TE Bvwg Erkenntnis 2020/9/16 W279 2233859-1

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Veröffentlicht am 16.09.2020
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Entscheidungsdatum

16.09.2020

Norm

BFA-VG §22a Abs1
B-VG Art133 Abs4
FPG §76 Abs2 Z2
VwGVG §35

Spruch

W279 2233859-1/6E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. KOREN als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX 1975, StA. Bulgarien, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Wien, vom 09.07.2020, Zl. XXXX , und die Anhaltung in Schubhaft von 09.07.2020 bis 17.07.2020, zu Recht:

A)

I. Die Beschwerde wird gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG iVm § 22a Abs. 1 BFA-VG als unbegründet abgewiesen und die Anhaltung in Schubhaft von 09.07.2020 bis 17.07.2020 für rechtmäßig erklärt.

II. Der Beschwerdeführer hat gemäß § 35 VwGVG dem Bund (Bundesminister für Inneres) den Verfahrensaufwand in Höhe von 426,20 Euro binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

IV. Der Antrag des Beschwerdeführers auf Ersatz des Verfahrensaufwands wird gemäß § 35 VwGVG abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (BF) wurde am 10.12.2018 von Beamten der Landespolizeidirektion (LPD) Wien im Bundesgebiet angetroffen und einer Personenkontrolle unterzogen. Dabei konnte sich der BF mit einem Reisedokument legitimieren, wie lange er sich bereits im Bundesgebiet aufgehalten hat, konnte nicht eruiert werden. Er war behördlich nicht gemeldet.

Aufgrund des Verdachts des längeren Aufenthaltes im Bundesgebiet wurde dem BF eine Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme zugestellt. Mittels dieser Verständigung wurde dem BF die beabsichtigte Erlassung einer Ausweisung aus dem Bundesgebiet mitgeteilt, gleichzeitig wurde der BF zur Abgabe einer Stellungnahme binnen zwei Wochen aufgefordert.

2. Am 28.01.2019 erfolgte eine Meldung der LPD Wien an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA), wonach sich der BF im Rahmen einer Kontrolle mit einem bulgarischen Personalausweis ausgewiesen habe. Gegen ihn habe jedoch eine aufenthaltsbeendende Maßnahme bestanden, weswegen ihm der Bescheid ausgehändigt und sein Personalausweis gem. § 39 BFA-VG sichergestellt worden sei.

3. Mit Bescheid vom 28.01.2019 wurde der BF gem. § 66 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz (FPG) iVm § 55 Abs. 3 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen und gem. § 70 Abs. 3 FPG ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat ab Durchsetzbarkeit der Entscheidung erteilt.

Begründend wurde ausgeführt, dass der BF seinen Aufenthalt auf das Freizügigkeitsrecht innerhalb der EU stütze, er jedoch nicht angeben könne, wie lange er sich schon in Österreich befinde. Zudem sei der BF behördlich nicht gemeldet und habe seinen Aufenthalt im Verborgenen geführt. Er gehe keiner legalen Beschäftigung nach und sei nicht krankenversichert. Auch habe er keine Anmeldebescheinigung beantragt. Es bestehe daher zu Recht die Vermutung, dass er sich länger als drei Monate im Bundesgebiet aufhalte und nicht die Voraussetzungen verfüge, ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht gem. § 51 NAG in Anspruch zu nehmen. Es bestehe die Gefahr, dass der BF eine Belastung für die Gebietskörperschaft werde.

4. Mit E-Mail vom 01.02.2019 erkundigte sich eine Mitarbeiterin des Fonds Soziales Wien, wie der BF seinen Personalausweis zurückerhalte, da er ausreisen wolle. In Antwort der Anfrage gab das BFA bekannt, dass die Ausreise nachweislich über den Verein Menschenrechte Österreich erfolgen solle. Dort werde man dem BF bei der Ausreise behilflich sein und könne auch der Personalausweis abgeholt werden.

5. Mit Schreiben vom 11.02.2019 übermittelte der Verein Menschenrechte Österreich dem BFA die Ausreisebestätigung des BF. Demnach sei der BF am 08.02.2019 mit dem Bus von Wien Erdberg nach Sofia gereist.

6. Mit E-Mail vom 09.03.2019 informierte die LPD Wien das BFA darüber, dass der BF am selben Tag durch die zivile Bettlerstreife beim Betteln angetroffen worden sei. Er sei eindeutig der etablierten Bettlerszene zuordenbar, da er bereits mehrmals an den typischen Örtlichkeiten Wiens kontrolliert worden sei und keinen Wohnsitz im Bundesgebiet habe. Da er jedoch angab, am Vortag das erste Mal nach Wien gereist zu sein, müsse davon ausgegangen werden, dass der BF nicht zur Überbrückung einer Notlage bettle, sondern dass er Wien offensichtlich deshalb aufsuche, um zu betteln und sich auf diese Weise eine fortlaufende Einnahmequelle zu verschaffen. Es gebe darüber hinaus keine Anhaltspunkte für eine regelmäßige Rückkehr an seinen Auslandswohnsitz.

7. Mit Schreiben vom 09.03.2019 wurde der BF vom BFA über das Ergebnis der Beweisaufnahme hinsichtlich der beabsichtigten Erlassung einer Ausweisung in Kenntnis gesetzt. Festgehalten wurde, dass der BF nicht in Besitz von Barmitteln und sei und auch sonst über keine ortsübliche Unterkunft verfüge. Er sei kurz nach seiner Ausreise neuerlich in das Bundesgebiet gereist, weshalb nicht davon ausgegangen werden könne, dass er seinen Lebensmittelpunkt nach Bulgarien verlegt habe. Auch bestehe der begründete Verdacht, dass er derzeit nicht die Voraussetzungen zur Inanspruchnahme des unionsrechtlichen Aufenthaltes erfülle, zumal er über keine Unterkunft verfüge und bei der Bettelei betreten worden sei. Daher sei die neuerliche Erlassung einer Ausweisung beabsichtigt.

8. Am 16.09.2019 wurde der Personalausweis des BF durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sichergestellt. Mit Schreiben vom 26.09.2019 ersuchte eine Mitarbeiterin des Fonds Soziales Wien um Rückgabe des Personalausweises des BF.

9. Am 17.10.2019 wurde der BF durch das BFA niederschriftlich in der Sprache Bulgarisch einvernommen.

Dabei gab er an, dass er sich seit zwei Monaten in Österreich aufhalte. Das erste Mal sei er vor etwa fünf Jahren in das Bundesgebiet gereist, seitdem halte er sich immer wieder ein oder zwei Monate hier auf, um Zeitungen zu verkaufen. Soziale Kontakte habe er keine, auch sei er nicht krankenversichert. Er wohne in der Nähe des Westbahnhofes, die Adresse kenne er nicht, er sei auch nicht behördlich gemeldet. Seine Familie lebe in Bulgarien.

10. Mit Bescheid vom 17.10.2019 wurde der BF gem. § 66 Abs. 1 FPG iVm § 55 Abs. 3 NAG aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen und gem. § 70 Abs. 3 FPG ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat ab Durchsetzbarkeit der Entscheidung erteilt.

11. Der BF stellte in weiterer Folge einen Antrag auf freiwillige Rückkehr, der von Seiten des Vereins Menschenrechte Österreich am 10.01.2020 widerrufen wurde, da der Kontakt mit dem BF abgebrochen sei.

12. Mit Schreiben vom 12.03.2020 wurde der BF vom BFA über das Ergebnis der Beweisaufnahme hinsichtlich der beabsichtigten Erlassung einer Ausweisung in Kenntnis gesetzt.

13. Mit Bescheid vom 08.05.2020 (rechtskräftig am 24.06.2020) wurde der BF gem. § 66 Abs. 1 FPG iVm § 55 Abs. 3 NAG aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen und gem. § 70 FPG ein Durchsetzungsaufschub nicht gewährt.

14. Der BF wurde am 09.07.2020 von Beamten der LPD Wien betreten. Nach einer Überprüfung der Person des BF sei festgestellt worden, dass gegen den BF eine rechtskräftige Ausweisung bestehe, weshalb der BF gem. § 40 Abs. 1 Z 1 BFA-VG festgenommen und in das Polizeianhaltezentrum (PAZ) Hernalser Gürtel eingeliefert worden sei.

15. Mit gegenständlich angefochtenem Bescheid wurde gem. § 76 Abs. 2 Z 2 FPG iVm § 57 Abs. 1 AVG die Schubhaft zum Zwecke der Sicherung der Abschiebung angeordnet.

Begründend wurde ausgeführt, dass gegen den BF eine rechtskräftige und durchsetzbare Ausweisung bestehe, der der BF nicht nachgekommen und illegal im Bundesgebiet verblieben sei. Er gehe keiner legalen Erwerbstätigkeit nach, sei in Österreich nicht sozialversichert und habe keinen ordentlichen Wohnsitz im Bundesgebiet.

16. Am 10.07.2020 legte das BFA einen Aktenvermerk an, wonach die Abschiebung des BF für zulässig erklärt wurde.

17. Der BF wurde am 17.07.2020 mangels einer möglichen Abschiebung nach Bulgarien aus der Schubhaft entlassen.

18. Der BF brachte mit Schreiben vom 07.08.2020 fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde gem. § 22a BFA-VG ein und gab an, dass ihm nie die Möglichkeit von Parteiengehör gewährt worden sei. Hätte die belangte Behörde den BF einvernommen, hätte dieser angegeben, dass er erst am 20.06.2020 wieder in das Bundesgebiet eingereist sei und damit die Ausweisung, welche am 27.05.2020 im Akt hinterlegt worden sei, bereits konsumiert habe. Da keine Rechtsgrundlage für die Abschiebung vorgelegen habe, sei die Schubhaft rechtswidrig gewesen. Zudem bestand im Fall des BF keine Fluchtgefahr. Gegen den BF habe keine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestanden, auch sei gegen den BF kein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme anhängig gewesen, weswegen er sich einem solchen Verfahren nicht habe entziehen können. Das fehlende soziale Netzwerk alleine könne nicht als Indiz für Fluchtgefahr gewertet werden.

19. Mit Beschwerdevorlage vom 10.08.2020 brachte das BFA eine Stellungnahme ein und erklärte, dass aufgrund des erlassenen Mandatsbescheides Parteiengehör nicht zwingend vorgesehen sei. Der BF sei einer rechtskräftigen Ausweisung zuwider illegal im Bundesgebiet verblieben und habe neuerlich im Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nicht mitgewirkt, sondern habe es vorgezogen, seinen Aufenthalt weiter im Verborgenen fortzusetzen. Der BF habe sein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht nie aufgegeben, da er immer nur für kurze Zeit das Bundesgebiet verlassen habe. Er sei bis dato nie in der Lage gewesen, die erforderlichen Existenzmittel und eine Krankenversicherung nachzuweisen. Die für § 51 NAG erforderlichen Voraussetzungen seien nie erfüllt worden. Die angebliche Ausreise im Juni 2020 sei zu einem Zeitpunkt erfolgt, zu dem die gegenständliche Ausweisung noch nicht rechtsgültig gewesen sei. Der BF sei in Kenntnis gewesen, dass ein entsprechendes Verfahren geführt werde und habe es unterlassen, die angebliche Ausreise der Behörde nachzuweisen. Zum Zeitpunkt der polizeilichen Kontrolle sei die gegenständliche Ausweisung rechtskräftig gewesen und habe vollstreckt werden müssen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage der Beschwerde vom 07.08.2020 gegen den angefochtenen Schubhaftbescheid des BFA vom 09.07.2020, sowie der Einsicht in den bezughabenden Verwaltungsakt werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zu Grunde gelegt:

Der BF führt den Namen XXXX und das Geburtsdatum XXXX . Er ist Staatsangehöriger Bulgariens. Seine Identität steht fest.

Der BF reiste wiederholt in das österreichische Bundesgebiet ein und wurde mit Bescheid vom 28.01.2019, 17.10.2019 und 08.05.2020 (rechtskräftig 24.06.2020) aus Österreich nach Bulgarien ausgewiesen.

Er befand sich von 09.07.2020 bis 17.07.2020 in Schubhaft.

Es wird festgestellt, dass der BF zum Zeitpunkt der Anordnung der Schubhaft in Österreich keiner entsprechenden Beschäftigung nachgegangen ist und über keine existenzsichernden Barmittel verfügt hat. Eine familiäre, berufliche oder soziale Verankerung des BF im Bundesgebiet kann ebenso nicht festgestellt werden.

Darüber hinaus kam der BF seiner Meldeverpflichtung nicht nach und verfügte über keinen gesicherten Wohnsitz. Er lebte im Verborgenen und entzog sich dem Zugriff der Behörde.

Der BF ist strafgerichtlich unbescholten.

Der BF war zum Zeitpunkt der Verhängung der Schubhaft haftfähig. Es gibt keine stichhaltigen Hinweise für substanzielle gesundheitliche Probleme körperlicher oder psychischer Natur.

Das erkennende Gericht stellt fest, dass für den BF eine konkrete Fluchtgefahr gegeben und die Verhängung der Schubhaft verhältnismäßig war. Aufgrund des Verhaltens des BF und dem daraus folgenden, überwiegenden öffentlichen Interesse an der Aufenthaltsbeendigung des BF im Bundesgebiet war im gegenständlichen Fall von einem erhöhten Sicherungsbedarf auszugehen.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen hinsichtlich der Person des BF ergeben sich aus der im Akt einliegenden Kopie des bulgarischen Personalausweises.

Dass der BF mehrmals in das österreichische Bundesgebiet einreiste und von Beamten der LPD Wien angehalten bzw. aus dem Bundesgebiet ausgewiesen wurde, ergibt sich aus den Berichten der LPD Wien sowie aus den im Akt einliegenden Kopien der Ausweisungsbescheide.

Dass sich der BF von 09.07.2020 bis 17.07.2020 in Schubhaft befunden hat, ergibt sich aus einem Auszug aus der Anhaltedatei und dem Entlassungsschein vom 17.07.2020.

Die Feststellung, dass der BF keiner entsprechenden Beschäftigung im Bundesgebiet nachgegangen ist und keine existenzsichernden Barmittel verfügte, ergibt sich aus der Tatsache, dass er nicht krankenversichert ist und angab, Zeitungen verkauft zu haben (Aktenseite 60). Der BF wurde zudem mehrmals, wie aus den Berichten vom 10.12.2018, 28.01.2019, 09.03.2019, 16.09.2019 und 09.07.20120 ersichtlich, von Beamten der LPD Wien beim Betteln aufgegriffen. Dass der BF im Bundesgebiet weder sozial, familiär noch beruflich verankert ist, ergibt sich aus dessen Angaben im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme. Der BF gab an, in Österreich keine Familienangehörigen zu haben. Seine Familie würde in Bulgarien leben (Aktenseite 59).

Die Feststellung, dass der BF seiner Meldeverpflichtung nicht nachgekommen ist und über keinen gesicherten Wohnsitz verfügte sowie im Verborgenen lebte, ergibt sich aus den Angaben des BF in der niederschriftlichen Einvernahme vom 17.07.2019 sowie einer Einsicht in das Zentrale Melderegister. Der BF gab an, dass er in einer Wohnung in der Nähe des Westbahnhofes wohne, eine Adresse kenne er nicht, auch behördlich gemeldet sei er nicht (Aktenseite 59).

Hinweise auf schwerwiegende, gesundheitliche Probleme des BF, sowie eine mögliche Haftunfähigkeit sind im gesamten Verfahren nicht hervorgekommen, und wurden insbesondere auch in der gegenständlichen Beschwerde nicht vom BF behauptet.

Dass der BF strafgerichtlich unbescholten ist, ergibt sich aus einem Auszug aus dem Strafregister.

Dass im vorliegenden Fall von Fluchtgefahr und Sicherungsbedarf auszugehen war, ergibt sich aus der Tatsache, dass sich der BF mehrmals dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme entzog, im Bundesgebiet ohne Meldung lebte, untertauchte und für die Behörde nicht greifbar war. Zudem verfügt der BF über keine Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Soweit das Verwaltungsgericht nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, hat es gemäß § 27 VwGVG den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs.1 Z 3 und 4 VwGVG) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3 VwGVG) zu überprüfen. Gemäß § 9 Abs. 1 VwGVG hat die Beschwerde u.a. (Z 3) die Gründe, auf die sich die Behauptung der Rechtswidrigkeit stützt, sowie (Z 4) das Begehren zu enthalten. In den erläuternden Bemerkungen der Regierungsvorlage zur Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl. I Nr. 51/2012, wurde zu § 27 VwGVG ausgeführt: „Der vorgeschlagene § 27 legt den Prüfungsumfang des Verwaltungsgerichtes fest. Anders als die Kognitionsbefugnis einer Berufungsbehörde (vgl. § 66 Abs. 4 AVG) soll die Kognitionsbefugnis des Verwaltungsgerichtes durch den Inhalt der Beschwerde beschränkt sein.“

3.2. Der mit „Rechtsschutz bei Festnahme, Anhaltung und Schubhaft“ betitelte § 22a des BFA-Verfahrensgesetzes (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 idgF, lautet:

„§ 22a. (1) Der Fremde hat das Recht, das Bundesverwaltungsgericht mit der Behauptung der Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides, der Festnahme oder der Anhaltung anzurufen, wenn

1.       er nach diesem Bundesgesetz festgenommen worden ist,

2.       er unter Berufung auf dieses Bundesgesetz angehalten wird oder wurde, oder

3.       gegen ihn Schubhaft gemäß dem 8. Hauptstück des FPG angeordnet wurde.

(1a) Für Beschwerden gemäß Abs. 1 gelten die für Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG anwendbaren Bestimmungen des VwGVG mit der Maßgabe, dass belangte Behörde jene Behörde ist, die den angefochtenen Schubhaftbescheid erlassen hat oder der die Festnahme oder die Anhaltung zuzurechnen ist.

(2) Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes über die Fortsetzung der Schubhaft hat binnen einer Woche zu ergehen, es sei denn, die Anhaltung des Fremden hätte vorher geendet. Hat das Bundesverwaltungsgericht dem Beschwerdeführer gemäß § 13 Abs. 3 AVG aufgetragen, innerhalb bestimmter Frist einen Mangel der Beschwerde zu beheben, wird der Lauf der Entscheidungsfrist bis zur Behebung des Mangels oder bis zum fruchtlosen Ablauf der Frist gehemmt.

(3) Sofern die Anhaltung noch andauert, hat das Bundesverwaltungsgericht jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen.

(4) Soll ein Fremder länger als vier Monate durchgehend in Schubhaft angehalten werden, so ist die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung nach dem Tag, an dem das vierte Monat überschritten wurde, und danach alle vier Wochen vom Bundesverwaltungsgericht zu überprüfen. Das Bundesamt hat die Verwaltungsakten so rechtzeitig vorzulegen, dass dem Bundesverwaltungsgericht eine Woche zur Entscheidung vor den gegenständlichen Terminen bleibt. Mit Vorlage der Verwaltungsakten gilt die Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen Fremden eingebracht. Das Bundesamt hat darzulegen, warum die Aufrechterhaltung der Schubhaft notwendig und verhältnismäßig ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und ob die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist. Diese Überprüfung hat zu entfallen, soweit eine Beschwerde gemäß Abs. 1 bereits eingebracht wurde.

(5) Gegen die Anordnung der Schubhaft ist eine Vorstellung nicht zulässig.“

Das Bundesverwaltungsgericht ist somit gemäß § 22a Abs. 1 BFA-VG für die Entscheidung der gegenständlichen Beschwerde zuständig.

Zu A)

3.3. Der mit „Schubhaft“ betitelte § 76 FPG, BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, lautet:

„§ 76. (1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§ 77) erreicht werden kann. Unmündige Minderjährige dürfen nicht in Schubhaft angehalten werden.

(2) Die Schubhaft darf nur angeordnet werden, wenn

1. dies zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme notwendig ist, sofern der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gemäß § 67 gefährdet, Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist,

2. dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nach dem 8. Hauptstück oder der Abschiebung notwendig ist, sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder

3. die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin Verordnung vorliegen.

Bedarf es der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme deshalb nicht, weil bereits eine aufrechte rechtskräftige Rückkehrentscheidung vorliegt (§ 59 Abs. 5), so steht dies der Anwendung der Z 1 nicht entgegen. In den Fällen des § 40 Abs. 5 BFA VG gilt Z 1 mit der Maßgabe, dass die Anordnung der Schubhaft eine vom Aufenthalt des Fremden ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit nicht voraussetzt.

(2a) Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung (Abs. 2 und Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung) ist auch ein allfälliges strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen, insbesondere ob unter Berücksichtigung der Schwere der Straftaten das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung den Schutz der persönlichen Freiheit des Fremden überwiegt.

(3) Eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 1 oder 2 oder im Sinne des Art. 2 lit n Dublin-Verordnung liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen,

1. ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert;

1a. ob der Fremde eine Verpflichtung gemäß § 46 Abs. 2 oder 2a verletzt hat, insbesondere, wenn ihm diese Verpflichtung mit Bescheid gemäß § 46 Abs. 2b auferlegt worden ist, er diesem Bescheid nicht Folge geleistet hat und deshalb gegen ihn Zwangsstrafen (§ 3 Abs. 3 BFA-VG) angeordnet worden sind;

2. ob der Fremde entgegen einem aufrechten Einreiseverbot, einem aufrechten Aufenthaltsverbot oder während einer aufrechten Anordnung zur Außerlandesbringung neuerlich in das Bundesgebiet eingereist ist;

3. ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat;

4. ob der faktische Abschiebeschutz bei einem Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005) aufgehoben wurde oder dieser dem Fremden nicht zukommt;

5. ob gegen den Fremden zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand, insbesondere, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Schubhaft befand oder aufgrund § 34 Abs. 3 Z 1 bis 3 BFA-VG angehalten wurde;

6. ob aufgrund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung oder der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass ein anderer Mitgliedstaat nach der Dublin-Verordnung zuständig ist, insbesondere sofern
a.         der Fremde bereits mehrere Anträge auf internationalen Schutz in den Mitgliedstaaten gestellt hat oder der Fremde falsche Angaben hierüber gemacht hat,
b.         der Fremde versucht hat, in einen dritten Mitgliedstaat weiterzureisen, oder
c.         es aufgrund der Ergebnisse der Befragung, der Durchsuchung, der erkennungsdienstlichen Behandlung oder des bisherigen Verhaltens des Fremden wahrscheinlich ist, dass der Fremde die Weiterreise in einen dritten Mitgliedstaat beabsichtigt;

7. ob der Fremde seiner Verpflichtung aus dem gelinderen Mittel nicht nachkommt;

8. ob Auflagen, Mitwirkungspflichten, Gebietsbeschränkungen, Meldeverpflichtungen oder Anordnungen der Unterkunftnahme gemäß §§ 52a, 56, 57 oder 71 FPG, § 38b SPG, § 13 Abs. 2 BFA-VG oder §§ 15a oder 15b AsylG 2005 verletzt wurden, insbesondere bei Vorliegen einer aktuell oder zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutzes durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme;

9. der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes.

(4) Die Schubhaft ist schriftlich mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Schubhaftbescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

(5) Wird eine aufenthaltsbeendende Maßnahme (Z 1 oder 2) durchsetzbar und erscheint die Überwachung der Ausreise des Fremden notwendig, so gilt die zur Sicherung des Verfahrens angeordnete Schubhaft ab diesem Zeitpunkt als zur Sicherung der Abschiebung verhängt.

(6) Stellt ein Fremder während einer Anhaltung in Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz, so kann diese aufrechterhalten werden, wenn Gründe zur Annahme bestehen, dass der Antrag zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt wurde. Das Vorliegen der Voraussetzungen ist mit Aktenvermerk festzuhalten; dieser ist dem Fremden zur Kenntnis zu bringen. § 11 Abs. 8 und § 12 Abs. 1 BFA-VG gelten sinngemäß.“

3.4. Die Anhaltung in Schubhaft ist nach Maßgabe der grundrechtlichen Garantien des Art. 2 Abs. 1 Z 7 PersFrBVG und des Art. 5 Abs. 1 lit. f EMRK nur dann zulässig, wenn der Anordnung der Schubhaft ein konkreter Sicherungsbedarf zugrunde liegt und die Schubhaft unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls verhältnismäßig ist. Dabei sind das öffentliche Interesse an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung und das Interesse des Betroffenen an der Schonung seiner persönlichen Freiheit abzuwägen. Kann der Sicherungszweck auf eine andere, die Rechte des Betroffenen schonendere Weise, wie etwa durch die Anordnung eines gelinderen Mittels nach § 77 FPG, erreicht werden (§ 76 Abs. 1 FPG), ist die Anordnung der Schubhaft nicht zulässig (VfGH 03.10.2012, VfSlg. 19.675/2012; VwGH 22.01.2009, Zl. 2008/21/0647; 30.08.2007, Zl. 2007/21/0043).

Ein Sicherungsbedarf ist in der Regel dann gegeben, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen oder diese zumindest wesentlich erschweren werde (§ 76 Abs. 3 FPG). Es ist allerdings nicht erforderlich, dass ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme bereits eingeleitet worden ist (VwGH 28.06.2002, Zl. 2002/02/0138).

Die fehlende Ausreisewilligkeit des Fremden, d.h. das bloße Unterbleiben der Ausreise, obwohl keine Berechtigung zum Aufenthalt besteht, vermag für sich genommen die Verhängung der Schubhaft nicht zu rechtfertigen. Vielmehr muss der – aktuelle – Sicherungsbedarf in weiteren Umständen begründet sein, etwa in mangelnder sozialer Verankerung in Österreich. Dafür kommt insbesondere das Fehlen ausreichender familiärer, sozialer oder beruflicher Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet in Betracht, was die Befürchtung, es bestehe das Risiko des Untertauchens eines Fremden, rechtfertigen kann. Abgesehen von der damit angesprochenen Integration des Fremden in Österreich ist bei der Prüfung des Sicherungsbedarfes auch sein bisheriges Verhalten in Betracht zu ziehen, wobei frühere Delinquenz das Gewicht des öffentlichen Interesses an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung maßgeblich vergrößern kann (VwGH 21.12.2010, Zl. 2007/21/0498; weiters VwGH 08.09.2005, Zl. 2005/21/0301; 23.09.2010, Zl. 2009/21/0280).

4. Zur Schubhaft bisher:

4.1. Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung kann immer nur dann verhältnismäßig sein, wenn mit der Möglichkeit einer Abschiebung auch tatsächlich zu rechnen ist. Ergibt sich, dass diese fremdenpolizeiliche Maßnahme innerhalb der Schubhafthöchstdauer nicht durchführbar ist, so darf die Schubhaft nicht verhängt werden bzw. ist – wenn sich das erst später herausstellt – umgehend zu beenden (VwGH 28.08.2012, 2010/21/0517; vgl. VwGH 19.04.2012, 2009/21/0047).

Der Hohe Verwaltungsgerichtshof hat am 01.04.2020 mit Ra 2020/21/0116-3 entschieden:

„Der Einwand in der vorliegenden Antragsbegründung, aufgrund der „derzeitigen“ weltweiten Flugreisebeschränkungen wäre eine Abschiebung ohnehin nicht möglich, geht daher - jedenfalls in diesem Stadium - ins Leere, zumal die diesbezügliche Annahme des BVwG, es wäre mit einer Aufhebung dieser Maßnahmen „binnen weniger Wochen“ und mit einer „baldigen“ Abschiebung des Revisionswerbers nach Abschluss des Asylverfahrens zu rechnen, nicht unvertretbar scheint und ihr in der Revision auch nicht konkret entgegen getreten wird.“

In casu lag eine rechtskräftige, durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme vom 24.06.2020 vor, zudem verfügte der BF über einen Personalausweis. Dass zum Zeitpunkt der Inschubhaftnahme keine Flugverbindung nach Bulgarien gebucht war, stand der Schubhaft nicht entgegen, da von Flugverbindungen innerhalb weniger Wochen oder Monate, jedenfalls aber innerhalb der zulässigen Höchstdauer der Schubhaft von 18 Monaten, auszugehen war. Als der für den 24.07.2020 geplante Flug des BF aufgrund der Lande- und Einreiseverbote storniert wurde, wurde der BF sogleich am 17.07.2020 aus der Schubhaft entlassen.

4.2. Die „Fluchtgefahr“ ist in Österreich im § 76 Abs. 3 FPG (oben unter Punkt 3.3. wiedergegeben) gesetzlich definiert.

Gegen den BF lag eine rechtskräftige, durchsetzbare und durchführbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bezogen auf Bulgarien vor.

Wenn in der Beschwerde vorgebracht wird, dass der BF „die Ausweisung, welche am 27.05.2020 im Akt hinterlegt wurde, bereits konsumiert hat“ da er am 20.06.2020 erneut in das Bundesgebiet eingereist sei, was durch ein Busticket belegt werde, so belegt das (erst im Beschwerdeverfahren!) eingebracht Busticket jedoch nicht, dass der BF nach Erlass der aufenthaltsbeendenden Maßnahme tatsächlich aus dem Bundesgebiet aus- und wieder eingereist ist, zumal weder ein tagesaktueller Stempel noch ein Nachweis dafür, dass der BF mit dem Busticket tatsächlich von Bulgarien nach Wien gefahren ist, ersichtlich ist.

Die belangte Behörde begründete die festgestellte Fluchtgefahr im Wesentlichen mit der bestehenden durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme, der mangelnden Ausreisebereitschaft trotz illegalen Aufenthaltes, dem mangelnden Wohnsitz sowie dem Aufenthalt unter Verletzung der Meldeverpflichtung, dem Fehlen einer geregelten Beschäftigung und der fehlenden Selbsterhaltungsfähigkeit, sowie den mangelnden sozialen wie familiären Anknüpfungspunkten im Bundesgebiet. Das Bundesamt stützte sich dabei auf die Ziffer 1, 3 und 9 des § 76 Abs. 3 FPG.

Bei der Beurteilung des Sicherungsbedarfes ist das gesamte Verhalten des BF vor Anordnung der Schubhaft sowie seine familiäre, soziale und berufliche Verankerung im Inland in einer Gesamtbetrachtung zu berücksichtigen. Da der BF weder sozial, beruflich noch familiär im Bundesgebiet verankert war, keiner entsprechenden Beschäftigung nachging, über keinen gesicherten Wohnsitz verfügte und im Verborgenen lebte, ging das BFA daher zu Recht vom Bestehen sowohl eines Sicherungsbedarfes als auch von Fluchtgefahr aus.

Als weitere Voraussetzung ist die Verhältnismäßigkeit der angeordneten Schubhaft zu prüfen. Dabei sind das öffentliche Interesse an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung und das Interesse des Betroffenen an der Schonung seiner persönlichen Freiheit abzuwägen.

Der BF verletzte seine Meldeverpflichtung, verfügte über keinen gesicherten Wohnsitz und ging keiner legalen Erwerbstätigkeit nach. Er verfügte über keine sozialen, familiären oder beruflichen Anknüpfungspunkte. Zudem war mit dem Untertauchen des BF zu rechnen, da er bereits des Öfteren für die Behörde nicht greifbar und unbekannten Aufenthaltes war.

Insgesamt kommt den persönlichen Interessen des BF daher ein geringerer Stellenwert als dem öffentlichen Interesse an der Sicherung seiner Aufenthaltsbeendigung zu. Der BF hat bereits in der Vergangenheit gezeigt, dass er die ihn treffenden Verpflichtungen nicht einhält und untertaucht. Im Verfahren liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass er dieses Verhalten in Zukunft unter Berücksichtigung der bevorstehenden Abschiebung geändert hätte.

Die angeordnete Schubhaft erfüllte daher auch das Kriterium der Verhältnismäßigkeit.

4.3. Die Prüfung, ob ein gelinderes Mittel im Sinne des § 77 FPG den gleichen Zweck wie die angeordnete Schubhaft erfüllt hätte, führt zu dem Ergebnis, dass ein gelinderes Mittel zu Recht nicht zur Anwendung kam.

Gemäß § 77 Abs. 1 FPG hat das Bundesamt bei Vorliegen der in § 76 genannten Gründe gelindere Mittel anzuordnen, wenn es Grund zur Annahme hat, dass der Zweck der Schubhaft durch Anwendung des gelinderen Mittels erreicht werden kann. Gegen mündige Minderjährige hat das Bundesamt gelindere Mittel anzuwenden, es sei denn bestimmte Tatsachen rechtfertigen die Annahme, dass der Zweck der Schubhaft damit nicht erreicht werden kann; diesfalls gilt § 80 Abs. 2 Z 1 FPG.

Gemäß § 77 Abs. 2 FPG ist Voraussetzung für die Anordnung gelinderer Mittel, dass der Fremde seiner erkennungsdienstlichen Behandlung zustimmt, es sei denn, diese wäre bereits aus dem Grunde des § 24 Abs. 1 Z 4 BFA-VG von Amts wegen erfolgt.

Gemäß § 77 Abs. 3 FPG sind gelindere Mittel insbesondere die Anordnung, (Z 1) in vom Bundesamt bestimmten Räumen Unterkunft zu nehmen, (Z 2) sich in periodischen Abständen bei einer Dienststelle einer Landespolizeidirektion zu melden oder (Z 3) eine angemessene finanzielle Sicherheit beim Bundesamt zu hinterlegen.

Kommt der Fremde gemäß § 77 Abs. 4 FPG seinen Verpflichtungen nach Abs. 3 nicht nach oder leistet er ohne ausreichende Entschuldigung einer ihm zugegangenen Ladung zum Bundesamt, in der auf diese Konsequenz hingewiesen wurde, nicht Folge, ist die Schubhaft anzuordnen. Für die in der Unterkunft verbrachte Zeit gilt § 80 mit der Maßgabe, dass die Dauer der Zulässigkeit verdoppelt wird.

Gemäß § 77 Abs. 5 FPG steht die Anwendung eines gelinderen Mittels der für die Durchsetzung der Abschiebung erforderlichen Ausübung von Befehls- und Zwangsgewalt nicht entgegen. Soweit dies zur Abwicklung dieser Maßnahmen erforderlich ist, kann den Betroffenen aufgetragen werden, sich für insgesamt 72 Stunden nicht übersteigende Zeiträume an bestimmten Orten aufzuhalten.

Gemäß § 77 Abs. 6 FPG hat sich zur Erfüllung der Meldeverpflichtung gemäß Abs. 3 Z 2 der Fremde in periodischen, 24 Stunden nicht unterschreitenden Abständen bei einer zu bestimmenden Dienststelle einer Landespolizeidirektion zu melden. Die dafür notwendigen Angaben, wie insbesondere die zuständige Dienststelle einer Landespolizeidirektion sowie Zeitraum und Zeitpunkt der Meldung, sind dem Fremden vom Bundesamt mit Verfahrensanordnung (§ 7 Abs. 1 VwGVG) mitzuteilen. Eine Verletzung der Meldeverpflichtung liegt nicht vor, wenn deren Erfüllung für den Fremden nachweislich nicht möglich oder nicht zumutbar war.

Gemäß § 77 Abs. 7 FPG können die näheren Bestimmungen, welche die Hinterlegung einer finanziellen Sicherheit gemäß Abs. 3 Z 3 regeln, der Bundesminister für Inneres durch Verordnung festlegen.

Gemäß § 77 Abs. 8 FPG ist das gelindere Mittel mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Bescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

Gemäß § 77 Abs. 9 FPG können die Landespolizeidirektionen betreffend die Räumlichkeiten zur Unterkunftnahme gemäß Abs. 3 Z 1 Vorsorge treffen.

„Die Entscheidung über die Anwendung gelinderer Mittel iSd § 77 Abs. 1 FrPolG 2005 ist eine Ermessensentscheidung. Auch die Anwendung gelinderer Mittel setzt das Vorliegen eines Sicherungsbedürfnisses voraus. Fehlt ein Sicherungsbedarf, dann darf weder Schubhaft noch ein gelinderes Mittel verhängt werden. Insoweit besteht kein Ermessensspielraum. Der Behörde kommt aber auch dann kein Ermessen zu, wenn der Sicherungsbedarf im Verhältnis zum Eingriff in die persönliche Freiheit nicht groß genug ist, um die Verhängung von Schubhaft zu rechtfertigen. Das ergibt sich schon daraus, dass Schubhaft immer ultima ratio sein muss (Hinweis E 17.03.2009, 2007/21/0542; E 30.08.2007, 2007/21/0043). Mit anderen Worten: Kann das zu sichernde Ziel auch durch die Anwendung gelinderer Mittel erreicht werden, dann wäre es rechtswidrig, Schubhaft zu verhängen; in diesem Fall hat die Behörde lediglich die Anordnung des gelinderen Mittels vorzunehmen (Hinweis E 28.05.2008, 2007/21/0246). Der Ermessenspielraum besteht also für die Behörde nur insoweit, als trotz eines die Schubhaft rechtfertigenden Sicherungsbedarfs davon Abstand genommen und bloß ein gelinderes Mittel angeordnet werden kann. Diesbezüglich liegt eine Rechtswidrigkeit nur dann vor, wenn die eingeräumten Grenzen des Ermessens überschritten wurden, also nicht vom Ermessen im Sinne des Gesetzes Gebrauch gemacht wurde“ (VwGH 11.06.2013, Zl. 2012/21/0114, vgl. auch VwGH vom 02.08.2013, Zl. 2013/21/0008).

„Je mehr das Erfordernis, die Effektivität der Abschiebung zu sichern, auf der Hand liegt, umso weniger bedarf es einer Begründung für die Nichtanwendung gelinderer Mittel. Das diesbezügliche Begründungserfordernis wird dagegen größer sein, wenn die Anordnung gelinderer Mittel naheliegt. Das wurde in der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes insbesondere beim Vorliegen von gegen ein Untertauchen sprechenden Umständen, wie familiäre Bindungen oder Krankheit, angenommen (vgl. etwa das Erkenntnis vom 22.05.2007, Zl. 006/21/0052, und daran anknüpfend das Erkenntnis vom 29.04.2008, Zl. 2008/21/0085; siehe auch die Erkenntnisse vom 28.02.2008, Zl. 2007/21/0512, und Zl. 2007/21/0391) und wird weiters auch regelmäßig bei Bestehen eines festen Wohnsitzes oder ausreichender beruflicher Bindungen zu unterstellen sein. Mit bestimmten gelinderen Mitteln wird man sich insbesondere dann auseinander zu setzen haben, wenn deren Anordnung vom Fremden konkret ins Treffen geführt wird“ (VwGH 02.08.2013, Zl. 2013/21/0008).

Auf Grund des vom BF in der Vergangenheit gezeigten Verhaltens – insbesondere der Tatsache, dass der BF gegen seine Meldeverpflichtung verstoßen hat, keinen aufrechten Wohnsitz im Bundesgebiet hatte, bereits mehrmals untertauchte und keine familiären, sozialen und beruflichen Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet hat, war mit einer erheblichen Fluchtgefahr und dem Untertauchen des BF zu rechnen, weshalb mit einem gelinderen Mittel iSd § 77 FPG nicht das Auslangen zu finden war.

Aufgrund der mangelnden Bereitschaft, sich an österreichische Gesetze zu halten und der Verletzung seiner Meldeverpflichtung hat sich der BF als nicht vertrauenswürdig erwiesen. Die Möglichkeit der Auferlegung von im § 77 Abs. 3 vorgesehenen Aufenthalts- und Meldepflichten erscheint dem erkennenden Gericht vor dem Hintergrund des durch das bisherige Verhalten des BF begründeten konkreten Risikos des Abtauchens seiner Person kein probates Sicherungsmittel gewesen zu sein.

Die hier zu prüfende Schubhaft stellt eine „ultima ratio“ dar, da sowohl ein Sicherungsbedarf als auch Verhältnismäßigkeit vorlagen und ein gelinderes Mittel nicht den Zweck der Schubhaft erfüllte. Das Verfahren hat keine andere Möglichkeit ergeben, eine gesicherte Außerlandesbringung des BF zu gewährleisten.

Die Beschwerde war daher gemäß § 76 FPG iVm § 22a Abs. 1 BFA-VG als unbegründet abzuweisen.

5. Entfall einer mündlichen Verhandlung

Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.

Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht hat auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. Gemäß § 24 Abs. 2 VwGVG kann die Verhandlung entfallen, wenn (Z 1) der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist oder (Z 2) die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist. Soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, kann das Verwaltungsgericht Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen. Das Verwaltungsgericht kann gemäß § 24 Abs. 5 VwGVG von der Durchführung (Fortsetzung) einer Verhandlung absehen, wenn die Parteien ausdrücklich darauf verzichten. Ein solcher Verzicht kann bis zum Beginn der (fortgesetzten) Verhandlung erklärt werden.

Die Abhaltung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG iVm § 24 VwGVG unterbleiben, da der Sachverhalt auf Grund der Aktenlage und des Inhaltes der Beschwerde geklärt war und Widersprüchlichkeiten in Bezug auf die für die gegenständliche Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltselemente nicht vorlagen.

In der Beschwerde finden sich auch keine substanziellen Hinweise auf einen sonstigen möglicherweise unvollständig ermittelten entscheidungsrelevanten Sachverhalt. Aus der Aktenlage haben sich zudem keine Zweifel an der Haftfähigkeit ergeben, wobei diesbezügliche Probleme auch in der Beschwerde nicht thematisiert worden sind. Die Erläuterung einer Rechtsfrage in einer mündlichen Verhandlung ist nicht erforderlich.

Zu Spruchteil A. – Spruchpunkte II. und III. – Kostenersatz

Gemäß § 22a Abs. 1a BFA-VG gelten für Beschwerden nach dieser Bestimmung die für Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt anwendbaren Bestimmungen des VwGVG mit der Maßgabe, dass belangte Behörde jene Behörde ist, die den angefochtenen Schubhaftbescheid erlassen hat oder der die Festnahme oder die Anhaltung zuzurechnen ist (für die Zeit vor Inkrafttreten des § 22a Abs. 1a BFA-VG s. VwGH 23.04.2015, Ro 2014/21/0077).

Gemäß § 35 Abs. 1 VwGVG hat die im Verfahren über Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt obsiegende Partei hat Anspruch auf Ersatz ihrer Aufwendungen durch die unterlegene Partei. Wenn die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt für rechtswidrig erklärt wird, dann ist gemäß Abs. 2 der Beschwerdeführer die obsiegende und die Behörde die unterlegene Partei. Wenn die Beschwerde zurückgewiesen oder abgewiesen wird oder vom Beschwerdeführer vor der Entscheidung durch das Verwaltungsgericht zurückgezogen wird, dann ist gemäß Abs. 3 die Behörde die obsiegende und der Beschwerdeführer die unterlegene Partei. Die §§ 52 bis 54 VwGG sind gemäß Abs. 6 auf den Anspruch auf Aufwandersatz gemäß Abs. 1 sinngemäß anzuwenden.

Dem Beschwerdeführer gebührt als unterlegener Partei daher kein Kostenersatz, die belangte Behörde hat als (vollständig) obsiegende Partei Anspruch auf Kostenersatz im beantragten Umfang.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Ausweisung EWR-Bürger Fluchtgefahr freiwillige Ausreise gelinderes Mittel Haftfähigkeit Kostenentscheidung - Gericht Kostenersatz Kostenersatz - Antrag Meldeverstoß Mittellosigkeit öffentliche Interessen Rückkehrentscheidung Schubhaft Schubhaftbeschwerde Schubhaftverfahren Sicherungsbedarf Ultima Ratio Untertauchen Verhalten Verhältnismäßigkeit Wohnsitz

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W279.2233859.1.00

Im RIS seit

01.12.2020

Zuletzt aktualisiert am

01.12.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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