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62 Arbeitsmarktverwaltung;Norm
AlVG 1977 §36 Abs3 litb sublitd idF 1993/817;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Knell und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Novak, Dr. Sulyok und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hackl, über die Beschwerde des R in W, vertreten durch Dr. Beatrix Wollner, Rechtsanwältin in 1020 Wien, Hollandstraße 12/6, gegen den aufgrund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom 22. Dezember 1995, Zl. Abt. 12/7022/7100 B, betreffend Widerruf und Rückforderung von Notstandshilfe für den Zeitraum vom 1. Jänner bis 31. Dezember 1993, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Arbeit, Gesundheit und Soziales) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen von S 12.860,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der am 14. September 1939 geborene Beschwerdeführer ist (nachdem er zuvor von 1978 bis 30. Juni 1991 in einem Unternehmen in Beschäftigung stand) seit 1. Juli 1991 arbeitslos. Nach Ruhen des Arbeitslosengeldes vom 1. Juli bis 7. Juli 1991 bezog er im Zeitraum vom 8. Juli 1991 bis 2. August 1992 Arbeitslosengeld (mit einer Unterbrechung wegen eines Krankengeldbezuges vom 4. Juni bis 1. Juli 1992) und bezieht seit 3. August 1992 Notstandshilfe.
Bei erstmaliger Beantragung der Notstandshilfe am 2. Juli 1992 hat der Beschwerdeführer angegeben, daß seine Ehegattin Renate selbständig erwerbstätig sei. Einer mit der Ehegattin des Beschwerdeführers aufgenommenen Niederschrift vom 16. Juli 1992 zufolge erklärte diese an Eides Statt, daß ihr Einkommen aus selbständiger Erwerbstätigkeit im Jahr 1992 "voraussichtlich Null" betragen werde. Gleichzeitig verpflichtete sich der Beschwerdeführer für den Fall eines entsprechenden Einkommens der Ehegattin aus selbständiger Erwerbstätigkeit zu Unrecht bezogene Leistungen dem Arbeitsamt rückzuerstatten. Gleiches wiederholte sich aus Anlaß der nächsten Antragstellung des Beschwerdeführers auf Notstandshilfe vom 29. Juli 1993: In der Niederschrift vom 19. August 1993 gab die Ehegattin des Beschwerdeführers an, daß ihr Einkommen auch im Jahr 1993 voraussichtlich Null betragen werde.
Am 7. Juli 1995 langte beim Arbeitsmarktservice der Einkommensteuerbescheid der Ehegattin des Beschwerdeführers für das Jahr 1993 ein. Danach bezog sie in diesem Jahr Einkünfte aus Gewerbebetrieb in der Höhe von S 244.819,--. Unter Berücksichtigung der Sonderausgaben (Aufwendungen für Personenversicherung bzw. Wohnraumschaffung in der Höhe von S 17.771,--, Verlustabzug in der Höhe von S 255.839,--) ergab sich daraus kein steuerbares Einkommen, weshalb die Einkommensteuer mit Null festgesetzt wurde.
Mit Bescheid vom 20. Juli 1995 hat das Arbeitsmarktservice Versicherungsdienste gemäß § 38 in Verbindung mit § 24 Abs. 2 Arbeitslosenversicherungsgesetz 1977 den Bezug der Notstandshilfe des Beschwerdeführers für den "nachstehend angeführten Zeitraum" widerrufen und ihn gemäß § 38 in Verbindung mit § 25 Abs. 1 AlVG zur Rückzahlung der unberechtigt empfangenen Notstandshilfe "in dem angeführten Gesamtbetrag" verpflichtet, wobei im Spruch dieses Bescheides eine Rückforderung von "37.423,-- von 930101 BIS 931231" ausgewiesen ist. Abgesehen von Hinweisen auf die angewendeten gesetzlichen Bestimmungen enthielt dieser Bescheid zum Ermittlungsverfahren lediglich die Begründung, daß das Einkommen der Ehegattin des Beschwerdeführers laut Einkommensteuerbescheid 1993 trotz Berücksichtigung von Freigrenzen die Höhe der Notstandshilfe übersteige.
Der Beschwerdeführer erhob Berufung, in der er im wesentlichen die Gesetzmäßigkeit der Einkommensermittlung durch die Behörde bestritt.
Mit dem nunmehr in Beschwerde gezogenen Bescheid hat die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers als unbegründet abgewiesen und dies - nach Hinweisen auf die angewendeten Gesetzesbestimmungen und den Gang des Verfahrens - im wesentlichen damit begründet, daß § 36 Abs. 3 lit. B sublit. d AlVG normiere, es sei bei Ermittlung des anrechenbaren Einkommens des Ehegatten vom Gesamtbetrag der Einkünfte gemäß § 2 EStG 1988 die Einkommensteuer abzuziehen. Demnach blieben die Sonderausgaben bei der Einkommensermittlung nach dem AlVG unberücksichtigt. Die "entgegenstehende Vorschrift in § 2 EStG" sei eine steuerrechtliche Vorschrift, die im AlVG nicht anzuwenden sei. Die in der Berufung des Beschwerdeführers angeführte Notstandshilfeverordnung definiere den Einkommensbegriff bei selbständiger Erwerbstätigkeit nicht näher. Das anrechenbare Einkommen der Ehegattin für das Jahr 1993 sei demnach wie folgt zu ermitteln gewesen: Die Einkünfte aus Gewerbebetrieb in der Höhe von S 244.819,-- seien voll anzurechnen, da für das Jahr 1993 keine Einkommensteuer gezahlt würde. Bei der Einkommensermittlung blieben die Sonderausgaben außer Betracht. Der Verlustabzug in der Höhe von S 255.839,-- stamme aus früheren Jahren und habe als rein steuerrechtliche Vorschrift auf die Ermittlung des anrechenbaren Einkommens nach dem AlVG keinen Einfluß.
Das anzurechnende monatliche Einkommen ermittelte die Behörde wie folgt:
"Anrechenbares Nettoeinkommen S 20.402,--
Freigrenze für Gatten S 5.215,--
Freigrenzenerhöhung um 50 % S 2.607,--
anrechenbares Einkommen S 12.580,--"
Da der Notstandshilfe-Tagsatz für 1993 nach der Lohnklassentabelle S 376,50 betrage und das anrechenbare Einkommen der Ehegattin täglich S 414,--, und somit die Notstandshilfe übersteige, sei der Notstandshilfebezug für die Zeit vom 1. Jänner 1993 bis 31. Dezember 1993 zu widerrufen und der zu Unrecht empfangene Betrag gemäß § 25 Abs. 1 AlVG zurückzufordern gewesen. Der Berufungseinwand, wonach vom Einkommen des Jahres 1993 nur S 80.000,-- tatsächlich aus dem Betrieb entnommen worden seien, habe sich auf die Entscheidung nicht auswirken können, da gemäß § 36 Abs. 3 lit. B sublit. d AlVG bei der Ermittlung des anrechenbaren Einkommens des Ehegatten vom Gesamtbetrag der Einkünfte lediglich die Einkommensteuer abzuziehen sei.
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der die Behandlung dieser Beschwerde mit Beschluß vom 17. Juli 1996, B 563/96, abgelehnt und sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten hat.
In seiner vor dem Verwaltungsgerichtshof erstatteten Beschwerdeergänzung erachtet sich der Beschwerdeführer durch den angefochtenen Bescheid in seinem Recht auf Notstandshilfe verletzt; er beantragt - der Sache nach - den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Die belangte Behörde hat im verwaltungsgerichtlichen Verfahren die Verwaltungsakten vorgelegt, die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt, jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand genommen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Der Beschwerdeführer wendet sich gegen den angefochtenen
Bescheid unter zwei Gesichtspunkten: Zum einen hält er die Heranziehung der Einkünfte aus Gewerbebetrieb unter Außerachtlassung der Sonderausgaben im wesentlichen mit der Begründung für rechtswidrig, bei der Gewinnermittlung gemäß § 4 Abs. 1 EStG entspreche der ausgewiesene Gewinn nicht dem tatsächlichen Einkommen im Sinne der Beurteilung der maßgeblichen wirtschaftlichen Verhältnisse, die im Sinne des § 36 Abs. 3 lit. B sublit. d AlVG maßgebend seien. Der "tatsächliche Erlös" werde durch "unbare und bewertungstechnische Vorgänge verzerrt"; hingegen ergebe eine "Cash-flow-Analyse", die der Beschwerdeführer im Verfahren vorgelegt habe, einen tatsächlichen Barmittelzufluß von nur S 46.000,--, wobei allerdings festgestellt werde, daß dem Unternehmen tatsächlich sogar mehr, nämlich S 80.000,-- sowie S 13.000,-- Sonderausgaben entnommen worden seien, um die Lebenshaltungskosten zu bestreiten. Auch sei der angefochtene Bescheid rechtswidrig, weil gemäß § 36 Abs. 3 lit. B sublit. b AlVG ab 1. August 1993 der Freibetrag um 100 % zu erhöhen gewesen wäre. Die übrigen Voraussetzungen dieser Gesetzesstelle lägen vor.
Was zunächst den ersten Einwand des Beschwerdeführers betrifft, so vermag ihm der Verwaltungsgerichtshof nicht zu folgen:
Gemäß § 36 Abs. 3 lit. A sublit. f AlVG (die in dieser Fassung während des gesamten Zeitraumes vom 1. Jänner bis 31. Dezember 1993 in Geltung stand) ist bei Beurteilung der Notlage zur Berücksichtigung des Einkommens des Arbeitslosen bei der Ermittlung des Einkommens aus einer selbständigen Erwerbstätigkeit - ausgenommen einem Einkommen aus einem land(forst)wirtschaftlichen Betrieb - § 12 Abs. 9 sinngemäß anzuwenden. Gemäß § 36 Abs. 3 lit. B sublit. d AlVG gilt dies auch bei Berücksichtigung des Einkommens des Ehepartners.
Gemäß § 12 Abs. 9 AlVG in der Fassung der Novellen BGBl. Nr. 615/1987 und 364/1989 wird das Einkommen aus selbständiger Erwerbstätigkeit aufgrund des Einkommensteuerbescheides für das Kalenderjahr, in dem Arbeitslosengeld bezogen wird, festgestellt, wobei dem Einkommen nach § 2 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes 1988, BGBl. Nr. 400, in der jeweils geltenden Fassung, unter Außerachtlassung von Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit (§ 25 EStG 1988) die im Einkommensteuerbescheid angeführten Freibeträge und Sonderausgaben sowie die Beträge nach den §§ 9 und 10 EStG 1988 hinzuzurechnen sind.
§ 36 Abs. 3 lit. A und B AlVG sind zwar Bestimmungen, die vom Verordnungsgeber bei Erlassung der Richtlinien im Sinne des § 36 Abs. 1 AlVG zu beachten sind; gleichwohl wurde durch die Notstandshilfeverordnung (vgl. deren § 5 Abs. 5 in der Fassung der Verordnung BGBl. Nr. 429/1990) § 12 Abs. 9 AlVG textgleich in die Verordnung übernommen.
Der Beschwerde ist zwar - obgleich sie dies nicht ausdrücklich rügt - zuzugeben, daß die belangte Behörde - ungeachtet dessen, daß sie zeitraumbezogen den Anspruch des Beschwerdeführers auf Notstandshilfe im Zeitraum vom 1. Jänner 1993 bis 31. Dezember 1993 zu beurteilen hatte - von einer unrichtigen Fassung des Gesetzes ausgegangen ist: Die von ihr zitierte Bestimmung des § 36 Abs. 3 lit. B sublit. d AlVG, wonach bei Ermittlung des Einkommens aus Einkünften im Sinne des § 2 Abs. 3 Z. 2, 3 und 5 bis 7 EStG 1988 vom Gesamtbetrag der Einkünfte die darauf entfallende Lohnsteuer abzuziehen sei, wurde nämlich erst durch die Novelle BGBl. Nr. 817/1993 mit Wirkung vom 1. Jänner 1994 eingeführt. Dies ändert jedoch nichts am Ergebnis: Die belangte Behörde hat jedenfalls zu Recht die Sonderausgaben entsprechend den zitierten Bestimmungen der Notstandshilfeverordnung unberücksichtigt gelassen und die Einkünfte aus Gewerbebetrieb in der Höhe von S 244.819,-- als Einkommen der Ehegattin der weiteren Berechnung zugrunde gelegt.
Die belangte Behörde hat allerdings - und insoweit ist die Beschwerde im Recht - weiters übersehen, daß am 1. August 1993 sowohl eine Novelle zum Arbeitslosenversicherungsgesetz (BGBl. Nr. 502/1993) als auch eine Änderung der Notstandshilfeverordnung (vgl. die Verordnung BGBl. Nr. 533/1993) in Kraft getreten ist, die für den Zeitraum vom 1. August 1993 bis 31. Dezember 1993 die Freibetragsregelung bei der Anrechnung von Einkünften des Ehegatten zugunsten des Beschwerdeführers geändert hat: Gemäß § 6 Abs. 3 der Notstandshilfeverordnung in der Fassung der Verordnung BGBl. Nr. 533/1993 (insoweit übereinstimmend mit der Bestimmung des § 36 Abs. 3 lit. B sublit. d AlVG in der Fassung des Art. IV Z. 8 der Beschäftigungssicherungsnovelle 1993, BGBl. Nr. 502/1993) beträgt die Freigrenze pro Monat S 10.430,-- für den das Einkommen beziehenden Ehepartner (Lebensgefährten bzw. die Lebensgefährtin) und S 5.254,-- für jede Person, für deren Unterhalt der Ehepartner (Lebensgefährte oder die Lebensgefährtin) aufgrund einer rechtlichen oder sittlichen Pflicht tatsächlich wesentlich beiträgt, wenn der Arbeitslose nach dem 50. Lebensjahr einen Anspruch auf Arbeitslosengeld für die Dauer von 52 Wochen (§ 18 Abs. 2 lit. b AlVG) oder länger erschöpft hat.
Diese Voraussetzungen liegen im Beschwerdefall vor: Der am 14. September 1939 geborene Beschwerdeführer vollendete demnach am 14. September 1989 das 50. Lebensjahr und schöpfte im Zeitraum vom 8. Juli 1991 bis 2. August 1992 (mit Unterbrechung 4. Juni bis 1. Juli 1992) einen Arbeitslosengeldanspruch von 52 Wochen aus. Wendet man aber die doppelte Freigrenze (einschließlich der bewilligten Freigrenzenerhöhung um 50 %) im Beschwerdefall an, gelangt man für den Zeitraum vom 1. August bis 31. Dezember 1993 zu einem anrechenbaren Einkommen von nur monatlich S 4.757,-- bzw. S 158,50 täglich, welches den Notstandshilfeanspruch des Beschwerdeführers in diesem Zeitraum von S 376,50 täglich nicht überschreitet.
Die belangte Behörde hat daher durch die Anwendung einer im maßgebenden Beurteilungszeitraum 1. August bis 31. Dezember 1993 nicht in Geltung stehenden Norm den angefochtenen Bescheid insoweit mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet.
Da der angefochtene Bescheid, mit dem die Berufung des Beschwerdeführers gegen den erstinstanzlichen Bescheid abgewiesen wurde, eine Teilung nicht zuläßt, war er auch zur Vermeidung von Unklarheiten zur Gänze gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1997:1996080220.X00Im RIS seit
18.10.2001