TE Bvwg Erkenntnis 2020/7/30 W150 2207622-1

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Veröffentlicht am 30.07.2020
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Entscheidungsdatum

30.07.2020

Norm

AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs2
AsylG 2005 §3 Abs3 Z1
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W150 2207308-1/16E
W150 2207622-1/24E
W150 2207309-1/15E
W150 2207311-1/13E
W150 2207310-1/17E
W150 2207312-1/10E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. KLEIN als Einzelrichter über die Beschwerden von 1.) Herrn XXXX , geb. XXXX 1971, StA. Afghanistan, 2.) Frau XXXX , geb. XXXX 1972, StA. Afghanistan, 3.) der mj. XXXX , geb. XXXX 2004, StA. Afghanistan, vertreten durch die Zweitbeschwerdeführerin als Mutter und gesetzliche Vertreterin, 4.) Herrn XXXX , geb. XXXX 2001, StA. Afghanistan, 5.) Herrn XXXX , geb. XXXX 2000, StA. Afghanistan, und 6.) der mj. XXXX , geb. XXXX 2011, StA. Afghanistan, vertreten durch die Zweitbeschwerdeführerin als Mutter und gesetzliche Vertreterin, alle vertreten durch Herrn RA Edward W. DAIGNEAULT, Lerchenfelder Gürtel 45/11, 1160 Wien, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 31.08.2018, Zlen. 1.) XXXX , 2.) XXXX , 3.) XXXX , 4.) XXXX , 5.) XXXX und 6.) XXXX , nach Durchführung von zwei mündlichen Verhandlungen zu Recht:

A)

Den Beschwerden wird stattgegeben und XXXX und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005, in der Fassung BGBl. I Nr. 145/2017, sowie XXXX , XXXX , XXXX und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 in Verbindung mit § 34 Abs. 2 AsylG 2005 der Status von Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX und XXXX , sowie XXXX , XXXX , XXXX und XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1.       Die Beschwerdeführer, nämlich ein Ehepaar und deren (zu diesem Zeitpunkt) minderjährige Kinder wurden am 05.09.2016 nach illegaler Einreise in das Bundesgebiet bei Bruck /Leitha im Zug aus Richtung Budapest kommend aufgegriffen. Sie stellten danach die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz.

2.       Am 06.09.2016 wurden der Erstbeschwerdeführer (in der Folge: „BF1“) und die Zweitbeschwerdeführerin (in der Folge: „BF2“) in Wien durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Erstbefragung unterzogen. Dabei gab der BF1 im Wesentlichen Folgendes an: Er sei afghanischer Staatsangehöriger, Volksgruppenzugehörigkeit XXXX , sowie schiitisch-muslimischen Glaubens und stamme aus Ghazni, XXXX . Sie hätten Afghanistan am XXXX 02.2016 illegal zu Fuß in den Iran verlassen, wären weiters über die Türkei nach Griechenland gelangt, dort 6 Monate geblieben und von dort über Mazedonien, Serbien und Ungarn nach Österreich gekommen. Befragt nach seinen Fluchtgründen gab er an, die Sicherheitslage in ihrer Provinz sei sehr schlecht gewesen, er hätte Angst um das Leben seiner Kinder gehabt, es wäre diesen nicht möglich gewesen sicher in die Schule zu gehen, es habe täglich Anschläge gegeben.

Die BF2 und die Dritt- bis Sechstbeschwerdeführer (in der Folge: „BF3“, „BF4“, „BF5“ und „BF6“) gaben an, ebenfalls afghanische Staatsangehörige, Volksgruppenzugehörigkeit XXXX , sowie schiitisch-muslimischen Glaubens, zu sein und bestätigten im Wesentlichen die Angaben des BF1. Die BF2 machte als Fluchtgrund geltend, dass die Sicherheitslage in XXXX sehr schlecht gewesen sei, vor allem für Frauen und Mädchen sei es dort sehr gefährlich. Sie hätte Angst um das Leben ihrer Kinder gehabt und wolle nicht, dass ihre Tochter wie eine Gefangene leben muss. Der BF4 machte als Fluchtgrund geltend, dass er wegen der schlechten Sicherheitslage nicht die Möglichkeit gehabt habe in die Schule zu gehen. Die Taliban, derentwegen die Schulen bis zu einem Monat geschlossen gewesen wären, hätten die Leute bedroht. Er wolle zur Schule gehen und sich weiterbilden. Der BF5 machte als Fluchtgrund geltend, dass er Angst hätte, im Krieg getötet zu werden und keine Ausbildung machen zu können. Die BF3 und die BF6 waren zum Befragungszeitpunkt unmündig und wurden nicht selbst befragt.

3.       Am 29.05.2018 wurden die Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: „BFA“) niederschriftlich einvernommen.

Im Zuge dieser Einvernahme bestätigten die BF im Wesentlichen, dass sie anlässlich der Erstbefragung wahre Angaben gemacht hätten. Der BF1 gab ergänzend an, dass der Wohnort seines Vaters falsch geschrieben worden sei, dieser hätte richtigerweise in XXXX gewohnt, wo er auch gestorben sei und präzisierte zu ihrem Heimatort „ XXXX “. Die BF führten weiters aus, dass sie gesund seien, die BF1 und BF2 gaben weiters an, bezüglich ihrer Kinder gesetzliche Vertreter zu sein und von Anfang an gemeinsam deren Obsorge innezuhaben.

Der BF1 gab zu seiner Ausbildung und zu seinem in Afghanistan ausgeübten Beruf folgendes an:

„Ich habe 12 Klassen besucht. Das war damals die Militärschule.

[…]

Ich war Schumacher im Hauptberuf und diesen Beruf habe ich aus der Praxis gelernt. Ich hatte auch ein Geschäft gemeinsam mit einer anderen Person im Holzhandel. Ich hatte ein Auto und mit diesem Auto habe ich die Menschen in die Dörfer transportiert.“

Zu seinen Fluchtgründen führte der BF1 näher aus wie folgt:

„Der XXXX , ein Paschtune, war in unserem Dorf. Er kam oft zu uns und sprach gegen die Amerikaner und gegen die staatlichen Behörden. Er hat gemeint, wir sollen unsere Kinder nach Pakistan schicken und diese sollten über den Jihad alles wissen. Er kam immer Nachts zu uns. Er war auch einmal in der Moschee und wir verliesen gemeinsam die Moschee. Er wollte meine Tochter XXXX heiraten. 2-3 Nächte später kam der XXXX wieder in unser Haus mit zwei Dorfältesten. Die Dorfältesten heissen XXXX . Meine Tochter war damals erst 10-11 Jahre alt und sehr klein. Ich habe mich gewundert. Der XXXX hatte drei Frauen und wollte auch meine Tochter ehelichen. Die Dorfältesten haben in einem anderen Zimmer zu mir gesagt, dass der XXXX sehr gefährlich und mächtig ist und ich muss meine Tochter ihm zur Frau geben. Ich hätte keine Chance gegen den XXXX und hatte Angst vor Ihm. Ich habe gewusst, er war von den Taliban. Ich habe zu den Dorfältesten gesagt, dass ich Zeit brauche. Ich kann das nicht so schnell entscheiden. Ich hatte Angst und konnte zu diesen Mann nicht nein sagen. Als alle das Haus verlassen haben, sagte ich zu meiner Frau, dass wir schnell das Land verlassen müssen. Ich musste meine Tochter schnell retten. Es gibt auch einen Geldwechseler mit Geschäft namens XXXX . Er ist auch ein Schlepper und organisiert für Afghanen alles. Ich habe Ihm meine Geschichte erzählt und ich wollte in den Iran. Der Schlepper jedoch sagte, ich kann im Iran nicht leben und sollte nach Europa. In der gleichen Nacht kam der XXXX zu mir und ich musste meine Tochter verloben. Mein Frau war sehr traurig. Meine Frau sagte, dass wir nach XXXX gehen sollen zu Ihrem Bruder. Aber der Bruder meiner Frau sagte, dass Sie keinen Platz in XXXX für uns hätten. Das war aber eine Ausrede. Sie hatten alle Angst vor dem XXXX . Meine Frau hat mit dann gesagt, dass wir das Land verlassen sollen. Mit der Hilfe von XXXX haben wir unsere Reise nach Europa begonnen. Das war meine Geschichte.

Ende der freien Erzählung

[…]

LA: Hat der XXXX etwas von ihrer Ausreise bemerkt? Als Sie die Reisepässe in XXXX zum Beispiel?

VP: Nein, er lebte in einem anderen Dorf. XXXX hat auch gewusst, dass der XXXX sehr gefährlich ist. Wir haben auch mit niemanden darüber gesprochen. Wir sind auch nur einen Tag wegen der Pässe nach XXXX gefahren.

LA: Wo war der XXXX mächtig und einflussreich?

VP: Das Dorf war ca. 40 Minuten zu Fuß von uns entfernt. Wo er wohnte, waren alle Taliban. Niemand will in dieses Dorf gehen. Über sein Eigentum weiß ich nichts. Nur, dass er drei Frauen hatte. Ab 3 Uhr sind keine Polizisten unterwegs. Er kam immer erst am Abend, wenn keine Polizei mehr unterwegs war.

LA: Wusste der XXXX von der Familie Ihrer Frau in XXXX ?

VP: Nein. Ich habe es Ihm nicht gesagt. Vielleicht könnte er es selber erfahren. Er kam immer zur Moschee und hat mit den Leuten gesprochen. Er wollte die Leute radikalisieren.

LA: Hat das funktioniert mit dem radikalisieren?

VP: Ich denke schon. Sonst könnte er nicht in unser Dorf kommen. Aber das war alles geheim. Niemand wollte darüber sprechen.

LA: In welchem Ort war XXXX ?

VP: XXXX ca. 40 gehminuten von uns entfernt. Vielleicht auch mehr.

LA: Haben Sie sämtliche Gründe, die Sie veranlasst haben, Ihr Herkunftsland zu verlassen,

vollständig vorbringen können?

VP: Ja, das waren alle.

LA: Hat die Familie Ihrer Frau in XXXX Probleme durch den XXXX bekommen?

VP: Weiß ich nicht. Sie wollten nicht, dass wir zu ihnen kommen, denn Sie hatten Angst vor dieser Person. Sie sagten uns, dass sie selber Probleme haben.

LA: Wie sollte Sie der XXXX ohne Meldesystem finden?

VP: Wie konnten die Taliban meinen Vater finden und Ihn ermorden?

LA: Woher wissen Sie, dass Ihr Vater von den Taliban ermordet wurde?

VP: Mein Vater war sehr ruhig.

LA: Woher wissen Sie, dass Ihr Vater von den Taliban ermordet wurde?

VP: Von den Erzählungen der Leute.

LA: Von welchen Leuten?

VP: Er hatte ein paar Aushilfen in der Tischlerei. Es kam jemand zu meinem Vater und wollte ein Fenster machen lassen. Darum ist mein Vater mit ihm mitgegangen. Später in der Nacht wurde die Leiche von meinem Vater vor die Tischlerei gelegt.

LA: Woher wissen Sie, dass das die Taliban waren?

VP: Ausser den Taliban hatte mein Vater keine Feinde. Es ist eine Rache in Afghanistan, wenn die Braut flüchtet, töten die Taliban andere Verwandte.

LA: Woher wissen sie, dass der XXXX etwas mit dem Tod Ihres Vaters zu tun hat?

VP: Das war in einem Brief bei der Leiche meines Vaters. Dort stand geschrieben, das es ein Racheakt war.

LA: Wo ist der Brief?

VP: Das wurde uns erzählt und ich weiß nicht wo der Brief ist. Ich habe diese Geschichte von dem Bruder meiner Frau.

LA: Von wem war der Brief?

VP: Weiß ich nicht. Das hat mir keiner gesagt.

LA: Können Sie Ihr Vorbringen mit Beweismitteln untermauern?

VP: Nein. Wir sind sehr schnell geflüchtet. Wir haben auch zu den Nachbarn gesagt, dass wir in der Stadt einkaufen wollen. Und für die Zeremonie gibt es keine Fotos, da die Taliban sehr fanatisch sind.

LA: Haben Sie sich wegen Ihrer Probleme jemals an die staatlichen Behörden gewandt?

VP: Nein. Die Polizei bei uns hat keine Macht. Nach drei Uhr Nachmittag sind Sie weg. Und die Polizei kann auch nicht zum Dorf des XXXX gehen.

LA: Und vor drei Uhr? Warum haben Sie es nicht vorher probiert zur Polizei zu gehen?

VP: Ich konnte nicht zur Polizei gehen. Ich musste sehr schnell flüchten. Er war sehr gefährlich und könnte die ganze Familie töten.

LA: Was hätten Sie im Falle einer Rückkehr in Ihr Heimatland konkret zu befürchten? Wenn

Sie nach XXXX gehen zu den Verwandten.

VP: Die Taliban sind überall, in XXXX auch.

LA: Gab es irgendwelche Übergriffe gegen Ihre Person?

VP: Nein.

LA: Wurden Sie persönlich bedroht?

VP: Nein, ich hatte keine Probleme in Afghanistan oder Bedrohungen.

LA: Wurden andere Familienmitglieder auch bedroht?

VP: Nein, persönlich nicht.

LA: Was müsste passieren, damit Sie wieder in Ihr Heimatland zurückkehren können?

VP: Wenn Afghanistan ruhig wird und man hat überall Sicherheit dann kann ich nach Hause fahren.“

Die BF2 gab zu ihrer Ausbildung und zu ihrem in Afghanistan ausgeübten Beruf folgendes an:

„VP: Ich bin 12 Jahre in die Schule in XXXX gegangen.

LA: Können Sie lesen und schreiben?

VP: Ja.

LA: Womit haben Sie in Ihrem Heimatland bisher Ihren Lebensunterhalt bestritten?

VP: Ich habe selber in dem XXXX gearbeitet.

LA: Warum haben Sie damit aufgehört?

VP: Wir mussten damals XXXX im Jahr XXXX verlassen und nach XXXX gehen. Die

Situation in XXXX war nach Dr. Najib sehr schlecht in XXXX .“

Die BF2 führte zu ihren Fluchtgründen aus wie folgt:

„Ich bin mit meiner Familie wegen meiner Tochter geflüchtet. Ein Paschtune wollte meine Tochter XXXX heiraten. Er war ein mächtiger Mann aber meine Tochter war damals sehr jung. Ich war selber ein ausgebildeter Mensch, wie konnte ich meine Tochter zur Heirat zwingen?

Die Dorfältesten haben zu uns gesagt, dass wir nicht dagegen sein können und wir sollten die Tochter zur Heirat freigeben.

Die Dorfältesten erzählten die Geschichte von XXXX . Dieser hatte damals eine Tochter und die Paschtunen wollten diese Tochter haben. Es kam zu Streitigkeiten und später wurde der XXXX ermordet.

Ich musste meine Tochter hergeben, aber das war ein schlimmer Tag in meinem Leben. Ich habe nur geweint damals.

Dann haben wir mit meinem Bruder gesprochen und wir wollten nach XXXX fahren. Aber Sie waren alle dagenen und sagten, dass wir deren Kinder auch in Gefahr bringen würden.

Dann gibt es einen bekannten Schlepper in XXXX , er heißt XXXX und mein Mann hat mit ihm über unsere Situation gesprochen. Wir durften nicht mit Ihm draussen sprechen und wir sollten Ihm gehorsam sein. Er sagte, er kann uns nach Österreich bringen.

Wir bezahlten für Ihn sehr viel Geld und er hat uns Pässe besorgt für den Iran. Mit Ihm haben wir unsere Reise begonnen. Wir waren auch einmal wegen der Fingerabdrücke in XXXX für den Reisepass.

Ende der freien Erzählung

[…]

LA: Wurde Ihre Familie in XXXX einmal bedroht von dem Paschtunen bis heute?

VP: Nein.

LA: Wurden Sie, Ihr Mann oder Ihre Tochter bedroht?

VP: Unser Verhalten war sehr freundlich. Er hat gedacht, wir geben dem Paschtunen unsere Tochter freiwillig.

LA: Haben Sie sämtliche Gründe, die Sie veranlasst haben, Ihr Herkunftsland zu verlassen, vollständig vorbringen können?

VP: Ja. Nur wegen meiner Tochter.

LA: Wie hat der Paschtune geheissen?

VP: XXXX

LA: Was machte der XXXX beruflich und wo lebte er?

VP: Er war auch in XXXX und die Leute sagten er arbeitet bei den Taliban. Er lebte in XXXX .

LA: Wie weit von Ihrem Zuhause entfernt?

VP: Man sagte in XXXX . Es war weit von uns aber nicht so weit. Mittel. Wir durften nicht in sein Dorf gehen.

LA: Warum konnten Sie nicht nach XXXX zur Familie?

VP: Die Brüder haben zu uns gesagt, das wir die Gefahr zu ihnen bringen.

LA: Wie sollte der XXXX ohne Meldesystem finden?

VP: Teilweise von unseren Dorfbewohnern. Die hatten Kontakt zu den Taliban. Ich galube er hat alles über uns erfahren.

LA: Wurde bereits in XXXX nach Ihnen gesucht? Bei Ihren Brüdern?

VP: Nein. Ich glaube die Mitbewohner im Dorf haben über den Vater meines Mannes erzählt.

LA: Wissen Sie wie der Vater Ihres Mannes umgekommen ist?

VP: Mein Bruder hat es uns erzählt. Der Vater von meinem Mann wurde ermordet. Sie sind zu seinem Geschäft gekommen und mit ihm gegangen.

LA: Woher wusste das Ihr Bruder? Aus dem XXXX ?

VP: Weil eine Arbeitshilfe bei dem Vater meines Mannes das dem Bruder gesagt hat.

LA: Woher hatte die Arbeitshilfe Ihres Schwiegervaters Kontakt zu Ihrem Bruder?

VP: Mein ältester Bruder hat uns das gesagt.

Anmerkung: Aw fängt zu stottern an und ist sehr unsicher.

LA: Woher hatte die Arbeitshilfe Ihres Schwiegervaters Kontakt zu Ihrem Bruder?

VP: Mein Schwiegervater war nicht allein. Und ein paar Leute haben gesehen, dass er mit den Paschtunen weggegangen ist. In der Nacht wurde die Leiche des Schwiegervaters vor das Geschäft gelegt mit einem Brief.

LA: Woher wusste das Ihr Bruder alles?

VP: Natürlich musste mein Bruder von diesem Vorfall wissen. Wir sind Verwandt und alle haben meinen Bruder gekannt.

Vorhalt und Frage:

LA: Gerade eben haben Sie gesagt, dass es ein Arbeiter den Tod des Vaters mitgeteilt hat! Wie hatte dieser Arbeiter Kontakt zu Ihrem Bruder?

VP: Der Bruder von meinem Mann hat meinem Bruder diese Nachricht gegeben.

LA: Der Bruder Ihres Mannes lebte wo?

VP: Er ist in XXXX .

LA: Welcher Bruder ist das?

VP: XXXX .

LA: Wo lebt der Bruder Ihres Mannes?

VP: XXXX , XXXX . Das ist der Halbbruder.

Vorhalt und Frage:

LA: Ihr Mann hat aber angegeben, dass er nicht weiß, wo sein Bruder XXXX lebt. Dieser musste nach den aussagen Ihres Mannes auch fliehen Wer sagt jetzt die Wahrheit?

VP: Sie waren bis zum Tod des Vaters alle in XXXX . Nach dem Tod des Schwiegervaters sind alle geflüchtet.

LA: Wie wäre es jetzt wenn sie die Wahrheit sagen?

VP: Sie verstehen mich nicht, was soll ich sagen? Ich bin wegen meiner Tochter hierher gekommen, nicht wegen etwas anderem. Ich bin Mutter, Sie verstehen mich nicht. Sie wissen schon, dass in Afghanistan die Frauen und Mädchen keinen Wert haben.

Anmerkung: Die AW beginnt zu weinen.

LA: Können Sie Ihr Vorbringen mit Beweismitteln untermauern?

VP: Nein, wir waren hier. Wir wussten nichts über einen Brief oder den Tod meines Schwiegervaters. Wir haben keinen Kontakt mehr zur Familie meines Mannes. Das waren Halbgeschwister und mein Mann hat niemals mit denen gewohnt.

LA: Woher wissen Sie über die Verbindung von XXXX und den Tod Ihres Schwiegervaters?

VP: Nur ich weiß die Taliban sind überall. Vielleicht hat XXXX den Schwiegervater gar nicht getötet. Aber er hat überall Freunde und Bekannte und diese Leute könnten den Schwiegervater getötet haben.

LA: Haben Sie sich wegen Ihrer Probleme jemals an die staatlichen Behörden gewandt?

VP: Nein.

LA: Was hätten Sie im Falle einer Rückkehr in Ihr Heimatland konkret zu befürchten?

VP: Ich weiß, dass ich nach einer Rückkehr nach Afghanistan wird meine Tochter weggenommen und unsere Familie wird auch kaputt.

LA: Wie sollte der XXXX von Ihrer Rückkehr erfahren, wenn Sie z.B in XXXX niederlassen?

VP: Die Dorfbewohner reisen oft nach XXXX und berichten immer den anderen.

LA: Sie konnten doch schon die Ausreise geheim halten, warum nicht die Rückreise nach XXXX ?

VP: Ich kann mich verstecken oder meine Tochter. Aber wie kann mein Mann sich verstecken oder meine Söhne und nicht zur Arbeit gehen?

LA: Gab es irgendwelche Übergriffe gegen Ihre Person?

VP: Nein.

LA: Wurden Sie persönlich bedroht?

VP: Nein.

LA: Wurden andere Familienmitglieder auch bedroht?

VP: Nein.“

Die BF2 führte zu ihren Integrationsschritten aus wie folgt:

„LA: Welche Integrationsschritte haben Sie seit Ihrer Einreise nach Österreich gesetzt?

VP: Ja.

- Besuchsbestätigung über den Deutschkurs A1 vom XXXX 2017.

- Teilnahme am Werte und Integrationskurs vom XXXX 2017.

- Referenzschreiben der Volksschule XXXX vom XXXX .2018.

- Urkunde für die Tochter XXXX von der Klassenlehrerin XXXX vom

XXXX .2018.

- Urkunde am Judoturnier von der Tochter XXXX vom XXXX 2018.

LA: Besuchen Sie in Österreich Kurse, eine Schule, Vereine oder die Universität?

VP: Jetzt ist Sommerpause.

LA: Jetzt ist noch keine Sommerpause! Besuchen Sie jetzt einen Kurs oder nicht?

VP: Es gibt einen Kurs, aber man muss Ihn selber bezahlen. Der Kurs beginnt im Juli.

LA: Besuchen Sie jetzt einen Kurs oder nicht?

VP: Nein.

LA: Wie finanzieren Sie sich den Aufenthalt in Österreich?

VP: Mit Hilfe der Behörde. Nur mein Sohn arbeitet.

LA: Erhalten Sie momentan Unterstützungen durch die Caritas (Grundversorgung)?

VP: Ja.

LA: Haben Sie eine Arbeitsbewilligung? Können Sie den Arbeitsvertrag vorweisen?

VP: Nein. Ich habe keinen Aufenthalt.

Vorhalt und Frage:

LA: Sie haben doch gesagt, dass Sie ohne Aufenthalt keine Arbeit bekommen. Und jetzt bekommen Ihre Söhne doch Arbeit, auch ohne Aufenthalt? Warum sagen Sie nicht die Wahrheit?

VP. Meine Söhne dürfen arbeiten, einer arbeitet als Maurer in einer Firma. Warum fragen Sie nicht morgen meine Söhne?

LA: Wenn Sie derzeit keiner beruflichen Tätigkeit nachgehen, haben Sie sich um Arbeit bemüht?

VP: Nein.

LA: Sind Sie arbeitsfähig?

VP: Ja.

LA: Besteht zu einer Person in Österreich ein finanzielles oder sonstiges Abhängigkeitsverhältnis?

VP: Nein.

LA: Auf welchem Niveau sprechen Sie deutsch?

VP: Ich habe keine Prüfungen abgelegt.

LA: Haben Sie eine A1/A2/B1 Deutschprüfung absolviert?

VP: Nein.

LA: Wollen Sie Unterlagen betreffend Integration vorlegen?

VP: Nein, weitere habe ich nicht.

LA: Wie halten Sie es mit den österreichischen Gesetzen und Wertvorstellungen?

VP: Die besten Gesetze in Österreich ist die Freiheit für Frauen.

Die BF3 gab zu ihrer Ausbildung in Afghanistan folgendes an:

„VP: Ich bin immer Zuhause gewesen. Ich konnte nicht zur Schule gehen. Ich habe mit anderen Mädchen gespielt.

LA: Warum konnten Sie nicht zur Schule gehen?

VP: Es gab keine Schule in meinem Dorf. Es gibt eine Schule für Mädchen, aber die war so

weit weg.“

Die BF3 führte zu ihren Fluchtgründen aus wie folgt:

„Ich wusste nicht, warum wir Afghanistan verlassen haben. Erst in Österreich haben es mir meine Eltern erzählt.“

[…]

LA: Gab es eine Verlobung?

VP: Das war keine Verlobung. Sie brachten für mich Geschenke. Sie brachten schöne Kleider und Schmuck.

LA: Können Sie sich daran selber erinnern?

VP: Ja, natürlich.

LA: Wussten Sie auch um was es da ging als Sie die Geschenke bekamen?

VP: Nein, das habe ich nicht gewusst. Ich war sehr jung. Ich habe damals nichts gewusst über eine Hochzeit und eine Verlobung.

LA: Was haben Sie sich gedacht, als Sie die Geschenke bekommen haben?

VP: Ich hatte viel Freude über die schönen Kleider, wusste jedoch nicht warum ich diese Geschenke bekommen habe.

LA: Haben Sie sämtliche Gründe, die Sie veranlasst haben, Ihr Herkunftsland zu verlassen, vollständig vorbringen können?

VP: Ja.

LA: Können Sie Ihr Vorbringen mit Beweismitteln untermauern?

VP: Nein.

LA: Was hätten Sie im Falle einer Rückkehr in Ihr Heimatland konkret zu befürchten?

VP: Die Bevölkerung in Afghanistan vertraut den Rückkehrern nicht. Sie sagen zu uns, wir waren bei ungläubigen Menschen im Land. Wir werden das gleiche Schicksal wie XXXX haben, Sie wurde gesteinigt. Ich fürchte um mein Leben und das Leben meiner Eltern.

LA: Ist das hier ein ungläubiges Land?

VP: Für mich nicht, ich kann auch meine Ziele in diesem Land erreichen.

LA: Ist irgendwer von der Familie hier in Österreich kein gläubiger Moslem mehr?

VP: Ja, alle sind gläubig. Aber Sie sind nicht fanatisch.

LA: Wer war XXXX ? Was ist mit Ihr passiert?

VP: XXXX war ein Mädchen Mädchen und Sie hat selber entschieden, einen jungen Mann heiraten. Die Menschen im Dorf haben entschieden, dass Sie gesteinigt wird.

LA: Wo und wann war das?

VP: Ich denke das war in XXXX . Aber das Datum weiß ich nicht.

LA: Woher haben Sie diese Geschichte?

VP: Von den Leuten in XXXX , die Fernsehen haben. Das haben Sie auch den Anderen berichtet.

LA: Wie haben die Leute in XXXX das erzählt?

VP: Ich habe das selber nicht gehört, meine Eltern haben das in Österreich erzählt. Meine Eltern haben mir gesagt, dass ich das gleiche Schicksal wie XXXX haben kann.

LA: Warum haben ihnen Ihre Eltern damit gedroht?

VP: Das haben Sie gesagt, dass könnte passieren, wenn wir nach Afghanistan abgeschoben werden.

LA: Glauben Sie, dass das in XXXX auch passieren kann?

VP: Ich weiß nicht. Ich habe nicht in XXXX gelebt.

LA: Was hat das mit Ihnen zu tun? Wollten Sie jemanden anderen heiraten?

VP: Ich war so jung, ich habe damals nicht verstanden was passiert.

LA: Gab es irgendwelche Übergriffe gegen Ihre Person?

VP: Nein.

LA: Wurden Sie persönlich bedroht?

VP: Nein.

LA: Wurden andere Familienmitglieder auch bedroht?

VP: Nein.

LA: Was müsste passieren, damit Sie wieder in Ihr Heimatland zurückkehren können?

VP: Ich muss sicher sein dort. So eine Geschichte wie ich erzählt habe, darf nicht passieren in Afghanistan.“

Die BF3 führte zu ihren Integrationsschritten aus wie folgt:

„LA: Wie sieht Ihr aktueller Tagesablauf in Österreich aus?

VP: Ich bin bei der freiwilligen Feuerwehr in XXXX . Und ich gehe zur Schule.

LA: Welche Freizeitaktivitäten unternehmen Sie in Österreich?

VP: Manchmal lerne ich meine Aufgaben, aber oft in der Freizeit bin ich bei der Feuerwehr.

LA: Warum haben Sie heute ein Kopftuch auf?

VP: Ich habe immer ein Kopftuch auf. Ich bin Moslem und moslemische Frauen tragen ein Kopftuch. Ich bin daran gewohnt, ohne Kopftuch kann ich nicht nach draußen gehen.

LA: Gehen Sie regelmäßig in die Moschee?

VP. Nein, wir haben keine Moschee dort.

LA. Beten Sie regelmäßig?

VP: Manchmal wird es später, da ich in der Schule bin.

LA: Gehen Sie in ein Fitnessstudio oder in eine Turngruppe alleine?

VP: Nein.

LA: Wie stellen Sie sich persönlich Ihre weitere Zukunft in Österreich vor?

VP: Ich möchte Lehrerin werden.

LA: Sind Sie Mitglied in Vereinen hier in Österreich?

VP: Bei der freiwilligen Feuerwehr in XXXX .

LA: Welche Regierungsform haben wir hier in Österreich?

VP: Das weiß ich nicht genau, aber ich denke, die Frauen und Mädchen haben hier gute Rechte.

LA: Gingen andere Mädchen in Ihrem Gebiet in die Schule?

VP: Nur die Mädchen in der Stadt haben diese Möglichkeiten gehabt. Ich nicht.

LA: Wie gestaltet sich der Kontakt zu Ihrer Familie? Kommunizieren Sie auch über soziale

Netzwerke und neue Medien?

VP: Nein.

LA: Sind Sie dort in XXXX aufgewachsen?

VP: Ja, bis zur Ausreise.

LA: Können Sie lesen und schreiben in Dari?

VP: Nein, nicht so gut. Ein bisschen.

LA: Können Sie lesen und schreiben in Deutsch?

VP: Ja.

LA: Wo haben Sie das gelernt?

VP: Zuhause und in der Schule.

LA: Wer sorgte in Afghanistan für die Familie?

VP: Mein Vater.

LA: Gingen Ihre Geschwister in Afghanistan zur Schule?

VP: Nur die Brüder.“

4.       Mit Bescheiden vom 31.08.2018 – zugestellt am 07.09.2018 - wies das BFA im Familienverfahren die Anträge der BF1 bis BF6 auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 wurde den BF1 bis BF5 der Status von subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ihnen gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt (Spruchpunkt III.).

Nach Wiedergabe des Verfahrensganges stellte das BFA im Wesentlichen fest, dass jeweils Identität der Beschwerdeführer nicht feststehe, nur deren Familienstand und dass sie afghanische Staatsangehörige, der Volksgruppe der XXXX zugehörig und schiitisch-moslemischen Glaubens seien. Es habe aber nicht festgestellt werden können, dass sie in ihrem Herkunftsstaat aufgrund einer konkreten individuellen Verfolgung aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verlassen hätten.

5.       Gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG wurden den BF mittels Verfahrensanordnungen des BFA vom 04.09.2018 – – zugestellt am 07.09.2018 - Rechtsberater zur Seite gestellt.

6.       Gegen die oben angeführten Bescheide erhoben die BF1 bis BF6 jeweils gegen Spruchpunkt I. fristgerecht unter Vollmachtsvorlage am 05.10.2018 Beschwerde und begründeten diese zusammengefasst im Wesentlichen damit, dass der BF3 entgegen den Annahmen des BFA die Kinderehe gedroht habe bzw. drohe. Deren Eltern, die BF1 und BF2 seien im Sozialgefüge ihrer Umgebung nicht mächtig genug gewesen, um dies zu verhindern, oder ihren Töchtern einen Schulbesuch zu ermöglichen.

7.       Am 21.12.2018 wurde vor dem Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung unter Beiziehung einer Dolmetscherin für die Sprachen Dari durchgeführt. Die BF wurden eingehend belehrt und gaben auf Befragung hin an, dass sie ihre Beschwerdeanträge aufrecht hielten. Die Befragung gestaltete sich dann folgendermaßen:

„BF 5 ( XXXX ) wird zuerst einvernommen, […]

RI: Führen Sie Ihren Namen seit Ihrer Geburt?

BF 5: Ich habe meinen Namen von Geburt an.

RI: Sind Sie in Ihrem Heimatland Afghanistan unter anderen Namen, Spitznamen, Kampfnamen, Rufnamen bekannt?

BF5: Nein.

RI: Haben Sie irgendwelche Dokumente (Ausweise, Bestätigungen, etc.) die ihre Person oder Familienangehörige betreffen, die noch nicht im Akt enthalten sind, die sie mir heute vorweisen wollen?

BFV legt vor:

- Arbeitsbestätigung Brüder XXXX

- Englischkursbestätigung BF XXXX

- Jahreszeugnis BF XXXX

Diese werden als Konvolut als Beilage ./1 zum Akt genommen.

RI: Gehören Sie einer Kirche oder Religionsgemeinschaft an? Wenn ja, welcher? Wenn nein, haben Sie ein religiöses Bekenntnis?

BF5: Meine Religionsbekenntnis ist Islam.

RI: DA gibt es verschiedene Variationen.

BF5: Ich bin Schiite.

RI: Zwölferschiite?

BF5: Ja.

RI: Wie äußert sich ihre religiöse Überzeugung? Woran können andere Personen erkennen, dass sie schiitischer Moslem sind?

BF5: Ich bin ein schiitischer Moslem. Mir ist es nicht wichtig, dass jeder erkennt, welchem Glauben ich angehöre. Für mich steht die Menschlichkeit an erster Stelle.

RI: Welcher Volksgruppe gehören Sie an?

BF5: XXXX .

RI: Ist das wirklich eine Volksgruppe oder nur eine Großfamilie?

BF5: Ich muss ehrlich sagen, dass ich nichts Genaueres darüber weiß. Mein Familienname ist XXXX , aber, wenn ich überlege, denke ich, dass XXXX eine Großfamilie ist. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es sich dabei um einen Stamm oder eine Ethnie handelt.

RI: Kennen Sie einen Dede Korkut?

BF5: Nein.

RI: Schildern Sie konkret wo Sie in Afghanistan bis zu Ihrer Flucht gelebt haben. Genaue Angaben der Stadt, Provinz, Distrikt.

BF5: Ich habe im XXXX gelebt.

RI: Was das auch ihr ursprünglicher Heimatort?

BF5: Ja.

RI: Haben Sie noch Verwandte (z.B. Eltern, Kinder, Geschwister, Ehegattin) in Ihrer Heimat Afghanistan?

BF5: In XXXX lebt die gesamte Familie meiner Mutter. Von der Familie meines Vaters weiß ich nichts.

RI: Abgesehen von den Damen und Herren, die heute mit Ihnen hier sind, haben Sie noch andere Verwandte in Österreich?

BF5: Nein.

RI: Welche Schul- bzw. Berufsausbildungen haben Sie?

BF5: Ich habe in AFG 8 Jahre lang die Schule besucht. In Österreich bin ich 1 Jahr in die polytechnische Schule gegangen. Derzeit mache ich eine Lehrausbildung als Maurer.

RI: Sind Sie in Afghanistan einem Beruf vor ihrer Flucht nachgegangen?

BF5: Nein.

RI: Sind Sie zur Schule gegangen?

BF5: Ja.

RI: Wie lange?

BF5: 8 Jahre.

RI: Waren Sie in Afghanistan beim Militär oder einer Miliz oder haben Sie sonst an Kampfhandlungen teilgenommen?

BF5: Nein.

RI: Sie wurden durch das BFA am 29.05.2018 ausführlich zu Ihren Erlebnissen, Lebensumständen und Fluchtgründen befragt. Waren ihre damaligen Angaben zutreffend oder wollen sie etwas dazu ergänzen oder korrigieren?

BF5: Ich bleibe bei meinen Angaben, ich möchte weder etwas ergänzen, noch richtigstellen.

RI: Wie sind Sie von Afghanistan nach Österreich gelangt?

BF5: Wir sind über den Iran, die Türkei, Griechenland, Mazedonien, Serbien und Ungarn nach Österreich gekommen.

RI: Wann war das?

BF5: Vor ca. 3 Jahren. Ich kann das nicht mehr genau angeben, das muss vor ca. 2,5-3 Jahren gewesen sein.

RI: War es Sommer oder Winter?

BF5: Winter.

RI: Sind Sie legal oder illegal aus Afghanistan ausgereist?

BF5: Als wir von XXXX losgefahren sind, wusste ich gar nicht wohin wir gehen. Erst als wir im Iran waren, habe ich erfahren, dass wir legal in den Iran gereist sind. Vom Iran sind wir aber illegal weitergereist.

RI: Hat Ihre Familie die Ausreise selbst organisiert oder war sie schlepperunterstützt?

BF5: Ich glaube das war mit Schlepperunterstützung. Ich weiß es nicht genau. Ich habe nicht nachgefragt.

RI: Die Republik Österreich hat Ihnen bereits durch den Bescheid des BFA vom 31.08.2018 subsidiären Schutz gewährt und eine, vorerst befristete Aufenthaltsbewilligung erteilt. Warum streben Sie den Status des Konventionsflüchtlings an? Was glauben Sie, was sich dadurch für Sie ändern würde?

BF5: Seit Erhalt des subsidiären Schutzes merke ich keinen besonderen Unterschied zu früher. Wir dürfen immer noch keine Wohnung mieten. Für mich gibt es keinen Unterschied zwischen einem subsidiär Schutzberechtigten und jemanden der keinen Aufenthalt hat.

RI: Warum sind Sie aus Afghanistan geflüchtet?

BF5: Wegen meiner Schwester.

RI: Können Sie mir das näher erklären?

BF5: Als wir in XXXX gelebt habe, gab es dort einen Mann namens XXXX . Er war viel älter als meine Schwester und hat um die Hand meiner Schwester angehalten. Details dazu sind mir nicht bekannt, aber das war der Grund warum mein Vater beschlossen hat, dass wir AFG verlassen.

RI: Haben Sie das in XXXX selber gesehen, gehört, miterlebt?

BF5: Ich habe selbst solche Fälle nicht gesehen, weil ich damals zu jung war. Aber ich habe davon gehört.

RI: Von wem haben Sie das gehört?

BF5: Es gab einen Mann dessen Namen ich nicht angeben kann, weil er im Dorf als Schwiegervater von XXXX bezeichnet wurde. Im Dorf haben Leute erzählt, dass jemand um die Hand seiner Tochter angehalten hat, er aber dies verneint hat. Daraufhin wurde er getötet und seine Tochter wurde mitgenommen.

RI: Das haben Sie von dem Schwiegervater von XXXX gehört?

BF5: Nein, das haben die Dorfbewohner einander erzählt. Wenn ich in die Moschee gegangen bin, sind die Dorfbewohner auch dort gewesen. Sie haben sich darüber unterhalten.

RI: Vorhalt AS 223: Bei Ihrer Befragung vor dem BFA haben Sie damals noch erzählt, dass Ihnen die Geschichte Ihr Vater in Österreich erzählt hat. Was sagen Sie dazu? Wie erklären Sie diesen Widerspruch?

BF5: In der letzten Einvernahme wurde ich nach den Fluchtgründe und zum Fluchtweg befragt. Ich habe angegeben, dass ich von meinem Vater in Ö erfahren hätte, warum wir au AFG geflüchtet seien. Aber zu diesem speziellen Vorfall wurde ich dort nicht befragt.

RI: Vorhalt AS 223: Sie wurden damals gefragt: Schildern Sie mir bitte möglich chronologisch und lebensnah, d.h. mit sämtlichen Details und Informationen, sodass die Behörde Ihr Vorbringen nachvollziehen kann! Nehmen Sie sich dafür im Rahmen einer freien Erzählung ruhig Zeit! Sie hatten jede Menge Zeit es genau zu schildern.

BF5: Das ist richtig. Diese Frage bezog sich auf jene Gründe, die dazu geführt haben, warum wir AFG verlassen haben. Heute haben Sie mich aber gefragt, ob ich von solchen Vorfällen gehört oder sie selbst gesehen habe. Ich habe Ihnen von so einem Vorfall erzählt.

RI: Wurden Sie in Afghanistan persönlich bedroht?

BF5: Nein.

RI: Was genau befürchten Sie im Falle Ihrer Rückkehr?

BF5 (BF greift sich mehrfach auf den Kopf und denkt nach): Ich bin ein junger Mann, ich bin in der Lage überall zu leben und alle Schwierigkeiten über mich ergehen zu lassen. Es ist nicht falsch, wenn ich erwarte, dass ich ein ruhiges Leben habe, dass ich zur Schule gehen kann, eine Ausbildung machen kann und später auch einer Arbeit nachgehen kann. Meine größte Angst gilt meiner Schwester.

RI: Gibt es noch weitere Dinge, die Sie im Falle einer Rückkehr befürchten?

BF5: Wir haben in AFG einen einflussreichen Feind. Wie wir erfahren haben, hat er meinen Großvater in XXXX gefunden. Wenn wir nach AFG zurückkehren, würde er uns überall in AFG finden. XXXX ist jemand der gegen die Regierung ist und auch andere dazu auffordert gegen die Regierung vorzugehen. Ich befürchte auch, dass er uns im Falle einer Rückkehr dazu zwingen würde gegen die Regierung etwas zu unternehmen.

RI: Wer ist „wir“? Wer hat das erfahren? Sie selber?

BF5: Ich meine damit meine Familie, meinen Vater und meine Mutter.

RI: Waren Sie in Ihrer Heimat jemals Mitglied einer politischen Gruppierung oder Partei?

BF5: Nein.

RI: Waren Sie persönlich sonst in irgendeiner Weise politisch aktiv?

BF5: Nein.

RI: Wurden Sie in Afghanistan wegen Straftaten verurteilt?

BF5: Nein.

RI: Werden Sie in Afghanistan wegen des Verdachtes der Begehung von Straftaten polizeilich gesucht?

BF5: Nein.

RI: Wurden Sie in Afghanistan einmal verhaftet?

BF5: Nein.

RI: Wurden Sie in Österreich oder einem anderen Staat wegen Straftaten verurteilt?

BF5: Nein.

RI: Wurden Sie in Österreich oder in einem anderen Staat schon einmal polizeilich festgenommen?

BF5: Nein.

RI: Wie verbringen Sie in Österreich normalerweise den Tag?

BF5: Ich arbeite von Montag bis Freitag. Nach der Arbeit lerne ich. Am Wochenende unternehme ich etwas mit meinen Freunden.

RI: Wer sind Ihre Freunde?

BF5: Das sind Mitschüler aus der polytechnischen Schule, darunter sind Österreicher sowie Afghanen.

RI: Sagen Sie mir ein paar Namen?

BF5: XXXX

RI: Wann sind Sie heute Früh aufgestanden?

BF5: Um 7.

RI: Haben Sie das Morgengebet verrichtet?

BF5: Nein.

RI: Sind Sie Mitglied bei Sport-, Kultur- oder sonstigen gesellschaftlichen Aktivitäten?

BF5: Seit ca. 3 Monaten gehe ich ins Fitnessstudio. Ich bin aber bei keinem Verein Mitglied.

RI: Ich habe vorläufig keine weiteren Fragen an Sie.

RV: Keine Fragen.

BF 3 ( XXXX ) wird um 10:07 Uhr aufgerufen, BF 5 verbleibt im Verhandlungssaal.

RI: Führen Sie Ihren Namen seit Ihrer Geburt?

BF 3 (auf Deutsch): Ja.

RI: Sind Sie in Ihrem Heimatland Afghanistan unter anderen Namen, Spitznamen, Kampfnamen, Rufnamen bekannt?

BF 3 (auf Deutsch): Ich? Nein.

RI an RV: Ich habe nichts dagegen, wenn die BF3 auf Deutsch zuhört und antwortet. Sehen darin irgendwelche Probleme?

RV: Wenn es Probleme bezüglich der Verständigung gibt, ersucht er die BF3 dies zu sagen und auf die Worte zu hören.

RI: Haben Sie irgendwelche Dokumente (Ausweise, Bestätigungen, etc.) die ihre Person oder Familienangehörige betreffen, die noch nicht im Akt enthalten sind, die sie mir heute vorweisen wollen?

RV legt vor:

- Schulbesuchsbestätigung 4A, MNS XXXX ,

- Bestätigung der freiwilligen Feuerwehr, XXXX ,

- Teilnahmebestätigung des Ö Jugend Rot Kreuzes

Diese werden als Beilage ./1 als Konvolut zum Akt genommen.

RI: Gehören Sie einer Kirche oder Religionsgemeinschaft an? Wenn ja, welcher? Wenn nein, haben Sie ein religiöses Bekenntnis?

BF3 (antwortet auf Dari): Ich bin Muslimin und gehöre der schiitischen Glaubensrichtung an.

RI: Wie äußert sich ihre religiöse Überzeugung? Woran können andere Menschen erkennen, dass sie schiitischer Muslimin sind?

BF3 (antwortet auf Dari): Die meistens muslimischen Frauen tragen ein Kopftuch. Die Schiitin glauben an die 12 Imame und die anderen nicht.

RI: Ja, das ist richtig. Ich habe aber Sie gefragt, woran man das bei Ihnen erkennen kann.

BF3 (antwortet auf Dari): Wenn ich nicht danach gefragt werde, kann das niemand erkennen.

RI: Welcher Volksgruppe gehören Sie an?

BF3 (antwortet auf Dari): Ich bin XXXX .

RI: Ist das wirklich eine Volksgruppe oder ist das eine Großfamilie?

BF3 (antwortet auf Dari): Es ist eine Volksgruppe.

RI: Schildern Sie konkret wo Sie in Afghanistan bis zu Ihrer Flucht gelebt haben. Genaue Angaben der Stadt, Provinz, Distrikt.

BF3 (antwortet auf Dari): Ich habe in XXXX Nein, es war XXXX

RI: Haben Sie noch Verwandte (z.B. Eltern, Kinder, Geschwister, Ehegattin) in Ihrer Heimat Afghanistan?

BF3 (antwortet auf Dari): Ja.

RI: Wen?

BF3 (antwortet auf Dari): 2 Onkel und eine Tante mütterlicherseits.

RI: Außer den Familienmitglieder, die heute mit Ihnen hier sind, haben Sie Verwandte noch hier oder in anderen Ländern?

BF 3 (auf Deutsch): Nein, habe ich keine.

RI: Abgesehen von der Schulausbildung die Sie derzeit in Österreich machen, haben Sie noch andere Schul- bzw. Berufsausbildungen?

BF3 (antwortet auf Dari): Nein.

RI: Sind Sie in Afghanistan zur Schule gegangen?

BF 3 (auf Deutsch): Nein.

RI: Sie wurden durch das BFA am 30.05.2018 ausführlich zu Ihren Erlebnissen, Lebensumständen und Fluchtgründen befragt. Waren ihre damaligen Angaben zutreffend oder wollen sie etwas dazu ergänzen oder korrigieren?

BF3 (antwortet auf Dari): Ich habe damals alles vorgebracht.

RI: Seit wann tragen Sie kein Kopftuch mehr?

BF3 (antwortet auf Dari): Ich trage das Kopftuch nur dann, wenn ich es möchte. Mich zwingt niemand dazu.

RI: Vorhalt AS 185: Bei der Befragung damals vor dem BFA hatten Sie ein Kopftuch auf und sie haben gesagt „Ich habe immer ein Kopftuch auf. Ich bin Moslem und moslemische Frauen tragen ein Kopftuch. Ich bin daran gewohnt. Ohne Kopftuch kann ich nicht nach Draußen gehen“. Wie erklären Sie diesen Unterschied?

BF3 (antwortet auf Dari): Dadurch, dass ich immer ein Kopftuch getragen habe, war es für mich nicht leicht das Kopftuch abzulegen. Ich habe Zeit benötigt um damit klar zu kommen auch ohne Kopftuch hinauszugehen. Mittlerweile trage ich das Kopftuch nur dann, wenn ich es möchte.

RI: Wie sind Sie von Afghanistan nach Österreich gelangt?

BF3 (antwortet auf Dari): Mit Hilfe eines Schleppers.

RI: Über welche Länder?

BF 3 (auf Deutsch): Ich bin zuerst nach Iran, Griechenland, Türkei, Mazedonien, Serbien, Ungarn dann Österreich.

RI: Wissen Sie was Ihre Eltern für die Ausreise bezahlt haben?

BF 3 (auf Deutsch): Nein.

RI: Die Republik Österreich hat Ihnen bereits durch den Bescheid des BFA vom 31.08.2018 subsidiären Schutz gewährt und eine, vorerst befristete Aufenthaltsbewilligung erteilt. Warum streben Sie den Status des Konventionsflüchtlings an? Was glauben Sie, was sich dadurch für Sie ändern würde?

BF3 (antwortet auf Dari): Dieser subsidiäre Schutz ist mit einem Jahr befristet. Es ist möglich das er nicht verlängert wird und wir nach AFG zurückgehen müssen. Ich kann aber nicht mehr nach AFG zurückgehen.

RI: Warum sind Sie aus Afghanistan geflüchtet?

BF3 (antwortet auf Dari): In AFG wollte ein Mann mich heiraten, obwohl ich damals sehr jung gewesen bin. Dieser Mann hatte bereits 2 Frauen und mehrere Kinder. Meine Eltern waren dagegen, deshalb haben sie beschlossen, dass wir AFG verlassen und in ein Land gehen, wo ich meine Entscheidungen selbst treffen kann.

RI: Haben Sie davon in Afghanistan gewusst?

BF 3 (auf Deutsch): Nein.

RI: Wann haben Sie das erfahren?

BF 3 (auf Deutsch): Seit ich in Österreich bin.

RI: Was genau befürchten Sie bei Ihrer Rückkehr?

BF 3 (auf Deutsch): Wenn ich in AFG wieder zurück bin, kann es sein, dass sie mich wieder dazu zwingen ihn zu heiraten. Dann zwingt er mich, dass ich ihn wieder heirate. Das ist für mich ein Problem, wie soll ich einen Mann heiraten, wenn ich es nicht will. Hier in Ö treffe ich meine Entscheidungen und darf machen was ich will. Ich mag alles Gesetze in Ö, wie soll ich nach AFG zurückkehren. In AFG können Männer alles entscheiden und Frauen nicht. Das ist für mich unmöglich, dass ich wieder in AFG bin. Ich kann es mir gar nicht vorstellen.

RI: Gibt es noch weitere Dinge, die Sie im Falle einer Rückkehr befürchten?

BF 3 (auf Deutsch): Es kann sein, dass sie meine Eltern umbringen, weil wir gegen die Hochzeit waren.

RI: Sie waren damals 12 Jahre alt?

BF 3 (auf Deutsch): Das weiß ich nicht.

RI: Wurden Sie in Afghanistan einmal verhaftet?

BF 3 (auf Deutsch): Ich nicht.

RI: Wurden Sie in Österreich oder einem anderen Staat wegen Straftaten verurteilt?

BF 3 (auf Deutsch): Nein.

RI: Wie verbringen Sie in Österreich normalerweise den Tag?

BF 3 (auf Deutsch): Ich bin meistens in der Schule. In der Freizeit spiele ich Handy und meistens treffe ich meine Freunde.

RI: Wer sind Ihre Freunde?

BF 3 (auf Deutsch): Ich habe mehrere Freunde. Soll ich sie nennen.

RI: Sind sie alle aus Ihrer Schule?

BF 3 (auf Deutsch): Ja.

RI: Burschen und Mädchen?

BF 3 (auf Deutsch): Ja.

RI: Haben Sie auch noch Freunde außerhalb der Schule?

BF 3 (auf Deutsch): Nein.

RI: Mögen Sie die anderen Feuerwehrleute nicht?

BF 3 (auf Deutsch): Doch, die sind alle von meiner Schule. Wir wohnen in XXXX , es ist klein.

RI: Was machen Sie dort bei der Feuerwehr?

BF 3 (auf Deutsch): Wir haben Übungen. Wir hatten auch eine Prüfung, was man tun sollte, wenn man in eine Stelle kommt, wo eine. BF3 weiter auf Dari: Wir machen dort Übungen, wir lerne z.B. was wir tun sollen, wenn wir zu einem Brand kommen.

RI: Haben Sie da eine uniform an?

BF 3 (auf Deutsch): Ja.

RI: Helm? Haben Sie schon mit Atemschutz geübt?

BF 3 (auf Deutsch): Das kommt vielleicht nächstes Jahr.

RI: Üben Sie das Legen von Löschleitungen?

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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