TE Bvwg Erkenntnis 2020/9/15 W137 2234863-1

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Veröffentlicht am 15.09.2020
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Entscheidungsdatum

15.09.2020

Norm

BFA-VG §22a Abs1
BFA-VG §22a Abs3
B-VG Art133 Abs4
FPG §76
FPG §76 Abs2 Z2
VwGVG §35

Spruch

W137 2234863-1/5E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Peter HAMMER als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Marokko, vertreten durch Diakonie Flüchtlingsdienst – ARGE Rechtsberatung, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 03.09.2020, Zl. 1221122201 – 200813497, sowie die Anhaltung in Schubhaft seit 03.09.2020 zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerde gegen den Bescheid vom 03.09.2020 wird gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG iVm § 22a Abs. 1 BFA-VG als unbegründet abgewiesen und die Anhaltung in Schubhaft seit 03.09.2020 für rechtmäßig erklärt.

II. Gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG iVm § 76 FPG wird festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen.

III. Der Beschwerdeführer hat gemäß § 35 VwGVG dem Bund (Bundesminister für Inneres) den Verfahrensaufwand in Höhe von 426,20 Euro binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

IV. Der Antrag des Beschwerdeführers auf Ersatz des Verfahrensaufwands wird gemäß § 35 VwGVG abgewiesen.

B)

Die Revision ist gem. Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang und Sachverhalt

1. Der Beschwerdeführer wurde am 03.09.2020 unmittelbar im Anschluss an eine bedingte (vorzeitige) Entlassung aus der Strafhaft festgenommen und zur Prüfung einer Sicherungsmaßnahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (Bundesamt/BFA) niederschriftlich einvernommen. Dabei gab er auch an „Ich möchte nicht in das Polizeigefangenenhaus, sondern ich könnte bei einer Bekannten in einer Wohnung in Wien im 16. Bezirk wohnen. Diese Adresse habe ich beim Antrag auf die bedingte Entlassung dem Gericht angegeben.“

2. Am selben Tag wurde dem Beschwerdeführer der gegenständliche Schubhaftbescheid durch persönliche Übergabe zugestellt und die Schubhaft vollzogen.

3. Am 08.09.2020 langte beim Bundesverwaltungsgericht die nunmehr verfahrensgegenständliche Beschwerde (samt Vollmachtsbekanntgabe) ein. Darin wird im Wesentlichen vorgebracht, dass sich der Beschwerdeführer „bei Einleitung des Schubhaftverfahrens in Gerichtshaft“ befunden habe. Es sei daher kein Mandatsbescheid zu erlassen gewesen, wobei der angefochtenen Bescheid das dann erforderliche Begründungserfordernis nicht erfülle. Zudem sei nicht berücksichtigt worden, dass er bei der Anhörung zur bedingten Entlassung angegeben habe, bei Frau XXXX in Wien Unterkunft nehmen zu können. Schließlich sei auch nicht absehbar, wann der Flugverkehr nach Marokko wieder aufgenommen wird. Insofern sei nicht anzunehmen, dass eine Abschiebung innerhalb der Schubhafthöchstdauer von 6 Monaten durchgeführt werden kann.

Beantragt werde daher a) eine mündliche Verhandlung unter Ladung der namhaft gemachten Zeugin durchzuführen; b) die Schubhaftanordnung und die bisherige Anhaltung als rechtswidrig zu beurteilen; c) auszusprechen, dass die Voraussetzungen für eine weitere Anhaltung nicht vorliegen; d) der belangten Behörde den Ersatz der Aufwendungen aufzuerlegen.

4. Am 09.09.2020 langte der Verwaltungsakt beim Bundesverwaltungsgericht ein. Mit der Beschwerdevorlage verwies das Bundesamt in einer ausführlichen Stellungnahme vom selben Tag im Wesentlichen auf das Vorverhalten des Beschwerdeführers und die ergangenen asyl- und fremdenrechtlichen Entscheidungen. Das Bundesamt sei auch erst am Tag der Entlassung von dieser informiert worden. Ein Verfahren zur Erlangung eines Heimreisezertifikats (HRZ) habe erst nach der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts im Asylverfahren (am 02.09.2020) eingeleitet werden können.

Zudem sei der Beschwerdeführer in Österreich straffällig geworden und habe durch das Zurücklassen seiner Dokumente die Erfordernis einer HRZ-Ausstellung selbst herbeigeführt. Eine Abschiebung werde erfolgen sobald die aktuellen pandemiebedingten Maßnahmen im Luftverkehr nach Marokko zurückgenommen werden. Vor diesem Hintergrund sei die Anhaltung weiterhin verhältnismäßig.

Aufgrund der Aktenlage wird folgender Sachverhalt der gegenständlichen Entscheidung zugrunde gelegt:

Betreffend den Beschwerdeführer liegt – mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 02.09.2020, I421 2233178-1/8E - eine rechtkräftige Rückkehrentscheidung hinsichtlich Marokko vor. Diese ist mit einem ebenfalls rechtskräftigen Einreiseverbot für die Dauer von acht Jahren verbunden. Vor seiner Identifizierung durch Interpol hatte er gegenüber österreichischen Sicherheitsbehörden eine falsche Identität angegeben.

Das Bundesamt hat das HRZ-Verfahren nahezu unmittelbar nach rechtskräftigem Abschluss des Asylverfahrens eingeleitet. Von der bedingten Entlassung des Beschwerdeführers war das Bundesamt seitens der Justiz erst am Tag der Entlassung – dem 03.09.2020 – in Kenntnis gesetzt worden. Das Bundesamt erließ umgehend einen Festnahmeauftrag. Bei der niederschriftlichen Einvernahme am selben Tag hat der Beschwerdeführer gegenüber dem Bundesamt weder den Namen XXXX erwähnt, noch das Bestehen einer gesicherten Unterkunft behauptet.

Der Beschwerdeführer wurde in Österreich 2019 wegen der Begehung von Gewalt- und Suchtmitteldelikten zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 3 Jahren verurteilt. Er ist in besonderem Maß nicht vertrauenswürdig; es besteht ein besonderes hohes staatliches Interesse an seiner Außerlandesbringung.

Der Beschwerdeführer war in Österreich vor Anordnung der Schubhaft ausschließlich in Justizanstalten gemeldet.

Die realistische Möglichkeit einer Überstellung des Beschwerdeführers (innerhalb der gesetzlich normierten Zeitspanne für die Anhaltung in Schubhaft) in seinen Herkunftsstaat besteht zum Zeitpunkt dieser Entscheidung in hinreichendem Maße. Aktuell sind Abschiebungen nicht möglich; eine Abschiebung noch in diesem Kalenderjahr (in wenigen Monaten) ist allerdings realistisch möglich. Die Verantwortung für die Dauer der Anhaltung liegt im bisherigen Verhalten des Beschwerdeführers.

Der Beschwerde ist nicht Asylwerber; es kommt ihm kein faktischer Abschiebeschutz zu. Er ist in Österreich in keiner Form integriert, spricht kaum Deutsch und verfügt über keine substanziellen sozialen oder familiären Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet. Eine Nächtigungsmöglichkeit bei Frau XXXX wird der gegenständlichen Entscheidung zugrunde gelegt; ein Naheverhältnis zu dieser Person ist nicht gegeben.

Der Beschwerdeführer ist grundsätzlich gesund und arbeitsfähig sowie jedenfalls haftfähig.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Beweiswürdigung:

1.1. Der Verfahrensgang und der Sachverhalt ergeben sich aus dem Inhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des Bundesamtes zur Zl. 1221122201 – 200813497 (Schubhaft) sowie den Gerichtsakten des Bundesverwaltungsgerichts bezüglich des Beschwerdeführers, insbesondere dem Erkenntnis vom 02.09.2020, I421 2233178-1/8E, im Asylverfahren.

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit und dem bisherigen Verfahren ergeben sich aus der Aktenlage.

1.2. Die Feststellungen zum HRZ-Verfahren und zur Information des BFA von der vorzeitigen bedingten Entlassung des Beschwerdeführers aus der Strafhaft ergeben sich aus der Aktenlage. Sie wären für den Beschwerdeführer und seinen bevollmächtigten Vertreter auch bei Akteneinsicht vor Beschwerdeabfassung problemlos ersichtlich gewesen. Aus dem Einvernahmeprotokoll geht klar hervor, dass der Beschwerdeführer damals keine Angaben zu einer Unterkunftsmöglichkeit gemacht hat.

1.2. Die strafrechtliche Verurteilung des Beschwerdeführers ist aus einem rezenten Auszug aus dem Strafregister (sowie den im Akt einliegenden Gerichtsurteilen) ersichtlich und im Übrigen auch unstrittig. Die fehlende Vertrauenswürdigkeit ergibt sich aus dem bisherigen Verhalten des Beschwerdeführers, insbesondere der Tatsache, dass er erst nach mehreren Monaten Haft und nach Erlassung einer Rückkehrentscheidung erstmalig einen Antrag auf internationalen Schutz stellte, der zur Behebung dieser Entscheidung führte, sowie dem Faktum, dass er in Österreich vor diesem Antrag nicht gemeldet war und ausschließlich durch die Begehung (schwerer) Suchtmitteldelikte in Erscheinung trat. Daraus ergibt sich auch das besondere staatliche Interesse an einer Außerlandesbringung.

Die Feststellungen zu den Meldeadressen ergeben sich aus einer rezenten Abfrage im zentralen Melderegister (ZMR).

1.3. Die realistische Möglichkeit der Rücküberstellung ergibt sich aus der diesbezüglich grundsätzlich problemlosen Zusammenarbeit mit den Vertretungen und Behörden des Herkunftsstaates. Da der Beschwerdeführer erst seit zwei Wochen in Schubhaft angehalten wird, kann derzeit von einer Abschiebemöglichkeit innerhalb der gesetzlichen Anhaltedauer, voraussichtlich noch im laufenden Kalenderjahr, ausgegangen werden. Dies auch, weil der Beschwerdeführer bereits identifiziert werden konnte. Damit erleichtert sich die Ausstellung eines Heimreisezertifikats. Die Verantwortung für die Länge der Anhaltedauer liegt beim Beschwerdeführer, der keine Personal- und Reisedokumente mit sich führt.

1.4. Das Fehlen jeglicher Integration im Bundesgebiet ergibt sich aus der Aktenlage. Der Beschwerdeführer hat im Strafverfahren angegeben, erst im Februar 2019 nach Österreich eingereist zu sein. Bereits seit 03.03.2019 befindet er sich nicht mehr in Freiheit. Die Begründung einer relevanten Integration in dieser kurzen – offenkundig vorrangig zur Begehung von Straftaten genutzten – Zeit ist ausgeschlossen.

Substanzielle Deutschkenntnisse wurden in der Beschwerde nicht behauptet; Befragungen des Beschwerdeführers erfolgten in Arabisch. Im Verfahren sind auch keine legalen Beschäftigungsverhältnisse oder Fähigkeiten hervorgekommen, die zu einer mittelfristigen Sicherung der eigenen Existenz in Österreich beitragen würde. Gegenwärtig verfügt der Beschwerdeführer noch über 250€ Bargeld; die Unterkunftsmöglichkeit bei XXXX wird der Entscheidung zu Grunde gelegt. Ein Naheverhältnis zu ihr wurde nicht behauptet; der Beschwerdeführer war auch nie bei ihr gemeldet und kann sie nur während seines illegalen Aufenthalts (und seiner kriminellen Aktivitäten) oder überhaupt erst während seiner Haft kennengelernt haben.

1.5. Substanzielle gesundheitliche Probleme des Beschwerdeführers wurden in der Beschwerde nicht behauptet und sind auch aus der Aktenlage nicht ersichtlich. Aus dem oben Dargestellten ergibt sich die Haftfähigkeit des Beschwerdeführers, die überdies durch eine durchgehende Anhaltung von 18 Monaten in Untersuchungs- und Strafhaft unmittelbar vor Antritt der Schubhaft zweifelsfrei belegt. Eine grundsätzliche Haftunfähigkeit wurde in der Beschwerde ebenfalls nicht behauptet.

2. Rechtliche Beurteilung

2.1. Soweit das Verwaltungsgericht nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, hat es gemäß § 27 VwGVG den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs.1 Z 3 und 4 VwGVG) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3 VwGVG) zu überprüfen. Gemäß § 9 Abs. 1 VwGVG hat die Beschwerde u.a. (Z 3) die Gründe, auf die sich die Behauptung der Rechtswidrigkeit stützt, sowie (Z 4) das Begehren zu enthalten. In den erläuternden Bemerkungen der Regierungsvorlage zur Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl. I Nr. 51/2012, wurde zu § 27 VwGVG ausgeführt: „Der vorgeschlagene § 27 legt den Prüfungsumfang des Verwaltungsgerichtes fest. Anders als die Kognitionsbefugnis einer Berufungsbehörde (vgl. § 66 Abs. 4 AVG) soll die Kognitionsbefugnis des Verwaltungsgerichtes durch den Inhalt der Beschwerde beschränkt sein.“

2.2. Der mit „Rechtsschutz bei Festnahme, Anhaltung und Schubhaft“ betitelte § 22a des BFA-Verfahrensgesetzes (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 idgF, lautet:

„§ 22a. (1) Der Fremde hat das Recht, das Bundesverwaltungsgericht mit der Behauptung der Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides, der Festnahme oder der Anhaltung anzurufen, wenn

1.       er nach diesem Bundesgesetz festgenommen worden ist,

2.       er unter Berufung auf dieses Bundesgesetz angehalten wird oder wurde, oder

3.       gegen ihn Schubhaft gemäß dem 8. Hauptstück des FPG angeordnet wurde.

(1a) Für Beschwerden gemäß Abs. 1 gelten die für Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG anwendbaren Bestimmungen des VwGVG mit der Maßgabe, dass belangte Behörde jene Behörde ist, die den angefochtenen Schubhaftbescheid erlassen hat oder der die Festnahme oder die Anhaltung zuzurechnen ist.

(2) Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes über die Fortsetzung der Schubhaft hat binnen einer Woche zu ergehen, es sei denn, die Anhaltung des Fremden hätte vorher geendet. Hat das Bundesverwaltungsgericht dem Beschwerdeführer gemäß § 13 Abs. 3 AVG aufgetragen, innerhalb bestimmter Frist einen Mangel der Beschwerde zu beheben, wird der Lauf der Entscheidungsfrist bis zur Behebung des Mangels oder bis zum fruchtlosen Ablauf der Frist gehemmt.

(3) Sofern die Anhaltung noch andauert, hat das Bundesverwaltungsgericht jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen.

(4) Soll ein Fremder länger als vier Monate durchgehend in Schubhaft angehalten werden, so ist die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung nach dem Tag, an dem das vierte Monat überschritten wurde, und danach alle vier Wochen vom Bundesverwaltungsgericht zu überprüfen. Das Bundesamt hat die Verwaltungsakten so rechtzeitig vorzulegen, dass dem Bundesverwaltungsgericht eine Woche zur Entscheidung vor den gegenständlichen Terminen bleibt. Mit Vorlage der Verwaltungsakten gilt die Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen Fremden eingebracht. Das Bundesamt hat darzulegen, warum die Aufrechterhaltung der Schubhaft notwendig und verhältnismäßig ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und ob die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist. Diese Überprüfung hat zu entfallen, soweit eine Beschwerde gemäß Abs. 1 bereits eingebracht wurde.

(5) Gegen die Anordnung der Schubhaft ist eine Vorstellung nicht zulässig.“

Das Bundesverwaltungsgericht ist somit gemäß § 22a Abs. 1 BFA-VG für die Entscheidung der gegenständlichen Beschwerde zuständig.

Zu Spruchteil A)

2.3. Der mit „Schubhaft“ betitelte § 76 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, lautet:

„§ 76. (1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§ 77) erreicht werden kann. Unmündige Minderjährige dürfen nicht in Schubhaft angehalten werden.

(2) Die Schubhaft darf nur angeordnet werden, wenn
1.         dies zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme notwendig ist, sofern der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gemäß § 67 gefährdet, Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist,
2.         dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nach dem 8. Hauptstück oder der Abschiebung notwendig ist, sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder
3.         die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung vorliegen.

Bedarf es der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme deshalb nicht, weil bereits eine aufrechte rechtskräftige Rückkehrentscheidung vorliegt (§ 59 Abs. 5), so steht dies der Anwendung der Z 1 nicht entgegen. In den Fällen des § 40 Abs. 5 BFA-VG gilt Z 1 mit der Maßgabe, dass die Anordnung der Schubhaft eine vom Aufenthalt des Fremden ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit nicht voraussetzt.

(2a) Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung (Abs. 2 und Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung) ist auch ein allfälliges strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen, insbesondere ob unter Berücksichtigung der Schwere der Straftaten das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung den Schutz der persönlichen Freiheit des Fremden überwiegt.

(3) Eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 1 oder 2 oder im Sinne des Art. 2 lit n Dublin-Verordnung liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen,
1.         ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert;
1a.         ob der Fremde eine Verpflichtung gemäß § 46 Abs. 2 oder 2a verletzt hat, insbesondere, wenn ihm diese Verpflichtung mit Bescheid gemäß § 46 Abs. 2b auferlegt worden ist, er diesem Bescheid nicht Folge geleistet hat und deshalb gegen ihn Zwangsstrafen (§ 3 Abs. 3 BFA-VG) angeordnet worden sind;
2.         ob der Fremde entgegen einem aufrechten Einreiseverbot, einem aufrechten Aufenthaltsverbot oder während einer aufrechten Anordnung zur Außerlandesbringung neuerlich in das Bundesgebiet eingereist ist;
3.         ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat;
4.         ob der faktische Abschiebeschutz bei einem Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005) aufgehoben wurde oder dieser dem Fremden nicht zukommt;
5.         ob gegen den Fremden zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand, insbesondere, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Schubhaft befand oder aufgrund § 34 Abs. 3 Z 1 bis 3 BFA-VG angehalten wurde;
6.         ob aufgrund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung oder der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass ein anderer Mitgliedstaat nach der Dublin-Verordnung zuständig ist, insbesondere sofern
a.         der Fremde bereits mehrere Anträge auf internationalen Schutz in den Mitgliedstaaten gestellt hat oder der Fremde falsche Angaben hierüber gemacht hat,
b.         der Fremde versucht hat, in einen dritten Mitgliedstaat weiterzureisen, oder
c.         es aufgrund der Ergebnisse der Befragung, der Durchsuchung, der erkennungsdienstlichen Behandlung oder des bisherigen Verhaltens des Fremden wahrscheinlich ist, dass der Fremde die Weiterreise in einen dritten Mitgliedstaat beabsichtigt;
7.         ob der Fremde seiner Verpflichtung aus dem gelinderen Mittel nicht nachkommt;
8.         ob Auflagen, Mitwirkungspflichten, Gebietsbeschränkungen, Meldeverpflichtungen oder Anordnungen der Unterkunftnahme gemäß §§ 52a, 56, 57 oder 71 FPG, § 38b SPG, § 13 Abs. 2 BFA-VG oder §§ 15a oder 15b AsylG 2005 verletzt wurden, insbesondere bei Vorliegen einer aktuell oder zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutzes durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme;
9.         der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes.

(4) Die Schubhaft ist schriftlich mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Schubhaftbescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

(5) Wird eine aufenthaltsbeendende Maßnahme (Z 1 oder 2) durchsetzbar und erscheint die Überwachung der Ausreise des Fremden notwendig, so gilt die zur Sicherung des Verfahrens angeordnete Schubhaft ab diesem Zeitpunkt als zur Sicherung der Abschiebung verhängt.

(6) Stellt ein Fremder während einer Anhaltung in Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz, so kann diese aufrechterhalten werden, wenn Gründe zur Annahme bestehen, dass der Antrag zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt wurde. Das Vorliegen der Voraussetzungen ist mit Aktenvermerk festzuhalten; dieser ist dem Fremden zur Kenntnis zu bringen. § 11 Abs. 8 und § 12 Abs. 1 BFA-VG gelten sinngemäß.“

2.4. Die Anhaltung in Schubhaft ist nach Maßgabe der grundrechtlichen Garantien des Art. 2 Abs. 1 Z 7 PersFrBVG und des Art. 5 Abs. 1 lit. f EMRK nur dann zulässig, wenn der Anordnung der Schubhaft ein konkreter Sicherungsbedarf zugrunde liegt und die Schubhaft unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls verhältnismäßig ist. Dabei sind das öffentliche Interesse an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung und das Interesse des Betroffenen an der Schonung seiner persönlichen Freiheit abzuwägen. Kann der Sicherungszweck auf eine andere, die Rechte des Betroffenen schonendere Weise, wie etwa durch die Anordnung eines gelinderen Mittels nach § 77 FPG, erreicht werden (§ 76 Abs. 1 FPG), ist die Anordnung der Schubhaft nicht zulässig (VfGH 03.10.2012, VfSlg. 19.675/2012; VwGH 22.01.2009, Zl. 2008/21/0647; 30.08.2007, Zl. 2007/21/0043).

Ein Sicherungsbedarf ist in der Regel dann gegeben, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen oder diese zumindest wesentlich erschweren werde (§ 76 Abs. 3 FPG). Es ist allerdings nicht erforderlich, dass ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme bereits eingeleitet worden ist (VwGH 28.06.2002, Zl. 2002/02/0138).

Die fehlende Ausreisewilligkeit des Fremden, d.h. das bloße Unterbleiben der Ausreise, obwohl keine Berechtigung zum Aufenthalt besteht, vermag für sich genommen die Verhängung der Schubhaft nicht zu rechtfertigen. Vielmehr muss der – aktuelle – Sicherungsbedarf in weiteren Umständen begründet sein, etwa in mangelnder sozialer Verankerung in Österreich. Dafür kommt insbesondere das Fehlen ausreichender familiärer, sozialer oder beruflicher Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet in Betracht, was die Befürchtung, es bestehe das Risiko des Untertauchens eines Fremden, rechtfertigen kann. Abgesehen von der damit angesprochenen Integration des Fremden in Österreich ist bei der Prüfung des Sicherungsbedarfes auch sein bisheriges Verhalten in Betracht zu ziehen, wobei frühere Delinquenz das Gewicht des öffentlichen Interesses an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung maßgeblich vergrößern kann (VwGH 21.12.2010, Zl. 2007/21/0498; weiters VwGH 08.09.2005, Zl. 2005/21/0301; 23.09.2010, Zl. 2009/21/0280).

3. Zur Frage der Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides und der Anhaltung in Schubhaft

3.1. Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung kann immer nur dann verhältnismäßig sein, wenn mit dem der Möglichkeit einer Abschiebung auch tatsächlich zu rechnen ist. Ergibt sich, dass diese fremdenpolizeiliche Maßnahme innerhalb der Schubhafthöchstdauer nicht durchführbar ist, so darf die Schubhaft nicht verhängt werden bzw. ist – wenn sich das erst später herausstellt – umgehend zu beenden (VwGH 28.08.2012, 2010/21/0517; vgl. VwGH 19.04.2012, 2009/21/0047).

Die „Fluchtgefahr“ ist in Österreich im § 76 Abs. 3 FPG (oben unter Punkt II.2. wiedergegeben) gesetzlich definiert. Über den Beschwerdeführer wurde nach seiner Rückkehr aus Frankreich und der Aberkennung der aufschiebenden Wirkung im Asylfolgeverfahren die Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung angeordnet.

3.3. Die belangte Behörde begründete die festgestellte Fluchtgefahr im Wesentlichen mit dem Aufenthalt im Verborgenen nach Einreise sowie dem Fehlen sozialer Anknüpfungspunkte und jeglicher Integration im Bundesgebiet sowie dem fehlenden faktischen Abschiebeschutz samt Bestehen einer durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme. Das Bundesamt stützte sich dabei erkennbar auf die Ziffern 3 und 9 des § 76 Abs. 3 FPG. Dem Vorliegen der Kriterien der Ziffer 3 wurde in der Beschwerde nicht substanziell entgegengetreten; vielmehr erweist sich deren Vorliegen auch in Zusammenschau mit dem Inhalt der Beschwerde als unstrittig.

3.4. Die belangte Behörde stützt den angefochtenen Bescheid auch auf § 76 Abs. 3 Z 9 FPG, wonach der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes zu berücksichtigen sind und kommt zutreffend zum Ergebnis, dass der Beschwerdeführer weder eine legale Erwerbstätigkeit ausübt, noch über substanzielle soziale oder berufliche Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet verfügt. Auch eine gesicherte Unterkunft liege nicht vor. Ebenso wurden keine substanziellen Integrationsschritte während des nunmehr fast sieben Jahre andauernden Aufenthalts im Bundesgebiet vorgebracht.

Für das Bestehen familiärer Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet gibt es keinen Hinweis und wurde dies auch nie behauptet. Gleiches gilt für das Fehlen einer beruflichen und sozialen Integration. Soweit der Beschwerdeführer auf eine Unterkunftsmöglichkeit bei einer namentlich genannten Person verweist, hat er diese bei seiner Einvernahme vor dem BFA am 03.09.2020 weder direkt noch indirekt erwähnt. Von einer Person kann und muss erwartet werden, dass derartige – potenziell entscheidungsrelevante – Sachverhaltselemente aus eigenem vorgebracht werden. Spätestens bei der abschließenden Frage „Wollen sie sonst noch etwas angeben?“ hätte dies jedenfalls erfolgen können und müssen. Umgekehrt kann vom Bundesamt in einem Verfahren zur Erlassung eines Mandatsbescheides zwar die Kenntnis (und Einbeziehung) der eigenen Vorverfahren verlangt werden, nicht jedoch jene von Einvernahmen anderer Behörden, auf die sie keine unmittelbare Zugriffsmöglichkeit hat. Die Unkenntnis – und dementsprechend die nicht erfolgte Berücksichtigung dieser Unterkunftsmöglichkeit kann dem Bundesamt daher auch nicht zum Vorwurf gemacht werden und stellt keinen Ermittlungs- oder Begründungsmangel dar.

Die Behörde geht auch richtigerweise von einer aufgrund der strafrechtlichen Verurteilung des Beschwerdeführers abgeleiteten nahezu vollständig fehlenden Vertrauenswürdigkeit und einem besonderen Interesse des Staates an der Sicherstellung der Abschiebung aus.

3.5. Auf Grund dieser Erwägungen ging das Bundesamt im Ergebnis zutreffend davon aus, dass im Falle des Beschwerdeführers insgesamt Fluchtgefahr in einem die Anhaltung in Schubhaft rechtfertigenden Ausmaß besteht.

Dem konnte auch in der Beschwerde nicht wirkungsvoll entgegengetreten werden. Festzuhalten ist insbesondere, dass nach wie vor eine realistische Chance der Erlangung eines Heimreisezertifikats für den Beschwerdeführer innerhalb der zulässigen Anhaltedauer besteht. Das Bundesamt ist aufgrund der Interpol-Identifizierung des Beschwerdeführers und der grundsätzlich problemlosen Zusammenarbeit mit dem Herkunftsstaat auch zu recht von einer zumutbaren und verhältnismäßigen Anhaltedauer ausgegangen.

Das Bundesamt hat - entgegen dem Vorwurf in der Beschwerde – auch nicht die Erlangung eines Heimreisezertifikats verzögert betrieben. Vielmehr hat der Beschwerdeführer diesbezügliche Schritte – etwa die Durchführung einer Sprachanalyse – während der Strafhaft (und im Hinblick auf die absehbare Haftentlassung) erneut bewusst obstruiert. Vor diesem Hintergrund kann der Vorwurf, das Bundesamt habe nicht auf die kürzest mögliche Anhaltedauer hingewirkt, nicht einmal ansatzweise nachvollzogen werden. Das Bundesamt hat im Bescheid auch nachvollziehbar dargelegt, dass das HRZ-Verfahren erst nach dem 02.09.2020 (rechtskräftiger Abschluss des Asylverfahrens) eingeleitet werden konnte.

3.6. Auf Grund der festgestellten Fluchtgefahr konnte auch nicht mit der Anwendung gelinderer Mittel das Auslangen gefunden werden: Dem Bundesamt ist darin beizupflichten, dass sich im Falle des Beschwerdeführers weniger einschneidende Maßnahmen nicht wirksam anwenden lassen, da sich der Beschwerdeführer insbesondere durch sein vor Anordnung der Schubhaft gezeigtes kriminelles Verhalten und den Aufenthalt im Verborgenen als nicht vertrauenswürdig erwiesen hat – was aber Voraussetzung für die Anordnung des gelinderen Mittels ist. Auf Grund dieser Umstände und der bestehenden Fluchtgefahr, überwogen daher – wie im angefochtenen Bescheid richtig dargelegt - die öffentlichen Interessen an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und eines geordneten Fremdenwesens die Interessen des Beschwerdeführers an der Abstandnahme von der Verhängung der Schubhaft deutlich und ist diese als ultima-ratio-Maßnahme notwendig.

3.7. Das Bundesamt konnte aus den oben dargelegten Gründen zudem davon ausgehen, dass die Überstellung des Beschwerdeführers in seinen Herkunftsstaat in zumutbarer Frist und innerhalb der zulässigen Anhaltedauer möglich ist. Auch die absehbare Dauer der Schubhaft war vor diesem Hintergrund nicht unverhältnismäßig. Abschiebungen nach Marokko fanden bis Februar 2020 regelmäßig statt; Heimreisezertifikate werden grundsätzlich unproblematisch und regelmäßig ausgestellt. Die aktuellen Einschränkungen im internationalen Luftverkehr sind durchwegs zeitlich befristet und bedingen jedenfalls keine gesicherte Unmöglichkeit einer Abschiebung. Vielmehr ist derzeit davon auszugehen, dass diese Einschränkung nur wenige Wochen, allenfalls wenige Monate, aufrecht sind.

Überdies gab es bei Anordnung der Schubhaft – die unmittelbar an eine Strafhaft anschloss - keine erkennbaren Hinweise auf eine Haftunfähigkeit des Beschwerdeführers und wurde sie auch im Beschwerdeverfahren nicht behauptet.

3.8. Zu den weiteren Beschwerdevorbringen ist Folgendes festzuhalten:

Im gegenständlichen Fall lagen zweifelsfrei (nur) die Voraussetzungen zur Führung eines Mandatsverfahrens zur Erlassung einer Schubhaft vor. Das Bundesamt wurde nachweislich erst am 03.09.2020 von der für 03.09.2020 festgesetzten vorzeitigen/bedingten Entlassung aus der Strafhaft in Kenntnis gesetzt. Dies wäre – wie schon ausgeführt – bei einer Akteneinsicht (oder Nachfrage) ersichtlich gewesen. Die Entlassung des Beschwerdeführers aus der Strafhaft am 03.09.2020 war für das bundesamt daher auch erst am 03.09.2020 absehbar.

Dass dieses Datum schon früher als potenzielles vorzeitiges Haftende früher bekannt gegeben worden ist, kann daran nichts ändern. Dabei handelte es sich lediglich um die Bekanntgabe errechneter Daten für ein allenfalls gesondert zu verfügendes (vorzeitiges) Haftende. Dem Bundesamt kann nicht zugemutet werden, Schubhaften ohne gesichertes Wissen über eine tatsächliche Haftentlassung „auf Vorrat“ für diese Daten vorzubereiten. Anders stellt sich dies – nur der Vollständigkeit halber angemerkt – hinsichtlich des spätest möglichen Haftendes dar.

Soweit in der Beschwerde die potenzielle Überschreitung der „Schubhafthöchstdauer von 6 Monaten“ thematisiert wird, ist festzuhalten, dass der Beschwerdeführer seit nicht einmal 14 Tagen in Schubhaft angehalten wird und in der Beschwerde nicht nachvollziehbar dargelegt werden konnte, dass eine Abschiebung bis Ende Februar 2021 (faktisch) unmöglich ist. Insoweit ist das entscheidende Thema der Anhaltung die Prognose der Verhältnismäßigkeit der Anhaltung, wobei diese im angefochtenen Bescheid – auch für einige Monate ab Bescheiderlassung – nachvollziehbar als gegeben dargelegt worden ist.

3.9. Aus diesen Gründen ist die Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid und die Anhaltung in Schubhaft abzuweisen.

4. Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ist festzustellen, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen:

4.1. Gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG hat das Bundesverwaltungsgericht, sofern die Anhaltung noch andauert, jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen.

Der VwGH hat zum Fortsetzungsausspruch gemäß § 83 Abs. 4 erster Satz FPG in der bis 31.12.2013 geltenden Fassung ausgesprochen, dass der Unabhängige Verwaltungssenat (UVS) im Rahmen seines Ausspruchs gemäß § 83 Abs. 4 FPG aF nicht an die im Schubhaftbescheid herangezogenen Rechtsgrundlagen gebunden ist, sondern die Zulässigkeit der Fortsetzung der Schubhaft nach allen Richtungen zu prüfen hat; er ist auch nicht nur „ermächtigt“, einen „weiteren bzw. neuen Anhaltegrund für die Fortsetzung der Schubhaft zu schaffen“, sondern bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen im Rahmen des ihm eingeräumten Ermessens zu einem positiven und (nur) bei deren Fehlen zu einem negativen Fortsetzungsausspruch verpflichtet. Verneint der UVS daher das Vorliegen der Voraussetzungen für die weitere Anhaltung in Schubhaft, so bedeutet dieser Ausspruch von Gesetzes wegen die Unzulässigkeit der (Fortsetzung der) Schubhaft auf Grund jeglichen zum Bescheiderlassungszeitpunkt geltenden Schubhafttatbestandes, unabhängig davon, ob der UVS dessen Voraussetzungen (erkennbar) geprüft und dies seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat (VwGH 15.12.2011, Zl. 2010/21/0292; 28.08.2012, Zl. 2010/21/0388 mwN). Diese Rechtsprechung des VwGH ist unverändert auf den Fortsetzungsausspruch des Bundesverwaltungsgerichtes nach der inhaltlich gleichlautenden Bestimmung des § 22a Abs. 3 BFA-VG übertragbar.

4.2. Für die Durchsetzung der Rückkehrentscheidung (Abschiebung), die Verfahren zur Erlangung eines Heimreisezertifikats und allenfalls die Erlassung einer neuerlichen Rückkehrentscheidung ist die Anwesenheit des Beschwerdeführers erforderlich. Es ist angesichts seines bisherigen Verhaltens jedoch davon auszugehen, dass er sich dem behördlichen Zugriff durch Untertauchen umgehend entziehen würde, sobald sich eine Gelegenheit dazu bietet. Da er zudem über keine feststellbaren beruflichen und familiären sowie substanziellen sozialen Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet verfügt, ist nicht ersichtlich, was den Beschwerdeführer im Falle einer Entlassung aus der Schubhaft von einem Untertauchen abhalten sollte. Dies umso mehr, als er vor seiner Festnahme im Zusammenhang mit Gewalt- und Suchtmitteldelikten unberechtigt und im Verborgenen im Bundesgebiet aufhielt und seit 03.03.2019 durchgehend inhaftiert war. Überdies hat er sich durch sein sonstiges Vorverhalten – etwa die unstrittige Gewalt- und Suchtmittelkriminalität sowie falsche Angaben zu seiner Identität gegenüber den österreichischen Sicherheitsbehörden – als in besonders hohem Maße nicht vertrauenswürdig erwiesen hat.

4.3. Im gegenständlichen Fall sind die Kriterien der Ziffer 3 wie dargelegt weiterhin gegeben. Hinsichtlich Ziffer 9 wurde in der Beschwerde kein substanzielles Vorbringen erstattet. In diesem Zusammenhang ist überdies festzuhalten, dass schon nach dem Wortlaut der Bestimmung (einzelne) „soziale Anknüpfungspunkte“ für sich alleine nicht ausreichen, der Anordnung einer Schubhaft entgegenzustehen. Vielmehr geht es um den „Grad der sozialen Verankerung in Österreich“, wobei familiäre Beziehungen, eine legale Erwerbstätigkeit, Existenzmittel und gesicherter Wohnraum exemplarisch genannt werden. Im gegenständlichen Fall sind diese Anknüpfungspunkte allerdings praktisch vollständig nicht gegeben.

Frau XXXX wird in der Beschwerde ausschließlich im Zusammenhang mit einer Unterkunftsmöglichkeit angeführt, die für sich genommen nicht einmal zwingend einen „gesicherten Wohnsitz“ im Sinne des Gesetzes darstellt (der mehr sein muss, als eine bloße Nächtigungsmöglichkeit). Details dazu bleibt der Vertreter des Beschwerdeführers schuldig, wobei damit lediglich einer der oben angeführten Anknüpfungspunkte (teilweise) erfüllt wäre.

In Zusammenschau mit den obigen Ausführungen besteht damit aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts kein Zweifel, dass im gegenständlichen Fall (weiterhin) eine zur Schubhaftanordnung erhebliche Fluchtgefahr seitens des Beschwerdeführers sowie ein besonders hohes staatliches Interesse an der Sicherstellung einer Abschiebung zu bejahen ist.

Aus diesen Erwägungen ergibt sich auch, dass im gegenständlichen Fall die Anordnung des gelinderen Mittels nicht ausreichend ist, um den Sicherungsbedarf zu erfüllen. Damit liegt auch die geforderte „ultima-ratio-Situation“ für die Anordnung/Fortsetzung der Schubhaft vor und erweist sich diese zum gegenwärtigen Zeitpunkt auch als verhältnismäßig.

4.4. Hinsichtlich der absehbaren Dauer der Schubhaft ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt davon auszugehen, dass diese in zumutbarer Zeit beendet werden kann.

Für die Annahme einer (zukünftigen) unverhältnismäßig langen Anhaltung gibt es gegenwärtig keinen Anhaltspunkt. Aus heutiger Sicht ist weiter davon auszugehen, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers binnen weniger Monate (voraussichtlich noch im laufenden Kalenderjahr) erfolgen kann. Für die Annahme einer monatelangen Überstellungsunmöglichkeit gibt es in der Beschwerde keinen schlüssigen Hinweis. Dieser müsste aber dargelegt werden, da die Überstellungsunmöglichkeit der Ausnahmefall ist. Darüber hinaus trägt er selbst – durch das Zurücklassen von Personal- und Reisedokumenten – die Verantwortung das laufende HRZ-Verfahren und die Notwendigkeit einer Abschiebung, weshalb die dadurch bedingte (längerfristige) Anhaltung im gegenständlichen Einzelfall auch als verhältnismäßig und ihm zumutbar anzusehen ist.

Eine Abschiebung im Dezember 2020 würde im Rückblick eine Anhaltung des Beschwerdeführers von etwas mehr als drei Monaten (Gesamtdauer) bedeuten. Vor diesem Hintergrund ist es daher gegenwärtig auch nicht entscheidungsrelevant, ob die gesetzlich zulässige Anhaltedauer nun 6 oder 18 Monate beträgt. Mit dieser Frage hat sich jedenfalls das Bundesamt zu befassen, wenn es hinreichend nachvollziehbare Hinweise geben sollte, dass eine Abschiebung bis Ende Februar jedenfalls nicht mehr möglich sein sollte. Das Fortbestehen der Verhältnismäßigkeit der Anhaltung ist unabhängig von der grundsätzlich möglichen Anhaltedauer zu prüfen.

4.5. Es ist daher gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG festzustellen, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen.

5. Entfall einer mündlichen Verhandlung

Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.

Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht hat auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. Gemäß § 24 Abs. 2 VwGVG kann die Verhandlung entfallen, wenn (Z 1) der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist oder (Z 2) die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist. Soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, kann das Verwaltungsgericht Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen. Das Verwaltungsgericht kann gemäß § 24 Abs. 5 VwGVG von der Durchführung (Fortsetzung) einer Verhandlung absehen, wenn die Parteien ausdrücklich darauf verzichten. Ein solcher Verzicht kann bis zum Beginn der (fortgesetzten) Verhandlung erklärt werden.

Die Abhaltung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG iVm § 24 VwGVG unterbleiben, da der Sachverhalt auf Grund der Aktenlage und des Inhaltes der Beschwerde geklärt war und Widersprüchlichkeiten in Bezug auf die für die gegenständliche Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltselemente nicht vorlagen.

In der Beschwerde finden sich auch keine substanziellen Hinweise auf einen sonstigen möglicherweise unvollständig ermittelten entscheidungsrelevanten Sachverhalt. Die in der Beschwerde vorgebrachte Unterkunftsmöglichkeit wurde der gegenständlichen Entscheidung ohnehin zugrunde gelegt. Dass die beantragte Zeugin zu anderen entscheidungsrelevanten Sachverhaltselementen substanzielle Angaben machen könnte, wurde in der Beschwerde beziehungsweise im Antrag auf zeugenschaftliche Befragung nicht ausgeführt.

6. Kostenersatz

6.1. Gemäß § 22a Abs. 1a BFA-VG gelten für Beschwerden nach dieser Bestimmung die für Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt anwendbaren Bestimmungen des VwGVG mit der Maßgabe, dass belangte Behörde jene Behörde ist, die den angefochtenen Schubhaftbescheid erlassen hat oder der die Festnahme oder die Anhaltung zuzurechnen ist (für die Zeit vor Inkrafttreten des § 22a Abs. 1a BFA-VG s. VwGH 23.04.2015, Ro 2014/21/0077).

6.2. Gemäß § 35 Abs. 1 VwGVG hat die im Verfahren über Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt obsiegende Partei hat Anspruch auf Ersatz ihrer Aufwendungen durch die unterlegene Partei. Wenn die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt für rechtswidrig erklärt wird, dann ist gemäß Abs. 2 der Beschwerdeführer die obsiegende und die Behörde die unterlegene Partei. Wenn die Beschwerde zurückgewiesen oder abgewiesen wird oder vom Beschwerdeführer vor der Entscheidung durch das Verwaltungsgericht zurückgezogen wird, dann ist gemäß Abs. 3 die Behörde die obsiegende und der Beschwerdeführer die unterlegene Partei. Die §§ 52 bis 54 VwGG sind gemäß Abs. 6 auf den Anspruch auf Aufwandersatz gemäß Abs. 1 sinngemäß anzuwenden.

Die belangte Behörde hat als (vollständig) obsiegende Partei Anspruch auf Kostenersatz im beantragten Umfang. Dem Beschwerdeführer gebührt als unterlegener Partei hingegen kein Kostenersatz.

Zu B)

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, wenn die Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, wenn es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt oder wenn die Frage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird bzw. sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vorliegen.

Dies liegt im gegenständlichen Fall nicht vor. Die Berücksichtigung eines unstrittigen oder zweifelsfrei belegten Vorverhaltens entspricht der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes.

Es kann dem Verwaltungsgerichtshof auch nicht unterstellt werden, seine Judikatur zu HRZ-Verfahren und der Verantwortung des Bundesamtes für kurze Anhaltedauer in Schubhaft solle Beschwerdeführer geradezu dazu anspornen, Verfahrensobstruktion zu betreiben. Vielmehr ist auch hier eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vorzunehmen und dementsprechend belegtes Vorverhalten in die Entscheidung einzubeziehen. Die Ausführungen des bevollmächtigten Vertreters in der gegenständlichen Beschwerde würden aber genau eine solche Privilegierung krimineller und/oder nicht kooperationswilliger Beschwerdeführer hinauslaufen.

Die Revision war daher nicht zuzulassen.

Schlagworte

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European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W137.2234863.1.00

Im RIS seit

01.12.2020

Zuletzt aktualisiert am

01.12.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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