur Auskunftserteilung nach Art. 20 Abs. 4 B-VG verpflichtet (VwGH 24.5.2018, Ro 2017/07/0026).
Beim ORF handelt es sich als Stiftung des öffentlichen Rechts (vgl. § 1 Abs. 1 ORF-G) zweifellos um eine Körperschaft des öffentlichen Rechts. Um der Auskunftspflicht iSd § 20 Abs. 4 B-VG zu unterliegen, müsste der ORF aber mit Aufgaben der Bundes-, Landes- oder Gemeindeverwaltung betraut sein. Eine solche Beurteilung ist anhand der dem ORF konkret übertragenen Aufgaben und Befugnisse vorzunehmen.
Kompetenzrechtlich fußt das ORF-Gesetz und die daraus erwachsene Einrichtung des ORF auf dem Bundesverfassungsgesetz vom 10. Juli 1974 über die Sicherung der Unabhängigkeit des Rundfunks, BGBl. 396/1974 (ab hier: BVG Rundfunk), welches Rundfunk als eine "öffentliche Aufgabe" definiert (Art. I Abs. 3 BVG Rundfunk). Dem ORF kommt gemäß § 1 Abs. 2 ORF-G ein öffentlich-rechtlicher Auftrag zu, welcher in den §§ 3 bis 5 ORF-G näher definiert wird. Dieser öffentlich-rechtliche Auftrag bezieht sich etwa auf den Betrieb einer bestimmten Anzahl an Hörfunk- und Fernsehprogrammen (Versorgungsauftrag) oder die Erreichung bestimmter Informations- und Förderungsziele (öffentlich-rechtlicher Kernauftrag). Hoheitlich-behördliche Befugnisse werden dem ORF organisationsrechtlich nicht eingeräumt. Die Auskunftspflicht trifft die Organe jedoch nicht nur im Bereich der Hoheitsverwaltung, sondern auch in jenem der Privatwirtschaftsverwaltung (VwGH 29.3.2017, Ra 2017/10/0021). Relevant ist demnach, ob der ORF iSd Art. 20 Abs. 4 B-VG "Aufgaben der Verwaltung" besorgt. Dies ist für das Verwaltungsgericht Wien aus folgenden Gründen zu verneinen:
Der ORF ist einer von vielen Anbietern am österreichischen Medienmarkt. Auf Grund der Bestimmungen des Privatradiogesetzes und des Audiovisuelle Mediendienste-Gesetzes sind neben dem ORF zahlreiche andere Radio- und Fernsehanstalten für das Senden von Rundfunkprogrammen zugelassen. Die Verbreitung von Rundfunk ist demnach nicht per se als Verwaltungshandeln einzustufen, kann es doch von jedem Privaten nach Erfüllen der gesetzlichen Voraussetzungen aufgenommen werden und weist keinen zwingenden Nahebezug zu staatlichem Handeln auf. Den ORF unterscheidet von anderen Mediendienstanbietern im Wesentlichen, dass er per Gesetz eingerichtet wurde und einen öffentlich-rechtlichen Auftrag zu erfüllen hat. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang aber, dass auch Mediendienstanbieter nach dem Audiovisuelle Mediendienste-Gesetz und dem Privatradiogesetz bestimmte inhaltliche Anforderungen an ihre Programmgestaltung einhalten müssen (vgl. die §§ 29ff AMD-G sowie die §§ 16 ff PrR-G). Gesetzliche Anforderungen an die Inhalte von öffentlich verfügbaren Mediendiensten treffen demnach auch solche Mediendienstanbieter, welche zweifellos keine Aufgaben der Verwaltung besorgen. Wenngleich der öffentlich-rechtliche Auftrag des ORF über die Anforderungen an private Mediendienstanbieter hinausgeht, ist in diesem öffentlich-rechtlichen Auftrag für das Verwaltungsgericht Wien kein ausreichend konkreter Zusammenhang zu staatlichen Aufgaben abzuleiten, um im Handeln des ORF ein Verwaltungshandeln zu erkennen. In diesen Zusammenhang ist auf die bereits zitierte Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes vom 24. Mai 2018, Ro 2017/07/0026, zu verweisen, wo der Verwaltungsgerichtshof die Auskunftspflicht der Umweltbundesamt GmbH mit deren "Aufgaben, die durch Gesetz übertragen werden und eng mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden sind" begründet hat. Solche mit Ausübung öffentlicher Gewalt verbundenen Aufgaben kommen dem ORF nicht zu.
Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass zahlreiche gesetzliche Bestimmungen gerade darauf abzielen, den ORF dem Zugriff staatlicher Verwaltung weitestgehend zu entziehen. So stellt schon Art. I Abs. 2 BVG Rundfunk das Erfordernis auf, die Unabhängigkeit der in weiterer Folge durch das ORF-Gesetz eingerichteten Rundfunkanstalt sicherzustellen. Der Generaldirektor des ORF ist dementsprechend gemäß § 22 Abs. 3 ORF-G und die Mitglieder der Kollegialorgane des ORF gemäß § 19 Abs. 2 ORF-G weisungsfrei gestellt, die journalistischen Mitarbeiter des ORF genießen gemäß § 32 Abs. 1 ORF-G Unabhängigkeit.
In Anbetracht dieser Organisation und Aufgaben des ORF ist für das Verwaltungsgericht Wien nicht zu erkennen, dass der ORF Aufgaben der Verwaltung besorgt. Er unterliegt dementsprechend auch nicht der Auskunftspflicht iSd Art. 20 Abs. 4 B-VG.
3. Nach dem eben dargelegtem kann der ORF bzw. eines seiner Organe (wie etwa der Generaldirektor) keinen Bescheid über die Verweigerung der Auskunft in Zusammenhang mit einem Auskunftsbegehren iSd Art. 20 Abs. 4 B-VG erlassen (vgl. zur Pflicht zur Erlassung eines Bescheids bei Verweigerung der Auskunft § 4 AuskunftspflichtG bzw. § 3 Abs. 3 Wr. AuskunftspflichtG). Dem vom Beschwerdeführer in seiner Beschwerde genannten Schreiben "Entscheidung des ORF-Generaldirektors per mail vom 21.09.2020" kommt demnach keine Bescheidqualität zu, weshalb kein tauglicher Anfechtungsgegenstand für eine Beschwerde vorliegt und die Beschwerde als unzulässig zurückzuweisen ist (VwGH 15.03.2018, Ra 2017/21/0254).
4. Der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass sich die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts Wien für die Zurückweisung der Beschwerde aus der Generalklausel des Art. 131 Abs. 1 B-VG ergibt, nachdem mangels Vollziehens von Verwaltung jedenfalls keine Vollziehung von Bundesverwaltung vorliegt (vgl. VwGH 25.02.2020, Ro 2019/11/0010). Im Übrigen hat der Beschwerdeführer ausdrücklich eine Entscheidung über seine Beschwerde durch das Verwaltungsgericht Wien begehrt. Sollte entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts Wien im Handeln des ORF eine Vollziehung des Bundes unmittelbar durch Bundesbehörden zu erkennen sein, wäre das Verwaltungsgericht des Landes für ein Beschwerdeverfahren wegen Verweigerung der Auskunftspflicht iSd Art. 20 Abs. 4 B-VG unzuständig und das Bundesverwaltungsgericht zuständig.
5. In Anbetracht dieses Ergebnisses erübrigt sich ein Eingehen auf die weiteren Zulässigkeitsvoraussetzungen der Beschwerde iSd § 9 Abs. 1 VwGVG. Eine Vorlage der Beschwerde durch eine belangte Behörde kam im vorliegenden Fall nicht in Betracht, zumal der Beschwerde keine behördliche Entscheidung zugrunde liegt.
4. Diese Entscheidung konnte gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG ohne Durchführung einer – von keiner Verfahrenspartei beantragten – öffentlichen mündlichen Verhandlung getroffen werden.
5. Soweit für das Verwaltungsgericht Wien überblickbar, liegt keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichthofes dazu vor, ob der Österreichische Rundfunk der Auskunftspflicht des Art. 20 Abs. 4 B-VG unterliegt. Diese Frage ist weder aus dem Gesetzeswortlaut noch aus der vorliegenden Rechtsprechung zweifelsfrei zu beantworten und könnte sich in einer Vielzahl weiterer Verfahren stellen, weshalb eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung vorliegt. Die ordentliche Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist deshalb zuzulassen.
Schlagworte
Auskunftsbegehren; Österreichischer Rundfunk; Körperschaft; AuskunftspflichtEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGWI:2020:VGW.101.032.13138.2020Zuletzt aktualisiert am
02.12.2020